Entscheidungsdatum
17.05.2019Norm
AsylG 2005 §10 Abs2Spruch
W274 2211519-2/3E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch Mag. Lughofer als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, Alserstraße 20,1090 Wien gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenrecht und Asyl, RD Linz, vom 04.08.2018, Z.1087974900-151385230 zu Recht:
A)
Der Beschwerde wird - soweit sie sich gegen Spruchpunkt VI. richtet (Aberkennung der aufschiebenden Wirkung) - Folge gegeben und dieser Spruchpunkt dahingehend abgeändert, dass der Beschwerde gegen den Bescheid vom 4.8.2018 die aufschiebende Wirkung zuerkannt wird.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
Der Beschwerdeführer (BF) beantragte am 17.09.2015 vor der PI Westbahnhof bzw. der Abteilung Fremdenpolizei und Anhaltevollzug Wien internationalen Schutz. In der Erstbefragung gab er an, er habe im Iran keine Sicherheit gehabt. Er sei ca. 19 Jahre beim iranischen Militär gewesen. Aufgrund seiner Denkweise und seiner Einstellung zum Militär sei er vom Dienst suspendiert worden, sein Bruder sei vom Militär getötet und seine Tochter vergewaltigt worden. Außerdem sei er vor ca. sechs Monaten zum Christentum konvertiert.
Im Rahmen seiner Befragung vor dem BFA am 01.03.2018 wiederholte und bekräftigte der BF seine Angaben und führte weiter ins Treffen, er sei 2005 beim Militär vergewaltigt worden.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies das BFA den Antrag auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten als auch des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Iran ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung in den Iran zulässig sei (Spruchpunkte I. bis V.), bestimmte keine Frist für die freiwillige Ausreise und erließ ein dreijähriges befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkte VII. und VIII.). Darüber hinaus erkannte es einer Beschwerde gegen diese Entscheidung gemäß § 18 Abs. 1 Z. 2 BFA-VG die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt VI). Begründend führte es zu Spruchpunkt VI. aus, das dargestellte Verhalten des BF ("rechtskräftige Verurteilung wegen Körperverletzung sowie diverse Anzeigen unter anderem wegen gefährlicher Drohung und Nötigung") sei den Grundinteressen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit massiv zuwidergelaufen und es habe keine Gefahrenprognose zugunsten des BF gestellt werden können.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die - mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verbundene - Beschwerde vom 30.10.2018, in der auch um Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nach § 18 Abs. 5 BFA-VG ersucht wird.
Mit weiterem Bescheid des BFA vom 30.04.2019 wurde dem Antrag des BF auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stattgegeben, sodass die Beschwerde dem BVwG am 10.05.2019 vorgelegt und am 14.05.2019 der Gerichtabteilung W274 abgetreten wurde.
Die Beschwerde ist - soweit sie sich gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung richtet - im Ergebnis berechtigt:
Mit Protokollsvermerk und gekürzter Urteilsausfertigung vom 13.10.2016 des LG Ried im Innkreis zu 7 HV 79/16d wurde der BF schuldig erkannt, er habe am 20.09.2016 in XXXX (Asylantenunterkunft) nachstehende Personen am Körper verletzt bzw. an der Gesundheit geschädigt und zwar a) XXXX , indem er ihm einen Faustschlag ins Gesicht versetzt hat, wodurch dieser eine Schwellung im Gesicht erlitten hat, b) XXXX , indem er ihm einen Faustschlag in das Gesicht versetzt hat, wodurch dieser eine Prellung im Gesicht erlitten hat und eine fakturierte Füllung des Zahnes 46 verbunden mit ca. neuntägiger Beeinträchtigung der Kaufunktion. Er wurde gemäß § 83 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von einem Monat verurteilt, wobei gemäß § 43 Abs. 1 StGB der Vollzug der Freiheitsstrafe unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Eine Vorhaft vom 20.09.2016 bis 13.10.2016 wurde auf die verhängte Freiheitsstrafe angerechnet. Betreffend der Vorwürfe, er habe XXXX , XXXX und XXXX und andere namentlich nicht bekannte Bewohner der Asylantenunterkunft gefährlich mit dem Tod bedroht, indem er in äußerst aggressiver und aufgebrachter Weise zu ihnen geäußert habe, dass er jetzt alle töten werde und dass er XXXX umbringen werde, wenn er nicht in andere Asylunterkunft verlegt werde, wurde der BF gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen. Betreffend die Verurteilung wurde mildernd die Unbescholtenheit und alkoholisierungsbedingte Enthemmung gewertet, erschwerend das Zusammentreffen. Ein Widerruf der bedingten Strafnachsicht erfolgte bislang nicht.
Ein aufgrund eines Vorfalls vom 07.06.2017 geführtes Ermittlungsverfahrens zu 1 ST 104/17k der StA Ried im Innkreis wurde am 14.07.2017 mit folgender zusammengefasster Begründung gemäß § 190 Z. 2 StPO (kein tatsächlicher Grund zur weiteren Verfolgung) eingestellt: Der BF sei Asylwerber und aufgrund seines negativ auffälligen Verhaltens in den letzten Monaten aus der Grundversorgung für Asylanten ausgeschlossen worden. Nach einigen erfolglosen Versuchen, Geld erhalten, habe er sich am 06.07.2017 zur Flüchtlingsbetreuerin der Caritas in Ried begeben, die ihm erklärt habe, dass er kein Geld mehr bekomme und sich an das Land Oberösterreich wenden solle. Er habe ihr gegenüber sodann geäußert:
Sollte er keine Hilfe bekommen, werde er wieder ins Gefängnis gehen. Dort sei er wenigstens mit Essen versorgt und habe einen Platz zum Schlafen. Er wisse, wie er ins Gefängnis komme. Er werde in Ried etwas "Großes" anstellen, sodass jeder wisse, wer XXXX sei. Auf die Frage, was er konkret vorhabe zu tun habe er gesagt "Willst du, dass ich große Probleme mache?". Bei den Äußerungen des BF sei kein konkretes Übel in Aussicht gestellt worden. Die Äußerung, er wisse, wie er ins Gefängnis komme und er werde in Ried etwas Großes anstellen, stelle im Zweifel noch keine gefährliche Drohung im Sinne des § 107 StGB dar, weshalb das Verfahren einzustellen sei.
Aus dem Akt sind zeitweise psychische Probleme des BF ersichtlich und in diesem Zusammenhang ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten, eingeholt im Auftrag des BFA, das dem BF im Juli 2018 eine Anpassungsstörung in Remission attestiert. Es sei von keiner dauerhaften Behandlungsbedürftigkeit auszugehen, eine schlafanstoßende Therapie sei verordnet worden.
Aus dem weiteren Akteninhalt ist ersichtlich, dass sich der BF unter anderem im Zusammenhang mit der Befundaufnahme schlecht behandelt erachtete und es insbesondere am Beginn seiner Zeit in Österreich zu Eingliederungsschwierigkeiten im Bereich der Asylunterkünfte kam. Weitere Anzeigen betreffend den BF (Begründung im Bescheid: "diverse Anzeigen") sind im Akt nicht ersichtlich.
Gemäß § 18 Abs. 1 BFA-VG kann das Bundesamt einer Beschwerde gegen eine abweisende Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz die aufschiebende Wirkung unter anderem gemäß Z. 2 aberkennen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass der Asylwerber eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung darstellt.
Gemäß Abs. 5 hat das BVwG der Beschwerde, der die aufschiebende Wirkung aberkannt wurde, binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wenn anzunehmen ist, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK, Art. 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13. zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit in Folge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts mit sich bringen würde.
Bei Aberkennung der aufschiebenden Wirkung nach § 18 Abs. 1 Z. 2 BFA-VG geht es um die Aufrechterhaltung insbesondere der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, sodass auf die entsprechende Auslegung und Rechtsprechung im Zusammenhang mit der Frist für die freiwillige Ausreise und Aberkennung der aufschiebenden Wirkung bei Rückkehrentscheidungen zurückgegriffen werden kann. Vom Begriff der schwerwiegenden Gründe betreffend die Gefährdung der öffentlichen Ordnung sind beispielsweise nicht nicht schwere Verbrechen umfasst, sondern generell jedes Verhalten, das der österreichischen Rechtsordnung im besonderen Maße widerspricht, etwa mehrfache rechtswidrige Einreisen, Vergehen und Verbrechen, aber etwa auch schwere und gehäufte Verwaltungsübertretungen. Bei der behördlichen Entscheidung handelt es sich um eine Ermessensentscheidung (Böckmann-Winkler in Schrefler-König/Szymanski, Fremdenpolizei-und Asylrecht, § 18 BFA-VG, Stand 01.03.2016, rdb.at). Bei Prüfung, ob die Annahme, dass der weitere Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde, gerechtfertigt ist, muss eine das Gesamtverhalten des Fremden berücksichtigende Prognosebeurteilung vorgenommen werden. Dabei hat die Behörde im Fall von strafgerichtlichen Verurteilungen gestützt auf das diesem zugrunde liegende Fehlverhalten eine Gefährdungsprognose zutreffen. Die damit erforderliche, auf den konkreten Fall abzustellende individuelle Prognosebeurteilung ist jeweils anhand der Umstände des Einzelfalls vorzunehmen (VwGH 20.10.2016 RA 2016/21/0289). Auch aus einem einmaligen Fehlverhalten - entspechende Gravidität vorausgesetzt - kann eine maßgebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit abgeleitet werden (VwGH 03.07.2018, RA 2018/21/0099).
Nach der gegenwärtigen Rechts- und Rechtsprechungslage ist die Bekämpfung der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung lediglich im Zusammenhang eines Beschwerdeverfahrens gegen die Entscheidung in der Sache möglich. Im Rahmen dieses Beschwerdeverfahrens ist im Zusammenhang mit der Frage der aufschiebenden Wirkung einerseits zu prüfen, ob die vom BFA im Zusammenhang mit § 18 Abs. 1 Z. 2 geübte Ermessensentscheidung innerhalb des gesetzlichen Ermessensspielraums liegt, andererseits ob die in § 18 Abs. 5 genannten Gründe einer Aberkennung der aufschiebenden Wirkung entgegenstehen.
Wie ausgeführt, ist bei der Auslegung der Begriffe "öffentliche Sicherheit und Ordnung" auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu anderen Bestimmungen Bedacht zu nehmen, die ebenso diese Tatbestandsmerkmale umfassen (§ 9 BFA-VG, § 52 FPG). Auf Basis dessen ist eine sachverhaltsbezogene Prognosebeurteilung anhand der Umstände des Einzelfalls vorzunehmen.
Die Umstände der Verurteilung im Oktober 2016 sowie eine weitere Anzeige vom 07.07.2017 samt Einstellung am 14.07.2017 wurden durch das BFA im Wesentlichen vollständig dargestellt. Wenn in der rechtlichen Beurteilung von "diversen Anzeigen" die Rede ist, so ist lediglich eine über die der Verurteilung zugrunde liegende Anzeige hinausgehende Anzeige im Akt ersichtlich. Diese führte zu einer zeitnahen Einstellung ohne weitere Ermittlungsschritte. Ersichtlich ist, dass insbesondere die Verurteilung mit der Problematik der Wohnungsname in Asylunterkünften im Zusammenhang stand, die offensichtlich zwischenzeitlich soweit gelösten werden konnte, dass es zu keinen derartigen Straftaten mehr kam. Der BF ist lediglich zu einer einmonatigen Freiheitsstrafe bedingt verurteilt worden. Seit der Verurteilung sind zweieinhalb Jahre vergangen. Die Äußerung des BF, die zu jener Anzeige führten, die von der StA eingestellt wurde, wurden von der StA offenbar als im Zusammenhang mit der prekären Wohn- und Einkommenslage des BF eingeschätzt und keine Ausführungswahrscheinlichkeit angenommen.
In Anbetracht der einmaligen Straftat, aufgrund der der BF ein gewisses teilweises Strafübel durch eine kurze Vorhaft verspürt hat im Zusammenhalt mit dem weiteren Wohlverhalten ist nach Ansicht dieses Gerichts nicht davon auszugehen, dass schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass der BF eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung darstellt bzw. im gesamten zu betrachtenden Zeitraum seit 2015 bis dato ein Verhalten setzte, das der österreichischen Rechtsordnung im besonderen Maße widerspricht. Der BF führt in der Beschwerde zwar Gründe des § 18 Abs. 5 BFA-VG an, bezog sich dann aber darauf, die Verurteilung und Probezeit habe eine ausreichende Lehre und Abschreckung auf ihn ausgeübt.
Mangels Vorliegens der im § 18 Abs. 1 Z. 2 BFA-VG statuierten Voraussetzungen ist die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung nicht gerechtfertigt, sodass eine Prüfung der Voraussetzungen des § 18 Abs. 5 BFA-VG dahinstehen konnte und in Abänderung der diesbezüglichen Entscheidung der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen war.
Vor dem Hintergrund der zu vergleichbaren Bestimmungen bestehenden Rechtsprechung und der Tatsache, dass Umstände des Einzelfalls abzuägen waren, war die Revision nicht zuzulassen.
Schlagworte
aufschiebende WirkungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W274.2211519.2.00Zuletzt aktualisiert am
15.05.2020