TE Bvwg Erkenntnis 2019/12/27 G314 2226699-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.12.2019
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

27.12.2019

Norm

BFA-VG §18 Abs2 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs1 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2 Z6
FPG §55 Abs4

Spruch

G314 2226699-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Katharina BAUMGARTNER über die Beschwerde des albanischen Staatsangehörigen XXXX, geboren am XXXX, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung (Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH), gegen die Spruchpunkte II. bis V. des Bescheids des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 17.11.2019, Zl. XXXX, betreffend die Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot zu Recht:

A) Der Beschwerde wird teilweise Folge gegeben und der angefochtene

Bescheid dahingehend abgeändert, dass es insgesamt zu lauten hat:

"1. Gemäß § 9 BFA-VG wird gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 1 Z 2 FPG erlassen.

2. Gemäß § 52 Abs 9 FPG wird festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Albanien zulässig ist.

3. Gemäß § 53 Abs 1 iVm Abs 2 Z 6 FPG wird gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.

4. Gemäß § 18 Abs 2 Z 1 BFA-VG wird einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt.

5. Gemäß § 55 Abs 4 FPG besteht keine Frist für die freiwillige Ausreise."

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (BF) wurde am XXXX.2019 am Flughafen XXXX festgenommen, weil er sich vor einem Flug nach London mit einem gefälschten Dokument ausgewiesen hatte. Nach seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wurde ihm mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid kein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG erteilt (Spruchpunkt I.), gemäß § 10 Abs 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 1 Z 1 FPG erlassen (Spruchpunkt II.), gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Albanien zulässig sei (Spruchpunkt III.), gemäß § 53 Abs 1 iVm Abs 2 Z 6 FPG ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt IV.) und einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt V.).

Am XXXX.2019 wurde der BF nach Albanien abgeschoben.

Gegen die Spruchpunkte II. bis V. des Bescheids richtet sich die Beschwerde mit den Anträgen, den Bescheid im Anfechtungsumfang, jedenfalls aber das Einreiseverbot, zu beheben, in eventu, das Einreiseverbot zu verkürzen oder auf Österreich zu beschränken, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen und festzustellen, dass dem BF eine Frist zur freiwilligen Ausreise hätte eingeräumt werden müssen. Dies wird zusammengefasst damit begründet, dass der BF am XXXX.2019 rechtmäßig als Tourist mit einem biometrischen Reisepass in das österreichische Bundesgebiet eingereist sei. Er habe ein berücksichtigungswürdiges Interesse an einem Verbleib in Österreich zu touristischen Zwecken; die Rückkehrentscheidung sei nicht zur Wahrung der öffentlichen Ruhe und Ordnung erforderlich und stelle einen unverhältnismäßigen Eingriff in sein Privat- und Familienleben dar. Er habe seine Identität bei der Einvernahme vor dem BFA nicht (mehr) verschleiert, an der Feststellung des relevanten Sachverhalts mitgewirkt und in seine Abschiebung eingewilligt. Er habe bei der Einreise EUR 800 besessen, bei der Festnahme noch EUR 100 in bar und EUR 40 auf seinem Bankkonto. Damit hätte er seinen Aufenthalt bis zur Ausreise finanzieren können, zumal er nicht vorgehabt habe, länger in Österreich zu bleiben. Erforderlichenfalls hätten ihm seine Familienangehörigen Geld auf sein Konto überweisen können. Das Einreiseverbot sei daher nicht erforderlich, jedenfalls aber unverhältnismäßig lange. Die aufschiebende Wirkung sei zu Unrecht aberkannt worden; das Verhalten des BF gebiete nicht seine sofortige Ausreise. Ihm hätte eine Frist für die freiwillige Ausreise eingeräumt werden müssen, was auch für einen allfälligen Antrag auf Aufhebung oder Verkürzung des Einreiseverbots gemäß § 60 Abs 1 FPG, der eine fristgerechte Ausreise voraussetze, relevant sei.

Das BFA legte die Beschwerde samt den Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem Antrag vor, den angefochtenen Bescheid zu bestätigen.

