TE Bvwg Erkenntnis 2020/3/5 W147 2147281-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 05.03.2020
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Entscheidungsdatum

05.03.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W147 2147281-2/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. KANHÄUSER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, Alser Straße 20/5 (Mezzanin), 1090 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14. September 2018, Zl. 616234510-180510245, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 13. Februar 2020 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte I. bis VI. gemäß §§ 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 24/2016, 8 Abs. 1 AsylG 2005 und 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017, 57 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 70/2015, § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018, und §§ 46 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018, 52 Abs. 9 FPG, BGBl. I Nr. 100 in der Fassung BGBl. I Nr. 110/2019, 55 Abs 1 bis 3 FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 68/2013, als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), BGBl. Nr. 1/1930 in der Fassung BGBl. I Nr. 22/2018, nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation und der tschetschenischen Volksgruppe zugehörig, reiste am 29. Dezember 2012 unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am gleichen Tag einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen seiner Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 30. Dezember 2012 gab der Beschwerdeführer an, Staatsangehöriger der Russischen Föderation und Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe zu sein. Er sei in Dagestan geboren und habe auch bis zu seiner Ausreise in Dagestan gelebt.

Zu seinen Fluchtgründen befragt gab der Beschwerdeführer an, dass zwei Bekannte als Widerstandskämpfer in den Wald gegangen seien. Zwei Mal seien sie zu ihm gekommen und hätten von ihm Lebensmittel geholt. Drei Tage nach dem letzten Vorfall am 19. November 2012 sei die Polizei zu ihm gekommen und habe ihn auf die Polizeistation gebracht. Er sei dort einen Tag und eine Nacht lang verhört und getreten worden. Am nächsten Tag habe ihn sein Onkel freigekauft. Die Polizei sei dann noch einmal zum Beschwerdeführer gekommen um sich zu erkundigen, ob abermals Kämpfer bei ihm seien. Sein Onkel habe daher beschlossen, die Ausreise für den Beschwerdeführer zu organisieren. Verwandte seiner Ehefrau leben in Österreich. Deswegen sei er hierhergekommen. Im Falle seiner Rückkehr fürchte er um sein Leben. Die Polizei würde ihn töten.

2. Im Jänner 2013 reiste die Ehegattin des Beschwerdeführers XXXX (Beschwerdeführerin zu W147 2007993-3) zusammen mit der gemeinsamen Tochter XXXX (Beschwerdeführerin zu GZ W147 2008215-3) illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz.

3. Am 7. Februar. 2013 wurde ein Konsultationsverfahren mit Polen eingeleitet.

Sowohl in der Ersteinvernahme vor dem ehemaligen Bundesasylamt vom 27. März 2013 als auch im Rahmen der ergänzenden Einvernahme vom 2. April 2013 führte der Beschwerdeführer aus, dass er einer Familienzusammenführung gemäß Art. 15 Dublin- II- Verordnung in Polen nicht zustimme, da er eine Verfolgung in Polen befürchte. In Polen seien viele seiner Bekannten, die zuvor einer staatlichen Verfolgung in der Russischen Föderation ausgesetzt gewesen seien, spurlos verschwunden.

4. Nach Zulassung des Verfahrens gab der Beschwerdeführer im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme am 20. Februar 2014 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, XXXX , im Beisein einer geeigneten Dolmetscherin für die russische Sprache an, er könne der Einvernahme ohne Probleme folgen.

Der Beschwerdeführer führte aus, dass es bei ihnen zuhause oft vorkomme, dass maskierte Männer, man nenne sie Terroristen oder Wahabiten, zu Häusern am Dorfrand kämen und nach Essen fragen würden. Ein Freund des Beschwerdeführers XXXX sei vor fünf oder sechs Jahren in den Wald gegangen. Eines Tages sei er mit einem anderen Widerstandskämpfer zum Beschwerdeführer gekommen und habe um Essen gebeten. Zwei oder drei Monate später habe der Beschwerdeführer gehört, dass sein Freund am 25. Mai 2007 getötet worden sei. Im Jahr 2012 sei der Freund von XXXX erneut vor der Tür des Beschwerdeführers gestanden und habe um Essen und eine Übernachtungsmöglichkeit gebeten. Scheinbar hätten das Nachbarn mitbekommen und den Beschwerdeführer verraten. Denn zwei bis drei Tage später hätten seine Probleme begonnen. Er sei von maskierten, uniformierten Leuten abgeholt worden. Ihm sei ein Sack über den Kopf gezogen worden, man habe ihn in ein Militärfahrzeug gesetzt und in die Abteilung nach XXXX (Teilrepublik Dagestan) gebracht. Dort habe man ihn geschlagen. Er habe blaue Flecken, aber keine Narben davon getragen. Die Nacht habe er in einer Zelle verbracht. Am Tag nach der Mitnahme habe ihn sein Onkel freigekauft. Am 20. oder 21. Dezember 2012 sei er noch einmal mitgenommen und in dieselbe Abteilung gebracht worden. Er hätte Widerstandskämpfer verraten sollen. Sein Onkel habe ihn erneut freigekauft und zu ihm gesagt, dass sie den Beschwerdeführer nie in Ruhe lassen würden, da er auf der Liste dieser Leute stünde und jederzeit getötet werden könnte. Dies habe ein befreundeter Polizist dem Onkel des Beschwerdeführers gesagt. Deshalb habe der Onkel die Ausreise des Beschwerdeführers organisiert. Am 24. Dezember 2012 sei der Beschwerdeführer ausgereist. Nach seiner Ausreise seien diese Leute auch bei seinem Vater gewesen. Der Beschwerdeführer könne sich nicht in einem anderen Teil des Herkunftsstaates niederlassen, denn, wenn man auf der Liste stehe, sei das das nicht möglich.

5. Mit am 1. April 2014 eingelangtem Schreiben erstattete der Beschwerdeführer eine schriftliche Stellungnahme zu seiner niederschriftlichen Einvernahme.

6. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24. April 2014, Zl. 616234510-1601967 wurde der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 3 Absatz 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idgF., bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.). Weiters wurde der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005, bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen (Spruchpunkt II.) Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 wurde nicht erteilt, sondern gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist. Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG wurde die Frist zur freiwilligen Rückkehr mit vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt (Spruchpunkt III.).

In der Entscheidungsbegründung wurde seitens der belangten Behörde ausgeführt, dass den Behauptungen des Beschwerdeführers hinsichtlich seiner Fluchtgründe aufgrund mangelnder Plausibilität und Nachvollziehbarkeit keine Glaubwürdigkeit geschenkt werden könne. Außerdem seien die dargelegten Angaben hinsichtlich der eigentlichen Fluchtgeschichte insgesamt betrachtet widersprüchlich und vage. So habe der Beschwerdeführer in der Erstbefragung angegeben, einmal von der Polizei festgenommen worden zu sein. Widersprüchlich dazu habe er in der Einvernahme beim Bundesamt gesagt, dass er vom FSB oder einer Sondereinheit zwei Mal mitgenommen worden sei. Die Angaben zu den Anhaltungen seien zudem äußerst vage und gingen nicht über Allgemeinformulierungen hinaus. Nicht nachvollziehbar sei, warum man nur an den Beschwerdeführer herangetreten sei, um die Namen der Widerstandskämpfer zu erfahren, der Vater des Beschwerdeführers jedoch nicht befragt worden sei und nach wie vor unbehelligt in Tschetschenien lebe. Völlig unplausibel sei, dass der Beschwerdeführer erst nach dem zweiten Besuch des Freundes Probleme bekommen habe, obwohl er bereits einige Jahre davor denselben Freund mit Essen unterstützt habe. Dem Beschwerdeführer wurde seitens der belangten Behörde auch zur Last gelegt, dass seine Ehefrau zu den Vorfällen um seine Person praktisch keine Angaben machen habe können. Es mute auch seltsam an, dass der Beschwerdeführer so wenig Interesse an der Wiederbeschaffung von Beweismittel in Form von Videos und Fotos von seiner Festnahme zeige. Zusammenfassend sei das Vorbringen zu den Fluchtgründen vage, nicht plausibel nachvollziehbar, allgemein gehalten und als nicht glaubhaft zu bezeichnen. Die Behörde gelange daher zu dem Schluss, dass dem behaupteten Sachverhalt bezüglich einer aktuellen Bedrohungssituation in Tschetschenien kein Glauben geschenkt werden könne.

7. Mit Verfahrensanordnung gemäß § 63 Absatz 2 AVG vom 28. April 2014 wurde dem Beschwerdeführer für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht der "Verein Menschenrechte Österreich, Alser Straße 20/5 (Mezzanin), 1090 Wien" als Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.

8. Mit Schriftsatz vom 14. Mai 2014 erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde.

9. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 7. Jänner 2015, Zl. 616234510- 1601967 wurde der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idF BGBl. I Nr. 122/2013, zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

Die Entscheidung wurde im Wesentlichen damit begründet, dass die belangte Behörde sich nicht ordnungsgemäß mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers auseinandergesetzt habe, da dieser angab, zwar der tschetschenischen Volksgruppe anzugehören, aber in der Teilrepublik Dagestan geboren worden zu sein, bis zu seiner Ausreise dort gelebt zu haben und auch die vorgebrachten Verfolgungshandlungen dort geschehen seien. Die belangte Behörde habe dem Beschwerdeführer allerdings im Rahmen der Einvernahme am 20. Februar 2014 Länderberichte zur Lage in Tschetschenien vorgelegt und habe auch im Bescheid Länderfeststellungen zur Lage in Tschetschenien getroffen.

10. Mit Schreiben der Finanzpolizei vom 24. März 2016 wurde der belangten Behörde mitgeteilt, dass der Beschwerdeführer bei Schalungsarbeiten auf einer näher genannten Baustelle angetroffen worden sei und sich mit einer Aufenthaltsberechtigungskarte gemäß § 51 AsylG 2005 ausweisen konnte, jedoch keine arbeitsmarktrechtliche Bewilligung vorzeigen konnte.

11. Im Zuge des fortgesetzten Verfahrens gab der Beschwerdeführer im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 6. September 2016 im Beisein einer geeigneten Dolmetscherin für die russische Sprache an, er könne der Einvernahme ohne Probleme folgen.

Im Wesentlichen gab der Beschwerdeführer das Gleiche wieder wie in seiner ersten niederschriftlichen Einvernahme, führte zudem noch aus, dass er aufgrund seiner Zugehörigkeit zur tschetschenischen Volksgruppe immer wieder Schwierigkeiten gehabt habe, da diese immer schon unterdrückt worden sei und auch aufgrund seiner Religion habe es Probleme gegeben. Er sei von Polizisten aufgrund des Aussehens seines Bartes registriert worden.

Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab er im Wesentlichen die gleichen Fluchtgründe wieder, fügte noch hinzu, dass ihm Fingerabdrücke und Blut durch die Polizei abgenommen worden seien. Zudem gab der Beschwerdeführer an, dass er am 22. November 2012 mit seinem Onkel bei einem Anwalt gewesen sei und dieser gesagt habe, er könne nichts mehr machen, da der Beschwerdeführer bereits auf dieser Liste sei.

Zu Rückkehrbefürchtungen befragt, gab der Beschwerdeführer an, dass er nur zurückkehren könne, wenn er aus dieser Liste gestrichen würde, da man ihn jederzeit mitnehmen und umbringen oder ihm etwas anhängen könne. In einem anderen Teil des Landes könne er sich nicht niederlassen, da er überall gefunden werden würde und außerdem Probleme mit der Polizei aufgrund seines Bartes bekomme.

12. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20. Jänner 2017, Zl. 616234510-1601967 wurde der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 3 Absatz 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idgF., bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.). Weiters wurde der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005, bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen (Spruchpunkt II.) Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde nicht erteilt, sondern gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG wurde die Frist zur freiwilligen Rückkehr mit vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

In der Entscheidungsbegründung wurde seitens der belangten Behörde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer eine ihm im Herkunftsstaat drohende asylrelevante Gefährdung nicht habe glaubhaft machen können.

Im Wesentlichen stützte die belangte Behörde - wie bereits im Bescheid vom 24. April 2014, Zl. 616234510-1601967 - ihr Entscheidungsbegründung auf die unglaubwürdige und nicht nachvollziehbare Fluchtgeschichte des Beschwerdeführers. Er habe sich mehrmals widersprochen, unlogische und nicht nachvollziehbare Geschehnisabläufe geschildert und sei ihm zusammenfassend aufgrund der mangelnden Plausibilität keine Glaubwürdigkeit zu schenken.

13. Mit Verfahrensanordnung gemäß § 52 Absatz 2 BFA-VG vom 23. Jänner 2017 wurde dem Beschwerdeführer für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht der "Verein Menschenrechte Österreich, Alser Straße 20/5 (Mezzanin), 1090 Wien" als Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.

14. Mit Schriftsatz vom 6. Februar 2017 erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde.

15. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 8. Mai 2018, Zl. W226 2007993-2/12E, W226 214781-1/11E, W226 2007995-2/8E, W226 2008215-2/9E, W226 2147275-2/9E, W226 2147264-1/6E wurde die Beschwerde gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 57, 10 Abs. 1 z 3 AsylG 2005 idgF iVm. § 9 BFA-VG und §§ 52 Abs. 2 Z 2, 52 Abs. 9 FPG, 46 FPG sowie 55 Abs. 1 bis 3 FPG idgF als unbegründet abgewiesen mit der Maßgabe, dass die Frist für die freiwillige Ausreise mit drei Monaten ab Rechtskraft dieser Entscheidung festgesetzt wird.

Im Wesentlichen wurde die Entscheidung nach Durchführung einer Beschwerdeverhandlung damit begründet, dass der Beschwerdeführer seine Fluchtgeschichte nicht nachvollziehbar und plausibel vorbringen konnte. Zudem habe es einige Widersprüche gegeben und sei die sein Vorbringen allgemein und vage geblieben. Das Bundesverwaltungsgericht kam zu dem Schluss, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers insgesamt als unglaubwürdig zu beurteilen ist.

16. Am 18. Mai 2018 wurden aufenthaltsbeendende Maßnahmen eingeleitet.

17. Am 1. Juni 2018 stellte der Beschwerdeführer neuerlich einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen seiner Befragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Beschwerdeführer an, dass er Österreich nicht verlassen habe. Zu den Gründen seiner neuerlichen Antragstellung gab der Beschwerdeführer an, er habe 2012 in XXXX (Teilrepublik Dagestan) als Bauarbeiter gearbeitet. Er sei mit seinem Chef in einen Streit geraten und habe diesen geschlagen. Da sich der Streit nicht schlichten habe lassen, habe der Chef zur Verfolgung des Beschwerdeführers aufgerufen. Am Tag nach dem Streit, sei der jüngere Bruder des Chefs zu ihm ins Büro gekommen und habe ihn mit einer Pistole bedroht. Da der Bruder des Chefs in der Regierung Dagestans arbeite, habe der Chef die Möglichkeit den Beschwerdeführer zu verfolgen. Die Dorfältesten, Verwandte des Beschwerdeführers, haben versucht den Streit zu schlichten, doch sei es ihnen nicht gelungen. Der Beschwerdeführer habe seinen Wohnsitz verlegt und die Arbeit gewechselt. Er sei trotzdem gefunden und neuerlich bedroht worden. Sein Onkel habe gemeint, dass er immer wieder verfolgt werden würde, wenn er das Land nicht verlasse. Mit diesem Problem könne er nicht zur heimischen Polizei gehen, da diese immer zu den Mächtigen halte und ihm nicht helfe.

Im Falle einer Rückkehr fürchte er um sein Leben und das seiner Familie.

Außerdem führte der Beschwerdeführer aus, er habe im Zuge des ersten Interviews nicht genug Gelegenheit bekommen, Alles zu erzählen.

18. Nach Zulassung des Verfahrens gab der Beschwerdeführer im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 18. Juli 2018 im Beisein einer geeigneten Dolmetscherin für die russische Sprache eingangs an, er könne der Einvernahme ohne Probleme folgen.

Der Beschwerdeführer führte aus, er sei Buchhalter und habe eine Ausbildung zum Wirtschaftsbuchhalter in einem College absolviert. Er habe in einer Firma für Plastikfenster gearbeitet, dort habe er Plastikprodukte laminiert. Vor seiner Ausreise habe er als Verkaufsberater in einer Baubörse für Baumaterialien gearbeitet.

Zu seinem gesundheitlichen Zustand befragt gab der Beschwerdeführer an, er habe seit längerem einen Nesselausschlag und sei deswegen fünf bis sieben Mal im Spital gewesen. Außerdem habe er Gastritis.

Befragt zu eventuell neuen Fluchtgründen, die sich nach dem 8. Mai 2018 ergeben haben, führte der Beschwerdeführer aus, dass er die Geschichte über den Konflikt mit seinem Chef bereits bei Gericht vorbringen wollte, der "Referent" aber sofort "Stopp" gesagt habe. Er habe bei der Baubörse gearbeitet und es sei im Zuge der Arbeit zu einer Diskussion und einer Schlägerei mit dem Inhaber der Baubörse gekommen. Der Beschwerdeführer habe ihn geschlagen. Der Bruder des Vorgesetzten habe ihn daraufhin bedroht.

Auf die Frage, ob er diesen Fluchtgrund jemals im Zuge seiner etlichen Befragungen in Österreich vorgebracht hat, antwortete der Beschwerdeführer, dass er dies im Rahmen des zweiten Antrages erzählt habe.

Im Falle der Rückkehr befürchte der Beschwerdeführer, dass er eines Verbrechens beschuldigt werde, welches er nicht verübt habe oder dass ihm seitens der Polizei etwas unterstellt werden würde.

Der Beschwerdeführer führte weiters aus, er habe diesen Fluchtgrund nicht angeben können, da er von dem Richter gestoppt worden und deswegen nicht zu Wort gekommen sei.

Auf weitere Nachfrage, ob er seit seiner Einreise keine Möglichkeit gehabt habe, seine wahren Fluchtgründe zu nennen, gab der Beschwerdeführer an, er habe in XXXX nur die Fragen beantwortet und bei der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl habe er nicht ausreden können. Zudem habe der Richter nur gefragt, ob es noch etwas gibt, habe die Antwort nicht abgewartet und habe den Raum verlassen.

19. Mit nunmehr angefochtenem Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14. September 2018, Zl. 616234510-180510245 wurde der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 3 Absatz 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idgF., bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.). Weiters wurde der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005, bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen (Spruchpunkt II.) Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.), sondern gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG wurde die Frist zur freiwilligen Rückkehr mit vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

In der Entscheidungsbegründung wurde seitens der belangten Behörde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer eine ihm im Herkunftsstaat drohende asylrelevante Gefährdung nicht habe glaubhaft machen können. Außerdem habe der Beschwerdeführer keine neuen Gründe für das Verlassen seines Heimatstaates glaubhaft machen können.

20. Mit Verfahrensanordnung gemäß § 52 Absatz 2 BFA-VG vom 14. September 2018 wurde dem Beschwerdeführer für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht die "Verein Menschenrechte Österreich, Alser Straße 20/5 (Mezzanin), 1090 Wien" als Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.

21. Mit Schriftsatz vom 9. Oktober 2018 erhob der Beschwerdeführer fristgerecht verfahrensgegenständliche Beschwerde gegen den genannten Bescheid und ficht diesen wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie Verletzung von Verfahrensvorschriften in vollem Umfang an.

22. Am 13. Februar 2020 fand zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die russische Sprache eine öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt, in welcher der Beschwerdeführer im Beisein seines Rechtsvertreters zu seinem Gesundheitszustand, seinem Fluchtgrund, seinem Leben im Heimatland sowie seinem Familienleben in Österreich und Alltag befragt wurde. Seine Ehegattin wurde ebenfalls einvernommen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat zur vorliegenden Beschwerde wie folgt erwogen:

1. Feststellungen:

Auf Grundlage der Verwaltungsakte der belangten Behörde und der herangezogenen Hintergrundberichte zur aktuellen relevanten Lage in der Russischen Föderation wird seitens des Bundesverwaltungsgerichtes Folgendes festgestellt:

1.1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, der Volksgruppe der Tschetschenen zugehörig, muslimischen Glaubens und lebte bis zu seiner Ausreise in der Teilrepublik Dagestan. Der Beschwerdeführer ist mit XXXX (Beschwerdeführerin zu GZ W147 2007993-3) verheiratet, hat mit ihr die fünf gemeinsamen Kinder XXXX (Beschwerdeführerin zu GZ W147 2007995-3), XXXX (Beschwerdeführerin zu GZ W147 2008215-3), XXXX (Beschwerdeführer zu GZ W147 2147264-2), XXXX (Beschwerdeführerin zu GZ W147 2147275-2), XXXX (Beschwerdeführer zu GZ W147 2207607-1) und ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

Die Identität des Beschwerdeführers steht nicht fest.

Er reiste am 29. Dezember 2012 unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am gleichen Tag einen Antrag auf internationalen Schutz.

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 8. Mai 2018, Zl. W226 2007993-2/12E, W226 214781-1/11E, W226 2007995-2/8E, W226 2008215-2/9E, W226 2147275-2/9E, W226 2147264-1/6E wurde der Antrag vom 29. Dezember 2012 vollumfänglich rechtskräftig abgewiesen.

Der Beschwerdeführer kam seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach und stellte am 1. Juni 2018 neuerlich, nunmehr verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer seinen Herkunftsstaat aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung verlassen hat oder nach einer allfälligen Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Übergriffe zu befürchten hätte. Weiters liegen keine stichhaltigen Gründe vor, dass dieser konkret Gefahr liefe, in seinem Herkunftsstaat der Folter, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe bzw. der Todesstrafe unterworfen zu werden.

Nicht festgestellt werden kann, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr in die Russische Föderation in eine existenzgefährdende Notlage geraten würde und ihm die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre.

Der Beschwerdeführer leidet seit längerem unter einem Nesselausschlag und Gastritis, jedoch an keiner akuten oder lebensbedrohlichen psychischen oder physischen Erkrankung., welche ein Hindernis für eine Rückführung in die Russische Föderation darstellen würde.

Der Beschwerdeführer hat - mit Ausnahme seiner Ehegattin und den fünf gemeinsamen Kindern, deren Beschwerden mit heutigem Tag ebenfalls als unbegründet abgewiesen wurden, keine Angehörigen im Bundesgebiet, mit denen er in einem gemeinsamen Haushalt lebt oder zu denen ein Abhängigkeitsverhältnis besteht.

Trotz des knapp achtjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet kann nicht festgestellt werden, dass eine ausgeprägte und verfestigte entscheidungserhebliche Integration des Beschwerdeführers vorliegt. Der Beschwerdeführer ging gelegentlichen Beschäftigungen nach, hat einen Deutschkurs für A1/A2/B1 besucht und hat sich für einen Deutschkurs für B1.2 angemeldet. Darüberhinaus liegen keine sonstigen Hinweise auf eine besonders ausgeprägte und verfestigte Integration hinsichtlich des Privat- und Familienlebens des Beschwerdeführers in Österreich vor. Er bezieht Leistungen aus der Grundversorgung und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Eine Integrationsverfestigung seit rechtskräftigem Abschluss des Vorverfahrens ist ebenfalls nicht feststellbar.

Hinweise auf das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen für einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen kamen nicht hervor.

1.2. Hinsichtlich der relevanten Situation in der Russischen Föderation wird zunächst prinzipiell auf die im Akt einliegenden und dem Beschwerdeführer in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vorgehaltenen Länderfeststellungen verwiesen.

Zur aktuellen politischen und menschenrechtlichen Situation in der Russischen Föderation werden insbesondere folgende Feststellungen getroffen:

0. Politische Lage

Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (CIA 29.7.2019, vgl. GIZ 8.2019c). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau. Der Präsident verfügt über weit reichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 8.2019a, vgl. EASO 3.2017). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister und entlässt sie (GIZ 8.2019a). Wladimir Putin ist im März 2018 bei der Präsidentschaftswahl mit 76,7% im Amt bestätigt worden (Standard.at 19.3.2018, vgl. FH 4.2.2019). Die Wahlbeteiligung lag der Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl stärkster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motivierten Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018, vgl. FH 4.2.2019). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, um an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018, FH 1.2018). Putin kann dem Ergebnis zufolge nach 18 Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen. Gemäß der Verfassung darf er nach dem Ende seiner sechsjährigen Amtszeit nicht erneut antreten, da es eine Beschränkung auf zwei aufeinander folgende Amtszeiten gibt (Tagesschau.de 19.3.2018, vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).

Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58,4% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Zweikammerparlament, bestehend aus Staatsduma und Föderationsrat, ist in seinem Einfluss stark beschränkt. Der Föderationsrat ist als "obere Parlamentskammer" das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178

Abgeordneten: Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für vier Jahre nach dem Verhältniswahlrecht auf der Basis von Parteilisten gewählt. Es gibt eine Sieben-Prozent-Klausel.

Wichtige Parteien sind: die Regierungspartei Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern und Gerechtes Russland (Spravedlivaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern; die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern , die die Nachfolgepartei der früheren KP ist; die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist; die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern; die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), linkszentristisch, mit 85.000 Mitgliedern; die Partei der Volksfreiheit (PARNAS) und die demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 5.2019a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (339 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (40 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (AA 14.2.2019b). Die sogenannte Systemopposition stellt die etablierten Machtverhältnisse nicht in Frage und übt nur moderate Kritik am Kreml (SWP 11.2018). Die Nicht-Systemopposition unterstützt zwar die parlamentarische Demokratie als Organisationsform der Politik, nimmt aber nicht an Wahlen teil, da ihnen die Teilnahme wegen der restriktiven Regeln oder vermeintlicher Formalfehler versagt wird (Dekoder 24.5.2016).

Russland ist eine Föderation, die aus 85 Föderationssubjekten (einschließlich der international umstrittenen Annexion der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges Sewastopol) mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 8.2019a, vgl. AA 14.2.2019b). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 8.2019a).

Es wurden acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten) geschaffen, denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum ("exekutive Machtvertikale") deutlich (GIZ 8.2019a).

Bei den Regionalwahlen am 8.9.2019 in Russland hat die Regierungspartei Einiges Russland laut Angaben der Wahlleitung in den meisten Regionen ihre Mehrheit verteidigt. Im umkämpften Moskauer Stadtrat verlor sie allerdings viele Mandate (Zeit Online 9.9.2019). Hier stellt die Partei künftig nur noch 25 von 45 Vertretern, zuvor waren es 38. Die Kommunisten, die bisher fünf Stadträte stellten, bekommen 13 Sitze. Die liberale Jabloko-Partei bekommt vier und die linksgerichtete Partei Gerechtes Russland drei Sitze (ORF 18.9.2019). Die beiden letzten waren bisher nicht im Moskauer Stadtrat vertreten. Zuvor sind zahlreiche Oppositionskandidaten von der Wahl ausgeschlossen worden, was zu Protesten geführt hat (Zeit Online 9.9.2019), bei denen mehr als 1000 Demonstranten festgenommen wurden (Kleine Zeitung 28.7.2019). Viele von den Oppositionskandidaten haben zu einer "smarten Abstimmung" aufgerufen. Die Bürgerinnen sollten alles wählen - nur nicht die Kandidaten der Regierungspartei. Bei den für die russische Regierung besonders wichtigen Gouverneurswahlen gewannen die Kandidaten der Regierungspartei überall. Umfragen hatten der Partei wegen der Unzufriedenheit über die wirtschaftliche Lage im Land teils massive Verluste vorhergesagt (Zeit Online 9.9.2019).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (14.2.2019b): Russische Föderation - Außen- und Europapolitik, https://

www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/ russischefoederation/201534, Zugriff 6.8.2019

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CIA - Central Intelligence Agency (29.7.2019): The World Factbook, https://www.cia.gov/library/

publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 6.8.2019

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EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-stateactors-of-protection.pdf, Zugriff 6.8.2019

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FH - Freedom House (4.2.2019): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2018 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002603.html, Zugriff

6.8.2019

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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (8.2019a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836, Zugriff

5.9.2019

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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (8.2019c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/, Zugriff 5.9.2019

-

Kleine Zeitung (28.7.2019): Mehr als 1.300 Festnahmen bei Kundgebung in Moskau,

https://www.kleinezeitung.at/politik/5666169/Russland_Mehr-als-1300-Festnahmen-beiKundgebung-in-Moskau, Zugriff 24.9.2019

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ORF - Observer Research Foundation (18.9.2019): Managing democracy in Russia: Elections 2019,

https://www.orfonline.org/expert-speak/managing-democracy-in-russia-elections-201955603/, Zugriff 30.9.2019

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OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights (18.3.2018): Russian Federation Presidential Election Observation Mission Final Report, https://www.osce.org/odihr/elections/383577? download=true, Zugriff 6.8.2019

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Presse.at (19.3.2018): Putin: "Das russische Volk schließt sich um Machtzentrum zusammen",

https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5391213/Putin_Das-russische-Volkschliesst-sich-um-Machtzentrum-zusammen, Zugriff 6.8.2019

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Standard.at (19.3.2018): Putin sichert sich vierte Amtszeit als Russlands Präsident,

https://derstandard.at/2000076383332/Putin-sichert-sich-vierte-Amtszeit-als-Praesident, Zugriff 6.8.2019

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Tagesschau.de (19.3.2018): Klarer Sieg für Putin, https://www.tagesschau.de/ausland/russland-wahl-putin-101.html, Zugriff 6.8.2019

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Zeit Online (9.9.2019): Russische Regierungspartei gewinnt Regionalwahlen,

https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-09/russland-kreml-partei-sieg-regionalwahlen-moskau, Zugriff 24.9.2019

0.1. Dagestan

Dagestan ist mit ungefähr drei Millionen Einwohnern die größte kaukasische Teilrepublik und wegen seiner Lage am Kaspischen Meer für Russland strategisch wichtig. Dagestan ist das ethnisch vielfältigste Gebiet des Kaukasus (ACCORD 19.6.2019, vgl. IOM 6.2014). Dagestan ist hinsichtlich persönlicher Freiheiten besser gestellt als Tschetschenien, bleibt allerdings eine der ärmsten Regionen Russlands, in der die Sicherheitslage zwar angespannt ist, sich in jüngerer Zeit aber verbessert hat (AA 13.2.2019). Gründe für den Rückgang der Gewalt sind die konsequente Politik der Repression radikaler Elemente und das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete in Syrien und in den Irak (ÖB Moskau 12.2018).

Was das politische Klima betrifft, gilt die Republik Dagestan im Vergleich zu Tschetschenien noch als relativ liberal. Die Zivilgesellschaft ist hier stärker vertreten als in Tschetschenien (SWP 4.2015) und wird nicht ganz so ausgeprägt kontrolliert wie in Tschetschenien (AA 13.2.2019). Ebenso existiert - anders als in der Nachbarrepublik - zumindest eine begrenzte Pressefreiheit. Die ethnische Diversität stützt ein gewisses Maß an politischem Pluralismus und steht autokratischen Herrschaftsverhältnissen entgegen (SWP 4.2015). Die Bewohner Dagestans sind hinsichtlich persönlicher Freiheit besser gestellt, und auch die Menschenrechtslage ist grundsätzlich besser als im benachbarten Tschetschenien (AA 13.2.2019), obwohl auch in Dagestan mit der Bekämpfung des islamistischen Untergrunds zahlreiche Menschenrechtsverletzungen durch lokale und föderale Sicherheitsbehörden einhergehen (AA 13.2.2019, vgl. SWP 4.2015). Im Herbst 2017 setzte Präsident Putin ein neues Republiksoberhaupt ein. Mit dem Fraktionsvorsitzenden der Staatspartei Einiges Russland in der Staatsduma und ehemaligen hohen Polizeifunktionär Wladimir Wassiljew wurde das zuvor behutsam gepflegte Gleichgewicht der Ethnien ausgehebelt. Der Kreml hatte länger schon damit begonnen, ortsfremde Funktionäre in die Regionen zu entsenden. Im Nordkaukasus hatte er davon Abstand genommen. Wassiljew ist ein altgedienter Funktionär und einer, der durch den Zugriff Moskaus auf Dagestan - und nicht in Abgrenzung von der Zentralmacht - Ordnung, Sicherheit und wirtschaftliche Prosperität herstellen soll. Er gilt als Gegenmodell zu Kadyrows ungestümer Selbstherrlichkeit. Mit Wassiljew tritt jemand mit wirklich direktem Draht zur Zentralmacht im Nordkaukasus auf. Das könnte ihn, zumindest für einige Zeit, zum starken Mann in der ganzen Region machen (NZZ 12.2.2018).

Anfang 2018 wurden in der Hauptstadt Dagestans, Machatschkala, der damalige Regierungschef [Abdussamad Gamidow], zwei seiner Stellvertreter und ein kurz vorher abgesetzter Minister von föderalen Kräften verhaftet und nach Moskau gebracht. Ihnen wird vorgeworfen, sie hätten eine organisierte kriminelle Gruppierung gebildet, um die wirtschaftlich abgeschlagene und am stärksten von allen russischen Regionen am Tropf des Zentralstaats hängende NordkaukasusRepublik auszubeuten. Kurz vorher waren bereits der Bürgermeister von Machatschkala und der Stadtarchitekt festgenommen worden (NZZ 12.2.2018, vgl. Standard.at 5.2.2018).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaertiges-amt-bericht-ueberdie-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation-stand-dezember-201813-02-2019.pdf, Zugriff 6.8.2019

-

ACCORD (19.6.2019): Themendossier Sicherheitslage in Dagestan & Zeitachse von Angriffen,

https://www.ecoi.net/de/laender/russische-foederation/themendossiers/sicherheitslage-indagestan-zeitachse-von-angriffen/, Zugriff 6.8.2019

-

Dekoder (24.5.2016): Nicht-System-Opposition, https://www.dekoder.org/de/gnose/nichtsystem-opposition, Zugriff 23.9.2019

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IOM - International Organisation of Migration (6.2014):

Länderinformationsblatt Russische Föderation NZZ - Neue Zürcher Zeitung (12.2.2018): Durchgreifen in Dagestan: Moskau räumt im Nordkaukasus auf,

https://www.nzz.ch/international/moskau-raeumt-im-nordkaukasus-aufld.1356351, Zugriff 6.8.2019

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ÖB Moskau (12.2018): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001768/RUSS_%C3%96B_Bericht_2018_12.pdf, Zugriff 6.8.2019

-

Standard.at (5.2.2018): Regierungsspitze in russischer Teilrepublik Dagestan festgenommen, https://www.derstandard.at/story/2000073692298/regierungsspitze-in-russischer-teilrepublikdagestan-festgenommen, Zugriff 6.8.2019

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SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015): Dagestan:

Russlands schwierigste Teilrepublik, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf, Zugriff 6.8.2019

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SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (11.2018): Erfolg der russischen Systemopposition bei den Regionalwahlen, https://www.swp-berlin.org/publikation/russland-wahlerfolg-dersystemopposition/, Zugriff 23.9.2019

1. Sicherheitslage

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen. Todesopfer forderte zuletzt ein Terroranschlag in der Metro von St. Petersburg im April 2017. Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 3.9.2019a, vgl. BMeiA 3.9.2019, GIZ 8.2019d). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 3.9.2019).

Russland tritt als Protagonist inter

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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