Entscheidungsdatum
14.01.2020Norm
B-VG Art. 133 Abs4Spruch
G314 2226872-1/2E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag.a Katharina BAUMGARTNER im Verfahren über die für die rumänische Staatsangehörige XXXX, geboren am XXXX, vom Verein Menschenrechte Österreich eingebrachte Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 22.11.2019, Zl. XXXX, betreffend die Erlassung eines Aufenthaltsverbots:
A) Die Beschwerde wird als unzulässig zurückgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
Verfahrensgang und Feststellungen:
Die 54-jährige XXXX (im Folgenden als Beschwerdeführerin, kurz BF, bezeichnet), leidet an paranoider Schizophrenie und einer akuten, vorwiegend wahnhaften psychotischen Störung, was wegen fehlender Krankheitseinsicht zunächst unbehandelt blieb. Am XXXX.2019 bedrohte sie unter dem Einfluss dieser Erkrankung in einem die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustand eine andere Person gefährlich mit dem Tod, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem sie sie anschrie und sich ihr mit einer Schere, die sie in der erhobenen Hand hatte und immer wieder öffnete und schloss, näherte. Am XXXX.2019 wurde sie deshalb verhaftet und zunächst in der Justizanstalt XXXX und in der Folge im XXXX, angehalten.
Mit dem Schreiben vom 17.05.2019 forderte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) die BF auf, sich binnen zwei Wochen zu der für den Fall ihrer Verurteilung beabsichtigten Erlassung eines Aufenthaltsverbots zu äußern und konkrete Fragen dazu zu beantworten. Die BF reagierte auf dieses Schreiben nicht.
Mit dem rechtskräftigen Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX.2019, XXXX, wurde die BF wegen der Tathandlung vom XXXX.2019 gemäß § 21 Abs 1 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen. Das Urteil wird unter anderem damit begründet, dass sie nicht zurechnungsfähig sei und die Gefahr bestünde, dass sie unter dem Einfluss ihrer psychischen Erkrankung in Zukunft mit großer Wahrscheinlichkeit neuerliche Tathandlungen mit schweren Folgen begehen werde. Die Gefährlichkeitsprognose wurde vor allem mit dem bislang unbehandelten Zustand der BF und der fehlenden Medikamenten-Compliance begründet, zumal sie noch in der Hauptverhandlung vor dem Landesgericht XXXX behauptet hatte, nicht krank zu sein. Es handelt sich um ihre erste strafgerichtliche Verurteilung in Österreich. Die Maßnahme wird seither im XXXX, vollzogen.
Mit dem oben angeführten Bescheid erließ das BFA gegen die BF gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG ein auf die Dauer von vier Jahren befristetes Aufenthaltsverbot (Spruchpunkt I.), erteilte gemäß § 70 Abs 3 FPG keinen Durchsetzungsaufschub (Spruchpunkt II.) und erkannte einer Beschwerde gemäß § 18 Abs 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt III.). Dies wurde im Wesentlichen mit ihrer strafgerichtlichen Verurteilung begründet. Die Behörde stellte zwar fest, dass die BF an paranoider Schizophrenie und einer akuten, vorwiegend wahnhaften psychotischen Störung leide und in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher untergebracht sei sowie dass die Krankheits- und Therapieeinsicht fehle, setzte sich aber in der Bescheidbegründung weder mit der Frage ihrer Prozessfähigkeit noch mit einer allfälligen aktuell vorgenommenen Behandlung der psychischen Erkrankung auseinander.
Der Bescheid wurde der BF am 22.11.2019 durch Übergabe im XXXX, zugestellt. Am 04.12.2019 beantragte sie über den Verein Menschenrechte Österreich die unterstützte freiwillige Rückkehr in die rumänische Stadt XXXX und gab an, nach Aufenthalten seit 1999 zuletzt 2016 in das Bundesgebiet eingereist zu sein. Mit Schreiben vom 12.12.2019 teilte das BFA mit, dass die Heim- bzw. Ausreisekosten nicht übernommen würden, weil eine freiwillige Ausreise aufgrund der schwerwiegenden Tathandlung der BF nicht im öffentlichen Interesse läge.
Gegen den Bescheid vom 22.11.2019 richtet sich die vom Verein Menschenrechte Österreich als Vertreter der BF unter Vorlage einer entsprechenden Vollmacht eingebrachte Beschwerde, mit der die Durchführung einer Beschwerdeverhandlung, die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung und der Entfall des Aufenthaltsverbots beantragt wird. Hilfsweise wird die Reduktion der Dauer des Aufenthaltsverbots beantragt sowie ein Aufhebungs- und Rückverweisungsantrag gestellt. In der Beschwerde wird zwar die psychische Erkrankung der BF, nicht aber allfällige Auswirkungen auf deren Prozessfähigkeit thematisiert. Es wird vorgebracht, dass sie sich seit 1990 mit Unterbrechungen im Bundesgebiet aufhalte. Ihre Erkrankung sei die Ursache dafür, dass sie derzeit nicht arbeite, keine Anmeldebescheinigung beantragt habe und keine regelmäßige Wohnsitzmeldung vorliege. Auch auf das Schreiben des BFA vom 17.05.2019 habe sie wegen der Krankheit nicht reagiert.
Das BFA legte die Beschwerde samt den Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) vor und beantragt unter Vorlage einer Stellungnahme, sie als unbegründet abzuweisen.
Wegen ihrer psychischen Erkrankung ist die BF offenbar nicht in der Lage, Bedeutung und Tragweite des Verfahrens zur Erlassung eines Aufenthaltsverbots sowie der sich aus ihm ereignenden prozessualen Vorgänge zu erkennen, zu verstehen und sich - durch aktive Verfahrenshandlungen oder Unterlassungen - den Anforderungen eines derartigen Verfahrens entsprechend zu verhalten. Es gibt niemanden, der befugt ist, die BF zu vertreten und für sie rechtsgeschäftlich zu handeln.
Beweiswürdigung:
Der Verfahrensgang und die Feststellungen ergeben sich ohne entscheidungswesentliche Widersprüche aus dem unbedenklichen Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten.
Die psychische Erkrankung der BF, die fehlende Krankheitseinsicht und die Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher, die sich insbesondere aus dem aktenkundigen Urteil des Landesgerichts XXXX ergeben, führen zu der Feststellung, dass sie nicht in der Lage ist, die Bedeutung und Tragweite dieses Verfahrens zu erkennen und zu verstehen und dieser Einsicht gemäß zu handeln, und demnach prozessunfähig ist. Dies wird auch durch das Beschwerdevorbringen, wonach sie wegen dieser Erkrankung nicht in der Lage gewesen sei, ihren Verpflichtungen gegenüber Behörden wie Wohnsitzmeldung und Beantragung einer Anmeldebescheinigung nachzukommen, untermauert. Auch das erratische Verhalten der BF im Verfahren vor dem BFA, bei dem sie einerseits Unterstützung bei der freiwilligen Rückkehr nach Rumänien und andererseits die Möglichkeit eines Verbleibs im Bundesgebiet durch den Entfall des Aufenthaltsverbots anstrebt und dazu jeweils unterschiedliches Tatsachenvorbringen erstattet, spricht für das Fehlen der Prozessfähigkeit. Informationen darüber, ob und wie die Krankheit der BF aktuell behandelt wird und ob es mittlerweile zu einer Krankheits- bzw. Therapieeinsicht gekommen ist, lassen sich weder dem Beschwerdevorbringen noch dem sonstigen Akteninhalt entnehmen.
Die Feststellung, dass keine für die BF vertretungsbefugte Person vorhanden ist, beruht darauf, dass dazu keine Informationen vorliegen und keine Urkunden vorgelegt wurden. Insbesondere sind keine Informationen zur Frage, ob für die BF eine Erwachsenenvertretung besteht, aktenkundig.
Rechtliche Beurteilung
Die Prozessfähigkeit ist die Fähigkeit, durch eigene Handlungen oder durch die eines gewillkürten Vertreters prozessuale Rechte und Pflichten zu begründen und rechtswirksame Verfahrenshandlungen zu setzen. Sie richtet sich gemäß § 9 AVG nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts, sofern die Verwaltungsvorschriften keine besonderen Regelungen enthalten. Damit wird die prozessuale Rechts- und Handlungsfähigkeit an die materiellrechtliche Rechts- und Handlungsfähigkeit geknüpft. Dafür ist entscheidend, ob die Partei im Zeitpunkt der betreffenden Verfahrensabschnitte in der Lage war, Bedeutung und Tragweite des Verfahrens sowie der sich aus ihm ereignenden prozessualen Vorgänge zu erkennen, zu verstehen und sich den Anforderungen eines derartigen Verfahrens entsprechend zu verhalten, was neben den von ihr gesetzten aktiven Verfahrenshandlungen auch Unterlassungen erfasst (siehe VwGH 20.12.2016, Ra 2015/01/0162).
