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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AufG 1992 §2 Abs3 Z4 idF 1995/351;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Zens und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Brandtner, über die Beschwerde der 1966 geborenen B P in Wien, vertreten durch Dr. P P, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 10. Mai 1996, Zl. 303.807/9-III/11/96, betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin, die zuletzt über eine Aufenthaltsbewilligung vom 22. Februar 1995 bis zum 1. September 1995 verfügte, beantragte am 14. Juli 1995 die Verlängerung dieser Aufenthaltsbewilligung. Mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 3. November 1995 wurde dieser Antrag im Instanzenzug wegen des Fehlens von gesicherten Unterhaltsmitteln für die Dauer der Bewilligung abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin beantragte am 29. November 1995 neuerlich die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung; mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 19. März 1996 wurde dieser Antrag abgewiesen. Die Beschwerdeführerin erhob Berufung. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 10. Mai 1996 wurde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 6 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) sowie § 5 Abs. 1 AufG in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Z. 4 des Fremdengesetzes 1992 (FrG) abgewiesen. Die belangte Behörde stellte fest, daß für die Beschwerdeführerin nur die Stellung eines Erstantrages möglich sei; es stehe aber fest, daß der Antrag auf Erteilung einer Bewilligung nicht vor der Einreise der Beschwerdeführerin in das Bundesgebiet eingebracht wurde. Auch die ausnahmsweise Möglichkeit zur Inlandsantragstellung treffe im vorliegenden Fall auf die Beschwerdeführerin nicht zu. Weiters stünde fest, daß sich die Beschwerdeführerin seit Ablauf ihrer Aufenthaltsberechtigung am 1. September 1995 unerlaubt im Bundesgebiet aufhalte. Dadurch habe sie gezeigt, daß sie nicht gewillt sei, die Vorschriften des österreichischen Fremdenrechtes einzuhalten und zu respektieren und stelle das Verhalten der Beschwerdeführerin eine Gefährdung für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit dar, da dieses auf andere Fremde durchaus Beispielswirkungen haben könnte. Auch bezüglich des Art. 8 MRK sei die Ablehnung verfassungskonform, da berücksichtigt worden sei, daß durch den legalen Aufenthalt der Beschwerdeführerin eine teilweise Integration unabsprechbar sei. Dennoch sei der unrechtmäßige Aufenthalt insbsondere durch Fortsetzung des Aufenthaltes nach der Abweisung des Verlängerungsantrages ein schwerwiegender Eingriff in ein geordnetes Fremdenwesen und bei Abwägung der privaten Interessen mit den öffentlichen im Sinne des Art. 8 Abs. 2 MRK überwögen die öffentlichen Interessen.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Dreiersenat erwogen:
Im Hinblick auf das Datum der Zustellung des angefochtenen Bescheides (23. Mai 1996) hatte die belangte Behörde das AufG in der Fassung nach der Novelle BGBl. Nr. 351/1995 heranzuziehen. Die entscheidungswesentlichen Bestimmungen dieses Gesetzes hatten folgenden Wortlaut:
"§ 5.(1) Eine Bewilligung darf Fremden nicht erteilt werden, bei denen ein Sichtvermerksversagungsgrund (§ 10 Abs. 1 FrG) vorliegt, insbesondere aber, wenn deren Lebensunterhalt oder eine für Inländer ortsübliche Unterkunft in Österreich für die Geltungsdauer der Bewilligung nicht gesichert ist.
§ 6.(1) ...
(2) Der Antrag auf Erteilung einer Bewilligung ist vor der Einreise nach Österreich vom Ausland aus zu stellen. ... Eine Antragstellung im Inland ist ausnahmsweise zulässig. ...; schließlich für jene im Bundesgebiet aufhältige Personen, für die dies in einer Verordnung gemäß § 2 Abs. 3 Z. 4 festgelegt ist. ..."
§ 10 Abs. 1 Z. 4 FrG lautete:
"§ 10.(1) Die Erteilung eines Sichtvermerkes ist zu
versagen, wenn
...
4. der Aufenthalt des Sichtvermerkswerbers die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde;"
§ 4 Z. 4 der im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides in Geltung stehenden Verordnung der Bundesregierung über die Anzahl der Bewilligungen nach dem Aufenthaltsgesetz für 1996, BGBl. Nr. 854/1995, hatte folgenden Wortlaut:
"§ 4. Der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung kann ausnahmsweise im Inland gestellt werden von:
...
4. Personen, für die eine Beschäftigungsbewilligung, eine Arbeitserlaubnis oder ein Befreiungsschein ausgestellt ist, und deren Familienangehörigen im Sinne des § 3 des Aufenthaltsgesetzes, die eine Aufenthaltsbewilligung hatten."
Die Beschwerdeführerin bringt vor, sie habe im vorliegenden Fall rechtzeitig einen Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung gestellt; die Feststellung der Behörde, daß sie die Frist zur Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung erheblich versäumt habe, sei nicht angebracht. Dazu ist zu bemerken, daß die Beschwerdeführerin zwar rechtzeitig vor Ablauf ihrer letzten Aufenthaltsbewilligung einen Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung eingebracht hat. Allerdings wurde dieser Antrag vom 14. Juli 1995 mit dem in Rechtskraft erwachsenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 3. November 1995 abgewiesen. Gegenstand des angefochtenen Bescheides ist der nach rechskräftiger Abweisung dieses Antrages gestellte neuerliche Antrag der Beschwerdeführerin vom 29. November 1995. Der belangten Behörde kann daher nicht entgegengetreten werden, wenn sie den gegenständlichen Antrag als Erstantrag wertete, für den die Erfolgsvoraussetzungen des § 6 Abs. 2 erster Satz AufG maßgeblich waren.
Gemäß § 6 Abs. 2 erster Satz AufG ist der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung vor der Einreise nach Österreich vom Ausland aus zu stellen. Dieses Erfordernis ist nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht als bloße Formvorschrift zu werten (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. Jänner 1997, Zl. 96/19/1010), sondern als Voraussetzung, deren Nichterfüllung die Abweisung eines Antrages nach sich zieht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. Jänner 1997, Zl. 95/19/0895).
Die Beschwerdeführerin bestreitet weder im Verwaltungsverfahren noch im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof, daß sie den Antrag vom Inland aus gestellt hat. Eine derartige Vorgangsweise wäre nur dann rechtmäßig, wenn der Beschwerdeführerin eine ausnahmsweise Antragstellung vom Inland aus offengestanden wäre. Dazu, ob die Voraussetzungen einer der Tatbestände des § 4 der zitierten Verordnung im gegenständlichen Fall vorlagen oder nicht, traf die belangte Behörde keinerlei Feststellungen; dem angefochtenen Bescheid ist lediglich zu entnehmen, daß die Fälle der ausnahmsweisen Inlandsantragstellung "im vorliegenden Fall nicht zutreffen".
Die belangte Behörde unterließ eine Prüfung dahin, ob die Beschwerdeführerin, die über eine Aufenthaltsbewilligung verfügte, auch über während der Gültigkeit dieser Aufenthaltsbewilligung aufrechte Bewilligungen nach dem AuslBG (Befreiungsschein, Beschäftigungsbewilligung, Arbeitserlaubnis) verfügte. Den Aktenunterlagen ist diesbezüglich zu entnehmen, daß der Beschwerdeführerin ein Befreiungsschein mit Gültigkeit von 1. August 1991 bis 31. Juli 1996 erteilt wurde (vgl. Aktenseite 15) und daß sie zudem über eine Beschäftigungsbewilligung für den Zeitraum von 6. März 1995 bis 4. März 1996 (vgl. Aktenseite 62) verfügte. Die belangte Behörde hat weder das Vorliegen des Befreiungsscheines noch der Beschäftigungsbewilligung festgestellt und sich auch mit der Frage der (ungewöhnlichen) Parallelität dieser der Beschwerdeführerin erteilten ausländerbeschäftigungsrechtlichen Bewilligungen - auch vor dem Hintergrund eines allfälligen Widerrufes des Befreiungsscheines - nicht befaßt.
Es kann daher mangels entsprechender Feststellungen nicht ausgeschlossen werden, daß die Beschwerdeführerin im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides über eine aufrechte Bewilligung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) verfügte, zu deren Beginn die der Beschwerdeführerin erteilte Aufenthaltsbewilligung noch aufrecht war. Der durch die Unterlassung dieser Ermittlungen eingetretene Feststellungsmangel betrifft aus folgenden Gründen einen wesentlichen Punkt im Sinne des § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG:
Wie der Verwaltungsgerichtshof (vgl. das hg. Erkenntnis vom 7. März 1997, Zl. 95/19/0876) ausgesprochen hat, rechtfertigt ein länger dauernder Aufenthalt eines Fremden im Anschluß an die rechtskräftige Abweisung seines rechtzeitig gestellten Verlängerungsantrages grundsätzlich die Annahme, sein weiterer Aufenthalt werde die öffentliche Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens gefährden.
Eine Ausnahme von diesem Grundsatz hat jedoch dann Platz zu greifen, wenn der sich unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhaltende Fremde zur ausnahmsweisen Antragstellung im Inland berechtigt ist. Durch die in § 6 Abs. 2 dritter Satz AufG in Verbindung mit § 2 Abs. 3 Z. 4 AufG enthaltene (und auch voll ausgeschöpfte) Verordnungsermächtigung an die Bundesregierung, näher umschriebenen Gruppen von Fremden, die sich nach dem Ende ihrer Aufenthaltsbewilligung weiterhin unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, die Möglichkeit zur Antragstellung im Inland einzuräumen, gab der Gesetzgeber zu erkennen, daß er die vom unrechtmäßigen Aufenthalt solcher zur Antragstellung im Inland berechtigter Fremder ausgehende Störung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens nicht für so gravierend erachtet, daß daraus die gemäß § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG maßgebliche Prognose abzuleiten wäre, auch der weitere Aufenthalt des Fremden aufgrund einer zu erteilenden Bewilligung werde die öffentliche Ordnung (auf diesem Gebiet) gefährden. Ein solches Verhalten eines Fremden kann daher für sich allein genommen den Sichtvermerksversagungsgrund des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG nicht begründen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. Dezember 1997, Zl. 96/19/2066).
Da die belangte Behörde keine Feststellungen hinsichtlich des Bestehens ausländerbeschäftigungsrechtlicher Bewilligungen der Beschwerdeführerin getroffen hat, ist nicht auszuschließen, daß die Beschwerdeführerin ausnahmsweise zur Antragstellung vom Inland aus berechtigt gewesen wäre. Gehörte der Befreiungsschein dem Rechtsbestand an oder wurde der Beschwerdeführerin eine andere Bewilligung nach dem AuslBG erteilt, deren Gültigkeitsbeginn im Zeitraum der letzten der Beschwerdeführerin erteilten Aufenthaltsbewilligung lag, wäre die Beschwerdeführerin gemäß § 4 Z. 4 der Verordnung BGBl. Nr. 854/1995 zur ausnahmsweisen Antragstellung im Inland berechtigt (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 24. März 1997, Zl. 95/19/0902, sowie vom 27. Juni 1997, Zl. 95/19/0843). Die belangte Behörde wäre somit nicht berechtigt gewesen, den Abweisungsgrund des § 6 Abs. 2 erster Satz AufG heranzuziehen und ist auch der von der Behörde gebrauchte Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 AufG in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG von der hier aufgezeigten Rechtswidrigkeit der Abweisung aus dem Grunde des § 6 Abs. 2 AufG mitumfaßt.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1998:1996191961.X00Im RIS seit
02.05.2001