TE Bvwg Erkenntnis 2019/10/31 W182 2224819-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 31.10.2019
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

31.10.2019

Norm

B-VG Art. 133 Abs4
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2 Z7

Spruch

W182 2224819-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. PFEILER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Volksrepublik China, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen Spruchpunkt III. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.10.2019, Zl. 1241840901 - 191023710, nach § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr 33/2013 idgF, zu Recht erkannt:

A) Der Beschwerde wird Folge gegeben und der Spruchpunkt III. des

bekämpften Bescheides ersatzlos behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz

(B-VG), BGBl. Nr. 1/1930 idgF, nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Laut Bericht der Finanzpolizei an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Bundesamt) vom XXXX wurde die Beschwerdeführerin (im Folgenden: BF), eine chinesische Staatsangehörige, am selben Tag im Bundesgebiet bei einer Kontrolle im Auftrag eines handelsrechtlichen Geschäftsführers einer Handelsgesellschaft arbeitend ohne im Besitz einer arbeitsmarktbehördlichen Bewilligung zu sein und ohne Meldung beim Sozialversicherungsträger angetroffen. Der Geschäftsführer habe gegenüber der Finanzpolizei niederschriftlich angegeben, dass die BF für dessen Firma Listen abgearbeitet habe, "alles mit freundschaftlichen Hintergrund ohne Bezahlung". Die BF habe die Erlaubnis gehabt, dort zu wohnen und sei entsprechend dort eingerichtet gewesen. Sie soll eine Bekannte der Mutter des Geschäftsführers sein. Laut einer E-Mail-Mitteilung der Finanzpolizei vom XXXX an das Bundesamt wurde die BF bei der Kontrolle im obersten Stockwerk eines Gebäudes, in dem (auch) ein Verkaufslokal einer (chinesischen) Einzelunternehmerin untergebracht sei, in einem Schlafzimmer bei einem Tisch und eingeschalteten PC, wobei auf dem Bett Kundengesamtlisten der bereits genannten Handelsgesellschaft sowie an diese adressierte Poststücke gelegen seien, angetroffen.

Laut einem Bericht einer Polizeiinspektion vom XXXX wurde die BF, die im Zuge einer Kontrolle beim Arbeiten am Computer angetroffen worden sei und lediglich über einen ungarischen Aufenthaltstitel verfüge, am selben Tag festgenommen, da ihr Aufenthalt illegal geworden sei.

Die BF, die im Bundesgebiet vor dem XXXX nicht gemeldet war, verfügt seit Jänner 2002 über einen ungarischen bis zum Mai 2021 gültigen Daueraufenthaltstitel. Dieser Umstand konnte durch eine Anfrage des Bundesamtes bei den ungarischen Behörden bestätigt werden.

In einer Einvernahme beim Bundesamt am XXXX brachte die BF u.a. vor, dass sie seit zwei Jahren gelegentlich nach Österreich komme. Zuletzt sei sie am 04.10.2019 von Ungarn wegen einer Buddhismus-Großveranstaltung nach Österreich gereist. Sie sei Teilnehmerin einer Gesangsgruppe. Eine Bekannte, die Mutter des Geschäftsführers der bereits genannten Handelsgesellschaft, stelle ihr für diese Zeit unentgeltlich Wohnraum zur Verfügung. In dem Zimmer, wo sie angetroffen worden sei, habe sie sich am Monitor einen Film anschauen wollen. Dies Liste habe anderen Personen gehört. Die in kürze XXXX jährige BF lebe seit XXXX in Ungarn und sei zuletzt 2005 auf Besuch in China gewesen. In Ungarn bekomme man nach acht Jahren Aufenthalt einen Daueraufenthaltstitel. Sie habe in Ungarn als Geschäftsfrau gearbeitet und lebe nunmehr von ihren Ersparnissen. Sie habe in Ungarn ein Haus gebaut und ihr Eigentum daran einer anderen Person übertragen, könne aber dafür gratis dort wohnen. Sie sei geschieden. Ihre Mutter und ihre erwachsenen Kinder leben in China.

Mit Mandatsbescheid des Bundesamtes vom XXXX , Zl. 1248533303/191025461, wurde gegen die BF zur Sicherung der Abschiebung gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG die Schubhaft verhängt.

2. Mit dem im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes wurde gegen die BF gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach China zulässig sei (Spruchpunkt II.), gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 7 FPG gegen die BF ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt III.) und einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 FPG die aufschiebende Wirkung aberkannt.

