Entscheidungsdatum
14.02.2020Norm
AsylG 2005 §5Spruch
W205 2013532-1/41E
W205 2178276-1/29E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. SCHNIZER-BLASCHKA über die Beschwerden der 1.) XXXX , festgestellte Volljährigkeit, geb. XXXX alias XXXX , und 2.) XXXX (nach Anerkennung der Vaterschaft XXXX ), geb. XXXX , beide StA. Nigeria, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom
1.) 16.10.2014, Zahl 1.) 1027195309 - EAST Ost, 2.) 27.10.2017, Zahl 1139975805 - 170041081 EAST Ost, zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerden werden gemäß § 5 AsylG 2005 und § 61 FPG als
unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter der minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin, die am XXXX im Bundesgebiet geboren wurde. Beide sind Staatsangehörige von Nigeria.
Die Erstbeschwerdeführerin reiste im August 2014 von Italien kommend in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 04.08.2014 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Am 27.10.2017 stellte sie - als gesetzliche Vertreterin - den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz für die Zweitbeschwerdeführerin.
Eine EURODAC Abfrage ergab, dass die Erstbeschwerdeführerin am 26.06.2008 und am 17.11.2011 in Italien aufgrund einer Asylantragstellung erkennungsdienstlich behandelt wurde.
Im Verlauf ihrer Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes vom 06.08.2014 brachte die Erstbeschwerdeführerin vor, minderjährig zu sein. Sie habe in letzter Zeit öfters Bauch- und Kopfschmerzen, könne die Befragung allerdings durchführen. Sie habe in Österreich oder einem anderen EU-Mitgliedstaat keine Familienangehörigen oder sonstigen Verwandten. Im Jahr 2008 habe sie sich dazu entschlossen, Nigeria zu verlassen und sei im Juni 2008 über Italien in die EU eingereist. Bis zu ihrer Weiterreise nach Österreich im August 2014 habe sie sich durchgehend in Italien aufgehalten. In Italien habe sie einen negativen Asylbescheid erhalten und dagegen mit Hilfe eines Rechtsanwaltes Berufung eingelegt, woraufhin erneut ein negativer Bescheid ergangen sei. Sie habe ca. eine Woche in einem Camp gewohnt, danach habe sie sich bei Landsleuten in Privatunterkünften aufgehalten. Sie habe keine Arbeit und keine Unterstützung erhalten, fallweise habe sie auch auf der Straße leben müssen.
Im Rahmen der Erstbefragung wurde festgehalten, dass die Erstbeschwerdeführerin älter wirke als angegeben. Eine daraufhin durchgeführte Bestimmung des Knochenalters vom 13.08.2014 ergab das Ergebnis "GP 26, Schmeling 4". In weiterer Folge wurde die Erstbeschwerdeführerin zur sachverständigen medizinischen Altersfeststellung zugewiesen. Laut Gesamtgutachten wurde zum Zeitpunkt der Asylantragstellung ein Mindestalter von 18 Jahren festgestellt. Das von der Erstbeschwerdeführerin angegebene Geburtsdatum sei mit der Befundlage nicht vereinbar.
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: "BFA") richtete am 04.09.2014 ein auf Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-VO gestütztes Wiederaufnahmeersuchen an Italien, welches in der Folge unbeantwortet blieb. Mit Schreiben vom 05.10.2014 wies das BFA die italienischen Behörden auf das Verstreichen der Antwortfrist und die sich daraus ergebende Verpflichtung zur Wiederaufnahme der Erstbeschwerdeführerin gemäß Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO hin.
Zwei Aufenthaltsbestätigungen eines österreichischen Landesklinikums vom 28.08.2014 und 11.09.2014 ist zu entnehmen, dass die Erstbeschwerdeführerin von 26.08.2014 bis 28.08. sowie von 10.09.2014 bis 11.08.2014 im Krankenhaus stationär aufhältig war.
Am 08.10.2014 erfolgte die niederschriftliche Einvernahme der Erstbeschwerdeführerin vor dem BFA im Beisein eines Rechtsberaters nach durchgeführter Rechtsberatung. Hierbei gab sie an, dass sie an keinen Krankheiten leiden würde. Zum Ergebnis der Altersfeststellung führte sie an, dass ihr tatsächliches Geburtsdatum - wie auch in der Erstbefragung angegeben - der XXXX sei und sie Ende des Monats 16 Jahre alt werde. Beweisen könne sie das aber nicht, sie stehe auch nicht in Kontakten zu Verwandten oder Freunden, die ihr etwas schicken könnten. In Österreich habe sie keine Verwandten und sie lebe auch mit niemandem in einer Lebensgemeinschaft. Zu Italien befragt führte sie aus, dass sie dort um Asyl angesucht habe, aber einen negativen Bescheid bekommen hätte. Auch ihre Beschwerde sei abgelehnt worden. Das Leben dort sei sehr schwer für sie gewesen und sie habe keinen Platz gehabt, an dem sie habe bleiben können. Sie habe auf der Straße gelebt und geschlafen, bis sie schließlich genug von dem harten Leben gehabt habe und nach Österreich gekommen sei. Hier habe man ihr mitgeteilt, dass sie schwanger sei. Sie sei dann operiert worden, aber man habe kein Baby gefunden. Sie sei seither immer wieder im Spital gewesen, zuletzt am Freitag. Dort sei ihr mitgeteilt worden, dass sie diesen Freitag nochmals kommen solle.
Auf Aufforderung durch das BFA legte die Erstbeschwerdeführerin folgende Krankenhausbefunde vor:
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Gyn.-Ambulanzkarte vom 10.10.2014 mit einer Auflistung und Kurzbeschreibung der bisherigen Termine am 27.08.2014, 03.09.2014, 10.09.2014, 14.09.2014, 16.09.201419.09.2014, 26.09.2014 und 03.10.2014; die Erstbeschwerdeführerin sei erstmals am 27.08.2014 nach Überweisung durch den Facharzt nach vaginalen Blutungen vorstellig geworden und es wurden folgende Diagnosen gestellt: "Grav II, sekundäre Amenorrhoe von 6 Wochen und 5 Tagen, Abortus completus DD gestörte Grav (EU?)"
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Blutgruppenbefund vom 26.08.2014
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Vorläufiger Arztbrief vom 28.08.2014 mit den Diagnosen "Grav. II, 7 SSW, Ab. Complet. DD gestörte Grav. (EU)"
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Histologischer Befund vom 01.09.2014 mit dem Ergebnis "Schwangerschaftstypisch transformiertes Corpusendometrium ohne Nachweis von Plazentazotten bei dem klinisch angegeben Abortus incompletus. Kein Anhalt von Malignität im vorliegenden Material."
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Arztbrief vom 08.09.2014 mit den Diagnosen: "Abortus completus Grav. II 7. SSW, nicht bestätigte Tubagravidität"
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OP-Bericht vom 01.09.2014 betreffend eine am 27.08.2014 durchgeführte diagnostische Laparoskopie und geburtshilfliche Curettage, Diagnose: "V.a. Tubargrav. DD Abortus incompletus"
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Arztbrief vom 12.09.2014 mit den Diagnosen: "Verdacht auf Extrauteringravidität, Status post diagnostische Laparoskopie und Curettage am 27.08.2014"
2. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag der Erstbeschwerdeführerin auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Italien für die Prüfung des Antrages gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b iVm Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO zuständig sei (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde gegen die Erstbeschwerdeführerin gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge eine Abschiebung nach Italien gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkt II.).
Das BFA traf Feststellungen zur Lage in Italien und führte aus, dass sich im Verfahren keine Hinweise ergeben hätten, dass die volljährige Erstbeschwerdeführerin an einer schweren körperlichen oder ansteckenden Krankheit oder psychischen Erkrankung leiden würde, die bei einer Überstellung/Abschiebung eine unzumutbare Verschlechterung des Gesundheitszustandes bewirken würden. In Österreich würden weder familiäre noch berufliche Bindungen bestehen und es sei auf Grund des kurzen Aufenthaltes auch nicht von einer besonderen Integrationsverfestigung in Österreich auszugehen. Ein von ihr im besonderen Maße substantiiertes glaubhaftes Vorbringen betreffend das Vorliegen besonderer, bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, die die Gefahr einer relevanten Verletzung des Art. 3 EMRK oder Art. 4 GRC ernstlich möglich erscheinen ließen, sei im Verfahren nicht hervorgekommen. Die Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG treffe daher zu.
Der angefochtene Bescheid wurde der Erstbeschwerdeführerin am 20.10.2014 durch persönliche Übergabe zugestellt.
3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die rechtzeitig eingebrachte Beschwerde, in welcher zusammengefasst vorgebracht wurde, dass die Verhältnisse in Italien menschenunwürdig und unzumutbar seien. Die Erstbeschwerdeführerin gehöre einer vulnerablen Gruppe an und es werde darauf in den herangezogenen Länderfeststellungen nicht eingegangen. Die Behörde wäre verpflichtet gewesen, allenfalls durch Beiziehung eines Sachverständigen entsprechende ergänzende Erhebungen vorzunehmen. Zum Altersgutachten werde ausgeführt, dass dieses der Erstbeschwerdeführerin nicht zugegangen bzw. sprachlich nicht verständlich gemacht worden sei und insofern eine Verletzung des Rechtes auf Gehör vorliege.
4. Die Beschwerdevorlage vom 24.10.2014 langte am 28.10.2014 beim Bundesverwaltungsgericht ein.
Mit Beschluss vom 07.11.2014, W205 2013532-1/5Z, wurde der Beschwerde gemäß § 17 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt. Nachdem der Aufenthaltsort der Erstbeschwerdeführerin nicht bekannt war und auch nicht ohne Schwierigkeiten ermittelt werden konnte, wurde der Beschluss am 18.12.2014 beim Bundesverwaltungsgericht durch Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch zugestellt. Die Erstbeschwerdeführerin war von 19.11.2014 bis 10.02.2015 und von 13.05.2015 bis 20.04.2016 unbekannten Aufenthaltes.
Mit Schreiben vom 17.05.2016 brachte der Vertreter der Erstbeschwerdeführerin vor, dass "im Hinblick auf den Zeitablauf" nunmehr Österreich für die Prüfung des Asylantrages der Asylwerberin zuständig sei.
5. Am XXXX wurde in Österreich die minderjährige Zweitbeschwerdeführerin geboren.
Am 09.01.2017 stellte die Erstbeschwerdeführerin für die nachgeborene Zweitbeschwerdeführerin als deren gesetzliche Vertreterin einen Antrag auf internationalen Schutz.
Das BFA wies die italienischen Behörden mit Schreiben vom 18.01.2017 gemäß Art. 20 Abs. 3 Dublin III-VO darauf hin, dass Italien aufgrund der Zuständigkeit zur Prüfung des Asylantrages der Mutter nun auch für den Antrag des nachgeborenen Kindes zuständig sei.
Am 28.02.2017 übermittelte die Vertreterin der Erstbeschwerdeführerin eine psychosoziale Stellungnahme und führte aus, dass die Erstbeschwerdeführerin umfassender psychosozialer Betreuung und Unterstützung als alleinstehende, alleinerziehende Mutter bedürfe. Außerdem stehe die neugeborene Zweitbeschwerdeführerin in kinderärztlicher Behandlung. Unter Bezugnahme auf die Entscheidung des EGMR Tarakhel vom 04.11.2014 wurde ausgeführt, dass zur Verletzung von Art. 3 EMRK im Fall einer Überstellung individuelle Garantien von den italienischen Behörden eingeholt werden müssten, dass die Betroffenen in einer entsprechenden Weise versorgt werden würden.
Mit Schreiben vom 13.03.2017 brachte die Kinderärztin der Zweitbeschwerdeführerin vor, dass aus medizinischen Gründen für die Zweitbeschwerdeführerin eine Aufenthaltsgenehmigung benötigt werde. Durch einen großen Nabelbruch werde voraussichtlich eine Operation nötig sein bzw. seien ständige ärztliche Kontrollen erforderlich.
Am 23.10.2017 wurde die Erstbeschwerdeführerin zum Asylantrag ihrer Tochter vor dem BFA einvernommen. Zu ihrer Gesundheit befragt gab sie an, dass ihre Tochter ein großes Problem mit ihrem Bauchnabel habe und manchmal weine, weil der Bauchnabel so groß sei. In Italien sei das Leben sehr schwer und es wäre wesentlich schwieriger mit einem Kind. Sie habe auch den Vater ihres Kindes in Österreich kennengelernt. Sie würden sich derzeit nicht gut verstehen und sie habe ihn auf der Geburtsurkunde ihrer Tochter nicht vermerken lassen, aber er habe sie vor kurzem angerufen und wolle gerne als offizieller Vater anerkannt werden. Ob er sie unterstützen wolle, wisse sie nicht. Sie wünsche sich, dass ihre Tochter in Österreich bleiben und ein besseres Leben führen könne, als sie es gehabt habe.
6. Mit Bescheid vom 27.10.2017 wurde der Antrag der Zweitbeschwerdeführerin auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Italien für die Prüfung des Antrages gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b iVm Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO zuständig sei (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde gegen die Zweitbeschwerdeführerin gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge eine Abschiebung nach Italien gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkt II.). Begründend wurde ausgeführt, dass sie an keinen schweren körperlichen oder psychischen Krankheiten leiden würde, die bei einer Überstellung eine unzumutbare Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes bewirken würden. Ständige ärztliche Kontrollen bzw. notwendige Operationen seien auch in Italien verfügbar und ihr gesundheitlicher Zustand sei nicht gravierend genug, um ihrer Person eine Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen. Es würden keine stichhaltigen Gründe vorliegen, dass sie in Italien unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung ausgesetzt sei. Ein von ihr im besonderen Maße substantiiertes glaubhaftes Vorbringen betreffend das Vorliegen besonderer, bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, die die Gefahr einer relevanten Verletzung des Art. 3 EMRK oder Art. 4 GRC ernstlich möglich erscheinen ließen, sei im Verfahren nicht hervorgekommen. Die Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG treffe daher zu.
Der angefochtene Bescheid wurde der Erstbeschwerdeführerin am 30.10.2017 zugestellt.
Dagegen erhob die Zweitbeschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde, in der im Wesentlichen ausgeführt wurde, dass die Behörde gegen die amtswegige Ermittlungspflicht verstoßen habe. In Italien würden für vulnerable Personen grob mangelhafte Aufnahmebedingungen und massive Mängel im Asylverfahren bestehen. Die noch äußerst junge Mutter der minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin sei traumatisiert und bedürfe anhaltender psychosozialer Unterstützung und sozialpädagogischer Betreuung. Bei einer Überstellung sei mit einer Verschlechterung ihres psychischen Zustands und damit einhergehend mit einer Gefährdung des Kindeswohls der Zweitbeschwerdeführerin zu rechnen. Aufgrund der systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylwerber in Italien würden ernsthafte Gründe für die Annahme bestehen, dass die minderjährige Zweitbeschwerdeführerin tatsächlich Gefahr liefe, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu werden.
7. Die Beschwerdevorlage vom 28.11.2017 langte am 30.11.2017 beim Bundesverwaltungsgericht ein.
8. Mit Schreiben vom 08.06.2018 wurden den Beschwerdeführerinnen aktualisierte Feststellungen zur Lage in Italien mit Stand vom 19.01.2018, zusammengestellt von der Staatendokumentation, übermittelt und ihnen Gelegenheit gegeben, eine Stellungnahme abzugeben. Unter einem wurden die Beschwerdeführerinnen aufgefordert, Zweckdienliches zur Frage der Beurteilung der Zuständigkeit Österreichs zur Behandlung ihres Antrages auf internationalen Schutz vorzubringen, beispielsweise, ob sich an ihrer persönlichen (privaten) Situation in Österreich bzw. allenfalls an ihrem Gesundheitszustand seit Beschwerdeeinbringung gravierende Veränderungen ergeben hätten.
Mit Stellungnahme vom 27.07.2018 wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass die Erstbeschwerdeführerin eine alleinstehende Frau und alleinerziehende Mutter eines Kleinkindes sei und sich seit vier Jahren in Österreich befinde. Im Fall des minderjährigen Kindes sei kein Aufnahmegesuch an Italien gerichtet worden und liege somit auch keine Zustimmung zur Übernahme vor. Ferner könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Erstbeschwerdeführerin im Fall ihrer Rückkehr ihr Verfahren vom Jahr 2011 problemlos fortsetzen könne. Bei den Beschwerdeführerinnen handle es sich um eine besonders vulnerable Personengruppe und es sei eine adäquate Unterbringung für sie nicht gewährleistet. Eine Überstellung der Beschwerdeführerinnen ohne konkrete Einzelfallzusicherung würde zu einer Gefährdung des Kindeswohls führen.
Mit der Stellungnahme vorgelegt wurde ein Schreiben der Kinderärztin der Zweitbeschwerdeführerin, wonach bei der Zweitbeschwerdeführerin im März 2018 eine Nabelbruchoperation habe durchgeführt werden müssen. Aus medizinischer und kinderpsychologischer Sicht sei es kontraindiziert, das Kind aus dem gewohnten Umfeld zu reißen.
9. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 04.10.2018 wurde die Beschwerde der Beschwerdeführerinnen als unbegründet abgewiesen.
10. Mit Schreiben vom 15.11.2018 gab die italienische Dublin Behörde eine Einzelfallzusicherung für die Erstbeschwerdeführerin und ihr mj. Kind ab und teilte mit, dass der Asylantrag der Beschwerdeführerin am 04.12.2012 abgelehnt und ihr die endgültige Entscheidung am 09.07.2014 mitgeteilt worden sei. Die Beschwerdeführerinnen würden bei einer Überstellung nach Italien nicht in einem SPRAR - Projekt untergebracht, sondern in einem geeigneten Aufnahmezentrum.
11. Der EGMR erließ eine einstweilige Maßnahme, dass die Beschwerdeführerinnen vorerst nicht aus Österreich nach Italien zu überstellen seien.
Mit Schreiben vom 23.11.2018 wurde der italienischen Dublin Behörde mitgeteilt, dass die Überstellung der Beschwerdeführer verschoben wurde, da rechtliche Schritte mit aufschiebender Wirkung eingeleitet worden seien.
Am 26.11.2018 teilte das BMI mit, dass vom EGMR die vorläufige Maßnahme aufgehoben worden sei.
12. Mit Schreiben vom 03.12.2018 teilte die italienische Dublin Behörde mit, dass sie die Überstellung der Beschwerdeführerinnen akzeptiere.
13. Gegen das Erkenntnis des BVwG vom 04.10.2018 erhoben die Beschwerdeführerinnen mit Schriftsatz vom 11.02.2019 außerordentliche Revision an den VwGH.
14. Der von den Beschwerdeführerinnen erhobenen außerordentlichen Revision wurde mit Beschluss des VwGH vom 12.02.2019 die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
Mit Schreiben vom 13.02.2019 teilte die österreichische Dublin Behörde der italienischen mit, dass die Überstellung der Beschwerdeführerinnen verschoben werde, da rechtliche Schritte mit aufschiebender Wirkung eingeleitet worden seien.
15. Am 24.04.2019 erhoben die Beschwerdeführerinnen Beschwerde beim VfGH. Mit Beschluss des VfGH vom 30.04.2019 wurde der Beschwerde gegen das Erkenntnis des BVwG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
16. Mit Erkenntnis des VfGH vom 26.06.2019, Zl. E 4602-4603/2018, wurde das Erkenntnis des BVwG wegen Verletzung der Beschwerdeführerinnen im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander aufgehoben, mit der Begründung, dass das Sicherheits- und Immigrationsdekret, das in Italien Änderungen im Asylrecht vorsehe und welches am 05.10.2018 in Kraft getreten sei, in der Entscheidung nicht berücksichtigt worden sei.
Am 24.07.2019 wurde den Beschwerdeführerinnen eine aktualisierte Kurzinformation vom 22.07.2019 der Staatendokumentation und dem bereits mit hg. Schreiben vom 22.07.2019 übermittelten Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Italien nachgereicht und ihnen eine Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt.
17. Mit Beschluss des VwGH vom 26.07.2019, Zl. Ra 2018/19/0649, 0650, eingelangt beim BVwG am 02.08.2019, wurde die Revision als gegenstandslos geworden erklärt und das Verfahren eingestellt.
18. Mit Stellungnahme vom 03.09.2019 erklärten die Beschwerdeführerinnen durch ihren Rechtsberater, dass ein Vaterschaftsanerkenntnis betreffend die Zweitbeschwerdeführerin vorliege und, dass in Italien infolge der Salvini Dekrete unzumutbare Aufnahmebedingungen herrschen würden. Es sei unter dem Gesichtspunkt der Prävention von Menschenhandel unzulässig, die Beschwerdeführerinnen zu überstellen. Die Erstbeschwerdeführerin habe sich bei ihrem Aufenthalt in Italien prostituieren bzw. ihren dortigen Unterstützern sexuell zu Diensten sein müssen, um ihr Überleben zu sichern. Genau dieses auch im aktuellen Fall einer Rückkehr nach wie vor bestehende hohe Risiko der Obdachlosigkeit bei einem schon identifizierten Opfer von Menschenhandel stelle aber nicht nur eine Verletzung von Art. 4 EMRK, sondern gleichzeitig eine Verletzung von Art. 3 EMRK dar, wäre doch die Erstbeschwerdeführerin als alleinstehende Mutter den Menschenhandelsnetzwerken bzw. - mechanismen wegen der drohenden Obdach- und Mittellosigkeit abermals schutzlos ausgeliefert. Die Erstbeschwerdeführerin halte sich bereits mehr als fünf Jahre in Österreich auf, was vor dem Hintergrund des § 56 AsylG allein schon ratione temporis die Rechtsvermutung fortgeschrittener Integration begründe. Wie dem beiliegenden Sozialbericht vom 02.08.2019 und insbesondere den beiliegenden Kursbesuchsbestätigungen zu entnehmen sei, habe sie trotz der Widrigkeiten des Zulassungsverfahren sämtliche angebotenen Integrationsmaßnahmen angenommen. Sie könne sich mündlich problemlos auf Deutsch verständigen. Die Zweitbeschwerdeführerin sei in Österreich geboren, sie spreche ausschließlich Deutsch und Englisch. Sie aus ihrem gewohnten Lebensumfeld herauszureißen, würde insbesondere in Anbetracht der für Kleinkinder völlig unzureichenden Aufnahmebedingungen in Italien eine nicht mehr hinnehmbare Verletzung des Kindeswohls darstellen. Laut den beiliegenden ärztlichen Bestätigungen bestehe bei der Zweitbeschwerdeführerin als Folge eines Nabelbruchs nach wie vor eine erhöhte Infektanfälligkeit, die häufige ärztliche Vorstellungen und eine ständige medizinische Obsorge erfordere. Damit sei fallbezogen aber in Italien in Anbetracht der Berichtslage zur medizinischen Versorgungssituation von Asylsuchenden im allgemeinen und zu vulnerablen Asylsuchenden im speziellen gerade nicht zu rechnen. Nach der ständigen Rechtsprechung stelle aber die Notwendigkeit einer fortgesetzten medizinischen Behandlung im Bundesgebiet einen bereits für die Interessenabwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK erhebliche und mitunter sogar entscheidenden Gesichtspunkt dar.
Der Stellungnahme beigelegt waren neben diversen Asylberichten zur Lage in Italien folgende Dokumente:
Die Zweitbeschwerdeführerin betreffend:
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Vaterschaftsanerkennung
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Medizinisches Schreiben einer FA für Kinderheilkunde vom 29.07.2019
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Medizinische Befundberichte eines Diagnosezentrums vom 27.09.2018
Betreffend die Erstbeschwerdeführerin:
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Zertifikat Deutschkurs für AnfängerInnen (A1) vom 30.06.2017
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Kursbesuchsbestätigung Basisbildungskurs "Mama lernt Deutsch",
Niveau: Elementare Sprachverwendung A1 vom 14.12.2017
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Teilnahmebestätigung Basisbildungskurs "Mama lernt Deutsch" 1.
Halbjahr, Niveau: Elementare Sprachverwendung A1 vom 20.06.2018
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Teilnahmebestätigung Basisbildungskurs "Mama lernt Deutsch" 2.
Halbjahr, Niveau: Elementare Sprachverwendung A1 vom 26.11.2018
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Kursbesuchsbestätigung Deutsch A1 (Teil 2 von 2) mit Prüfungsvorbereitung vom 27.03.2019
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Sozialbericht vom 02.08.2019
19. Nach Auskunft einer österreichischen Justizvollzugsanstalt vom 16.10.2019 sitzt der Vater der Zweitbeschwerdeführerin wegen § 28 SMG (Vorbereitung von Suchtgifthandel) in Untersuchungshaft, auch aktuell befindet er sich in der JA Josefstadt (ZMR vom 11.02.2020). Lt. IZR ist der Betreffende in Österreich nicht aufenthaltsberechtigt, lt. ZMR hat mit den Beschwerdeführerinnen zu keiner Zeit ein gemeinsamer Haushalt bestanden.
20. Am 10.12.2019 wurden die Beschwerdeführerinnen vom Ergebnis der Beweisaufnahme verständigt und ihnen mitgeteilt, dass eine neuerliche Beweisaufnahme zur aktuellen Lage in Italien (nach nunmehr erfolgtem Regierungswechsel) stattgefunden habe. Weiters werde mitgeteilt, dass seitens des italienischen Staates eine aufrechte Einzelfallzusicherung für die Beschwerdeführerinnen vorliege.
21. Mit Stellungnahme, eingelangt beim BVwG am 13.01.2020, wurde auf die Stellungnahme vom 03.09.2019 verwiesen und abermals auf das Vaterschaftsanerkenntnis hingewiesen. Es sei unerfindlich, wie das BVwG zur Auffassung gelange, dass die Einzelfallzusicherung vom 15.11.2018 nach wie vor aufrecht sei. Im weiteren wurden in der Stellungnahme die Aufnahmebedingungen in Italien bemängelt und abermals ausgeführt, dass die Erstbeschwerdeführerin alleinerziehende Mutter der Zweitbeschwerdeführerin sei, sie sei in ihrer Heimat Opfer von Genitalverstümmelung gewesen und sei während ihres früheren Aufenthalts in Italien zur Prostitution gezwungen worden.
Der Stellungnahme beigelegt waren folgende Unterlagen:
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Arztbrief vom 02.01.2020 die Zweitbeschwerdeführerin betreffend, in dem iW ausgeführt wird, sie sei dort seit der Geburt in Behandlung, ihr gesundheitlicher Zustand sei nach anfänglich starken Kolikschmerzen und dann häufige Infekte der oberen Luftwege nun zufriedenstellend, allerdings unter der Voraussetzung, dass auch ihre Lebensumstände stabil bleiben;
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Klinisch-psychologische Stellungnahme vom 20.12.2019, die Erstbeschwerdeführerin betreffend, in der iW ausgeführt wird, dass die Erstbeschwerdeführerin seit Juli 2019 an einer psychologischen Gesprächsgruppe für alleinerziehende Mütter teilnehme; sie habe Angstzustände, die sie nicht schlafen ließen und von traumatisierenden Erfahrungen herrührten. Es belaste sie die Angst, mitten in er Nacht gemeinsam mit ihrer Tochter abgeholt und weggebracht zu werden, und sie habe Zukunftsängste betreffend das Wohlergehen ihrer Tochter. Sie habe in Gruppensettings über erlebte Traumata nicht sprechen können, sich aber im Vergleich zur Anfangszeit sehr positiv entwickelt. Eine Rückführung nach Italien würde die jahrelange Entwicklung zunichte machen und zu einer Retraumatisierung führen, da die Erstbeschwerdeführerin massive Angst habe, in Italien in die Obdachlosigkeit zu rutschen und gezwungen würde, sich zu prostituieren, um sich und ihre Tochter mit dem Allernotwendigsten zu versorgen. Dies hätte nicht nur für sie schwerwiegende psychische und physische Folgen, sondern brächte auch ihre dreijährige Tochter in Gefahr.
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Sozialarbeiterische Stellungnahme vom 24.12.2019, in der iW ausgeführt wird, die Beschwerdeführerinnen benötigten ein stabiles Umfeld, dieses sei weder im Herkunftsland noch in Italien gegeben, die Klientin habe sich gut entwickelt, eine Abschiebung würde diese Entwicklung in Österreich, ihre psychische Stabilisierung sowie ihre Integrationsbestrebungen zunichte machen. Auch das Kleinkind würde ein gewaltvoller Abbruch ihrer sozialen Beziehungen und Integrationsprozess schwer treffen und ihre frühkindliche Entwicklung schwer belasten. Es werde von einer abermaligen Entwurzelung abgeraten, die Beschwerdeführerinnen wünschten sich längerfristig in Österreich bleiben zu dürfen.
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Unterstützungsschreiben vom 19.12.2019 und 24.12.2019
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Reisepasskopie eines Unterstützers
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Bestätigung vom Kindergarten vom 19.12.2019
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Besuchsbestätigung Kindertagesheim vom 19.12.2019
22. Am 12.02.2020 wurde dem BVwG über Anfrage mitgeteilt, dass sich der Vater der Zweitbeschwerdeführerin nach wie vor in U-Haft befinde und ein Verhandlungstermin noch nicht anberaumt worden sei.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter der minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin, die am XXXX im Bundesgebiet geboren wurde. Sie sind Staatsangehörige Nigerias.
Die Erstbeschwerdeführerin reiste im Jahr 2008 aus einem Drittstaat kommend über Italien illegal in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten ein und stellte dort am 26.06.2008 und am 17.11.2011 einen Antrag auf internationalen Schutz. In der Folge reiste sie illegal nach Österreich weiter, wo sie am 04.08.2014 für sich und am 27.10.2017 für die zwischenzeitlich im Bundesgebiet (nach)geborene Zweitbeschwerdeführerin den jeweils hier gegenständlichen Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes stellte.
Das BFA richtete am 04.09.2014 ein auf Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-VO gestütztes Wiederaufnahmeersuchen an Italien, welches in der Folge unbeantwortet blieb. Mit Schreiben vom 05.10.2014 wies das BFA die italienischen Behörden auf das Verstreichen der Antwortfrist und die sich daraus ergebende Verpflichtung zur Wiederaufnahme der Antragstellerinnen gemäß Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO hin.
Nach der Geburt der Zweitbeschwerdeführerin wies das BFA die italienischen Behörden mit Schreiben vom 18.01.2017 gemäß Art. 20 Abs. 3 Dublin III-VO darauf hin, dass Italien aufgrund der Zuständigkeit zur Prüfung des Asylantrages der Mutter nun auch für den Antrag des nachgeborenen Kindes zuständig sei.
Mit Schreiben vom 15.11.2018 teilte die italienische Dublin Behörde mit, dass der Asylantrag der Beschwerdeführerin am 04.12.2012 abgelehnt und ihr die endgültige Entscheidung am 09.07.2014 mitgeteilt worden sei. Die italienischen Behörden haben ausdrücklich eine Einzelfallzusicherung abgegeben und versichert, dass die Beschwerdeführerinnen bei einer Überstellung nach Italien nicht in einem SPRAR - Projekt, sondern in einem geeigneten Aufnahmezentrum untergebracht werden, und haben der Wiederaufnahme ausdrücklich zugestimmt.
Die Erstbeschwerdeführerin war von 19.11.2014 bis 10.02.2015 und von 13.05.2015 bis 20.04.2016 unbekannten Aufenthaltes.
Konkrete, in der Person der Beschwerdeführerinnen gelegene Gründe, welche für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, liegen nicht vor.
Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerinnen im Falle einer Überstellung nach Italien Gefahr liefen, einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe bzw. einer sonstigen konkreten individuellen Gefahr unterworfen zu werden.
Die Beschwerdeführerinnen sind nicht lebensbedrohlich erkrankt; sie leiden auch nicht an akuten Erkrankungen, die eine Überstellung nach Italien unzulässig machen würden. In Italien sind alle Krankheiten behandelbar und ist ausreichende medizinische Versorgung für Asylwerber gewährleistet und auch in der Praxis zugänglich. Die Zweitbeschwerdeführerin litt nach ihrer Geburt aufgrund eines Nabelbruches wiederholt an Koliken und als Kleinkind an häufigen Infekten der oberen Atemwege, ihr Gesundheitszustand hat sich mittlerweile stabilisiert. Die Erstbeschwerdeführerin leidet an keinen schwereren physischen Erkrankungen, sie nimmt seit Juli 2019 an Gruppensettings für alleinerziehende Mütter teil, in denen sie über Zukunftsängste, Angst vor einer Abschiebung nach Italien, wo sie vor ihrer Weiterreise nach Österreich schlechte Lebensbedingungen vorfand, und ihrem Wunsch, in Österreich zu bleiben, berichtet.
Abgesehen von den Bindungen der Beschwerdeführerinnen untereinander bestehen keine besonderen privaten, familiären oder beruflichen Bindungen im österreichischen Bundesgebiet. Die Erstbeschwerdeführerin lernte den Vater der Zweitbeschwerdeführerin, einen nigerianischen Staatsangehörigen, in Österreich kennen. Die Beschwerdeführerinnen lebten mit diesem nie im gemeinsamen Haushalt und befinden sich in Grundversorgung. Eine finanzielle oder sonstige Abhängigkeit zum Vater der Zweitbeschwerdeführerin besteht nicht, ein entstandenes persönliches Naheverhältnis zwischen dem Mann und den Beschwerdeführerinnen wurde nicht vorgebracht. Der Vater der Zweitbeschwerdeführerin ist in Österreich nicht zum Aufenthalt berechtigt, er sitzt seit 21.08.2019 wegen Verdachts der Begehung von Straftaten nach § 28 SMG in Untersuchungshaft in einer österreichischen Justizvollzugsanstalt. Eine Strafverhandlung wurde noch nicht anberaumt Die Erstbeschwerdeführerin besuchte Deutschkurse auf dem Niveau A1, Zertifikate legte sie keine vor.
Das Bundesverwaltungsgericht trifft zur Lage im Mitgliedstaat folgende Feststellungen:
Allgemeines zum Asylverfahren
In Italien existiert ein rechtsstaatliches Asylverfahren mit gerichtlichen Beschwerdemöglichkeiten. Im Oktober 2018 gab es mit Einführung von Gesetzesdekret Nr. 113 vom 4.10.2018 (in Verbindung mit dem Umwandlungsgesetz Nr. 132 vom 1.12.2018 (auch als "Salvini-Dekret" bzw. "Salvini-Gesetz" bekannt) einige legislative Änderungen (siehe dazu insbesondere Abschnitte 6. und 7. in diesem LIB, Anm.):
(...)
Mit Stand 27. September 2019 waren in Italien 49.014 Personen in einem Asylerfahren, davon haben 26.240 Personen ihren Asylantrag im Jahr 2019 gestellt (MdI 27.9.2019).
Im Jahre 2019 haben die italienischen Asylbehörden bis zum 7. Juni
42.916 Asylentscheidungen getroffen, davon erhielten 4.605 Personen Flüchtlingsstatus, 2.790 subsidiären Schutz, 672
humanitären Schutz, 2.340 waren unauffindbar und 32.304 wurden negativ entschieden (MdI 7.6.2019). Mit Anfang Oktober 2019 waren in Italien 50.298 Asylanträge anhängig (SN 2.10.2019).
Die Asylverfahren nehmen, inklusive Beschwerdephase, bis zu zwei Jahre in Anspruch (USDOS 13.3.2019).
Quellen:
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AIDA - Asylum Information Database (4.2019): Association for Legal Studies on Immigration (ASGI) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Italy, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2017update.pdf , Zugriff 27.8.2019
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MdI - Ministero dell'Interno (27.9.2019): Commissione Nazionale per il Diritto di Asilo, per E-Mail
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MdI - Ministero dell'Interno (7.6.2019): Commissione Nazionale per il Diritto di Asilo,
https://www.camera.it/application/xmanager/projects/leg18/attachments/upload_file_doc_acquisiti/pdfs/000/001/795/REPORT_FINO_AL_07.06.2019_.pdf, Zugriff 24.9.2019
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SN - Salzburger Nachrichten (2.10.2019): Zahl der Migrantenankünfte in Italien 2019 stark rückläufig, https://www.sn.at/politik/weltpolitik/zahl-der-migrantenankuenfte-in-italien-2019-stark-ruecklaeufig-77097958, Zugriff: 9.10.2019
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USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Italy, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004308.html, Zugriff 23.9.2019
Dublin-Rückkehrer
Wenn Italien einer Überstellung ausdrücklich zustimmt, wird der Flughafen angegeben, welcher der für das konkrete Asylverfahren zuständigen Quästur am nächsten liegt. Wenn Italien durch Fristablauf zustimmt, landen Rückkehrer üblicherweise auf den Flughäfen Rom-Fiumicino und Mailand-Malpensa. Ihnen wird am Flughafen von der Polizei eine Einladung (verbale di invito) ausgehändigt, der zu entnehmen ist, welche Quästur für ihr Asylverfahren zuständig ist. Mit dieser ist dann ein Termin zu vereinbaren. Die Quästuren sind oft weit von den Ankunftsflughäfen entfernt und die Asylwerber müssen auf eigene Faust und oft auch auf eigene Kosten innerhalb weniger Tage dorthin reisen, was bisweilen problematisch sein kann (AIDA 4.2019).
Die Situation von Dublin-Rückkehrern hängt vom Stand ihres Verfahrens in Italien ab:
1. Wenn ein Rückkehrer noch keinen Asylantrag in Italien gestellt hat, kann er dies tun, so wie jede andere Person auch. Der Rückkehrer könnte aber auch als illegaler Migrant betrachtet und mit einer Anordnung zur Außerlandesbringung konfrontiert werden. Derartige Fälle wurden 2018 vom Flughafen Mailand Malpensa berichtet (AIDA 4.2019).
2. Wenn das Verfahren eines Antragstellers suspendiert wurde, weil er sich dem Verfahren vor dem Interview entzogen hat, kann der Rückkehrer binnen 12 Monaten ab Suspendierung einen neuen Interviewtermin beantragen. Sind mehr als 12 Monate vergangen und das Verfahren wurde beendet, kann nur ein Folgeantrag gestellt werden, für den seit Oktober 2018 verschärfte Regelungen gelten (AIDA 4.2019).
3. Wurde das Verfahren des Antragstellers in der Zwischenzeit negativ entschieden und ihm dies zur Kenntnis gebracht, ohne dass er Beschwerde eingelegt hätte, ist für den Rückkehrer eine Anordnung zur Außerlandesbringung und Schubhaft möglich. Wenn dem Antragsteller die negative Entscheidung nicht zur Kenntnis gebracht werden konnte, gilt diese seit Oktober 2018 nach 20 Tagen als zugestellt und ist für den Rückkehrer eine Anordnung zur Außerlandesbringung und Schubhaft möglich (AIDA 4.2019). ( Für weitere Informationen, siehe Kapitel 6.2. "Dublin- Rückkehrer", Anm.)
Mit Gesetz 132/2018 wurde der humanitäre Schutzstatus stark überarbeitet und der Zugang zu dieser Schutzform eingeschränkt. Abgelaufene (alte) Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen, werden nicht erneuert (VB 22.2.2019) und können auch nicht mehr verlängert werden. Sie können jedoch bei rechtzeitiger Antragstellung und Erfüllung der Voraussetzungen in einen anderen Titel umgewandelt werden (Aufenthaltstitel für Arbeit, Familienzusammenführung, etc. oder in einen humanitären Titel neuer Rechtslage) (VB 25.2.2019). Ansonsten läuft der Titel ab und der Aufenthalt in Italien ist nicht mehr rechtmäßig (VB 22.2.2019). (für nähere Informationen zu diesem Thema siehe Abschnitt 7. "Schutzberechtigte", Anm. ) Wenn Dublin-Rückkehrer im Besitz eines humanitären Aufenthaltes waren, der nicht fristgerecht in einen der neuen Aufenthaltstitel umgewandelt wurde, sind sie zum Aufenthalt in Italien nicht mehr berechtigt und damit von der Versorgung ausgeschlossen (SFH 8.5.2019).
Quellen:
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AIDA - Asylum Information Database (4.2019): Association for Legal Studies on Immigration (ASGI) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Italy, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2017update.pdf , Zugriff 27.8.2019
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SFH - Schweizerische Flüchtlingshilfe (8.5.2019): Aktuelle Situation für Asylsuchende in Italien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2008993/190508-auskunft-italien.pdf, Zugriff 25.9.2019
-VB des BM.I Italien (25.2.2019): Auskunft des VB, per E-Mail
-VB des BM.I Italien (22.2.2019): Bericht des VB, per E-Mail
Unbegleitete minderjährige Asylwerber (UMA) / Vulnerable
In Italien gelten folgende Personenkreise als vulnerabel:
Minderjährige, unbegleitete Minderjährige, Schwangere, alleinstehende Eltern mit minderjährigen Kindern, Opfer von Menschenhandel, Opfer von Genitalverstümmelung und ernsthaft physisch oder psychisch Kranke sowie Alte, Behinderte und Opfer von Folter, Vergewaltigung oder anderen Formen physischer, psychischer oder sexueller Gewalt. In Italien ist kein eigener Identifikationsmechanismus für Vulnerable vorgegeben. Es gibt lediglich Leitfäden des Gesundheitsministeriums zu ihrer Unterstützung und sie werden im Verfahren prioritär behandelt. Die Identifizierung von Gewaltopfern ist in jeder Phase des Verfahrens durch Beamte, Betreuer oder NGOs möglich. Die zuständige erstinstanzliche Asylbehörde kann zur Absicherung eine medizinische Untersuchung verlangen. Wenn im Zuge des Interviews ein Vertreter der Behörde den Verdacht hat, es mit einem Folteropfer zu tun zu haben, kann er die betreffende Person speziellen Diensten zuweisen. Wenn die Vulnerabilität eines Antragstellers festgestellt wurde, ist dessen Zugang zu angemessener medizinischer und psychologischer Versorgung und Betreuung sicherzustellen. Die NGOs Ärzte ohne Grenzen und Association for Legal Studies on Immigration (ASGI) betreiben gemeinsam in Rom ein Zentrum zur Identifikation und Rehabilitation von Folteropfern, welche ohne Unterstützung Schwierigkeiten hätten, als Vulnerable behandelt zu werden (AIDA 4.2019).
Beim Schutz von Minderjährigen sind deren Reifegrad und Entwicklung zu berücksichtigen und es ist im besten Interesse des Kindes zu handeln. Gemäß Gesetz 47/2017 kann in Ermangelung von Ausweispapieren und bei Zweifeln am Alter des Antragstellers die Staatsanwaltschaft am Jugendgericht eine soziale/medizinische Untersuchung zur Altersfeststellung anordnen. Die Untersuchung ist im multidisziplinären Ansatz von entsprechend geschulten Fachkräften durchzuführen, mit möglichst nicht-invasiven Methoden und unter Achtung der Integrität der Person. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses ist der Antragsteller als Minderjähriger zu behandeln und im Zweifel ist die Minderjährigkeit anzunehmen. NGOs zufolge wird Gesetz 47/2017 aber nicht effektiv umgesetzt und das Alter lediglich mittels Handwurzelröntgen festgestellt und auch keine Schwankungsbreite berücksichtigt. Bis zum Ergebnis dauert es oft Monate und in dieser Zeit wird der Betroffene oft als Erwachsener behandelt (AIDA 4.2019).
Wird den Behörden die Existenz eines unbegleiteten Minderjährigen bekannt, ist dies umgehend dem Staatsanwalt am zuständigen Jugendgericht zur Kenntnis zu bringen, damit dieses einen Vormund bestimmen kann, der für Schutz und Wohlergehen des Minderjährigen während des gesamten Asylverfahrens zuständig ist (bei negativem Ausgang auch darüber hinaus). Die Jugendgerichte führen zu diesem Zweck ein Register freiwilliger Vormunde, die von Amts wegen entsprechend geprüft und geschult werden. Bis zur Bestellung des Vormunds kann der Leiter der Unterbringung den UM beim Stellen eines Asylantrags unterstützen, aber der Vormund muss den UM auf den folgenden Stufen des Verfahrens vertreten. Ein Vormund kann maximal drei Minderjährige gleichzeitig betreuen. Derzeit ist die gebräuchlichste Vorgehensweise, dass der Bürgermeister der Gemeinde, in der der UM untergebracht ist, als Vormund eingesetzt wird und er diese Aufgabe an Personen innerhalb der Gemeinde delegiert, die mit sozialen Aufgaben betraut sind. Letztere betreuen häufig viele andere Personen in der Gemeinde und können aufgrund von Überlastung ihr Mandat nicht ordentlich wahrnehmen (AIDA 4.2019).
Laut italienischen Gesetzen ist bei der Unterbringung auf spezifische Bedürfnisse der Asylwerber Rücksicht zu nehmen. Dies gilt insbesondere für Vulnerable. Ein Gesundheitscheck bei der Erstaufnahme ist vorgesehen, um auch spezielle Unterbringungsbedürfnisse erkennen zu können (AIDA 4.2019).
Durch die Änderungen mit Gesetz 132/2018 werden vulnerable Asylwerber, mit Ausnahme von UMA, seit Oktober 2018 in den Unterbringungszentren der ersten Stufe (Erstaufnahme) untergebracht. Durch die Gesetzesänderungen wurde die Finanzierung für die Erstaufnahme reduziert, wodurch NGOs die Identifizierung und Berücksichtigung spezieller Bedürfnisse gefährdet sehen. Familien können nur dann aus der Erstaufnahme in das SIPROIMI-System transferiert werden, wenn zumindest ein Familienmitglied einen entsprechenden Schutztitel erhalten hat. D