TE Bvwg Erkenntnis 2020/3/3 W159 2202286-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 03.03.2020
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Entscheidungsdatum

03.03.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W159 2202286-1/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Clemens KUZMINSKI als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. SOMALIA, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.06.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer Verhandlung am 09.01.2020 zu Recht erkannt:

A) Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG

2005 der Status eines Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 leg. cit wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein somalischer Staatsangehöriger, gelangte am 21.10.2017 irregulär nach Österreich und stellte an diesem Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Am 22.10.2017 wurde er vom XXXX einer Erstbefragung nach dem Asylgesetz unterzogen. Dabei gab er als Fluchtgrund an, dass er in Somalia beim Militär gewesen sei und dass ihn die Al Shabaab bedroht hatte und er Angst um sein Leben gehabt habe, deswegen habe er Somalia verlassen.

Nach Zulassung zum Asylverfahren erfolgte am 04.06.2018 eine Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich. Eingangs der Einvernahme legte der Beschwerdeführer eine Kopie seines Reisepasses vor und gab an, dass das Original ihm der Schlepper in der Türkei abgenommen habe. Er habe 8 Jahre lang die Schule besucht und auch in einer Koranschule gelernt. Er gehöre der Volksgruppe der Hawiye, Subclan XXXX an und sei Muslim und Sunnit. Derzeit wäre er vom Staat versorgt, soziale Bindungen in Österreich habe er noch keine, er sei gesund und ledig und habe keine Kinder. Er habe in Mogadischu im Bezirk XXXX in einer Militärsiedlung seit 2014 gelebt, als er begonnen habe für das Militär zu arbeiten. Zuvor habe er von 2007 in einem Dorf in der Nähe der Stadt XXXX gewohnt. Geboren sei er aber in Mogadischu worden und habe er auch bis 2007 in Mogadischu gelebt. In seinem Heimatdorf würden noch seine Mutter, seine Schwester und sein Bruder leben. Sein Vater sei glaublich 2012 umgebracht worden. Sie wären deswegen in die Nähe von XXXX gezogen, weil es damals in Mogadischu Kämpfe gegeben habe. Sein Vater habe eine Farm gepachtet, sie hätten Hirse angebaut. Seit Mai 2015 habe er keinen Kontakt mehr mit seiner Mutter. Es gebe dort in diesem Dorf kein Internet und sie hätten kein Telefon. Er habe beim Militär gearbeitet und 30 Leute unter sich gehabt. Seine Aufgabe sei es unter anderem gewesen, Mitglieder der Al Shabaab zu verhaften. Eines Tages hätten sie 4 Al Shabaab Männer verhaftet. Diese seien sehr aggressiv gewesen und hätten sie bedroht. Man habe sie wohl verurteilt, aber nach 2 Monaten Gefängnisaufenthalt wieder freigelassen. Nach der Freilassung sei er dann von einem bedroht worden, habe dies seinem Chef gemeldet und habe ihn auch gefragt, wie das sein könne, dass diese wieder nach 2 Monaten frei wären. Dieser habe geantwortet, dass ihn das nichts angehe und er weiter seine Arbeit machen solle. Dann habe er mit der gleichen Frage einen Brief geschrieben, um das Ganze offiziell zu machen. Darauf habe er nicht geantwortet. Er sei am nächsten Tag wieder in sein Büro gegangen und habe sein Chef dann die Frage in den Raum gestellt, woher er wissen solle, ob nicht der Beschwerdeführer selbst der Al Shabaab angehöre, zumal er aus einer Gegend, wo die Al Shabaab an der Macht sei, komme. Daraufhin habe dieser gesagt, er wäre entlassen und solle verschwinden. Er habe das ignoriert, weil er noch auf seinen Sold gewartet habe. Nach 10 Tagen hätte er das Geld bekommen sollen und sei er in ein bestimmtes Büro gegangen. Dort habe man ihm gesagt, dass er zuerst mit seinem Chef Rücksprache halten solle. Er sei dann wieder zu seinem Chef gegangen und habe gefragt, wieso er sein Gehalt nicht bekommen habe und dieser habe gemeint, dass er ihn nicht schon entlassen habe und was er überhaupt hier noch mache. Er habe ihm dann seine Rangabzeichen heruntergerissen und zwei Polizisten hätten ihn für 24 Stunden ins Gefängnis gesteckt. Dann hätten sie ihn entlassen und aufgefordert, dass er sich in dieser Gegend nicht mehr blicken lasse solle. Er habe keine Verwandten in Mogadischu gehabt, aber er sei bei der Schwester eines Kollegen in Mogadischu vorübergehend untergekommen.

Er sei schon zuvor einige Male verletzt worden z.B. bei einer Bombenexplosion, wo ihm ein Splitter im Kopf operativ hätte entfernt werden müssen. Der eigentliche Grund, warum er das Land verlassen habe, sei gewesen, weil es dort so gefährlich sei. Außerdem habe ihn die Al Shabaab wegen seiner Tätigkeit beim Militär bedroht. Auch mit seiner Familie habe er Probleme gehabt. Die Al Shabaab habe ihr nicht erlaubt nach Mogadischu zurückzukehren. Bei einer Rückkehr fürchte er, dass die Al Shabaab ihn umbringen würde. In der Folge beschrieb der Beschwerdeführer die Gegend seines Heimatdorfes. Er sei beim Militär gewesen. Befragt nach der Einheit gab er an, "im Verteidigungsministerium", über Nachfrage "in Sektor 5". Der Beschwerdeführer wurde in der Folge über seine Tätigkeit und das somalische Militär im Allgemeinen befragt.

Das Attentat auf das Militärfahrzeug wäre am 15.08.2014 gewesen. Er nannte auch den Ort, der zwischen Mogadischu und XXXX gewesen sei. Es habe dabei einige Tote und viele Verletzte gegeben. Die Verhaftung der Al Shabaab Mitglieder habe sich im September 2016 ereignet und zwar ganz in der Früh. Es seien ungefähr 30 Männer gewesen und hätten ein Haus umzingelt und stark an der Tür geklopft, als jemand aufgemacht habe, seien sie hineingestürmt und hätten die vier Männer, die alle noch geschlafen hätten, verhaftet. Die Tür habe eine Frau aufgemacht, wahrscheinlich sei es ein Dienstmädchen gewesen. Dieses Haus sei außerhalb von Mogadischu XXXX gelegen, wo man früher Kamele verkauft habe. Die Festgenommenen hätten sie ins Gefängnis gebracht. Er glaube, dass die Verhafteten nur deswegen zwei Monate im Gefängnis gewesen seien, weil ihre Familien Schmiergeld bezahlt hätten. Die enthafteten Al Shabaab Mitglieder hätten drei Mal angerufen, wo sie seine Telefonnummer gehabt hätten, wisse er nicht, aber dies sei leicht zu besorgen und zwar sei das im Oktober 2016 gewesen. Vor dem Büro seines Chefs wären 2 Polizisten als Wachdienst gestanden. Er sei dann in einem sehr kleinen Raum 24 Stunden lang angehalten worden und habe am Boden schlafen müssen. Über einen Bekannten seines Vaters sei er zum Militär gekommen. Er sei nur nach XXXX gefahren und von dort nach Mogadischu geflogen. Ein weiteres Vorbringen habe er nicht.

Die zuständige Referentin beim BFA stellte beim Vorbringen des Beschwerdeführers mehrere Fragen an die Staatendokumentation.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.05.2018 Zl. XXXX wurde unter Spruchteil I. der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Statutes des Asylberechtigten abgewiesen, unter Spruchpunkt II. dieser Antrag auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia abgewiesen und unter Spruchteil III. ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, unter Spruchpunkt IV. eine Rückkehrentscheidung erlassen und unter Spruchteil V. die Abschiebung nach Somalia für zulässig erachtet und unter Spruchpunkt VI. eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen eingeräumt.

In der Begründung des Bescheides wurden die oben bereits im wesentlichen Inhalt wiedergegebenen Einvernahmen dargestellt und Feststellungen zu Somalia getroffen.

Beweiswürdigend wurde insbesondere ausgeführt, dass es eine nicht unbeträchtliche Anzahl an Widersprüchen im Vorbringen des Beschwerdeführers gegeben habe, er hätte sich auch hinsichtlich seines Ausreisezeitpunktes widersprochen. Die Ausführungen des Antragsstellers seien auch zu wenig detailliert gewesen, insbesondere hinsichtlich der angeführten Verhaftungsaktion. Es sei auf die Aussage des Beschwerdeführers zu verweisen, dass offenbar das subjektive Empfinden hinsichtlich der Sicherheitslage den Ausschlag für die Ausreise gegeben habe ("eigentlicher Grund, warum er das Land verlassen habe, sei, weil das Leben dort gefährlich sei"). Außerdem sei laut Staatendokumentation zwar nicht unmöglich, aber eher ungewöhnlich, dass einem Kompaniekommandanten zwei Personen als Personenschützer zur Seite gestellt bekommen würde. Selbst die Angehörigkeit zum Militär habe nicht zweifelsfrei festgestellt werden können und sei der Militärausweis offenbar gefälscht, da die Unterschrift eindeutig in das Bild kopiert worden sei, es keinerlei Sicherheitsmerkmale gebe etc. Auch habe der Beschwerdeführer nur ein rudimentäres Wissen über die somalische Nationalarmee. Es sei wohl möglich, dass der Beschwerdeführer tatsächlich als Soldat tätig gewesen sei, aber es sei nicht glaubhaft, dass er zum Zeitpunkt der Ausreise bzw. der behaupteten Bedrohungssituation noch als Soldat tätig gewesen sei. Auch habe sich das Bombenattentat, bei dem der Beschwerdeführer angeblich verletzt worden sei, nach Recherchen der Staatendokumentation im Hinblick auf das angegebene Datum nicht verifizieren lassen und die vom Beschwerdeführer angegebene Schule existiere offenbar nicht. Bei eingehender Betrachtung der Fluchtgründe sei daher eindeutig, dass diese unglaubhaft wären und sich der Beschwerdeführer eines konstruierten Sachverhaltes bedient habe. Mangels Glaubwürdigkeit der vorgebrachten Fluchtgründe und des Umstandes, dass aus der allgemeinen Lage in Somalia keine (automatische) Verfolgungsgefahr abgeleitet werden könne, sei kein Asyl zu gewähren gewesen (Spruchpunkt I.).

Zu Spruchpunkt II. wurde zunächst festgehalten, dass der Antragsteller eine persönliche Gefährdungslage nicht glaubhaft habe machen können. Es sei auch nicht davon auszugehen, dass ihm im Falle einer Rückkehr nach Somalia die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Artikel 3 EMRK überschritten wäre. Er könne nach Mogadischu zurückkehren, wo es mehrere Unterstützungsprogramme und NGOs gebe, daher sei der Status eines subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen gewesen (Spruchpunkt II).

Da keiner der in § 57 genannten Gründe für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung vorliege, sei eine solche auch nicht zu erteilen gewesen (Spruchpunkt III.).

Zu Spruchpunkt IV. wurde ausgeführt, dass beim Beschwerdeführer kein schützenswertes Familienleben in Österreich vorliege. Hinsichtlich seines Privatlebens sei festzuhalten, dass keine relevante Bindung zu Österreich bestünde, er im vollen Umfang vom Staat versorgt werde, innerhalb der kurzen Zeit keineswegs davon ausgegangen werden könne, dass eine größere Bindung zu Österreich bestehen würde als zu seinem Heimatland, mit deren Kultur und Traditionen er vertraut sei. Es sei daher ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht zu erteilen gewesen und eine Rückkehrentscheidung zu erlassen gewesen.

Da auch keine Gefährdung iSd § 50 FPG vorliege und einer Abschiebung nach Somalia auch keine Empfehlung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte entgegenstehe, sei im vorliegende Fall eine solche auszusprechen gewesen (Spruchpunkt V.) und wären auch Gründe für die Verlängerung der Frist für die freiwillige Ausreise nicht hervorgekommen (Spruchpunkt VI.).

Gegen diesen Bescheid erhob der Antragssteller, vertreten durch den XXXX , Beschwerde, in der auch die Anberaumung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung beantragt wurde. Hinsichtlich der Widersprüche zum Zeitablauf seiner Ausreise, sei darauf hinzuweisen, dass dem Beschwerdeführer Zeitangaben schwerfallen würden, was bildungs- und kulturbedingt sein könne und nicht unbedingt zu dem Schluss führen müsse, dass er vorsätzlich versuche, keine genauen Angaben zu machen. Der Aufenthalt bei der Schwester eines Kameraden sei dem Beschwerdeführer nicht wichtig gewesen, da er dort nur vorübergehend aufhältig gewesen sei, während er in der Kaserne über einen längeren Zeitraum gewohnt habe. Der Beschwerdeführer sei sowohl vom Militär entlassen worden, als auch von freigelassenen Al Shabaab Mitgliedern bedroht worden. Hinsichtlich der Zweifel der Behörde an dem Bombenattentat vom 15.08.2014 sei darauf zu verweisen, dass er durchaus denkbar sei, dass von Seiten der somalischen Regierung versucht werde, militärische Verluste möglichst zu kaschieren und nicht unbedingt zu melden. Auch habe die Behörde das Parteiengehör hinsichtlich der vom BFA eingeholten Recherchen verletzt. Die Familie nutze kein funktionierendes Mobilfunknetz in Somalia, da sie kein Mobiltelefon habe und die Telefonnummer nicht bekannt sei. Der Beschwerdeführer erfülle daher die Flüchtlingsdefinition und liege auch keine inländische Fluchtalternative vor.

Im Hinblick auf eine Beschwerde des Beschwerdeführers bei der Volksanwaltschaft hinsichtlich der Verfahrensdauer beraumte das Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung für den 09.01.2020 an, obwohl sonst noch andere Verfahren in der Reihenfolge zuvorgekommen wären. Während die belangte Behörde sich für die Nichtteilnahme entschuldigen ließ, erschien der Beschwerdeführer in Begleitung einer Vertreterin des XXXX . Die Beschwerdeführervertreterin legte ein Unterstützungsschreiben des XXXX , Kursbestätigungen für Basisbildungskurse sowie Internetmeldungen betreffend aktuelle Anschläge in Mogadischu vor.

Der Beschwerdeführer hielt sein bisheriges Aufbringen aufrecht und wollte dieses weder korrigieren noch ergänzen. Er sei somalischer Staatsangehöriger und gehöre dem Clan XXXX und dem Überclan Hawiye an und sei am XXXX in Mogadischu geboren. Bis zum Jahre 2008 habe er in Mogadischu gelebt, dann sei er mit seiner Familie in das Dorf XXXX in der Nähe von XXXX gezogen, zuletzt sei er von Juni 2013 bis November 2016 wieder in Mogadischu aufhältig gewesen. Über Vorhalt, dass er beim BFA angegeben habe, dass er von 2007-2014 in der Nähe von XXXX gewohnt habe und nunmehr angebe, dass dies von 2008-2013 gewesen sei, bestätigte er die zuletzt getätigten Angaben. Die Familie habe Mogadischu verlassen, weil es dort Auseinandersetzungen zwischen äthiopischen Truppen und islamistischen Gruppierungen gegeben habe; nach Mogadischu sei er deswegen wieder zurückgekehrt, um Soldat zu werden. Er habe in einem Militärlager namens XXXX gelebt. Über seinen Heimatort gab er an, dass dieser ca. 2000 Einwohner habe. Die meisten wären Nomaden. Es gebe dort Viehzucht und Ackerbau und werde dort Mais und Sesam angebaut und Kamele gehalten. Es sei eine flache Gegend, in der Regenzeit wäre es feucht und in der Sommerzeit trocken. Er sei insgesamt 8 Jahre lang in die Schule gegangen. Sein Vater habe in XXXX eine Landwirtschaft gehabt und sie versorgt. Zuvor habe er in Mogadischu als Gelegenheitsarbeiter gearbeitet. Er selbst habe zunächst seinem Vater in der Landwirtschaft geholfen und im Alter von 22/23 Jahren begonnen als Soldat zu arbeiten. Sie hätten Mais angebaut. Er sei nicht verheiratet und habe keine Kinder. Von seinen Eltern lebe lediglich seine Mutter. Sein Vater sei im Jahr 2012 von der Al Shabaab umgebracht worden, da er Mitglied des Ältestenrates gewesen sei. Er habe zwei Brüder und eine Schwester. Diese würden auch in XXXX leben. Auch sein ältester Bruder sei von der Al Shabaab getötet worden. Er habe für die Regierung gearbeitet und Steuergeld auf Nutzfahrzeuge eingehoben. Die Al Shabaab habe auf den Stützpunkt, wo er gearbeitet habe, einen Anschlag verübt. Er sei zunächst verletzt worden und habe ihn die Al Shabaab anschließend enthauptet.

Die Tätigkeit beim Militär habe er mit Hilfe eines Freundes seines Vaters bekommen. Über Vorhalt, dass sein Militärausweis laut Recherchen des BFA nicht echt sei und im Reisepass als Beruf lediglich öffentlich Bediensteter stehe, gab er an, dass er sicher sei, dass er Soldat gewesen sei und der Militärausweis echt sei. In der Folge erklärte der Beschwerdeführer im Detail, wer auf den von ihm vorgelegten Fotos zu sehen sei. Die Beschwerdeführervertreterin gab an, dass der somalische Dolmetscher des XXXX bestätigt habe, dass der mit dem Beschwerdeführer abgebildete Mann tatsächlich der ehemalige Verteidigungsminister XXXX ist. Bei einem weiteren Foto von der Abschlussfeier eines Seminars verwies er darauf, dass dort auch ausländische Militärberater und der Verteidigungsminister zu sehen seien. Weiters gab er an, dass er nach der Verletzung bei einer Explosion vom Verteidigungsminister im Krankenhaus besucht worden sei.

Er habe 5 Monate und 20 Tage eine militärische Ausbildung erhalten. Dabei sei die militärische Disziplin, die militärische Begrüßung, aber auch das Umgehen mit einer Waffe und die Selbstverteidigung gelehrt worden. Nach Ende des Kurses hätten sie eine Prüfung machen müssen und wer gute Noten gehabt habe, sei ein Anführer geworden. Er sei nach Ende des Kurses gleich als Sergeant übernommen worden, aber während seiner militärischen Tätigkeit niemals befördert worden. Er sei Angehöriger der Infanterie, Abteilung 5 gewesen. Er habe ca. 30 Soldaten kommandiert. Gefragt, in welchem Zusammenhang er verletzt worden sei, gab er an, dass er in der Nähe von XXXX jemand eine Bombe auf der Straße vergraben habe und mit einem Fernzünder zur Explosion gebracht habe, dies sei am 15.08.2014 gewesen. Er habe Splitter auf seinem Kopf und am Oberschenkel.

Aufgefordert die Festnahme von den 4 Mitgliedern der Al Shabaab genauer zu schildern, gab er an, dass im September 2016 sie die Information erhalten hätten, dass sich die Männer in einer Wohnung versteckt hielten und dass sie diese verhaften sollten. Sie seien mit 30 Mann dort hin, hätten das Haus umstellt und seien über eine Begrenzungsmauer geklettert. Das Haus habe einen Hof gehabt. Draußen sei eine Frau gewesen, die Tee gekocht habe. Sie seien hineingegangen und es wären ihnen 4 Al Shabaab Männer entgegengekommen und hätten geschrien. Sie hätten sie verhaftet und die Hände mit einem Seil auf den Rücken gebunden und hätten sie auf den Stützpunkt mitgenommen. Über die Festnahme hätten sie einen Bericht geschrieben und nach 10 Stunden hätten sie sie zur Untersuchungshaft gebracht. Er habe dann gehört, dass alle vier verurteilt worden seien, aber nach 2 Monaten habe er erfahren, dass sie wieder freigelassen worden seien. Ein paar Tage später habe er einen Anruf von einem dieser vier Verhafteten erhalten, der ihm gedroht hätte, ihn zu töten.

Nach dem Anruf sei er zu seinem Kommandanten gegangen und habe ihm über den Anruf erzählt. Dieser habe gesagt, er solle weggehen und dass es ihn nichts angehe, warum sie freigelassen worden seien. Drei Tage später habe er wieder einen Anruf bekommen, dann hätten sie ihn wieder bedroht. Er habe dann seinem Kommandanten einen Brief geschrieben, aber er habe diesen Brief nicht beantwortet. Vier Tage später habe er wieder einen Anruf bekommen, aber von einer anderen Person. Er sei dann zu seinem Kommandanten gegangen. Dieser habe ihn gesagt, dass er aus XXXX stamme und er nicht genau wisse, ob er nicht auch Mitglied der Al Shabaab sei. Der Kommandant sei wütend geworden und habe ihm nachgerufen, dass er vom Militär entlassen worden sei. Über Vorhalt, dass der Beschwerdeführer bei der Schilderung der Fluchtgründe beim BFA nur einen Anruf erwähnt habe, und den Umstand, dass es drei Anrufe gegeben haben solle, er erst später angeführt habe, was widersprüchlich erscheine, gab er an, dass er damals schon gesagt habe, dass es drei Anrufe gegeben habe. Nach der Entlassung vom Militär habe er sich entschlossen Somalia zu verlassen. Er habe aber noch 10 Tage auf seinen Lohn gewartet und sei dann mit seinem Ausweis zur Auszahlungsstelle gegangen. Dort habe man ihm gesagt, er solle zum Kommandanten gehen, was er auch getan habe. Dieser habe ihn aber vorgehalten, dass er ihn schon vor 10 Tagen gesagt habe, dass er verschwinden solle. Er habe ihm seine Kappe weggenommen und seinen Gürtel und habe den Bewachern befohlen ihn zu verhaften. Nach 24 Stunden Anhaltung im Militärlager wurde er wieder freigelassen, ohne dass er etwas unterschreiben habe müssen oder Geld habe zahlen müssen. Da er niemanden in Mogadischu gehabt habe, habe er nicht gewusst, wo er hingehen solle und habe ihm ein Kollege eine Unterkunft bei dessen Schwester vermittelt. Er habe aber Angst gehabt, dass ihn die Al Shabaab töten würde. Über Vorhalt, dass er beim BFA (AS 80) die allgemeine schlechte Sicherheitslage als wichtigsten Ausreisegrund angegeben habe, führte er aus, dass er das beim BFA genauso gesagt habe wie vor dem Bundesverwaltungsgericht.

Er sei im November 2016 mit einem Flugzeug von Mogadischu nach Istanbul geflogen. Dann sei er 9 Moante in der Türkei geblieben und danach über Griechenland und dem Landweg über Mazedonien, Serbien und Kroatien nach Österreich gekommen. Seine Mutter, seine Schwester und seine Brüder seien noch in Somalia. Er habe mit ihnen zeitweilig telefonischen Kontakt. Seinen Familienangehörigen gehe es schlecht, es habe dort Überflutungen gegeben. Die Landwirtschaft sei zerstört worden und seine Mutter halte nun Hühner und verkaufe die Eier. Seit 2019 habe er wieder Kontakt zu seinen Familienmitgliedern, vorher habe er keinen Kontakt gehabt. Über Vorhalt, dass er beim BFA (AS 79) am Rande auch Probleme mit seiner Familie angedeutet habe, ob er dazu Näheres ausführen könne, gab er an, dass die Al Shabaab seiner Familie verboten habe zu ihm nach Mogadischu zu ziehen. Die Al Shabaab habe hingegen versucht seine Mutter zu überreden, dass er zurückkehrt, das habe er aber nicht gewollt.

Er sei gesund und sei Mitglied eines Fußballclubs und habe viele österreichische Freunde und arbeite ab und zu auch ehrenamtlich. In einer Ehe oder Lebensgemeinschaft lebe er nicht. Er habe Deutschkurse bis A2 besucht. Für die Prüfung habe er nicht das notwendige Geld gehabt. Er habe aber schon ehrenamtlich bei den Gemeinden XXXX und XXXX geholfen. In XXXX habe er im Fußballclub gespielt, jetzt spiele er im Burgenland im Integrationscup, Position Mittelfeld.

Bei einer Rückkehr nach Somalia, sei er sich sicher, dass ihn die Al Shabaab töten würde, weil er Soldat gewesen sei und Al Shabaab Mitglieder eingesperrt habe. Während des Aufenthaltes bei der Schwester seines Freundes, habe er sich nicht getraut das Haus zu verlassen. Manchmal habe er gekocht. Ein weiteres Vorbringen habe er nicht.

Den Verfahrensparteien wurde das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Somalia unter Einräumung einer Frist von zwei Wochen zur Kenntnis gebracht. Verlesen wurde weiters der aktuelle Strafregisterauszug des Beschwerdeführers, in dem keine Verurteilung aufscheint.

Von der Möglichkeit der Abgabe einer Stellungnahme machte ausschließlich der Beschwerdeführer durch seine ausgewiesene Vertretung Gebrauch. Darin wurde ausgeführt, dass sich aus den vorgelegten Fotos der militärische Rang des Beschwerdeführers ergibt und dieser eine türkische Uniform verwendet habe. Die somalischen Regierungstruppen hätten zu diesem Zeitpunkt türkische Uniformen getragen, da diese von der türkischen Regierung ausgebildet worden seien. Aus dem Foto ergibt sich auch der Rang Sergeant, dies stimmt auch mit dem vorgelegten Ausweis überein. Der Vorwurf des BFA, dass der Militärausweis nicht echt sei, sei nicht begründet. Wenn im Reisepass nur "öffentlich Bediensteter" gestanden sei, so würde dies in Somalia bei allen Soldaten im Reisepass angegeben. Wie auch den Länderinformationen zu entnehmen sei, würden die regionalen Sicherheitskräfte bevorzugte Angriffsziele der Al Shabaab darstellen. Aufgrund seiner Positon beim somalischen Militär müsse angenommen werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Somalia asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt sei und ihm daher Asyl zu gewähren sei. Die Rechtsvertreterin legte noch weitere Fotos vor, aus denen ersichtlich ist, dass ein Großteil der somalischen Armee damals türkische Uniformen getragen hat.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat wie folgt festgestellt und erwogen:

1. Feststellungen:

Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Staatsbürger von Somalia, gehört dem Clan XXXX sowie dem Überclan Hawiye an, ist sunnitischer Moslem und wurde am XXXX in Mogadischu geboren. Er lebte bis etwa 2008 in Mogadischu und zog dann mit seiner Familie in das Dorf XXXX in der Nähe von XXXX , wo sein Vater eine Landwirtschaft betrieb, in der der Beschwerdeführer half. Von etwa Juni 2013 bis November 2016 hielt er sich wieder in Mogadischu auf und lebte in einer Militärunterkunft. Über Vermittlung eines Freundes seines Vaters wurde er in die somalische Armee aufgenommen, machte dort eine Grundausbildung und war dann in der Folge u.a. mit der Ausforschung und Festnahme von Al Shabaab Mitgliedern betraut. Als er im September 2016 gemeinsam mit seinen Untergebenen vier Al Shabaab Mitglieder verhaftete, wurden diese nach ca. 2 Monaten wieder freigelassen und wurde der Beschwerdeführer von diesen bedroht. Als der Beschwerdeführer sich deswegen bei seinem Vorgesetzten beschwerte, erklärte ihn dieser, dass ihn die Gründe für die Freilassung nichts angingen. Nach weiteren telefonischen Bedrohungen, schrieb er auch einen Beschwerdebrief und schließlich suchte er nochmals seinen Kommandanten auf, der ihn jedoch unter Hinweis darauf, dass er aus einem Al Shabaab Gebiet stamme und möglicherweise selbst Al Shabaab Mitglied sei, aus der Armee entließ. Er wartete in der Folge noch 10 Tage auf seinen Sold, den er jedoch nicht ausbezahlt erhielt und wurde er in der Folge wiederum zu seinen Kommandanten geschickt, der ihn verhaften ließ. Nach 24 Stunden Anhaltung wurde der Beschwerdeführer ohne weitere Umstände freigelassen und wusste er nicht, wo er sich in Mogadischu aufhalten solle. Über Vermittlung eines Kollegen kam er bei dessen Schwester unter und reiste wenige Wochen später mit dem Flugzeug von Mogadischu Richtung Istanbul aus, von wo er über das Mittelmeer und dann auf dem Landweg spätestens am 21.10.2017 nach Österreich gelangte und zugleich einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Seine Mutter und seine beiden Geschwister leben nach wie vor in XXXX , während sein ältester Bruder als Regierungsmitarbeiter der Al Shabaab getötet wurde. Der Beschwerdeführer hat seit 2019 wieder Kontakt zu seinen Familienangehörigen. Da die Landwirtschaft nach einer Überflutung zerstört wurde, lebt die Familie jetzt von der Haltung von Hühnern und dem Verkauf von Eiern, wobei sie wirtschaftliche Problemen haben.

Der Beschwerdeführer leidet unter keinen psychischen oder organischen Problemen. Er lebt weder in einer Ehe noch in einer Lebensgemeinschaft und hat auch sonst keine Familienangehörigen in Österreich. Er ist nicht selbsterhaltungsfähig, hat aber schon Freiwilligenarbeit für die Gemeinden XXXX und XXXX geleistet und Deutschkurse A1 und A2 besucht, spielt in seiner Freizeit Fußball und hat schon zahlreiche österreichische Freunde.

Zu Somalia wird folgendes verfahrensbezogen festgestellt:

1. Politische Lage

Hinsichtlich der meisten Tatsachen ist das Gebiet von Somalia faktisch zweigeteilt, nämlich in: a) die somalischen Bundesstaaten; und b) Somaliland, einen 1991 selbst ausgerufenen unabhängigen Staat, der international nicht anerkannt wird (AA 4.3.2019, S.5), aber als autonomer Staat mit eigener Armee und eigener Rechtsprechung funktioniert (NLMBZ 3.2019, S.7). Während Süd-/Zentralsomalia seit dem Zusammenbruch des Staates 1991 immer wieder von gewaltsamen Konflikten betroffen war und ist, hat sich der Norden des Landes unterschiedlich entwickelt (BS 2018, S.4).

Im August 2012 endete die Periode der Übergangsregierung (BS 2018, S.5). Seit damals gibt es eine politische Entwicklung, die den Beginn einer Befriedung und Stabilisierung sowie eines Wiederaufbaus staatlicher Strukturen markiert. Am 1.8.2012 wurde in Mogadischu eine vorläufige Verfassung angenommen. Seitdem ist die Staatsbildung kontinuierlich vorangeschritten (AA 5.3.2019b). Das Land hat bei der Bildung eines funktionierenden Bundesstaates Fortschritte erzielt (UNSC 15.5.2019, Abs.78), staatliche und regionale Regierungsstrukturen wurden etabliert (ISS 28.2.2019). Der Aufbau von Strukturen auf Bezirksebene geht hingegen nur langsam voran (UNSC 15.5.2019, Abs.50).

Somalia ist damit zwar kein failed state mehr, bleibt aber ein fragiler Staat. Die vorhandenen staatlichen Strukturen sind sehr schwach, es gibt keine flächendeckende effektive Staatsgewalt (AA 4.3.2019, S.4f). Die Regierung verfügt kaum über eine Möglichkeit, ihre Politik und von ihr beschlossene Gesetze im Land durch- bzw. umzusetzen (FH 5.6.2019b, C1). Das Land befindet sich immer noch mitten im Staatsbildungsprozess (BS 2018, S.33).

Die Herausforderungen sind dabei außergewöhnlich groß, staatliche Institutionen müssen von Grund auf neu errichtet werden. Zusätzlich wird der Wiederaufbau durch die Rebellion von al Shabaab, durch wiederkehrende Dürren und humanitäre Katastrophen gehemmt. Außerdem sind Teile der staatlichen Elite mehr mit der Verteilung von Macht und Geld beschäftigt, als mit dem Aufbau staatlicher Institutionen (BS 2018, S.33). In vielen Bereichen handelt es sich bei Somalia um einen "indirekten Staat", in welchem eine schwache Bundesregierung mit einer breiten Palette nicht-staatlicher Akteure (z.B. Clans, Milizen, Wirtschaftstreibende) verhandeln muss, um über beanspruchte Gebiete indirekt Einfluss ausüben zu können (BS 2018, S.23). Zudem ist die Bundesregierung finanziell von Katar abhängig, das regelmäßig außerhalb des regulären Budgets Geldmittel zur Verfügung stellt (SEMG 9.11.2018, S.30).

Somalia ist keine Wahldemokratie, auch wenn die Übergangsverfassung eine Mehrparteiendemokratie und Gewaltenteilung vorsieht (BS 2018, S.13f). Es gibt keine freien und fairen Wahlen auf Bundes- (USDOS 13.3.2019, S.23; vgl. FH 5.6.2019b, A1) und auch keine allgemeinen Wahlen auf kommunaler oder regionaler Ebene. Politische Ämter wurden seit dem Sturz Siad Barres 1991 entweder erkämpft oder unter Ägide der internationalen Gemeinschaft hilfsweise unter Einbeziehung nicht demokratisch legitimierter traditioneller Strukturen (v.a. Clan-Strukturen) vergeben (AA 4.3.2019, S.5f). Allgemeine Wahlen sind für das Jahr 2020 geplant (AA 5.3.2019b). Angesichts der bestehenden Probleme bleibt aber abzuwarten, ob diese Wahlen wirklich stattfinden werden (NLMBZ 3.2019, S.9). Bei den Vorbereitungen dafür wurden bisher nur wenige Fortschritte gemacht (FH 5.6.2019b, A3).

Eigentlich sollte die Bundesregierung auch die Übergangsverfassung noch einmal überarbeiten, novellieren und darüber ein Referendum abhalten. Dieser Prozess ist weiterhin nicht abgeschlossen (USDOS 13.3.2019, S.23), und es gibt diesbezüglich Konflikte mit den Bundesstaaten (NLMBZ 3.2019, S.7).

Die beiden Kammern des Parlaments wurden mittels indirekter Wahlen durch ausgewählte Älteste Ende 2016 / Anfang 2017 besetzt (USDOS 13.3.2019, S.1/23). Über 14.000 Wahlmänner und -frauen waren an der Wahl der 275 Abgeordneten beteiligt. Zuvor waren Abgeordnete unmittelbar durch einzelne Clanälteste bestimmt worden (AA 4.3.2019, S.6; vgl. AA 5.3.2019b). Das Unterhaus wurde nach Clan-Zugehörigkeit besetzt, das Oberhaus nach Zugehörigkeit zu Bundesstaaten. Die Wahlen zu beiden Häusern wurden generell als von Korruption durchsetzt und geschoben erachtet (USDOS 13.3.2019, S.1/23). Sie wurden von Schmiergeldzahlungen, Einschüchterungen, Stimmenkauf und Manipulation begleitet (BS 2018, S.14/19). Dieses Wahlsystem ist zwar noch weit von einer Demokratie entfernt und unterstreicht die Bedeutung der politischen Elite (BS 2018, S.22). Trotz allem waren die Parlamentswahlen ein bemerkenswerter demokratischer Fortschritt (AA 4.3.2019, S.6; vgl. AA 5.3.2019b; BS 2018, S.22).

Insgesamt erfolgte die Zusammensetzung des Unterhauses entlang der 4.5-Formel, wonach den vier Hauptclans jeweils ein Teil der Sitze zusteht, den kleineren Clans und Minderheiten zusammen ein halber Teil (USDOS 13.3.2019, S.26; vgl. BS 2018, S.13f). Die 4.5-Formel hat zwar politischen Fortschritt gewährleistet, ist aber zugleich Ursprung von Ressentiments (SRSG 13.9.2018, S.2).

Die Präsidentschaftswahl fand am 8.2.2017 statt. Die beiden Parlamentskammern wählten den früheren Premierminister Mohamed Abdullahi Mohamed "Farmaajo" zum Präsidenten (AA 4.3.2019, S.6; vgl. BS 2018, S.14; USDOS 13.3.2019, S.1). Seine Wahl wurde als fair und transparent erachtet (USDOS 13.3.2019, S.1). Im März 2017 bestätigte das Parlament Hassan Ali Kheyre als Premierminister (AA 5.3.2019b; vgl. BS 2018, S.14). Die aktuelle Regierung agiert wie eine Regierung der nationalen Einheit. Sie wurde so zusammengesetzt, dass alle relevanten Clans und Gruppen sich in ihr wiederfinden (AA 4.3.2019, S.10).

Gemäß einer Quelle üben aber salafistische Netzwerke zunehmend Einfluss auf die Regierung aus (NLMBZ, S.8f). Nach anderen Angaben kann von Salafismus keine Rede sein, vielmehr sind der Präsident und seine Entourage Moslembrüder bzw. deren Ideologie sehr nahestehend (ME 27.6.2019). Wieder eine andere Quelle berichtet, dass die politische Basis des Präsidenten eine nationalistische ist (ICG 12.7.2019, S.10). Gleichzeitig unterwandert al Shabaab das System, indem sie Wahldelegierte zur Kooperation zwingt (Mohamed 17.8.2019).

Das Konzept einer politischen Opposition ist nur schwach ausgeprägt, die Regeln der Politik sind abgestumpft. Misstrauensanträge, Amtsenthebungsverfahren und Wahlen werden zur Bereicherung und zum politischen Machtausbau missbraucht (SRSG 13.9.2018, S.4). Generell sind die Beziehungen zwischen Bundesregierung und Parlament problematisch. Außerdem kam es 2018 zu einer großen Zahl an Personaländerungen, so wurde etwa der Bürgermeister von Mogadischu, zahlreiche Minister und der Chief Justice ersetzt (NLMBZ, S.8f).

Gegen Ende 2018 war vom Parlament ein Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Farmaajo eingeleitet worden. Dieses Verfahren wurde jedoch Mitte Dezember 2018 aus formalen Gründen für ungültig erklärt bzw. zurückgezogen (VOA 20.12.2018; vgl. FH 5.6.2019b, A1; UNSC 15.5.2019, Abs.3). Auch zwischen Ober- und Unterhaus ist es zu politischen Auseinandersetzungen gekommen (AMISOM 15.1.2019a; vgl. UNSC 15.5.2019, Abs.3). Diese wurden im Juli 2019 vorläufig beigelegt (UNSC 15.8.2019, Abs.3).

Ein nationaler Versöhnungsprozess ist in Gang gesetzt worden. Dieser wird international unterstützt (UNSC 21.12.2018, S.6).

Föderalisierung: Während im Norden bereits die Gliedstaaten Somaliland und Puntland etabliert waren, wurden im Rahmen eines international vermittelten Abkommens von 2013 bis 2016 die Bundesstaaten Jubaland, South West State (SWS), Galmudug und HirShabelle neu gegründet (AA 5.3.2019b; vgl. USDOS 13.3.2019, S.1; BS 2018, S.4f/12). Offen sind noch der finale Status und die Grenzen der Hauptstadtregion Benadir/Mogadischu (AA 5.3.2019b; vgl. UNSC 15.5.2019, Abs.22). Mit der Gründung der Bundesstaaten und einem relativ demokratisch erfolgten Machtwechsel konnten wichtige Weichen in Richtung Demokratisierung, legitimer Staatsgewalt und Föderalismus gestellt werden (AA 4.3.2019, S.4). Beim Prozess der Föderalisierung gab es in den letzten Jahren signifikante Fortschritte (BS 2018, S.3). Allerdings hat keine dieser Verwaltungen die volle Kontrolle über die ihr nominell unterstehenden Gebiete (USDOS 13.3.2019, S.1; vgl. BS 2018, S.15).

Die Bildung der Bundesstaaten erfolgte im Lichte der Clan-Balance:

Galmudug und HirShabelle für die Hawiye; Puntland und Jubaland für die Darod; der SWS für die Rahanweyn; Somaliland für die Dir. Allerdings finden sich in jedem Bundesstaat Clans, die mit der Zusammensetzung ihres Bundesstaates unzufrieden sind, weil sie plötzlich zur Minderheit wurden (BFA 8.2017, S.55f).

Wichtige Detailfragen zur föderalen Staatsordnung sind weiterhin ungeklärt, z.B. die Einnahmenverteilung zwischen Bund und Bundesstaaten; die jeweiligen Zuständigkeiten im Sicherheitsbereich; oder die Umsetzung der für 2020 geplanten Wahlen (AA 5.3.2019b; vgl. NLMBZ 3.2019, S.7) - und die gesamte Frage der Machtverteilung zwischen Bund und Bundesstaaten (UNSC 15.5.2019, Abs.25; vgl. UNSC 21.12.2018, S.5).

Die Bundesregierung tut sich schwer, in den Bundesstaaten Macht und Einfluss geltend zu machen (NLMBZ 3.2019, S.7). Außerdem kommt es in den Beziehungen zwischen der Bundesregierung und den Regierungen der Bundesstaaten immer wieder zu (politischen) Spannungen (AA 5.3.2019b; vgl. NLMBZ 3.2019, S.7), die manchmal auch in Gewalt eskalierten (BS 2018, S.4).

Zusätzlich haben die Bundesstaaten abseits des Nationalen Sicherheitsrates 2017 einen Kooperationsrat der Bundesstaaten (CIC) geschaffen, welcher unter Ausschluss der Bundesregierung arbeitet (SEMG 9.11.2018, S.5; vgl. AA 5.3.2019b). Während andere Mitglieder des CIC den Dialog mit der Bundesregierung verweigerten (AMISOM 12.10.2018), hat der Präsident von HirShabelle, Mohamed Abdi Waare, diesen zwischenzeitlich gesucht (AMISOM 12.10.2018; vgl. UNSC 21.12.2018, S.1). Der CIC hat bereits zweimal die Kooperation mit der Bundesregierung suspendiert (SEMG 9.11.2018, S.31f), so etwa im September 2018. Im Oktober 2018 haben alle Bundesstaaten außer HirShabelle angekündigt, gemeinsame Sicherheitskräfte aufzustellen (UNSC 21.12.2018, S.1). Generell herrscht zwischen Bundesregierung und Bundesstaaten ein besorgniserregendes Maß an Misstrauen (SRSG 13.9.2018, S.3). Dadurch wird auch die Lösung von Schlüsselfragen zu Politik und Sicherheit behindert (UNSC 15.5.2019, Abs.2; vgl. SRSG 3.1.2019, S.2).

Bei dieser Auseinandersetzung kommt u.a. die Krise am Golf zu tragen: In Somalia wird eine Art Stellvertreterkrieg ausgetragen, bei welchem die unterschiedlichen Interessen und Einflüsse speziell von Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) eine Rolle spielen. Dies hat die schon bestehenden Spannungen zwischen der Bundesregierung und den Bundesstaaten weiter verschärft, erstere ist in zunehmende Isolation geraten (SEMG 9.11.2018, S.4/30; vgl. ICG 12.7.2019, S.9; FH 5.6.2019b, C1). Diese Entwicklung hat zur Destabilisierung Somalias beigetragen (NLMBZ 3.2019, S.10). Allerdings gibt es zumindest Anzeichen für eine Verbesserung der Situation (UNSC 15.5.2019, Abs.80). So hat sich Präsident Farmaajo für die Verschlechterung der Beziehungen zu den Bundesstaaten öffentlich entschuldigt (ICG 12.7.2019, S.9). Die Bundesregierung versucht insbesondere HirShabelle und Galmudug in ihr Lager zu ziehen (BMLV 3.9.2019). Trotzdem bleiben die Spannungen bestehen (UNSC 15.8.2019, Abs.2).

1) Jubaland (Gedo, Lower Juba, Middle Juba): Jubaland wurde im Jahr 2013 gebildet, damals wurde auch Ahmed Mohamed Islam "Madobe" zum Präsidenten gewählt (USDOS 13.3.2019, S.24). Bis Anfang August hatten sich für die Neuwahl des Präsidenten neun Kandidaten registrieren lassen (UNSC 15.8.2019, Abs.6). Am 22.8.2019 wurde dann Ahmed Madobe als Präsident bestätigt. Die Wahl war allerdings umstritten: Da die Bundesregierung mehr Kontrolle gewinnen möchte, hat sie erklärt, die Wahl nicht anzuerkennen und den Wahlkandidaten der Opposition, Abdirashif Mohamad Hidig, zu unterstützen (BAMF 26.8.2019, S.6). Der Verwaltung von Jubaland ist es gelungen, zumindest in Kismayo eine Verwaltung zu etablieren. Dadurch, dass die Ogadeni auch mit anderen Clans kooperieren und diese in Strukturen einbinden, wurde die Machtbalance verbessert (BFA 8.2017, S.57ff). Diese Inkorporation funktioniert auch weiterhin, die Verwaltung in Kismayo hat sich weiter gefestigt. Außerdem konnten durch die Kooperation mit Teilen der Marehan auch die nicht der al Shabaab zuneigenden Gebiete von Gedo gefestigt werden (ME 27.6.2019).

2) South West State (SWS; Bay, Bakool, Lower Shabelle): Der SWS wurde in den Jahren 2014/2015 etabliert, Sharif Hassan Sheikh Adam zum ersten Präsidenten gewählt (USDOS 13.3.2019, S.24). Im Dezember 2018 wurde im SWS neu gewählt (AA 5.3.2019b). In der Folge ist im Jänner 2019 mit Abdulaziz Hassan Mohamed "Lafta Gareen" ein neuer Präsident angelobt worden (AMISOM 17.1.2019a; vgl. UNSC 27.12.2018; UNSC 15.5.2019, Abs.4). Zuvor war es zu Anschuldigungen gegen die Bundesregierung gekommen, sich in den Wahlkampf eingemischt zu haben. Ein Kandidat - der ehemalige stv. Kommandant der al Shabaab, Mukhtar Robow - war verhaftet worden, was zu gewaltsamen Demonstrationen geführt hat (SRSG 3.1.2019, S.2f; vgl. UNSC 21.12.2018, S.2). Beim Aufbau der Verwaltung konnten Fortschritte erzielt werden (BMLV 3.9.2019).

3) HirShabelle (Hiiraan, Middle Shabelle): HirShabelle wurde 2016 etabliert. Zum Präsidenten wurde Ali Abdullahi Osoble gewählt. Anführer der Hawadle hatten eine Teilnahme verweigert (USDOS 13.3.2019, S.24f). Im Oktober 2017 wurde Mohamed Abdi Waare zum neuen Präsidenten, nachdem sein Vorgänger des Amtes enthoben worden war (UNSOM, 24.10.2017). Nach politischen Spannungen haben sich die Beziehungen zwischen Exekutive und Legislative verbessert (UNSC 15.5.2019, Abs.8). Die im Zuge der Bildung des Bundesstaates neu aufgeflammten Clankonflikte sind gegenwärtig weitgehend abgeflaut (ME 27.6.2019). Dazu beigetragen haben Bemühungen des Premierministers und Katars, wobei letzteres Investitionen in Aussicht gestellt hat. Man ist auf die Hawadle zugegangen. Die Clans - v.a. in Middle Shabelle - haben daraufhin ihre Proteste gegen die Regionalverwaltung reduziert. Unklar ist, ob diese neue Haltung Bestand haben wird. In Belet Weyne hingegen treffen Vertreter von HirShabelle nach wie vor auf unverminderte Ablehnung (BMLV 3.9.2019). Sowohl in den von HirShabelle in Middle Shabelle kontrollierten Gebieten wie auch in Belet Weyne ist eine Verbesserung der Verwaltung zu verzeichnen (BMLV 3.9.2019).

4) Galmudug (Galgaduud, Teile von Mudug): Im Jahr 2015 wurde die Regionalversammlung von Galmudug vereidigt. Sie wählte Abdikarim Hussein Guled zum ersten Präsidenten. Dieser trat im Feber 2017 zurück. Unter dem neuen Präsidenten Ahmed Duale Gelle "Haaf" wurden Friedensgespräche mit der Ahlu Sunna Wal Jama'a (ASWJ) initiiert. Die Gruppe kontrolliert Teile von Galgaduud (USDOS 13.3.2019, S.24). Ende 2017 wurde mit der ASWJ ein Abkommen zur Machtteilung abgeschlossen (UNSC 15.5.2019, Abs.7; vgl. AMISOM 5.7.2019). Ab September 2018 wuchsen die politischen Spannungen. Im Oktober 2018 wurde in Cadaado ein Gegenpräsident gewählt, während Ahmed "Haaf" weiterhin von Dhusamareb aus regiert (UNSC 21.12.2018, S.2). In der Folge kam es zu Diskussionen und Spannungen über das Datum der nächsten Wahlen. Im März 2019 hat die NISA sogar die Kontrolle über das Gelände des Präsidentensitzes übernommen (UNSC 15.5.2019, Abs.7). Während Haaf das Abkommen mit der ASWJ für nichtig erklärt hat, hat diese mit der Bundesregierung eine Einigung erzielt (UNSC 15.8.2019, Abs.5). Galmudug wird von Hawiye/Habr Gedir/Sa'ad dominiert (EASO 2.2016, S.17).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (5.3.2019b): Somalia - Innenpolitik, URL, Zugriff 10.4.2019

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AMISOM (17.1.2019a): 17 January 2019 - Morning Headlines [Quelle:

Halbeeg News], Newsletter per E-Mail

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AMISOM (15.1.2019a): 15 January 2019 - Daily Monitoring Report [Quelle: Halbeeg News], Newsletter per E-Mail

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AMISOM (12.10.2018): 12 October 2018 - Daily Monitoring Report [Quelle: Jowhar News], Newsletter per E-Mail

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Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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