Dazu wurde im Wesentlichen begründend ausgeführt, dass die BF, eine chinesische Staatsangehörige mit ungarischen Aufenthaltstitel, in Österreich von der Polizei bei der Ausübung einer nicht genehmigten Tätigkeit in Arbeit angetroffen worden sei. Die Annahme einer nicht genehmigten Tätigkeit stütze sich insbesondere auf die Sachverhaltsdarstellung der Polizei, der Meldung der zuständigen Polizeiinspektion sowie der niederschriftlichen Einvernahme beim Bundesamt jeweils vom XXXX . Die Tatsache, dass die BF bei der Ausübung von Arbeitstätigkeiten, die sie nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz ohne eine entsprechende Bewilligung nicht hätte ausüben dürfen, rechtfertige die Annahme, dass ihr weiterer Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährde. Lediglich die Festnahme der BF habe verhindern können, dass sie weiterhin einer nicht genehmigten Tätigkeit nachgehe. Da sie offenbar gezielt, lediglich zwecks Durchführung nicht genehmigter Tätigkeiten ins Bundesgebiet eingereist sei, könne vorläufig keine positive Zukunftsprognose getroffen werden, weswegen die Verhängung eines Einreiseverbotes in der ausgesprochenen Dauer konkret zur Abwehr weiteren volkswirtschaftlichen Schadens und zur Verdeutlichung der Bedeutung der Einhaltung österreichsicher Gesetze notwendig gewesen sei.

Mit Verfahrensanordnung vom XXXX wurde der BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG ein Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.

3. Die BF wurde am 16.10.2019 aus der Schubhaft entlassen und ist am gleichen Tag freiwillig nach Ungarn ausgereist.

4. Gegen Spruchpunkt III. des oben angeführten Bescheides wurde seitens der BF innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben. Darin wurde insbesondere ausgeführt, dass die BF, die über einen Daueraufenthaltstitel für Ungarn verfüge und nach Österreich eingereist sei, um eine Veranstaltung zu besuchen, von der Polizei in einer Wohnung aufgegriffen worden sei, jedoch anders als vom Bundesamt behauptet nicht bei einer illegalen Arbeitstätigkeit auf frischer Tat angetroffen worden sei. Die BF bestreite in Österreich jemals gearbeitet zu haben. Sie sei auch sonst nicht negativ aufgefallen. Sie sei nicht vorbestraft. Sie lebe seit fast 30 Jahren legal in Europa und stelle keinerlei Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar. Sie sei lange Zeit eine Geschäftsfrau gewesen und habe sich ihre Existenzgrundlage gesichert. Sie sei mit ihrem Reisepass und dem Aufenthaltstitel freiwillig und auf eigene Kosten ausgereist. In Anbetracht der konkreten Umstände des Falles hätte die erkennende Behörde bei richtiger rechtlicher Beurteilung somit zu dem Ergebnis kommen müssen, dass die Erlassung eines Einreiseverbotes in der Dauer von fünf Jahren nicht geboten sei.

5. Die BF ist unbescholten.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen und Beweiswürdigung:

Der unter I. ausgeführte Verfahrensgang, der den Feststellungen zugrunde gelegt wird, ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes, der Beschwerdeschrift sowie einer Strafregisterauskunft zum Stichtag.

2. Rechtliche Beurteilung:

2.1. Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn (Z 1) der der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder (Z 2) die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Letztere Variante traf unter Berücksichtigung der in ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 VwGVG vertretenen Ansicht über den prinzipiellen Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auf die gegenständliche Konstellation zu (vgl. dazu etwa VwGH 28.07.2016, Zl. Ra 2015/01/0123).

Soweit das Verwaltungsgericht nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, hat es gemäß § 27 VwGVG den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs.1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen. Gemäß § 9 Abs.1 VwGVG hat die Beschwerde u.a. (Z 3) die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt, sowie (Z 4) das Begehren zu enthalten. In den erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage zur Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I Nr. 51/2012, wurde zu § 27 VwGVG ausgeführt: "Der vorgeschlagene § 27 legt den Prüfungsumfang des Verwaltungsgerichtes fest. Anders als die Kognitionsbefugnis einer Berufungsbehörde (vgl. § 66 Abs. 4 AVG) soll die Kognitionsbefugnis des Verwaltungsgerichtes durch den Inhalt der Beschwerde beschränkt sein."

Zu Spruchteil A):

2.2.1. Aufgrund der sich lediglich gegen das in Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides ausgesprochene Einreiseverbot beschränkenden Beschwerde ist gegenständlich gemäß der in § 27 VwGVG verankerten Bindung des erkennenden Gerichtes an die Beschwerde, lediglich über diesen abzusprechen (vgl. zur gesonderten Möglichkeit der Anfechtung der Erlassung des Einreiseverbots auch RV zu § 53 Abs. 1 FPG, 2144 BlgNR XXIV. GP, 23).

Gemäß § 31 Abs. 1 Z 3 FPG idgF halten sich Fremde rechtmäßig im Bundesgebiet auf, wenn sie Inhaber eines von einem Vertragsstaat ausgestellten Aufenthaltstitels sind bis zu drei Monaten (Artikel 21 SDÜ gilt), sofern sie während ihres Aufenthaltes im Bundesgebiet keiner unerlaubten Tätigkeit nachgehen.

Gemäß Art. 21 Abs. 1 des Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ) können Drittausländer, die Inhaber eines gültigen, von einer der Vertragsparteien ausgestellten Aufenthaltstitels sind, sich auf Grund dieses Dokuments und eines gültigen Reisedokuments höchstens bis zu drei Monaten frei im Hoheitsgebiet der anderen Vertragsparteien bewegen, soweit sie die in Artikel 5 Absatz 1 Buchstaben a, c und e aufgeführten Einreisevoraussetzungen erfüllen und nicht auf der nationalen Ausschreibungsliste der betroffenen Vertragspartei stehen.

Laut Art. 5 Absatz 1 Buchstaben e SDÜ darf der Drittausländer keine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die nationale Sicherheit oder die internationalen Beziehungen einer der Vertragsparteien darstellen.

Gemäß § 3 Abs. 2 Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG), BGBl. Nr. 218/1975 idgF, darf ein Ausländer, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, eine Beschäftigung nur antreten und ausüben, wenn für ihn eine Beschäftigungsbewilligung oder Entsendebewilligung erteilt oder eine Anzeigebestätigung ausgestellt wurde oder wenn er eine für diese Beschäftigung gültige "Rot-Weiß-Rot - Karte", "Blaue Karte EU" oder "Aufenthaltsbewilligung - Künstler" oder eine "Rot-Weiß-Rot - Karte plus", eine "Aufenthaltsberechtigung plus", einen Befreiungsschein (§ 4c) oder einen Aufenthaltstitel "Familienangehöriger" oder "Daueraufenthalt - EU" besitzt. Als Ausländer im Sinne dieses Bundesgesetzes gilt gemäß § 2 Abs. 1 AuslBG, wer nicht die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt. Als Arbeitsverhältnis gilt gemäß § 2 Abs. 2 AuslBG u.a. die Verwendung (lit. a) in einem Arbeitsverhältnis oder (lit. b) in einem arbeitnehmerähnlichen Verhältnis.

"Wird jemand bei der Erbringung von Dienstleistungen für einen anderen arbeitend unter solchen Umständen angetroffen, die nach der Lebenserfahrung üblicherweise auf ein Dienstverhältnis hindeuten, dann ist die Behörde berechtigt, von einem Dienstverhältnis im üblichen Sinn auszugehen, sofern im Verfahren nicht jene atypischen Umstände dargelegt werden, die einer solchen Deutung ohne nähere Untersuchung entgegenstehen (vgl. das Erkenntnis vom 08.06.2010, Zl. 2009/18/0376, mwN)."(VwGH 31.05.2012, Zl. 2011/23/0408). Die Bereitstellung von Quartier und Verpflegung stellt eine Gegenleistung in einem Dienstverhältnis dar (VwGH 04.06.2009, Zl. 2009/18/0175).

Auch kurzfristige Tätigkeiten sind als Arbeitsleistungen im Rahmen einer dem AuslBG unterliegenden Beschäftigung zu qualifizieren (vgl. VwGH 15.12.2004, Zl. 2002/09/0070; 22.02.2006, Zl. 2002/09/0187). Als Gefälligkeitsdienste können kurzfristige, freiwillige und unentgeltliche Dienste anerkannt werden, die vom Leistenden auf Grund spezifischer Bindungen (etwa Verwandtschaft, Freundschaft, Nachbarschaft) zwischen ihm und dem Leistungsberechtigten erbracht werden, wobei der Übergang zwischen Gefälligkeitsdienst und kurzfristiger Beschäftigung im Sinne des AuslBG in der Rechtsprechung als "fließend" bezeichnet und ausgeführt wurde, dass eine Würdigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmen ist, um einen Gefälligkeitsdienst annehmen zu können (Vgl. etwa VwGH 15.03.2018, Zl. Ra 2018/21/0023, Rz 15). So rechtfertigt der Umstand der stundenweisen Aushilfe (in der Landwirtschaft und im Gastbetrieb) eines Ausländers, der bei einem Arbeitgeber freies Quartier und freie Kost hat, für sich alleine nicht die Annahme einer Beschäftigung im Sinne des AuslBG (vgl. VwGH 11.07.1990, Zl. 90/09/0062). Auch die Mithilfe eines Dauergastes im Haushalt oder die Dienste eines Flüchtlings für Quartier und Kost (vgl. VwGH 29.11.2000, Zl. 98/09/0199) oder die Hilfe beim Ausladen eines Fahrzeuges als Erkenntlichkeit für eine Mitfahrgelegenheit (VwGH 03.07.2000, Zl. 99/09/0037) kann einen Gefälligkeitsdienst darstellen (vgl. dazu auch VwGH 15.03.2018, Zl. Ra 2018/21/0023, zu einem Fremden, der in der Konditorei seiner Tante beim Verzieren einer Torte angetroffen wurde). Bedenken sind dort angebracht, wo die Tätigkeit in einem Gewerbebetrieb erfolgen soll. Wesentlich ist die Freiwilligkeit der Erbringung der Arbeitsleistung insofern, als zu dieser keine rechtliche Verpflichtung bestehen darf (vgl. VwGH VwGH 02.07.2010, Zl. 2007/09/0267; VwGH 4.04.2001, Zl. 99/09/0148).

2.2.2. Die BF, die über einen ungarischen Daueraufenthaltstitel verfügt, wurde laut Feststellungen des Bundesamtes, bei der Ausübung einer Beschäftigung ohne erforderlicherer arbeitsmarktbehördlicher Bewilligung von der Polizei angetroffen, weshalb ihr Aufenthalt im Bundesgebiet nicht länger rechtmäßig gewesen und der Einreisverbotstatbestand nach § 53 Abs. 2 Z 7 FPG erfüllt sei. Das Bundesamt hat sich dabei aber weder mit der konkreten Tätigkeit der BF noch den Begleitumständen auseinandergesetzt, die diese Deutung stützen. Eine diesbezügliche nähere Auseinandersetzung wäre allenfalls im Hinblick auf eine Abgrenzung zu einem bloßen Gefälligkeitsdienst, jedenfalls aber hinsichtlich der für jedes Einreiseverbot zu treffenden Gefährlichkeitsprognose vorzunehmen gewesen, bei der das Gesamt(fehl)verhalten des Fremden in Betracht zu ziehen ist (vgl. dazu etwa VwGH 19.02.2013, Zl. 2012/18/0230).

Hinzu kommt, das im gegenständlichen Fall die Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot nur nach Maßgabe des § 52 Abs. 6 FPG in Frage kommt (vgl. etwa VwGH 29.05.2018, Zl. Ra 2018/21/0060 Rz. 15).

2.2.3. Ist ein nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältiger Drittstaatsangehöriger im Besitz eines Aufenthaltstitels oder einer sonstigen Aufenthaltsberechtigung eines anderen Mitgliedstaates, hat er sich gemäß § 52 Abs. 6 FPG unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses Staates zu begeben. Dies hat der Drittstaatsangehörige nachzuweisen. Kommt er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach oder ist seine sofortige Ausreise aus dem Bundesgebiet aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich, ist eine Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 zu erlassen.

Demnach bedarf es nach der ersten Konstellation des § 52 Abs. 6 FPG vor Erlassung einer Rückkehrentscheidung einer "Verpflichtung" des Drittstaatsangehörigen, sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses anderen Mitgliedstaates zu begeben (VwGH 10.04.2014, 2013/22/0310). Die Frage der "Unverzüglichkeit" stellt sich dann in Bezug auf die Zeitspanne, die seit Ausspruch der "Verpflichtung" ergangen ist. Wird ihr "unverzüglich" entsprochen, hat eine Rückkehrentscheidung zu unterbleiben, andernfalls ist sie zu verhängen (vgl. VwGH 21.12.2017, Ra 2017/21/0234, Rz. 14 ). Davon hat das Bundesamt abgesehen.

