TE Bvwg Beschluss 2019/5/27 W185 2218007-1

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Veröffentlicht am 27.05.2019
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Entscheidungsdatum

27.05.2019

Norm

AsylG 2005 §5
BFA-VG §21 Abs3 Satz 2
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W185 2218007-1/4E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gerhard PRÜNSTER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX alias XXXX , geb. XXXX alias XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.04.2019, Zl. 1223615900-190319135, beschlossen:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-Verfahrensgesetz idgF (BFA-VG) stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang

Der aus Afghanistan stammende nunmehrige Beschwerdeführer wurde aufgrund einer Einreiseverweigerung am 22.03.2019 von der deutschen Bundespolizei rückübernommen und in ein PAZ gebracht. Einer Eurodac-Treffermeldung zufolge hat der Beschwerdeführer am 25.10.2018 in Bulgarien um Asyl angesucht (BG1...).

Im Zuge der Befragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag gab der Beschwerdeführer zusammengefasst an, der Einvernahme ohne gesundheitliche Probleme folgen zu können. Der Beschwerdeführer sei am 20.03.2019 von Ungarn kommend schlepperunterstützt in Österreich eingereist. Sein Zielland sei Deutschland gewesen, da dort einer seiner Brüder aufhältig sei. In Österreich suche er nicht um Asyl an. Dem Beschwerdeführer seien in Bulgarien mit Gewalt die Fingerabdrücke abgenommen worden; um Asyl habe er dort aber nicht angesucht. Die Frage, ob der Beschwerdeführer seit Asylantragstellung das Gebiet der Mitgliedstaaten für mindestens drei Monate verlassen habe, wurde verneint. Er wolle enthaftet werden und selbständig zu seinem Bruder nach Deutschland weiterreisen.

Am 25.03.2019 richtete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein Wiederaufnahmeersuchen gemäß Art 18 Abs 1 lit b Dublin III-VO (iVm Art 24) an Bulgarien. Dies unter Bekanntgabe des Eurodac-Treffers mit Bulgarien und der Mitteilung, dass der Beschwerdeführer angegeben habe, seit Asylantragstellung in Bulgarien das Gebiet der Mitgliedstaaten nicht verlassen und in Österreich keinen Asylantrag gestellt zu haben.

Mit Schreiben vom 26.03.2019, beim Bundesamt eingelangt am 27.03.2019, stimmte Bulgarien der Wiederaufnahme des Beschwerdeführers nach Art 18 Abs 1 lit d Dublin III-VO ausdrücklich zu (AS71).

Am 27.03.2019 um 14.10 Uhr stellte der Beschwerdeführer im AHZ Vordernberg den vorliegenden Antrag auf internationalen Schutz.

Im Zuge seiner Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 28.03.2019 gab der Beschwerdeführer zusammengefasst an, in Österreich oder einem anderen EU-Staat keine Familienangehörigen zu haben. Er könne der Einvernahme ohne gesundheitliche Probleme folgen. Zum Reiseweg befragt, gab der Beschwerdeführer an, die Heimat vor ca einem Jahr mittels PKW verlassen zu haben; sein Zielland sei Österreich gewesen. Er sei über Pakistan, den Iran, die Türkei, Bulgarien, Serbien und Ungarn schließlich nach Österreich gelangt. Der Beschwerdeführer habe in Bulgarien Behördenkontakt und eine ED-Behandlung gehabt; er habe sich dort für ca 1 Monat in einem Lager in Sofia aufgehalten. In der Folge sei er nach Serbien weitergereist und habe sich dort etwa 10 Monate in einem Flüchtlingslager in Belgrad aufgehalten. In Serbien habe der Beschwerdeführer Behördenkontakt gehabt und sei erkennungsdienstlich behandelt worden. In Ungarn habe er dann zwar Kontakt mit der Polizei gehabt, sei jedoch nicht erkennungsdienstlich behandelt worden. In Bulgarien sei der Beschwerdeführer von der Polizei geschlagen worden, es sei ihm dabei die Nase gebrochen worden. Der Beschwerdeführer sei dort auch gezwungen worden, um Asyl anzusuchen. Zuerst sei er in einem geschlossenen, nach Asylantragstellung in einem offenen Lager untergebracht gewesen. Unterstützung für Flüchtlinge habe es dort nicht gegeben. Nach Bulgarien wolle der Beschwerdeführer nicht zurückkehren; über Ungarn, wo er sich etwa 5 Tage aufgehalten habe, könne er nicht viel sagen.

Am 04.04.2019 wurde der Beschwerdeführer in Anwesenheit eines Rechtsberaters (aber ohne vorherige Rechtsberatung) im AHZ Vordernberg einvernommen. Der Rechtsberater wurde offenkundig dazu angehalten, die Rechtsberatung nach der Einvernahme durch das Bundesamt im Zuge der Rückübersetzung nachzuholen. Der Beschwerdeführer gab in der Einvernahme im Wesentlichen an, sich physisch und psychisch in der Lage zu fühlen, die Fragen zu beantworten. Er leide bereits seit Afghanistan an Magenschmerzen; seit den Misshandlungen durch Polizisten in Bulgarien habe er auch Bauchschmerzen. Gegen die Magenschmerzen habe er hier Tabletten erhalten. In Österreich habe der Beschwerdeführer keine Verwandten, jedoch bereits Freunde. Er sei hier aber von niemandem abhängig; ein besonders enges Verhältnis bestünde zu niemandem. Die bisherigen Angaben, auch zum Reiseweg, würden der Wahrheit entsprechen. Über Vorhalt der Zuständigkeit Bulgariens und der mittlerweile eingelangten Zustimmung zur Übernahme, erklärte der Beschwerdeführer, dort von der Polizei sehr schlecht behandelt worden zu sein. Er sei in das Gesicht und in den Bauch geschlagen worden. Aufgrund der erlittenen Verletzung sei er bei einem Arzt gewesen, welcher ihm aber lediglich Tabletten verschrieben hätte; sonst sei er nicht behandelt worden. Den Vorfall habe er in Bulgarien einer Dame vom UNHCR berichtet; es sei dann jedoch nichts geschehen. Sonst habe es dort keine (weiteren) Vorfälle gegeben. In Bulgarien habe er sich insgesamt etwa einen Monat lang aufgehalten. Über Nachfrage seitens des Rechtsberaters, wohin der Beschwerdeführer nach seinem Aufenthalt in Bulgarien gereist sei, erklärte der Beschwerdeführer, dass er nach Serbien gereist sei. Dort habe er sich für 10 Monate in Belgrad aufgehalten. In Belgrad gebe es einen Park, der unter den Afghanen der "afghanische Park" genannt werde. Er sei in Serbien "registriert" worden und habe auch eine "Karte" bekommen. Die Karte habe er bei seiner Weiterreise nach Ungarn, wo er sich für fünf Tage aufgehalten habe, bevor er nach Österreich gekommen sei, jedoch nicht mitgenommen. In der Folge erklärte der Rechtsberater, dass die Zuständigkeit Bulgariens erloschen sei, da sich der Beschwerdeführer für mehr als 3 Monate außerhalb des Gebietes der Mitgliedstaaten, nämlich in Serbien, aufgehalten habe.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass für die Prüfung des gegenständlichen Antrages gemäß Art. 18 Abs 1 lit d Dublin III-VO Bulgarien zuständig sei (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 61 Abs 1 Fremdenpolizeigesetz (FPG) die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge dessen Abschiebung nach Bulgarien gemäß § 61 Abs 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkt II.).

Zusammengefasst wurde im Bescheid ausgeführt, dass die Identität des Beschwerdeführers nicht feststehe. Es könne nicht festgestellt werden, dass schwere psychische Störungen oder schwere Erkrankungen bestehen würden. Er sei nicht akut lebensbedrohlich erkrankt. Er leide an Magen- und Bauchschmerzen. In Bulgarien habe der Beschwerdeführer Tabletten gegen die Bauchschmerzen verschrieben erhalten. Asylwerber haben in Bulgarien denselben Zugang zu medizinischer Versorgung wie bulgarische Staatsbürger. In Österreich verfüge der Beschwerdeführer nicht über familiäre oder verwandtschaftliche Anknüpfungspunkte. Die Behörde übersehe nicht, dass in Bulgarien nach wie vor Verbesserungsbedarf bestünde. Eine Einzelfallprüfung ergebe jedoch, dass der Beschwerdeführer als junger, gesunder Mann nicht als vulnerabel anzusehen sei und als Dublin-Rückkehrer Zugang zum Asylverfahren und einer ausreichenden Versorgung haben werde; eine Überstellung sei nach dem Gesagten möglich. Bei allfälligen Problemen könne man sich auch an NGO-s wenden, was der Beschwerdeführer offenbar auch gemacht habe. Als Rückkehrer mit vorherigem Behördenkontakt sei nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer mit Übergriffen seitens der bulgarischen Polizei zu rechnen hätte. Es bestünde kein Grund, an der grundsätzlichen Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit der bulgarischen Sicherheitskräfte zu zweifeln. Die Verhängung von Schubhaft sei nur in dem gesetzlich vorgesehenen Rahmen zulässig. Die Regelvermutung des § 5 Abs 3 AsylG habe nicht erschüttert werden können. Ein zwingender Anlass für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts habe sich nicht ergeben. Bulgarien habe am 27.03.2019 der Übernahme des Beschwerdeführers nach Art 18 Abs 1 lit d Dublin III-VO ausdrücklich zugestimmt. In der Einvernahme vor der LPD am 22.03.2019 als Fremder habe der nunmehrige Beschwerdeführer explizit verneint, nach Asylantragstellung (in Bulgarien) das Gebiet der Mitgliedstaaten für mehr als 3 Monate wieder verlassen zu haben. In der Erstbefragung im AHZ Vordernberg am 28.03.2019 habe der Beschwerdeführer zu seinem Reiseweg befragt angegeben, sich nach seinem Aufenthalt in Bulgarien für 10 Monate in Serbien aufgehalten zu haben. In der Einvernahme vor dem Bundesamt am 04.04.2019 sei er vom Rechtsberater zu seinem Aufenthalt in Serbien befragt worden (Registrierungskarte des serbischen Staates). Hiezu sei festzuhalten, dass aufgrund der Angaben des Beschwerdeführers bzw jener des Rechtsberaters nicht nachvollziehbar von einem mehr als dreimonatigen Aufenthalt außerhalb der EU-Staaten ausgegangen werden könne. Die Asylantragstellung des Beschwerdeführers sei nachweislich am 25.10.2018 erfolgt. Den angeführten einmonatigen Aufenthalt in Bulgarien und die Einreise in Österreich am 22.03.2019 einberechnend komme man niemals auf eine zehnmonatige Aufenthaltsdauer in Serbien. Erschwerend komme hiezu, dass der Beschwerdeführer etwaige Beweismittel aus Serbien (Registrierungskarte) nicht vorlegen könne, da er diese seinen eigenen Angaben zufolge in Serbien zurückgelassen habe.

Gegen den Bescheid richtet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde, in der soweit entscheidungswesentlich zusammengefasst vorgebracht wurde, dass der Beschwerdeführer bei der Erstbefragung am 28.03.2019 und bei der Einvernahme vor dem Bundesamt am 04.04.2019 übereinstimmend angegeben habe, nach Asylantragstellung in Bulgarien für ca 10 Monate in Serbien gewesen zu sein. Überdies habe die verpflichtende Rechtsberatung, welche vor der Einvernahme zu erfolgen habe, nicht stattgefunden habe. Auch nach Kenntnis der fehlenden Rechtsberatung habe die belangte Behörde dem Beschwerdeführer nicht die Möglichkeit eingeräumt, diese noch vor der Einvernahme durchzuführen; auch die von der Behörde eingeräumte nachträgliche Rechtsberatung im Zuge der Rückübersetzung der Niederschrift, sei nicht gewährt worden. Der Bescheid unterliege somit einem erheblichen Formfehler und sei rechtswidrig. Als Folgeantragsteller drohe dem Beschwerdeführer im Fall einer Überstellung nach Bulgarien Kettenabschiebung und unmenschliche Behandlung iSd Art 3 EMRK. Entgegen der nicht näher begründeten Ansicht des Bundesamtes habe der Beschwerdeführer nach seiner (mit polizeilicher Gewalt erzwungenen) Asylantragstellung in Bulgarien das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten für mehr als 3 Monate verlassen. Zwar habe der Beschwerdeführer angegeben, 10 Monate in Serbien gewesen zu sein, was laut Zeitrechnung nicht möglich sei; die Angaben zur Zeitdauer seien offenkundig den Auswirkungen der langen, psychisch belastenden Reise geschuldet. Trotz dieser zeitlichen Diskrepanzen sei jedoch ein Aufenthalt in Serbien in der Dauer von über 3 Monaten möglich. Der Beschwerdeführer habe sich nach eigene Angaben einen Monat lang in Bulgarien aufgehalten. Es sei davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer somit Ende November 2018 nach Serbien gekommen sei; da der Beschwerdeführer am 22.03.2019 in Österreich eingereist sei, sei sohin ein Aufenthalt des Beschwerdeführers in Serbien von knapp 4 Monaten nachvollziehbar. Das Bundesamt habe ein grob mangelhaftes Konsultationsverfahren geführt, da es Bulgarien nicht über die Angaben des Beschwerdeführers zu dessen ca 4 Monate dauernden Aufenthalt in Serbien informiert habe. Der Beschwerdeführer sei seitens des Bundesamtes nicht näher zu seinem Aufenthalt in Serbien befragt worden und somit nicht in der Lage gewesen, ausführliche Angaben hiezu zu erstatten. In der Folge habe das Bundesamt auch nicht ausführliche und nachprüfbare Erklärungen des Beschwerdeführers an die bulgarischen Behörden übermitteln können, weshalb Bulgarien nicht in die Lage versetzt worden wäre, seine Zuständigkeit in voller Kenntnis der Sachlage zu prüfen. Der Beschwerdeführer habe sich in einem Lager in Belgrad aufgehalten. Er sei dort registriert worden und habe auch eine Karte erhalten. Anschließend habe er in der Nähe eines Parks in Belgrad gelebt, welcher aufgrund der Anwesenheit vieler Afghanen dort mittlerweile "afghanischer Park" genannt werde. Es wäre der belangten Behörde jedenfalls zumutbar gewesen, eine Anfrage an die serbischen Behörden zu stellen und die Angaben des Beschwerdeführers zur Abnahme der Fingerabdrücke sowie zur Registrierung zu überprüfen. In der Folge wäre ersichtlich geworden, dass sich der Beschwerdeführer für mehrere Monate in Serbien aufgehalten habe. Die Zuständigkeit Bulgariens sei gemäß Art 19 Abs 2 Dublin III-VO erloschen; da für ein etwaiges Konsultationsverfahren mit Ungarn bereits alle Fristen abgelaufen seien, liege nunmehr eine Zuständigkeit Österreichs vor.

Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 03.05.2019 wurde der Beschwerde gem. § 17 Abs. 1 BFA-VG aufschiebende Wirkung zuerkannt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zu A) Stattgebung der Beschwerde:

Die maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005) lauten:

§ 5 (1) Ein nicht gemäß §§ 4 oder 4a erledigter Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Eine Zurückweisung des Antrages hat zu unterbleiben, wenn im Rahmen einer Prüfung des § 9 Abs. 2 BFA-VG festgestellt wird, dass eine mit der Zurückweisung verbundene Anordnung zur Außerlandesbringung zu einer Verletzung von Art. 8 EMRK führen würde.

...

(3) Sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesamt oder beim Bundesverwaltungsgericht offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, ist davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.

§ 21 Abs. 3 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) idgF lautet:

§ 21 (3) Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesamtes

im Zulassungsverfahren stattzugeben, ist das Verfahren zugelassen.

Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.

Die maßgeblichen Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO) lauten:

"Art. 3 Verfahren zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz

(1) Die Mitgliedstaaten prüfen jeden Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird.

(2) Lässt sich anhand der Kriterien dieser Verordnung der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen, so ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig.

Erweist es sich als unmöglich, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen, so setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat, die Prüfung der in Kapitel III vorgesehenen Kriterien fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann.

Kann keine Überstellung gemäß diesem Absatz an einen aufgrund der Kriterien des Kapitels III bestimmten Mitgliedstaat oder an den ersten Mitgliedstaat, in dem der Antrag gestellt wurde, vorgenommen werden, so wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat.

(3) Jeder Mitgliedstaat behält das Recht, einen Antragsteller nach Maßgabe der Bestimmungen und Schutzgarantien der Richtlinie 32/2013/EU in einen sicheren Drittstaat zurück- oder auszuweisen.

Art. 7 Rangfolge der Kriterien

(1) Die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats finden in der in diesem Kapitel genannten Rangfolge Anwendung.

(2) Bei der Bestimmung des nach den Kriterien dieses Kapitels zuständigen Mitgliedstaats wird von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt.

(3) Im Hinblick auf die Anwendung der in den Artikeln 8, 10 und 6 (Anmerkung: gemeint wohl 16) genannten Kriterien berücksichtigen die Mitgliedstaaten alle vorliegenden Indizien für den Aufenthalt von Familienangehörigen, Verwandten oder Personen jeder anderen verwandtschaftlichen Beziehung des Antragstellers im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats, sofern diese Indizien vorgelegt werden, bevor ein anderer Mitgliedstaat dem Gesuch um Aufnahme- oder Wiederaufnahme der betreffenden Person gemäß den Artikeln 22 und 25 stattgegeben hat, und sofern über frühere Anträge des Antragstellers auf internationalen Schutz noch keine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist.

Artikel 13 Einreise und/oder Aufenthalt

(1) Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 22 Absatz 3 dieser Verordnung genannten Verzeichnissen, einschließlich der Daten nach der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 festgestellt, dass ein Antragsteller aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig. Die Zuständigkeit endet zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts.

(2) Ist ein Mitgliedstaat nicht oder gemäß Absatz 1 dieses Artikels nicht länger zuständig und wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 22 Absatz 3 genannten Verzeichnissen festgestellt, dass der Antragsteller - der illegal in die Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten eingereist ist oder bei dem die Umstände der Einreise nicht festgestellt werden können - sich vor der Antragstellung während eines ununterbrochenen Zeitraums von mindestens fünf Monaten in einem Mitgliedstaat aufgehalten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.

Hat sich der Antragsteller für Zeiträume von mindestens fünf Monaten in verschiedenen Mitgliedstaaten aufgehalten, so ist der Mitgliedstaat, wo er sich zuletzt aufgehalten hat, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.

Artikel 18 Pflichten des zuständigen Mitgliedstaats

(1) Der nach dieser Verordnung zuständige Mitgliedstaat ist verpflichtet:

a) einen Antragsteller, der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat, nach Maßgabe der Artikel 21, 22 und 29 aufzunehmen;

b) einen Antragsteller, der während der Prüfung seines Antrags in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen;

c) einen Drittstaatsangehörigen oder einen Staatenlosen, der seinen Antrag während der Antragsprüfung zurückgezogen und in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen;

d) einen Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, dessen Antrag abgelehnt wurde und der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen.

