TE Vwgh Erkenntnis 1998/4/3 96/19/0034

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 03.04.1998
beobachten
merken

Index

19/05 Menschenrechte;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AufG 1992 §5 Abs1;
FrG 1993 §10 Abs1 Z4;
MRK Art8 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Zens und Dr. Bayjones als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Brandtner, über die Beschwerde des 1970 geborenen I G in M, vertreten durch Dr. J R, Rechtsanwalt in Linz, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 17. November 1995, Zl. 114.474/2-III/11/95, betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Türkei, verfügte nach der diesbezüglich unbedenklichen Aktenlage über ein vom Deutschen Generalkonsulat Istanbul am 28. Juli 1993 ausgestelltes Visum für die Bundesrepublik Deutschland mit einer Gültigkeitsdauer bis 27. Oktober 1993.

Vertreten durch seinen Rechtsanwalt, beantragte er am 5. Oktober 1993 bei der österreichischen Botschaft in Ankara die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung. Dieser Antrag ist am 14. Oktober 1993 beim Amt der Oberösterreichischen Landesregierung eingelangt. Als "derzeitigen Wohnsitz" gab der Beschwerdeführer eine Adresse in Linz an, als Aufenthaltszweck einerseits die Ausübung einer (späteren) unselbständigen Tätigkeit und andererseits "Familienzusammenführung bzw. Familiengemeinschaft", und zwar mit dem Vater und zwei Brüdern. Als Ort der Ausstellung ist auf dem Formular "Linz" angegeben.

Dieser Antrag wurde vom Bürgermeister der Landeshauptstadt Linz namens des Landeshauptmannes von Oberösterreich mit Bescheid vom 23. Jänner 1995 gemäß § 5 Abs. 2 und § 3 iVm § 1 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes abgewiesen. Begründend führte die erstinstanzliche Behörde aus, dem Beschwerdeführer stehe eine Bewilligung gemäß § 3 des Aufenthaltsgesetzes nicht zu, weil er volljährig sei. Außerdem sei der Normzweck einer Familienzusammenführung die Bildung einer Familieneinheit. Das wäre im vorliegenden Fall nicht gegeben, weil der Vater in M., der Sohn jedoch in L. wohne. Nachdem überdies das Landesarbeitsamt Oberösterreich die Unbedenklichkeit für die beabsichtigten Berufsgruppen nicht bestätigt habe, sei der Antrag auf Bewilligung zur Begründung eines ordentlichen Wohnsitzes in Österreich abzuweisen.

In der dagegen erhobenen Berufung, die sich mit dem von der erstinstanzlichen Behörde herangezogenen Abweisungsgrund des § 5 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes auseinandersetzt, wird als Adresse des Beschwerdeführers eine Anschrift in Linz genannt.

Im Zuge des Berufungsverfahrens wurde der Beschwerdeführer von der belangten Behörde u.a. aufgefordert bekanntzugeben, aufgrund welcher Bewilligung er sich derzeit im Bundesgebiet aufhalte. Der Beschwerdeführer teilte hierauf mit, daß er nach wie vor auf die Erteilung der Bewilligung hoffe.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den zitierten Bescheid vom 23. Jänner 1995 gemäß § 66 Abs. 4 AVG iVm § 5 Abs. 1 AufG iVm § 10 Abs. 1 Z. 4 und Z. 6 FrG abgewiesen. Begründend führte der Bundesminister für Inneres aus, § 5 Abs. 1 AufG besage, daß Fremden eine Bewilligung nicht erteilt werden dürfe, bei denen ein Grund für die Versagung eines Sichtvermerkes gemäß § 10 Abs. 1 FrG vorliege, insbesondere aber, wenn deren Lebensunterhalt oder eine für Inländer ortsübliche Unterkunft in Österreich für die Geltungsdauer der Bewilligung nicht gesichert sei. Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 6 FrG sei die Erteilung eines Sichtvermerkes zu versagen, wenn der Sichtvermerk zeitlich an einen Touristensichtvermerk anschließen solle. Da der Beschwerdeführer sichtvermerksfrei in das Bundesgebiet eingereist sei, solle ihm die Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz nach sichtvermerksfreier Einreise erteilt werden. Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG sei die Erteilung eines Sichtvermerkes zu versagen, wenn der Aufenthalt des Sichtvermerkswerbers die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde. Es stehe fest, daß der Beschwerdeführer sichtvermerksfrei in das Bundesgebiet eingereist sei und sich noch immer im Bundesgebiet aufhalte. Da er sich somit unerlaubt im Bundesgebiet befinde, stelle diese Tatsache eine Gefährdung für die öffentliche Ordnung, Ruhe und Sicherheit dar, da sein Verhalten auf andere Fremde durchaus Beispielwirkung haben könnte. § 10 Abs. 1 Z. 4 und Z. 6 FrG finde durch den § 5 Abs. 1 AufG direkte Anwendung. Zu den persönlichen Verhältnissen des Beschwerdeführers sei zu sagen, daß durch den Aufenthalt seiner Familie im Bundesgebiet unabsprechbare private und familiäre Beziehungen zu Österreich bestünden. Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes stelle die Versagung eines Sichtvermerkes gemäß § 10 Abs. 1 Z. 6 FrG aber einen zulässigen Eingriff in das Privat- und Familienleben gemäß Art. 8 MRK dar, und es erübrige sich somit jedes weitere Eingehen darauf.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Im Hinblick auf das Datum der Zustellung des angefochtenen Bescheides (24. November 1995) hatte die belangte Behörde die Rechtslage nach Inkrafttreten der Novelle zum Aufenthaltsgesetz, BGBl. Nr. 351/1995, anzuwenden.

§ 5 Abs. 1 und § 6 AufG in dieser Fassung lauten auszugsweise:

"§ 5. (1) Eine Bewilligung darf Fremden nicht erteilt werden, bei denen ein Sichtvermerksversagungsgrund (§ 10 Abs. 1 FrG) vorliegt, insbesondere aber, wenn deren Lebensunterhalt oder eine für Inländer ortsübliche Unterkunft in Österreich für die Geltungsdauer der Bewilligung nicht gesichert ist.

§ 6. (1) Außer in den Fällen des § 7 Abs. 1 werden die Bewilligung und deren Verlängerung auf Antrag erteilt. In dem Antrag ist der Zweck des vorgesehenen Aufenthaltes genau anzugeben und glaubhaft zu machen, daß kein Ausschließungsgrund (§ 5) vorliegt. Der Antragsteller kann den bei der Antragstellung angegebenen Zweck im Laufe des Verfahrens nicht ändern.

(2) Der Antrag auf Erteilung einer Bewilligung ist vor der Einreise nach Österreich vom Ausland aus zu stellen. Begründet eine Einbringung auf dem Postweg oder durch Vertreter die Vermutung, daß diese Regelung umgangen werden soll, kann die persönliche Einbringung verlangt werden. ..."

§ 10 Abs. 1 Z. 4 und 6 FrG lauten:

"§ 10. (1) Die Erteilung eines Sichtvermerkes ist zu versagen, wenn

...

4.

der Aufenthalt des Sichtvermerkswerbers die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde;

...

6.

der Sichtvermerk zeitlich an einen Touristensichtvermerk anschließen oder nach sichtvermerksfreier Einreise (§ 12 Aufenthaltsgesetz oder § 14) erteilt werden soll;"

Die belangte Behörde stützte den angefochtenen Bescheid auf die von ihr erstmals herangezogenen Sichtvermerksversagungsgründe des § 10 Abs. 1 Z. 4 und Z. 6 FrG. Da die in § 6 Abs. 1 verankerte Pflicht des Antragstellers, glaubhaft zu machen, daß kein Ausschließungsgrund vorliegt, nicht soweit reicht, auch das Nichtvorliegen eines Sichtvermerksversagungsgrundes im Sinne des § 10 Abs. 1 FrG darzutun, durfte die belangte Behörde § 10 Abs. 1 Z. 4 und Z. 6 FrG nur nach Durchführung eines entsprechenden Ermittlungsverfahrens heranziehen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. Juni 1997, Zl. 95/19/0201). Auch in einem solchen Ermittlungsverfahren trifft den Antragsteller eine Mitwirkungspflicht.

Dieser Mitwirkungspflicht kam der Beschwerdeführer im vorliegenden Fall bereits im (erstinstanzlichen) Verwaltungsverfahren nach, weil er die Antragsfrage nach seinem Wohnsitz im Zeitpunkt der Antragstellung mit der Angabe einer Adresse in Linz unter dieser Antragsrubrik beantwortete. Diese Angabe wurde von ihm auch in seiner Berufung wiederholt. Die belangte Behörde hat den Beschwerdeführer überdies aufgefordert bekanntzugeben, aufgrund welcher Bewilligung er sich derzeit im Bundesgebiet aufhalte. Aufgrund der Äußerung des Beschwerdeführers, nach wie vor auf die Erteilung der Bewilligung zu "hoffen", läßt sich die Feststellung der belangten Behörde, der Beschwerdeführer halte sich "unerlaubt" (gemeint: ohne jegliche Aufenthaltsbewilligung) im Inland auf, auf die eigenen Angaben des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren stützen.

Daß sich der Beschwerdeführer während des Verfahrens und im Zeitpunkt der Bescheiderlassung im Bundesgebiet aufgehalten hat, wird von ihm - auch in der Beschwerde - nicht in Abrede gestellt. Der - nicht näher ausgeführte - Hinweis in der Beschwerde, er habe den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung "ordnungsgemäß im Ausland bei der österreichischen Botschaft in Ankara" gestellt, steht im Zusammenhang mit dem vom Beschwerdeführer im Antrag gemachten Angaben jedenfalls auch der Annahme nicht entgegen, er habe sich auch im Zeitpunkt der Antragstellung im Bundesgebiet aufgehalten.

Zur Rechtmäßigkeit seiner Einreise in das Bundesgebiet bringt der Beschwerdeführer vor, er sei während der Gültigkeitsdauer seines am 28. Juli 1993 vom Generalkonsulat Istanbul ausgestellten und bis 27. Oktober 1993 gültigen Visums für die Bundesrepublik Deutschland nach Österreich eingereist. Die Einreise sei sohin legal erfolgt.

In dem vom Beschwerdeführer angegebenen Zeitraum seiner Einreise in das Bundesgebiet galt bereits die mit 17. Jänner 1990 wiedereingeführte Sichtvermerkspflicht für türkische Staatsangehörige (vgl. die Erklärung des Bundespräsidenten über die teilweise Aussetzung des Europäischen Abkommens über die Regelung des Personenverkehrs zwischen den Mitgliedsstaaten des Europarates, BGBl. Nr. 67/1990, und die Kundmachung des Bundeskanzlers vom 23. Jänner 1990 betreffend die teilweise Aufhebung des Abkommens zwischen der österreichischen Bundesregierung und der türkischen Regierung über die Aufhebung des Sichtvermerkszwanges, BGBl. Nr. 66/1990). Von dieser Sichtvermerkspflicht waren jene türkischen Staatsangehörigen ausgenommen, die im Besitz eines gültigen Sichtvermerkes für die Bundesrepublik Deutschland waren. Die diesbezügliche Verordnung des Bundesministers für Inneres vom 9. Februar 1990, BGBl. Nr. 95a/1990, lautet auszugsweise wie folgt:

"§ 2. Türkische Staatsangehörige sind von der Sichtvermerkspflicht befreit, wenn sie einen gültigen gewöhnlichen türkischen Reisepaß und eine der nachstehend ausgeführten Einreiserlaubnisse der Bunderepublik Deutschland vorweisen:

1. gültiger Sichtvermerk,

..."

Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, daß eine unrechtmäßige Einreise und ein daran anschließender unrechtmäßiger Aufenthalt im Bundesgebiet die Annahme rechtfertigen, ein weiterer Aufenthalt des Fremden gefährde die öffentliche Ordnung im Sinne des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. November 1993, Zl. 93/18/0259). Gleiches gilt für einen länger dauernden unberechtigten Aufenthalt im Anschluß an den rechtmäßigen Aufenthalt nach sichtvermerksfreier Einreise (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. Juni 1996, Zl. 95/19/0269). Jedenfalls der letztgenannte Tatbestand liegt im Falle des Beschwerdeführers, der nur bis zum Ablauf seines deutschen Sichtvermerkes am 27. Oktober 1993 zum Aufenthalt in Österreich berechtigt war, vor. Daß dieser überdies einen Hauptwohnsitz im Inland ohne die in § 1 Abs. 1 AufG vorgesehene Bewilligung begründete, unterstützt die gemäß § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG getroffene Gefährdungsprognose.

Im Gegensatz zur Auffassung des Beschwerdeführers erweist sich auch der Eingriff in die durch die Anwesenheit seiner "Familienmitglieder" (nach der Aktenlage: Vater und Brüder) im Bundesgebiet begründeten familiären Interessen unter dem Gesichtspunkt des Schutzes der öffentlichen Ordnung und dem damit verbundenen Recht des Staates auf Neuzuwanderung im Sinne des Art. 8 Abs. 2 MRK als gerechtfertigt, weil sich der Beschwerdeführer im Anschluß an eine - vom Gesetz nicht zum Zweck der Einwanderung vorgesehene - sichtvermerksfreie Einreise unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhält.

Auch die Heranziehung der Sichtvermerksversagungsgrundes nach § 10 Abs. 1 Z. 6 FrG durch die belangte Behörde kann nicht als rechtswidrig erkannt werden. Dieser Sichtvermerksversagungsgrund ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes u.a. dann verwirklicht, wenn sich ein Fremder in dem für die Entscheidung der Behörde maßgeblichen Zeitpunkt nach sichtvermerksfreier Einreise (weiterhin) im Bundesgebiet aufhält (vgl. zur Maßgeblichkeit des Entscheidungszeitpunktes das hg. Erkenntnis vom 20. Oktober 1995, Zl. 95/19/0500). Da der Beschwerdeführer nach seinen eigenem Vorbringen aber das Bundesgebiet im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht wieder verlassen hatte, erfolgte entgegen der in der Ansicht vertretenen Beschwerde die Heranziehung des Sichtvermerksversagungsgrundes nach § 10 Abs. 1 Z. 6 FrG durch die belangte Behörde nicht rechtsirrig.

Die Beschwerde war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1996190034.X00

Im RIS seit

02.05.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten