TE Bvwg Erkenntnis 2019/8/19 W174 2160416-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 19.08.2019
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Entscheidungsdatum

19.08.2019

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs4
AsylG 2005 §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55

Spruch

W174 2160417-2/23E

W174 2160416-2/23E

W174 2160415-2/23E

W174 2160418-2/23E

W174 2160414-2/23E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Viktoria MUGLI-MASCHEK, als Einzelrichterin über die Beschwerden 1.) des XXXX , geboren am XXXX , StA. Afghanistan, 2.) der XXXX , geboren am XXXX , StA. Afghanistan, 3.) der XXXX , geboren am XXXX , StA. Afghanistan, 4.) des XXXX , geboren am XXXX , StA. Afghanistan und

5.) des XXXX , geboren am XXXX , StA. Afghanistan, alle vertreten durch RA XXXX , gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.5.2018, jeweils betreffend 1.) Zl. 1090836301/180459423/BMI-BFA_STM_AST_01, 2.) Zl. 1090836900/180459407/BMI-BFA_STM_AST_01, 3.) Zl. 1090837505/180459474/BMI-BFA_STM_AST_01, 4.) Zl. 1090837908/180459466/BMI-BFA_STM_AST_01 und 5.) Zl. 1090838110/180459504/BMI-BFA_STM_AST_01 nach einer mündlichen Verhandlung am 11.7.2019 zu Recht erkannt:

A)

I. Den Beschwerden gegen die Spruchpunkte I., II., IV., V., VI. und VII. der angefochtenen Bescheide wird gemäß § 28 Verwaltungagerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) in Verbindung mit § 9 Abs. 1 Z 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) stattgegeben und diese Spruchpunkte der angefochtenen Bescheide ersatzlos behoben.

II. Den Beschwerden gegen Spruchpunkt III. der angefochtenen Bescheide wird gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 stattgegeben und werden die Aufenthaltsberechtigungen als subsidiär Schutzberechtigte aufgrund der Anträge 1.) des XXXX , 2.) der XXXX , 3.) der XXXX ,

4.) des XXXX und 5.) des XXXX vom 28.2.2018 um zwei weitere Jahre bis zum 28.4.2020 verlängert.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführer sind afghanische Staatsangehörige. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind Ehegatten und die Eltern der minderjährigen Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer. Sie alle reisten gemeinsam nach Österreich ein und stellten am 12.10.2015 Anträge auf internationalen Schutz.

Im Rahmen ihrer Erstbefragungen vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 13.10.2015 und der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Bundesamt) am 24.10.2016 gaben die Beschwerdeführer im Wesentlichen an, aus der Provinz Kunduz zu stammen, der Volksgruppe der Hazara anzugehören und schiitischen Glaubens zu sein. Der Erstbeschwerdeführer habe von 1982 bis 1986 in Kunduz die Grundschule besucht und als Bauhilfsarbeiter gearbeitet. Es gebe zwar weitläufige Verwandte, jedoch wisse er wegen des Krieges nicht, wo sich diese aufhielten. Die Zweitbeschwerdeführerin sei drei Jahre lang von einem Mullah unterrichtet worden und Hausfrau gewesen. Sie habe keine Angehörigen mehr in der Heimat.

2. Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.4.2017, Zahlen 1090836301-151538290, 1090836900-151538311, 090837505-151538354, 1090837908-151538389 und 1090838110-151538427 wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz jeweils bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Z AsylG abgewiesen (Spruchpunkte I.), jeweils der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG (i.V.m.§ 34 Abs. 3 AsylG) zuerkannt (Spruchpunkte II.) und jeweils eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG bis zum 28.4.2018 erteilt (Spruchpunkte III.).

Die Beschwerden gegen die Spruchpunkte I. dieser Bescheide wurden mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 21.2.2018, GZ W249 2160417-1/17E, GZ W249 2160416-1/15E, GZ W249 2160415-1/9E, GZ W249 2160418-1/9E, und W249 2160414-1/9E als unbegründet abgewiesen und die dagegen erhobene außerordentliche Revision mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 3.5.2018, Ra 2018/19/0191 bis 0195-4, zurückgewiesen.

3. Am 28.2.2018 stellten die Beschwerdeführer Anträge auf Verlängerung ihrer Aufenthaltsberechtigungen als subsidiär Schutzberechtigte.

4. Am 5.5.2018 wurden der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin - auch als gesetzliche Vertreter ihrer minderjährigen Kinder - vor dem Bundesamt hierzu niederschriftlich einvernommen. Dabei wurde ihnen seitens der belangten Behörde im Wesentlichen vorgehalten, dass für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes in den Bescheiden vom 28.4.2017 im Wesentlichen die allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan ausschlaggebend gewesen sei. Nach Prüfung der Verlängerungsanträge unter Beiziehung der aktuellen Länderfeststellungen und der zu prüfenden Faktoren, welche zur Gewährung des subsidiären Schutzes geführt hätten und gegen die auch nicht Beschwerde erhoben worden sei, habe festgestellt werden können, dass keine Gründe mehr vorliegen würden, welche gegen eine Rückkehr in den Herkunftsstaat sprechen würden. Auch wenn die Sicherheitslage in ihrer Herkunftsprovinz Kunduz weiterhin prekär sei, könnten die Beschwerdeführer in einer der größeren Provinzen wie Kabul, Balkh und Herat bzw. Daikundi und Bamyan leben.

5. Mit den gegenständlichen, im Spruch genannten, Bescheiden vom 23.5.2018 erkannte das Bundesamt den Beschwerdeführern ihren mit den Bescheiden vom 28.4.2017 zuerkannten Status als subsidiär Schutzberechtigte gemäß § 9 Abs. 1 AsylG von Amts wegen ab (Spruchpunkte I.) und entzog ihnen die mit Bescheiden vom 28.4.2017 erteilten befristeten Aufenthaltsberechtigungen als subsidiär Schutzberechtigte gemäß § 9 Abs. 4 AsylG (Spruchpunkte II.). Die Anträge auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigungen gemäß § 8 Abs. 4 AsylG wurden abgewiesen (Spruchpunkte III.), Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkte IV.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG i.V.m. § 9 BFA-Verfahrensgesetz gegen die Beschwerdeführer Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG erlassen (Spruchpunkte V.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkte VI.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise der Beschwerdeführer 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkte VII.).

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass den Beschwerdeführern der Status von subsidiär Schutzberechtigten mit Bescheiden vom 28.4.2017 aufgrund folgender Faktoren zugesprochen worden seien: "Die allgemeine Situation in Afghanistan ist in Zusammenschau mit den zur Sache zusammengetragenen landeskundlichen Feststellungen für eine alleinstehende Frau ohne Ausbildung gewiss nicht als zufriedenstellend zu bezeichnen. Nachdem sie auch keinen Kontakt mehr zu Ihren Verwandten in Somalia haben, ja Sie durch diese gemäß Ihren Angaben sogar verfolgt wurden, kann nicht davon ausgegangen werden, dass Sie alleine selbsterhaltungsfähig wären."

Weiters wurde festgehalten, der Status eines subsidiär Schutzberechtigten sei unter falschen Aspekten zuerkannt worden. Auch wenn es sich hierbei um einen Fehler der Behörde handle, so hätten die Beschwerdeführer durchaus die Möglichkeit nützen müssen, um gegen diese Entscheidung eine Beschwerde einzubringen. Ebenso wäre es die Pflicht ihrer Rechtsberater gewesen, sie in diesem Punkt zu unterstützen und zu beraten. Trotz Unterstützung durch Rechtsberater sei ein Rechtsmittel gegen diese Entscheidung nicht ergriffen worden und die Beschwerdeführer hätten Ihre Anträge auf Verlängerung darauf bezogen, dass die Gründe nach wie vorgegeben seien. Bei der Einvernahme zur Prüfung der Verlängerungsanträge am 5.5.2018 sei den Beschwerdeführern die Möglichkeit geboten worden, Gründe für den subsidiären Schutz zu nennen, sie hätten solche jedoch nicht geltend gemacht. Sie hätten sich wiederum nur auf die Problematik der Volksgruppe der Hazara / Schiiten bezogen und hierzu angegeben, dass diese schikaniert werden würden und es in Afghanistan für solche Menschen keine Gerechtigkeit gäbe. Dies sei in Ihrem Asylverfahren jedoch bereits geprüft und darüber seitens des Bundesamtes und des Bundesverwaltungsgerichtes entschieden worden.

6. Gegen diese Bescheide richtet sich die mit gemeinsamen Schriftsatz erhobene rechtzeitige Beschwerde, der ein Konvolut von Integrationsunterlagen der Beschwerdeführer angefügt wurde. In der Beschwerde wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass die Voraussetzungen für die weitere Gewährung des subsidiären Schutzes und der damit verbundenen befristeten Aufenthaltsberechtigungen im konkreten Fall der Beschwerdeführer vorliegen würden, dies deswegen, weil sich insbesondere die Umstände für die seinerzeitige Gewährung des subsidiären Schutzes zwischenzeitlich nicht zum Besseren verändert hätten. Hier sei zum einen auf die prekäre Sicherheitslage in Afghanistan hinzuweisen, sowie auf die spezifischen Umstände der Beschwerdeführer selbst. Abgesehen von der Situation von Rückkehrern nach Afghanistan und den damit einhergehenden Schwierigkeiten, sei bezogen auf den konkreten Fall der Beschwerdeführer festzuhalten, dass der Umstand der westlichen Orientierung sowohl der Zweitbeschwerdeführerin als auch - im besonderen Maße im Zusammenhang mit deren weiteren Ausbildungsmöglichkeiten - hinsichtlich der Drittbeschwerdeführerin unzureichend berücksichtigt und die Ermittlungen des Bundesamtes als mangelhaft zu erachten seien. Anzumerken wäre, dass es sich bei der Drittbeschwerdeführerin um eine 14-jährige Afghanin handle und dementsprechend eine Auseinandersetzung mit den Bildungsmöglichkeiten für minderjährige Mädchen in der Heimatprovinz in Afghanistan notwendig gewesen wäre. Laut der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes verletze das Unterbleiben solcher Ermittlungstätigkeit das Recht auf Gleichbehandlung Fremder untereinander. Festzuhalten sei zudem, dass die Zweitbeschwerdeführerin und die Drittbeschwerdeführerin bereits einen westlichen Lebensstil verinnerlicht und in Zusammenschau mit den in der Judikatur erarbeiteten Kriterien alle wesentlichen Anhaltspunkte für eine solche westliche Orientierung persönlich glaubhaft dargelegt hätten. Im vorliegenden Fall sei vom Bundesamt auf die Möglichkeiten der Drittbeschwerdeführerin in Kunduz nicht Bezug genommen worden. Auszugehen sei letztlich auch davon, dass der Erstbeschwerdeführer als Ehemann der Zweitbeschwerdeführerin und Vater der Drittbeschwerdeführerin ebenso entsprechender Gefahr der Verletzung von Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre, da er nicht willens oder aus Sicht der Verfolger auch nicht in der Lage sei, die westlich geprägte Lebensweise seiner Frau und seiner Tochter in Afghanistan zu unterbinden. Es sei davon auszugehen, dass eine westliche Orientierung nicht nur in Bezug auf die Beurteilung von Verfolgung im Sinne der GFK, sondern auch für die Frage nach möglichen Verletzungen der in Art. 3 EMRK verbrieften Rechte von Relevanz sei. Es handle sich bei den Beschwerdeführern eben nicht um relativ bewegliche junge alleinstehende männliche Rückkehrer, sondern um eine Familie mit drei Kindern, davon einer jugendlichen Tochter, die eine Ausbildung in Österreich anstrebe. Die Bewegungsmöglichkeiten und die Möglichkeiten zur Inanspruchnahme einer Fluchtalternative in Afghanistan selbst wären vom Bundesamt in diesem Fall demensprechend als eingeschränkt zu erachten gewesen. Hinzu komme, dass die konkrete Herkunftsprovinz nach wie vor eine der am heftigsten umkämpften in Afghanistan sei. Abschließend wurde hinsichtlich der gesundheitlichen Situation der Zweitbeschwerdeführerin auf die zur Vorlage gebrachten Unterlagen hingewiesen.

Bezüglich ihrer Situation in Österreich wurde vorgebracht, dass die Familie bereits sehr gut integriert sei.

7. Mit Schreiben vom 17.7.2018, 31.7.2018, 10.10.2018, 21.5.2019 und 24.6.2019 wurden dem Bundesverwaltungsgericht weitere medizinische Unterlagen, diverse Integrationsunterlagen sowie Empfehlungsschreiben der Beschwerdeführer übermittelt. Mit Schreiben vom 4.7.2019 folgte eine Stellungnahme der Beschwerdeführer samt einem weiteren Konvolut von Integrationsunterlagen.

8. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 11.7.2019 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari sowie im Beisein der Beschwerdeführer eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, zu der das Bundesamt als Verfahrenspartei entschuldigt nicht erschienen ist.

Dabei erklärten die Beschwerdeführer zunächst wie bisher, aus dem Distrikt Khanabad in der Provinz Kunduz zu stammen, der Volksgruppe der Hazara anzugehören und schiitischen Glaubens zu sein. Bis zu ihrer Ausreise hätten sie immer im Heimatdistrikt gelebt.

Der Erstbeschwerdeführer habe in der Heimat fünf Jahre lang eine Privatschule besucht und sich dann den Beruf des Stuckateurs selbst beigebracht. Er versuche, diesen hier anerkennen zu lassen. Sein Bruder und seine Eltern seien verstorben, sein Vater vor mehr als 30 Jahren, die Mutter vor sieben oder acht Jahren. Ansonsten gebe es nunmehr weitschichtige Verwandte, zum Beispiel einen Cousin dritten Grades. Wegen des Krieges seien alle weggezogen und der Beschwerdeführer kenne deren jetzigen Aufenthaltsort nicht. Onkel oder Tanten gebe es keine mehr.

Die Zweitbeschwerdeführerin habe drei Jahre lang in einer Privatschule lesen und schreiben gelernt und sei Hausfrau gewesen. Ihre Eltern und der jüngere Bruder seien von den Taliban getötet worden, als diese offiziell an der Macht gewesen seien. Weitere Verwandte habe sie nicht.

Weiters erklärten die beiden genannten Beschwerdeführer, sie hätten in der Heimat ein eigenes Grundstück sowie ein eigenes Haus gehabt. Wer dies jetzt bewirtschafte bzw. darin jetzt lebe, wüssten sie nicht. Auch gebe es keine weiteren Kontakte in die Heimat.

In Österreich hätten der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin Deutschkurse besucht, ihre Einvernahmen im Rahmen der mündlichen Verhandlung erfolgten zum Teil in deutscher Sprache. Die Zweitbeschwerdeführerin habe ihren ersten Job in einem Restaurant wegen ihres Rückens aufgeben müssen und sei dann operiert worden. Jetzt arbeite sie 30 Stunden pro Woche bei der Caritas und wolle künftig eine Ausbildung zur Altenpflegerin machen. Sie habe sehr viel Kontakt mit österreichischen Leuten und zahlreiche Freunde, und zwar sowohl österreichische als auch afghanische. Am Wochenende gehe sie mit den Kindern die Freunde besuchen, Schwimmen oder spazieren. Zudem besuche sie dreimal wöchentlich ein Treffcafé, in dem sie nähe und stricke und sich mit den Leuten auf Deutsch unterhalte. In diesem Verein sei sie auch Mitglied. Vergangenes Jahr habe sie einen Schwimmkurs sowie einen Deutschkurs besucht. Zudem wünsche sie sich, dass ihre Kinder eine Ausbildung genießen können und die Tochter Ärztin werde. Der Erstbeschwerdeführer habe 2016 ein Jahr freiwillig in der Gemeinde gearbeitet. Nachdem er subsidiären Schutz erhalten habe, habe er die Tätigkeit bei einer Baufirma begonnen, für die er jetzt noch tätig sei. Die Familie habe viele Freunde, der Erstbeschwerdeführer sei Mitglied in einem Fitnesscenter und besuche am Abend einen Deutschkurs. Die Drittbeschwerdeführerin wolle nach ihrem Schulabschluss Medizin studieren und habe gemeinsam mit ihrer Mutter einen Schwimmkurs besucht. In Österreich könne sie wie die anderen Mädchen alles anziehen und für sich selbst entscheiden. Es gebe sehr große Unterschiede zu ihrem Leben in Afghanistan.

Vorgelegt wurden aktuelle Lohnabrechnungen für den Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin, Deutschkurszertifikate sowie Schulbesuchsbestätigungen und Zeugnisse der Kinder.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung wurden weiters zwei Vertrauenspersonen zur Integration der Beschwerdeführer in Österreich befragt.

9. Mit Schreiben vom 12.7.2019 nahmen die Beschwerdeführer zu den im Rahmen der mündlichen Verhandlung ausgehändigten Länderinformationen Stellung.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Das Bundesverwaltungsgericht geht aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens von folgendem, für die Entscheidung maßgeblichem Sachverhalt aus:

1.1. Zur Person der Beschwerdeführer:

Die Beschwerdeführer sind afghanische Staatsangehörige. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind Ehegatten und die Eltern der minderjährigen Dritt-beschwerdeführerin sowie der gleichfalls noch minderjährigen Viert- und Fünftbeschwerdeführer.

Die Beschwerdeführer stammen aus Kunduz, gehören der Volksgruppe der Hazara an und sind schiitischen Glaubens.

Der Erstbeschwerdeführer besuchte in Afghanistan fünf Jahre lang eine private Schule und übte dann den Beruf des Stuckateurs aus. Er ist gesund. Die Zweitbeschwerdeführerin verfügt über eine dreijährige heimatliche (private) Schulbildung und war Hausfrau. Im Bundesgebiet wurde sie wegen Lumbalgie, PTBS sowie einer rezidivierenden depressiven Störung behandelt.

Die Familie verfügt nach wie vor über keinerlei soziales Netz in der Heimat mehr und war bis zu ihrer Ausreise in Afghanistan stets nur in der Heimatprovinz aufhältig.

Im Falle der Beschwerdeführer ist es seit den Bescheiden vom 28.4.2017, mit denen ihnen der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, zu keinem nachhaltigen maßgeblichen Wegfall der für diesen Status notwendigen maßgeblichen Gründe gekommen.

Nunmehr ist die Zweitbeschwerdeführerin eine am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild orientierte afghanische Frau, die das streng konservativ-afghanische Frauenbild und die konservativ-afghanische Tradition ablehnt, demgegenüber bereits stark westliche Werte verinnerlicht hat und - aus Überzeugung und in Abkehr zu der konservativ-afghanischen Tradition - auch danach lebt. Dies gilt auch für die Drittbeschwerdeführerin, bei der es sich zudem um eine bald sechzehnjährige Jugendliche handelt, die in der Ausbildung zum Berufsleben steht. Wie den Länderberichten und den aktuellen UNHCR-Richtlinien vom 30.8.2018 zu entnehmen ist, ist das hohe Maß an Unsicherheit in Afghanistan ein großes Hindernis beim Zugang zu Bildung, insbesondere für Mädchen. Weiterhin liegt die Anzahl der Mädchen, die die Schule besuchen, deutlich unter der für Jungen. Regierungsfeindliche Kräfte führen Berichten zufolge außerdem weiterhin gezielte Angriffe auf Schulen, Lehrer und Schüler aus, insbesondere im Zusammenhang mit Bildung für Mädchen.

Die westliche Lebensweise spielt mittlerweile für die Zweitbeschwerdeführerin und die Drittbeschwerdeführerin eine große Rolle und ist zu einem solch wesentlichen Bestandteil ihrer Identität geworden, dass von ihnen nicht erwartet werden kann, dieses Verhalten im Heimatland zu unterdrücken, um einer drohenden Verfolgung wegen Nichtbeachtung der herrschenden politischen und/oder religiösen Normen zu entgehen.

Bei den Viert- und Fünftbeschwerdeführern handelt es sich um unmündige Minderjährige, die im Familienverband mit ihren Eltern leben und weder über eigenes Vermögen noch über eine eigene Möglichkeit der Existenzsicherung verfügen. In Afghanistan besteht eine hohe Zahl an minderjährigen zivilen Opfern. Auch bestünde für die minderjährigen Beschwerdeführer die Gefahr, dass sie Kinderarbeit leisten müssen, falls der Erstbeschwerdeführer zu wenig verdienen würde, um die gesamte Familie zu erhalten, zumal für die Zweitbeschwerdeführerin wegen der Situation von Frauen in Afghanistan eine Arbeitsaufnahme zumindest erschwert, wenn nicht verunmöglicht ist. In Anbetracht der festgestellten individuellen und familiären Situation der Beschwerdeführer und der besonderen Schutzbedürftigkeit von minderjährigen Kindern war seitens des Bundesverwaltungsgerichtes im Lichte einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, der hohen Zahl an minderjährigen Opfern auch in zentralen Regionen und Städten, der dadurch eingeschränkten Bewegungsfreiheit der minderjährigen Beschwerdeführer sowie der schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für ihre erforderliche Versorgung und des erschwerten Zugangs zu Bildung im gesamten Herkunftsstaat festzustellen, dass auch die Viert- und Fünftbeschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan einem realen Risiko ausgesetzt wären, in eine existenzbedrohende (Not-)Lage zu geraten.

1.2. Zur Lage im Herkunftsland:

Das Bundesverwaltungsgericht trifft folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat (Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Stand 4.6.2019):

KI vom 4.6.2019, politische Ereignisse, zivile Opfer, Anschläge in Kabul, IOM

Politische Ereignisse: Friedensgespräche. Loya Jirga, Ergebnisse Parlamentswahl Ende Mai 2019 fand in Moskau die zweite Runde der Friedensgespräche zwischen den Taliban und afghanischen Politikern (nicht der Regierung. Anm.) statt. Bei dem Treffen äußerte ein Mitglied der Taliban. Amir Khan Muttaqi, den Wunsch der Gruppierung nach Einheit der afghanischen Bevölkerung und nach einer "inklusiven" zukünftigen Regierung. Des Weiteren behauptete Muttaqi. die Taliban würden die Frauenrechte respektieren wollen. Ein ehemaliges Mitglied des afghanischen Parlaments. Fawzia Koofi, äußerte dennoch ihre Bedenken und behauptete. die Taliban hätten kein Interesse daran. Teil der aktuellen Regierung zu sein. und dass die Gruppierung weiterhin für ein islamisches Emirat stünde. (Tolonews 31.5.2019a).

Vom 29.4.2019 bis 3.5.2019 tagte in Kabul die "große Ratsversammlung" (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel. einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den inner-afghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 6.5.2019 bis 4.6.2019 an. betonte aber dennoch. dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 6.5.2019). Einer weiteren Quelle zufolge wurden die kritischen Äußerungen zahlreicher Jirga-Teilnehmer zu den nächtlichen Militäroperationen der USA nicht in den Endbericht aufgenommen. um die Beziehungen zwischen den beiden Staaten nicht zu gefährden. Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil. was wahrscheinlich u.a. mit dem gescheiterten Dialogtreffen. das für Mitte April 2019 in Katar geplant war. zusammenhängt. Dort wäre die Regierung zum ersten Mal an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen. Nachdem erstere jedoch ihre Teilnahme an die Bedingung geknüpft hatte, 250 Repräsentanten nach Doha zu entsenden und die Taliban mit Spott darauf reagierten, nahm letztendlich kein Regierungsmitarbeiter an der Veranstaltung teil. So fanden Gespräche zwischen den Taliban und Exil-Afghanen statt, bei denen viele dieser das Verhalten der Regierung öffentlich kritisierten (Heise 16.5.2019).

Anfang Mai 2019 fand in Katar auch die sechste Gesprächsrunde zwischen den Taliban und den USA statt. Der Sprecher der Taliban in Doha, Mohammad Sohail Shaheen, betonte, dass weiterhin Hoffnung hinsichtlich der inner-afghanischen Gespräche bestünde. Auch konnten sich der Quelle zufolge die Teilnehmer zwar bezüglich einiger Punkte einigen, dennoch müssten andere "wichtige Dinge" noch behandelt werden (Heise 16.5.2019).

Am 14.5.2019 hat die unabhängige Wahlkommission (Independent Electoral Commission, IEC) die Wahlergebnisse der Provinz Kabul für das afghanische Unterhaus (Wolesi Jirga) veröffentlicht (AAN 17.5.2019; vgl. IEC 14.5.2019, IEC 15.5.2019). Somit wurde nach fast sieben Monaten (die Parlamentswahlen fanden am 20.10.2018 und 21.10.2018 statt) die Stimmenauszählung für 33 der 34 Provinzen vervollständigt. In der Provinz Ghazni soll die Wahl zusammen mit den Präsidentschafts- und Provinzialratswahlen am 28.9.2019 stattfinden. In seiner Ansprache zur Angelobung der Parlamentsmitglieder der Provinzen Kabul und Paktya am 15.5.2019 bezeichnete Ghani die siebenmonatige Wahl als "Katastrophe" und die beiden Wahlkommissionen, die IEC und die Electoral Complaints Commission (ECC), als "ineffizient" (AAN 17.5.2019).

Zivile-Opfer, UNAMA-Bericht

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im ersten Quartal 2019 (1.1.2019 - 31.3.2019) 1.773 zivile Opfer (581 Tote und 1.192 Verletzte), darunter waren 582 der Opfer Kinder (150 Tote und 432 Verletzte). Dies entspricht einem Rückgang der gesamten Opferzahl um 23% gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres, welches somit der niedrigste Wert für das erste Jahresquartal seit 2013 ist (UNAMA 24.4.2019).

Diese Verringerung wurde durch einen Rückgang der Zahl ziviler Opfer von Selbstmordanschlägen mit IED (Improvised Explosive Devices - unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung/Sprengfallen) verursacht. Der Quelle zufolge könnten die besonders harten Winterverhältnisse in den ersten drei Monaten des Jahres 2019 zu diesem Trend beigetragen haben. Es ist unklar, ob der Rückgang der zivilen Opfer wegen Maßnahmen der

Konfliktparteien zur Verbesserung des Schutzes der Zivilbevölkerung oder durch die laufenden Gespräche zwischen den Konfliktparteien beeinflusst wurde (UNAMA 24.4.2019). Die Zahl der zivilen Opfer aufgrund von Nicht-Selbstmord-Anschlägen mit IEDs durch regierungsfeindliche Gruppierungen und Luft- sowie Suchoperationen durch regierungsfreundliche Gruppierungen ist gestiegen. Die Zahl der getöteten Zivilisten, die regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben wurden, übertraf im ersten Quartal 2019 die zivilen Todesfälle, welche von regierungsfeindlichen Elementen verursacht wurden (UNAMA 24.4.2019).

Kampfhandlungen am Boden waren die Hauptursache ziviler Opfer und machten etwa ein Drittel der Gesamtzahl aus. Der Einsatz von IEDs war die zweithäufigste Ursache für zivile Opfer: Im Gegensatz zu den Trends von 2017 und 2018 wurde die Mehrheit der zivilen Opfer von IEDs nicht durch Selbstmordanschläge verursacht, sondern durch Angriffe, bei denen der Angreifer nicht seinen eigenen Tod herbeiführen wollte. Luftangriffe waren die Hauptursache für zivile Todesfälle und die dritthäufigste Ursache für zivile Opfer (Verletzte werden auch mitgezählt, Anm.), gefolgt von gezielten Morden und explosiven Kampfmittelrückständen (UXO - unexploded ordnance). Am stärksten betroffen waren Zivilisten in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kunduz (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 24.4.2019).

Anschläge in Kabul-Stadt

Ende Mai 2019 fanden in Kabul-Stadt einige Anschläge und gezielte Tötungen in kurzen Abständen zu einander statt: Am 26.5.2019 wurde ein leitender Mitarbeiter einer NGO in Kart-e Naw (PD5, Police District 5) durch unbekannte bewaffnete Männer erschossen (Tolonews 27.5.2019a). Am 27.5.2019 wurden nach der Explosion einer Magnetbombe, die gegen einen Bus von Mitarbeitern des Ministeriums für Hadsch und religiöse Angelegenheiten gerichtet war, zehn Menschen verletzt. Die Explosion fand in Parwana-e Do (PD2) statt. Zum Vorfall hat sich keine Gruppierung bekannt (Tolonews 27.5.2019b).

Des Weiteren wurden im Laufe der letzten zwei Maiwochen vier Kontrollpunkte der afghanischen Sicherheitskräfte durch unbekannte bewaffnete Männer angegriffen (Tolonews 31.5.2019b).

Am 30.5.2019 wurden in Folge eines Selbstmordangriffes nahe der Militärakademie Marshal Fahim im Stadtteil Char Rahi Qambar (PD5) sechs Personen getötet und 16 Personen, darunter vier Zivilisten, verletzt. Die Explosion erfolgte, während die Kadetten die Universität verließen (1 TV NEWS 30.5.2019). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zu dem Anschlag (AJ 30.5.2019).

Am 31.5.2019 wurden sechs Personen, darunter vier Zivilisten, getötet und fünf Personen, darunter vier Mitglieder der US-Sicherheitskräfte, verletzt, nachdem ein mit Sprengstoff beladenes Auto in Qala-e Wazir (PD9) detonierte. Quellen zufolge war das ursprüngliche Ziel des Angriffs ein Konvoi ausländischer Sicherheitskräfte (Tolonews 31.5.2019c).

Am 2.6.2019 kam nach der Detonation von mehreren Bomben eine Person ums Leben und 17 weitere wurden verletzt. Die Angriffe fanden im Westen der Stadt statt, und einer davon wurde von einer Klebebombe, die an einem Bus befestigt war, verursacht. Einer Quelle zufolge transportierte der Bus Studenten der Kabul Polytechnic University (TW 2.6.2019). Der IS bekannte sich zu den Anschlägen und beanspruchte den Tod von "mehr als 30 Schiiten und Mitgliedern der afghanischen Sicherheitskräfte" für sich. Die Operation erfolgte in zwei Phasen: Zuerst wurde ein Bus, der 25 Schiiten transportierte, angegriffen, und darauf folgend detonierten zwei weitere Bomben, als sich "Sicherheitselemente" um den Bus herum versammelten. Vertreter des IS haben u.a. in Afghanistan bewusst und wiederholt schiitische Zivilisten ins Visier genommen und sie als "Polytheisten" bezeichnet. (LWJ 2.6.2019).

Am 3.6.2019 kamen nach einer Explosion auf der Darul Aman Road in der Nähe der American University of Afghanistan fünf Menschen ums Leben und zehn weitere wurden verletzt. Der Anschlag richtete sich gegen einen Bus mit Mitarbeitern der Independent Administrative Reform and Civil Service Commission (Tolonews 3.6.2019)

US-Angaben zufolge ist die Zahl der IS-Anhänger in Afghanistan auf ca. 5.000 gestiegen, fünfmal so viel wie vor einem Jahr. Gemäß einer Quelle profitiert die Gruppierung vom "zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan und von aus Syrien geflohenen Kämpfern". Des Weiteren schließen sich enttäuschte Mitglieder der Taliban sowie junge Menschen ohne Zukunftsperspektive dem IS an, der in Kabul, Nangarhar und Kunar über Zellen verfügt (BAMF 3.6.2019). US-Angaben zufolge ist es "sehr wahrscheinlich", dass kleinere IS-Zellen auch in Teilen Afghanistans operieren, die unter der Kontrolle der Regierung oder der Taliban stehen (VOA 21.5.2019). Eine russische Quelle berichtet wiederum, dass ca. 5.000 IS-Kämpfer entlang der Nordgrenze tätig sind und die Nachbarländer bedrohen. Der Quelle zufolge handelt es sich dabei um Staatsbürger der ehemaligen sowjetischen Republiken, die mit dem IS in Syrien gekämpft haben (Newsweek 21.5.2019).

Rückkehr

Die International Organization for Migration (IOM) gewährt seit April 2019 keine temporäre Unterkunft für zwangsrückgeführte Afghanen mehr. Diese erhalten eine Barzuwendung von ca. 150 Euro sowie Informationen über mögliche Unterkunftsmöglichkeiten. Gemäß dem Europäischen Auswärtigen Amt (EAD) nutzten nur wenige Rückkehrer die Unterbringungsmöglichkeiten von IOM (BAMF 20.5.2019).

KI vom 19.10.2018, Aktualisierung: Sicherheitslage in Afghanistan - Q3.2018

Allgemeine Sicherheitslage und sicherheitsrelevante Vorfälle

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil (UNGASC 10.9.2018). Am 19.8.2018 kündigte der afghanische Präsident Ashraf Ghani einen dreimonatigen Waffenstillstand mit den Taliban vom 20.8.2018 bis 19.11.2018 an, der von diesen jedoch nicht angenommen wurde (UNGASC 10.9.2018; vgl. Tolonews 19.8.2018, TG 19.8.2018, AJ 19.8.2018). Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum (15.5.2018 - 15.8.2018) 5.800 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 10% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 14% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (61%) aus. Selbstmordanschläge nahmen um 38% zu, Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Kräfte stiegen um 46%. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten, wo insgesamt 67% der Vorfälle stattfanden. Es gibt weiterhin Bedenken bezüglich sich verschlechternder Sicherheitsbedingungen im Norden des Landes:

Eine große Zahl von Kampfhandlungen am Boden wurde in den Provinzen Balkh, Faryab und Jawzjan registriert, und Vorfälle entlang der Ring Road beeinträchtigten die Bewegungsfreiheit zwischen den Hauptstädten der drei Provinzen (UNGASC 10.9.2018).

Zum ersten Mal seit 2016 wurden wieder Provinzhauptädte von den Taliban angegriffen: Farah- Stadt im Mai, Ghazni-Stadt im August und Sar-e Pul im September (UNGASC 10.9.2018; vgl. Kapitel 1., KI 11.9.2018, SIGAR 30.7.2018, UNGASC 6.6.2018). Bei den Angriffen kam es zu heftigen Kämpfen, aber die afghanischen Sicherheitskräfte konnten u.a. durch Unterstützung der internationalen Kräfte die Oberhand gewinnen (UNGASC 10.9.2018; vgl. UNGASC 6.6.2018, GT 12.9.2018). Auch verübten die Taliban Angriffe in den Provinzen Baghlan, Logar und Zabul (UNGASC 10.9.2018). Im Laufe verschiedener Kampfoperationen wurden sowohl Taliban- als auch ISKP-Kämpfer (ISKP, Islamic State Khorasan Province, Anm.) getötet (SIGAR 30.7.2018).

Sowohl die Aufständischen als auch die afghanischen Sicherheitskräfte verzeichneten hohe Verluste, wobei die Zahl der Opfer auf Seite der ANDSF im August und September 2018 deutlich gestiegen ist (Tolonews 23.9.2018; vgl. NYT 21.9.2018, ANSA 13.8.2018, CBS 14.8.2018).

Trotzdem gab es bei der Kontrolle des Territoriums durch Regierung oder Taliban keine signifikante Veränderung (UNGASC 10.9.2018; vgl. UNGASC 6.6.2018). Die Regierung kontrollierte - laut Angaben der Resolute Support (RS) Mission - mit Stand 15.5.2018 56,3% der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 (57%) bedeutet. 30% der Distrikte waren umkämpft und 14% befanden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 67% der Bevölkerung lebten in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befanden, 12% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 23% lebten in umkämpften Gebieten (SIGAR 30.7.2018).

Der Islamische Staat - Provinz Khorasan (ISKP) ist weiterhin in den Provinzen Nangarhar, Kunar und Jawzjan aktiv (USGASC 6.6.2018; vgl. UNGASC 10.9.2018). Auch war die terroristische Gruppierung im August und im September für öffentlichkeitswirksame Angriffe auf die schiitische Glaubensgemeinschaft in Kabul und Paktia verantwortlich (UNGASC 10.9.2018; vgl. KI vom 11.9.2018, KI vom 22.8.2018). Anfang August besiegten die Taliban den in den Distrikten Qush Tepa und Darzab (Provinz Jawzjan) aktiven "selbsternannten" ISKP (dessen Verbindung mit dem ISKP in Nangarhar nicht bewiesen sein soll) und wurden zur dominanten Macht in diesen beiden Distrikten (AAN 4.8.2018; vgl. UNGASC 10.9.2018).

Global Incident Map zufolge wurden im Berichtszeitraum (1.5.2018 - 30.9.2018) 1.969 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.

Zivile Opfer

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 30.6.2018) 5.122 zivile Opfer (1.692 Tote und 3.430 Verletzte), ein Rückgang von 3% gegenüber dem Vorjahreswert. 45% der zivilen Opfer wurden durch IED [Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen, aber auch Selbstmordanschläge, Anm.] regierungsfeindlicher Gruppierungen verursacht. Zusammenstöße am Boden, gezielte Tötungen, Luftangriffe und explosive Kampfmittelrückstände waren weitere Ursachen für zivile Opfer. Zivilisten in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Faryab, Helmand und Kandahar waren am stärksten betroffen. Wobei die Zahl der durch Zusammenstöße am Boden verursachten zivilen Opfer um 18% und die Zahl der gezielten Tötungen deutlich zurückging. Jedoch ist die Opferzahl bei komplexen und Selbstmordangriffen durch regierungsfeindliche Gruppierungen gestiegen (um 22% verglichen mit 2017), wobei 52% der Opfer dem ISKP, 40% den Taliban und der Rest anderen regierungsfeindlichen Gruppierungen zuzuschreiben ist (UNAMA 15.7.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen waren im UNAMA-Berichtszeitraum (1.1.2018 - 30.6.2018) für 3.413 (1.127 Tote und 2.286 Verletzte) zivile Opfer verantwortlich (67%): 42% der Opfer wurden den Taliban, 18% dem IS und 7% undefinierten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben. Im Vergleich mit dem ersten Halbjahr 2017 stieg die Anzahl ziviler Opfer von gezielten Angriffen auf Zivilisten um 28%, was hauptsächlich auf Angriffe auf die öffentliche Verwaltung und Vorfälle mit Bezug auf die Wahlen zurückzuführen ist (UNAMA 15.7.2018).

Ungefähr 1.047 (20%) der verzeichneten zivilen Opfer wurden regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben: 17% wurden von den afghanischen Sicherheitskräften, 2% durch die internationalen Streitkräfte und 1% von regierungsfreundlichen bewaffneten Gruppierungen verursacht. Gegenüber 2017 sank die den regierungstreuen Gruppen zugerechnete Zahl ziviler Opfer von Zusammenstößen am Boden um 21%. Gleichzeitig kam es jedoch zu einem Anstieg der Opfer von Luftangriffen um 52% (Kunduz, Kapisa und Maidan Wardak) (UNAMA 15.7.2018; vgl. UNAMA 25.9.2018a, UNAMA 25.9.2018b).

Auch wurden von UNAMA zivile Opfer durch Fahndungsaktionen, hauptsächlich durch die Spezialkräfte des National Directorate of Security (NDS) und regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen wie die Khost Protection Force (KPF) verzeichnet (UNAMA 15.7.2018).

Dennoch unternahm die afghanische Regierung weiterhin Anstrengungen zur Reduzierung der Zahl ziviler Opfer, was hauptsächlich während Bodenoperationen einen diesbezüglichen Rückgang zur Folge hatte. Die Regierung verfolgt eine "nationale Politik für zivile Schadensminimierung und -prävention" und das Protokoll V der "Konvention über bestimmte konventionelle Waffen in Bezug auf explosive Kriegsmunitionsrückstände", welche am 9.2.2018 in Kraft getreten ist. Bei Bodenoperationen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich Taliban) wurde ein Rückgang der zivilen Opfer um 23% im Vergleich zu 2017 verzeichnet. So sank etwa die Zahl der zivilen Opfer der hauptsächlich von den Taliban eingesetzten Druckplatten-IEDs um 43% (UNAMA 15.7.2018).

Wahlen

Zwischen 14.04.2018 und 27.7.2018 fand die Wählerregistrierung für die Parlaments- sowie Distriktwahlen statt. Offiziellen Angaben zufolge haben sich im genannten Zeitraum 9,5 Millionen Wähler registriert, davon 34% Frauen (UNGASC 10.9.2018). Die Registrierung der Kandidaten für die Parlaments- sowie Distriktwahlen endete am 12.6.2018 bzw. 14.6.2018 und die Kandidatenliste für die Parlamentswahlen wurde am 2.7.2018 veröffentlicht (UNGASC 10.9.2018). Am 25.9.2018 wurde vom Sprecher der Independent Electoral Commission (IEC) verkündet, dass die landesweiten Distriktwahlen sowie die Parlamentswahlen in der Provinz Ghazni am 20.10.2018 nicht stattfinden werden (im Rest des Landes hingegen schon). Begründet wurde dies mit der niedrigen Anzahl registrierter Kandidaten für die Distriktwahlen (nur in 40 von 387 Distrikten wurden Kandidaten gestellt) sowie mit der "ernst zu nehmenden Sicherheitslage und anderen Problematiken". Damit wurden beide Wahlen (Distriktwahlen landesweit und Parlamentswahlen in Ghazni) de facto für 2018 abgesagt. Obwohl noch nicht feststeht, wann diese nachgeholt werden sollen, ist der 20.4.2019, an dem u.a. die Präsidentschafts- sowie Provinzwahlen stattfinden sollen, als neuer Termin wahrscheinlich (AAN 26.9.2018). Die Registrierung der Kandidaten für die Präsidentschaftswahl ist für den Zeitraum 11.11.2018 - 25.11.2018 vorgesehen; die vorläufige Kandidatenliste soll am 10.12.2018 bereitstehen, während die endgültige Aufstellung am 16.1.2019 veröffentlicht werden soll (AAN 9.10.2018). Ohne die Provinz Ghazni sank die Zahl der registrierten Wähler mit Stand Oktober 2018 auf ungefähr 8.8 Millionen (AAN 9.10.2018; vgl. IEC o. D.). Die Verkündung der ersten Wahlergebnisse für die Parlamentswahlen (ohne Provinz Ghazni) ist für den 10.11.2018 vorgesehen, während das Endergebnis voraussichtlich am 20.12.2018 veröffentlicht werden soll (AAN 9.10.2018).

Im April und Oktober 2018 erklärten die Taliban in zwei Stellungnahmen, dass sie die Wahl boykottieren würden (AAN 9.10.2018). Angriffe auf mit der Ausstellung von Tazkiras sowie mit der Wahlregistrierung betraute Behörden wurden berichtet. Sowohl am Wahlprozess beteiligtes Personal als auch Kandidaten und deren Unterstützer wurden von regierungsfeindlichen Gruppierungen angegriffen. Zwischen 1.1.2018 und 30.6.2018 wurden 341 zivile Opfer (117 Tote und 224 Verletzte) mit Bezug auf die Wahlen verzeichnet, wobei mehr als 250 dieser Opfer den Anschlägen Ende April und Anfang Mai in Kabul und Khost zuzuschreiben sind. Auch wurden während des Wahlregistrierungsprozesses vermehrt Schulen, in denen Zentren zur Wahlregistrierung eingerichtet worden waren, angegriffen (39 Angriffe zwischen April und Juni 2018), was negative Auswirkungen auf die Bildungsmöglichkeiten von Kindern hatte (UNAMA 15.7.2018). Seit dem Beginn der Wählerregistrierung Mitte April 2018 wurden neun Kandidaten ermordet (AAN 9.10.2018).

Von den insgesamt 7.366 Wahllokalen werden aus Sicherheitsgründen letztendlich am Tag der Wahl 5.100 geöffnet sein (AAN 9.10.2018; vgl. UNAMA 17.9.2018, Tolonews 29.9.2018). Diese sollen während der fünf Tage vor der Wahl von 54.776 Mitgliedern der Afghan National Security Forces (ANSF) bewacht werden; 9.540 weitere stehen als Reserven zur Verfügung (Tolonews 29.9.2018; vgl. AAN 9.10.2018).

Sicherheitslage

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.2.2018).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.).

Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt 23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan (UNGASC 27.2.2018); für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712 (UNGASC 9.3.2017). Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevanter Vorfälle registriert (UNGASC 15.3.2016).

Im Jahr 2017 waren auch weiterhin bewaffnete Zusammenstöße Hauptursache (63%) aller registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und Luftangriffen. Für das gesamte Jahr 2017 wurden 14.998 bewaffnete Zusammenstöße registriert (2016: 14.977 bewaffnete Zusammenstöße) (USDOD 12.2017). Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen (UNGASC 10.8.2017).

Die Zahl der Luftangriffe hat sich im Vergleich zum Jahr 2016 um 67% erhöht, die gezielter Tötungen um 6%. Ferner hat sich die Zahl der Selbstmordattentate um 50% erhöht.Östlichen Regionen hatten die höchste Anzahl an Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von südlichen Regionen. Diese beiden Regionen zusammen waren von 55% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle betroffen (UNGASC 27.2.2018). Für den Berichtszeitraum 15.12.2017 - 15.2.2018 kann im Vergleich zum selben Berichtszeitraum des Jahres 2016, ein Rückgang (-6%) an sicherheitsrelevanten Vorfällen verzeichnet werden (UNGASC 27.2.2018).

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vgl. AAN 6.6.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vgl. UNGASC 27.2.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.2.2018).

Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen (UNGASC 27.2.2018). Historisch gesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder. Der Rückgang der Vorfälle im letzten Quartal 2017 war also im Einklang mit vorangegangenen Schemata (LIGM 15.2.2018).

Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (USDOD 12.2017; vgl. SBS 28.2.2018, NZZ 21.3.2018, UNGASC 27.2.2018). Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (BBC 21.3.2018).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht (USDOD 12.2017). In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt (AJ 24.2.2018; vgl. Slate 22.4.2018). Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden (BBC 21.3.2018); auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (WSJ 21.3.2018).

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (TG 29.1.2018; vgl. BBC 29.1.2018); auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (AP 30.1.2018).

Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zusammenstöße zwischen diesen und den Taliban finden weiterhin statt (AJ 22.5.2018; AD 20.5.2018).

Registriert wurde auch eine Steigerung öffentlichkeitswirksamer gewalttätiger Vorfälle (UNGASC 27.2.2018), von denen zur Veranschaulichung hier auszugsweise einige Beispiele wiedergegeben werden sollen (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste enthält öffentlichkeitswirksame (high-profile) Vorfälle sowie Angriffe bzw. Anschläge auf hochrangige Ziele und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit).

• Selbstmordanschlag vor dem Ministerium für ländliche Rehabilitation und Entwicklung (MRRD) in Kabul: Am 11.6.2018 wurden bei einem Selbstmordanschlag vor dem Eingangstor des MRRD zwölf Menschen getötet und 30 weitere verletzt. Quellen zufolge waren Frauen, Kinder und Mitarbeiter des Ministeriums unter den Opfern (AJ 11.6.2018). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (Reuters 11.6.2018; Gandhara 11.6.2018).

• Angriff auf das afghanische Innenministerium (MoI) in Kabul: Am 30.5.2018 griffen bewaffnete Männer den Sitz des MoI in Kabul an, nachdem vor dem Eingangstor des Gebäudes ein mit Sprengstoff geladenes Fahrzeug explodiert war. Bei dem Vorfall kam ein Polizist ums Leben. Die Angreifer konnten nach einem zweistündigen Gefecht von den Sicherheitskräften getötet werden. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (CNN 30.5.2018; vgl. Gandhara 30.5.2018)

• Angriff auf Polizeistützpunkte in Ghazni: Bei Taliban-Anschlägen auf verschiedene Polizeistützpunkte in der afghanischen Provinz Ghazni am 21.5.2018 kamen mindestens 14 Polizisten ums Leben (AJ 22.5.2018).

• Angriff auf Regierungsbüro in Jalalabad: Nach einem Angriff auf die Finanzbehörde der Provinz Nangarhar in Jalalabad kamen am 13.5.2018 mindestens zehn Personen, darunter auch Zivilisten, ums Leben und 40 weitere wurden verletzt (Pajhwok 13.5.2018; vgl. Tolonews 13.5.2018). Die Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (AJ 13.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich der Islamische Staat (IS) zum Angriff (AJ 13.5.2018).

• Angriff auf Polizeireviere in Kabul: Am 9.5.2018 griffen bewaffnete Männer jeweils ein Polizeirevier in Dasht-e-Barchi und Shar-i-Naw an und verursachten den Tod von zwei Polizisten und verwundeten sechs Zivilisten. Auch wurden Quellen zufolge zwei Attentäter von den Sicherheitskräften getötet (Pajhwok 9.5.2018). Der IS bekannte sich zum Angriff (Pajhwok 9.5.2018; vgl. Tolonews 9.5.2018).

• Selbstmordangriff in Kandahar: Bei einem Selbstmordanschlag auf einen Konvoi der NATO-Truppen in Haji Abdullah Khan im Distrikt Daman der Provinz Kandahar sind am 30.4.2018 elf Kinder ums Leben gekommen und 16 weitere Menschen verletzt worden; unter den Verletzten befanden sich u.a. rumänische Soldaten (Tolonews 30.4.2018b; vgl. APN 30.4.2018b, Focus 30.4.2018, IM 30.4.2018). Weder der IS noch die Taliban reklamierten den Anschlag für sich (Spiegel 30.4.2018; vgl. Tolonews 30.4.2018b).

• Doppelanschlag in Kabul: Am 30.4.2018 fand im Bezirk Shash Derak in der Hauptstadt Kabul ein Doppelanschlag statt, bei dem Selbstmordattentäter zwei Explosionen verübten (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Die erste Detonation erfolgte in der Nähe des Sitzes des afghanischen Geheimdienstes (NDS) und wurde von einem Selbstmordattentäter auf einem Motorrad verübt; dabei wurden zwischen drei und fünf Menschen getötet und zwischen sechs und elf weitere verletzt (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b); Quellen zufolge handelte es sich dabei um Zivilisten (Focus 30.4.2018). Die zweite Detonation ging von einem weiteren Selbstmordattentäter aus, der sich, als Reporter getarnt, unter die am Anschlagsort versammelten Journalisten, Sanitäter und Polizisten gemischt hatte (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b, Pajhwok 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Dabei kamen u.a. zehn Journalisten ums Leben, die bei afghanischen sowie internationalen Medien tätig waren (TI 1.5.2018; vgl. AJ 30.4.2018, APN 30.4.2018a,). Bei den beiden Anschlägen sind Quellen zufolge zwischen 25 und 29 Personen ums Leben gekommen und 49 verletzt worden (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a, DZ 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Der IS bekannte sich zu beiden Angriffen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Quellen zufolge sind Geheimdienstmitarbeiter das Ziel des Angriffes gewesen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a).

• Angriff auf die Marshal Fahim Militärakademie: Am 29.1.2018 attackierten fünf bewaffnete Angreifer einen militärischen Außenposten in der Nähe der Marshal Fahim Militärakademie (auch bekannt als Verteidigungsakademie), die in einem westlichen Außendistrikt der Hauptstadt liegt. Bei dem Vorfall wurden mindestens elf Soldaten getötet und 15 weitere verletzt, bevor die vier Angreifer getötet und ein weiterer gefasst werden konnten. Der IS bekannte sich zu dem Vorfall (Reuters 29.1.2018; vgl. NYT 28.1.2018).

• Bombenangriff mit einem Fahrzeug in Kabul: Am 27.1.2018 tötete ein Selbstmordattentäter der Taliban mehr als 100 Menschen und verletzte mindestens 235 weitere (Reuters 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018). Eine Bombe - versteckt in einem Rettungswagen - detonierte in einem schwer gesicherten Bereich der afghanischen Hauptstadt (TG 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018) - dem sogenannten Regierungs- und Diplomatenviertel (Reuters 27.1.2018).

• Angriff auf eine internationale Organisation (Save the Children - SCI) in Jalalabad: Am 24.1.2018 brachte ein Selbstmordattentäter ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug am Gelände der Nichtregierungsorganisation (NGO) Save The Children in der Provinzhauptstadt Jalalabad zur Explosion. Mindestens zwei Menschen wurden getötet und zwölf weitere verletzt; der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 24.1.2018; vgl. Reuters 24.1.2018, TG 24.1.2018).

• Angriff auf das Hotel Intercontinental in Kabul: Am 20.1.2018 griffen fünf bewaffnete Männer das Luxushotel Intercontinental in Kabul an. Der Angriff wurde von afghanischen Truppen abgewehrt, nachdem die ganze Nacht um die Kontrolle über das Gebäude gekämpft worden war (BBC 21.1.2018; vgl. DW 21.1.2018). Dabei wurden mindestens 14 Ausländer/innen und vier Afghan/innen getötet. Zehn weitere Personen wurden verletzt, einschließlich sechs Mitglieder der Sicherheitskräfte (NYT 21.1.2018). 160 Menschen konnten gerettet werden (BBC 21.1.2018). Alle fünf Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (Reuters 20.1.2018). Die Taliban bekannten sich zu dem Angriff (DW 21.1.2018).

• Selbstmordattentat mit einem mit Sprengstoff beladenen Tanklaster:

Am 31.5.2017 kamen bei einem Selbstmordattentat im hochgesicherten Diplomatenviertel Kabuls mehr als 150 Menschen ums Leben, mindestens 300 weitere wurden schwer verletzt (FAZ 6.6.2017; vgl. AJ 31.5.2017, BBC 31.5.2017; UN News Centre 31.5.2017). Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (FN 7.6.2017).

Angriffe gegen Gläubige und Kultstätten

Registriert wurde eine steigende Anzahl der Angriffe gegen Glaubensstätten, religiöse Führer sowie Gläubige; 499 zivile Opfer (202 Tote und 297 Verletzte) waren im Rahmen von 38 Angriffen im Jahr 2017 zu verzeichnen. Die Anzahl dieser Art Vorfälle hat sich im Gegensatz zum Jahr 2016 (377 zivile Opfer, 86 Tote und 291 Verletzte bei 12 Vorfällen) verdreifacht, während die Anzahl ziviler Opfer um 32% gestiegen ist (UNAMA 2.2018). Auch verzeichnete die UN in den Jahren 2016 und 2017 Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Religiösen Führern ist es nämlich möglich, durch ihre Predigten öffentliche Standpunkte zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 7.11.2017). Ein Großteil der zivilen Opfer waren schiitische Muslime. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS (UNAMA 7.11.2017; vgl. UNAMA 2.2018). Es wurden aber auch Angriffe auf sunnitische Moscheen und religiöse Führer ausgeführt (TG 20.10.2017; vgl. UNAMA 7.11.2017)

Diese serienartigen und gewalttätigen Angriffe gegen religiöse Ziele, haben die afghanische Regierung veranlasst, neue Maßnahmen zu ergreifen, um Gebetsstätten zu beschützen: landesweit wurden 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempel vor Angriffen zu schützen (UNGASC 20.12.2017).

Zur Veranschaulichung werden im Folgenden auszugsweise einige Beispiele von Anschlägen gegen Gläubige und Glaubensstätten wiedergegeben (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit)

• Angriff auf Treffen der Religionsgelehrten in Kabul: Am 4.6.2018 fand während einer loya jirga zwischen mehr als 2.000 afghanischen Religionsgelehrten, die durch eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aufriefen, ein Selbstmordanschlag statt. Bei dem Angriff kamen 14 Personen ums Leben und weitere wurden verletzt (Tolonews 7.6.2018; vgl. Reuters 5.6.2018). Quellen zufolge bekannte sich der IS zum Angriff (Reuters 5.6.2018; vgl. RFE/RL 5.6.2018).

• Angriff auf Kricket-Stadion in Jalalabad: Am 18.5.2018, einem Tag nach Anfang des Fastenmonats Ramadan, kamen bei einem Angriff während eines Kricket-Matchs in der Provinzhauptstadt Nangarhars Jalalabad mindestens acht Personen ums Leben und mindestens 43 wurden verletzt (TRT 19.5.2018; vgl. Tolonews 19.5.2018, TG 20.5.2018). Quellen zufolge waren das direkte Ziel dieses Angriffes zivile Zuschauer des Matchs (TG 20.5.2018; RFE/RL 19.5.2018), dennoch befanden sich auch Amtspersonen unter den Opfern (TNI 19.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich keine regierungsfeindliche Gruppierung zum Angriff (RFE/RL 19.5.2018); die Taliban dementierten ihre Beteiligung an dem Anschlag (Tolonews 19.5.2018; vgl. TG 20.5.2018) .

• Selbstmordanschlag während Nowruz-Feierlichkeiten: Am 21.3.2018 (Nowruz-Fest; persisches Neujahr) kam es zu einem Selbstmordangriff in der Nähe des schiitischen Kart-e Sakhi-Schreins, der von vielen afghanischen Gemeinschaften - insbesondere auch der schiitischen Minderheit - verehrt wird. Sie ist ein zentraler Ort, an dem das Neujahrsgebet in Kabul abgehalten wird. Viele junge Menschen, die tanzten, sangen und feierten, befanden sich unter den 31 getöteten; 65 weitere wurden verletzt (BBC 21

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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