TE Bvwg Erkenntnis 2019/4/5 W122 2215139-1

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Veröffentlicht am 05.04.2019
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Entscheidungsdatum

05.04.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AVG §71 Abs1
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W122 2215139-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Gregor ERNSTBRUNNER als Einzelrichter über die Beschwerde von Herrn XXXX alias XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Iran, vertreten durch Rechtsberatung Caritas der Erzdiözese Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.01.2019, Zahl 11187222701-160827805, zu Recht:

A) In Stattgabe der Beschwerde vom 18.02.2019 gegen den Bescheid vom 31.01.2019, Zl. 11187222701-160827805, wird gemäß § 71 Abs. 1 AVG, der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 07.11.2018 bewilligt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

1. Verfahrensgang:

1.1. Der Beschwerdeführer (in der Folge BF), Herr XXXX , geboren am XXXX ist iransicher Staatsangehöriger, Angehöriger der Volksgruppe der Perser und muslimischen Glaubens.

Der BF reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein.

1.2. Der BF stellte am 14.06.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG). Er wurde am 02.09.2015 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt.

1.3. Am 21.09.2017 und 27.03.2018 wurde der BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA), Regionaldirektion Niederösterreich, niederschriftlich einvernommen.

1.4. Mit Bescheid vom 16.08.2018 wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 14.06.2016 gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm den Status von Asylberechtigten ebenso wie gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG den Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Iran nicht zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG (Spruchpunkt III.). Weiters wurden gegen den BF gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF in den Iran gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des BF zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

Die Zustellung des Bescheids vom 16.08.2018 erfolgte, nachdem dem BF das Schriftstück nach einem Zustellversuch am 20.08.2016 an der Abgabestelle nicht hatte eigenhändig zugestellt werden können, durch Hinterlegung beim Postamt an diesem Tag, wobei die Abholfrist mit 21.08.2018 zu laufen begonnen habe. Die Rechtsmittelfrist endete am 18.09.2018. Der Bescheid wurde als nicht behoben bereits am 11.09.2018 an das BFA retourniert und langte am 12.09.2018 dort ein.

Am 25.10.2018 wurde dem BF der Bescheid persönlich beim BFA ausgehändigt und ihm wurde auch mitgeteilt, dass der Bescheid mit 19.09.2018 in Rechtskraft erwachsen sei.

Mit am 08.11.2018 eingebrachten Schreiben stellte der BF, nunmehr vertreten durch die Rechtsberatung Caritas Wien, einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und holte mit dieser die versäumte Beschwerdeerhebung nach. Bezugnehmend auf den Wiedereisetzungsantrag wurde ausgeführt, dass der BF aufgrund eines defekten Briefkastens schon einige Male keine Schriftstücke erhalten hätte und er aus diesem Grund von 02.07.2018 bis 01.01.2019 einen Nachsendeauftrag zur Adresse eines Freundes eingerichtet habe.

Dem Kuvert des an den BF übermittelten Bescheides sei zu entnehmen, dass dieser nur an die damalige Wohnadresse des BF gesendet wurde, der Nachsendeauftrag hierbei aber gänzlich missachtet worden sei.

Das BFA ließ Ermittlungen an den beiden vom BF angegeben Adressen durchführen und erhielt am 19.11.2018 sowohl von der Landespolizeidirektion Wien als auch von der Landespolizeidirektion Niederösterreich jeweils einen Bericht. Bezüglich der Nachsendeadresse wurde festgehalten, dass der BF an dieser Adresse bekannt sei und er dort noch bis vor zehn Tagen gewohnt habe. Die Ermittlungen an der niederösterreichischen Wohnadresse hätten ergeben, dass sich dort ein Briefkastenschlitz befinden würde und ein Briefkasten bzw. Spuren eines Briefkastens, wie ihn der BF beschreiben habe, nicht vergegenwärtigt habe hätten können.

Eine am 30.11.2018 von der Post mittels E-Mail beantwortete Anfrage des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl kam zu dem Ergebnis, dass sich an der Wohnadresse ein großes Eingangstor mit kleinem Briefschlitz befinden würde, der BF einen bis 01.01.2019 aufrechten Nachsendeauftrag an eine Wiener Adresse habe und dem BF am 13.03.2018 ein hinterlegtes RSa-Schriftstück persönlich von der Post-Geschäftsstelle ausgefolgt wurde.