Feststellungen:

Die BF kam am XXXX im albanischen Ort XXXX zur Welt. Er ist albanischer Staatsangehöriger und spricht Albanisch. In seinem Herkunftsstaat, wo seine Mutter und sein Bruder sowie Onkel und Tanten nach wie vor leben, besuchte er elf Jahre lang die Schule, begann eine Ausbildung zu Elektriker und war anschließend bei einem Fassadenunternehmen beschäftigt.

Der BF hat einen am 21.08.2019 ausgestellten und bis 20.08.2029 gültigen (biometrischen) albanischen Reisepass, mit dem er am XXXX.2019 in das österreichische Bundesgebiet einreiste, wo er in einem Hotel in XXXX Unterkunft nahm. Er besorgte sich einen gefälschten rumänischen Personalausweis, den er am XXXX.2019 am Flughafen XXXX bei der Grenzkontrolle vor einem Flug nach London verwendete. Er wollte nach London zu seinen Cousins reisen, um dort zu arbeiten. Er hat ein Bankkonto mit einem Guthaben von umgerechnet ca. EUR 40. Bei seiner Festnahme hatte er noch ungefähr EUR 100 in bar bei sich. Weitere finanzielle Mittel können nicht festgestellt werden.

Mit der rechtskräftigen Strafverfügung der Landespolizeidirektion XXXX vom XXXX.2019 wurde gegen den BF wegen nicht rechtmäßigen Aufenthalts (§ 120 Abs 1a FPG iVm § 31 Abs 1, 1a FPG) eine Geldstrafe von EUR 600 verhängt; die gemäß § 37a Abs 1 VStG eingehobene vorläufige Sicherheit von EUR 200 wurde darauf angerechnet.

Der BF ist gesund und arbeitsfähig, ledig und kinderlos und in strafrechtlicher Hinsicht unbescholten. In Österreich hat er keine familiären oder sonstigen sozialen Bindungen. Er ist hier weder sprachlich noch beruflich noch gesellschaftlich integriert. Er hat Cousins in Italien, Deutschland sowie im Vereinigten Königreich; weitere familiäre oder sonstige private Bindungen in anderen Vertragsstaaten bestehen nicht.

Albanien ist seit 2009 NATO-Mitglied und seit 2014 EU-Beitrittskandidat. Die Todesstrafe ist abgeschafft. In Albanien herrschen keine kriegerischen oder sonstigen bewaffneten Auseinandersetzungen. Rückgeführte Staatsangehörige werden nicht diskriminiert und haben nicht mit staatlicher Repression zu rechnen. Es sind keine Fälle von Misshandlungen bekannt. Eine Festnahme erfolgt nur, wenn gegen eine Person aufgrund anderer Delikte ermittelt wird. Albanien kommt seinen im Rücknahmeabkommen mit der EU kodifizierten Verpflichtungen nach.

Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang und die Feststellungen ergeben sich aus dem unbedenklichen Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten und des Gerichtsakts des BVwG. Entscheidungswesentliche Widersprüche liegen nicht vor. Die Angaben des BF bei der Einvernahme vor dem BFA waren grundsätzlich schlüssig und können der Entscheidung daher zugrunde gelegt werden.

Die Identität des BF wird anhand der vorliegenden Kopie aus seinem Reisepass festgestellt. Albanischkenntnisse sind aufgrund seiner Herkunft und der in Albanien absolvierten Ausbildung plausibel. Die Feststellungen zu seiner Ausbildung, Erwerbstätigkeit und seinen familiären Anknüpfungen in Albanien und in anderen Staaten basieren auf seiner Darstellung vor dem BFA. Auch seine Einreise in das Bundesgebiet und der anschließende Aufenthalt in Wien werden auf dieser Grundlage festgestellt.

In Bezug auf die Verwendung eines gefälschten rumänischen Personalausweises für die Weiterreise in das Vereinigte Königreich war der BF geständig; die entsprechenden Feststellungen ergeben sich auch aus dem polizeilichen Abschlussbericht vom XXXX.2019. Seine Unbescholtenheit in Österreich geht aus dem Strafregister hervor; Anhaltspunkte für strafgerichtliche Verurteilungen in anderen Staaten bestehen nicht.

Der BF bezeichnete sich vor dem BFA als gesund; Indizien für gesundheitliche Probleme oder Einschränkungen seiner Erwerbsfähigkeit fehlen. Er erklärte außerdem, ledig und kinderlos zu sein.

Es sind keine Anhaltspunkte für eine Integration des BF in Österreich zutage getreten, zumal er ohnehin nach einem kurzen Aufenthalt in Wien nach London weiterreisen wollte. Da auch der Beschwerde keine weiteren relevanten privaten oder familiären Bindungen des BF in Österreich oder anderen Vertragsstaaten zu entnehmen sind, ist von deren Fehlen auszugehen.

Bei der Einvernahme gab der BF neben einem Kontoguthaben von umgerechnet ca. EUR 40 (5.000 albanische Lek) Bargeld in unbekannter Höhe an, was er in der Beschwerde mit ungefähr EUR 100 konkretisierte. Beweisergebnisse für weitere finanzielle Mittel liegen nicht vor.

Die Feststellungen zur Lage in Albanien beruhen auf den vom BF nicht beanstandeten Länderinformationen, die im angefochtenen Bescheid unter Angabe konkreter Quellen angegeben wurden. Die Behörde hat dabei Berichte verschiedener allgemein anerkannter Institutionen berücksichtigt. Es wurden im Verfahren keine Gründe dargelegt, die an der Richtigkeit dieser Informationen Bedenken aufkommen ließen. Auch in der Beschwerde werden weder die Aktualität noch die inhaltliche Richtigkeit dieser Informationen in Zweifel gezogen.

Rechtliche Beurteilung:

Der BF ließ Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids ausdrücklich unbekämpft.

Zu Spruchpunkt 1. (Rückkehrentscheidung):

Der BF ist als albanischer Staatsangehöriger mit einem biometrischen Reisepass von der Visumpflicht für einen Aufenthalt im Schengengebiet, der 90 Tage je Zeitraum von 180 Tagen nicht überschreitet, gemäß Art 4 Abs 1 iVm Anhang II Teil 1 der Verordnung (EU) 2018/1806 (EU-Visum-Verordnung) befreit. Er konnte daher unter den Einreisevoraussetzungen des Art 6 Abs 1 lit a, c, d und e der Verordnung (EU) 2016/399 (Schengener Grenzkodex [SGK]; vgl. § 2 Abs 4 Z 22a FPG) in das Hoheitsgebiet der Vertragsstaaten einreisen und sich dort gemäß Art 20 Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ; vgl. § 2 Abs 4 Z 6 FPG) unter den Voraussetzungen des Art 5 Abs 1 lit a, c, d und e SDÜ frei bewegen. Zu diesen Voraussetzungen gehört unter anderem, dass er den Zweck und die Umstände des beabsichtigten Aufenthalts belegen kann, über ausreichende Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts sowohl für die Dauer des beabsichtigten Aufenthalts als auch für die Rückreise in den Herkunftsstaat oder für die Durchreise in einen Drittstaat, in dem ihre Zulassung gewährleistet ist, verfügt oder in der Lage ist, diese Mittel rechtmäßig zu erwerben, und keine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die innere Sicherheit, die öffentliche Gesundheit oder die internationalen Beziehungen eines Mitgliedstaats darstellt.

Gemäß Art 6 Abs 4 SGK werden die Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts nach der Dauer und dem Zweck des Aufenthalts und unter Zugrundelegung der Ausgaben für Unterkunft und Verpflegung in dem betreffenden Mitgliedstaat nach Maßgabe eines mittleren Preisniveaus für preisgünstige Unterkünfte bewertet, die um die Zahl der Aufenthaltstage multipliziert werden. Die Feststellung ausreichender Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts kann anhand von Bargeld, Reiseschecks und Kreditkarten erfolgen, die sich im Besitz des Drittstaatsangehörigen befinden. Sofern in den nationalen Rechtsvorschriften vorgesehen, können auch Verpflichtungserklärungen und - im Falle des Aufenthalts eines Drittstaatsangehörigen bei einem Gastgeber - Bürgschaften von Gastgebern im Sinne des nationalen Rechts Nachweise für das Vorhandensein ausreichender Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts darstellen.

Ein Fremder hat initiativ, untermauert durch Vorlage entsprechender Bescheinigungsmittel, nachzuweisen, dass er nicht bloß über Mittel zur kurzfristigen Bestreitung seines Unterhalts verfügt, sondern sein Unterhalt für die beabsichtigte Dauer seines Aufenthalts gesichert erscheint. Die Verpflichtung, die Herkunft der für den Unterhalt zur Verfügung stehenden Mittel nachzuweisen, besteht insoweit, als für die Behörde ersichtlich sein muss, dass der Fremde einen Rechtsanspruch darauf hat und die Mittel nicht aus illegalen Quellen stammen (VwGH 19.12.2018, Ra 2018/20/0309).

Der Aufenthalt des BF im Bundesgebiet widersprach Art 5 Abs 1 lit e SDÜ, weil er versuchte, mit einem gefälschten rumänischen Ausweisdokument in das Vereinigte Königreich weiterzureisen und damit eine Straftat (Fälschung besonders geschützter Urkunden, §§ 223 f StGB) beging. Schon die Absicht der Begehung einer Straftat reicht aus, um ein gefährdendes Verhalten iSd Art 6 Abs 1 lit e SGK und Art 5 Abs 1 lit e SDÜ anzunehmen.

Die Einschätzung des BFA, der BF habe das Vorhandensein ausreichender Mittel zur Bestreitung seines Lebensunterhalts nicht nachgewiesen, ist nicht zu beanstanden, zumal er bei der Festnahme nur über finanzielle Mittel von ca. EUR 140 verfügte und keine weiteren Mittel nachwies. Da der BF volljährig ist und in seinem Herkunftsstaat bereits einer Erwerbstätigkeit nachging, ist er als selbsterhaltungsfähig anzusehen sodass kein Unterhaltsanspruch gegen seine Mutter oder andere Familienangehörige besteht. Er hat daher keinen Rechtsanspruch auf eine finanzielle Unterstützung durch sie. Außerdem hatte er gar nicht vor, nach Albanien zurückzukehren, sondern wollte nach London weiterreisen und dort arbeiten, sodass EUR 140 für die Ausgaben für Unterkunft und Verpflegung während der beabsichtigten Aufenthaltsdauer und für die Rückreise nach Albanien nicht als ausreichend anzusehen sind, zumal er keine Möglichkeit hatte, weitere Unterhaltsmittel auf legalem Weg zu erwerben.

Der BF hielt somit die Bedingungen und Befristungen für den visumfreien Aufenthalt nicht ein und konnte auch keinen (erlaubten) Zweck ihres Aufenthalts iSd Art 6 Abs 1 lit c SGK und Art 5 Abs 1 lit e SDÜ belegen, zumal sie damit die Weiterreise nach London ohne die dafür notwendigen Voraussetzungen bezweckte. Das BFA ist daher zu Recht davon ausgegangen, dass sein Aufenthalt nicht rechtmäßig iSd § 31 Abs 1a FPG war. Es lag keine der Voraussetzungen des § 31 Abs 1 FPG für einen rechtmäßigen Aufenthalt vor.

Gemäß § 52 Abs 1 FPG hat das BFA eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn sich ein Drittstaatsangehöriger oder eine Drittstaatsangehörige nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält (Z 1) oder nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und das Rückkehrentscheidungsverfahren binnen sechs Wochen ab Ausreise eingeleitet wurde (Z 2).

Eine Rückkehrentscheidung, die in das Privat- oder Familienleben eingreift, ist zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist (§ 9 Abs 1 BFA-VG). Bei der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der im § 9 Abs 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (siehe z.B. VwGH 25.04.2019, Ra 2019/19/0114).

Hier ist mit der Rückkehrentscheidung kein Eingriff in das Familienleben des volljährigen, alleinstehenden BF iSd § 9 Abs 2 Z 2 BFA-VG verbunden. Es bestehen keine signifikanten privaten, sozialen, beruflichen oder gesellschaftlichen Anknüpfungen in Österreich oder anderen Vertragsstaaten. Der BF hat gemäß § 9 Abs 2 Z 5 BFA-VG maßgebliche starke Bindungen zu seinem Heimatstaat Albanien, wo er einen großen Teil seines Lebens, insbesondere die prägenden Jahre der Kindheit und Jugend, verbrachte, eine Ausbildung absolvierte, einer Erwerbstätigkeit nachging und familiäre Anknüpfungen hat. Da er ein erwachsener, gesunder junger Mann mit einer mehrjährigen Schulbildung und Berufserfahrung ist, wird es ihm möglich sein, sich nach der Rückkehr nach Albanien dort auch wieder eine Existenzgrundlage zu schaffen.

Die gemäß § 9 Abs 2 Z 6 BFA-VG zu berücksichtigende strafrechtliche Unbescholtenheit des BF vermag weder sein Interesse an einem Verbleib zu verstärken noch das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung entscheidend abzuschwächen (vgl. VwGH 19.04.2012, 2011/18/0253). Aufgrund der Verwendung gefälschter Dokumente ist ihm zumindest ein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung iSd § 9 Abs 2 Z 7 BFA-VG anzulasten. Den Behörden zurechenbare überlange Verfahrensverzögerungen iSd § 9 Abs 2 Z 9 BFA-VG liegen nicht vor.

In einer Gesamtbetrachtung ergibt sich bei der nach § 9 BFA-VG iVm Art 8 Abs 2 EMRK vorzunehmenden Interessenabwägung, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthalts des BF schwerer wiegt als persönliche Interessen am Verbleib, zumal der Befolgung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung durch geordnete Abwicklung des Fremdenwesens ein hoher Stellenwert zukommt. Das BFA ging somit im Ergebnis zu Recht davon aus, dass Art 8 EMRK durch die Rückkehrentscheidung nicht verletzt wird.

Gegen den BF ist daher eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, die aufgrund der zwischenzeitig erfolgten Abschiebung nicht mehr auf § 52 Abs 1 Z 1 FPG gestützt wird, sondern die weitere Rechtsgrundlage in § 52 Abs 1 Z 2 FPG findet (siehe (VwGH 21.12.2017, Ra 2017/21/0234). Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids ist mit dieser Maßgabe als Punkt 1. des neu gefassten Spruchs zu bestätigen.

Zu Spruchpunkt 2. (Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung):

Für die gemäß § 52 Abs 9 FPG von Amts wegen gleichzeitig mit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung vorzunehmende Feststellung der Zulässigkeit einer Abschiebung gilt der Maßstab des § 50 FPG (siehe VwGH 05.10.2017, Ra 2017/21/0157). Demnach ist die Abschiebung unzulässig, wenn dadurch Art 2 oder Art 3 EMRK oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK verletzt würde oder für den Betreffenden als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre (Abs 1), wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort das Leben oder die Freiheit aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Ansichten bedroht wäre (Abs 2) oder solange die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den EGMR entgegensteht (Abs 3).

Hier trifft keine dieser Voraussetzungen zu. Konkrete Gründe für die Unzulässigkeit der Abschiebung gehen weder aus dem Akteninhalt noch aus dem Vorbringen des BF hervor. Unter Berücksichtigung der stabilen Situation in Albanien sowie der Lebensumstände des gesunden und erwerbsfähigen BF ist die Feststellung der Zulässigkeit seiner Abschiebung, die hier in erster Linie die Funktion hat, den Zielstaat der Abschiebung festzulegen (vgl. VwGH 07.03.2019, Ra 2019/21/0044), nicht korrekturbedürftig.

Zu Spruchpunkt 3. (Einreiseverbot):

Gemäß § 53 Abs 1 und 2 FPG kann das BFA mit einer Rückkehrentscheidung ein

Einreiseverbot, also die Anweisung an den Drittstaatsangehörigen, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten der EU (außer Irlands und des Vereinigten Königreichs), Islands, Norwegens, der Schweiz und Liechtensteins einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten, erlassen, wenn der Drittstaatsangehörige die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet. Die Dauer des Einreiseverbots ist abhängig von seinem bisherigen Verhalten. Dabei ist zu berücksichtigen, inwieweit sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art 8 Abs 2 EMRK genannten

öffentlichen Interessen zuwiderläuft. § 53 Abs 2 FPG enthält eine demonstrative Aufzählung von Tatbeständen, deren Vorliegen eine Gefährdung öffentlicher Interessen indiziert. Dies ist demnach z.B. dann anzunehmen, wenn der Drittstaatsangehörige den Besitz der Mittel zu seinem Unterhalt nicht nachzuweisen vermag (§ 53 Abs 2 Z 6 FPG). In diesem Fall kann ein Einreiseverbot für die Dauer von höchstens fünf Jahren erlassen werden.