Die zweite Konstellation des § 52 Abs. 6 FPG setzt wiederum voraus, dass die Rückkehrentscheidung (samt Einreisverbot) darauf gestützt wird, dass die sofortige Ausreise des Beschwerdeführers aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit erforderlich ist. Dazu hat sich der Verwaltungsgerichtshof in einer derartigen Situation bereits mehrfach dahingehend geäußert, "dass die bei Erlassung einer Rückkehrentscheidung zu beurteilende Frage nach dem Eingriff in das Privat- oder Familienleben des Drittstaatsangehörigen nicht allein im Hinblick auf seine Verhältnisse in Österreich beurteilt werden darf, sondern dass auch die Situation in den anderen Mitgliedstaaten in den Blick zu nehmen ist (so grundlegend VwGH 15.12.2011, 2011/21/0237, VwSlg. 18295 A, Punkt 3. der Entscheidungsgründe). Das hat der Verwaltungsgerichtshof erst jüngst bestätigt, indem er - wenn auch fallbezogen nur in Bezug auf ein Einreiseverbot - darauf hingewiesen hat, "dass die privaten Bindungen des Revisionswerbers

zur Slowakei ... im Rahmen der Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG

... zu berücksichtigen gewesen wären" (VwGH 15.03.2018, Ra 2018/21/0023, Rz. 15)" (VwGH 03.07.2018, Zl. Ro 2018/21/0007).

Unter Zugrundelegung der zitierten Judikatur war sohin sowohl bei der Entscheidung über die Rückkehrentscheidung als auch das Einreisverbot auf die privaten und familiären Interessen der BF Bedacht zu nehmen, wobei im vorliegenden Fall im Hinblick darauf, dass die Maßnahme grundsätzlich auf das gesamte Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten bezogen sein soll, gerade auch das in Ungarn geführte Privatleben der BF in den Blick zu nehmen ist. Dies wurde vom Bundesamt jedoch zur Gänze verabsäumt.

2.2.4. Die privaten Verhältnisse der BF in Ungarn, wo sie sich laut eigenen Angaben ununterbrochen seit etwa 28 Jahren legal aufhält und nachweislich seit 2002 dort über einen Daueraufenthaltstitel verfügt, wurde vom Bundesamt in diesem Zusammenhang völlig ignoriert. Hierbei wird -in Hinblick auf die Gewichtung innerhalb der Interessensabwägung nach § 9 Abs. 2 BFA-VG (vgl. auch VwGH 03.07.2018, Zl. Ro 2018/21/0007, Rz. 10) auch der Verfestigungstatbestand nach § 9 Abs. 5 BFA-VG auf Ungarn übertragen zumindest indiziell zu werten sein, wonach gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden darf, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen.

Bereits aus der langjährigen ununterbrochenen Aufenthalts- und Niederlassungsdauer ergibt sich eine massive Verfestigung der BF in Ungarn. Da die bald XXXX jährige BF zudem unbescholten ist, wobei unter Zugrundelegung der Ermittlungen und Feststellungen des Bundesamtes auch keine Hinweise auf die Begehung von Straftaten außerhalb Österreichs vorliegen, und in Ungarn auch erwerbstätig war, kann in der vorliegenden Konstellation - selbst bei Annahme der Erfüllung des Einreiseverbotstatbestandes nach § 53 Abs. 2 Z 7 FPG - nur von einem Überwiegen ihrer privaten Interessen ausgegangen werden. Somit erweist sich im vorliegenden Fall aber auch die Verhängung eines Einreiseverbotes als nicht mehr vertretbar.

Unter Berücksichtigung der Beschwerdebeschränkung auf Spruchpunkt III. war sohin spruchgemäß zu entscheiden.

2.3. Zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

In der Beschwerde wurde kein Antrag auf Abhaltung einer mündlichen Verhandlung gestellt und steht der Sachverhalt unter Zugrundelegung der Aktenlage sowie des Beschwerdeinhaltes zweifelsfrei fest.

Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte sohin gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben (vgl. dazu auch VwGH 13.09.2016, Ra 2016/01/0070-9).

Zu Spruchteil B):

Gemäß § 25a Abs.1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs.4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.

Die Revision ist sohin gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Voraussetzungen, Wegfall der Gründe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W182.2224819.1.00

Zuletzt aktualisiert am

15.05.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten