TE Bvwg Erkenntnis 2019/12/20 W128 2202173-1

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Veröffentlicht am 20.12.2019
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Entscheidungsdatum

20.12.2019

Norm

B-VG Art. 133 Abs4
VwGVG §33

Spruch

W128 2202173-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Michael FUCHS-ROBETIN über die Beschwerde des afghanischen Staatsangehörigen XXXX , geboren am XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 02.07.2018, Zl. 19958107-170633485/BMI-BFA_SBG_AST_01, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG

I. Verfahrensgang

1. Mit dem angefochtenen Bescheid wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 21.06.2018 gegen die Versäumung der Frist zu Erhebung einer Beschwerde gegen den Bescheid des BFA vom 12.01.2018, zugestellt durch Hinterlegung am 16.01.2018, gemäß § 33 VwGVG als unbegründet ab.

Begründend führte das BFA im Wesentlichen aus, dass der Beschwerdeführer nicht glaubwürdig vorgebracht habe, durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert gewesen zu sein, die Frist zur Erhebung der Beschwerde versäumt zu haben. Vielmehr habe der Beschwerdeführer eingestanden, den Bescheid des BFA vom 12.01.2018 möglicherweise in der Straßenbahn verloren zu haben. Da der Bescheid nie als unzustellbar an das BFA retourniert worden sei und die Polizei Erhebungen zur Wohnadresse des Beschwerdeführers durchgeführt habe, sei davon auszugehen, dass er den Bescheid des BFA vom 12.01.2018 tatsächlich behoben habe. Zwar erscheine die Möglichkeit, dass der Beschwerdeführer den Bescheid in der Straßenbahn verloren habe plausibel, jedoch hätte er sich um ein Duplikat bemühen müssen.

2. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde, in der im Wesentlichen Folgendes vorgebracht wird:

Der Beschwerdeführer habe über die Existenz des Bescheides vom 12.01.2018, mit dem über ihn u.a. eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung erlassen worden sei, erst am 07.06.2018 mit Zustellung des Bescheides über die Verpflichtung zur Mitwirkung und Beschaffung eines Reisedokuments gemäß § 46 Abs. 2 und 2b Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) i.V.m. § 19 AVG erfahren. Er habe sich sodann umgehend an seinen Rechtsberater gewandt. Daraufhin habe der Beschwerdeführer zunächst einerseits vorgebracht, dass er den Bescheid des BFA vom 12.01.2018 nie erhalten habe, andererseits habe er jedoch eingeräumt, ihn möglicherweise mit einer Tüte voller Briefe in der Straßenbahn verloren zu haben. Der Beschwerdeführer befinde sich in einer verzweifelten Lage; er sei seit 18 Jahren in Österreich aufhältig und könne sich nicht vorstellen, wieder nach Afghanistan zurückzukehren. Im vorliegenden Fall sei es "evident", dass der Beschwerdeführer weder auffallend sorglos gehandelt habe, noch sei es in "seiner Macht" gelegen, früher eine Beschwerde zu erheben. Es liege somit ein unvorhergesehenes Ereignis vor, welches der Beschwerdeführer "tatsächlich nicht einberechnet habe".

Da dem Beschwerdeführer durch die rechtskräftige und durchsetzbar gewordene Rückkehrentscheidung ein unverhältnismäßiger Nachteil drohe, werde im Rahmen der Beschwerde (wiederholt) beantragt, dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

3. Mit Schreiben vom 06.08.2018 legte die belangte Behörde die Beschwerde samt Bezug habenden Verwaltungsakten dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor, ohne von der Möglichkeit einer Beschwerdevorentscheidung Gebrauch zu machen.

Feststellungen:

Der Bescheid des BFA vom 12.01.2018, Zl. 19958107-170633485, wurde dem Beschwerdeführer am 16.01.2018 durch Hinterlegung ordnungsgemäß zugestellt.

Die Frist für die Erhebung einer Beschwerde endete mit Ablauf des 13.02.2018.

Gegen den Bescheid des BFA erhob der rechtsfreundlich vertretene Beschwerdeführer (erst) am 21.06.2018 Beschwerde und stellte gleichzeitig einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zu Erhebung einer Beschwerde.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellung, dass dem Beschwerdeführer der Bescheid des BFA vom 12.01.2018 am 16.01.2018 durch Hinterlegung ordnungsgemäß zugestellt wurde, ergibt sich aus dem im Akt befindlichen Zustellschein. Der verfahrensmaßgebliche Sachverhalt ist unstrittig und konnte auf Grund der vorliegenden Aktenlage zweifelsfrei und vollständig festgestellt werden. Das Versäumen der Rechtsmittelfrist wurde von den Parteien nicht in Zweifel gezogen.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zur Abweisung der Beschwerde (Spruchpunkt A)

3.1.1. Wenn eine Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis - so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - eine Frist oder eine mündliche Verhandlung versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, so ist gemäß § 33 Abs. 1 VwGVG dieser Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen.

Gemäß § 33 Abs. 3 VwGVG ist der Antrag auf Wiedereinsetzung in den Fällen des Abs. 1 bis zur Vorlage der Beschwerde bei der Behörde, ab Vorlage der Beschwerde beim Verwaltungsgericht binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses zu stellen.

Nach § 33 Abs. 4 VwGVG hat bis zur Vorlage der Beschwerde über den Antrag die Behörde mit Bescheid zu entscheiden. § 15 Abs. 3 ist sinngemäß anzuwenden. Ab Vorlage der Beschwerde hat über den Antrag das Verwaltungsgericht mit Beschluss zu entscheiden. Die Behörde oder das Verwaltungsgericht kann dem Antrag auf Wiedereinsetzung die aufschiebende Wirkung zuerkennen.

3.1.2. Das BFA wies den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Beschwerde aus folgenden Gründen zu Recht ab:

Bei Versäumen der Beschwerdefrist ist § 33 VwGVG für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand die maßgebliche Bestimmung und nicht § 71, 72 AVG, insbesondere nicht § 71 Abs. 4 AVG, weil es sich um ein Verfahren über eine im VwGVG geregelte Beschwerde handelt (vgl. VwGH 28.09.2016, Ro 2016/16/0013). Der VwGH hat allerdings in seiner Rechtsprechung festgehalten, dass die in der Rechtsprechung zu § 71 AVG entwickelten Grundsätze auf § 33 VwGVG übertragbar sind (vgl. VwGH 30.05.2017, Ra 2017/19/0113, m.w.N.).

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist als Ereignis im Sinne des § 71 Abs. 1 Z 1 AVG jedes Geschehen ohne jede Beschränkung auf Vorgänge in der Außenwelt anzusehen (VwGH vom 26.06.1985, Zl. 83/03/0134).

Ein Ereignis ist dann "unabwendbar", wenn der Eintritt dieses Ereignisses objektiv von einem Durchschnittsmenschen nicht verhindert werden konnte. Ein Ereignis ist als "unvorhergesehen" zu werten, wenn die Partei es tatsächlich nicht mit einberechnet hat und dessen Eintritt auch unter Bedachtnahme auf die zumutbare Aufmerksamkeit und Vorsicht nicht erwartet werden konnte. Anders als das Tatbestandsmerkmal des "unabwendbaren" erfasst jenes des "unvorhergesehenen" Ereignisses die subjektiven Verhältnisse der Partei, sodass nicht der objektive Durchschnittsablauf, sondern der konkrete Ablauf der Ereignisse maßgebend ist (VwGH 17.02.1994, 93/16/0020). Das im Begriff der "Unvorhergesehenheit" gelegene Zumutbarkeitsmoment ist dahingehend zu verstehen, dass die erforderliche zumutbare Aufmerksamkeit dann noch gewahrt ist, wenn der Partei (ihrem Vertreter) in Ansehung der Wahrung der Frist nur ein "minderer Grad des Versehens" unterläuft (VwGH 26.06.1985, 83/03/0134 sowie VfGH 27.02.1985, G 53/83-13 u.a.).

Ein solcher "minderer Grad" des Versehens im Sinne des § 1332 ABGB liegt nur dann vor, wenn es sich um leichte Fahrlässigkeit handelt, also dann, wenn ein Fehler begangen wird, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch macht (VwGH 22.11.1996, 95/17/0112; 23.05.2001, 99/06/0039 und 01.06.2006, 2005/07/0044). Der Beschwerdeführer darf also nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt nicht in besonders nachlässiger Weise außer Acht gelassen haben (VwGH 08.10.1990, 90/15/0134; 14.07.1993, 93/03/0136 sowie 24.05.2005, 2004/01/0558).

3.1.3. Im vorliegenden Fall bringt der Beschwerdeführer vor, keine Kenntnis über die Zustellung des maßgeblichen Bescheides gehabt zu haben bzw. den Bescheid möglicherweise in einem öffentlichen Verkehrsmittel verloren zu haben.

Behauptet ein Wiedereinsetzungswerber, von einem ihn betreffenden Schriftstück oder einer Hinterlegungsanzeige keine Kenntnis erlangt zu haben, hat er detaillierte sachverhaltsbezogene Elemente darüber zu machen, was er üblicherweise unternimmt, um dies zu vermeiden (vgl. VwGH 02.10.2000, 98/19/0198). Das alleinige Vorbringen, keine Hinterlegungsanzeige vorgefunden zu haben, reicht demzufolge nicht aus (siehe etwa VwGH 21.11.2001, 2001/08/0011).

Gegenständlich hat der Beschwerdeführer jedoch weder vorgebracht die einlangende Post regelmäßig und gewissenhaft zu überprüfen, noch hat er sonstige sachverhaltsbezogene Elemente dargelegt (z.B.: hat er keine Angaben darüber getätigt, wie oft die Entleerung der Hausbrieffachanlage erfolge bzw. welche Personen darauf Zugriff hätten).

Wenn der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde vorbringt, den Bescheid vom 12.01.2018 - ohne von dessen Inhalt Kenntnis gehabt zu haben - möglicherweise in einem öffentlichen Verkehrsmittel verloren zu haben, ist ihm jedenfalls vorzuwerfen, dass er ab Übernahme des Schriftstücks - die hier womöglich erfolgt sei - sofortige Kenntnis von dessen Inhalt hätte erlangen können. Ein bloß minderer Grad des Versehens liegt nicht vor, wenn der Beschwerdeführer die Frist wegen Unkenntnis oder Nichtbeachtung der zur Wahrung einer gesetzlichen Frist erforderlichen Handlungen versäumt (vgl. VwGH 29.04.1993, 92/12/02829).

Abgesehen davon hätte sich der Beschwerdeführer für den Fall des Verlustes des Bescheides an das BFA wenden können und die Fristversäumung jedenfalls abwenden können. Es lag somit kein unabwendbares Ereignis vor. Vielmehr war im Falle des Verlustes des Bescheides die Versäumung der Beschwerdefrist vorhersehbar, weshalb dem Beschwerdeführer jedenfalls eine auffallende Sorglosigkeit anzulasten ist.

Abschließend ist festzuhalten, dass die Versäumung einer Frist, die der Beschwerdeführer auch damit begründet wird, dass er aufgrund der drohenden Abschiebung unter erhöhtem Stress stehe, kein bloß minderer Grad des Versehens i.S.d. § 71 Abs. 1 Z 1 AVG darstellt (siehe etwa VwGH 25.09.1991, 91/16/0046).

Somit erübrigt sich auch die Absprache darüber, dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Die Beschwerde war daher als unbegründet abzuweisen.

3.2. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG Abstand genommen werden, da der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt aus der Aktenlage geklärt ist und eine mündliche Erörterung die weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt. Dem Entfall der Verhandlung stehen auch weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010, S 389, entgegen.

3.3. Zur Unzulässigkeit der Revision (Spruchpunkt B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen - unter Punkt 3.1.3. dargestellten - Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Sorgfaltspflicht, Wiedereinsetzung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W128.2202173.1.00

Zuletzt aktualisiert am

18.05.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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