Entscheidungsdatum
13.03.2020Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W196 2204846-2/15E
W196 2204851-2/13E
W196 2204849-2/11E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Ursula SAHLING als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1) XXXX , geb. XXXX , 2) XXXX , geb. XXXX , 3) XXXX , geb. XXXX , alle StA. Somalia, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.09.2019, 1) Zl.17-1144614308-170286135, 2) Zl. 17-1144613605-170286122, 3) Zl. 17-1178294310-180021635, nach Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 31.10.2019, 1) Zl. 1144614308-170286135, 2) Zl.1144613605-170286122 und 3) Zl. 1178294310-180021635, und den Vorlageantrag vom 19.11.2019 nach mündlicher Verhandlung am XXXX zu Recht erkannt:
A)
Den Beschwerden wird stattgegeben und 1) XXXX , 2) XXXX gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 2 und 4 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005, idgF, und 3) XXXX , gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX , XXXX und XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer sind verheiratet und die Eltern und gesetzlichen Vertreter ihrer minderjährigen Tochter, der Drittbeschwerdeführerin . Alle sind Staatsangehörige Somalias.
Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer reisten ins österreichische Bundesgebiet ein und stellten am 03.03.2017 gemeinsam jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
Bei der Erstbefragung durch Landespolizeidirektion XXXX am 06.03.2017 gab die Erstbeschwerdeführerin an, Somalia aufgrund des dort herrschenden Krieges verlassen zu haben. Sie hätte mit ihrem Mann in Kenia und im Jemen gelebt und seit 2012 in Dubai, wo sie im Haushalt eines Scheichs gearbeitet habe und es zu einem Vergewaltigungsversuch gekommen sei. Wegen der ihr drohenden Abschiebung nach Somalia sei sie mit ihrem Ehemann geflüchtet. In Somalia fürchte sie um ihr Leben.
Der Zweitbeschwerdeführer gab anlässlich seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 06.03.2017 an, in XXXX in Somalia geboren zu sein. Er spreche Katchi und sei Angehöriger der Volksgruppe der Hindi reer Hamr. Er habe bis zu seinem 12. Lebensjahr in Somalia gelebt und sei mit seiner Familie 1991 wegen des Krieges nach Kenia geflüchtet. Nach 8 Monaten seien sie in den Jemen gereist, wo er die Erstbeschwerdeführerin 2008 geheiratet habe. Dort habe es 2012 ebenfalls Krieg gegeben, zwischen der Regierung und den Schiiten. Es sei ihnen als Schiiten nicht möglich gewesen, nach Somalia zurückzukehren, weil die Mehrheit dort Wahabiten (Terroristen) seien, welche glaubten, für die Ermordung eines Schiiten von Gott belohnt zu werden, weshalb sie nach Dubai gereist seien. Dort hätten sie als Hausangestellte gearbeitet und ihre Identität verheimlicht. Als bekannt geworden sei, dass sie Schiiten seien, hätten sie nach Somalia abgeschoben werden sollen, weshalb sie nach Österreich geflüchtet seien.
Am XXXX wurde die Drittbeschwerdeführerin in Österreich geboren. Am 21.12.2017 beantragte sie vertreten durch die Erstbeschwerdeführerin die Durchführung eines Familienverfahrens gemäß § 34 AsylG 2005.
Am 01.02.2018 und 27.03.2018 wurde die Erstbeschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in Anwesenheit eines Dolmetschers für die englische Sprache bzw. auf Katchi niederschriftlich zu ihrer Herkunft einvernommen. Sie gab an in Mogadischu geboren und somalische Staatsbürgerin zu sein sowie dem Minderheitenclan der Hamr-Hindi anzugehören. Sie seien schiitische Moslems, ihre Sprache sei Katchi und sie würden ursprünglich aus Indien stammen. Sie spreche außer Katchi und Englisch noch Arabisch.
Für den Zeitbeschwerdeführer wurde ein fachärztliches Attest vom 30.03.2017 mit der Diagnose "hdO-HG bds., Cerumen obt.bds., Trommelfelle zart, intakt, durchscheinend, Pauken belüftet, an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit bds.".
Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 27.03.2018 unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Katchi gab der Zweitbeschwerdeführer zusammengefasst an, somalischer Staatsbürger zu sein. Er sei schiitischer Moslem und gehöre dem Clan der Hamr Hindi an. Einen Subclan gebe es nicht. Sie seien von Dubai nicht nach Somalia zurückgekehrt, weil es in Somalia keine Clanangehörigen mehr gebe und sie dort als Schiiten von den Al-Shabaab-Terroristen bedroht würden.
Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.07.2018 wurden die Anträge der Beschwerdeführer hinsichtlich Asyl und subsidiären Schutz in Bezug auf den Herkunftsstaat Pakistan abgewiesen, ihnen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt, gegen sie eine Rückkehrentscheidung erlassen, ihre Abschiebung nach Pakistan für zulässig erklärt und die Frist für die freiwillige Ausreise mit zwei Wochen festgesetzt.
Der dagegen erhobenen Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 05.11.2018 Folge gegeben und die Angelegenheit nach Behebung der Bescheide an das Bundesamt zur Erlassung neuerlicher Entscheidungen zurückverwiesen. Begründet wurde dies im Wesentlichen damit, dass näher zu ermitteln sei, ob die im Visa-Verfahren vorgelegten pakistanischen Reisepässe echt seien und welche Staatsbürgerschaft die Beschwerdeführer innehätten.
Im fortgesetzten Verfahren gab die Erstbeschwerdeführerin am 05.06.2019 zu ihrem Fluchtgrund an, dass sie 1991 mit ihrer Familie (und nunmehrigen Schwiegerfamilie) Somalia wegen des Krieges verlassen habe, weil sie Angehörige einer kleinen Minderheit seien, welche als erstes attackiert worden sei. Sie seien von den Somaliern gejagt worden, weil sie wie Inder seien. Seit 1991 gebe es keine Hamr Hindi mehr in Somalia. Außerdem würden sie im Fall einer Rückkehr als Schiiten von den Al-Shabaab-Milizen attackiert werden. Weiters hätte ihre Tochter dort als Mädchen Probleme. Sie wolle nicht, dass ihre Tochter bei einer Rückkehr nach Somalia beschnitten werde. Auch sei der Zweitbeschwerdeführer schwerhörig.
Der Zweitbeschwerdeführer gab am 05.06.2019 zu seinen Fluchtgründen ebenfalls an, dass der Clan der Hamr-Hindi in Somalia nicht mehr existiere, er als Schiit in Somalia von den Wahabiten verfolgt würde und seiner Tochter im Fall der Rückkehr nach Somalia die Beschneidung drohe.
Mit den im Spruch genannten Bescheiden vom 25.09.2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Anträge aller Beschwerdeführer auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.), erkannte jedoch gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 den Status der subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihnen gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 25.09.2020 (Spruchpunkt III.).