Ein Einreiseverbot ist dann zu erlassen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, der Aufenthalt stelle eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar. Dabei ist sowohl für die Frage, ob überhaupt ein Einreiseverbot zu verhängen ist, als auch für die Bemessung seiner Dauer eine einzelfallbezogene Gefährdungsprognose vorzunehmen, in die das Gesamtverhalten des oder der Betroffenen einzubeziehen ist. Aufgrund konkreter Feststellungen ist eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick worauf die Annahme einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit gerechtfertigt ist. Es ist weiters in Rahmen einer Interessenabwägung zu prüfen, ob private oder familiäre Interessen der Verhängung eines Einreiseverbots in der konkreten Dauer entgegenstehen (Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht § 53 FPG K 10, 12; vgl auch VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0289).

Aus der Mittellosigkeit des BF resultiert die Gefahr der Beschaffung der Unterhaltsmittel aus illegalen Quellen bzw. einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft, weshalb im Fall des Fehlens ausreichender Unterhaltsmittel die Annahme einer Gefährdung im Sinn des § 53 Abs 2 FPG gerechtfertigt ist (VwGH 19.12.2018, Ra 2018/20/0309). Da dem BF neben dem Fehlen ausreichender Unterhaltsmittel auch zur Last fällt, dass er gefälschte Dokumente verwendete und versuchte, eine unrichtige Identität als EWR-Bürgerin vorzutäuschen, um so unbehelligt in das Vereinigte Königreich weiterzureisen, geht von ihm eine signifikante Gefährdung öffentlicher Interessen aus. Dem BFA ist vor diesem Hintergrund darin beizupflichten, dass für ihn keine günstige Zukunftsprognose erstellt werden kann und Wiederholungsgefahr besteht.

Mangels entgegenstehender familiärer oder privater Interessen des BF sind die Voraussetzungen für die Erlassung eines maximal fünfjährigen Einreiseverbots erfüllt. Dessen Dauer ist aber - in teilweiser Stattgebung der Beschwerde - auf zwei Jahre zu reduzieren, was dem Fehlverhalten des (noch) unbescholtenen BF entspricht, zumal nur ein Tatbestand des § 53 Abs 2 FPG erfüllt ist. Dadurch bleibt auch eine Steigerung der Sanktion bei einem neuerlichen, allenfalls schwerwiegenderen Fehlverhalten möglich.

Zu den Spruchpunkten 4. und 5. (Aberkennung der aufschiebenden Wirkung; Nichtbestehen einer Frist für die freiwillige Ausreise):

Da sich der BF ein gefälschtes Ausweisdokument beschaffte, um damit über Österreich in das Vereinigte Königreich weiterzureisen, obwohl er kaum finanzielle Mittel hatte, ist die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs 2 Z 1 BFA-VG nicht zu beanstanden. Gründe für die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch das BVwG gemäß § 18 Abs 5 BFA-VG liegen nicht vor. Daran anknüpfend ist gemäß § 55 Abs 4 FPG von der Festlegung einer Frist für die freiwillige Ausreise abzusehen; dies gilt unabhängig von einem allenfalls später geplanten Antrag auf Aufhebung oder Verkürzung des Einreiseverbots.

Zum Entfall einer Verhandlung:

Da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt werden konnte, unterbleibt gemäß § 21 Abs 7 BFA-VG die beantragte Beschwerdeverhandlung, von der keine weitere Klärung der Angelegenheit zu erwarten ist.

Zu Spruchteil B:

Die Revision ist nicht zu zulassen, weil das BVwG keine qualifizierte Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu lösen hatte und sich an der zitierten höchstgerichtlichen Rechtsprechung orientieren konnte. Die bei der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme vorzunehmende Interessenabwägung und die Erstellung einer Gefährdungsprognose können jeweils nur im Einzelfall beurteilt werden (vgl. VwGH 10.07.2019, Ra 2019/19/0186).

Schlagworte

aufschiebende Wirkung - Entfall, Einreiseverbot, freiwillige
Ausreise, Interessen, öffentliche Interessen, Resozialisierung,
Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:G314.2226699.1.00

Zuletzt aktualisiert am

15.05.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten