TE Bvwg Beschluss 2020/3/3 W256 2199572-1

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Veröffentlicht am 03.03.2020
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Entscheidungsdatum

03.03.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art. 133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz 2

Spruch

W256 2199572-1/4E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Caroline KIMM als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA. Somalia, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05. Juni 2018, Zl. XXXX , beschlossen:

A)

Der angefochtene Bescheid wird hinsichtlich seines Spruchpunktes I. gemäß §28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer, ein somalischer Staatsangehöriger, stellte am 09. Mai 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).

Im Zuge der am selben Tag erfolgten Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Beschwerdeführer zu seinem Fluchtgrund befragt (wortwörtlich um Rechtschreibfehler bereinigt wiedergegeben) Folgendes an: "Ich habe Somalia verlassen, weil meine Familie dort am 28.01.2016 von Kämpfern der Al-Shabaab Miliz getötet wurde. Diese brachten meine Eltern und meinen Bruder um, weil meine Ex-Frau XXXX ein Kind von mir erwartete. Mein ehemaliger Schwiegervater XXXX wollte nicht, dass sie ein Kind von mir auf die Welt bringt. Dieser ist ein Mitglied der Al-Shabaab und schlug auch meine Ex-Frau, sodass unser Kind starb."

Der Beschwerdeführer wurde am 6. April 2018 durch ein Organ der belangten Behörde einvernommen. Die Befragung gestaltete sich - laut (um Rechtschreibfehler bereinigtem) Protokoll und soweit hier wesentlich - wie folgt:

"F: Schildern Sie detailliert alle Gründe und konkreten Vorfälle, welche Sie zum Verlassen Ihres Heimatlandes veranlasst haben!

A: Ich habe eine Frau geliebt, die aber nicht zu unserem Clan gehörte. Ich gehöre zu einer Minderheit. Die Frau gehört zum mächtigen Clan der Hawiye und bei mir im Geschäft waren die Mehrheit von meinen Kunden Frauen. Diese Frau war eine Kundin und die Beziehung hat im Geschäft begonnen. Sie hat gesagt, dass sie mich liebt und ich sagte ihr, dass es nicht möglich ist, wir können nicht heiraten, da sie zu einem anderen Clan gehört. Die Frau hat mir gedroht, dass sie sich das Leben nimmt, wenn ich sie nicht heirate. Ich habe die Frau deswegen heimlich geheiratet.

[...]

F: Wie ging es weiter?

A: Wir hatten eine heimliche Zeremonie mit Freunden und Freundinnen meiner Frau. [...] Wir lebten heimlich zusammen. Als meine Frau im dritten Monat schwanger war, hat ihre Familie die Schwangerschaft bemerkt. Ihre Familie und der Clan sind wie die Mafia, ein Teil waren Mitglieder von Al-Shabaab und ein Teil waren Soldaten von XXXX . Das ist eine Clan-Miliz. Der Vater meiner Frau war Al-Shabaab Mitglied. Sie machen, was sie wollen, vergewaltigen die Frauen und nehmen von Menschen Zwangsgeld. [...] Nachdem sie erfahren haben, dass wir geheiratet haben, haben sie meiner Frau Hausarrest erteilt und sie geschlagen. [...]

F: Wie ist es weiter gegangen?

A: Sie haben meine Frau geschlagen. Das war am 18.12.2015, am Jahresende. Sie haben damals meine Tante vergewaltigt. Eines Abends haben sie unser Haus attackiert. Ich war im Geschäft, nicht zu Hause. Im Geschäft habe ich Schüsse gehört. Dann bin ich nach Hause und sie waren nicht mehr dort, Gott hat mich gerettet.

F: Wer war das?

A: Die unser Haus attackiert haben, waren von der Al-Shabaab. Die Clan-Miliz hat meine Tante vergewaltigt.

F: Bitte alle konkreten Vorfälle mit Zeitangaben.

A: Die Vergewaltigung war vor 4 Jahren. Ursächlich für meine Flucht war der Angriff mit der Al-Shabaab. Es war normal, dass sie machen, was sie wollten. Wir konnten nirgend woanders hingehen. [...] Die Al-Shabaab hat meine Familie am 28. Jänner 2016 attackiert und wollten mich. Meine ganze Familie wurde von ihnen erschossen, alle. Meine Mutter, mein Vater und mein kleiner Bruder;

[...]

F: Wissen Sie, warum die Al-Shabaab das Haus angegriffen hat?

A: Ja, der Vater von meiner Frau XXXX , weil ich sie geheiratet habe, deshalb haben sie uns attackiert.

F: Haben Sie irgendwelche Fotos bzw. Beweise?

A: Es gab schon welche, aber ich musste mein Leben retten und habe momentan keine Beweise.

F: Wie hat der Vater, die Mutter und der Bruder geheißen?

A: [...].

F: Haben Sie sämtliche Gründe und Vorfälle, welche Sie zum Verlassen Ihres Heimatlandes veranlasst haben, angeführt?

A: Ja, ich habe alles gesagt, ich war Ziel der Al-Shabaab und falls man mich zurückbringt, werden sie mich töten. Es geht nicht nur um politische Gründe, sondern auch um Familienrache."

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.), der Status eines subsidiär Schutzberechtigten wurde ihm dagegen zuerkannt (Spruchpunkt II.) und eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt III).

Darin wurde nach wörtlicher Wiedergabe der Einvernahme-Protokolle und des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation Somalia (LIB) begründend ausgeführt, dass der vorgebrachte Fluchtgrund in seiner Gesamtheit als nicht glaubhaft zu beurteilen sei und der Beschwerdeführer in der Heimat insofern keiner Verfolgung oder Bedrohung ausgesetzt sei. Das Vorbringen des Beschwerdeführers sei aufgrund äußerst lebensfernen und sprunghaften Darstellungen in seiner Gänze unglaubhaft. Vor dem Hintergrund, dass es immer wieder Probleme aufgrund der Clanzugehörigkeit gebe und dies dem Beschwerdeführer zweifellos bewusst sei, seien die "Absichten in Hinsicht auf angeführte Heirat" des Beschwerdeführers nicht nachvollziehbar. Auch erschließe sich für die belangte Behörde "die Notwendigkeit einer Hochzeit" - gerade in Hinsicht auf die absehbaren Probleme - nicht.

Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheids richtet sich die vorliegende Beschwerde. Der Beschwerdeführer habe im gesamten Verfahren eine Verfolgung aufgrund einer von ihm eingegangenen Mischehe bzw. aufgrund seiner Minderheitszugehörigkeit vorgebracht. Die belangte Behörde habe seine Zugehörigkeit zu einem Minderheitenclan zwar festgestellt, Feststellungen zur Diskriminierung und auch zu den Konsequenzen im Falle einer Mischehe seien jedoch nicht getroffen worden. Auch habe die belangte Behörde nicht dargelegt, weshalb die Ausführungen des Beschwerdeführers "lebensfern" seien und widerspreche dies einer gesetzmäßigen Beweiswürdigung. Sofern die belangte Behörde die "Absichten" des Beschwerdeführers und die "Notwendigkeit" der gegenständlichen Mischehe in Zweifel ziehe, sei auszuführen, dass dem Beschwerdeführer die Probleme einer Mischehe sehr wohl bekannt seien. Der Beschwerdeführer habe allerdings aus Liebe geheiratet und im Übrigen auch versucht, seine Ehe geheim zu halten. Das von der belangten Behörde geführte Verfahren sei daher insgesamt mangelhaft.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Rechtliche Beurteilung:

1. Zu Spruchpunkt A)

Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat. Diese Vorgangsweise setzt nach § 28 Abs. 2 Ziffer 2 voraus, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

In seinem Erkenntnis vom 26. Juni 2014, Zl. Ro 2014/03/0063, hielt der Verwaltungs-gerichtshof (VwGH) fest, dass eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG insbesondere dann in Betracht kommen wird, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. auch den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. Jänner 2017, Zl. Ra 2016/12/0109, Rz 18ff.). Zusammenfassend schreibt der VwGH in der Ra 2016/09/0009 vom 28. März 2017, wenn die Behörde den entscheidungswesentlichen Sachverhalt sehr unzureichend festgestellt hat, indem sie keine für die Entscheidung in der Sache brauchbaren Ermittlungsergebnisse geliefert hat (vgl. auch VwGH 20. Oktober 2017. Ra 2016/09/0103), ist eine Zurückweisung nach §28 Abs. 3 VwGVG zulässig.

Der angefochtene Bescheid ist aus folgenden Gründen mangelhaft:

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

Im vorliegenden Fall hat sich die belangte Behörde mit den Fluchtgründen des Beschwerdeführers nicht hinreichend auseinandergesetzt.

Die belangte Behörde hat zwar eine Einvernahme (auch) zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers vorgenommen, diese beschränkte sich allerdings auf eine allgemeine Befragung ohne durch konkretes Nachfragen gezielt auf das vom Beschwerdeführer eigenständig geschilderte Fluchtvorbringen und damit auf den Einzelfall einzugehen.

Der Beschwerdeführer hat - wie auch bereits im Rahmen seiner Erstbefragung - vorgebracht, ihm drohe als Angehörigem eines Minderheitenclans wegen seiner (Misch)Ehe zu einer Mehrheitsclanangehörigen asylrelevante Verfolgung durch die (u.a. der Al Shabaab zugehörige) Familie dieser Frau in Somalia.

Die belangte Behörde wäre verpflichtet gewesen, sich mit diesem Fluchtvorbringen (geeignet) auseinanderzusetzen. Dies insbesondere auch vor dem Hintergrund, als nach den eigenen Länderfeststellungen der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid eine Mischehe einer "Mehrheitsfrau" zu einem "Minderheitenmann" in Somalia als besonders problematisch anzusehen sei.

Eine zielgerichtete Auseinandersetzung mit der Fluchtgeschichte des Beschwerdeführers fand im Zuge der Befragung jedoch nicht statt. Dementsprechend findet sich auch im angefochtenen Bescheid keine - zumindest nachvollziehbare - Begründung dazu, weshalb die belangte Behörde von der fehlenden Glaubhaftigkeit des Fluchtvorbringens ausgeht. Die in der Beweiswürdigung dazu lediglich enthaltenen Ausführungen der belangten Behörde, die Angaben des Beschwerdeführers seien "lebensfern" und für die belangte Behörde nicht erschließbar, können jedenfalls nicht als eine ernsthafte und damit ausreichende Auseinandersetzung mit dem Fluchtvorbringen gewertet werden.

Die belangte Behörde hat es daher - entgegen ihrer in § 18 AsylG 2005 normierten Ermittlungspflicht - gänzlich unterlassen, sich mit dem vom Beschwerdeführer (immer) geltend gemachten Fluchtgrund eingehend zu befassen. Der Sachverhalt ist somit in einem wesentlichen Punkt umfassend ergänzungsbedürftig geblieben, weshalb im Hinblick auf diese besonders gravierende Ermittlungslücke eine Zurückverweisung erforderlich und auch gerechtfertigt ist (vgl. dazu den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. Oktober 2015, Zl. Ra 2015/09/0088).

Die belangte Behörde wird daher im fortgesetzten Verfahren angehalten, sich mit dem Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers auseinanderzusetzen, dazu konkrete Ermittlungsschritte, sei es durch gezielte Befragung des Beschwerdeführers, durch Einholung von entsprechenden Länderberichten oder sonstiger sich daraus ergebender weiterer Ermittlungsschritte zu setzen und die diesbezüglichen Ermittlungsergebnisse einer ernsthaften und nachvollziehbaren Prüfung zu unterziehen

Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Ermittlung und Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann nicht im Sinne des Gesetzes liegen. Denn die belangte Behörde ist als Spezialbehörde im Rahmen der Staatendokumentation gemäß § 5 BFA-Einrichtungsgesetz für die Sammlung relevanter Tatsachen zur Situation in den betreffenden Staaten samt den Quellen zuständig. Überdies soll eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst beim Bundesverwaltungsgericht beginnen und zugleich enden.

Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - auch angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - nicht ersichtlich.

Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind daher im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben. Folglich war das Verfahren zur neuerlichen Entscheidung an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

Eine mündliche Verhandlung konnte im vorliegenden Fall gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG unterbleiben, weil bereits aufgrund der Aktenlage feststand, dass der angefochtene Bescheid "aufzuheben" war. Dieser Tatbestand ist auch auf Beschlüsse zur Aufhebung und Zurückverweisung anwendbar (vgl. zur gleichartigen früheren Rechtslage Hengstschläger/Leeb, AVG [2007] § 67d Rz 22).

2. Zu Spruchpunkt B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist unzulässig, weil keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzlicher Bedeutung zukommt: Dass eine Zurückweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG insbesondere dann in Betracht kommt, wenn die Verwaltungsbehörde bloß ansatzweise bzw. unzureichend ermittelt, entspricht der oben zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

3. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, individuelle
Verhältnisse, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W256.2199572.1.00

Zuletzt aktualisiert am

15.05.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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