TE Lvwg Erkenntnis 2020/1/3 VGW-031/085/12529/2019

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Veröffentlicht am 03.01.2020
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Entscheidungsdatum

03.01.2020

Index

L40009 Sonstige Polizeivorschriften Wien;
L40019 Anstandsverletzung Ehrenkränkung Lärmerregung Polizeistrafen Wien
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

WLSG §1 Abs1 Z1
WLSG §1 Abs1 Z3
VStG §44a
VStG §45 Abs1 Z2

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seine Richterin MMag. Dr. Salamun über die Beschwerde des Herrn A. B. gegen das Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Wien, Polizeikommissariat C., vom 22.08.2019, Zl. …, betreffend Wiener Landes - Sicherheitsgesetz (WLSG),

zu Recht e r k a n n t:

I.       Gemäß § 50 VwGVG wird der Beschwerde Folge gegeben, das Straferkenntnis behoben und das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 VStG eingestellt.

II.      Gemäß § 52 Abs. 8 VwGVG hat der Beschwerdeführer keinen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens zu leisten.

III.    Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof durch die vor dem Verwaltungsgericht Wien belangte Behörde zulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I.

Das angefochtene Straferkenntnis richtet sich gegen den Beschwerdeführer als Beschuldigten und enthält folgenden Spruch:

1. Datum/Zeit:                20.2.2019, 18:30 Uhr

Ort:       Wien, D.-Straße, E.,

                             Friseurgeschäft „F.“

Sie haben durch folgende Begehungsweise eine Person an einem öffentlichen Ort zu einer Handlung oder Duldung aufgefordert, die deren sexuelle Sphäre betrifft und von dieser unerwünscht ist: Sie äußerten in einem Friseurgeschäft zu einer Friseurin, eine Bumsgelegenheit zu suchen.

Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschrift(en) verletzt:

1. § 1 Abs. 1 Z. 3 WLSG

Wegen dieser Verwaltungsübertretung(en) wird (werden) über Sie folgende Strafen(n) verhängt:

Geldstrafe von  falls diese uneinbringlich ist Freiheitsstrafe  Gemäß

                            Ersatzfreiheitsstrafe von  von

1. € 100,00  1 Tage(n) 11 Stunde(n)    § 1 Abs. 1 WLSG

                            0 Minute(n)

Weitere Verfügungen (zB Verfallsausspruch, Anrechnung der Vorhaft):

Ferner haben Sie gemäß § 64 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 - VStG zu zahlen:

€ 10,00 als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens, das sind 10 % der Strafe, jedoch mindestens 10 Euro für jedes Delikt (je ein Tag Freiheitsstrafe wird gleich € 100,00 angerechnet).

€             als Ersatz der Barauslagen für

Der zu zahlende Gesamtbetrag (Strafe/Kosten/Barauslagen) beträgt daher

€ 10“

Begründend führte die Behörde zusammengefasst aus, der Beschwerdeführer habe angegeben, sich nicht mehr an den genauen Wortlaut zu erinnern, aber klarstellen zu wollen, dass es nicht seine Absicht gewesen sei, der Anzeigenlegerin Unannehmlichkeiten zu bereiten oder sie belästigen zu wollen. Er sei der Ansicht, keinen Verstoß gegen das WLSG begangen zu haben, da er weder zu einer Handlung noch zu einer Duldung aufgefordert habe. Es sei den glaubwürdigen Angaben der Anzeigenlegerin zu folgen gewesen und werde die dem Beschwerdeführer zur Last gelegte Übertretung in objektiver Hinsicht als erwiesen angesehen. Der am 10.4.2019 bezahlte Betrag von € 100 werde dem Strafbetrag angerechnet.

II.

In der gegen dieses Straferkenntnis fristgerecht erhobenen Beschwerde brachte der - rechtsfreundlich vertretene - Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, dass er die ihm zur Last gelegte Tat tatsächlich nicht begangen habe, und verwies inhaltlich auf seine Ausführungen im Einspruch und in der Rechtfertigung vom 5.7.2019.

Im Einspruch vom 17.4.2019 hatte der Beschwerdeführer - entgegen seinen Angaben laut der Anzeige - angegeben, sich an den damals von ihm genau gewählten Wortlaut nicht mehr erinnern zu können.

