Entscheidungsdatum
04.04.2019Norm
AsylG 2005 §20Spruch
W256 2197222-1/5E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag. Caroline KIMM als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA Somalia, gegen den Spruchpunkt I. des Bescheids des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 2. Mai 2018, Zl. XXXX :
A) Der angefochtene Bescheid wird hinsichtlich Spruchpunkt I. gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang und Sachverhalt:
Die Beschwerdeführerin, eine somalische Staatsangehörige, stellte am 4. Jänner 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).
Im Zuge der am 5. Jänner 2016 erfolgten Erstbefragung durch eine Person männlichen Geschlechts unter Beiziehung eines männlichen Dolmetschers führte die Beschwerdeführerin zu ihren Fluchtgründen befragt (wortwörtlich wiedergegeben aus): "Mein Onkel wollte, dass ich einen alten Mann heirate. Ich habe mich geweigert und daraufhin hat mir mein Onkel mit einem heißen Metall eine Brandwunde zugefügt. Er sagte zu mir, dass ich diesen Mann heiraten müsse, ansonsten würde er mich umbringen."
Die Beschwerdeführerin wurde am 16. April 2018 von einem Organ der belangten Behörde unter Beiziehung eines männlichen Dolmetschers befragt. Dabei führte sie zu ihren Fluchtgründen befragt u.a. folgendes (wortwörtlich wiedergegeben) aus: "Ich sollte in Somalia mit einem älteren Mann zwischen 50 und 60 Jahren gegen meinen Willen verheiratet werden. Da ich diesen Mann nicht wollte, verließ ich Somalia."
Aus dem im Akt erliegenden Einvernahmeprotokoll geht nicht hervor, dass die Beschwerdeführerin im Hinblick auf ihre behauptete Zwangsverheiratung von der belangten Behörde auf die Möglichkeit der Beiziehung einer weiblichen Dolmetscherin hingewiesen worden ist. Die Beiziehung eines männlichen Dolmetschers wurde von ihr nicht verlangt.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.), der Status der subsidiär Schutzberechtigten wurde ihr dagegen zuerkannt (Spruchpunkt II.) und eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt III). Begründend führte die belangte Behörde - sofern hier wesentlich - aus, dass das Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerin insgesamt nicht glaubhaft sei, zumal der geltend gemachten Verfolgung durch den Onkel und damit durch eine Privatperson ohnedies keine Asylrelevanz zukäme.
Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheids richtet sich die vorliegende Beschwerde der Beschwerdeführerin. Darin wird - sofern hier wesentlich - vorgebracht, dass das Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerin zu Unrecht für unglaubhaft erklärt worden sei. Auch werde die Beschwerdeführerin im Übrigen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (Frau) asylrelevant verfolgt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchpunkt A)
Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat. Diese Vorgangsweise setzt nach § 28 Abs. 2 Ziffer 2 voraus, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
In seinem Erkenntnis vom 26. Juni 2014, Zl. Ro 2014/03/0063, hielt der Verwaltungsgerichtshof fest, dass eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG insbesondere dann in Betracht kommen wird, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. jüngst auch den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. Jänner 2017, Zl. Ra 2016/12/0109, Rz 18ff.).
Der angefochtene Bescheid ist aus folgendem Grund mangelhaft:
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
Gemäß § 20 Abs. 1 AsylG 2005 ist ein Asylwerber, wenn er seine Furcht vor Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) auf Eingriffe in seine sexuelle Selbstbestimmung gründet, von einem Organwalter desselben Geschlechts einzuvernehmen, es sei denn, dass er anderes verlangt. Von dem Bestehen dieser Möglichkeit ist der Asylwerber nachweislich in Kenntnis zu setzen.
In seinem Erkenntnis vom 19. Dezember 2007, Zl. 2005/20/0321 hat der Verwaltungsgerichtshof in Bezug auf die diesbezüglich inhaltsgleiche Vorgängerbestimmung des § 27 Abs. 3 AsylG 1997 ausgesprochen, dass Zweck dieser Bestimmung der Abbau von Hemmschwellen bei der Schilderung von Eingriffen in die sexuelle Selbstbestimmung sein soll, weshalb dementsprechend auch die Beiziehung eines Dolmetschers des gleichen Geschlechtes nach dieser Bestimmung geboten ist.
Wird ein Asylwerber dennoch von einer Person eines anderen Geschlechts bzw. unter Beiziehung eines Dolmetschers eines anderen Geschlechts einvernommen, [...] wird [das] vielfach als krasser Ermittlungsmangel zu qualifizieren sein, der eine Behebung gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG rechtfertigt, sofern die beweiswürdigenden Erwägungen wesentlich auf der betreffenden Einvernahme aufbauen [...] (Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht (2016) § 20 AsylG 2005, K3).
Im vorliegenden Fall hat sich die Beschwerdeführerin im Rahmen ihrer Erstbefragung und auch ihrer Einvernahme vor der belangten Behörde auf eine Zwangsverheiratung in Somalia und ihre darauffolgende Flucht und damit auf Gründe gestützt, die mit einem Eingriff in ihre sexuelle Selbstbestimmung in Zusammenhang stehen (siehe zum Eingriff in das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung betreffend eine Zwangsverheiratung das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 18. September 2015, E1003/2014, wonach bereits die Furcht vor einer Zwangsverheiratung ausreichend ist). Dass eine Verfolgung der Beschwerdeführerin aufgrund einer "Zwangsverheiratung" unter dem Gesichtspunkt einer geschlechtsspezifischen Verfolgung als Angehörige einer bestimmten sozialen Gruppe nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention asylrelevant sein kann, entspricht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa die Erkenntnisse vom 15. September 2010, 2008/23/0463, vom 4. März 2010, 2006/20/0832 sowie zuletzt vom 6. September 2018, Ra 2018/18/0027 u.a. betreffend Fälle der Zwangsverheiratung durch - wie auch im vorliegenden Fall - die Familie).
Dem dargestellten Zweck des § 20 Abs. 1 AsylG 2005 entsprechend, wäre die belangte Behörde daher gehalten gewesen, die Einvernahme der Beschwerdeführerin unter Beiziehung einer weiblichen Dolmetscherin durchzuführen, bzw. die Beschwerdeführerin über ihr diesbezügliches Recht zumindest in Kenntnis zu setzen. Die Beschwerdeführerin hat die Beiziehung eines männlichen Dolmetschers weder von der belangten Behörde verlangt, noch wurde sie vom Bestehen einer anderen Möglichkeit in der gesetzlichen normierten Form ausreichend in Kenntnis gesetzt.
Durch die Nichtbeachtung des § 20 Abs. 1 AsylG 2005 hat die belangte Behörde der Beschwerdeführerin aber die Möglichkeit genommen, über ihre Zwangsheirat ungezwungen und ohne Hemmungen zu erzählen. Es kann daher nicht zweifelsfrei festgestellt werden, ob die Beschwerdeführerin ausreichend Gelegenheit zur Darstellung der diesbezüglichen Gründe für ihren Aufenthalt außerhalb ihres Herkunftsstaates hatte, weshalb die gegenständliche Einvernahme zur Beurteilung des Sachverhaltes - wie von der belangten Behörde erfolgt - auch nicht herangezogen werden hätte dürfen. Die belangte Behörde hat daher völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt. Der maßgebliche Sachverhalt kann daher erst durch die (neuerliche) den Anforderungen des § 20 Abs. 1 AsylG 2005 entsprechende Einvernahme der Beschwerdeführerin sowie allenfalls durch die Vornahme weiterer, sich aus der neuen Einvernahme ergebenden, Ermittlungsschritte, wie Länderrecherchen, festgestellt werden.
Da die belangte Behörde völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt hat und der maßgebliche Sachverhalt somit nicht feststeht, war im Hinblick auf diese besonders gravierenden Ermittlungslücken eine Zurückverweisung erforderlich und auch gerechtfertigt (vgl. dazu den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. Oktober 2015, Zl. Ra 2015/09/0088).
Die belangte Behörde wird daher im fortgesetzten Verfahren angehalten, sich mit den dargestellten Fluchtgründen eingehend auseinanderzusetzen und dazu konkrete Ermittlungsschritte, sei es durch eine gezielte und den Anforderungen des § 20 Abs. 1 AsylG entsprechende Befragung, durch Einholung von entsprechenden Länderberichten oder durch weitere sich daraus ergebender Maßnahmen, zu setzen.
Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Ermittlung und Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann nicht im Sinne des Gesetzes liegen. Denn die belangte Behörde ist als Spezialbehörde im Rahmen der Staatendokumentation gemäß § 5 BFA-Einrichtungsgesetz für die Sammlung relevanter Tatsachen zur Situation in den betreffenden Staaten samt den Quellen zuständig. Überdies soll eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst beim Bundesverwaltungsgericht beginnen und zugleich enden.
Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - auch angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - nicht ersichtlich.
Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind daher im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben. Folglich war das Verfahren zur neuerlichen Entscheidung an die belangte Behörde zurückzuverweisen.
Eine mündliche Verhandlung konnte im vorliegenden Fall gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG unterbleiben, weil bereits aufgrund der Aktenlage feststand, dass die angefochtenen Bescheide "aufzuheben" waren. Dieser Tatbestand ist auch auf Beschlüsse zur Aufhebung und Zurückverweisung anwendbar (vgl. zur gleichartigen früheren Rechtslage Hengstschläger/Leeb, AVG [2007] § 67d Rz 22).
Zu Spruchpunkt B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist unzulässig, weil keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt: Dass eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG insbesondere dann in Betracht kommt, wenn die Verwaltungsbehörde bloß ungeeignete Ermittlungen gesetzt hat, entspricht der oben zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.
Schlagworte
Befragung, Ermittlungspflicht, Kassation, mangelndeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W256.2197222.1.01Zuletzt aktualisiert am
14.05.2020