TE Vfgh Erkenntnis 2020/3/5 E1563/2019

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Veröffentlicht am 05.03.2020
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §12a, §22 Abs10
BFA-VG §22
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Feststellung der Rechtmäßigkeit der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes betreffend den (Folge-)Antrag auf internationalen Schutz eines afghanischen Staatsangehörigen; mangelnde Aktualität der herangezogenen Länderberichte

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Beschluss im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung
aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl Nr 390/1973, verletzt
worden.

Der Beschluss wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.       Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1.       Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger. Er stellte am 7. Oktober 2014 nach Einreise in das Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz. Zum Fluchtgrund befragt, gab der Beschwerdeführer an, sein Vater habe ein Geschäft besessen, dieses sei abgebrannt, nachdem es die Taliban angezündet hätten. Ausschlaggebend für seine Ausreise seien die Drohungen der Großhändler und der Taliban gewesen. Die Taliban hätten junge Männer "mitgenommen".

2.       Mit Bescheid vom 5. Februar 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß §3 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 ab; ebenso wurde der Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß §8 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen. Weiters wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG 2005 nicht erteilt, gemäß §10 Abs1 Z3 AsylG 2005 iVm §9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß §52 Abs2 Z2 FPG erlassen und gemäß §52 Abs9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan gemäß §46 FPG zulässig sei. Gleichzeitig wurde gemäß §55 Abs1 bis 3 FPG eine 14-tägige Frist zur freiwilligen Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gesetzt.

3.       Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 11. Oktober 2017 als unbegründet ab. Diese Entscheidung erwuchs in Rechtskraft.

4.       Am 15. Jänner 2019 wurde der Beschwerdeführer im Rahmen der Dublin III-VO von Frankreich nach Österreich überstellt und stellte am selben Tag einen zweiten Antrag auf internationalen Schutz. Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab der Beschwerdeführer an, Probleme mit den Taliban zu haben. Sein Vater und ein Onkel des Beschwerdeführers würden seit Juli bzw September 2017 von den Taliban festgehalten und seien seither verschollen. Seine Mutter habe ihn darüber im Oktober 2017 informiert. In Afghanistan sei sein Leben in Gefahr.

5.       Mit mündlich verkündetem Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 1. Februar 2019 wurde der faktische Abschiebeschutz gemäß §12 iVm §12a Abs2 AsylG 2005 aufgehoben. Begründend führte die Behörde aus, das Vorbringen des Beschwerdeführers sei nicht glaubhaft. Der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt habe sich seit Rechtskraft des Vorverfahrens nicht geändert. Unter Beachtung sämtlicher bekannter Tatsachen könne kein unverhältnismäßiger Eingriff in Art3 und Art8 EMRK erkannt werden. Die Lage im Herkunftsstaat stellte sich seit der Entscheidung über den ersten Antrag des Beschwerdeführers im Wesentlichen unverändert dar. Der neue Antrag auf internationalen Schutz werde daher voraussichtlich wegen entschiedener Sache zurückzuweisen sein.

6.       Am 5. Februar 2019 langten die Verwaltungsakten (samt Vorakten) beim Bundesverwaltungsgericht ein.

7.       Mit Beschluss vom 13. März 2019 sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes gemäß §12a Abs2 und §22 Abs10 AsylG 2005 iVm §22 BFA-VG rechtmäßig gewesen sei. Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht aus, der Beschwerdeführer habe im zweiten Asylverfahren die gleichen bzw leicht modifizierten Gründe wie schon im ersten Asylverfahren vorgebracht. Aus diesem Vorbringen ergebe sich kein entscheidungsrelevanter neuer Sachverhalt. Auch die für den Beschwerdeführer maßgebliche Ländersituation sei seit dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 11. Oktober 2017 im Wesentlichen unverändert geblieben. Aus den mittlerweile aufgenommenen Friedensverhandlungen zwischen den USA und den Taliban ergebe sich keine wesentliche Lageänderung. Die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat Afghanistan stelle für ihn somit keine reale Gefahr einer Verletzung von Art2 und Art3 EMRK dar bzw sei ein Eingriff in allfällig bestehende Rechte nach Art8 EMRK gerechtfertigt.

8.       Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung beantragt wird.

9.       Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber Abstand genommen.

II.      Erwägungen

1.       Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2.       Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

3.       Solche Fehler sind dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

3.1.    Das Bundesverwaltungsgericht führt begründend aus, dass "[a]uch die für den Beschwerdeführer maßgebliche Ländersituation […] seit dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 11.10.2017 im Wesentlichen unverändert geblieben [ist]. Aus den mittlerweile aufgenommenen Friedensverhandlungen zwischen den USA und den Taliban ergibt sich […] keine wesentliche Lageänderung".

3.2.    Der Verfassungsgerichtshof hat bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass die im Asylverfahren herangezogenen Länderberichte hinreichend aktuell sein müssen; dies betrifft insbesondere Staaten mit sich rasch ändernder Sicherheitslage (vgl etwa VfSlg 19.466/2011; VfGH 21.9.2012, U1032/12; 26.6.2013, U2557/2012; 11.12.2013, U1159/2012 ua; 11.3.2015, E1542/2014; 22.9.2016, E1641/2016; 23.9.2016, E1796/2016; 27.2.2018, E2124/2017; 27.11.2019, E2038/2019).

3.3.    Der Beschwerdeführer stellte den zweiten Antrag auf internationalen Schutz im Jänner 2019. Sein erster Antrag auf internationalen Schutz wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 11. Oktober 2017 rechtskräftig abgewiesen.

3.4.    Zum Zeitpunkt der nunmehr angefochtenen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes standen zur Beurteilung der Frage, ob sich die Lage im Herkunftsstaat nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes im Oktober 2017 über den ersten Asylantrag des Beschwerdeführers maßgeblich änderte, aktuellere Länderberichte zur Verfügung, als das Bundesverwaltungsgericht seiner Entscheidung zugrunde legt (insbesondere UNHCR, Richtlinie zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylschutzsuchender, 30.8.2018; vgl dazu auch VfGH 30.11.2019, E3870/2018; VfGH 27.11.2019, E2038/2019).

4.       Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes erweist sich im Hinblick auf die Beurteilung einer dem Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr drohenden Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten gemäß Art2 und 3 EMRK schon deshalb als verfassungswidrig, weil das Bundesverwaltungsgericht hier den zu beurteilenden Sachverhalt nicht mit der aktuellen in den UNHCR-Richtlinien vom 30. August 2018 dargestellten Sicherheitslage in Bezug gesetzt hat. (vgl VfGH 30.11.2018, E3870/2018).

III.    Ergebnis

1.       Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, verletzt worden.

2.       Der Beschluss ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3.       Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4.       Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten.

Schlagworte

Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2020:E1563.2019

Zuletzt aktualisiert am

18.05.2020
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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