TE Bvwg Beschluss 2020/1/10 G314 2226815-1

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Veröffentlicht am 10.01.2020
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Entscheidungsdatum

10.01.2020

Norm

B-VG Art. 133 Abs4
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2 Z6
VwGVG §28 Abs3

Spruch

G314 2226815/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag.a Katharina BAUMGARTNER über die Beschwerde des albanischen Staatsangehörigen XXXX, geboren am XXXX, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 17.12.2019,

Zl. XXXX, betreffend die Erlassung eines Einreiseverbots:

A) Der Beschwerde wird im Anfechtungsumfang insofern Folge gegeben,

als Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheids gemäß § 28 Abs 3 VwGVG aufgehoben und die Angelegenheit in diesem Umfang zur allfälligen Erlassung eines neuen Bescheids an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen wird.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

Verfahrensgang und Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer (BF) wurde am XXXX2019 festgenommen, weil er sich am Flughafen XXXX vor einem Flug nach Liverpool mit gefälschten griechischen Dokumenten ausgewiesen hatte. Er ist unbescholten; das Strafverfahren wegen Fälschung besonders geschützter Urkunde wurde diversionell (durch Zahlung eines Geldbetrags) erledigt.

Sowohl bei der Beschuldigteneinvernahme durch die Polizei als auch bei der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gab der BF an, einen griechischen Aufenthaltstitel zu haben; er habe dort vor seiner Ausreise gearbeitet. Vor dem BFA ergänzte er, er habe das entsprechende Dokument (zusammen mit seinem echten Reisepass) bei seiner Schwester in Italien zurückgelassen. Er habe vorwiegend in Griechenland gelebt, wo er auch schon die Schule besucht habe, und sich nur zu Urlaubszwecken in Albanien aufgehalten. Er habe eine Tante, die in Athen lebe. Die Behörde nahm keine Ermittlungen zur Erwerbstätigkeit, Aufenthaltsgenehmigung und sonstigen privaten und familiären Anknüpfungen des BF in Griechenland vor.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid erteilte das BFA dem BF keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG (Spruchpunkt I.), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 1 Z 1 FPG (Spruchpunkt II.), stellte die Zulässigkeit der Abschiebung nach Albanien fest (Spruchpunkt III.), erließ gemäß § 53 Abs 1 iVm Abs 2 Z 6 FPG ein fünfjähriges Einreiseverbot (Spruchpunkt IV.), legte gemäß § 55 Abs 4 FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise fest (Spruchpunkt V.) und erkannte einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt VI.). Die Behörde stellte in der Bescheidbegründung zu allfälligen Anknüpfungen des BF in Griechenland lediglich fest, dass nicht feststünde, dass er im Besitz eines griechischen Aufenthaltstitels sei, ohne diese Feststellung (etwa im Rahmen der Beweiswürdigung) zu begründen.

Gegen Spruchpunkt IV. dieses Bescheids richtet sich die wegen der Verletzung von Verfahrensvorschriften und inhaltlicher Rechtswidrigkeit erhobene Beschwerde mit dem Antrag, diesen Spruchpunkt zu beheben, in eventu, die Dauer des Einreiseverbots zu reduzieren. Dies wird unter anderem damit begründet, dass die Behörde den griechischen Aufenthaltstitel des BF nicht berücksichtigt und die griechischen Behörden entgegen Art 25 Abs 2 SDÜ nicht kontaktiert habe.

Das BFA legte die Beschwerde samt den Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem Antrag, den angefochtenen Bescheid zu bestätigen, vor. Danach wurde das BVwG darüber informiert, dass der BF am XXXX2020 freiwillig nach Albanien ausgereist sei.

Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang und der oben angeführte Sachverhalt ergeben sich aus dem Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des BFA und des Gerichtsakts des BVwG sowie aus den durchgeführten Abfragen im IZR, ZMR und Strafregister. Entscheidungswesentliche Widersprüche liegen nicht vor, sodass sich eine eingehendere Beweiswürdigung erübrigt.

Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 28 Abs 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über eine Bescheidbeschwerde iSd Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG wie die vorliegende dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder dessen Feststellung durch das Gericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z 2). Wenn diese Voraussetzungen nicht vorliegen, hat das Gericht gemäß § 28 Abs 3 VwGVG dann meritorisch zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an die Behörde zurückverweisen, die dann an die rechtliche Beurteilung, von der das Gericht ausgegangen ist, gebunden ist.

Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher insbesondere dann in Betracht, wenn die Behörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Behörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden. Wenn die Behörde den entscheidungswesentlichen Sachverhalt unzureichend festgestellt hat, indem sie keine für die Sachentscheidung brauchbaren Ermittlungsergebnisse geliefert hat, ist eine Zurückverweisung gemäß § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG zulässig (VwGH 28.03.2017, Ro 2016/09/0009). Von der Möglichkeit einer Zurückverweisung kann demnach nur bei besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren2 § 28 VwGVG Anm 13), wie sie hier vorliegen.

Ein Einreiseverbot gemäß § 53 FPG ist nicht zwingend mit einer Rückkehrentscheidung zu verbinden, sondern nur dann zu erlassen, wenn es neben der Erlassung der Rückkehrentscheidung notwendig ist, um der vom BF ausgehenden Gefährlichkeit wirksam zu begegnen. Bei der Bemessung der Dauer eines Einreiseverbots hat das BFA gemäß § 53 Abs 2 FPG sein bisheriges Verhalten einzubeziehen und zu berücksichtigen, inwieweit sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art 8 Abs 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. Außerdem ist auch auf seine privaten und familiären Interessen Bedacht zu nehmen, zumal in § 53 Abs 2 und 3 FPG in Bezug auf die Bemessung der Dauer des Einreiseverbots (auch) die Abwägung nach Art 8 EMRK angesprochen wird (siehe VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0062).

Dabei stehen Bindungen des BF in einen anderen "Schengen-Staat" der Erlassung eines Einreiseverbots durch Österreich nicht grundsätzlich im Weg. Das gilt insbesondere auch aus unionsrechtlichem Blickwinkel, und zwar sogar dann, wenn er tatsächlich über einen griechischen Aufenthaltstitel verfügt (vgl. EuGH 16.1.2018, C-240/17). Dort bestehenden privaten und familiären Anknüpfungen ist dadurch Rechnung zu tragen, dass die bei Erlassung eines Einreiseverbots zu beantwortende Frage nach einem Eingriff in sein Privat- oder Familienleben nicht allein im Hinblick auf die Verhältnisse in Österreich beurteilt werden darf, sondern dass auch die Situation in Griechenland (und allenfalls auch in anderen Staaten, für die das Einreiseverbot gilt) in den Blick zu nehmen ist (vgl. VwGH 20.12.2018, Ra 2018/21/0236).

Die Behörde wird daher im fortgesetzten Verfahren prüfen müssen, ob der BF tatsächlich über den behaupteten griechischen Aufenthaltstitel verfügt und Ermittlungen zu seinem Privat- und Familienleben dort anstellen müssen. Zur Frage seiner Mittellosigkeit sind dann seine finanziellen Mittel (unter Berücksichtigung eines allfälligen legalen Erwerbseinkommens in Griechenland) der beabsichtigten Dauer seines Aufenthalts und den Kosten der Rückreise gegenüberzustellen.

Da das BFA somit noch keine geeigneten Schritte zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts gesetzt hat, kann derzeit noch nicht beurteilt werden, ob gegen den BF (neben der bereits rechtskräftigen Rückkehrentscheidung) ein Einreiseverbot verhängt werden muss und wenn ja, für welche Dauer. Auf der Grundlage der bisherigen Ermittlungen ist insoweit noch keine rechtliche Beurteilung des Sachverhalts möglich; dieser ist vielmehr in wesentlichen Teilen ergänzungsbedürftig. Je nach dem Ergebnis der oben dargestellten Erhebungen wird das BFA nach der gebotenen Ergänzung des Ermittlungsverfahrens neuerlich entscheiden müssen, ob und auf welcher Rechtsgrundlage gegen den BF ein Einreiseverbot zu erlassen ist oder nicht.

Da zu den tragenden Sachverhaltselementen somit noch keine Beweisergebnisse vorliegen, zur Klärung des relevanten Sachverhalts zusätzliche Ermittlungen notwendig sind und dadurch bedingte Weiterungen des Verfahrens nicht ausgeschlossen werden können, führt es weder zu einer Kostenersparnis noch zu einer Verfahrensbeschleunigung, wenn das BVwG die Erhebungen selbst durchführt, zumal das BFA jegliche Ermittlungen zu den privaten und familiären Anknüpfungen des BF in Griechenland und zu der Frage, ob er dort eine gültige Aufenthaltsberechtigung hat, offenbar deshalb unterließ, damit diese durch das BVwG vorgenommen werden, und ohne jegliche Begründung und ohne entsprechende Beweisergebnisse davon ausging, dass die konsistenten Angaben des BF zu seinem griechischen Aufenthaltstitel falsch sind.

Im Ergebnis ist der angefochtene Bescheid daher im Anfechtungsumfang gemäß § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit insoweit zur allfälligen Erlassung eines neuen Bescheids an das BFA zurückzuverweisen.

Eine mündliche Verhandlung entfällt gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG, weil schon aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

Die Revision ist wegen der Einzelfallbezogenheit der Entscheidung über die Anwendung des § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG, die keine grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG begründet, nicht zuzulassen (siehe z.B. VwGH 25.01.2017, Ra 2016/12/0109).

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, individuelle
Verhältnisse, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G314.2226815.1.00

Zuletzt aktualisiert am

15.05.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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