TE Bvwg Beschluss 2019/9/11 W245 2139020-2

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Veröffentlicht am 11.09.2019
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Entscheidungsdatum

11.09.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art. 133 Abs4
VwGVG §32 Abs1 Z2

Spruch

W245 2139020-2/2E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Mag. Bernhard SCHILDBERGER, LL.M. als Einzelrichter über den Antrag von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch XXXX , vom 17.09.2018 auf Wiederaufnahme des mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 08.01.2018, Zl. W245 2139020-1, rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahrens:

A)

Der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens wird gemäß § 32 Abs. 1 Z. 2 VwGVG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Der Wiederaufnahmewerber (Antragsteller), ein afghanischer Staatsangehöriger der Volksgruppe der Tadschiken, stellte am 30.09.2015 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Am 30.09.2015 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Antragstellers statt. Am 10.10.2016 fand eine niederschriftliche Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge kurz "BFA") statt.

Der Antragsteller gab dabei im Wesentlichen an, dass er für die Regierung bei einem Spezialkommando in der Logistik gearbeitet habe. Dies sei ein sehr guter Job mit gutem Verdienst gewesen. Nach fünf Jahren habe er den Job verloren. Da er vorher bei der Regierung angestellt und seine Wohngegend eine Taliban-Hochburg gewesen sei, sei er früher oder später auf der Abschussliste gestanden. Er habe keine Probleme mit der Regierung, sondern nur mit den Taliban gehabt. Bei einer Rückkehr würden ihn die Taliban töten.

3. Das BFA wies mit Bescheid vom 14.10.2016 den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass eine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Es wurde eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise festgelegt.

4. Der Antragsteller erhob gegen den Bescheid fristgerecht Beschwerde.

5. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 23.05.2017 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der BF im Beisein seines bevollmächtigten Vertreters persönlich teilnahm.

6. Das Bundesverwaltungsgericht wies die Beschwerde mit Erkenntnis vom 08.01.2018 als unbegründet ab und erkannte, dass eine Revision nicht zulässig sei. Das Bundesverwaltungsgericht führte in der Begründung im Wesentlichen aus, dass die Angaben des Antragstellers zu seinen Fluchtgründen nicht glaubhaft sind. Hinsichtlich einer Ansiedlung in der Stadt Kabul führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass dem Antragsteller eine Rückkehr jedenfalls möglich und auch zumutbar ist.

Die getroffenen Länderfeststellungen stützte das Gericht auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 02.03.2017 (zuletzt aktualisiert am 25.09.2017), auf die Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016 (zusammenfassende Darstellung des UNHCR vom 04.05.2016) und auf Auszüge aus dem Gutachten von XXXX zu XXXX sowie auf Auszüge der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation:

Militärdienst, Desertion, 4. Oktober 2012.

7. Der Antragsteller stellte am 17.09.2018 einen Antrag auf Wiederaufnahme dieses Verfahrens gemäß § 32 VwGVG. Der Antragsteller führte begründend aus, dass er am 03.09.2018 Kenntnis von den UNHCR Guidelines vom 30.08.2018 erlangt habe. Diesen sei zu entnehmen, dass eine innerstaatliche Fluchtalternative nach Kabul ausgeschlossen sei. Die neuen UNHCR Guidelines, welche am 30.08.2018 hervorgekommen seien, würden sich auf die Informationslage 2017/2018 beziehen. Inhalt der UNHCR Guidelines seien daher Tatsachen, die zum Entscheidungszeitpunkt bereits bestanden hätten, aber erst nach der Entscheidung festgestellt worden seien.

Die in den UNHCR Guidelines auf Seite 112 angeführte Sicherheitslage in Afghanistan, insbesondere in Kabul, habe bereits zum Entscheidungszeitpunkt des Bundesverwaltungsgerichts vorgelegen. Erst durch die UNHCR Guidelines vom 30.08.2018 sei eine reale Gefahr einer Verletzung der Rechte des Art 2 und 3 EMRK festgestellt worden, und hätte daher vom Bundesverwaltungsgericht der Status eines Asylberechtigten bzw. eine subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt werden müssen, sodass die Entscheidung im Hauptinhalt des Spruches anders gewesen wäre.

Der Antragsteller stellte zudem einen Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung und merkte an, dass dem BFA Gelegenheit zu geben sei, gemäß § 68 Abs. 3 AVG vorzugehen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage der Einsichtnahme in den Bezug habenden Gerichtsakt und das Verfahren zu W245 2139020-1 werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1. Feststellungen:

Der Antragsteller, ein afghanischer Staatsangehöriger der Volksgruppe der Tadschiken, stellte am 30.09.2015 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.

Mit Bescheid vom 14.10.2016 wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass eine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Es wurde eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise festgelegt.

Der Antragsteller erhob gegen den Bescheid fristgerecht Beschwerde.

Das Bundesverwaltungsgericht führte am 23.05.2017 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der BF im Beisein seines bevollmächtigten Vertreters persönlich teilnahm.

Das Bundesverwaltungsgericht wies die Beschwerde mit Erkenntnis vom 08.01.2018 als unbegründet ab und erkannte, dass eine Revision nicht zulässig ist. Das Bundesverwaltungsgericht führte in der Begründung im Wesentlichen aus, dass die Fluchtgründe des Antragstellers nicht festgestellt werden konnten, sodass ihm aus diesem Grund der Status eines Asylberechtigten nicht zuzuerkennen ist. Da die Herkunftsregion des Antragstellers volatil ist, kann er auch nicht in diese zurückkehren. Hinsichtlich einer Ansiedlung in der Stadt Kabul führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass der Antragsteller nach anfänglichen Schwierigkeiten in der Stadt Kabul Fuß fassen und sich dort ein Leben ohne unbillige Härten aufbauen kann, da es sich beim Antragsteller um einen gesunden Mann im erwerbsfähigen Alter handelt, der über mehrjährige Berufserfahrungen auf unterschiedlichen Gebieten verfügt. Zudem ist der Antragsteller mit den örtlichen Gegebenheiten der Stadt Kabul vertraut, zumal er bereits in der Stadt Kabul beruflich tätig gewesen ist und dort gewohnt hat.

Die getroffenen Länderfeststellungen stützte das Gericht insbesondere auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 02.03.2017 (zuletzt aktualisiert am 25.09.2017), auf die Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016 (zusammenfassende Darstellung des UNHCR vom 04.05.2016) und auf Auszüge aus dem Gutachten von XXXX zu XXXX sowie auf Auszüge der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation: Militärdienst, Desertion, 4. Oktober 2012.

Der Antragsteller stellte am 17.09.2018 einen Antrag auf Wideraufnahme des Verfahrens zu W245 2139020-1. Der Antragsteller berief sich auf die UNHCR Guidelines vom 30.08.2018.

Die vorgelegten UNHCR-Guidelines vom 30.08.2018 vertreten die Auffassung, dass eine interne Flucht- und Neuansiedlungsalternative in der Stadt Kabul grundsätzlich nicht zur Verfügung stehe (vgl. Seite 114 der UNHCR-Guidelines vom 30.08.2018: "UNHCR considers that given the current security, human rights and humanitarian situation in Kabul, an Internal Flight or Relocation Alternative (IFA/IRA) is generally not available in the city."). Diese Schlussfolgerung gründet sich zum Großteil auf Länderberichte, die vor der gegenständlichen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts bekannt waren. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Antragsteller von diesen zugrunde gelegten Länderberichten zum Zeitpunkt der Entscheidung keine Kenntnis erlangt hat.

2. Beweiswürdigung:

Der relevante Sachverhalt ergibt sich zweifelsfrei aus der Aktenlage. Nachdem die den UNHCR-Guidelines vom 30.08.2018 zugrunde gelegten Länderberichte aus den Jahren 2016, 2017 und 2018 (bis zum 08.01.2018) öffentlich zugänglich waren, konnte nicht festgestellt werden, dass der Antragsteller von diesen zum Zeitpunkt der Entscheidung (08.01.2018) keine Kenntnis erlangt hat. Dies wurde vom Antragsteller auch nicht behauptet.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Abweisung des Antrages auf Wiederaufnahme:

Gemäß § 32 Abs 1 Z 2 VwGVG ist einem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Erkenntnis des Verwaltungsgerichts abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anders lautendes Erkenntnis herbeigeführt hätten.

Gemäß Abs. 2 leg. cit. ist der Antrag auf Wiederaufnahme binnen zwei Wochen beim Verwaltungsgericht einzubringen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, wenn dies jedoch nach der Verkündung des mündlichen Erkenntnisses und vor Zustellung der schriftlichen Ausfertigung geschehen ist, erst mit diesem Zeitpunkt. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann der Antrag auf Wiederaufnahme nicht mehr gestellt werden. Die Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist ergibt, sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen.

Abs. 3 leg. cit. lautet: Unter den Voraussetzungen des Abs. 1 kann die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 Z 1 stattfinden.

Ausgehend von der (dem Akteninhalt nach nachvollziehbaren) Darstellung des Antragstellers, wonach sein rechtsfreundlicher Vertreter erst am 03.09.2017 von der Veröffentlichung der UNHCR-Guidelines vom 30.08.2018 Kenntnis erlangt habe, ist die in § 32 Abs. 2 VwGVG geforderte Frist von zwei Wochen ab Kenntniserlangung erfüllt, weshalb der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens, eingelangt am 17.09.2018, als rechtzeitig eingebracht anzusehen ist.

In der Regierungsvorlage zum Verwaltungsgerichtsbarkeits-Ausführungsgesetz 2013 (2009 der Beilagen, XXIV. GP) ist festgehalten, dass die Bestimmungen über die Wiederaufnahme des Verfahrens und die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im VwGVG weitgehend den Bestimmungen der §§ 69 bis 72 AVG mit den entsprechenden Anpassungen auf Grund der Einführung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz entsprechen. Durch den Ausschluss der Anwendung des IV. Teiles des AVG ist das AVG in diesem Bereich für unanwendbar erklärt worden, wobei aufgrund der inhaltlichen Übereinstimmung und ähnlichen Formulierung der Bestimmung des § 32 Abs. 1-3 VwGVG mit § 69 AVG die bisher ergangenen höchstgerichtlichen Entscheidungen sinngemäß anzuwenden sind bzw. die bisherigen Judikaturrichtlinien zu § 69 AVG herangezogen werden können.

Der gegenständliche Antrag zielt darauf ab, das mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 08.01.2018, Zl. W245 2139020-1 in Hinblick auf Asyl und subsidiären Schutz abgeschlossene Verfahren der antragstellenden Partei aufgrund neu hervorgekommener Beweismittel im Sinne des § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG wiederaufzunehmen.

Laut ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kann der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 69 Abs. 1 Z 2 AVG nur auf solche Tatsachen, das heißt Geschehnisse im Seinsbereich (vgl. VwGH 15.12.1994, 93/09/0434; 04.09.2003, 2000/17/0024) oder Beweismittel, das heißt Mittel zur Herbeiführung eines Urteiles über Tatsachen (vgl. VwGH 16.11.2004, 2000/17/0022; 24.04.2007, 2005/11/0127), gestützt werden, die erst nach Abschluss eines Verfahrens hervorgekommen sind und deshalb von der Partei ohne ihr Verschulden nicht geltend gemacht werden konnten.

Es muss sich also um Tatsachen und Beweismittel handeln, die beim Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens schon vorhanden waren, deren Verwertung der Partei aber ohne ihr Verschulden erst nachträglich möglich wurde ("nova reperta"), nicht aber um erst nach Abschluss des seinerzeitigen Verfahrens neu entstandene Tatsachen und Beweismittel ("nova producta" bzw. "nova causa superveniens") (vgl. VwGH 17.02.2006, 2006/18/0031; 07.04.2000, 96/19/2240, 20.06.2001, 95/08/0036; 18.12.1996, 95/20/0672; 25.11.1994, 94/19/0145; 25.10.1994, 93/08/0123; 19.02.1992, 90/12/0224 u.a.).

Laut Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist es zwar notwendig, aber nicht ausreichend, dass die Tatsachen (Beweismittel) im wieder aufzunehmenden Verfahren nicht geltend gemacht worden sind; es ist darüber hinaus auch erforderlich, dass sie - allenfalls auch im Verfahren vor der höheren Instanz - nicht geltend gemacht werden konnten und dass die Partei daran kein Verschulden trifft. Jegliches Verschulden, dass die Partei an der Unterlassung ihrer Geltendmachung trifft, auch leichte Fahrlässigkeit, schließt den Rechtsanspruch auf Wiederaufnahme des Verfahrens aus (vgl. VwGH 19.03.2003, Zl. 2000/08/0105). Die Wiederaufnahme des Verfahrens dient jedenfalls nicht dazu, Versäumnisse während eines Verwaltungsverfahrens zu sanieren (vgl. VwGH 22.12.2005, Zl. 2004/07/0209).

Neu entstandene Tatsachen, also Änderungen des Sachverhalts nach Abschluss des Verfahrens, erübrigen eine Wiederaufnahme des Verfahrens, weil in diesem Fall einem Antrag auf der Basis des geänderten Sachverhalts die Rechtskraft des bereits erlassenen Bescheides nicht entgegensteht. Bei Sachverhaltsänderungen, die nach der Entscheidung über einen Asylantrag eingetreten sind, ist kein Antrag auf Wiederaufnahme, sondern ein neuer Antrag (auf internationalen Schutz) zu stellen (vgl. dazu VwGH 19.02.1992, 90/12/0224 ua; 25.10.1994, 93/08/0123; 25.11.1994, 94/19/0145; 18.12.1996, 95/20/0672; 07.04.2000, 96/19/2240; 20.06.2001, 95/08/0036; 17.02.2006, 2006/18/0031).

Gegenständlich wurden zur Begründung des Wiederaufnahmeantrages die UNHCR-Guidelines vom 30.08.2018 vorgelegt. Der Antragsteller brachte vor, dass sich diese auf die Informationslage 2017/2018 beziehen würden. Inhalt seien daher Tatsachen, die zum Entscheidungszeitpunkt bereits bestanden hätten, aber erst nach der Entscheidung festgestellt worden seien. Zudem würde sich daraus ergeben, dass die Stadt Kabul als innerstaatliche Fluchtalternative nicht in Betracht komme, was eine anderslautende, den Anträgen des Antragstellers stattgebende Entscheidung herbeigeführt hätte.

Unbeschadet dessen verkennt der Antragsteller jedoch, dass die UNHCR-Guidelines vom 30.08.2018 im gegebenen Zusammenhang weder "neue Tatsachen" noch ein "neues Beweismittel" iSd § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG darstellen.

Im Wiederaufnahmeantrag wird diesbezüglich unter Bezugnahme auf Hengstschläger/Leeb, (Verwaltungsverfahrensrecht5, Rz 583) und eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 18.01.1989, 88/03/0188) argumentiert, dass neue Gutachten einen Wiederaufnahmegrund begründen, wenn Tatsachen, die bereits zum Zeitpunkt der Entscheidung bestanden hätten, später festgestellt würden bzw. erst hervorkommen würden.

Im Kommentar von Hengstschläger/Leeb (AVG § 69 Stand 01.04.2009, Rdb Rz 33) wird zudem ausgeführt, dass Gutachten von Sachverständigen, die erst nach Eintritt der Rechtskraft des Bescheides eingeholt wurden, nicht neu hervorgekommen, sondern neu entstanden sind und damit auch nicht als neue Beweismittel Grund für eine Wiederaufnahme des Verfahrens sein können (VwGH 10.05.1996, 94/02/0449; 21.04.1999, 99/03/0097; 02.07.2007, 2006/12/0043). Nur wenn ein Sachverständiger Tatsachen, die zur Zeit der Sachverhaltsverwirklichung bereits bestanden, erst nach Rechtskraft des Bescheides "feststellt" oder wenn ihm solche Daten erst später zur Kenntnis kommen, können diese bzw. die daraus resultierenden neuen Befundergebnisse, die sich auf die zuvor bestandenen Tatsachen beziehen, bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen als neue Tatsachen einen Grund für eine Wiederaufnahme darstellen (VwGH 18.01.1989, 88/03/0188; 04.08.2004, 2002/08/0074; 25.07.2007, 2006/11/0147). Einen Wiederaufnahmegrund können aber nur neue Befundergebnisse bzw. neue konkrete sachverständige Tatsachenfeststellungen in einem Gutachten bilden und nicht auch ein Irrtum des Sachverständigen (VwGH 07.09.2005, 2003/08/0093; 16.10.2007, 2004/18/0376), d.h. geänderte sachverständige Schlussfolgerungen aus eben den festgestellten Tatsachen.

Zwar handelt es sich bei den UNHCR-Richtlinien nicht im engeren Sinn um ein Sachverständigengutachten iSd AVG, sondern um eine Hilfestellung für Entscheidungsträger bei der Beurteilung des internationalen Schutzbedarfs von Asylwerbern. Dennoch sind Rechtsprechung und Lehre zum Vorliegen eines Wiederaufnahmegrundes nach Ansicht des erkennenden Gerichtes zumindest insoweit auf den vorliegenden Fall übertragbar, als die hier in Rede stehende Einschätzung des UNHCR zur Relevanz und Zumutbarkeit einer internen Flucht- und Neuansiedlungsalternative in der Stadt Kabul eben keine "neue (sachverständige) Tatsachenfeststellung", sondern vielmehr eine geänderte Schlussfolgerung des UNHCR auf Basis der bereits zum Entscheidungszeitpunkt bestandenen und dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 08.01.2018 zugrunde gelegten Tatsachen (insbesondere betreffend die Sicherheits- und Versorgungslage in Kabul) darstellt und insoweit als (unverbindliche) Empfehlung angesehen werden kann.

Vor diesem Hintergrund ist festzuhalten, dass neue Schlussfolgerungen weder Tatsachen noch Beweismittel iSd. § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG darstellen können (VwGH 21.10.2016, Ra 2016/11/0141; Hinweis Erkenntnisse vom 27. Februar 1995, 90/10/0137, und vom 24. September 2003, 2003/11/0079).

Zudem gründen sich die Schlussfolgerungen in den UNHCR-Guidelines vom 30.08.2018 zum Großteil auf Länderberichte, die vor dem Entscheidungszeitpunkt bestanden haben und somit nicht neu hervorgekommen sind, sondern vielmehr bereits vor Entscheidungszeitpunkt bekannt und zugänglich waren (VwGH 27.06.2017, Ra 2016/18/0277). Der Antragsteller hat in diesem Zusammenhang auch nicht geltend gemacht, dass er von den entsprechenden zugrunde gelegten Länderberichten keine Kenntnis erlangt hat.

Es wurden daher keine neuen Beweismittel oder Tatsachen iSd § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG geltend gemacht, sodass der Antrag auf Wiederaufnahme bereits aus diesem Grund als unbegründet abzuweisen war.

Die geänderte Schlussfolgerung des UNHCR zur Relevanz und Zumutbarkeit einer internen Flucht- und Neuansiedlungsalternative in Kabul in den UNHCR-Guidelines vom 30.08.2018 vermag auch deshalb weder "neue Tatsachen" noch ein "neues Beweismittel" zu begründen, weil die Beurteilung der Möglichkeit und Zumutbarkeit der Verweisung auf eine innerstaatliche Fluchtalternative rechtlicher Natur ist, mag diese auch anhand konkreter einzelfallbezogener Sachverhaltsfeststellungen erfolgen.

Dass es sich sowohl bei der Frage, ob im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan in Kabul die reale Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK besteht, als auch bei der Frage der Zumutbarkeit einer in Betracht kommenden innerstaatlichen Fluchtalternative jeweils um eine rechtliche Beurteilung handelt, welche freilich in den Feststellungen Deckung finden muss, hat der Verwaltungsgerichtshof bereits klargestellt (vgl. etwa VwGH 21.03.2018, Ra 2017/18/0372; 02.08.2018, Ra 2017/19/0229).

Eine allenfalls unrichtige rechtliche Beurteilung bzw. Beweiswürdigung dieses Vorbringens durch die Behörde würde keinen Wiederaufnahmegrund darstellen (VwGH 29.05.2017, Ra 2017/16/0070; vgl. etwa zum nachträglichen Erkennen von Verfahrensmängeln VwGH 29.11.1994, 94/20/0077; hinsichtlich der unrichtigen rechtlichen Beurteilung 19.02.1992, 90/12/0224)

Das Bundesverwaltungsgericht ist somit aus den dargelegten Erwägungen der Ansicht, dass die vom Antragsteller ins Treffen geführte - in den UNHCR-Guidelines vom 30.08.2018 enthaltene - Einschätzung des UNHCR zur Relevanz und Zumutbarkeit einer internen Flucht- und Neuansiedlungsalternative in der Stadt Kabul keinen Wiederaufnahmegrund iSd § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG darstellt. Auch der Verwaltungsgerichtshof führte zuletzt aus, dass die UNHCR-Richtlinien 2018 grundsätzlich keinen tauglichen Grund für eine Wiederaufnahme nach § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG hinsichtlich - wie im vorliegenden Fall - vor ihrer Veröffentlichung abgeschlossener Verfahren darstellen können (VwGH 14.03.2019, Ra 2019/01/0074, mwN.).

Dass sich aus den Richtlinien ergeben würde, dass allenfalls einzelne, näher umschriebene Tatsachen, die der UNHCR bei seiner Beurteilung berücksichtigt hat, bereits im Zeitpunkt der Erlassung des Erkenntnisses im wiederaufzunehmenden Verfahren vorgelegen, aber - aufgrund der damaligen Berichtslage - noch nicht bekannt gewesen wären, wird in der Revision nicht konkret dargetan. Ein Abweichen des angefochtenen Beschlusses von der in der Zulässigkeitsbegründung der Revision genannten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist in diesem Zusammenhang nicht ersichtlich.

Zum "Hinweis" des Antragstellers im Wiederaufnahmeantrag, dass der belangten Behörde Gelegenheit zu geben sei, nach § 68 Abs. 3 AVG vorzugehen, wird der Vollständigkeit halber festgehalten, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes niemandem ein Rechtsanspruch auf Ausübung des der Behörde gemäß § 68 Abs. 2 bis 4 AVG eingeräumten Abänderungs- und Behebungsrechtes zusteht, weshalb eine Partei durch Ablehnung ihres darauf gerichteten Begehrens nicht in ihren Rechten verletzt sein kann (VwGH 22.02.2013, 2010/02/0272, mwN; 24.02.2015, Ra 2015/05/0004). Gleiches gilt für die amtswegige Verfügung der Wiederaufnahme eines Verfahrens (VwGH 21.09.2007, 2006/05/0273, mwN, dessen Ausführungen sich auf die insoweit gleichlautende Bestimmung des § 32 Abs. 3 VwGVG übertragen lassen).

Eine Verpflichtung des Bundesverwaltungsgerichtes, (anstelle des Antragstellers) bei der Behörde ein Vorgehen nach § 68 Abs. 3 AVG anzuregen, besteht im Lichte der dargestellten Rechtslage nicht.

Mit der Abweisung des gegenständlichen Antrags auf Wiederaufnahme des Verfahrens erübrigt sich ein Abspruch über den Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung.

Da der Sachverhalt aus der Aktenlage geklärt schien und es sich bei der Einordnung, ob die Eignung eines vorgebrachten Wiederaufnahmegrundes vorliegt, um eine Rechtsfrage handelt (VwGH 19.04.2007, 2004/09/0159), konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm. § 24 VwGVG die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben (VwGH 28.05.2014, Ra 2014/220/0017). Es wurde auch kein Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gestellt.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Beweismittel, neu entstandene Tatsache, UNHCR-Berichte,
Wiederaufnahme, Wiederaufnahmeantrag, Wiederaufnahmegrund

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W245.2139020.2.00

Zuletzt aktualisiert am

18.05.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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