Entscheidungsdatum
22.10.2019Norm
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13Spruch
W261 2144834-1/19E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Karin GASTINGER, MAS über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.12.2016, Zl. XXXX , nach Durchführung von mündlichen Verhandlungen am 27.02.2017 und am 16.10.2019 zu Recht:
A)
I. Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
II. Der Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides wird wie folgt ergänzt:
"Es wird gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist."
B)
Die Revision ist nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Der nunmehrige Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste nach eigenen Angaben am 08.10.2015 in die Republik Österreich als unbegleiteter Minderjähriger Flüchtling ein und stellte am selben Tag gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
Bei der Erstbefragung am 08.10.2015 vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der BF im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Dari an, dass er 15 Jahre alt sei, und er Afghanistan verlassen habe, weil dort Krieg und Unsicherheit herrsche, und er Angst um sein Leben gehabt habe. Die allgemeine gefährliche Situation habe ihn bewogen, das Land zu verlassen, persönlich könne er keine Vorfälle nennen.
Aufgrund von Zweifeln an den Altersangaben des BF veranlasste das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge belangte Behörde) ein Handwurzelröntgen, welches die Angaben des BF bestätigte.
Daraufhin übernahm das Land Niederösterreich als Kinder- und Jugendhilfeträger die Obsorge für den mj. BF und erteilte der Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH mit Schreiben vom 21.12.2015 die Vollmacht, den BF in asyl- und fremdenrechtlichen Verfahren zu vertreten.
Am 06.09.2019 erfolgte die niederschriftliche Ersteinvernahme des BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge belangte Behörde) im Beisein seiner Vertreterin sowie eines Dolmetschers für die Sprache Dari. Er gab an, er sei in der Provinz Parwan geboren, sei Hazara und schiitischer Moslem. Er habe keine Schule besucht. Sein Großvater sei vor fünf Jahren von den Taliban getötet worden, sein Vater sei bei diesem Vorfall angeschossen worden. Die Familie sei von den Taliban bedroht worden. Die Taliban hätten den BF für zwei Tage mitgenommen, seinem Vater und seinem Großvater sei es gelungen, den BF zu befreien. Der BF legte eine Bestätigung über den Besuch eines Deutschkurses vor.
Die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH teilte mit Schreiben vom 05.12.2016 mit, dass die Vollmacht für den mj. BF zurückgelegt werde.
Mit nunmehr angefochtenem Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab. Gemäß § 57 AsylG 2005 erteilte die belangte Behörde dem BF keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen und erließ gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG, gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt III.). Weiters sprach die belangte Behörde aus, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des BF gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV).
Zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates bzw. zu der Situation im Falle einer Rückkehr stellte die belangte Behörde insbesondere fest, der BF habe eine Furcht vor Verfolgung durch die Taliban nicht glaubhaft gemacht. Ihm drohe auf Grund der Volksgruppenzugehörigkeit als Hazara in Afghanistan keine konkret gegen ihn gerichtete psychische oder physische Gewalt. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der BF einer konkreten persönlichen asylrelevanten Bedrohung in Afghanistan ausgesetzt gewesen sei, bzw. eine solche zukünftig zu befürchten hätte. Der BF könne zu seiner Familie in die Provinz Parwan zurückkehren. Er liefe nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse nicht befriedigen zu können und in eine aussichtlose Lage zu geraten.
Der mj. BF erhob mit Eingabe vom 10.01.2017 bevollmächtigt vertreten durch das Amt der NÖ Landesregierung, Gruppe Gesundheit und Soziales, Koordinierungsstelle UMF, gegen diesen Bescheid fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde und führte begründend aus, dass der Bescheid vollinhaltlich angefochten werde. Die belangte Behörde verkenne, dass der BF zu dem Zeitpunkt, als sich die geschilderten Ereignisse zugetragen hätten, noch sehr jung gewesen sei, weswegen er keine Details habe berichten können. Die Sicherheitslage in Afghanistan sei sehr schlecht, und die belangte Behörde habe es verabsäumt, die konkrete und spezielle Gefährdung von Minderjährigen zu berücksichtigen. Dem BF stehe keine innerstaatliche Flucht- und Schutzalternative zur Verfügung. Es werde beantragt, der Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung stattzugeben. Der BF schloss seiner Beschwerde zwei Berichte des ZDF und des WDR zur Lage in Afghanistan an.
Die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt langten am 16.01.2017 in der Gerichtsabteilung W267 beim Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) ein.
Mit Schreiben vom 02.02.2017 übermittelte das BVwG dem BF das Länderinformationsblatt zu Afghanistan mit Stand 19.12.2016 und räumte dem BF die Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme ein.
Das BVwG führte am 27.02.2017 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an der die belangte Behörde entschuldigt nicht teilnahm. Der BF wurde im Beisein seiner Vertreterin vom Amt der Niederösterreichischen Landesregierung und einer Dolmetscherin für die Sprache Dari zu seinen Fluchtgründen und zu seiner Situation in Österreich befragt und wurde ihm Gelegenheit gegeben, zu den aktuellen Feststellungen zur Situation in Afghanistan Stellung zu nehmen. Der BF legte eine Reihe von Integrationsunterlagen vor.
Der BF übermittelte mit Eingaben vom 04.07.2017, vom 12.07.2017 und vom 12.04.2018 weitere Integrationsunterlagen.
Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des BVwG vom 03.07.2019 wurde die gegenständliche Rechtssache der Gerichtsabteilung W267 abgenommen und der Gerichtsabteilung W261 neu zugewiesen.
Der Verein Menschenrechte Österreich gab am 05.08.2019 bekannt, dass dieser den BF rechtsfreundlich vertrete und legte eine Vollmacht vor. Mit Eingabe vom 11.09.2019 legte der BF weitere Integrationsunterlagen vor.
Das BVwG führte am 11.10.2019 eine Abfrage im GVS System durch, wonach der BF seit 09.10.2015 Leistungen aus der vorübergehenden Grundversorgung bezieht.
Aus dem vom BVwG am 11.10.2019 eingeholten Auszug aus dem Strafregister ist ersichtlich, dass im Strafregister der Republik Österreich für den BF keine Verurteilungen aufscheinen.
Das BVwG führte am 16.10.2019 eine weitere öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch. Der BF wurde im Beisein seiner Vertreterin vom Verein Menschenrechte Österreich, eines Vertreters der belangten Behörde und eines Dolmetschers für die Sprache Dari neuerlich zu seinen Fluchtgründen und zu seiner Situation in Österreich befragt und wurde ihm Gelegenheit gegeben, zu den aktuellen Feststellungen zur Situation in Afghanistan Stellung zu nehmen. Der BF legte weitere Integrationsunterlagen vor. Das BVwG legte im Zuge dieser Verhandlung das aktuelle Länderinformationsblatt Afghanistan mit Stand 04.06.2019, die UNHCR Richtlinien vom 30.08.2019, die EASO Leitlinien zu Afghanistan vom Juni 2019, die ECOI Feststellungen zur Sicherheitslage und sozioökonomischen Lage in Herat und Masar-e Sharif vom 30.04.2019 und den Landinfo report "Afghanistan: Die Nachrichtenkampagne der Taliban und die Einschüchterungskampagne" vor. Beide Parteien gaben umfassende Stellungnahmen ab.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1 Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers
Der BF führt den Namen XXXX , er ist am XXXX im Dorf XXXX , im XXXX , im Distrikt XXXX in der Provinz Parwan geboren. Er ist afghanischer Staatsbürger und gehört der Volksgruppe der Hazara an, er ist schiitischer Moslem. Seine Muttersprache ist Dari. Außer Dari spricht der BF noch Farsi und etwas Deutsch. Der BF ist gesund, ledig und hat keine Kinder. Der BF ist Zivilist.
Der BF ist in seinem Heimatdorf aufgewachsen und hat keine Schule besucht. In Afghanistan führte er Gelegenheitsarbeiten aus, im Iran in XXXX arbeitete er ab seinem 13. Lebensjahr für zwei Jahre als Schweißergehilfe.
Seine Eltern heißen XXXX und XXXX . Der BF hat vier Brüder, XXXX , XXXX XXXX und XXXX . Sein Vater war Eigentümer eines Hauses im Heimatdorf des BF. Die Eltern und Geschwister des BF leben mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nach wie vor im Heimatdorf des BF. Es ist nicht glaubhaft, dass der BF keinen Kontakt mehr mit seiner Familie hat.
Der BF reiste ca. im Jahr 2013 aus Afghanistan aus, lebte für zwei Jahre im Iran. Er reiste im Jahr 2015 über die Türkei über Griechenland und weitere Staaten nach Österreich, wo er spätestens am 08.10.2015 irregulär einreiste und am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.
1.2 Zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers
Das vom BF dargelegte Fluchtvorbringen betreffend die Gefahr von den Taliban verfolgt zu werden, ist nicht glaubhaft.
Der BF war in seinem Heimatland Afghanistan keiner psychischen oder physischen Gewalt aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe ausgesetzt, noch hat er eine solche, im Falle seiner Rückkehr, zu befürchten. Der BF wurde in Afghanistan nie persönlich bedroht oder angegriffen, es droht ihm auch künftig keine psychische oder physische Gewalt von staatlicher Seite, oder von Aufständischen, oder von sonstigen privaten Verfolgern in seinem Herkunftsstaat.
Dem BF droht wegen der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara oder zur schiitischen Religion konkret und individuell keine physische oder psychische Gewalt in Afghanistan. Nicht jeder Angehörige der Volksgruppe der Hazara oder der schiitischen Religion ist in Afghanistan physischer oder psychischer Gewalt ausgesetzt.
Auch sonst haben sich keine Hinweise für eine dem BF in Afghanistan individuell drohende Verfolgung ergeben.
1.3 Zum (Privat)Leben des Beschwerdeführers in Österreich:
Der BF befindet sich seit seiner Antragstellung im Oktober 2015 auf Grund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG 2005 durchgehend rechtmäßig im Bundesgebiet. Er bezieht seit seiner Einreise Leistungen aus der vorübergehenden Grundversorgung.
Am 31.05.2016 nahm der BF am Werte- und Orientierungskurs des ÖIF teil. In der Zeit vom Oktober 2016 bis November 2016 nahm er an einem Alphabetisierungskurs des der Wirtschaftskammer Niederösterreich teil. Am 29.06.2016 besuchte er einen Workshop zur Sexualpädagogik. Er besuchte von Jänner 2017 bis April 2017 den Basisbildungskurs für junge Flüchtlinge der XXXX GmbH in XXXX . In der Zeit vom März 2017 bis April 2017 absolvierte der einen Erst-Hilfe-Kurs beim Roten Kreuz. Er besuchte in Österreich im Jahr 2017 zwei Deutschkurse, genauer A0 und A1. Am 20.12.2017 erhielt er das ÖSD Zertifikat A1. In der Zeit von November 2017 bis Jänner 2018 besuchte er ein Modul zur Basisbildung des bfi in XXXX . In der Zeit vom Februar 2018 bis März 2018 besuchte er das Modul 2 zur Basisbildung des bfi. Er nimmt seit 09.07.2019 an der Basisbildungs-Schulung des XXXX teil. Seit September 2019 besucht er die Abendschule für Berufstätige der XXXX in der Fachrichtung Maschinenbau.
In seiner Freizeit betreibt er Sport, er spielt Volleyball und Fußball. Da der BF keine Arbeitserlaubnis hat, kann er in Österreich nicht arbeiten. Der BF hat in Österreich keine Familienangehörigen. Neben Freundschaften konnten keine weiteren substantiellen Anknüpfungspunkte im Bereich des Privatlebens des BF in Österreich festgestellt werden.
Der BF wird von seinen Vertrauenspersonen als aufmerksam, gewissenhaft, freundlich, respektvoll, hilfsbereit und fröhlich beschrieben.
Der BF ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.
1.4 Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:
Die Herkunftsprovinz des BF, die Provinz Parwan, ist laut EASO (siehe 1.5.1.1) als relativ sicher für Zivilisten anzusehen, weswegen der BF grundsätzlich dorthin zurückkehren könnte, ohne dass ihm ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen würde. Jedoch ist sein Heimatdorf nicht sicher zu erreichen.
Dem BF steht als interstaatliche Flucht- und Schutzalternative eine Rückkehr in der Stadt Mazar-e Sharif zur Verfügung, wo es ihm möglich ist, ohne Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können bzw. in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten, zu leben. Dem BF droht bei seiner Rückkehr in diese Stadt mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit kein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit.
Der BF ist jung und arbeitsfähig. Seine Existenz kann er in Mazar-e Sharif - zumindest anfänglich - mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern. Er ist auch in der Lage, eine einfache Unterkunft zu finden. Der BF hat auch die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form der Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen, sodass er im Falle der Rückkehr - neben den eigenen Ressourcen - auf eine zusätzliche Unterstützung zur Existenzsicherung greifen kann. Diese Rückkehrhilfe umfasst jedenfalls auch die notwendigen Kosten der Rückreise. Er hat zwar keine afghanische Schulausbildung, er hat jedoch bereits Berufserfahrung als Gelegenheitsarbeiter und Schweißergehilfe gesammelt, die er auch in Mazar-e Sharif wird nutzen können.
Der BF ist gesund. Der BF läuft im Falle der Rückkehr nach Mazar-e Sharif nicht Gefahr, aufgrund seines derzeitigen Gesundheitszustandes in einen unmittelbar lebensbedrohlichen Zustand zu geraten, oder dass sich eine Erkrankung in einem lebensbedrohlichen Ausmaß verschlechtern wird. Es sind auch sonst keine objektivierten Hinweise hervorgekommen, dass allenfalls andere schwerwiegende körperliche oder psychische Erkrankungen einer Rückführung des BF in den Herkunftsstaat entgegenstehen würden.
1.5 Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:
Zur Lage in Afghanistan werden die im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation in der Gesamtaktualisierung vom 29.06.2018 mit Stand vom 04.06.2019 (LIB), in den UNHCR Richtlinien vom 30.08.2018 (UNHCR), den EASO Leitlinien zu Afghanistan vom Juni 2019 (EASO 2019), in der Arbeitsübersetzung Landinfo report "Afghanistan: Der Nachrichtendienst der Taliban und die Einschüchterungskampagne" vom 23.08.2017 (Landinfo) und im ecoi.net Themendossier vom 30.04.2019 zur Sicherheitslage und sozioökonomische Lage in Herat und Masar-e Sharif (ECOI 2019) enthaltenen folgenden Informationen als entscheidungsrelevant festgestellt:
1.5.1 Sicherheitslage
Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen andere gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren. Ausländische Streitkräfte und Regierungsvertreter sowie die als ihre Verbündeten angesehenen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte und Vertreter der afghanischen Regierung sind prioritäre Ziele der Aufständischen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen auf staatliche Einrichtungen aus. In einigen Teilen des Landes ist fehlende Sicherheit die größte Bewegungseinschränkung. In bestimmten Gebieten machen Gewalt durch Aufständische, Landminen und improvisierte Sprengfallen (IEDs) das Reisen besonders gefährlich, speziell in der Nacht. Bewaffnete Aufständischengruppen betreiben illegale Checkpoints und erpressen Geld und Waren. (LIB)
1.5.1.1 Herkunftsprovinz Parwan
Die Herkunftsprovinz des BF, die Provinz Parwan, ist strategisch bedeutsam und liegt 64 km nördlich von Kabul. Die Provinz grenzt im Norden an Baghlan, im Osten an Panjshir und Kapisa, im Süden an Kabul und (Maidan) Wardak und im Westen an (Maidan) Wardak und Bamyan (NPS o.D.). Die Provinz besteht aus folgenden Distrikten:
Bagram, Jabal Saraj/Jabalussaraj, Salang, Sayed Khel/Saydkhel, Shinwar/Shinwari, Shikh Ali/Shekhali, Shurk Parsha/Surkh-e-Parsa, Charikar, Koh-e-Safi und Syiah Gird/Seyagerd/Ghorband. Charikar ist die Provinzhauptstadt. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf
687.243 geschätzt. In der Provinz leben Paschtunen, Tadschiken, Usbeken, Quizilbasch, Kuchi und Hazara.
Im Distrikt Bagram gibt es einen Militärflughafen. Das Bagram Airfield liegt in der Provinz Parwan, es ist der größte US-amerikanische militärische Stützpunkt der Provinz und ist manchmal von "high-profile"-Angriffen durch Aufständische betroffen.
Ein Abschnitt der Autobahn Kabul-Bamyan verbindet die Provinz mit Kabul und weiter mit anderen Provinzen. Die Provinzhauptstadt von Parwan, Charikar, ist durch die Kabul-Charikar Road, auch "A76" genannt, mit Kabul verbunden.
Parwan gehörte zu den volatilen Provinzen Afghanistans, in der Talibanaufständische in einigen abgelegenen Distrikten aktiv sind. Aus unruhigen Distrikten in der Provinz Parwan wird von Straßenbomben, Selbstmordangriffen, gezielten Tötungen und anderen terroristischen Angriffen berichtet. Deshalb werden Anti-Terrorismus Operationen durchgeführt, um die Aufständischen zu verdrängen. Talibanaufständische führen in einigen Teilen der Provinz Angriffe auf die Sicherheitskräfte aus.
Militärische Operationen werden in der Provinz durchgeführt; dabei werden Talibankämpfer getötet und Waffen gefunden. Auch werden Luftangriffe durchgeführt. Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Taliban finden statt.
Talibanaufständische sind in abgelegenen Distrikten der Provinz Parwan aktiv. Die Distrikte Seyagerd/Ghorband und Shinwari zählten im November 2017 zu den umkämpften Distrikten der Provinz (LIB).
Die Sicherheitslage hat sich in Parwan in den letzten Jahren verbessert. Die Provinz Parwan zählt laut EASO aktuell zu jenen Provinzen Afghanistans, in denen willkürliche Gewalt auf einem so niedrigen Niveau stattfindet, dass im Allgemeinen kein reales Risiko besteht, dass ein Zivilist aufgrund willkürlicher Gewalt im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie persönlich betroffen wird. Es müssen jedoch immer einzelne Elemente berücksichtigt werden, da sie den Antragsteller in risikoreichere Situationen bringen könnten (EASO 2019).
1.5.1.2 Provinz Balkh bzw. Stadt Mazar-e Sharif
Bei der Provinz Balkh handelt es sich um eine jener Provinzen, in denen es zu willkürlicher Gewalt kommt, jedoch nicht auf hohem Niveau, und dementsprechend ist ein höheres Maß an Einzelelementen erforderlich ist, um wesentliche Gründe für die Annahme aufzuzeigen, dass ein in dieses Gebiet zurückgekehrter Zivilist einem realen ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, Schaden im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie zu nehmen (EASO 2019).
Die Stadt Mazar-e Sharif wird von EASO als eine jener Regionen eingestuft, in welcher willkürliche Gewalt auf einem so niedrigen Niveau stattfindet, dass im Allgemeinen kein reales Risiko besteht, dass ein Zivilist aufgrund willkürlicher Gewalt im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie persönlich betroffen wird (EASO 2019).
Die Provinz Balkh liegt im Norden Afghanistans und grenzt an Usbekistan, Turkmenistan und Tadschikistan sowie an Kunduz, Baghlan, Samangan, Sar-e Pul und Jawzjan. Die Provinz besteht aus 15 Bezirken. Die Provinzhauptstadt ist Mazar-e Sharif (EASO 2019). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.382.155 geschätzt (LIB).
Das Machtmonopol in Balkh hatte lange Zeit der frühere Kriegsherr Atta Mohammed Noor inne, der später Gouverneur von Balkh wurde, aber im Dezember 2017 nach einem Streit mit Präsident Ghani zurücktrat.
Die Mehrheit der Distrikte in Balkh steht unter staatlicher Kontrolle, wobei zwei Distrikte als umstritten und ein Distrikt als unter Kontrolle der Taliban eingestuft werden. Während Balkh Berichten zufolge eine der stabilsten Provinzen Afghanistans ist, sind in der Provinz dennoch regierungsfeindliche Elemente aktiv, und es wurden 2018 und Anfang 2019 Sicherheitsvorfälle gemeldet. Taliban-Kämpfer haben ALP-Personal, Mitglieder regierungsfreundlicher Milizen und Sicherheitsposten während des gesamten Jahres 2018 und Anfang 2019 in den Distrikten Sholgareh, Chahrbulak, Chemtal und Dawlatabad angegriffen. Die ANSF führte mehrere Clearing-Operationen in Balkh durch. Darüber hinaus führte die US-Luftwaffe im April 2018 einen Luftangriff im Bezirk Charbulak durch. Weitere Beispiele für Vorfälle waren eine Bombenexplosion am Straßenrand im Bezirk Sholgareh, die Entführung von Reisenden durch die Taliban, die Entführung und das Töten von Wahlbeobachtern. Laut GIM wurden im Zeitraum Januar 2018 - Februar 2019 131 Vorfälle in der Provinz Balkh im Zusammenhang mit Aufständischen gemeldet (durchschnittlich 2,2 Vorfälle pro Woche) (EASO 2019).
Die Stadt Mazar-e Sharif ist nach wie vor eine der stabilsten Regionen Afghanistans, sie zählt zu den relativ ruhigen Städten in Nordafghanistan (LIB). Die Bevölkerung wird offiziell mit 454 457 Einwohnern angegeben. Der Rücktritt von Atta Mohammed Noor als Gouverneur von Balkh im Dezember 2017 führte Berichten zufolge zu vermehrten kriminellen Aktivitäten, wie bewaffneten Raubüberfällen, Mord, Zusammenstößen und Entführungen in Mazar-e Sharif. Mazar- e Sharif steht unter staatlicher Kontrolle (EASO 2019).
1.5.2 Sichere Einreise
Die Stadt Mazar-e Sharif ist über den internationalen Flughafen sicher erreichbar. Der Flughafen von Mazar-e Sharif (MRZ) liegt 9 km östlich der Stadt im Bezirk Marmul. Die Befahrung der Straßen von diesem Flughafen bis zur Stadt Mazar-e Sharif ist zur Tageszeit im Allgemeinen sicher. (EASO 2019)
1.5.3 Wirtschafts- und Versorgungslage
Zur Wirtschafts- und Versorgungslage ist festzuhalten, dass Afghanistan weiterhin ein Land mit hoher Armutsrate und Arbeitslosigkeit ist. Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Nichtsdestotrotz bleiben bedeutende Herausforderungen bestehen, da das Land weiterhin von Konflikten betroffen, arm und von Hilfeleistungen abhängig ist
(LIB).
Laut Daten der Afghanistan Living Conditions Survey (ALCS) 2016 - 2017 können 2 Millionen Afghanen - das sind 23,9% der gesamten Erwerbsbevölkerung - als arbeitslos eingestuft werden, was bedeutet, dass sie nicht arbeiten oder eine Beschäftigung suchen, oder weniger als acht Stunden pro Woche arbeiten. Junge Afghanen treten jedes Jahr in großer Zahl in den Arbeitsmarkt ein, aber die Beschäftigungsmöglichkeiten können aufgrund unzureichender Entwicklungsressourcen und mangelnder Sicherheit nicht mit dem Bevölkerungswachstum mithalten. Afghanistan war seit 2011-2012 mit einem starken Anstieg der Armut konfrontiert, wobei sowohl die städtischen als auch die ländlichen Armutsraten zunahmen. In den Jahren 2016-2017 lebten 54,5% der Bevölkerung unterhalb der nationalen Armutsgrenze. Immer mehr Menschen greifen auf negative Bewältigungsmechanismen wie Kleinkriminalität, Kinderehen, Kinderarbeit und Betteln zurück, von denen insbesondere Binnenvertriebene betroffen sind. Der Zugang zu einer produktiven oder entgeltlichen Beschäftigung ist begrenzt, 80% der Beschäftigung gelten als anfällig und unsicher in Form von Selbst- oder Eigenbeschäftigung, Tagarbeit oder unbezahlter Arbeit. Der saisonale Effekt ist erheblich. Die Arbeitslosenquote ist in den Frühlings- und Sommermonaten relativ niedrig (rund 20%), während sie im Winter 32,5% erreichen kann. ALCS 2016 - 2017 stellte fest, dass nur 19,8% aller in Afghanistan beschäftigten Personen öffentlich und privat angestellt sind oder Arbeitgeber sind, was bedeutet, dass die Mehrheit der Arbeitnehmer eine gefährdete Beschäftigung darstellt. 52,6% der Landbevölkerung sind in der Landwirtschaft beschäftigt, während die städtische Beschäftigung vielfältiger ist. 36,5% der Erwerbsbevölkerung sind in verschiedenen Dienstleistungsbereichen beschäftigt und nur 5,5% in der Landwirtschaft (EASO 2019).
Laut Daten der ALCS von 2016 bis 2017 sind 44,6% der afghanischen Bevölkerung - das sind 13 Millionen Menschen - sehr stark bis mäßig von Lebensmittelunsicherheit betroffen. In allen Wohnbevölkerungsgruppen war seit 2011 ein Anstieg festzustellen, wobei der höchste Anstieg in den ländlichen Gebieten zu verzeichnen war. Während der Winterpflanzsaison im Dezember 2017 - Februar 2018 war Afghanistan von einer längeren Dürreperiode betroffen. UNOCHA stellte fest, dass die Dürre im Jahr 2018 mehr als zwei Drittel der afghanischen Bevölkerung getroffen hat, gesundheitliche Probleme verursacht, negative Bewältigungsmechanismen ausgelöst und die Einkommen halbiert hat (EASO 2019).
Afghanistans jährliche Wachstumsrate der städtischen Bevölkerung gehört zu den höchsten der Welt. Kabul war das Zentrum des Wachstums, und der Rest der städtischen Bevölkerung konzentriert sich hauptsächlich auf vier andere Stadtregionen: Herat, Mazar-e Sharif, Kandahar und Jalalabad. Die große Mehrheit (72%, basierend auf ALCS-Zahlen für 2016-2017) der afghanischen Stadtbevölkerung lebt in Slums oder in ungenügenden Wohnungen. 86% der städtischen Häuser in Afghanistan können gemäß der Definition von UN-Habitat als Slums eingestuft werden. Der Bericht über den Zustand afghanischer Städte stellte fest, dass der Zugang zu angemessenem Wohnraum für die Mehrheit der Afghanen in den Städten eine große Herausforderung darstellt. Armut und Ungleichheit sind die harte Realität für etwa ein Drittel aller städtischen Haushalte (EASO 2019).
Der Zugang zu sauberem Trinkwasser sowie angemessenen sanitären Einrichtungen hat sich erheblich verbessert. Der Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen, wie Wasserversorgung und Abwasserentsorgung, war in den Städten im Allgemeinen besser als auf dem Land. Der Zugang zu Trinkwasser ist für viele Afghanen jedoch nach wie vor ein Problem, und die sanitären Einrichtungen sind weiterhin schlecht (EASO 2019).
1.5.3.1 Wirtschafts- und Versorgungslage der Stadt Mazar-e Sharif
Mazar-e Sharif ist ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst. Die Infrastruktur ist jedoch noch unzureichend und behindert die weitere Entwicklung der Region. (LIB)
Mazar-e Sharif ist ein regionales Handelszentrum für Nordafghanistan und ein Industriezentrum mit großen Produktionsbetrieben und einer großen Anzahl kleiner und mittlerer Unternehmen, die Kunsthandwerk, Teppiche und Teppiche anbieten. Mazar-e Sharif gilt im Vergleich zu Herat oder Kabul als relativ stabiler. Die größte Gruppe von Arbeitern in der Stadt Mazar-e Sharif sind im Dienstleistungsbereich und als Verkäufer tätig (EASO 2019).
In Mazar-e Sharif besteht laut EASO grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum zu mieten. Darüber hinaus bietet die Stadt Mazar-e Sharif die Möglichkeit von "Teehäusern", die mit 30 Afghani (das sind ca. € 0,35) bis 100 Afghani (das sind ca. € 1,20) pro Nacht relativ günstig sind. "Teehäuser" werden von Reisenden, Tagesarbeitern, Straßenhändlern, jungen Menschen, alleinstehenden Männern und anderen Personen, die in der Gegend keine ständige Unterkunft haben, als vorübergehende Unterkunft genutzt (EASO 2019).
Die meisten Menschen in Mazar-e Sharif haben Zugang zu erschlossener Wasserversorgung (76%), welche in der Regel in Rohrleitungen oder aus Brunnen erfolgt. 92% der Haushalte haben Zugang zu besseren Sanitäreinrichtungen (EASO 2019).
Mazar-e Sharif befand sich im Februar 2019 in Phase 2 des von FEWS NET verwendeten Klassifizierungssystems. In Phase 2, auch "Stressed" genannt, weisen Haushalte nur einen gerade noch angemessenen Lebensmittelverbrauch auf und seien nicht in der Lage sich wesentliche, nicht nahrungsbezogenen Güter zu leisten ohne irreversible Bewältigungsstrategien anzuwenden. (ECOI 2019)
1.5.4 Medizinische Versorgung
Das afghanische Gesundheitsministerium gab an, dass 60% der Menschen im April 2018 Zugang zu Gesundheitsdiensten hatten, wobei der Zugang als eine Stunde Fußweg zur nächsten Klinik definiert wurde. Trotz der Tatsache, dass die Gesundheitsversorgung laut afghanischer Verfassung kostenlos sein sollte, müssen die Menschen in vielen öffentlichen Einrichtungen für Medikamente, Arzthonorare, Labortests und stationäre Versorgung bezahlen. Hohe Behandlungskosten sind der Hauptgrund, weswegen die Behandlung vermieden wird (EASO 2019)
Es gibt ungefähr 10-15 Krankenhäuser in Mazar-e Sharif, die meisten davon werden privat geführt, und 30-50 Gesundheitskliniken (EASO 2019).
1.5.5 Ethnische Minderheiten
In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2017 mehr als 34,1 Millionen Menschen. Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht.
Schätzungen zufolge, sind: 40% Paschtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara, 9% Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Art. 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht. Diese weiteren in der Verfassung genannten Sprachen sind Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri. Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz, beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen.
Die schiitische Minderheit der Hazara, zu welchen der BF zählt, macht etwa 10% der Bevölkerung aus. Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt und unter der Bezeichnung Hazaradschat (azarajat) bekannt ist. Das Kernland dieser Region umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz Wardak. Es können auch einzelne Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul dazugerechnet werden. Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind einerseits ihr ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild, woraus gern Schlussfolgerungen über eine turko-mongolische Abstammung der Hazara gezogen werden. Eine Minderheit der Hazara, die vor allem im nordöstlichen Teil des Hazaradschat leben, sind Ismailiten.
Die Hazara-Gemeinschaft/Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Familie bzw. dem Klan. Die sozialen Strukturen der Hazara werden manchmal als Stammesstrukturen bezeichnet; dennoch bestehen in Wirklichkeit keine sozialen und politischen Stammesstrukturen. Das traditionelle soziale Netz der Hazara besteht größtenteils aus der Familie, obwohl gelegentlich auch politische Führer einbezogen werden können.
Nicht weniger wichtig als Religion und Abstammung ist für das ethnische Selbstverständnis der Hazara eine lange Geschichte von Unterdrückung, Vertreibung und Marginalisierung. Jahrzehntelange Kriege und schwere Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben. Dennoch hat sich die Lage der Hazara, die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgt waren, grundsätzlich verbessert; vornehmlich aufgrund von Bildung und vor allem auf ökonomischem und politischem Gebiet. Hazara in Kabul gehören jetzt zu den am besten gebildeten Bevölkerungsgruppen und haben auch eine Reihe von Dichtern und Schriftstellern hervorgebracht. Auch wenn es nicht allen Hazara möglich war diese Möglichkeiten zu nutzen, so haben sie sich dennoch in den Bereichen Bildung, öffentliche Verwaltung und Wirtschaft etabliert.
So haben Hazara eine neue afghanische Mittelklasse gegründet. Im Allgemeinen haben sie, wie andere ethnische Gruppen auch, gleichwertigen Zugang zum Arbeitsmarkt. Nichtsdestotrotz, sind sie von einer allgemein wirtschaftlichen Verschlechterung mehr betroffen als andere, da für sie der Zugang zu Regierungsstellen schwieriger ist - außer ein/e Hazara ist selbst Abteilungsleiter/in. Einer Quelle zufolge existiert in der afghanischen Gesellschaft die Auffassung, dass andere ethnische Gruppierungen schlecht bezahlte Jobs Hazara geben. Einer weiteren Quelle zufolge, beschweren sich Mitglieder der Hazara-Ethnie über Diskriminierung während des Bewerbungsprozesses, da sie anhand ihrer Namen leicht erkennbar sind. Die Ausnahme begründen Positionen bei NGOs und internationalen Organisationen, wo das Anwerben von neuen Mitarbeitern leistungsabhängig ist. Arbeit für NGOs war eine Einnahmequelle für Hazara - nachdem nun weniger Hilfsgelder ausbezahlt werden, schrauben auch NGOs Jobs und Bezahlung zurück, was unverhältnismäßig die Hazara trifft. So berichtet eine weitere Quelle, dass Arbeitsplatzanwerbung hauptsächlich über persönliche Netzwerke erfolgt. Hazara haben aber aufgrund vergangener und anhaltender Diskriminierung eingeschränkte persönliche Netzwerke.
Gesellschaftliche Spannungen bestehen fort und leben lokal in unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf; soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten finden ihre Fortsetzung in Erpressungen (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Festnahmen.
Die Hazara sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 10% in der Afghan National Army und der Afghan National Police repräsentiert.
(LIB)
1.5.6 Religion
Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 10-15 % Schiiten, wie es auch der BF ist. (LIB)
Beobachtern zufolge ist die Diskriminierung der schiitischen Minderheit durch die sunnitische Mehrheit zurückgegangen; dennoch existieren Berichte zu lokalen Diskriminierungsfällen. Afghanischen Schiiten ist es möglich, ihre Feste öffentlich zu feiern; einige Paschtunen sind jedoch wegen der Feierlichkeiten missgestimmt, was gelegentlich in Auseinandersetzungen mündet. In den Jahren 2016 und 2017 wurden schiitische Muslime, hauptsächlich ethnische Hazara, oftmals Opfer von terroristischen Angriffen u.a. der Taliban und des IS (LIB).
1.5.7 Rückkehrer/innen
In der Zeit von 2012 bis 2017 sind 1.821.011 Personen nach Afghanistan zurückgekehrt, wobei der Großteil der Rückkehrer/innen aus Pakistan und dem Iran kommen. Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück. In der Provinz Balkh ließen sich von den insgesamt ca. 1,8 Millionen Rückkehrer/innen in der Zeit von 2012 bis 2017 109.845 Personen nieder.
Aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen besteht auch für zurückkehrende Flüchtlinge das Risiko, in die Armut abzurutschen. Sowohl das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (United Nations World Food Programme) als auch andere UN-Organisationen arbeiten mit der afghanischen Regierung zusammen, um die Kapazität humanitärer Hilfe zu verstärken, rasch Unterkünfte zur Verfügung zu stellen und Hygiene- und Nahrungsbedürfnisse zu stillen.
Die afghanische Regierung kooperierte mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Fähigkeit der afghanischen Regierung vulnerable Personen zu unterstützen, einschließlich Rückkehrer/innen aus Pakistan und dem Iran, bleibt begrenzt und ist weiterhin auf die Hilfe der internationalen Gemeinschaft angewiesen. Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig (BFA Staatendokumentation 4.2018). Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (z. B. IPSO und AMASO). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung. Neue politische Rahmenbedingungen für Rückkehrer/innen und IDPs wurden von unterschiedlichen afghanischen Behörden, dem Ministerium für Flüchtlinge und Repatriierung (MoRR) und internationalen Organisationen geschaffen und sind im Dezember 2016 in Kraft getreten. Diese Rahmenbedingungen gelten sowohl für Rückkehrer/innen aus der Region (Iran und Pakistan), als auch für jene, die aus Europa zurückkommen oder IDPs sind. Soweit dies möglich ist, sieht dieser mehrdimensionale Ansatz der Integration unter anderem auch die individuelle finanzielle Unterstützung als einen Ansatz der "whole of community" vor. Demnach sollen Unterstützungen nicht nur Einzelnen zugutekommen, sondern auch den Gemeinschaften, in denen sie sich niederlassen. Die Rahmenbedingungen sehen die Grundstücksvergabe als entscheidend für den Erfolg anhaltender Lösungen. Hinsichtlich der Grundstücksvergabe wird es als besonders wichtig erachtet, das derzeitige Gesetz zu ändern, da es als anfällig für Korruption und Missmanagement gilt. Auch wenn nicht bekannt ist, wie viele Rückkehrer/innen aus Europa Grundstücke von der afghanischen Regierung erhalten haben - und zu welchen Bedingungen - sehen Experten dies als möglichen Anreiz für jene Menschen, die Afghanistan schon vor langer Zeit verlassen haben und deren Zukunftsplanung von der Entscheidung europäischer Staaten über ihre Abschiebungen abhängig ist.
Die Großfamilie ist für Zurückkehrende die zentrale soziale Institution in Afghanistan und bildet das wichtigste soziale Sicherheitsnetz der Afghanen. Alle Familienmitglieder sind Teil des familiären Netzes. Die Großfamilie trägt zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder bei. Sie bildet auch eine wirtschaftliche Einheit; die Männer der Familie sind verpflichtet, die Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen und die Familie in der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Auslandsafghanen pflegen zumeist enge Kontakte mit ihren Verwandten in Afghanistan. Quellen zufolge verlieren nur sehr wenige Afghanen in Europa den Kontakt zu ihrer Familie. Die Qualität des Kontakts mit der Familie hängt möglicherweise auch davon ab, wie lange die betreffende Person im Ausland war bzw. wie lange sie tatsächlich in Afghanistan lebte, bevor sie nach Europa migrierte. Der Faktor geographische Nähe verliert durch technologische Entwicklungen sogar an Wichtigkeit. Der Besitz von Mobiltelefonen ist mittlerweile "universell" geworden und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten. Ein fehlendes familiäres Netzwerk stellt eine Herausforderung für die Reintegration von Migrant/innen in Afghanistan dar. Quellen zufolge haben aber alleinstehende afghanische Männer, egal ob sie sich kürzer oder länger außerhalb der Landesgrenzen aufhielten, sehr wahrscheinlich eine Familie in Afghanistan, zu der sie zurückkehren können. Eine Ausnahme stellen möglicherweise jene Fälle dar, deren familiäre Netze in den Nachbarstaaten Iran oder Pakistan liegen. Quellen zufolge halten Familien in Afghanistan in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren.
Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere, wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z. B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen "professionellen" Netzwerken (Kolleg/innen, Kommilitonen etc.) sowie politische Netzwerke usw. Die unterschiedlichen Netzwerke haben verschiedene Aufgaben und unterschiedliche Einflüsse - auch unterscheidet sich die Rolle der Netzwerke zwischen den ländlichen und städtischen Gebieten. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind einige Rückkehrer/innen auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer/innen dar, was möglicherweise zu einem neuerlichen Verlassen des Landes führen könnte. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer/innen besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden. (LIB)
1.5.8 Terroristische und aufständische Gruppierungen
Terroristische und aufständische Gruppierungen stellen Afghanistan und die Koalitionskräfte grundsätzlich vor erhebliche Herausforderungen. Derzeit sind rund 20 terroristische Organisationen in Afghanistan zu finden: das von außen unterstützte Haqqani-Netzwerk stellt nach wie vor die größte Gefährdung für afghanische und internationale Kräfte dar. Die Verflechtung von Taliban und Haqqani-Netzwerk ist so intensiv, dass diese beiden Gruppierungen als Fraktionen ein und derselben Gruppe angesehen werden. Wenn auch die Taliban öffentlich verkündet haben, sie würden zivile Opfer einschränken, so führt das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin Angriffe in bevölkerungsreichen Gegenden aus. Schätzungen von SIGAR zufolge kontrollierten im Oktober 2017 und im Jänner 2018 die Taliban 14% der Distrikte Afghanistans. Die Taliban selbst verlautbarten im März 2017, dass sie beinahe 10% der afghanischen Distrikte kontrollierten. (LIB)
Die Taliban haben eine Vielzahl von Personen ins Visier genommen, die sich ihrer Meinung nach "fehlverhalten", unter anderem Kollaborateure der afghanischen Regierung - praktisch jeder, der der Regierung in irgendeiner Weise hilft. Die Taliban bieten diesen Personen grundsätzlich die Möglichkeit an, Reue und den Willen zur Wiedergutmachung zu zeigen. (Landinfo)
2. Beweiswürdigung:
2.1 Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers
Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, Herkunft, ethnischen und religiösen Zugehörigkeit sowie zu den Aufenthaltsorten, Sprachkenntnissen, der Schulbildung und Berufserfahrung des BF beruhen auf dessen plausiblen, im Wesentlichen gleichbleibenden Angaben im Laufe des Asylverfahrens. Die Angaben dienen zur Identifizierung im Asylverfahren.
Die Feststellungen, wonach die Familie des BF mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nach wie vor im Heimatdorf des BF lebt und der BF mit ihnen in Kontakt steht, gründen sich auf die diesbezüglich unglaubhaften und widersprüchlichen Angaben des BF. Während er vor dem BFA zunächst noch angab, seine Eltern und Geschwister würden derzeit im Heimatdorf leben (vgl. S 5 der Niederschrift der Einvernahme vor dem BFA am 06.09.2016), führte er an weiterer Stelle aus, seit ca. 5 Monaten keinen Kontakt mehr mit seiner Familie zu haben, da er die Nummer nicht habe. Seine Eltern hätten ihn immer angerufen, aber seit 5 Monaten hätte er nichts mehr von ihnen gehört (vgl. S 9 der Einvernahme vor dem BFA). In den Beschwerdeverhandlungen vor dem BVwG führte der BF aus, er habe nach seiner Ankunft in Österreich jemanden gebeten, einen Brief an seine Eltern zu schicken und die Telefonnummer bekannt gegeben. Seine Eltern hätten ihn daraufhin angerufen. Nachdem seine SIM-Karte verloren und sein Handy kaputtgegangen sei, sei der Kontakt mit ihnen abgerissen. Der BF habe daraufhin mit seinem neuen Handy versucht, die Eltern zu an der ihm bekannten Nummer anzurufen, sie seien aber nicht erreichbar gewesen (vgl. S 10,11 der Niederschrift der ersten Beschwerdeverhandlung am 27.02.2017 und S 8 der Niederschrift der zweiten Beschwerdeverhandlung am 16.10.2019). Die Frage, ob er einen weiteren Brief mit der neuen Nummer nach Afghanistan geschickt habe, verneinte der BF. Es ist nicht nachvollziehbar, dass der BF, der zuvor ein gutes Verhältnis zu seinen Verwandten hatte und sich nach seiner Ankunft in Österreich um eine Kontaktaufnahme bemüht hatte, nach einem angeblichen Abriss des Kontaktes nicht weitere Versuche übernimmt, mit seinen Verwandten zu kommunizieren. Der BF verwickelte sich auch in Widersprüche, als er zunächst angab, er wisse nicht, wer derzeit an seiner alten Wohnadresse im Heimatdorf lebe (vgl. S 6 der ersten Beschwerdeverhandlung am 27.02.2017), anschließend aber ausführte, jemand anderer hätte das Haus bekommen und dies auf Nachfrage, woher er dies wisse, mit der Aussage bekräftigte, er sei ja von dort gekommen (vgl. S 11 der ersten Beschwerdeverhandlung am 27.02.2017). Auf Vorhalt seiner eigenen Angaben vor der belangten Behörde, wonach die Familie immer noch im Haus im Heimatdorf lebe, gab der BF an, gesagt zu haben, dass er dies nicht mehr wisse. Jetzt sei aber alles unter Kontrolle der Taliban. Er habe nicht gesagt, dass seine Familie dort nicht mehr wohnen würde. Auf Vorhalt, dass er sehr wohl zwei Minuten zuvor gesagt habe, dass jemand anderer das Haus bekommen habe, widersprach der BF erneut, und führte aus, gesagt zu haben, dass er nicht wisse, ob es jemand anderer habe (vgl. S 10 und 11 der ersten Beschwerdeverhandlung am 27.02.2017). Zusammengefasst sind diese Angaben als Schutzbehauptungen zu werten, um für den BF die Anzahl der noch in Afghanistan bestehenden familiären Anknüpfungspunkte möglichst gering zu halten. Es ist daher davon auszugehen, dass die Eltern und Geschwister des BF nach wie vor im Heimatdorf leben und zu diesen auch Kontakt besteht.
2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 idF BGBl. I Nr. 145/2017, (in der Folge: AsylG 2005) liegt es auch am BF, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht.
Das Asylverfahren bietet, wie der VwGH erst jüngst in seinem Erkenntnis vom 27.05.2019, Ra 2019/14/0143-8, wieder betonte, nur beschränkte Möglichkeiten, Sachverhalte, die sich im Herkunftsstaat des Asylwerbers ereignet haben sollen, vor Ort zu verifizieren. Hat der Asylwerber keine anderen Beweismittel, so bleibt ihm lediglich seine Aussage gegenüber den Asylbehörden, um das Schutzbegehren zu rechtfertigen. Diesen Beweisschwierigkeiten trägt das österreichische Asylrecht in der Weise Rechnung, dass es lediglich die Glaubhaftmachung der Verfolgungsgefahr verlangt. Um den Status des Asylberechtigten zu erhalten, muss die Verfolgung nur mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit drohen. Die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt jedoch nicht. Dabei hat der Asylwerber im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach § 15 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen.
Mit der Glaubhaftmachung ist demnach die Pflicht der Verfahrenspartei verbunden, initiativ alles darzulegen, was für das Zutreffen der behaupteten Voraussetzungen spricht und diesbezüglich konkrete Umstände anzuführen, die objektive Anhaltspunkte für das Vorliegen dieser Voraussetzung liefern. Insoweit trifft die Partei eine erhöhte Mitwirkungspflicht. Allgemein gehaltene Behauptungen reichen für eine Glaubhaftmachung nicht aus (vgl. VwGH 17.10.2007, 2006/07/0007).
Die Glaubhaftmachung hat das Ziel, die Überzeugung von der Wahrscheinlichkeit bestimmter Tatsachenbehauptungen zu vermitteln. Glaubhaftmachung ist somit der Nachweis einer Wahrscheinlichkeit. Dafür genügt ein geringerer Grad der Wahrscheinlichkeit als der, der die Überzeugung von der Gewissheit rechtfertigt (VwGH 29.05.2006, 2005/17/0252). Im Gegensatz zum strikten Beweis bedeutet Glaubhaftmachung ein reduziertes Beweismaß und lässt durchwegs Raum für gewisse Einwände und Zweifel am Vorbringen des Asylwerbers. Entscheidend ist, ob die Gründe, die für die Richtigkeit der Sachverhaltsdarstellung sprechen, überwiegen oder nicht. Dabei ist eine objektivierte Sichtweise anzustellen.
Unter diesen Maßgaben ist das Vorbringen eines Asylwerbers also auf seine Glaubhaftigkeit hin zu prüfen. Dabei ist vor allem auf folgende Kriterien abzustellen: Das Vorbringen des Asylwerbers muss - unter Berücksichtigung der jeweiligen Fähigkeiten und Möglichkeiten - genügend substantiiert sein; dieses Erfordernis ist insbesondere dann nicht erfüllt, wenn der Asylwerber den Sachverhalt sehr vage schildert oder sich auf Gemeinplätze beschränkt, nicht aber in der Lage ist, konkrete und detaillierte Angaben über seine Erlebnisse zu machen. Das Vorbringen hat zudem plausibel zu sein, muss also mit den Tatsachen oder der allgemeinen Erfahrung übereinstimmen; diese Voraussetzung ist u.a. dann nicht erfüllt, wenn die Darlegungen mit den allgemeinen Verhältnissen im Heimatland nicht zu vereinbaren sind oder sonst unmöglich erscheinen. Schließlich muss das Fluchtvorbringen in sich schlüssig sein; der Asylwerber darf sich demgemäß nicht in wesentlichen Aussagen widersprechen.
Der BF gibt als Fluchtgrund im Wesentlichen an, sein Großvater habe für die Regierung gearbeitet und sei Mitglied der Hezb-e Wahdat gewesen. Die Taliban hätten von diesem verlangt, mit ihnen zusammenzuarbeiten und ihnen Informationen über die Regierung zu verschaffen. Sie hätten auch vom Vater des BF verlangt, sich ihnen anzuschließen. Da die beiden sich geweigert hätten, hätten die Taliban den damals elfjährigen BF entführt und zwei Tage festgehalten. Die Taliban hätten verlangt, dass der Vater und Großvater des BF bei ihnen erscheinen sollten, damit sie den BF freilassen würden, ansonsten würden sie den BF töten. Als Vater und Großvater daraufhin zu den Taliban gekommen seien, hätten die Taliban den Großvater getötet und den Vater angeschossen, weshalb er seither auf einem Bein gelähmt sei. Der BF sei freigelassen worden. Die Familie habe ab diesem Zeitpunkt für die Taliban arbeiten müssen. Der Vater habe den BF, als dieser 13 Jahre alt gewesen sei, schließlich in den Iran geschickt, wo er zwei Jahre lang gelebt habe. Die Taliban würden noch immer nach dem BF suchen.
Dieses Vorbringen des BF, dass er persönlich auch von den Taliban bedroht werde, ist aus folgenden Gründen nicht glaubhaft:
In der Erstbefragung gab der BF zu seinem Fluchtgrund befragt noch an, aufgrund der allgemein gefährlichen Situation in seinem Herkunftsland, wo Krieg und Unsicherheit herrschen würden, Afghanistan verlassen zu haben. Persönlich könne er keine Vorfälle nennen (vgl. S 5 der Erstbefragung am 09.10.2015).
Gemäß § 19 Abs. 1 AsylG 2005 dient die Erstbefragung zwar "insbesondere" der Ermittlung der Identität und der Reiseroute eines Fremden und hat sich nicht auf die "näheren" Fluchtgründe zu beziehen (vgl. hierzu auch VfGH 27.06.2012, U 98/12), ein Beweisverwertungsverbot ist damit jedoch nicht normiert; die Verwaltungsbehörde bzw. das BVwG können in ihrer Beweiswürdigung also durchaus die Ergebnisse der Erstbefragung in ihre Beurteilung miteinbeziehen.
Es wird im vorliegenden Fall zwar nicht verkannt, dass sich die Erstbefragung des BF nicht in erster Linie auf seine Fluchtgründe bezog, und diese daher nur in aller Kürze angegeben und protokolliert wurden. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die behaupteten Vorfälle bereits einige Jahre in der Vergangenheit liegen und der BF zum Zeitpunkt der Erstbefragung noch minderjährig war, und deshalb Erinnerungslücken einer vollkommen detaillierten Erzählung entgegenstehen können. Dass der BF eine Bedrohung durch die Taliban - und damit seinen in weiterer Folge einzigen Fluchtgrund - zunächst hingegen nicht einmal ansatzweise erwähnte, ist nicht nachvollziehbar, hätte sich diese tatsächlich zugetragen, und wäre sie für ihn von einer fluchtauslösenden Intensität gewesen. Dazu kommt, dass der BF im Zeitpunkt der Einvernahme vor dem BFA sowie der ersten Beschwerdeverhandlung vor dem BVwG, in denen er sein Fluchtvorbringen steigerte, ebenfalls noch minderjährig war. Dabei ist hervorzuheben, dass der BF grundsätzlich in der Lage sein muss, umfassende und inhaltlich übereinstimmende Angaben zu den konkreten Umständen und dem Grund der Ausreise aus dem Herkunftsstaat zu machen, zumal eine Person, die aus Furcht vor Verfolgung ihren Herkunftsstaat verlassen hat, gerade in ihrer ersten Einvernahme auf konkrete Befragung zu ihrer Flucht die ihr gebotene Möglichkeit wohl kaum ungenützt lassen wird, die Umstände und Gründe ihrer Flucht in umfassender und in sich schlüssiger Weise darzulegen, um den beantragten Schutz vor Verfolgung möglichst rasch erhalten zu können. Es entspricht auch der allgemeinen Lebenserfahrung, dass eine mit Vernunft begabte Person, die behauptet, aus Furcht vor Verfolgung aus ihrem Herkunftssaat geflüchtet zu sein, über wesentlich Ereignisse im Zusammenhang mit ihrer Flucht, die sich im Bewusstsein dieser Person einprägen, selbst nach einem längeren Zeitraum noch ausreichend konkrete, widerspruchsfreie und nachvollziehbare Angaben machen kann.
Der BF steigerte sein Vorbringen auch in der Folge noch weiter und verstrickte sich dabei in Widersprüche. In der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA gab der BF auf die Frage, was der ausschlaggebende Grund gewesen sei, Afghanistan zu verlassen, an:
"Die Taliban haben meinen Vater bedroht. Mein Vater sollte Informationen an die Taliban geben und wenn er das nicht machen sollte, dann würden die Taliban uns töten. Deswegen hat mich mein Vater weggeschickt." (vgl. S 9 der Niederschrift der Einvernahme vor dem BFA am 06.09.2016). In der ersten Beschwerdeverhandlung am 27.02.2017 erwähnte er seinen Vater zunächst nicht mehr, sondern gab an, die Taliban hätten von seinem Großvater verlangt, dass er mit ihnen zusammenarbeiten solle. Auf Vorhalt des Widerspruchs gab der BF an, dies so vor der belangten Behörde nicht gesagt zu haben. Nach dem Hinweis des Richters, wonach der BF zu Beginn der Beschwerdeverhandlung die Richtigkeit seiner protokollierten Angaben der behördlichen Einvernahme bestätigt und keine Probleme mit dem Dolmetscher angegeben habe (vgl. S 3 und 4 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vor dem BVwG am 27.02.2017), berief sich der BF darauf, Analphabet zu sein und nicht zu wissen, was im Protokoll stehe (vgl. S 14 und 15 der Beschwerdeverhandlung am 27.02.2017). Der BF vermag mit diesem Argument nicht zu überzeugen, zumal er zuvor auch die Rückübersetzung der Protokolle der Erstbefragung und der Einvernahme bestätigte (vgl. S 3 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung am 27.02.2017), und es dabei unerheblich ist, ob er lesen kann oder nich