Die belangte Behörde stellte fest, dass die Identität der Beschwerdeführer feststehe und sie somalische Staatsangehörige und Angehörige des Clans der Hamr Hindi sowie schiitische Moslems seien. Die Asylverfahren seien im Familienverfahren zu führen. Glaubhaft sei, dass sie Somalia 1991 verlassen hätten, jedoch sei ein asylrelevanter Hintergrund nicht glaubhaft. Eine konkrete persönliche Verfolgung oder Bedrohung hätten sie nicht geltend gemacht. Im Falle der Rückkehr bestehe daher keine Gefahr einer Verfolgung, jedoch könne wegen der Hörbehinderung des Zweitbeschwerdeführers und der Frage einer Arbeitsmöglichkeit bzw. ihrer Selbsterhaltungsfähigkeit die Verletzung von Art. 3 EMRK nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden.
Mit Verfahrensanordnung vom 26.09.2019 wurde den Beschwerdeführern gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.
Gegen die Spruchpunkte I. der oben genannten Bescheide erhoben die Beschwerdeführer fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde, in welcher sie im hier Wesentlichen ausführten, dass ihnen eine Rückkehr nach Somalia wegen der, der Erst- und Drittbeschwerdeführerin drohenden Genitalverstümmelung nicht möglich sei. Überdies würde allen drei Beschwerdeführern in Somalia eine Verfolgung auf Grund ihrer ethnischen Zugehörigkeit zum Minderheitsclan der Hamr Hindi und ihrer Religionszugehörigkeit zum schiitischen Islam drohen.
Bezogen auf die von der Behörde erfolgte Beurteilung der Glaubwürdigkeit einer Verfolgung aus asylrelevanten Gründen im Fall der Rückkehr wurde dargelegt, dass gerade wenn eine Diaspora in ihren Herkunftsstaat zurückkehre, dieser systematische Verfolgung durch die Mehrheitsbevölkerung drohe. Der konkrete Clan müsse nicht bekannt sein, denn die Beschwerdeführer seien bereits auf Grund von äußeren Merkmalen stark von den "üblichen" Somalis unterscheidbar.
Weiters sei die Behörde bezogen auf die der Drittbeschwerdeführerin drohenden Genitalverstümmelung davon ausgegangen, dass diese Entscheidung der Mutter obliege, welche nicht den Eindruck vermittelt habe, dass sie dies zulassen würde. Hiezu wurde darauf hingewiesen, dass nach den Länderfeststellungen gesellschaftlicher Druck zur Durchführung dieser Verstümmelung bestehe und nicht beschnittene Mädchen Stigmatisierungen in der somalischen Gesellschaft ausgesetzt seien. Angesichts dessen könne nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass die Erstbeschwerdeführerin ihrer Tochter die Genitalverstümmelung erspare.
Mit Beschwerdevorentscheidung vom 31.10.2019 wurde die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. der Bescheide des Bundesamtes vom 25.09.2019 als unbegründet abgewiesen. Begründet wurde dies im Wesentlichen damit, dass die geltend gemachten Gründe für die Ausreise 1991 glaubhaft seien, nicht jedoch eine künftige, konkret gegen sie gerichtete Verfolgung oder Bedrohung. Beweiswürdigend wurde dazu ausgeführt, dass sich diese Feststellungen aus den vorgelegten Beweismitteln und aus dem bezughabenden Akt ergebe. Die Beschwerde sei abzuweisen gewesen, weil eine allgemein gegen Minderheiten gerichtete Verfolgung aus den Länderberichten nicht hervorgehe. Diskriminierungen würden zwar berichtet, jedoch keineswegs in einem GFK-relevanten Ausmaß. Zu einer der Drittbeschwerdeführerin drohenden Beschneidung führte die Behörde aus, dass eine derartige Gefahr den Länderinformationen keinesfalls zu entnehmen sei, da Mütter mangels körperlichen Untersuchungen auch die Möglichkeit hätten, vorzugeben, ihre Tochter sei beschnitten worden.
Im Vorlageantrag vom 19.11.2019 wurde demgegenüber im Wesentlichen ausgeführt, dass eine weibliche Genitalverstümmelung solange drohe, als die sexuelle Aktivität andauere. Zudem bestünde die Gefahr, dass die nicht vorgenommene Verstümmelung anlässlich von Arztbesuchen der Erst- und Drittbeschwerdeführerin oder durch den Schulbesuch der Drittbeschwerdeführerin bekannt werden würden.
Dieser Antrag und die bezughabenden Verwaltungsakten wurden vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 25.11.2019 dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt.
In der Stellungnahme vom 23.01.2020 zu den, den Beschwerdeführern zur Kenntnis gebrachten Länderberichten wurde zusammengefasst ausgeführt, dass die Erstbeschwerdeführerin ohne Rückhalt eines beschützenden Clans nicht in der Lage sein würde, hinsichtlich einer Genitalverstümmelung ihrer Tochter eine freie Entscheidung zu treffen. Ferner wurde auf das Erkenntnis des VwGH vom 12.12.2018, Ra 2018/19/0293, verwiesen, wonach der konkret geltend gemachte Fluchtgrund der drohenden Genitalverstümmelung nach der Rechtsprechung des VwGH eine asylrelevante Verfolgung im Sinne der GFK darstellen kann. Vorgelegt wurden ärztliche Befunde vom 11.11.2019, wonach weder bei der Erst- noch der Drittbeschwerdeführerin "alte oder frische Verletzungen im Sinne von FMG einstellbar" waren. Ferner seien die Hamar Hindi Angehörige von Minderheiten in Süd-/Zentralsomalia und insofern ungeschützt, als es ihnen an militärischen Kapazitäten zur Selbstverteidigung fehle; auch UNHCR erachte Angehörige von Minderheitenclans in Süd-/Zentralsomalia als einer Gefahr auf Grund ihrer Ethnie/Rasse ausgesetzt.
Am 04.02.2020 fand beim Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung statt, an welcher die Beschwerdeführer in Begleitung ihrer Vertreterin sowie eine Dolmetscherin für die englische Sprache teilnahmen. Ein Vertreter der Behörde war entschuldigt nicht erschienen. Diese Verhandlung nahm im Wesentlichen folgenden Verlauf:
"[...]
RI: Sie sind mit zwei Jahren aus Somalia ausgereist. Ich gehe daher davon aus, dass Sie keine persönlichen Fluchtgründe haben, weil Sie schon sehr lange mit dem Land nichts zu tun haben. Der einzige für Sie in Frage kommende persönliche Fluchtgrund Somalia betreffend wäre eine drohende Beschneidung. Da Sie aber bereits verheiratet sind und erwachsen, wird diese Gefahr nach unserer Judikatur nicht angenommen. Wollen Sie dazu etwas sagen?
BF1: Es ist noch immer die Gefahr, dass ich beschnitten werde. Diese Gefahr bestimmt immer und zu jeder Zeit bei einer Frau, ab dem Moment, wo sie die Geschlechtsreife erreicht hat. Das ist einfach ein landesweiter Druck, der sozusagen lebenslang besteht, und es geht dabei auch nicht um meinen Ehemann, der das will oder nicht, sondern um den gesellschaftlichen Druck und wenn ich heute zum Gynäkologen in Somalia gehen müsste, dann würde dieser Druck auf mich ausgeübt.
RI: Sie würden befürchten, dass das dann mit Ihnen passieren würde? Warum könnten Sie dem gesellschaftlichen Druck nicht widerstehen?
BF1: Die Kultur kann ich nicht verändern. Das ist der Druck des ganzen Landes und auch wenn ich verheiratet bin, besteht das Risiko einer Beschneidung.
RI: Wer würde das dann machen? Soweit ich weiß, ist das sogar offiziell in Somalia nicht erlaubt? Wer würde den Druck ausüben? Ihre Familie ist ja nicht dort?
BF1: Es ist richtig. Meine enge Familie lebt nicht mehr in Somalia, aber ich habe noch entfernte Verwandte und Freunde dort. In der Gegend, wo wir leben oder gelebt haben, XXXX ist die Familie XXXX bekannt, die Urgroßväter, die Großväter und es würde sich rasch herumsprechen und würde ich oder meine Tochter zum Gynäkologen oder zu einem Arzt gehen, dann würde sich alles schnell herumsprechen, weil wir sind eine kleine Gesellschaft, in der man nichts geheim halten kann.
RI: Habe ich das jetzt richtig verstanden, Sie fürchten Ihre weitere Clanfamilie, die Sie dann zwingen würde, gegen Ihren Willen?
BF1: Ich habe keine Angst vor der engen Familie, weil niemand von der engen Familie noch in Somalia lebt, aber ich fürchte die entfernten Verwandten.
RI: Würden die entfernten Verwandten Sie dann unter Druck setzen?
BF1: Es gibt spezielle Orte, wo die Beschneidungen durchgeführt werden. So wie es Moscheen gibt, gibt es auch spezielle Orte wie Kliniken. Wenn wir erst einmal dort sind und es bekannt wird, dass wir nicht beschnitten sind, dann wird man versuchen, uns einer Gehirnwäsche zu unterziehen bzw. uns unter Druck zu setzen, und ein kleines Mädchen, das nicht beschnitten ist, gilt als schmutzig. Wenn man nicht beschnitten ist, wird man von der Gesellschaft nicht akzeptiert und man wird, wenn das herauskommt, dass man nicht beschnitten ist, unter gesellschaftlichen Druck gestellt, der so weit geht, dass man nicht überleben kann. Das heißt, man darf nicht arbeiten. Mein Kind kann nicht in die Schule gehen. Ich werde komplett aus der Gesellschaft ausgeschlossen und so kann man nicht überleben. Ich habe einfach die Angst, dass ich dem Druck nicht widerstehen kann, weil ich keine Familie mehr dort habe und auch keinen Clan und meine Sorge gilt vor allem meiner Tochter, weil ich könnte dem Druck weichen, aber es ist mir auch egal. Ich bin erwachsen und ich habe mein Leben schon zur Hälfte gelebt, aber meiner Tochter möchte ich das nicht antun, und ich fürchte daher um meine Tochter.
BFV: Was hätte das für Konsequenzen für Ihre Tochter, wenn sie nicht beschnitten wäre?
BF1: Keine Beschneidung in Somalia bedeutet die Zerstörung ihrer Zukunft. Sie darf nicht in die Schule gehen. Sie darf nicht heiraten und tatsächlich ist es so, dass sie eingesperrt ist. Sie würde beschimpft werden und sie ist ganz einfach nicht sicher, wenn sie nicht beschnitten ist. Es ist ein sehr schweres Leben für meinen Mann und für mich in Somalia, aber für meine Tochter ist es eine Überlebensfrage und ich möchte sie dieser Gefahr nicht aussetzen. Und als Mutter möchte ich meine Tochter schützen und daher möchte ich nicht nach Somalia zurück, weil ich kann sie da nicht schützen.
RI: Ihr Mann ist mit zehn Jahren aus Somalia weg?
BF1: Erst mit dreizehn Jahren hat er Somalia verlassen.
RI: Hat er einen persönlichen Fluchtgrund?
BF1: Es gibt für ihn keinen persönlichen Fluchtgrund, aber es gibt auch keinen Grund zurückzugehen, da er mit 13 Jahren das Land verlassen hat und das zusammen mit seiner gesamten Familie und seinem Clan.
RI an BF1: Wie ist die Einstellung Ihres Mannes?
BF1: Für ihn ist es eine kriminelle Straftat und er möchte nicht, dass seiner Tochter das widerfährt.
RI an BF2: Sie haben eine Erkrankung, Sie sind schwerhörig. Dadurch ist es wahrscheinlich schwieriger, die Familie zu beschützen?
BF2: Ja, das ist richtig."
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Aufgrund der Asylanträge vom 03.03.2017 bzw. 21.12.2017, der Einvernahmen der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, der Beschwerden gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der Einsichtnahme in die bezughabenden Verwaltungsakten, der Einsichtnahme in das zentrale Melderegister, in das Fremden- sowie das Grundversorgungs-Informationssystem und in das Strafregister werden die folgenden Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:
Die Beschwerdeführer sind alle Staatsangehörige Somalias. Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer sind verheiratet und die Eltern der Drittbeschwerdeführerin. Im gegenständlichen Fall liegt somit ein Familienverfahren iSd § 34 AsylG 2005 vor.
Alle Beschwerdeführer sind in Österreich subsidiär schutzberechtigt und verfügen über eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 25.09.2020.
Die Beschwerdeführer sind strafrechtlich unbescholten.
An der Erst- und Drittbeschwerdeführerin wurde bisher keine Beschneidung durchgeführt.
Festgestellt wird, dass der Drittbeschwerdeführerin in Somalia mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit landesweit eine an ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe anknüpfende aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität in Form der Gefahr einer Genitalverstümmelung droht, wogegen sie vom somalischen Staat keinen effektiven Schutz erwarten kann. Aufgrund der landesweit üblichen Praxis der weiblichen Genitalverstümmelung kommt der Drittbeschwerdeführerin auch keine innerstaatliche Fluchtalternative zu.
2. Relevante Länderberichte zur Situation in Somalia
Die aktuelle politische und menschenrechtliche Situation in Somalia stellte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl bereits in den gegenständlich angefochtenen Bescheiden umfassend fest. Zur Situation von Frauen und Kindern, der weiblichen Genitalverstümmelung und dagegen bestehenden staatlichen Schutz wird zudem Folgendes festgestellt:
(Quelle: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl:
Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Somalia, 17.09.2019)
"18.1.1.Weibliche Genitalverstümmelung (FGM)
In Somalia herrschen zwei Formen von FGM (auf Somali: "Gudniinka" - Beschneidung) vor: Einerseits die am meisten übliche sog. Pharaonische Beschneidung (gudniinka fircoonige), welche weitgehend dem WHO Typ III (Infibulation) entspricht. Andererseits die Sunna (gudniinka sunna), welche laut einer Quelle generell dem weniger drastischen WHO Typ I entspricht (LIFOS 16.4.2019, S.13f), laut einer anderen Quelle WHO Typ I und II umfasst (AV 2017, S.29). Die Sunna wird unterteilt in die sog. große Sunna (sunna kabir) und die kleine Sunna (sunna saghir); es gibt auch Mischformen (LIFOS 16.4.2019, S.14f). De facto kann unter dem Begriff "Sunna" jede Form - von einem kleinen Schnitt bis hin zur fast vollständigen pharaonischen Beschneidung - gemeint sein, die von der traditionellen Form von FGM (Infibulation) abweicht (FIS 5.10.2018, S.30; vgl. LIFOS 16.4.2019, S.39). Aufgrund der Problematik, dass es keine klare Definition der Sunna gibt (LIFOS 16.4.2019, S.14f; vgl. FIS 5.10.2018, S.31), wissen Eltern oft gar nicht, welchen Eingriff die Beschneiderin genau durchführen wird (LIFOS 16.4.2019, S.14f).
Es gibt keine nationale Gesetzgebung, welche FGM verbieten würde (LIFOS 16.4.2019, S.28). Die Übergangsverfassung verbietet zwar weibliche Genitalverstümmelung (FGM) (USDOS 13.3.2019, S.30). Dort steht, dass eine "Beschneidung" von Mädchen Folter gleichkommt und verboten ist. Allerdings mangelt es an einer Definition von "Beschneidung", und es wird kein Strafmaß genannt. Das Strafgesetz von 1964 sieht zwar Strafen für die Verletzung einer Person vor, es sind aber keine Fälle bekannt, wo FGM dahingehend einer Strafverfolgung zugeführt worden wäre - selbst dann, wenn ein Mädchen an den Folgen der Verstümmelung verstorben ist (LIFOS 16.4.2019, S.28f). Generell mangelt es den Behörden landesweit an Integrität und Kapazität, um eine für die Beschneidung eines Mädchens verantwortliche Person rechtlich zu verfolgen. Es gibt folglich auch keine Beispiele dafür, wo eine solche Person bestraft worden wäre (LIFOS 16.4.2019, S.42). In zwei Fällen, bei denen zehn- bzw. elfjährige Mädchen an den Folgen von FGM verstorben sind, wurden zwar Untersuchungen angekündigt; bis Ende 2018 sind aber in keinem der Fälle entsprechende Anklagen ausgesprochen worden (USDOS 13.3.2019, S.30). Sowohl in Süd-/Zentralsomalia als auch in Puntland gibt es Gesetzesentwürfe, teilweise auch schon Gesetze gegen FGM; diese wurden aber bislang von traditionellen Führern blockiert (CNN 11.10.2018). Die Frage, ob nur eine bestimmte Form von FGM oder aber alle Formen von FGM verboten werden sollen, hat die Verabschiedung eines entsprechenden Gesetzes (auf Bundesebene) seit 2016 verzögert (TRF 27.2.2019).
Al Shabaab hatte ursprünglich jede Form von FGM verboten. Mittlerweile gilt das Verbot für die Infibulation, während die Sunna akzeptiert wird (LIFOS 16.4.2019, S.22/41f). Generell ist al Shabaab nicht Willens, dieses Verbot auf dem von ihr kontrollierten Gebiet auch umzusetzen. Die Gruppe unterstützt die Tradition nicht, geht aber auch nicht aktiv dagegen vor (DIS 1.2016, S.8).
Verbreitung: FGM ist in Somalia auch weiterhin weit verbreitet (USDOS 13.3.2019, S.30; vgl. AA 4.3.2019, S.15). Lange Zeit wurde die Zahl betroffener Frauen mit 98% angegeben. Diese Zahl ist laut somalischem Gesundheitsministerium bis 2015 auf 95% und bis 2018 auf 90% gefallen (FIS 5.10.2018, S.29). Eine andere Quelle gibt an, dass in Somalia 95% betroffen sind (AA 4.3.2019, S.15). Eine Studie aus dem Jahr 2011 erklärt, dass 97% der Mädchen und Frauen in der Altersgruppe 15-19 Jahre von irgendeiner Form von FGM betroffen sind (LIFOS 16.4.2019, S.20). Gemäß einer neueren Studie aus dem Jahr 2017 sind rund 13% der 15-17jährigen Mädchen nicht beschnitten (STC 9.2017). Insgesamt gibt es diesbezüglich nur wenige aktuelle Daten. Generell ist von einer Rückläufigkeit auszugehen (LIFOS 16.4.2019, S.19f; vgl. STC 9.2017).
Hinsichtlich geographischer Verbreitung scheint die Infibulation 2006 in Süd-/Zentralsomalia mit 72% am wenigsten verbreitet gewesen zu sein; in Puntland war sie mit 93% am verbreitetsten (LIFOS 16.4.2019, S.21). Schon 1985 hat ein Trend eingesetzt, mit dem sich die Sunna nunmehr zur üblichsten Form der Beschneidung entwickeln konnte (FIS 5.10.2018, S.30f). Bei einer landesweiten Umfrage aus dem Jahr 2017 haben 40,6% angegeben, von einer Infibulation betroffen zu sein (AV 2017, S.29). Gemäß Zahlen einer Studie aus dem Jahr 2017 ist in Mogadischu kaum ein unter 18jähriges Mädchen infibuliert; dagegen kommen sowohl große als auch kleine Sunna breitflächig zur Anwendung. Dies trifft in weniger drastischer Form auch auf die untersuchten somaliländischen Bezirke zu (siehe Grafik). Insgesamt waren bei dieser Studie rund ein Viertel der beschnittenen Unter-18-Jährigen von Infibulation, die große Mehrheit von kleiner und großer Sunna betroffen. Die Infibulation ist also insgesamt zurückgedrängt worden (STC 9.2017), dies wird von mehreren Quellen bestätigt (LIFOS 16.4.2019, S.14f/39; vgl. DIS 1.2016, S.7; FIS 5.10.2018, S.30f). Außerdem sprachen sich in einer Umfrage aus dem Jahr 2017 42,6% gegen die Tradition von FGM aus (AV 2017, S.19). Allerdings gaben nur 15,7% an, dass in ihrer Gemeinde ("community") FGM nicht durchgeführt wird (AV 2017, S.25). Bei einer Studie im Jahr 2015 wendete sich die Mehrheit der Befragten gegen die Fortführung der Infibulation, während es kaum Unterstützung für eine völlige Abschaffung von FGM gab (CEDOCA 9.6.2016, S.7).
Zum Alter bei der Beschneidung gibt es unterschiedliche Angaben. Die meisten Quellen der schwedischen COI-Einheit Lifos nennen ein Alter von 5-10 Jahren (LIFOS 16.4.2019, S.20/39); in Puntland und Somaliland erfolgt die Beschneidung laut einer Studie aus dem Jahr 2011 meist im Alter von 10-14 Jahren (LIFOS 16.4.2019, S.20). Eine Studie aus dem Jahr 2017 nennt für ganz Somalia die Gruppe der 10-14jährigen (STC 9.2017). Eine andere Quelle nennt ein Alter von 10-13 Jahren (AA 4.3.2019, S.15). UNICEF wiederum nennt ein Alter von 4-14 Jahren als üblich; die NGO IIDA gibt an, dass die Beschneidung üblicherweise vor dem achten Geburtstag erfolgt (CEDOCA 9.6.2016, S.6). Bei den Benadiri und arabischen Gemeinden in Somalia, wo grundsätzlich die Sunna praktiziert wird, scheint die Beschneidung bei der Geburt stattzufinden, möglicherweise auch nur als symbolischer Schnitt (DIS 1.2016, S.6). Gemäß einer Quelle werden Mädchen, welche die Pubertät erreicht haben, nicht mehr einer FGM unterzogen, da dies gesundheitlich zu riskant ist. Hat ein Mädchen die Pubertät erreicht, fällt auch der Druck durch die Verwandtschaft weg (DIS 1.2016, S.11). Im Jahr 2018 hat man über vier Mädchen erfahren, dass diese im Zuge einer FGM bzw. an deren Folgen verstorben sind. Diese Mädchen waren zehn bis elf Jahre alt. Ein weiteres Mädchen, das fast gestorben wäre, war bei der Vornahme der FGM sieben Jahre alt (CNN 11.10.2018)
Internationale und lokale NGOs führen Sensibilisierungsprogramme durch (CEDOCA 9.6.2016, S.22f), landesweit bemühen sich die Regierungen, die Verbreitung von FGM einzuschränken (AA 4.3.2019, S.15) - speziell jene der Infibulation (LIFOS 16.4.2019, S.41f). Mit durch internationale Organisationen finanzierten Kampagnen wird landesweit gegen FGM angekämpft, auch einige Ministerien sind aktiv. UNFPA gibt an, dass 890 somalische Gemeinden zwischen 2014 und 2017 die Durchführung von FGM aufgegeben haben (LIFOS 16.4.2019, S.31). Der Staat und religiöse Führer haben wichtige Schritte gesetzt, um FGM zu kriminalisieren und auszurotten. Allerdings stellen Ineffizienz, Korruption und Nepotismus im Rechtsstaat bedeutende Hindernisse bei der Umsetzung dar. Außerdem gibt es nach wie vor religiöse Führer, die sich gegen ein Verbot der Sunna aussprechen (LIFOS 16.4.2019, S.41f). Auch Medien, Prominente und religiöse Persönlichkeiten werden in die Kampagnen eingebunden (CEDOCA 9.6.2016, S.24f).
Üblicherweise liegt die Entscheidung darüber, ob eine Beschneidung stattfinden soll, in erster Linie bei der Mutter (FIS 5.10.2018, S.30; vgl. CEDOCA 9.6.2016, S.17f). Es kann zu - teils sehr starkem - psychischem Druck auf eine Mutter kommen, damit eine Tochter beschnitten wird. Um eine Verstümmelung zu vermeiden, kommt es auf die Standhaftigkeit der Mutter an. Spricht sich auch der Kindesvater gegen eine Verstümmelung aus, und bleibt dieser standhaft, dann ist es leichter, dem psychischen Druck standzuhalten (DIS 1.2016, S.8ff). Nach anderen Angaben liegt es an den Eltern, darüber zu entscheiden, welche Form von FGM an der Tochter vorgenommen wird. Manchmal wird der Vater von der Mutter bei der Entscheidung übergangen; manchmal halten Großmütter oder andere weibliche Verwandte Mitsprache. In ländlichen Gebieten können Großmütter eher Einfluss ausüben (LIFOS 16.4.2019, S.25f/42f; vgl. FIS 5.10.2018, S.30). Dort ist es mitunter auch schwieriger, FGM in Frage zu stellen (FIS 5.10.2018, S.30f). Dass Mädchen ohne Einwilligung der Mutter von Verwandten einer FGM unterzogen werden, ist zwar nicht auszuschließen, aber unwahrscheinlich. Keine Quelle des Danish Immigration Service konnte einen derartigen Fall berichten (DIS 1.2016, S.10ff). Quellen der schwedischen COI-Einheit Lifos nennen als diesbezüglich annehmbare Ausnahme (theoretisch) den Fall, dass ein bei den Großeltern lebendes Kind von der Großmutter FGM zugeführt wird, ohne dass es dazu eine Einwilligung der Eltern gibt (LIFOS 16.4.2019, S.26). Gerade in Städten ist es heutzutage kein Problem mehr, sich einer Beschneidung zu widersetzen, und die Zahl unbeschnittener Mädchen steigt (FIS 5.10.2018, S.31).
Nach anderen Angaben wird eine Familie, die sich gegen FGM entschieden hat, versuchen, die Tatsache geheim zu halten. Behörden können diesbezüglich keinen Schutz gewährleisten (FIS 5.10.2018, S.30f).
Mitunter üben nicht beschnittene Mädchen selbst Druck auf Eltern aus, damit die Verstümmelung vollzogen wird (LIFOS 16.4.2019, S.42f/26). Die umfassende FGM in Form einer Infibulation stellt eine Art Garantie der Jungfräulichkeit bei der ersten Eheschließung dar. Die in der Gemeinde zirkulierte Information, wonach eine Frau nicht infibuliert ist, wirkt sich auf das Ansehen und letztendlich auf die Heiratsmöglichkeiten der Frau und anderer Töchter der Familie aus. Daher wird die Infibulation teils immer noch als notwendig erachtet (LIFOS 16.4.2019, S.38f). Die Akzeptanz unbeschnittener Frauen bzw. jener, die nicht einer Infibulation unterzogen wurden, hängt also maßgeblich von der Familie ab. Generell steht man ihnen in urbanen Gebieten eher offen gegenüber (LIFOS 16.4.2019, S.23). In der Stadt ist es kein Problem, zuzugeben, dass die eigene Tochter nicht beschnitten ist. Auf dem Land ist das anders (CEDOCA 9.6.2016, S.21). In größeren Städten ist es auch möglich, den unbeschnittenen Status ganz zu verbergen. Die Anonymität ist eher gegeben, die soziale Interaktion geringer; dies ist in Dörfern mitunter sehr schwierig (DIS 1.2016, S. 24/9; vgl. LIFOS 16.4.2019, S.39). Trotzdem gibt es sowohl in urbanen als auch in ländlichen Gebieten Eltern, die ihre Töchter nicht verstümmeln lassen (DIS 1.2016, S.9). Wird der unbeschnittene Status eines Mädchens bekannt, kann dies zu Hänseleien und zur Stigmatisierung führen (LIFOS 16.4.2019, S.39). Doch auch dabei gibt es Unterschiede zwischen Stadt und Land (CEDOCA 9.6.2016, S.21). Allerdings kommt es zu keinen körperlichen Untersuchungen, um den Status hinsichtlich einer vollzogenen Verstümmelung bei einem Mädchen festzustellen. Dies gilt auch für Rückkehrer aus dem Westen. In ländlichen Gebieten wird wahrscheinlich schneller herausgefunden, dass ein Mädchen nicht verstümmelt ist. Eine Mutter kann den Status ihrer Tochter verschleiern, indem sie vorgibt, dass diese einer Sunna unterzogen worden ist (DIS 1.2016, S.12f).
Im Jahr 2011 erhobene Zahlen für Puntland zeigen eine rückläufige FGM-Rate. In der Altersgruppe 45-49 waren 2011 97,8% der Frauen von irgendeiner Form von FGM betroffen, in jener von 15 bis 19 Jahren waren es 97,3%, in der Gruppe 10-14 waren es 82,3% (CEDOCA 9.6.2016, S.15). Die Infibulationsrate ist von 93,2% im Jahr 2005 auf 86,7% im Jahr 2011 zurückgegangen (CEDOCA 9.6.2016, S.10; vgl. LIFOS 16.4.2019, S.14). Im Jahr 2011 waren ca. 90% der über 25jährigen, 85,4% der 20-24jährigen und 79,7% der 15-19jährigen von einer Infibulation betroffen. Auch eine Studie aus dem Jahr 2015 zeigt, dass die Infibulationsrate in Puntland zurückgeht. Die Sunna (im Sinne einer moderaten Beschneidung der Klitoris) hingegen ist auf dem Vormarsch (CEDOCA 9.6.2016, S.10). Dennoch gaben bei der Studie im Jahr 2011 immer noch 58% der Befragten an, dass die Tradition der Infibulation beibehalten werden sollte (LIFOS 16.4.2019, S.18), 37% sprachen sich für eine Einstellung der Praxis aus (CEDOCA 9.6.2016, S.6). Dementgegen gaben bei einer puntländischen Studie im Jahr 2018 nur 65% der befragten Frauen an, selbst beschnitten zu sein; nur ein Drittel gab an, dass die eigene Tochter beschnitten sei (LIFOS 16.4.2019, S.20).
Mit dem noch nicht vom Parlament abgesegneten Sexual Offenses Act von Puntland würden Infibulation und Sunna verboten; allerdings ist im Gesetz kein Bestrafungsmechanismus angeführt (LIFOS 16.4.2019, S.29). Schon im Jahr 2013 veröffentlichten religiöse Führer und Akademiker eine Fatwa, wonach jede Form von FGM verboten ist (LIFOS 16.4.2019, S.29; vgl. CEDOCA 9.6.2016, S.22). Zusätzlich gibt es ein Dekret, dass Ärzten die Vornahme einer FGM verbietet. Insgesamt sind aber keine Schritte gegen Täter unternommen worden (LIFOS 16.4.2019, S.29).
Die Thematik der Reinfibulation (Wiederherstellung einer Infibulation, Wiederzunähen) betrifft jene Frauen und Mädchen, die bereits einer Infibulation unterzogen und später deinfibuliert wurden. Letzteres erfolgt z.B. im Rahmen einer Geburt, zur Erleichterung des Geschlechtsverkehrs (LIFOS 16.4.2019, S.35/12) oder aber z.B. auf Wunsch der Familie, wenn bei der Menstruation Beschwerden auftreten (LIFOS 16.4.2019, S.32).
Eine Reinfibulation kommt v.a. dann vor, wenn Frauen - üblicherweise noch vor der ersten Eheschließung - eine bestehende Jungfräulichkeit vorgeben wollen (DIS 1.2016, S.23). Obwohl es vor einer Ehe gar keine physische Untersuchung der Jungfräulichkeit gibt (LIFOS 16.4.2019, S.40f) kann es bei jungen Mädchen, die Opfer einer Vergewaltigung wurden oder welche vorehelichen Geschlechtsverkehr hatten, zu Druck oder Zwang seitens der Eltern kommen, sich eine Reinfibulation zu unterziehen (CEDOCA 13.6.2016, S.9). Vergewaltigungsopfer werden oft wieder zugenäht (TRF 27.2.2019).
Stellt nämlich der Ehemann in der Hochzeitsnacht fest, dass eine Deinfibulation bereits vorliegt, kann dies Folgen haben - bis hin zur sofortigen Scheidung. Letztere kann zu einer indirekten Stigmatisierung infolge von "Gerede" führen. Generell können zur Frage der Reinfibulation von vor der Ehe deinfibulierten Mädchen und jungen Frauen nur hypothetische Angaben gemacht werden, da z.B. den von der schwedischen COI-Einheit LIFOS befragten Quellen derartige Fälle überhaupt nicht bekannt waren (LIFOS 16.4.2019, S.40f).
Als weitere Gründe, warum sich Frauen für eine Reinfibulation im Sinne einer weitestmöglichen Verschließung entscheiden, werden in einer Studie aus dem Jahr 2015 folgende genannt: a) nach einer Geburt: Manche Frauen verlangen z.B. eine Reinfibulation, weil sie sich nach Jahren an ihren Zustand gewöhnt hatten und sich die geöffnete Narbe ungewohnt und unwohl anfühlt; b) manche geschiedene Frauen möchten als Jungfrauen erscheinen; c) Eltern von Vergewaltigungsopfern fragen danach; d) in manchen Bantu-Gemeinden in Süd-/Zentralsomalia möchten Frauen, deren Männer für längere Zeit von zu Hause weg sind, eine Reinfibulation als Zeichen der Treue (CEDOCA 9.6.2016, S.11).
Gesellschaftlich verliert die Frage einer Deinfibulation oder Reinfibulation nach einer Eheschließung generell an Bedeutung, da die Vorgabe der Reinheit/Jungfräulichkeit irrelevant geworden ist (LIFOS 16.4.2019, S.40). Für verheiratete oder geschiedene Frauen und für Witwen gibt es keinen Grund, eine Jungfräulichkeit vorzugeben (CEDOCA 13.6.2016, S.6).
Wird eine Frau vor einer Geburt deinfibuliert, kann es vorkommen, dass nach der Geburt eine Reinfibulation stattfindet. Dies obliegt i. d.R. der Entscheidung der betroffenen Frau (LIFOS 16.4.2019, S.40; vgl. CEDOCA 9.6.2016, S.26). Die Gesellschaft hat kein Problem damit, wenn eine Deinfibulation nach einer Geburt bestehen bleibt (CEDOCA 9.6.2016, S.26), und es gibt üblicherweise keinen Druck, sich einer Reinfibulation zu unterziehen. Viele Frauen fragen aber offenbar von sich aus nach einer (manchmal nur teilweisen) Reinfibulation (CEDOCA 13.6.2016, 9f). Ein derartiges Neu-Vernähen der Infibulation kann im ländlichen Raum vorkommen, ist in Städten eher unüblich (FIS 5.10.2018, S.29). Die Verbreitung variiert offenbar auch geographisch: Bei Studien an somalischen Frauen in Kenia haben sich 35 von 57 Frauen einer Reinfibulation unterzogen. Gemäß einer anderen Studie entscheiden sich in Puntland 95% der Frauen nach einer Geburt gegen eine Reinfibulation (CEDOCA 9.6.2016, S.13f).
Freilich kann es vorkommen, dass eine Frau - wenn sie z.B. physisch nicht in der Lage ist, eine Entscheidung zu treffen - auch gegen ihren Willen einer Reinfibulation unterzogen wird; die Entscheidung treffen in diesem Fall weibliche Verwandte oder die Hebamme. Es kann natürlich auch nicht völlig ausgeschlossen werden, dass Frauen durch Druck von Familie, Freunden oder dem Ehemann zu einer Reinfibulation gedrängt werden. Insgesamt hängt das Risiko eine Reinfibulation also zwar vom Lebensumfeld und der körperlichen Verfassung der Frau nach der Geburt ab, aber generell liegt die Entscheidung darüber bei ihr selbst. Sie kann sich nach der Geburt gegen eine Reinfibulation entscheiden. Es kommt in diesem Zusammenhang weder zu Zwang noch zu Gewalt (LIFOS 16.4.2019, S.40f). Keine der zahlreichen, von der schwedischen COI-Einheit LIFOS dazu befragten Quellen hat jemals davon gehört, dass eine deinfibulierte Rückkehrerin nach Somalia dort zwangsweise reinfibuliert worden wäre (LIFOS 16.4.2019, S.41).
Quellen:
-AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (4.3.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia
-AV - Africa's Voices (2017): Beliefs and practices of Somali citizens related to child protection and gender, URL, Zugriff 10.7.2019
-CEDOCA - Documentation and Research Department of the CGRS (Belgien) (13.6.2016): Somalië - Defibulatie en herinfibulatie bij geïnfibuleerde vrouwen in Zuid- en Centraal-Somalië
-CEDOCA - Documentation and Research Department of the CGRS (Belgien) (9.6.2016): Somalië - Vrouwelijke genitale verminking (VGV) in Somaliland en Puntland
-CNN / Jessica Neuwirth (11.10.2018): Opinion - Four girls under 10 have died recently from FGM, it's time to act, URL, Zugriff 22.1.2019
-DIS - Danish Immigration Service (Dänemark) (1.2016): South Central Somalia - Female Genital Mutilation/Cutting, URL, Zugriff 24.1.2019
-FIS - Finnish Immigration Service (Finnland) (5.10.2018): Somalia:
Fact-Finding Mission to Mogadishu and Nairobi, January 2018, URL, Zugriff 4.6.2019
-LIFOS - Lifos/Migrationsverket (Schweden) (16.4.2019): Somalia - Kvinnlig könsstympning (version 1.0), URL, Zugriff 30.4.2019
.BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 100 von 141
-STC - Safe the Children (9.2017): Changing Social Norms in Somalia:
Exploring the Role of Community Perception in FGM/C, Fact Sheet No. 6, URL, Zugriff 10.7.2019
-TRF - Thomson Reuters Foundation (27.2.2019): Somali refugee's fight against 'silent killer' of FGM inspires film, URL, Zugriff 13.3.2019
-USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Somalia, URL, Zugriff 18.3.2019
3. Beweiswürdigung:
Die Feststellung zur Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführer ergibt sich aus den diesbezüglich glaubhaften Angaben der Beschwerdeführer sowie aus deren somalischen Reisepässen. Ihre Identität steht demnach fest.
Das Datum der Antragstellungen und die Ausführungen zum Verfahrenslauf ergeben sich aus dem Akteninhalt.
Die Feststellungen zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer ergibt sich aus deren eigenen Angaben, und den Ausführungen in der Beschwerde.
Die Feststellung, dass an der Erst- und Drittbeschwerdeführerin noch keine Beschneidung durchgeführt wurde, ergibt sich aus der vorgelegten ärztlichen Bestätigungen vom 11.11.2019.
Die Feststellung zur Unbescholtenheit der Beschwerdeführer fußt auf den Auszügen aus dem Strafregister vom 26.11.2019.
Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.
4. Rechtliche Beurteilung:
4.1. Allgemeine Rechtsgrundlagen
Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Eine derartige Regelung wird in den einschlägigen Normen (VwGVG, BFA-VG, AsylG) nicht getroffen, weswegen gegenständlich Einzelrichterzuständigkeit vorliegt.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl.I Nr. 33/2013 idF BGBl. I Nr. 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Zu A) Asylgewährung:
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einer Fremden, die in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihr im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
Flüchtling im Sinne der Bestimmung ist demnach, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.
Zentraler Aspekt des Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. VwGH vom 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; vom 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; vom 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Es kommt mithin nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde.
Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre der Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen.
Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH vom 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; vom 25.01.2003, Zl. 2001/20/0011).
Für eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (vgl. VwGH vom 26.02.1997, Zl. 95/01/0454; vom 09.04.1997, Zl. 95/01/0555), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (vgl. VwGH vom 18.04.1996, Zl. 95/20/0239; vom 16.02.2000, Zl. 99/01/0097), sondern erfordert eine Prognose. Verfolgungshandlungen, die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können jedoch im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein (vgl. VwGH vom 09.03.1999, Zl. 98/01/0318).
Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn der Asylbescheid erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH vom 09.03.1999, Zl. 98/01/0318; vom 19.10.2000, Zl. 98/20/0233).
Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (vgl. VwGH vom 09.09.1993, Zl. 93/01/0284; vom 15.03.2001, Zl. 99/20/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes befindet.
Besteht für den Asylwerber die Möglichkeit, in einem Gebiet seines Heimatstaates, in dem er keine Verfolgung zu befürchten hat, Aufenthalt zu nehmen, so liegt eine inländische Fluchtalternative vor, welche die Asylgewährung ausschließt (vgl. VwGH vom 24.03.1999, Zl. 98/01/0352).
Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat zurechenbar sein (vgl. VwGH vom 16.06.1994, Zl. 94/19/0183; vom 18.02.1999, Zl. 98/20/0468).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH vom 28.03.1995, Zl. 95/19/0041; VwGH vom 27.06.1995, Zl. 94/20/0836; VwGH vom 23.07.1999, Zl. 99/20/0208; VwGH vom 21.09.2000, Zl. 99/20/0373; VwGH vom 26.02.2002, Zl. 99/20/0509 mwN; VwGH vom 12.09.2002, Zl. 99/20/0505 sowie VwGH vom 17.09.2003, Zl. 2001/20/0177) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. In beiden Fällen ist es der Verfolgten nicht möglich bzw. im Hinblick auf ihre wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes ihres Heimatlandes zu bedienen (vgl. VwGH vom 22.03.2000, Zl. 99/01/0256). Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann mithin nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (vgl. VwGH vom 22.03.2003, Zl. 99/01/0256 mwN).
Gemäß § 3 Abs. 4 ASylG 2005 kommt einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter zu. Die Aufenthaltsberechtigung gilt drei Jahre und verlängert sich um eine unbefristete Gültigkeitsdauer, sofern die Voraussetzungen für eine Einleitung eines Verfahrens zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten nicht vorliegen oder das Aberkennungsverfahren eingestellt wird. Bis zur rechtskräftigen Aberkennung des Status des Asylberechtigten gilt die Aufenthaltsberechtigung weiter. Mit Rechtskraft der Aberkennung des Status des Asylberechtigten erlischt die Aufenthaltsberechtigung.
In einem Familienverfahren gemäß § 34 Abs. 1 Z 1 gilt Abs. 4 mit der Maßgabe, dass sich die Gültigkeitsdauer der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach der Gültigkeitsdauer der Aufenthaltsberechtigung des Familienangehörigen, von dem das Recht abgeleitet wird, richtet (§ 3 Abs. 4b AsylG 2005).
Gemäß § 34 Abs. 4 AsylG 2005 hat die Behörde Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status der Asylberechtigten oder der subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Diese Bestimmungen gelten sinngemäß auch für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht (§ 34 Abs. 5 AsylG 2005).
Gemäß § 2 Abs. 1 Z. 22 AsylG 2005 ist Familienangehöriger, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegattin oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise bestanden hat, sowie der gesetzliche Vertreter der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, wenn diese minderjährig und nicht verheiratet ist, sofern dieses rechtserhebliche Verhältnis bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat.
Anwendung der Rechtsgrundlagen auf die gegenständliche Beschwerde:
Die Erst - und der Zweitbeschwerdeführer gaben übereinstimmend an, ihre Heimat wegen der Bedrohung durch den Krieg in Somalia 1991 verlassen zu haben, einem Minderheitenclan anzugehören und schiitisch-moslemischen Glaubens zu sein. Sie haben damit eine konkrete persönliche Verfolgung im Sinne der GFK nicht geltend gemacht. Es besteht nach den aktuellen Länderberichten für Angehörige einer Minderheit in Somalia aktuell keine Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung, wiewohl es zu Diskriminierungen kommt.
Zu den für die in Österreich geborene Drittbeschwerdeführerin geltend gemachten Gründen ist zu sagen, dass die potentielle Gefahr beschnitten zu werden, glaubwürdig ist.
Die Länderinformationen stellen fest, dass 90-98% der Mädchen und Frauen in Somalia Opfer einer weiblichen Genitalverstümmelung geworden sind, wobei 80% der Frauen und Mädchen der weitreichendsten Beschneidung, der Infibulation (Typ III), unterzogen werden.
Daher geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass in Somalia aktuell und landesweit mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit (siehe VwGH, 24.06.2010, 2007/01/1199) die Gefahr für unbeschnittene Mädchen und Frauen gegeben ist, Opfer eines Eingriffs von massiver Intensität in ihre körperliche und sexuelle Integrität, nämlich einer weiblichen Genitalverstümmelung, zu werden.
Dass weibliche Genitalverstümmelung an Mädchen in Somalia sogar ohne Einverständnis der Eltern vorgenommen werden kann, wurde in der mündlichen Verhandlung in einem hg. anhängigen Verfahren bestätigt (siehe BVwG, 05.06.2015, Zl. W221 1425725-1).
Erst kürzlich führte der Generalsekretär des Europarates, Thorbjørn Jagland, in einem Aufruf zur Unterzeichnung und Ratifizierung der sog. "Istanbul Konvention" ("The Council of Europe's Convention on Preventing and Combatting Violence Against Women and Domestic Violence") an, dass "harming girls in the way of FGM is an act of terrible violence and a serious abuse of a child¿s right to control her own body" (30.07.2015, http://www.coe.int/en/web/portal/-/thorbj-rn-jagland-women-s-safety-in-europe-has-been-strengthened-by-the-success-of-the-istanbul-convention-).
Die zuständige Richterin wertet eine FGM als eine schwere Misshandlung und schwere Körperverletzung mit lebenslangen Folgen für die betroffenen Mädchen und Frauen.
Die Drittbeschwerdeführerin ist eine weibliche Staatsangehörige Somalias, die in Österreich geboren wurde und noch nicht beschnitten ist. Sie fällt daher in jene bestimmte soziale Gruppe von Frauen und Mädchen, die in Somalia einem entsprechend hohen Risiko ausgesetzt sind, Opfer dieser Misshandlung zu werden.
Eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht nicht, da diese Praxis der weiblichen Genitalverstümmelung landesweit praktiziert wird. Selbst wenn man davon ausginge, dass die Praxis in Somaliland oder Puntland weniger weit verbreitet sei, geht aus den Berichten nicht ausreichend klar hervor, dass die Drittbeschwerdeführerin dort tatsächlich keinem maßgeblichen Risiko ausgesetzt wäre, Opfer einer solchen Misshandlung zu werden. Eine abschließende Prüfung der innerstaatlichen Fluchtalternative kann jedoch insbesondere vor dem Hintergrund entfallen, dass die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative im Widerspruch zum gewährten subsidiären Schutz stehen würde, weil § 11 die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nur erlaubt, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht gegeben sind (vgl. VwGH 13.11.2014, RA 2014/18/0011 bis 0016).
Das Bundesverwaltungsgericht geht im Einklang mit den Länderberichten außerdem nicht davon aus, dass zur Vermeidung einer solchen Misshandlung auf die Schutzwilligkeit oder -fähigkeit der somalischen Regierungskräfte zurückgegriffen werden könnte.
Da sich im Verfahren auch keine Hinweise auf Ausschlussgründe des § 6 AsylG 2005 ergeben haben, ist der Drittbeschwerdeführerin nach dem oben Gesagten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG ist diese Entscheidung mit der Aussage zu verbinden, dass ihr damit kraft