Entscheidungsdatum
27.08.2019Norm
AsylG 2005 §54 Abs1 Z1Spruch
W123 2185871-1/31E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Michael ETLINGER über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , auch XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.01.2018, Zl. 1080435609-150974975, nach Durchführung einer öffentlich mündlichen Verhandlung zu Recht:
A)
Der Beschwerde gegen die Spruchpunkte III. bis VI. des angefochtenen Bescheides wird mit der Maßgabe stattgegeben, dass es zu lauten hat:
"Es wird gemäß § 9 Abs. 2 und 3 BFA-VG festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist.
Dem Beschwerdeführer wird gemäß § 54 Abs. 1 Z 1 und Abs. 2 iVm § 55 Abs. 1 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel ‚Aufenthaltsberechtigung plus' für die Dauer von zwölf Monaten erteilt."
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 30.07.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Am 31.07.2015 erfolgte die Erstbefragung des Beschwerdeführers vor dem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes.
3. Am 22.11.2017 wurde die Einvernahme des Beschwerdeführers vor der belangten Behörde durchgeführt.
4. Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Es wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen, gemäß § 52 Abs. 9 FPG bzw. § 55 Abs. 1 bis 3 FGP festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei und die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkte IV.-VI.).
5. Gegen den obgenannten Bescheid der belangten Behörde richtet sich die vorliegende Beschwerde.
6. Am 30.10.2018 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentlich mündliche Verhandlung statt.
7. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 12.12.2018, W123 2185871-1/16 E, stellte das Bundesverwaltungsgericht das Verfahren hinsichtlich der Spruchpunkte I und II. des angefochtenen Bescheides (infolge Zurückziehung des Beschwerdeführers) ein. Mit Erkenntnis vom selben Tag gab das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde gegen die Spruchpunkte III. bis VI. des angefochtenen Bescheides statt. Es wurde festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist. Dem Beschwerdeführer wurde der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.
8. Am 25.01.2019 erhob die belangte Behörde gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts außerordentliche Revision.
9. Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16.05.2019, Ra 2019/21/0050-8, wurde das angefochtene Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes (Spruchpunkt A II. der Entscheidungsausfertigung) wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben. Das Erkenntnis lautet auszugsweise:
10 Das BVwG hat seine Entscheidung maßgeblich auf die Beziehung des Mitbeteiligten zu H. H. und deren Tochter gestützt. Er habe H. H. nach islamischem Ritus geheiratet und lebe mit ihr und ihrer Tochter, die für ihn seine Familie darstellten, im gemeinsamen Haushalt.
11 Diese Ausführungen implizieren, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung - wie vom BVwG dann auch zu Grunde gelegt - einen Eingriff in das Familienleben des Mitbeteiligten bedeuten würde. Das stünde mit der vom BFA in seiner Amtsrevision angesprochenen, auf Rechtsprechung des EGMR beruhenden Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes im Einklang, wenn eine entsprechend enge und dauerhafte persönliche Bindung des Mitbeteiligten zu H. H. und deren Tochter vorliegt (in diesem Sinn der in der Amtsrevision zitierte Beschluss VwGH 29.11.2017, Ra 2017/18/0425, Rn. 13; siehe auch schon VwGH 8.9.2010, 2008/01/0551). Um das beurteilen zu können, fehlt es allerdings, wie die Amtsrevision zutreffend aufzeigt, im angefochtenen Erkenntnis an ausreichenden Feststellungen. So bleibt schon offen, wann die konfessionelle Eheschließung erfolgte und seit wann der Mitbeteiligte mit H. H. und deren Tochter im gemeinsamen Haushalt lebt. Es liegen überdies keine Feststellungen dazu vor, wann der Mitbeteiligte H. H. kennenlernte und ab welchem Zeitpunkt sich eine Beziehung bzw. Lebensgemeinschaft entwickelte, was auch vor dem Hintergrund des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG von Bedeutung ist. Dass H. H. und deren siebenjährige Tochter für den Mitbeteiligten seine Familie bilden und dass er mit ihnen im gemeinsamen Haushalt lebt, gibt schließlich noch keinen ausreichend deutlichen Aufschluss darüber, wie das Zusammenleben im Detail gestaltet ist, ob also z.B. der Mitbeteiligte, wie der Sache nach in der Revisionsbeantwortung vorgebracht, gegenüber der Tochter von H. H. zum "Vaterersatz" - dokumentiert etwa durch Übernahme von Aufsichtspflichten - geworden ist, was letztlich nicht nur unter dem Aspekt der Begründung eines Familienlebens, sondern auch unter dem Blickwinkel des Kindeswohls in Bezug auf die Tochter der H. H. Beachtung zu finden hätte.
12 Nach Maßgabe des Ergebnisses der insgesamt noch zu beantwortenden Fragen mag ein maßgebliches Familienleben des Mitbeteiligten mit H. H. und deren Tochter vorliegen. Gegebenenfalls würde sich die Verhängung einer Rückkehrentscheidung als besonders intensiver Eingriff in dieses Familienleben darstellen, denn das BVwG hat unter Bezugnahme auf VfGH 25.2.2013, U 2241/12, Punkt II. 2.2., mit Recht darauf hingewiesen, dass H. H. und deren Tochter als Flüchtlinge im Sinn der GFK in Bezug auf den Herkunftsstaat des Mitbeteiligten anerkannt wurden, was eine Fortsetzung des Familienlebens in diesem Staat als ausgeschlossen und damit eine solche Fortsetzung anderswo als in Österreich als unrealistisch erscheinen lässt.
13 Vor diesem Hintergrund besteht durchaus die Möglichkeit, dass sich die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen den Mitbeteiligten als dauerhaft unzulässig erweist, und zwar selbst dann, wenn es gemäß der vom BFA in der Amtsrevision weiter vertretenen - hier nicht geprüften - Ansicht zutreffen sollte, die vom Mitbeteiligten im Rahmen eines Lehrverhältnisses ausgeübte Erwerbstätigkeit verstoße gegen das AuslBG und erhöhe so das öffentliche Interesse an seiner Aufenthaltsbeendigung.
10. Am 20.08.2019 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht neuerlich eine öffentlich mündliche Verhandlung statt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen (Sachverhalt):
Der Beschwerdeführer ist ein lediger und volljähriger afghanischer Staatsangehöriger der Volksgruppe der Tadschiken und stammt aus der Provinz Takhar.
Der Beschwerdeführer ist gesund und unbescholten. Er ist in keinem Verein aktiv.
Der Beschwerdeführer absolviert seit dem 14.05.2018 eine Lehre als Maurer und brachte im Verfahren ein ÖSD-Zertifikat auf dem Niveau A1 in Vorlage. Er besuchte zudem einen Deutschkurs auf dem Niveau A2 und einen Werte- und Orientierungskurs des Österreichischen Integrationsfonds. Der Beschwerdeführer verfügt über ein aufrechtes Lehrverhältnis (bis 13.05.2021) als Maurerlehrling. Der Beschwerdeführer befindet sich seit dem 09.07.2018 nicht mehr in der Grundversorgung.
Der Beschwerdeführer lebt seit dem 08.02.2016 im Ort XXXX . Der Beschwerdeführer lernte in dieser Ortsgemeinde Ende 2016 Frau XXXX an einem sog. "Stammtisch", der von Österreichern veranstaltet wurde, kennen. Frau XXXX lebte zu dieser Zeit ebenfalls in XXXX . Danach haben sich der Beschwerdeführer und Frau XXXX regelmäßig getroffen und sind schließlich nach zwei Monaten ein Paar geworden. Am 08.07.2018 heirateten der Beschwerdeführer und Frau XXXX nach islamischem Recht. Nach der Eheschließung begründeten sie einen gemeinsamen Haushalt in XXXX . Der Beschwerdeführer ist an dieser Adresse seit dem 06.07.2018 gemeldet; Frau XXXX dem 08.10.2018.
Frau XXXX wurde in Pakistan, Quetta, geboren und flüchtete - gemeinsam mit ihrer in Pakistan geborenen Tochter - Ende 2014 von Pakistan aus nach Europa. Am 04.01.2015 stellte Frau XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz. Frau XXXX ist in Pakistan durch eine Vergewaltigung schwanger geworden und kennt den leiblichen Vater ihrer Tochter, XXXX , nicht. XXXX und XXXX wurde in Österreich der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Frau XXXX befindet sich derzeit im Mutterschutz (21. Schwangerschaftswoche).
Der Beschwerdeführer lernte im Zuge der Bekanntschaft mit Frau XXXX relativ rasch deren Tochter XXXX kennen. Nach Anlaufschwierigkeiten aufgrund der schüchternen Art von XXXX entstand zwischen dem Beschwerdeführer und XXXX (noch vor Eheschließung) eine gute Verbindung, die sich in gemeinsam verbrachter Zeit (Kino- und Restaurantbesuch, Parkspaziergang etc.) widerspiegelte. Seit Bestehens des gemeinsamen Haushalts verbringt der Beschwerdeführer (nach erfolgter Arbeit) jeden Tag Zeit mit XXXX . Der Beschwerdeführer sieht sich selbst wie der leibliche Vater von XXXX . Der Beschwerdeführer führt seit der Eheschließung mit Frau XXXX und XXXX ein gemeinsames Familienleben.
Frau XXXX und deren Tochter sind anerkannte Flüchtlinge in Österreich und verfügen seit dem 24.04.2018 über einen Konventionspass.
Frau XXXX gehört der Religionsgruppe der Schiiten an. Der Beschwerdeführer, ursprünglich muslimischer Sunnit, nahm im Zuge der Eheschließung mit Frau XXXX das schiitische Religionsbekenntnis an.
Die Eltern und die Geschwister des Beschwerdeführers leben in der Heimatprovinz des Beschwerdeführers. Es besteht seit der islamischen Eheschließung kein Kontakt des Beschwerdeführers und seiner Familie in Afghanistan.
2. Beweiswürdigung:
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben mittels Durchführung einer öffentlich mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, durch Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers vor dieser und dem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes, des bekämpften Bescheides und des Beschwerdeschriftsatzes sowie in die vom Beschwerdeführer vorgelegten Urkunden.
Die Feststellungen zu Sprachkenntnissen und Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers gründen sich auf seine diesbezüglich gleichbleibenden und daher glaubhaften Angaben vor dem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes, der belangten Behörde, in dem Beschwerdeschriftsatz und in der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Es ist im Verfahren nichts hervorgekommen, das Zweifel an der Richtigkeit dieser Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers aufkommen lässt.
Die Feststellungen zum Familienleben des Beschwerdeführers ergeben sich aufgrund seiner glaubhaften Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die Aussagen über das Kennenlernen mit seiner jetzigen Frau, das gemeinsame Wohnen und die "Vaterersatzrolle" des Beschwerdeführers gegenüber XXXX wurde von Frau XXXX vor dem Bundesverwaltungsgericht (als Zeugin) bestätigt. Das Bundesverwaltungsgericht vermag keine Gründe zu erkennen, den Angaben des Beschwerdeführers und Frau XXXX nicht glauben zu schenken.
Der Eindruck des erkennenden Richters, dass es dem Beschwerdeführer wirklich ernst war mit dem Eingehen der Beziehung zu Frau XXXX bzw. der erfolgten Eheschließung, zeigt sich nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass der Beschwerdeführer sogar seine ursprüngliche Religionszugehörigkeit aufgrund der Beziehung zu seiner Frau wechselte. Aus der islamischen Heiratsurkunde ergibt sich nämlich, dass die Ehe nur unter der Voraussetzung geschlossen werden konnte, dass der Beschwerdeführer sich zum schiitischen Glauben bekennt und Schiit bleiben muss (vgl. die Übersetzung des Dolmetschers, Seite 6 Verhandlungsprotokoll).
Schließlich war auch das Vorbringen des Beschwerdeführers, mit seiner Familie seit der Eheschließung nicht mehr in Kontakt zu stehen, schon deshalb glaubhaft und nachvollziehbar, da die Schilderungen des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 30.10.2018, wonach die Familie des Beschwerdeführers diesen, nachdem der Beschwerdeführer seiner Familie offenbarte, nunmehr Schiit zu sein, gleichsam aus dem Familienverband "verstoßen" habe (vgl. Seite 3 f Verhandlungsprotokoll vom 30.10.2018), durchaus lebensnah erscheinen.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
3.1. § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG lautet:
"(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre."
Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig und in diesem Sinne auch verhältnismäßig ist.
Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entferntere verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität aufweisen, etwa ein gemeinsamer Haushalt vorliegt (vgl. dazu EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; Frowein/Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK-Kommentar, 2. Auflage (1996) Rz 16 zu Art. 8; Baumgartner, Welche Formen des Zusammenlebens schützt die Verfassung? ÖJZ 1998, 761; vgl. auch Rosenmayer, Aufenthaltsverbot, Schubhaft und Abschiebung, ZfV 1988, 1). In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; s. auch EKMR 07.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 05.07.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).
3.2. Sowohl die nach islamischer Tradition geehelichte XXXX als auch deren Tochter XXXX wurden in Österreich als Flüchtlinge im Sinne der GFK in Bezug auf jenen Staat anerkannt, in den der Beschwerdeführer mit dem angefochtenen Bescheid ausgewiesen wurde. Eine Fortsetzung des Familienlebens in seinem Heimatstaat erscheint daher ausgeschlossen (vgl. Feststellungen und Beweiswürdigung), woraus sich ein besonders intensiver Eingriff in das Recht auf Familienleben ergibt (vgl. VfGH 25.02.2013, U 2241-12 und VfSlg. 19.220/2010).
Der nach islamischer Tradition verheiratete und unbescholtene Beschwerdeführer lebt mit seiner Ehefrau und deren Tochter im gemeinsamen Haushalt. Er ist seit über vier Jahren durchgehend im österreichischen Bundesgebiet aufhältig und bemühte sich in diesem Zeitraum von Beginn an um eine umfassende Integration.
Für den Beschwerdeführer stellen XXXX und XXXX seine Familie dar, zumal der Kontakt des Beschwerdeführers zu seiner Familie in Afghanistan abgebrochen wurde.
Der Beschwerdeführer befindet sich seit dem14.05.2018 in einem dreijährigen Lehrverhältnis als Maurer, ist in seinem Lehrbetrieb bereits sehr gut integriert und erzielt aus seiner Beschäftigung ein regelmäßiges Einkommen, mit dem er sich selbst erhalten kann. Insbesondere sei darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer seit dem 09.07.2018 keine Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung mehr bezieht.
Der Beschwerdeführer konnte glaubhaft darlegen, dass er seine Lehre in Österreich jedenfalls abschließen und danach erwerbstätig sein möchte. Er nützte seine bisherige Zeit in Österreich erfolgreich, um sich in vielerlei Hinsicht in die österreichische Gesellschaft zu integrieren. Die vorgelegten Beweismittel belegen die Integration des Beschwerdeführers. Er wies nach, dass er ein Sprachdiplom Deutsch auf dem Niveau A1 ablegte sowie einen Deutschkurs auf dem Niveau A2 und einen Werte- und Orientierungskurs des Österreichischen Integrationsfonds besuchte.
Darüber hinaus hat er auch viele österreichische Freunde und Bekannte, mit denen er seine Freizeit verbringt, und wird von seinen Mitmenschen sehr geschätzt, wie in den zahlreich vorgelegten Unterstützungsschreiben - ua von seiner Vermieterin, seiner Nachbarin und dem Gemeindepfarrer - hervorgehoben wird. In diesen Schreiben wird der Beschwerdeführer ua als diszipliniert, zuvorkommend, hilfsbereit und höflich beschrieben.
Durch die Bemühungen des Beschwerdeführers, sich durch legale selbständige Arbeit die Mittel zu seinem Unterhalt zu beschaffen, unabhängig von der Unterstützung durch die öffentliche Hand zu sein sowie die deutsche Sprache zu beherrschen, bringt er zum Ausdruck, dass er seine Integration hier in Österreich intensiv betreibt und auch bereits von einem ausreichenden Grad an Integration ausgegangen werden kann.
Festzuhalten ist auch, dass der Beschwerdeführer über die gesamte Zeit hindurch unbescholten geblieben und strafrechtlich nicht in Erscheinung trat, wobei die strafgerichtliche Unbescholtenheit allein die persönlichen Interessen eines Fremden am Verbleib in Österreich gemäß der verwaltungsgerichtlichen Judikatur nicht entscheidend zu verstärken vermag (vgl. VwGH 25.02.2010, 2010/0018/0029).
Auch die mit der (verhältnismäßig) kurzen Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet korrelierende Bindung des Beschwerdeführers zu seinem Herkunftsstaat wiegt aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes vor den oben dargestellten mannigfaltigen integrativen Leistungen des Beschwerdeführers und seiner familiären und sozialen Bindungen nicht derart schwer, dass deshalb ein überwiegendes Interesse des Beschwerdeführers am Verbleib in Österreich zu verneinen wäre. Vielmehr würden die Auswirkungen einer Rückkehrentscheidung auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers vor dem Hintergrund seiner bisher unternommenen, überaus erfolgreichen Anstrengungen und des sich daraus entwickelten, schützenswerten Privatlebens sowie seines Familienlebens in Österreich schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.
Im gegenständlichen Fall kann keineswegs davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer die in Österreich verbrachte Zeit nicht genützt hätte, um sich sozial und beruflich zu integrieren. Das Gegenteil ist der Fall: Er bemühte sich während seiner knapp vierjährigen Aufenthaltsdauer - wie oben ausgeführt - überaus intensiv und sehr erfolgreich umfassend zu integrieren. Zudem vermag das Verhalten des Beschwerdeführers nicht nahezulegen, dass von einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch ihn auszugehen ist. Er hat einen entsprechend hohen Grad der Integration in sprachlicher und gesellschaftlicher Hinsicht erreicht, der sich vor allem im erfolgreichen Erwerb von Deutschkenntnissen und in der umfassenden Teilnahme am sozialen und beruflichen Leben manifestiert. Ferner ist in Berücksichtigung zu ziehen, dass für den Beschwerdeführer seine Ehefrau und deren Tochter, denen in Österreich der Status der Asylberechtigten zuerkannt wurde, seine Familie darstellen.
Berücksichtigt man all diese Aspekte, so überwiegen im Rahmen einer Gesamtbetrachtung im gegenwärtigen Entscheidungszeitpunkt die aus den erwähnten Umständen in ihrer Gesamtheit erwachsenden privaten bzw. familiären Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib im österreichischen Bundesgebiet und an der Fortführung seines bestehenden Privat- und Familienlebens in Österreich die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung zugunsten eines geordneten Fremdenwesens. Eine Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer würde sich daher zum maßgeblichen aktuellen Entscheidungszeitpunkt in diesem besonderen Einzelfall als unverhältnismäßig im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK erweisen.
Das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass die drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend, sondern auf Dauer sind.
Der Beschwerde gegen die Spruchpunkte III. bis IV. des angefochtenen Bescheides war daher stattzugeben und festzustellen, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist.
3.3. Gemäß § 58 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 von Amts wegen zu prüfen, wenn eine Rückkehrentscheidung aufgrund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer unzulässig erklärt wird.
Gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn 1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und 2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird. Nach § 55 Abs. 2 AsylG 2005, ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen, wenn nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 leg. cit. vorliegt.
Wie weiter oben ausgeführt, befindet sich der Beschwerdeführer in einem Lehrverhältnis als Maurer. Der Beschwerdeführer brachte aufgrund dieses Beschäftigungsverhältnisses im Jahr 2018 im Mai EUR 1.184,66, im Juni EUR 1.698,97, im Juli EUR 1.840,06, im August EUR 1.865,53 und im September EUR 1.650,26 ins Verdienen. Ein Beschäftigungsverhältnis gilt gemäß § 5 Abs. 2 ASVG als geringfügig, wenn daraus im Kalendermonat kein höheres Entgelt als EUR 425,70 (bzw. gemäß BGBl. II Nr. 339/2017 für 2018: EUR 438,05) gebührt. Im vorliegenden Fall besteht somit im Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit, mit deren Einkommen die Geringfügigkeitsgrenze erreicht (und überschritten) wird.
Die Voraussetzungen gemäß § 55 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 sind im gegenständlichen Fall daher gegeben, weshalb dem Beschwerdeführer gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen war.
Die belangte Behörde hat dem Beschwerdeführer den Aufenthaltstitel gemäß § 58 Abs. 7 AsylG 2005 auszufolgen; der Beschwerdeführer hat hieran gemäß § 58 Abs. 11 AsylG 2005 mitzuwirken. Der Aufenthaltstitel gilt gemäß § 54 Abs. 2 AsylG 2005 zwölf Monate lang, beginnend mit dem Ausstellungsdatum.
Zu B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen (siehe dazu insbesondere die unter A) zitierte Judikatur). Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Aufenthaltsberechtigung plus, Ehe, Erwerbstätigkeit, Familienleben,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W123.2185871.1.00Zuletzt aktualisiert am
15.05.2020