(2) Der zuständige Mitgliedstaat prüft in allen dem Anwendungsbereich des Absatzes 1 Buchstaben a und b unterliegenden Fällen den gestellten Antrag auf internationalen Schutz oder schließt seine Prüfung ab.

Hat der zuständige Mitgliedstaat in den in den Anwendungsbereich von Absatz 1 Buchstabe c fallenden Fällen die Prüfung nicht fortgeführt, nachdem der Antragsteller den Antrag zurückgezogen hat, bevor eine Entscheidung in der Sache in erster Instanz ergangen ist, stellt dieser Mitgliedstaat sicher, dass der Antragsteller berechtigt ist, zu beantragen, dass die Prüfung seines Antrags abgeschlossen wird, oder einen neuen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen, der nicht als Folgeantrag im Sinne der Richtlinie 2013/32/EU behandelt wird.

In diesen Fällen gewährleisten die Mitgliedstaaten, dass die Prüfung des Antrags abgeschlossen wird. In den in den Anwendungsbereich des Absatzes 1 Buchstabe d fallenden Fällen, in denen der Antrag nur in erster Instanz abgelehnt worden ist, stellt der zuständige Mitgliedstaat sicher, dass die betreffende Person die Möglichkeit hat oder hatte, einen wirksamen Rechtsbehelf gemäß Artikel 46 der Richtlinie 2013/32/EU einzulegen.

Artikel 19 Übertragung der Zuständigkeit

(1) Erteilt ein Mitgliedstaat dem Antragsteller einen Aufenthaltstitel, so obliegen diesem Mitgliedstaat die Pflichten nach Artikel 18 Absatz 1.

(2) Die Pflichten nach Artikel 18 Absatz 1 erlöschen, wenn der zuständige Mitgliedstaat nachweisen kann, dass der Antragsteller oder eine andere Person im Sinne von Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe c oder d, um dessen/deren Aufnahme oder Wiederaufnahme er ersucht wurde, das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten für mindestens drei Monate verlassen hat, es sei denn, die betreffende Person ist im Besitz eines vom zuständigen Mitgliedstaat ausgestellten gültigen Aufenthaltstitels.

Ein nach der Periode der Abwesenheit im Sinne des Unterabsatzes 1 gestellter Antrag gilt als neuer Antrag, der ein neues Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats auslöst.

...

Artikel 24 Wiederaufnahmegesuch, wenn im ersuchenden Mitgliedstaat kein neuer Antrag gestellt wurde

(1) Ist ein Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet sich eine Person im Sinne des Artikel 18 Absatz 1 Buchstaben b, c oder d ohne Aufenthaltstitel aufhält und bei dem kein neuer Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, der Auffassung, dass ein anderer Mitgliedstaat gemäß Artikel 20 Absatz 5 und Artikel 18 Absatz 1 Buchstaben b, c oder d zuständig ist, so kann er den anderen Mitgliedstaat ersuchen, die Person wieder aufzunehmen.

(2) Beschließt ein Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet sich eine Person ohne Aufenthaltstitel aufhält, in Abweichung von Artikel 6 Absatz 2 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger eine Abfrage der Eurodac-System gemäß Artikel 17 der Verordnung (EU) Nr. 603/2013, so ist das Gesuch um Wiederaufnahme einer Person im Sinne des Artikels 18 Absatz 1 Buchstaben b oder c dieser Verordnung oder einer Person im Sinne ihres Artikels 18 Absatz 1 Buchstabe d, deren Antrag auf internationalen Schutz nicht durch eine endgültige Entscheidung abgelehnt wurde, so bald wie möglich, auf jeden Fall aber innerhalb von zwei Monaten nach Erhalt der Eurodac-Treffermeldung im Sinne von

Artikel 17 Absatz 5 der Verordnung (EU) Nr 603/2013 zu unterbreiten.

Stützt sich das Wiederaufnahmegesuch auf andere Beweismittel als Angaben aus dem Eurodac-System, ist es innerhalb von drei Monaten, nachdem der ersuchende Mitgliedstaat festgestellt hat, dass ein anderer Mitgliedstaat für die betreffende Person zuständig sein könnte, an den ersuchten Mitgliedstaat zu richten.

(3) Wird das Wiederaufnahmegesuch nicht innerhalb der in Absatz 2 genannten Frist unterbreitet, so gibt der Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet sich die betreffende Person ohne Aufenthaltstitel aufhält, dieser Person Gelegenheit, einen neuen Antrag zu stellen.

(4) Hält sich eine Person im Sinne von Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe d dieser Verordnung, deren Antrag auf internationalen Schutz in einem Mitgliedstaat durch eine rechtskräftige Entscheidung abgelehnt wurde, ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates auf, so kann der letzte Mitgliedstaat den früheren Mitgliedstaat entweder um Wiederaufnahme der betreffenden Person ersuchen oder ein Rückkehrverfahren gemäß der Richtlinie 2008/115/EG durchführen.

Beschließt der letzte Mitgliedstaat, den früheren Mitgliedstaat um Wiederaufnahme der betreffenden Person zu ersuchen, so finden die Bestimmungen der Richtlinie 2008/115/EG keine Anwendung.

(5) Für das Gesuch um Wiederaufnahme der Person im Sinne des Artikels 18 Absatz 1 Buchstaben b, c und d ist ein Standardformblatt zu verwenden, das Beweismittel oder Indizien im Sinne der beiden Verzeichnisse nach Artikel 22 Absatz 3 und/oder sachdienliche Angaben aus der Erklärung der Person enthalten muss, anhand deren die Behörden des ersuchten Mitgliedstaats prüfen können, ob ihr Staat auf Grundlage der in dieser Verordnung festgelegten Kriterien zuständig ist.

Die Kommission erstellt und überprüft regelmäßig im Wege von Durchführungsrechtsakten die beiden Verzeichnisse, in denen sachdienliche Beweiselemente und Indizien nach Maßgabe der in Artikel 22 Absatz 3 Buchstaben a und b festgelegten Kriterien angegeben werden, und erlässt einheitliche Bedingungen für die Erstellung und Übermittlung von Wiederaufnahmegesuchen. Diese Durchführungsrechtsakte werden gemäß dem in Artikel 44 Absatz 2 genannten Prüfverfahren erlassen.

Durchführungsverordnung (EU) Nr 118/2014 der Kommission vom30.

Januar 2014 (DVO):

Artikel 2 Stellen eines Wiederaufnahmegesuchs

Ein Wiederaufnahmegesuch wird mithilfe eines Formblatts entsprechende dem Muster in Anhang III, aus dem die Art und die Gründe für das Gesuch sowie die Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates hervorgehen, auf die sich das Gesuch stützt, gestellt. Dem Gesuch sind gegebenenfalls folgende Unterlagen beizufügen:

a) Eine Kopie aller Beweismittel und Indizien, die auf die Zuständigkeit des ersuchten Mitgliedstaats für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz hinweisen, gegebenenfalls ergänzt durch Anmerkungen zu den Umständen ihrer Erlangung bzw zu der Beweiskraft, die ihnen der ersuchende Mitgliedstaat unter Bezugnahme auf die in Artikel 22 Absatz 3 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 genannten Verzeichnisse der Beweismittel und Indizien, die in Anhang II der vorliegenden Verordnung enthalten sind, zumisst;

b) Das von der Eurodac-Zentraleinheit gemäß Artikel 4 Absatz 5 der Verordnung (EG) Nr 2725/2000 übermittelte positive Ergebnis des Vergleichs der Fingerabdrücke des Antragstellers mit früheren Abdrücken, die der Zentraleinheit gemäß Artikel 4 Absätze 1 und 2 der genannten Verordnung übermittelt und gemäß Artikel 4 Absatz 6 derselben Verordnung geprüft wurden.

Artikel 4 Behandlung eines Wiederaufnahmegesuchs

Stützt sich ein Wiederaufnahmegesuch auf Daten, die die Eurodac-Zentraleinheit zur Verfügung gestellt und die der ersuchende Mitgliedstaat nach Maßgabe von Artikel 4 Absatz 6 der Verordnung (EG) 2725/2000 geprüft hat, erkennt der ersuchte Mitgliedstaat seine Zuständigkeit an, sofern die von ihm durchgeführten Überprüfungen nicht ergeben haben, dass seine Zuständigkeit gemäß Artikel 4 Absatz 5 Unterabsatz 2 bzw Artikel 16 Absätze 2, 3 oder 4 der Verordnung (EG) Nr 343/2003 erloschen ist. Das Erlöschen der Zuständigkeit nach diesen Bestimmungen kann ausschließlich aufgrund von Tatsachenbeweisen oder umfassenden und nachprüfbaren Erklärungen des Asylwerbers geltend gemacht werden.

§ 28 Abs. 1 bis 3 VwGVG lautet wie folgt:

"§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist."

Das Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraus. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener der Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013), § 28 VwGVG, Anm. 11).

§ 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich im seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet:

Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht komme nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 1 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies wird jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt. Der Verfassungsgesetzgeber habe sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I 51, davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden haben, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen ist. Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stelle die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis stehe diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht).

Ebenso hat der Verfassungsgerichtshof vielfach ausgesprochen, dass willkürliches Verhalten einer Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, dann anzunehmen ist, wenn in einem entscheidenden Punkt jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen wird oder ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren gar nicht stattfindet, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteienvorbringens oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (vgl. VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001). Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (vgl. VfSlg. 13.302/1992 m. w. N., 14.421/1996, 15.743/2000).

Die Behörde hat die Pflicht, für die Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhaltes erforderlichen Beweise zu sorgen und auf das Parteivorbringen, soweit es für die Feststellung des Sachverhaltes von Bedeutung sein kann, einzugehen. Die Behörde darf sich über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründung hinwegsetzen (vgl. Erkenntnis des VwGH v. 10.04.2013, Zl. 2011/08/0169 sowie dazu Walter/Thienel, Verwaltungsverfahren Band I2, E 84 zu § 39 AVG).

Die gegenständliche Entscheidung des Bundesamtes ist auf Basis eines insgesamt qualifiziert mangelhaften Verfahrens ergangen, weshalb eine Behebung nach § 21 Abs 3 2. Satz BFA-VG zu erfolgen hatte.

Unstrittig suchte der Beschwerdeführer am 25.10.2018 in Bulgarien um internationalen Schutz an und hielt sich dort für ca 1 Monat in diversen Flüchtlingslagern auf, bevor er Bulgarien verlassen hat und (nach eigenen Angaben) über Serbien und Ungarn illegal nach Österreich gelangt ist. Die Einreise in Österreich erfolgte nach einer Einreiseverweigerung seitens Deutschlands spätestens am 22.03.2019. Um Asyl in Österreich suchte der Beschwerdeführer zu diesem Zeitpunkt nicht an. Im Zuge der Befragung vor einer LPD erklärte der Beschwerdeführer, nach seiner Asylantragstellung in Bulgarien das Gebiet der Mitgliedstaaten nicht für mindestens drei Monate wieder verlassen zu haben.

Im Hinblick auf die vorliegende Eurodac-Treffermeldung der Kategorie 1 zu Bulgarien und den Angaben des Beschwerdeführers, seit seiner Asylantragstellung das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaten nicht wieder verlassen zu haben, richtete das Bundesamt am 25.03.2019 ein entsprechendes Wiederaufnahmegesuch gemäß Art 18 Abs 1 lit b iVm Art 24 Dublin III-VO an Bulgarien. Mit Schreiben vom 26.03.2019, beim Bundesamt eigelangt am 27.03.2019, stimmte Bulgarien der Wiederaufnahme des Beschwerdeführers gemäß Art 18 Abs 1 lit d Dublin III-VO ausdrücklich zu.

Am 27.03.2019 stellte der Beschwerdeführer dann im AHZ Vordernberg den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Im Zuge der Befragungen gab er an, sich in Bulgarien für ca 1 Monat in einem Lager in Sofia aufgehalten zu haben. In der Folge sei er nach Serbien weitergereist und habe sich dort etwa 10 Monate in einem Flüchtlingslager in Belgrad aufgehalten. In Serbien habe der Beschwerdeführer Behördenkontakt gehabt und sei erkennungsdienstlich behandelt worden. Er sei in Serbien registriert worden und habe dort auch "eine Karte bekommen", welche er dort jedoch zurückgelassen habe. Nachweise oder Belege für eine Einreise bzw einen längeren Aufenthalt in Serbien konnte der Beschwerdeführer nicht vorlegen.

Von der Asylantragstellung in Österreich am 27.03.2019 und den Ausführungen des Beschwerdeführers zu seinem angeblichen (zehnmonatigen) Aufenthalt in Serbien wurden die bulgarischen Behörden nicht in Kenntnis gesetzt.

Das Bundesamt ist ursprünglich grundsätzlich zu Recht von einer Zuständigkeit Bulgariens ausgegangen und hat sich Bulgarien auch ausdrücklich zur Wiederaufnahme des Beschwerdeführers nach Art 18 Abs 1 lit d Dublin III-VO bereit erklärt; die Zustimmung Bulgariens erging jedoch in Unkenntnis der Antragstellung des Beschwerdeführers in Österreich und dessen Behauptung, nach Asylantragstellung in Bulgarien das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten für mehr als drei Monate wieder verlassen zu haben. Die bulgarischen Behörden waren somit im Zeitpunkt ihrer Entscheidung (Anm. 26.03.2019) nicht in der Lage, ein allfälliges Vorliegen eines Zuständigkeitsbeendigungstatbestandes beurteilen zu können und den erforderlichen Nachweis hiezu zu erbringen (vgl Art 19 Abs 2 Dublin III-VO). Da die entsprechende Beweislast beim ersuchten Mitgliedstaat liegt, ergibt sich bereits aus dem allgemeinen Gebot der Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten, dass ein Art 19 Abs 2 Dublin III-VO relevantes Vorbringen dem ersuchten Mitgliedstaat zu übermitteln ist (Filzwieser/Sprung, Dublin III-Verordnung, K9 und K10 zu Art 19).

Ein relevanter Verfahrensmangel im Sinne der oben angeführten höchstgerichtlichen Judikatur ist der Behörde auch unterlaufen, indem diese Ermittlungen zum vom Beschwerdeführer behaupteten mehr als dreimonatigen Verlassen des Hoheitsgebietes der Mitgliedstaaten nach Asylantragstellung in Bulgarien zur Gänze unterlassen hat. Zwar verkennt das Bundesverwaltungsgericht nicht, dass es nicht unüblich ist, eine "subjektiv unerwünschte Zuständigkeit" eines bestimmten Mitgliedstaates durch die Behauptung, das Gebiet der Mitgliedstaaten für mehr als 3 Monate verlassen zu haben, aushebeln zu wollen und auch es grundsätzlich beim Antragsteller liegt, Nachweise oder Belege, welche seine Ausführungen stützen könnten, beizubringen. Dennoch wäre die Behörde gegenständlich gehalten gewesen, den Beschwerdeführer konkret und zielgerichtet zu den genauen Umständen des behaupteten Aufenthaltes in Serbien (etwa zum Einreisedatum, zur Registrierung, zur Unterbringung, zum tatsächlichen Aufenthalt, zur erhaltenen "Karte", zum Ausreisedatum etc) zu befragen und allfällig auch bei den serbischen Behörden entsprechende Erkundigungen (hinsichtlich der behaupteten Registrierung, der ausgestellten Karte, Lagerunterkunft) einzuholen bzw Nachweise zu beschaffen. Der ersuchende Mitgliedstaat ist gehalten, zu dieser Frage eine umfassende Anhörung des Antragstellers durchzuführen (siehe auch Filzwieser/Sprung, Dublin III-Verordnung, K2 zu Art 4 der Durchführungsversordnung). Eine solche Befragung bzw Erörterung hat aber zweifellos nicht stattgefunden (siehe Niederschrift der Einvernahme vor dem Bundesamt am 04.04.2019, AS 197 bis 207). Die Behörde hat es vielmehr dabei bewenden lassen, im Bescheid durch Heranziehung der bekannten Zeitdaten rechnerisch auszuschließen, dass sich der Beschwerdeführer - wie von ihm behauptet - 10 Monate in Serbien aufgehalten hat. Aus den bekannten und auch vom Bundesamt herangezogenen Zeitdaten ergibt sich jedoch auch, dass ein etwa viermonatiger Aufenthalt des Beschwerdeführers in Serbien nicht ausgeschlossen werden kann, was gemäß Art 19 Abs 2 Dublin III-VO zu einer Beendigung der Zuständigkeit Bulgariens und einer Zuständigkeit Österreichs führen würde. Die Beschwerde zeigt die Verfahrensmängel auch auf und verweist auch zutreffend auf die Entscheidung des EuGH vom 7.6.2016, C-155/15, Karim.

Aus der Aktenlage ist nicht ersichtlich bzw ergibt sich aus den getroffenen Feststellungen des Bescheides zur Zuständigkeit nicht nachvollziehbar, ob eine Zuständigkeit Bulgariens besteht ist oder ob eine solche aufgrund eines mindestens dreimonatigen ununterbrochenen Aufenthalts außerhalb des Gebiets der Mitgliedstaaten etwa zwischenzeitig erloschen ist. Dem Bundesverwaltungsgericht ist eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Bundesamtes auf der vorliegenden Faktenlage nicht möglich. In diesem Zusammenhang bleibt festzuhalten, dass es auch nicht als im Interesse der Raschheit, der Kostenersparnis und der Zweckmäßigkeit als geboten anzusehen ist, dass das erkennende Gericht die fehlenden Ermittlungsschritte selbst durchführt, um den maßgeblichen Sachverhalt festzustellen. Vielmehr wird das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im fortgesetzten Verfahren den maßgeblichen Sachverhalt - allenfalls unter neuerlicher Einvernahme des Beschwerdeführers - zu ermitteln und, unter Wahrung des Rechts des Parteiengehörs, auch eine ordnungsgemäße Rechtsberatung sicherzustellen haben.

Dem angefochtenen Bescheid haften nach dem Gesagten Ermittlungs- bzw Feststellungsmängel an, deren Beseitigung erforderlich ist, um überprüfen zu können, ob eine Zuständigkeit Bulgariens weiterhin besteht oder ob diese etwa zwischenzeitig untergegangen sein könnte.

Da der maßgebliche Sachverhalt noch nicht feststeht, war der angefochtene Bescheid zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt zurückzuverweisen.

Eine mündliche Verhandlung konnte gem. § 21 Abs. 6a und 7 BFA-VG idgF unterbleiben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Im Übrigen trifft § 21 Abs. 3 BFA-VG eine klare, im Sinne einer eindeutigen, Regelung (vgl. OGH 22.03.1992, 5Ob105/90), weshalb keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vorliegt.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, individuelle
Verhältnisse, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W185.2218007.1.01

Zuletzt aktualisiert am

14.05.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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