Mit Bescheid vom 31.01.2019 wies das BFA den Wiedereinsetzungsantrag des BF gemäß § 71 Abs. 1 AVG ab und erkannte diesem gemäß § 71 Abs. 6 AVG die aufschiebende Wirkung nicht zu. Begründend wurde ausgeführt, dass der BF im Wiedereinsetzungsantrag bewusst falsche Angaben über die Zustellungsmöglichkeiten an der Meldeadresse und der Adresse des Nachsendeauftrages gemacht habe und dem Ermittlungsverfahren nach an beiden Adressen eine uneingeschränkte Zustellung möglich gewesen wäre. Daher sei festzustellen gewesen, dass der BF die Frist zur Einbringung der Beschwerde aus eigenem Verschulden versäumt habe.

Dagegen erhob der BF fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht (in der Folge) BVwG und beantrage einhergehend die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung.

In der Beschwerdebegründung wurde ausgeführt, dass dem BF der Bescheid an seine damalige Wohnadresse zugestellt worden sei, obwohl der BF einen rechtsgültigen Nachsendeauftrag gehabt habe. Die fehlerhafte Zustellung würde daher ausschließlich im Bereich der Post liegen, die den Nachsendeauftrag nicht korrekt durchgeführt habe. Um gerade solche Zustellprobleme zu vermeiden, habe der BF diesen Nachsendeauftrag überhaupt eingerichtet, weshalb er sogar maximale Sorgfalt habe walten lassen, damit ihm alle Schriftstücke ordnungsgemäß zugestellt werden würden. Abgesehen davon habe die belangte Behörde das Recht auf Parteiengehör missachtet, indem es dem BF keine Möglichkeit zur Stellungnahme zu den Ermittlungsergebnissen einräumte.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Bescheid des BFA vom 16.08.2016 wurde dem BF am 21.08.2016 durch Hinterlegung zugestellt.

Die vierwöchige Beschwerdefrist endete demnach am 18.09.2016.

Der BF war zu diesem Zeitpunkt an der Adresse XXXX , hauptwohnsitzlich gemeldet.

Am 27.06.2016 hat der BF einen von 02.07.2018 bis zum 01.01.2019 gültigen Nachsendeauftrag Inland (Nachsendeauftrag wegen vorübergehender Abwesenheit) bei der Post eingerichtet. Die Nachsendeadresse lautete XXXX . An dieser Adresse war der BF aufhältig. Die Post hat dem Nachsendeauftrag nicht entsprochen.

Am 25.10.2018 hat der BF den am 19.09.2018 in Rechtskraft erwachsenen Bescheid persönlich beim BFA übernommen.

Mit einem am 08.11.2018 eingebrachten Schriftsatz gab der BF bekannt, dass er von nun an von der Rechtsberatung Caritas Wien rechtsfreundlich vertreten ist, stellte fristgerecht einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und holte mit diesem zusammen die versäumte Verfahrenshandlung der Beschwerdeerhebung nach.

Bis zu diesem Zeitpunkt war der BF in gegenständlichem Verfahren unvertreten.

3. Beweiswürdigung:

Die getroffenen Feststellungen beruhen auf den vorliegenden Verwaltungsakten.

Die Feststellung der ordnungsgemäßen Zustellung des Bescheides vom 16.08.2018 ergibt sich aus dem im Akt befindlichen Originalkuvert.

Dass der BF zu diesem Zeitpunkt an der Adresse, an die dieser Bescheid zugestellt wurde, hauptwohnsitzlich gemeldet war, ergibt sich auch der im Akt befindlichen Abfrage des Zentralen Melderegisters vom 14.11.2018.

Die Feststellung, dass der BF zu diesem Zeitpunkt bei der Post einen gültigen Nachsendeauftrag zu einer Wiener Adresse hatte, ergibt sich aus der diesbezüglich im Akt befindlichen Kopie.

