Entscheidungsdatum
09.09.2019Norm
AsylG 2005 §10Spruch
W238 2150713-2/8E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Claudia MARIK über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, p.A. Wattgasse 48/3. Stock, 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.07.2019, Zahl XXXX , zu Recht erkannt:
A) Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG stattgegeben
und der angefochtene Bescheid aufgehoben.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte erstmals am 06.06.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
Bei seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 08.06.2015 gab der Beschwerdeführer als Fluchtgrund an, dass die Taliban in sein Heimatdorf gekommen seien und dort gegen die Armee gekämpft hätten. Weiters hätten sie den Schulbesuch verboten. Daher habe der Beschwerdeführer seine Heimat verlassen.
Anlässlich der am 29.11.2016 durchgeführten Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) präzisierte der Beschwerdeführer seine Angaben hinsichtlich Staatsangehörigkeit, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, Familienstand sowie Schulbildung. Er brachte vor, in der Provinz Ghazni, Distrikt XXXX , Dorf XXXX geboren worden zu sein, der Volksgruppe der Hazara und der schiitischen Glaubensrichtung des Islam anzugehören. Als Fluchtgrund gab er zusammengefasst an, dass bei einer Schießerei zwischen Polizisten und Taliban in seinem Heimatdorf ein Taliban schwer verletzt worden sei, wofür dem Beschwerdeführer die Schuld gegeben worden sei.
2. Mit Bescheid des BFA vom 03.03.2017, Zahl XXXX , wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Dem Beschwerdeführer wurde kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt. Weiters wurde gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG eine Rückkehrentscheidung gegen ihn erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt III). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde eine Frist von zwei Wochen für die freiwillige Ausreise festgelegt (Spruchpunkt IV).
Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 06.08.2018, Zahl W266 2150713-1/12E, rechtskräftig als unbegründet abgewiesen.
3. Der Beschwerdeführer hielt sich in weiterer Folge in Frankreich auf und wurde von den französischen Behörden am 19.02.2019 mit dem Flugzeug nach Österreich rücküberstellt. Am 02.07.2019 stellte er in Österreich einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz.
Der Beschwerdeführer wurde dazu von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag und durch die belangte Behörde am 12.07.2019 einvernommen.
Seinen Folgeantrag begründete der Beschwerdeführer zusammengefasst damit, dass er vom islamischen Glauben abgefallen sei und die Glaubensgemeinschaft verlassen habe. Dies habe er seinem Vater sowie einem Mullah telefonisch mitgeteilt und auch auf Facebook verlautbart. Der Beschwerdeführer äußerte die Befürchtung, bei einer Rückkehr in seine Heimat getötet zu werden.
4. Mit Bescheid des BFA vom 18.07.2019 wurde der Folgeantrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten zurückgewiesen (Spruchpunkte I. und II.). Dem Beschwerdeführer wurde gemäß § 57 AsylG 2005 keine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Weiters wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG wurde ausgesprochen, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG wurde ein für die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).
Das BFA sprach dem Vorbringen des Beschwerdeführers, wonach er sich vom islamischen Glauben abgewandt habe, den glaubhaften Kern ab. Dies wurde insbesondere damit begründet, dass der Beschwerdeführer anlässlich der Einvernahme den Anruf bei seinem Vater nicht nachweisen habe können und auch keine Bestätigung über seinen Austritt aus der islamischen Glaubensgemeinschaft vorgelegt habe, obwohl er seinen Angaben zufolge bereits vor 14 Monaten den Entschluss gefasst habe, sich vom Islam abzuwenden. Mit dem nunmehrigen Asylantrag habe der Beschwerdeführer die wiederholte Aufrollung einer bereits rechtskräftig entschiedenen Sache bezweckt. Auch die maßgebliche Lage im Herkunftsland habe sich seit rechtskräftigem Abschluss des Erstverfahrens nicht geändert. Eine besondere Integrationsverfestigung in Österreich bestehe nicht. Das Einreiseverbot wurde insbesondere mit Mittellosigkeit des Beschwerdeführers begründet.
5. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben. Darin wurde insbesondere ausgeführt, dass sich die belangte Behörde auf eine unvollständige Berichtslage gestützt habe. Den Länderberichten sei zu entnehmen, dass Apostasie und Blasphemie in Afghanistan nach Scharia-Recht beurteilt würden; dem Beschwerdeführer drohe in Afghanistan die Todesstrafe. Zudem komme es laut Länderberichten in solchen Fällen häufig zu Verstößen durch die Familie und zu Gewaltakten durch die Bevölkerung. Der afghanische Staat sei nicht als schutzfähig bzw. schutzwillig anzusehen. Die belangte Behörde habe ihre Ermittlungspflicht auch dadurch verletzt, dass sie keine Ermittlungen zu den vom Beschwerdeführer geschilderten Postings auf Facebook durchgeführt habe. Zudem habe der Beschwerdeführer während seines Aufenthalts in Frankreich islamkritische Nachrichten verschickt und damit seine innere Überzeugung nach außen getragen. Mittlerweile sei der Beschwerdeführer offiziell aus der islamischen Glaubensgemeinschaft ausgetreten und Mitglied der "Atheistischen Religionsgesellschaft in Österreich". Entgegen der rechtlichen Beurteilung des BFA sei eine Änderung des maßgebenden Sachverhalts eingetreten, weshalb die Behörde verpflichtet gewesen wäre, eine neue Sachentscheidung zu treffen. Hätte die Behörde sorgfältig ermittelt, eine entsprechende Beweiswürdigung durchgeführt und eine richtige rechtliche Beurteilung vorgenommen, so wäre sie zu dem Schluss gelangt, dass dem Beschwerdeführer gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen sei. Schließlich wurde mit näherer Begründung die Rechtswidrigkeit der Rückkehrentscheidung und des Einreiseverbots geltend gemacht. Der Beschwerde wurden Beweismittel beigelegt.
6. Die Beschwerde wurde dem Bundesverwaltungsgericht unter Anschluss des Verwaltungsaktes am 07.08.2019 vorgelegt.
7. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 08.08.2019, Zahl W238 2150713-2/3Z, wurde der Beschwerde gemäß § 17 Abs. 1 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Beschwerdeführer führt den im Spruch genannten Namen sowie das dort genannte Geburtsdatum. Er ist afghanischer Staatsbürger und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara. Seine Muttersprache ist Dari.
Er wurde in Afghanistan, Provinz Ghazni, Distrikt XXXX , Dorf XXXX geboren. Dort verbrachte er den Großteil seines Lebens. Als Kind lebte er vorübergehend in Pakistan. Er besuchte fünf Jahre die Schule. Der Beschwerdeführer reiste im Alter von ca. 15-16 Jahren aus Afghanistan aus. Er lebte und arbeitete etwa 19 Monate im Iran, bevor er weiter nach Europa reiste.
Der Beschwerdeführer stellte erstmals am 06.06.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Als Fluchtgrund gab er bei sämtlichen Einvernahmen ausschließlich Probleme mit Taliban an und bekannte sich durchwegs zur Glaubensrichtung des schiitischen Islam.
Das BFA wies den Antrag vom 06.06.2015 mit Bescheid vom 03.03.2017 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für eine freiwillige Ausreise wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.
Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 06.08.2018 rechtskräftig als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer stellte am 02.07.2019 einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz, den er mit seiner Abwendung vom Islam bzw. dem Austritt aus der islamischen Glaubensgemeinschaft begründete. Im Zuge der Einvernahme vor dem BFA gab er in diesem Zusammenhang an, dies sowohl seinem Vater und einem Mullah (dessen Cousin) telefonisch mitgeteilt als auch auf Facebook verlautbart zu haben.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des BFA vom 18.07.2019 wurde der Folgeantrag auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen, keine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen, die Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan festgestellt, keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt und ein Einreiseverbot in der Dauer von zwei Jahren erlassen. Das BFA begründete die Zurückweisung des Folgeantrags im Wesentlichen damit, dass dem Vorbringen des Beschwerdeführers kein glaubhafter Kern zukomme.
Im Zuge der dagegen erhobenen Beschwerde wurden Screenshots von Facebook-Postings und Nachrichten des Beschwerdeführers über seine Abwendung vom Islam, eine Bestätigung über den Austritt aus der islamischen Glaubensgemeinschaft und eine Bestätigung über die Mitgliedschaft in der "Atheistischen Religionsgesellschaft in Österreich" in Vorlage gebracht.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers, zu den von ihm jeweils vorgebrachten Fluchtgründen sowie zum Verfahrensgang konnten auf Grundlage des vorangegangenen - mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 06.08.2018, Zahl W266 2150713-1/12E, rechtskräftig abgeschlossenen - Asylverfahrens (Verwaltungs- und Gerichtsakt) und des das gegenständliche Beschwerdeverfahren betreffenden Aktes getroffen werden, insbesondere auf Basis der Niederschriften vom 08.06.2015 über die Erstbefragung des Beschwerdeführers betreffend den ursprünglichen Asylantrag, die Einvernahme durch die belangte Behörde vom 29.11.2016 und die mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vom 13.04.2018, des Bescheides des BFA vom 03.03.2017, der Niederschriften über die Erstbefragung des Beschwerdeführers betreffend den Folgeantrag vom 02.07.2019 und die Einvernahme durch die belangte Behörde vom 12.07.2019, des nunmehr angefochtenen Bescheides des BFA vom 18.07.2019 sowie der dagegen erhobenen Beschwerde vom 26.07.2019.
Das Geburtsdatum des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem anlässlich des ersten Asylverfahrens eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten vom 19.09.2015, in dem ein Mindestalter von 17,3 Jahren zum Zeitpunkt der Asylantragstellung am 06.06.2015 festgestellt und das spätest mögliche fiktive Geburtsdatum mit XXXX errechnet wurde. Von diesem Geburtsdatum ging auch das BFA in weiterer Folge aus.
3. Rechtliche Beurteilung:
Die gegen den angefochtenen Bescheid erhobene Beschwerde erweist sich als rechtzeitig und zulässig, sie ist auch begründet.
Zu A) Behebung des angefochtenen Bescheides:
3.1. Zur Entscheidung in der Sache
Gemäß § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 AVG die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wenn die Behörde nicht den Anlass zu einer Verfügung gemäß § 68 Abs. 2 bis 4 AVG findet, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes steht die Rechtskraft einer Entscheidung einem neuerlichen Antrag entgegen, wenn keine relevante Änderung der Rechtslage oder des Begehrens vorliegt und in dem für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt keine Änderung eingetreten ist (VwGH 29.06.2015, Ra 2015/18/0122). Die objektive (sachliche) Grenze dieser Wirkung der Rechtskraft wird durch die "entschiedene Sache", also durch die Identität der Verwaltungssache, über die bereits mit einem formell rechtskräftigen Bescheid abgesprochen wurde, mit der im neuen Antrag intendierten bestimmt (VwGH 17.02.2015, Ra 2014/09/0029). Identität der Sache als eine der Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des § 68 Abs. 1 AVG ist dann gegeben, wenn sich der für die Entscheidung maßgebende Sachverhalt, der dem rechtskräftigen Vorbescheid zugrunde lag, nicht geändert hat. Im Übrigen ist bei der Überprüfung, ob sich der Sachverhalt maßgeblich verändert hat, vom rechtskräftigen Vorbescheid auszugehen, ohne dass dabei dessen sachliche Richtigkeit nochmals zu ergründen wäre, weil die Rechtskraftwirkung ja gerade darin besteht, dass die von der Behörde entschiedene Sache nicht neuerlich untersucht und entschieden werden darf. Eine andere fachliche Beurteilung unverändert gebliebener Tatsachen berührt die Identität der Sache nicht. In Bezug auf die Rechtslage kann nur eine Änderung der maßgeblichen Rechtsvorschriften selbst bei der Frage, ob Identität der Sache gegeben ist, von Bedeutung sein, nicht aber eine bloße Änderung in der interpretativen Beurteilung eines Rechtsbegriffs oder einer Rechtsvorschrift bei unverändertem Normenbestand (VwGH 24.06.2014, Ro 2014/05/0050).
Erst nach Erlassung des Bescheides hervorgekommene Umstände, die eine Unrichtigkeit des Bescheides dartun, stellen keine Änderung des Sachverhalts dar, sondern bilden lediglich unter den Voraussetzungen des § 69 AVG einen Wiederaufnahmegrund (VwGH 17.02.2015, Ra 2014/09/0029). Im Folgeantragsverfahren können - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - nur neu entstandene Tatsachen, die einen im Vergleich zum rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren geänderten Sachverhalt begründen, zu einer neuen Sachentscheidung führen, nicht aber solche, die bereits vor Abschluss des vorangegangenen Asylverfahrens bestanden haben (VwGH 08.09.2015, Ra 2014/18/0089). In Hinblick auf wiederholte Anträge auf internationalen Schutz kann nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhalts die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung - nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen - berechtigen und verpflichten, der für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen rechtlich Relevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrags darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Die behauptete Sachverhaltsänderung muss zumindest einen "glaubhaften Kern" aufweisen, dem Relevanz zukommt (VwGH 09.03.2015, Ra 2015/19/0048). Nur dann, wenn die Ermittlungen der Behörde ergeben, dass eine Sachverhaltsänderung, die eine andere Beurteilung nicht von vornherein ausgeschlossen erscheinen ließe, entgegen den Behauptungen der Partei in Wahrheit nicht eingetreten ist, ist der Antrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückzuweisen (VwGH 19.02.2009, 2008/01/0344). Neues Sachverhaltsvorbringen in der Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Bescheid nach § 68 AVG ist von der "Sache" des Beschwerdeverfahrens nicht umfasst und daher unbeachtlich (VwGH 29.06.2015, Ra 2015/18/0122).
3.2. Das Bundesverwaltungsgericht hat fallbezogen somit zu prüfen, ob die belangte Behörde aufgrund des von ihr zu berücksichtigenden Sachverhalts zu Recht zum Ergebnis gelangt ist, dass im Vergleich zum rechtskräftig entschiedenen ersten Asylverfahren keine wesentliche Änderung der maßgeblichen Umstände eingetreten ist (VwGH 25.04.2017, Ra 2016/01/0307).
Maßstab der Rechtskraftwirkung bildet die Entscheidung, mit der zuletzt in der Sache entschieden wurde (VwGH 06.11.2009, 2008/19/0783), im vorliegenden Fall somit das rechtskräftige Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 06.08.2018 zu Zahl W266 2150713-1/12E.
Im Folgeantragsverfahren brachte der Beschwerdeführer vor, vom islamischen Glauben abgefallen zu sein und die islamische Glaubensgemeinschaft verlassen zu haben. Dies habe er seinem Vater und einem Mullah (dessen Cousin) telefonisch mitgeteilt, welcher die Ungläubigkeit des Beschwerdeführers im Heimatdorf verbreitet habe, sowie auch auf Facebook verlautbart. Schließlich gab der Beschwerdeführer an, er werde im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan offen kundtun, dass er keine Religion akzeptiere.
Dieses Vorbringen unterscheidet sich gänzlich von jenem im ersten Asylverfahren, in dem der Beschwerdeführer ausschließlich Probleme mit Taliban geltend machte, die sein Heimatdorf eingenommen, ihm den Schulbesuch verwehrt und letztlich die Schuld am Ausgang einer tätlichen Auseinandersetzung zwischen Polizei und Taliban gegeben hätten, bei der einer ihrer Anhänger verletzt worden sei.
Das Folgeantragsverfahren hat das Vorbringen eines neuen Sachverhalts zum Gegenstand, der erst nach der genannten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes entstand. Zwar gab der Beschwerdeführer auf Nachfrage bei der Einvernahme vor der belangten Behörde am 12.07.2019 an, den Entschluss zum Austritt aus der islamischen Glaubensgemeinschaft bereits vor etwa 14 Monaten (und damit vor Rechtskraft des hg. Erkenntnisses vom 06.08.2018) gefasst zu haben. Die vorgebrachten - nach außen gerichteten - Handlungen des Beschwerdeführers (insb. Telefonate mit seinem Vater und einem Mullah, Postings auf Facebook) erfolgten seinen Angaben zufolge jedoch erst mit Beginn des Jahres 2019, weshalb es sich hierbei jedenfalls um "neu entstandene Tatsachen" handelt, die (bei Zutreffen des Vorbringens) einen im Vergleich zum rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren geänderten Sachverhalt begründen.
Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist eine Änderung des Vorbringens nur dann wesentlich, wenn sie für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr bei Bedachtnahme auf die damals als maßgeblich erachteten Erwägungen eine andere Beurteilung jener Umstände, die der angefochtenen Entscheidung zu Grunde lagen, nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann, und daher die Erlassung eines inhaltlich anders lautenden Bescheides zumindest möglich ist (VwGH 24.03.2011, 2007/07/0155).
Eine Asylrelevanz des Vorbringens im Zusammenhang mit behaupteter Apostasie bzw. Konfessionslosigkeit kann im Lichte der zum Entscheidungszeitpunkt zur Verfügung stehenden Aktenlage - insbesondere der hg. aufliegenden Länderberichte sowie der behaupteten individuellen Situation des Beschwerdeführers in Österreich bzw. im Herkunftsland in Zusammenschau mit der im Bescheid vorgenommenen rechtlichen Beurteilung und den in der Beschwerdeschrift dagegen gerichteten, prima facie nachvollziehbaren Argumenten - keinesfalls ausgeschlossen werden.
In seinem Urteil vom 04.10.2018, Bahtiyar Fathi, C-56/17, hat der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) jüngst präzisiert, dass eine "schwerwiegende Verletzung" der Religionsfreiheit vorliegen muss, die den Betroffenen erheblich beeinträchtigt, damit die betreffenden Handlungen als Verfolgung im asylrechtlichen Sinne (vgl. Art. 9 Abs. 1 und 2 der Statusrichtlinie) gelten können. Dieses Erfordernis ist erfüllt, wenn die Person, die internationalen Schutz beantragt, aufgrund der Ausübung dieser Freiheit in ihrem Herkunftsland tatsächlich Gefahr läuft, durch einen der in Art. 6 der Richtlinie genannten Akteure verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Die Tatsache, dass einem Asylwerber im Herkunftsstaat etwa aufgrund eines Gesetzes über Apostasie eine Todes- oder Freiheitsstrafe droht, kann für sich genommen eine "Verfolgung" im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Statusrichtlinie darstellen, sofern eine solche Strafe in dem Herkunftsland, das eine solche Regelung erlassen hat, tatsächlich verhängt wird (Rn. 94 bis 96).
Überdies ist auf das Urteil des EuGH vom 05.09.2012, Y und Z, C-71/11 und C-99/11, hinzuweisen, wonach eine begründete Furcht des Antragstellers vor Verfolgung vorliegt, sobald nach Auffassung der zuständigen Behörden im Hinblick auf die persönlichen Umstände des Antragstellers vernünftigerweise anzunehmen ist, dass er nach Rückkehr in sein Herkunftsland religiöse Betätigungen vornehmen wird, die ihn der tatsächlichen Gefahr einer Verfolgung aussetzen. Bei der individuellen Prüfung eines Antrags auf Anerkennung als Flüchtling können die Behörden dem Antragsteller nicht zumuten, auf diese religiösen Betätigungen zu verzichten.
Nichts anderes kann gelten, wenn - wie im vorliegenden Fall - die "religiösen Betätigungen" darin liegen, den im Herkunftsstaat vorgeschriebenen Glauben nicht leben zu wollen, sondern sich - eben gerade durch das Unterlassen (erwarteter) religiöser Betätigungen - zu seiner Konfessionslosigkeit (oder auch zu Atheismus) zu bekennen (vgl. VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0395).
Des Weiteren muss die behauptete Sachverhaltsänderung in Bezug auf wiederholte Asylanträge zumindest einen glaubhaften Kern aufweisen, dem Asylrelevanz zukommt und an den die positive Entscheidungsprognose anknüpfen kann (VwGH 15.03.2006, 2006/18/0020).
Dem Vorbringen des Beschwerdeführers wurde der glaubhafte Kern seitens der belangten Behörde unter Verweis darauf abgesprochen, dass der Beschwerdeführer bei der Einvernahme vor dem BFA das Telefonat mit seinem Vater nicht nachweisen konnte und auch noch keine Bestätigung über seinen Austritt aus der islamischen Glaubensgemeinschaft in Vorlage brachte.
Vor dem Hintergrund der zitierten Rechtsprechung übersieht die belangte Behörde dabei jedoch, dass insbesondere zu beurteilen gewesen wäre, ob der Beschwerdeführer die vorgebrachte Konfessionslosigkeit als innere Überzeugung und identitätsstiftendes Merkmal versteht, die er auch in Afghanistan leben würde. Hinzu kommt, dass die wiederholten Hinweise des Beschwerdeführers auf seine Aktivitäten auf Facebook bei der Einvernahme vor dem BFA einem Beweisanbot gleichzuhalten sind, das die Behörde in die Lage versetzte, erforderlichenfalls Präzisierungen und Beweise vom Beschwerdeführer abzufordern, jedenfalls aber konkrete Feststellungen über die von ihm erwähnten Postings zu treffen.
Der Vollständigkeit halber ist anzumerken, dass der Beschwerde diverse Beweismittel (Screenshots von Postings und Nachrichten, Bestätigung über den Austritt aus der islamischen Glaubensgemeinschaft vom 19.07.2019, Bestätigung über die Mitgliedschaft in der "Atheistischen Religionsgesellschaft in Österreich" vom 28.07.2019) beigelegt wurden, deren Vorlage die belangte Behörde vor Erlassung eines Bescheides verlangen hätte können.
Entgegen der Auffassung der belangten Behörde liegt daher nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes zumindest ein glaubhafter Kern des geänderten Vorbringens im Folgenantragsverfahren vor.
3.3. Hat die belangte Behörde einen Antrag zurückgewiesen, so ist Sache des Beschwerdeverfahrens lediglich die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung. Eine erstmalige inhaltliche Entscheidung über den zugrundeliegenden Antrag würde demgegenüber den Gegenstand des Beschwerdeverfahrens überschreiten (VwGH 12.10.2015, Ra 2015/22/0115).
Der Beschwerde war daher stattzugeben, der angefochtenen Bescheid zu beheben und der belangten Behörde die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufzutragen. Für das fortzusetzende Verfahren ergibt sich, dass durch die Aufhebung des angefochtenen Bescheides der verfahrensgegenständliche Asylantrag des Beschwerdeführers wieder unerledigt ist und über diesen von der belangten Behörde neuerlich, nämlich meritorisch abzusprechen ist (vgl. VwGH 17.11.2016, Ra 2016/21/0314).
3.4. In Folge Behebung der Spruchpunkte I. und II. liegen auch die Voraussetzungen für die Beurteilung der Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels, für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, für die Zulässigkeit der Abschiebung, für die Ausreisefrist und für die Erlassung eines Einreiseverbots nicht mehr vor, weshalb die Spruchpunkt III. bis VII. mangels einer gesetzlichen Grundlage keinen Bestand mehr haben können und ebenfalls aufzuheben waren.
3.5. Zum Entfall der mündlichen Verhandlung
Im vorliegenden Beschwerdefall nimmt das Bundesverwaltungsgericht von einer mündlichen Verhandlung gemäß § 21 Abs. 7 zweiter Satz BFA-VG iVm § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG Abstand, weil bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Artikel 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab noch fehlt es an einer Rechtsprechung (vgl. die unter Pkt. II.3. zitierte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes,); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
entschiedene Sache, Konfessionslosigkeit, neu entstandene TatsacheEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W238.2150713.2.01Zuletzt aktualisiert am
15.05.2020