Gemäß § 11 AVG kann die Behörde die Betrauung einer Person mit der Obsorge oder die Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters oder Kurators beim zuständigen Gericht (§ 109 JN) veranlassen, wenn von Amts wegen oder auf Antrag gegen einen schutzberechtigten Beteiligten, der eines gesetzlichen Vertreters entbehrt, eine Amtshandlung vorgenommen werden soll und es die Wichtigkeit der Sache erfordert.
Das Fehlen der Prozessfähigkeit ist als Vorfrage in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmen (vgl. VwGH 20.12.2016, Ra 2015/01/0162). Mangelnde Prozessfähigkeit führt zur Unwirksamkeit verfahrensrechtlicher Akte der Behörde, zB von Zustellungen. Eine prozessunfähige Person kann keine wirksamen Verfahrenshandlungen setzen (Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht10 Rz 130 ff).
Die Zustellung eines Bescheids ist ein Verfahrensakt, der rechtswirksam nur gegen Prozessfähige gesetzt werden kann. Eine an eine prozessunfähige Person vorgenommene Zustellung löst keine Rechtswirkungen aus. Die Behörde hat in diesem Fall den gesetzlichen oder bestellten Vertreter oder einen Kurator als Empfänger festzulegen. Erst mit der rechtmäßigen Zustellung gilt der zugestellte Akt als "erlassen" (Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht10 Rz 198). Wird ein Bescheid an eine handlungsunfähige Person zugestellt, ist die Erlassung des Bescheids unwirksam (VwGH 30.08.2007, 2006/19/0480).
Diese Grundsätze sind gemäß § 17 VwGVG iVm §§ 9, 11 AVG auch vom BVwG anzuwenden, das die Frage der Prozessfähigkeit im Hinblick auf die Zulässigkeit der Beschwerde als Vorfrage (§ 38 AVG) selbständig zu beurteilen hat (siehe VwGH 20.12.2016, Ra 2015/01/0162).
Da die BF aufgrund ihrer schwerwiegenden psychischen Erkrankung, die bereits zu ihrer Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher geführt hat, nicht in der Lage ist, prozessualen Vorgängen adäquat zu folgen und sich den Anforderungen des Verfahrens entsprechend zu verhalten, fehlt ihr die Prozessfähigkeit, und zwar auch schon während des Verfahrens vor dem BFA. Dies zeigt nicht zuletzt auch ihr bisheriges Verhalten im Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme (offenbar krankheitsbedingte Unterlassung einer Stellungnahme im Rahmen des Parteiengehörs, widersprüchliche Anträge mit unterschiedlichem Tatsachenvorbringen). Mangels ausreichender Handlungsfähigkeit konnte sie der für sie einschreitenden Rechtsberatungsorganisation auch keine wirksame Vollmacht erteilen.
Die BF ist volljährig, sodass eine gesetzliche Vertretung im Rahmen der Obsorge für sie nicht in Betracht kommt. Es gibt keine Anhaltspunkte für das Bestehen einer Vorsorgevollmacht oder einer Erwachsenenvertretung.
Da die prozessunfähige BF somit keinen Vertreter hat, sind verfahrensrechtliche Akte der Behörde unwirksam. Insbesondere konnte der angefochtene Bescheid ihr nicht wirksam zugestellt werden. Da der Bescheid mangels Zustellung noch gar nicht erlassen wurde, ist dagegen auch keine Beschwerde möglich. Die vorliegende Beschwerde ist daher aufgrund der Prozessunfähigkeit der BF als unzulässig zurückzuweisen.
Das BFA wird bei einer Fortsetzung des Verfahrens gemäß § 11 AVG für eine gehörige Vertretung der BF zu sorgen und in der Folge das Verfahren mit einer für sie vertretungsbefugten Person zu führen haben.
Gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG entfällt eine mündliche Verhandlung aufgrund der Zurückweisung der Beschwerde.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Rechtsfragen von über den Einzelfall hinausgehender grundsätzlicher Bedeutung iSd Art 133 Abs 4 B-VG nicht zu lösen waren.
Schlagworte
Prozessfähigkeit, Vertretung, Vertretungsbefugnis, VollmachtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:G314.2226872.1.00Zuletzt aktualisiert am
15.05.2020