Der Beschwerdeführer hat aufgrund dieser Belege zweifelsfrei darlegen können gemacht, dass er durch ein unvorhergesehenes Ereignis verhindert war, die Frist zur Einbringung der Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamtes für Asyl und Fremdenwesen vom 16.08.2018 einzuhalten, wobei ihn kein einen minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden trifft.

4. Rechtliche Beurteilung:

4.1. Anzuwendendes Recht:

Gegenständlich sind die Verfahrensbestimmungen des AVG, des BFA-VG und des VwGVG anzuwenden.

Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG, BGBl. I Nr. 10/2013 in der geltenden Fassung entscheidet das BVwG durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 in der geltenden Fassung geregelt (§ 1 leg. cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes - AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

§ 28 Abs. 1 VwGVG lautet:

(1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

§ 1 BFA-Verfahrensgesetz - BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012 in der geltenden Fassung bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem BFA, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem BVwG gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG 2005 und Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG bleiben unberührt.

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012 in der geltenden Fassung, entscheidet über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA das BVwG.

§ 16 Abs. 6 und § 18 Abs. 7 BFA-VG bestimmen für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren, dass §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden sind.

Gemäß § 39 Abs. 1 AVG sind für die Durchführung des Ermittlungsverfahrens die Verwaltungsvorschriften maßgebend.

§ 39 Abs. 2 AVG lautet:

Soweit die Verwaltungsvorschriften hierüber keine Anordnungen enthalten, hat die Behörde von Amts wegen vorzugehen und unter Beobachtung der in diesem Teil enthaltenen Vorschriften den Gang des Ermittlungsverfahrens zu bestimmen. Sie kann insbesondere von Amts wegen oder auf Antrag eine mündliche Verhandlung durchführen und mehrere Verwaltungssachen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbinden oder sie wieder trennen. Die Behörde hat sich bei allen diesen Verfahrensanordnungen von Rücksichten auf möglichste Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis leiten zu lassen.

§ 71 AVG lautet:

(1) Gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung ist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn:

1. die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft, oder

2. die Partei die Rechtsmittelfrist versäumt hat, weil der Bescheid keine Rechtsmittelbelehrung, keine Rechtsmittelfrist oder fälschlich die Angabe enthält, daß kein Rechtsmittel zulässig sei.

(2) Der Antrag auf Wiedereinsetzung muß binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses oder nach dem Zeitpunkt, in dem die Partei von der Zulässigkeit der Berufung Kenntnis erlangt hat, gestellt werden.

(3) Im Fall der Versäumung einer Frist hat die Partei die versäumte Handlung gleichzeitig mit dem Wiedereinsetzungsantrag nachzuholen.

(4) Zur Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist die Behörde berufen, bei der die versäumte Handlung vorzunehmen war oder die die versäumte Verhandlung angeordnet oder die unrichtige Rechtsmittelbelehrung erteilt hat.

(5) Gegen die Versäumung der Frist zur Stellung des Wiedereinsetzungsantrages findet keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand statt.

(6) Die Behörde kann dem Antrag auf Wiedereinsetzung aufschiebende Wirkung zuerkennen.

(7) Der Wiedereinsetzungsantrag kann nicht auf Umstände gestützt werden, die die Behörde schon früher für unzureichend befunden hat, um die Verlängerung der versäumten Frist oder die Verlegung der versäumten Verhandlung zu bewilligen.

4.2. Rechtlich folgt daraus:

4.2.1. Vorab ist festzuhalten, dass als Maßstab zur meritorischen Entscheidung über die vorliegende Beschwerde das Bundesverwaltungsgericht § 71 AVG und nicht § 33 VwGVG heranzuziehen hat, weil das Beschwerdeverfahren eine versäumte Prozesshandlung (Beschwerdeeinbringung) betrifft, die bei einer Verwaltungsbehörde (und nicht beim Verwaltungsgericht) zu setzen war und der Wiedereinsetzungsantrag schon bei der Behörde gestellt wurde (vgl. VfGH 18.06.2014, G 5/2014, wonach § 17 VwGVG eine Anwendung von Bestimmungen des IV. Teils des AVG durch das Verwaltungsgericht insofern nicht ausschließt, als deren Heranziehung als inhaltlicher Maßstab für die dem Verwaltungsgericht zukommende Aufgabe der meritorischen und reformatorischen Entscheidung in der Sache über die Rechtmäßigkeit eines Bescheides, mit dem eine solche Vorschrift des IV. Teils des AVG angewendet worden ist, erforderlich ist; zum Verhältnis zwischen § 71 AVG und § 33 VwGVG vgl. Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht10 [2014], Rz 623 und 898 mwN; a.A. VwGH 28.09.2016, Ro 2016/16/0013-3).

Der Bescheid des BFA vom 16.08.2018 wurde dem BF rechtswirksam am 21.08.2018 durch Hinterlegung zugestellt. Gemäß § 17 Abs. 3 Zustellgesetz, BGBl. I Nr. 200/1982 (ZustG), in der Fassung BGBl. I Nr. 5/2008, gilt die Zustellung bei hinterlegten Dokumenten mit dem ersten Tag der Abholfrist als bewirkt. Daher begann die - im gegenständlichen Fall gemäß § 7 Abs. 4 VwGVG allgemein geltende - Beschwerdefrist von vier Wochen mit diesem Tag zu laufen und endete in Anwendung des § 33 Abs. 1 AVG am 18.09.2018, da weder von einer Ortsabwesenheit noch von einer Abmeldung ausgegangen werden konnte.

Der BF brachte die Beschwerde gegen diesen Bescheid erst am 08.11.2018 ein. Demnach hat er die Frist zur Einbringung der Beschwerde versäumt.

Zeitgleich mit der Einbringung der Beschwerde stellte er einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Als Wiedereinsetzungsgrund führte er im Wesentlichen an, dass er einen gültigen Nachsendeauftrag zu einer inländischen Adresse hatte, er jedoch das Schriftstück nicht erhalten habe, weil die Post diesen nicht ordnungsgemäß erfüllt hat, in dem es das Schriftstück beim Postamt der Wohnsitzadresse hinterlegt hat. Als Grund für die Einrichtung des Nachsendeauftrages gab der BF an, dass er an seiner Wohnsitzadresse schon mehrmals Schriftstücke nicht erhalten habe und er dadurch garantieren wollte, dass die Zustellprobleme in Zukunft nicht mehr vorkommen sollten.

Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nur gegen die Versäumung einer verfahrensrechtlichen, nicht auch einer materiell-rechtlichen Frist zulässig (vgl. VwGH 15.03.1995, 95/01/0035). Eine Frist ist versäumt, wenn sie zu laufen begonnen hat und ungenutzt verstrichen ist, dh. wenn die geforderte Prozesshandlung vor ihrem Ablauf nicht in der für sie (zwingend) vorgeschriebenen Form gesetzt wurde (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG § 71 AVG Rz 22 mwN).

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist als Ereignis iSd § 71 Abs 1 Z 1 AVG jedes Geschehen ohne jede Beschränkung auf Vorgänge in der Außenwelt anzusehen (VwGH 26.06.1985, Zl. 83/03/0134, ua.)

Ein Ereignis ist dann unabwendbar, wenn es durch einen Durchschnittsmenschen objektiv nicht verhindert werden konnte. Es ist als unvorhergesehen zu werten, wenn die Partei es tatsächlich nicht einberechnet hat, und dessen Eintritt auch unter Bedachtnahme auf die zumutbare Aufmerksamkeit und Vorsicht nicht erwarten konnte (VwGH 17.02.1994, Zl. 93/16/0020).

Ob ein Ereignis unvorhergesehen ist, hängt demgegenüber nach der Rechtsprechung nicht von einer objektiven Durchschnittsbetrachtung, sondern vom konkreten Ablauf der Geschehnisse ab. Unvorhergesehen ist ein Ereignis dann, wenn es von der Partei tatsächlich nicht einberechnet wurde und mit zumutbarer Vorsicht auch nicht vorhergesehen werden konnte (z. B. VwGH 03.04.2001, 2000/08/0214).

Ein Verschulden der Partei hindert die Wiedereinsetzung nur dann nicht, wenn es sich dabei lediglich um einen minderen Grad des Versehens (leichte Fahrlässigkeit im Sinne des § 1332 ABGB) handelt. Eine solche liegt dann vor, wenn der Partei ein Fehler unterläuft, der gelegentlich auch einer sorgfältigen Person unterlaufen kann (z. B. VwGH 20.06.2002, 2002/20/0230), wobei an einen rechtskundigen Parteienvertreter ein höherer Sorgfaltsmaßstab anzulegen ist (z. B. VwGH 22.01.2003, 2002/04/0136).

Ausgeschlossen ist die Wiedereinsetzung dann, wenn der Partei Vorsatz oder offenkundige Sorglosigkeit vorzuwerfen ist.

Der geltend gemachte Wiedereinsetzungsgrund muss bereits im Wiedereinsetzungsantrag bezeichnet und sein Vorliegen glaubhaft gemacht werden. Die Partei muss also jene Umstände, durch die sie an der Vornahme der Prozesshandlung gehindert wurde, konkret beschreiben. Glaubhaftmachung bedeutet, dass die Partei Beweismittel anbieten muss, durch die die Wahrscheinlichkeit des Vorliegens des Wiedereinsetzungsgrundes dargetan wird. Es ist allein das Vorliegen des geltend gemachten Wiedereinsetzungsgrundes zu prüfen. Eine amtswegige Prüfung, ob allenfalls weitere Gründe für eine Wiedereinsetzung vorliegen, ist nicht vorgesehen. Nach Ablauf der Frist für den Wiedereinsetzungsantrag kann der geltend gemachte Wiedereinsetzungsgrund auch nicht mehr ausgewechselt werden (VwGH 25.02.2003, 2002/10/0223).

Behauptet ein Wiedereinsetzungswerber, von einem ihn betreffenden Schriftstück oder einer Hinterlegungsanzeige keine Kenntnis erlangt zu haben, hat er detaillierte sachverhaltsbezogene Vorbringen darüber zu machen, was er üblicherweise unternimmt, um dies zu vermeiden (VwGH 21.12.1999, 97/19/0217; VwGH 04.02.2000, 97/19/1484; VwGH 02.10.2000, 98/19/0198). Das alleinige Vorbringen, keine Hinterlegungsanzeige vorgefunden zu haben, reicht demzufolge nicht aus (VwGH 21.11.2001, 2001/08/0011). Es sind vielmehr jene Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich des Wiedereinsetzungswerbers darzulegen, aus denen sich konkrete Anhaltspunkte dafür erkennen lassen, dass dieser von einem in seine Gewahrsame gelangten Poststück aus bestimmten, keine auffallende Sorglosigkeit begründenden Umständen keine Kenntnis erlangen konnte (VwGH 20.01.1998, 97/08/0545). Insbesondere können hier Angaben darüber, wer die Entleerung derselben Hausbrieffachanlage besorgte bzw. wie oft eine solche Entleerung erfolgte, notwendig sein (VwGH 21.12.1999, 97/19/0217; VwGH 04.02.2000, 97/19/1484; VwGH 02.10. 2000, 98/19/0198, siehe Hengstschläger/Leeb, AVG § 71, Rz 122, Stand 01.04.2009, rdb.at).

4.2.2. Im gegenständlichen Fall stellte der Beschwerdeführer den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand innerhalb von zwei Wochen, nachdem diesem der Bescheid des BFA am 25.10.2018 persönlich ausgefolgt wurde.

Für den Zeitpunkt der Zustellung lag ein Nachsendeauftrag des BF an eine andere Abgabestelle vor.

Der BF hat lediglich einen Nachsendeauftrag eingerichtet, um tatsächlich an alle Schriftstücke zu gelangen, zumal er glaubwürdig vorbrachte, dass Zustellungen an seine Wohnadresse bereits gescheitert seien. Zusätzliche Bedingung für einen gültigen Nachsendeauftrag im Sinn des § 18 ZustG ist des Weiteren, dass sich der Empfänger nicht regelmäßig an der Abgabestelle aufhält, was hier ebenfalls zutrifft, zumal die Ermittlungen des BFA an der angegeben Nachsendeadresse ergeben haben, dass der BF dort bekannt und wohnhaft war.

Eine (auffallende) Sorglosigkeit im Umgang mit dem Erhalt von Schriftstücken ist ihm daher keinesfalls vorzuwerfen. Der BF hat mit dem Abschluss des Nachsendeauftrages vertraut, dass ihm alle Schriftstücke an die genannte Nachsendeadresse zugestellt werden. Der gegenständliche Bescheid der belangten Behörde ist aufgrund der nicht ordnungsgemäßen Durchführung des Nachsendeauftrages durch die Post nicht rechtzeitig in den Kenntnisbereich des BF gelangt. Daher ist beim BF auch keine auffallende Sorglosigkeit festzustellen gewesen. Vielmehr hat der BF versucht, durch ein erhöht sorgfältiges Handeln an alle Schriftstücke zu gelangen. Es kann hierbei auch nicht erkannt werden, dass der BF bewusst falsche Angaben über seine Aufenthaltsorte machen wollte, wie ihm das die belangte Behörde auch vorgeworfen hat.

Kein, jedenfalls kein einen minderen Grad des Versehens übersteigendes, als auffallende Sorglosigkeit zu wertendes Verschulden, trifft den Beschwerdeführer, wenn er sich nicht im Nachhinein davon zu überzeugen versucht hat, ob trotz aufrechten Nachsendeauftrages, Schriftstücke oder Benachrichtigungen über hinterlegte Schriftstücke doch an seine ständige Wohnadresse gesendet wurden (vgl. dazu etwa die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 21.04.2005, 2005/20/0080; sowie vom 07.05.1998, 97/20/0693 bzgl. des Sorgfaltsmaßstabs für das Handeln bevollmächtigter Personen).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, VwGH 07.06.2000, 99/01/0337, darf der Beschwerdeführer nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seiner persönlichen Fähigkeit zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen haben. Aus obigen Erwägungen und vor dem Hintergrund, dass es sich beim Beschwerdeführer um einen sprach- und rechtsunkundigen Asylwerber handelt, kann diesem nicht vorgeworfen werden, hinsichtlich der Fristversäumnis das zumutbare Maß der Aufmerksamkeit unterschritten zu haben. Überträgt man die vom VwGH ausgesprochene Grundsätze auf den konkreten Fall, so ist im Hinblick auf die gegebene Sachverhaltskonstellation davon auszugehen, dass dem Beschwerdeführer keine auffallende Sorglosigkeit an der Fristversäumung anzulasten ist.

Aus diesem Grund war der Beschwerde stattzugeben.

4.3. Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG in Verbindung mit § 24 VwGVG unterbleiben, da der Sachverhalt auf Grund der Aktenlage und des Inhaltes der Beschwerde geklärt war und Widersprüchlichkeiten in Bezug auf die maßgeblichen Sachverhaltselemente nicht vorlagen. Insbesondere ist zu betonen, dass auf der Sachverhaltsebene keine Fragen offen geblieben sind, sondern diese vielmehr aus den Verwaltungsakten beantwortet werden konnten. Es wurden keine konkreten Angaben gemacht, die zu überprüfen gewesen wären.

Durch die Stattgabe der Beschwerde werden die weiteren in der Beschwerde gestellten Anträge, nämlich die Gewährung eines Parteiengehörs, das die belangte Behörde nach ihren Ermittlungen dem BF nicht einräumte sowie der Antrag auf Gewährung der aufschiebenden Wirkung, mangels Beschwer des BF obsolet.

Zu Spruchteil B):

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des VwGH zu Fragen der Rechtzeitigkeit von Wiedereinsetzungsanträgen ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des VwGH auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Das BVwG konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des VwGH bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die Frage der Wiedereinsetzung bei erteiltem Nachsendeauftrag ist auch im Zusammenhang mit der Aufrechterhaltung einer Wohnsitzmeldung hinreichend geklärt.

Schlagworte

rechtswirksame Zustellung, Rechtswirkung, Rechtzeitigkeit,
Schriftstück, Voraussetzungen, Wiedereinsetzung,
Wiedereinsetzungsantrag, Zustellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W122.2215139.1.00

Zuletzt aktualisiert am

15.05.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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