In der Beschwerde führte er - ebenso wie in der Rechtfertigung vom 5.7.2019 - aus, das Gespräch habe nicht von anderen Personen mitgehört werden können. Er habe nicht in Kauf genommen, dass weitere sich im Geschäft befindliche Damen dies mitgehört hätten, sondern ergebe sich aus dem Verwaltungsstrafakt genau das Gegenteil, zumal das kurze Gespräch von anderen Personen nicht mitgehört worden sei bzw. mitgehört habe werden können. Selbst wenn man davon ausgehe, dass er den von der Behörde als erwiesen angesehenen Satz gesagt hätte, hätte er die Zeugin weder zu einer Handlung noch zu einer Duldung aufgefordert und sei die Tatbegehung unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände daher nicht erwiesen.

In der Beschwerde führte der Beschwerdeführer weiters aus, da der Vorfall für die Zeugin sichtlich belastend gewesen sei, werde ausdrücklich auf die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung verzichtet und die Fällung einer Entscheidung aufgrund der Aktenlage beantragt.

III.

Gemäß § 44 Abs. 2 VwGVG entfällt die Verhandlung, wenn der Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist. Letzteres ist gegenständlich der Fall.

IV. Das Verwaltungsgericht Wien hat erwogen:

IV.1. Rechtsgrundlagen:

Die maßgebliche Bestimmung des Wiener Landes-Sicherheitsgesetzes, LGBl. für Wien Nr. 51/1993 in der zum Tatzeitpunkt maßgeblichen Fassung LGBl. für Wien 17/2004 lautet:

„Anstandsverletzung und Lärmerregung

§ 1. (1) Wer

1.  den öffentlichen Anstand verletzt oder

2.  […]

3.  eine Person an einem öffentlichen Ort zu einer Handlung oder Duldung auffordert, die deren sexuelle Sphäre betrifft und von dieser Person unerwünscht ist,

begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe bis zu 700 Euro, im Falle der Uneinbringlichkeit mit einer Ersatzfreiheitsstrafe bis zu einer Woche zu bestrafen.“

Die Erläuterungen zu LGBl. für Wien Nr. 17/2004 mit welchem diese Bestimmung in das Wiener Landes-Sicherheitsgesetzes eingefügt wurde (Beilage 2/2004), lauten:

„Erläuterungen

Allgemeiner Teil

13. Änderung des Wiener Landes-Sicherheitsgesetzes durch Einführung einer neuen Verwaltungsstrafbestimmung betreffend unerwünschte Belästigung von AnrainerInnen an öffentlichen Orten durch verbale Anbahnungsversuche zur Prostitution. Dieser Verwaltungsstrafbestand steht inhaltlich dem Schutzbereich des Wiener Landes-Sicherheitsgesetzes näher als dem Regelungsbereich des Wiener Prostitutionsgesetzes. Es handelt sich dabei im eigentlichen Sinn um eine besondere Form der Anstandsverletzung.

Erläuterungen

Besonderer Teil

Zu § 1 Abs. 1:

Die starke Zunahme von Beschwerden der AnrainerInnen über Belästigungen durch Freier v.a. in den Stadtbereichen, in denen die Straßenprostitution in letzter Zeit stark angestiegen ist, erfordert ein wirksames Mittel, um v.a. Frauen vor verbalen Zudringlichkeiten durch Freier besser zu schützen.

Auch die Betreiber von nicht der Prostitutionsszene zugehörigen Gastgewerbebetrieben im Bereich der Äußeren Mariahilfer Straße, der Felberstraße und des Stuwerviertels beschwerten sich vermehrt über starke Umsatzeinbrüche durch das Fernbleiben von Kunden in den Abendstunden. Nach Aussage vieler Kunden dieser Gewerbebetriebe sei es vor allem Frauen nicht zuzumuten, am Weg zum und vom Gastlokal mehrfach einschlägig angesprochen und belästigt zu werden.

Der neue Straftatbestand soll v.a. generalpräventive Zwecke verfolgen und ein verändertes Verhalten der Freier bei der Kontaktaufnahme mit Prostituierten bewirken.

Da es sich bei diesem Straftatbestand um eine Sonderform der Anstandsverletzung im weiteren Sinn handelt, wurde die Strafbestimmung systematisch dem Wiener Landes-Sicherheitsgesetz zugeordnet.

Die Ausforschung eines Täters, der eine Belästigung aus einem KFZ heraus begeht, bzw. einem KFZ als Lenker zuordenbar ist, kann von den Organen der Bundespolizeidirektion Wien bei Angabe der Kennzeichennummer über eine Lenkerauskunft gemäß den §§ 103 Abs. 2 und 123 Abs. 4 des Kraftfahrgesetzes erfolgen und ein Strafverfahren eingeleitet werden. Die Lenkerauskunft ist nach diesen Bestimmungen nicht auf das Kraftfahrrecht beschränkt.

Öffentlicher Ort ist ein für jedermann ohne besondere Voraussetzungen zugänglicher Ort. Dazu zählen auch Orte, an denen Dienstleistungen an einen unbestimmten Personenkreis erbracht werden, und zwar im Regelfall unter der Voraussetzung eines privatrechtlichen Vertrages, z.B. öffentliche Verkehrsmittel, Gastgewerbebetriebe, Kinos, Theater u.s.w.

Da ein mit den rechtlichen Werten verbundener Durchschnittsbürger an einem öffentlichen Ort jedenfalls keine Anbahnungsform der Prostitution wählen würde, die zu einer Belästigung unbeteiligter AnrainerInnen führen würde wird zumindest leichte Fahrlässigkeit eines belästigenden Verhaltens bei mehr oder weniger „derbem“ Ansprechen im Regelfall vorliegen.“

Gemäß § 2 Abs. 2 des Wiener Prostitutionsgesetzes, LGBl. für Wien Nr. 7/1984, welches zum Zeitpunkt der obenstehenden Novelle des Wiener Landes-Sicherheitsgesetzes in Kraft stand, liegt eine Anbahnung der Prostitution vor, wenn jemand durch sein Verhalten in der Öffentlichkeit erkennen lässt, Prostitution ausüben zu wollen. Gemäß § 2 Abs. 1 des Wiener Prostitutionsgesetzes, LGBl. für Wien Nr. 7/1984, ist Prostitution im Sinne dieses Gesetzes die Duldung sexueller Handlungen am eigenen Körper oder die Vornahme sexueller Handlungen, soweit Gewerbsmäßigkeit vorliegt. Auch gemäß § 2 Abs. 1 des Wiener Prostitutionsgesetz 2011, LGBl. für Wien Nr. 24/2011 idgF, ist Prostitution im Sinne dieses Gesetzes die gewerbsmäßige Duldung sexueller Handlungen am eigenen Körper oder die gewerbsmäßige Vornahme sexueller Handlungen.

IV.2. Sachverhalt:

Aufgrund des Vorbringens des Beschwerdeführers, des Aktes des gegenständlichen behördlichen Verfahrens und des Aktes des Verwaltungsgerichts Wien wird folgender entscheidungswesentlicher Sachverhalt als erwiesen festgestellt:

Am 20.2.2019 tätigte der Beschwerdeführer im Friseurgeschäft „F.“ in Wien, D.-Straße, E., zu einer Friseurin, die Äußerung, eine Bumsgelegenheit zu suchen.

Diese Feststellungen beruhen auf folgenden Erwägungen:

Die Feststellungen ergeben sich im Wesentlichen aus dem Akteninhalt.

Dass sich der Beschwerdeführer zum Tatzeitpunkt am oben angegebenen Ort befand, ist unstrittig.

Dass der Beschwerdeführer die genannten Ausdrücke verwendete, ergibt sich aus dem Akteninhalt, insbesondere aus der Zeugenaussage vom 13.6.2019. Dass er im Einspruch angibt, sich an den genauen Wortlaut nicht mehr zu erinnern, wird hingegen als Schutzbehauptung gewertet.

IV.3. Rechtliche Beurteilung:

IV.3.1.

Hinsichtlich § 1 Abs. 1 Z 3 WLSG führen die Gesetzesmaterialien zu LGBl. für Wien Nr. 17/2004 (Beilage Nr. 2/2004) aus, dass durch die Einführung der betreffenden Strafbestimmung im Wiener Landes – Sicherheitsgesetz eine „unerwünschte Belästigung von Anrainerinnen an öffentlichen Orten durch verbale Anbahnungsversuche zur Prostitution“ abgestellt werden sollte.

Nach den Gesetzesmaterialien soll diese „Sonderform einer Anstandsverletzung“ v.a. generalpräventive Zwecke verfolgen und ein verändertes Verhalten der Freier bei der Kontaktaufnahme mit Prostituierten bewirken.

Die Gesetzesmaterialien verdeutlichen somit, dass es sich bei der Bestimmung des § 1 Abs. 1 Z 3 WLSG um eine lex specialis zur Anstandsverletzung in § 1 Abs. 1 Z 1 WLSG handelt.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wird der Tatbestand der Verletzung des öffentlichen Anstandes in § 1 Abs. 1 Z 1 WLSG durch ein Verhalten erfüllt, das mit den allgemeinen Grundsätzen der Schicklichkeit nicht im Einklang steht und das einen groben Verstoß gegen die in der Öffentlichkeit zu beachtenden Pflichten darstellt (vgl. etwa VwGH 4.9.1995, 94/10/0166). Bei der Beurteilung der Verletzung jener Formen des äußeren Verhaltens, die nach Auffassung gesitteter Menschen der Würde des Menschen als sittlicher Person bei jedem Heraustreten aus dem Privatleben in die Öffentlichkeit entsprechen, ist ein objektiver Maßstab anzulegen (vgl. etwa VwGH 30.4.1992, 90/10/0039).

Beispiele für eine Verletzung des öffentlichen Anstandes in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes betreffen etwa das Verrichten der kleinen Notdurft (Urinieren) (vgl. VwGH 30.4.1992, 90/10/0039), das Bespucken einer anderen Person (vgl. VwGH 28.9.1987, 87/10/0079), das Beschimpfen auf unflätige und obszöne Weise (vgl. VwGH 25.11.1975, 2287/74), das demonstrative Sitzenbleiben während des Abspielens der Bundeshymne bei einer akademischen Feier (vgl. VwGH 20.4.1971, 0771/70, VwSlg 8007 A/1971), den Tanz einer Frau in unbekleidetem Zustand vor mehreren Personen (vgl. VwGH 22.9.1953, 0526/51, VwSlg. 3094 A/1953) und das Raufen in der Öffentlichkeit (vgl. VwGH 14.1.1975, 1447/74). Die Umarmung eines bis dahin dem Täter unbekannten Mädchens, um ihm "einen Kuß zu rauben", wider dessen Willen und ohne daß es ihm Anlaß zu diesem Verhalten gegeben hat, stellt, auch wenn die Tat nach einem ländlichen Tanzfest in der Garderobe begangen wurde, einen groben Verstoß gegen jene Pflichten dar, die jedermann in der Öffentlichkeit zu beachten hat (vgl. VwGH 12.3.1968, 1400/67, VwSlg. 7308 A/1968).

Im vorliegenden Fall ist zwar durch die Äußerung gegenüber der Friseurin, eine Bumsgelegenheit zu suchen, eine Verletzung des öffentlichen Anstandes im Sinn des § 1 Abs. 1 Z 1 WLSG gegeben. Da die gegenständliche Verwaltungsübertretung aber nicht im Zusammenhang mit einem Anbahnungsversuch zur Prostitution (es fehlt das Element der Gewerbsmäßigkeit) begangen wurde, kommt die lex specialis des § 1 Abs. 1 Z 3 WLSG nicht zur Anwendung. Der Beschwerdeführer hat somit gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 VStG die ihm zur Last gelegte Verwaltungsübertretung nicht begangen.

IV.3.2.

§ 44a VStG regelt, welche Bestandteile der Spruch eines Straferkenntnisses zu enthalten hat. Dazu zählen unter anderem die als erwiesen angenommene Tat (Z 1) und die Verwaltungsvorschrift, die durch die Tat verletzt worden ist (Z 2). Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 44a Z 1 VStG muss der Spruch eines Straferkenntnisses so gefasst sein, dass die Subsumtion der als erwiesen angenommenen Tat unter die verletzte Verwaltungsvorschrift eindeutig und vollständig erfolgt, also aus der Tathandlung sogleich auf das Vorliegen der bestimmten Übertretung geschlossen werden kann. Der Revisionswerber hat zudem ein subjektives Recht darauf, dass ihm die als erwiesen angenommene Tat und die verletzte Verwaltungsvorschrift richtig und vollständig vorgehalten werden. Die Identität der Tat muss unverwechselbar feststehen (vgl. VwGH 14.9.2018, Ra 2017/17/0407, mwN).

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist es grundsätzlich nicht nur das Recht, sondern die Pflicht der Berufungsbehörde, einen allenfalls fehlerhaften Abspruch der ersten Instanz richtig zu stellen oder zu ergänzen. Dies gilt allerdings nur dann, wenn innerhalb der Verfolgungsverjährungsfrist rechtzeitig eine alle der Bestrafung zu Grunde liegenden Sachverhaltselemente enthaltende Verfolgungshandlung (wozu auch der Tatort gehört) durch die Behörde gesetzt wurde (vgl. VwGH 20.5.2015, Ra 2014/09/0033; 16.9.2010, 2010/09/0155).

Eine Befugnis des Verwaltungsgerichtes zur Ausdehnung des Gegenstandes des Verfahrens über die Sache des Verwaltungsstrafverfahrens im Sinn des § 50 VwGVG 2014 hinaus, etwa durch eine Ausdehnung des Tatzeitraumes, wurde durch die Verwaltungsgerichtsbarkeitsnovelle 2012 jedoch nicht geschaffen (vgl. VwGH 5.11.2014, Ra 2014/09/0018). Eine Ausdehnung des Tatzeitraums erst im Beschwerdeverfahren in Verwaltungsstrafsachen vor dem Verwaltungsgericht würde daher eine unzulässige Erweiterung des Tatvorwurfs und der Sache des Beschwerdeverfahrens im Sinn des § 50 VwGVG 2014 darstellen (vgl. 29.3.2017, Ra 2016/02/0226).

Eine Präzisierung der rechtlichen Grundlage der Bestrafung (Angabe der verletzten Verwaltungsbestimmung und angewendeten Strafnorm) ist jedoch zulässig, wenn es nicht zu einem "Austausch der Tat" durch Heranziehung eines anderen als des ursprünglich der Bestrafung zu Grunde gelegten Sachverhalts kommt (vgl. VwGH 29.3.2017, Ra 2016/02/0226). Daher steht § 31 Abs 1 VStG einer bloßen Spezifizierung der Tatumstände durch die Berufungsbehörde - so auch einer relativ geringfügigen Berichtigung der Tatzeit - nach Ablauf der Verfolgungsverjährungsfrist nicht entgegen (vgl. VwGH 25.1.2002, 99/02/0106).

Da im angefochtenen Straferkenntnis einerseits die Zugrundelegung des § 1 Abs. 1 Z 3 WLSG die Gewerbsmäßigkeit der Aufforderung zur Handlung oder Duldung betreffend die sexuelle Sphäre (und somit ein über das Tatbild des § 1 Abs. 1 Z 1 WLSG hinausgehendes Sachverhaltselement) voraussetzt und andererseits der Tatvorhalt im Spruch eine Verletzung des öffentlichen Anstands nicht ausdrücklich erfasst, käme eine Spruchkorrektur unter Anführung des § 1 Abs. 1 Z 1 WLSG einem unzulässigen Austausch der Tat gleich und konnte eine solche somit im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht mehr erfolgen.

Die Kostenentscheidung gründet auf § 52 Abs. 8 VwGVG.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

IV.4. Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

Die ordentliche Revision ist zulässig, da eine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Es fehlt an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 1 Abs. 1 Z 3 WLSG.

Schlagworte

Verletzung des öffentlichen Anstandes; Belästigung; verbale Anbahnungsversuche zur Prostitution; lex specialis; Tatumschreibung; Konkretisierung der Tat; Austausch der Tat

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2020:VGW.031.085.12529.2019

Zuletzt aktualisiert am

15.05.2020
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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