TE Bvwg Beschluss 2019/6/3 W175 2213905-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 03.06.2019
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Entscheidungsdatum

03.06.2019

Norm

AsylG 2005 §5
BFA-VG §21 Abs3 Satz 2
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §61

Spruch

W175 2213905-1/4E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Neumann als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , gesetzlich vertreten durch seine Mutter XXXX , StA. Benin, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.01.2019, Zl. 1215284907-181206736 beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1.1. Der Beschwerdeführer (BF), ein Staatsangehöriger des Benin, ist der minderjährige Sohn der XXXX und Bruder der minderjährigen XXXX und der minderjährigen XXXX . Die Beschwerdeverfahren der Mutter und der Schwestern des BF sind zu den ZIen. W235 2163025-2, W235 2163024-2 sowie W235 2188271-2 hg. anhängig und werden ebenfalls mit heutigem Tage gleichlautend entschieden.

Die Mutter des BF reiste gemeinsam mit der ältesten Schwester des BF unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 13.11.2016 für sich sowie als gesetzliche Vertreterin für die älteste Schwester des BF jeweils Anträge auf internationalen Schutz.

1.2. Am Tag der Antragstellung wurde die Mutter des BF einer Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes unterzogen, wobei sie zunächst angab, dass sich ihr Ehepartner in Österreich aufhalte. Sie habe ihren Herkunftsstaat [gemeinsam mit der ältesten Schwester des BF] Mitte April 2016 verlassen und habe nach Österreich gewollt, da ihr Ehegatte hier schon ein laufendes Asylverfahren habe. Von Benin aus sei sie über Niger und Libyen auf dem Seeweg nach Italien gelangt, wo sie zwei Wochen aufhältig gewesen und erkennungsdienstlich behandelt worden sei. In Italien habe sie "nichts beachtet", da sie nach Österreich gewollt habe. Um Asyl habe sie in Italien nicht angesucht. Gegen eine Rückkehr nach Italien spreche, dass sie mit der ältesten Schwester des BF bei ihrem Mann in Österreich bleiben wolle.

Mit Mitteilung gemäß § 28 Abs. 2 AsylG vom 13.11.2016 wurde der Mutter des BF mitgeteilt, dass die 20-Tages-Frist für Verfahrenszulassungen in ihrem Verfahren nicht gilt, da das Bundesamt Konsultationen gemäß der Dublin III-VO mit Italien führt. Weiters sind der Mitteilung die älteste Schwester des BF sowie der vermeintliche Ehegatte der Mutter als Tochter beziehungsweise Ehepartner der Mutter des BF als Bezugspersonen zu entnehmen.

1.3. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl richtete am 15.12.2016 ein Aufnahmegesuch betreffend die Mutter und die älteste Schwester des BF gemäß Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO an Italien. In diesem Aufnahmegesuch wurde unter anderem angeführt, dass die Mutter des BF angegeben habe, dass ihr Ehemann in Österreich lebe, sie jedoch keine Heiratsurkunde oder einen anderen Nachweis für die Eheschließung habe vorlegen können, und daher nicht als Familienangehörige im Sinne des Art. 2 lit. g Dublin III-VO angesehen werden könne.

Mit Schreiben vom 17.02.2017 teilte das Bundesamt der italienischen Dublinbehörde mit, dass das Aufnahmegesuch durch Unterlassen einer fristgerechten Antwort akzeptiert wurde.

Mit Verfahrensanordnung gemäß § 29 Abs. 3 AsylG vom 17.02.2017 wurde der Mutter des BF gemäß § 29 Abs. 3 Z 4 AsylG mitgeteilt, dass beabsichtigt ist, ihren Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen, da eine Zuständigkeit des Dublinstaates Italien angenommen werde. Auch in der Verfahrensanordnung wurden die älteste Schwester des BF sowie der vermeintliche Ehegatte der Mutter als Tochter beziehungsweise Ehepartner der Mutter des BF als Bezugspersonen angeführt.

1.4. Mit Stellungnahme vom 23.03.2017 brachte die Mutter des BF für sich und als gesetzliche Vertreterin auch für die älteste Schwester des BF im Wege ihres nunmehr ausgewiesenen rechtsfreundlichen Vertreters zusammengefasst vor, dass die angegebene Bezugsperson der Ehegatte der Mutter des BF und der Vater der ältesten Schwester des BF sei, dessen Asylverfahren in Österreich bereits zugelassen sei. Bis zur Flucht des Ehegatten beziehungsweise Vaters im Jahr 2014 hätten die Mutter und die älteste Schwester des BF mit diesem im gemeinsamen Haushalt im Herkunftsstaat gelebt und würde die Überstellung der Mutter und der ältesten Schwester des BF nach Italien einen Verstoß gegen Art. 8 EMRK bedeuten. Daher habe das Bundesamt das Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Dublin III-VO wahrzunehmen. Die Mutter und die älteste Schwester des BF und ihr Ehemann bzw. Vater hätten dieselben Fluchtgründe und wäre es daher im Sinne des Effizienzgebotes gelegen, alle Anträge von einem Staat zu prüfen. Ferner werde darauf verwiesen, dass das Bundesamt offensichtlich vom Verwandtschaftsverhältnis der Mutter und der ältesten Schwester des BF zur Bezugsperson ausgehe, wie aus der Verfahrensanordnung durch die Anführung als Bezugsperson ersichtlich sei. Hinzu komme, dass der Ehemann beziehungsweise Vater sowohl in seiner Erstbefragung als auch in seiner Einvernahme vor dem Bundesamt angegeben habe, verheiratet zu sein und die Namen der Mutter und der ältesten Schwester des BF als Ehegattin und Tochter genannt habe. Ferner sei die Mutter des BF schwanger und sei der Vater des ungeborenen Kindes ihr Ehegatte.

Neben der Verfahrensanordnung vom 17.02.2017 waren der Stellungnahme Auszüge aus den Geburtsurkunden ("Extrait d'Acte de Naissance") der Mutter, der ältesten Schwester und des Vaters des BF sowie ein Auszug aus dem Mutter-Kind-Pass der Mutter des BF vom XXXX mit dem errechneten Geburtstermin XXXX beigelegt.

1.5. Am 27.03.2017 fand die Einvernahme der Mutter des BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nach erfolgter Rechtsberatung in Anwesenheit eines Rechtsberaters im Zulassungsverfahren statt. Eingangs der Einvernahme gab die Mutter des BF an, dass sie die gesetzliche Vertretung der ältesten Schwester des BF sei. Diese habe keine eigenen Fluchtgründe. In Österreich würden die älteste Schwester des BF und der Ehemann der Mutter des BF leben. Mit ihrem Ehemann verstehe sich die Mutter des BF sehr gut und wohne mit ihm im gemeinsamen Haushalt. Da ihr Ehemann Probleme im Herkunftsstaat gehabt habe, hätten sie nicht gemeinsam ausreisen können. Die Mutter des BF habe zunächst auch gar nicht gewusst, dass er in Österreich sei. Das habe sie erst später von ihrem Bruder erfahren. Ihr Ehegatte sei seit drei Jahren in Österreich. Zur geplanten Vorgehensweise des Bundesamtes, sie nach Italien zu überstellen, gab die Mutter des BF an, dass ihr Ehemann hier sei, weshalb sie nicht nach Italien zurückkehren wolle.

2. Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.06.2017 wurden die Anträge auf internationalen Schutz der Mutter und der ältesten Schwester des BF ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Italien gemäß Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO für die Prüfung dieser Anträge zuständig ist (Spruchpunkte I.). Unter den jeweiligen Spruchpunkten II. der Bescheide wurde gegen die Mutter und die älteste Schwester des BF die Außerlandesbringung gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 FPG angeordnet und festgestellt, dass demzufolge ihre Abschiebung nach Italien gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig ist.

3. Am 10.09.2017 wurde die weitere Schwester des BF als Tochter der Mutter des BF und deren vermeintlichem Ehegatten in Österreich geboren und stellte durch ihre gesetzlichen Vertreter (Eltern) am 02.11.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz im Familienverfahren. Neben der Geburtsurkunde der weiteren Schwester des BF wurden ein Auszug aus dem Geburtseintrag des Standesamt Graz, eine Erklärung der gemeinsamen Obsorge der Mutter des BF und deren vermeintlichem Ehegatten sowie ein diese betreffender Auszug aus dem Zentralen Melderegister vorgelegt.

Mit Schreiben vom 15.01.2018 wurde die italienische Dublinbehörde über die Geburt der weiteren Schwester des BF informiert und darauf verwiesen, dass gemäß Art. 20 Abs. 3 Dublin III-VO Italien auch zur Führung des Verfahrens der weiteren Schwester des BF zuständig ist.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 01.03.2018 wurde auch der Antrag der weiteren Schwester des BF auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Italien gemäß Art. 20 Abs. 3 Dublin III-VO für die Prüfung dieses Antrages zuständig ist (Spruchpunkt I.). Unter Spruchpunkt II. dieses Bescheides wurde gegen die weitere Schwester des BF die Außerlandesbringung gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 FPG angeordnet und festgestellt, dass demzufolge gemäß § 61 Abs. 2 FPG ihre Abschiebung nach Italien zulässig ist.

4. In Erledigung der gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden hat das Bundesverwaltungsgericht nach Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung mit Beschluss vom 22.03.2018 die bekämpften Bescheide behoben und die Angelegenheiten gemäß § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

Begründend wurde ausgeführt, dass das BFA davon ausgehe, dass zwischen der Mutter und den Schwestern des BF und dem vermeintlichen Ehegatten der Mutter kein im Sinne des Art. 8 EMRK schützenswertes Familienleben vorliege und, dass in materieller Hinsicht die Zuständigkeit Italiens zur Prüfung der in Rede stehenden Anträge auf internationalen Schutz in Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO begründet sei, da die Mutter und die älteste Schwester des BF aus einem Drittstaat (Libyen) kommend die Seegrenze Italiens illegal überschritten hätten. Es liege betreffend die Feststellung, dass Italien für die Führung der Asylverfahren zuständig sei, ein Ermittlungsmangel vor. Italien sei lediglich aufgrund Verfristung gemäß Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO zuständig geworden, wobei darauf zu verweisen sei, dass die Entscheidung zur Nichtbeantwortung des österreichischen Aufnahmegesuches durch die italienischen Behörden wohl aufgrund der Angaben in jenem Aufnahmegesuch vom 15.12.2016 getroffen wurde, die sich jedoch im Gesamtzusammenhang betrachtet als fehlerhaft erweisen würden. Diesem Aufnahmegesuch vom 15.12.2016 sei zu entnehmen, dass die Mutter des BF einen Nachweis über eine Eheschließung mit einem in Österreich aufhältigen Mann nicht beibringen konnte und sohin das Bundesamt nicht vom Vorliegen einer Familienangehörigeneigenschaft im Sinne des Art. 2 lit. g Dublin III-VO ausgehe. Allerdings sei dem Akteninhalt Gegenteiliges zu entnehmen, da sowohl in der Mitteilung des Bundesamtes gemäß § 28 Abs. 2 AsylG vom 13.11.2016 als auch in der Verfahrensanordnung des Bundesamtes gemäß § 29 Abs. 3 AsylG vom 17.02.2017 als Bezugsperson der Mutter des BF (neben der als ältesten Schwester des BF) der vermeintliche Ehegatte der Mutter vermerkt sei. Hinzu komme, dass auch den Ausführungen in den die Mutter und die älteste Schwester des BF betreffende Bescheide nicht eindeutig entnommen werden kann, ob das Bundesamt von einer Familienangehörigeneigenschaft zum vermeintlichen Ehegatten der Mutter ausgehe. Hingegen werde im Bescheid betreffend die weitere Schwester des BF die Vaterschaft des vermeintlichen Ehegattens der Mutter eindeutig festgestellt, wobei den gesamten Akteninhalten nicht zu entnehmen sei, aus welchen Gründen andere Feststellungen hinsichtlich der Familienangehörigeneigenschaft zum vermeintlichen Ehegatten der Mutter getroffen worden seien. Es könne sohin in den vorliegenden Fällen nicht erkannt werden, ob das Bundesamt in Bezug auf die Mutter und die älteste Schwester des BF vom Vorliegen der Familieneigenschaft zum vermeintlichen Ehegatten der Mutter ausgehe. Es werde darauf verwiesen, dass eine Familieneigenschaft (beziehungsweise Vaterschaft) vom vermeintlichen Ehegatten der Mutter zur ältesten Schwester des BF leicht durch die Durchführung eines DNA-Test festgestellt hätte werden können. Sollte sich herausstellen, dass die Mutter und älteste Schwester des BF Ehefrau und minderjährige Tochter des vermeintlichen Ehegattens der Mutter sind, wäre eine Befassung mit der Frage, ob sich eine Zuständigkeit Österreich gemäß Art. 10 Dublin III-VO ergeben könnte, erforderlich.

5. Im fortgesetzten Verfahren erfolgte am 25.04.2018 eine ergänzende Einvernahme der Mutter des BF unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Französisch, in welcher diese angab, sie habe ihren Ehemann im Jahr 2008 in Djugu, Benin traditionell geheiratet. Ihre Familie und die Familie ihres Ehemannes seien anwesend gewesen. Eine Heiratsurkunde gebe es nicht. Eine standesamtliche Eheschließung sei nicht üblich. Seit wann ihr Mann in Österreich sei, wisse sie nicht. Sie wisse auch nicht, wann er Benin verlassen habe. Nunmehr lebe sie mit ihrem Mann zusammen und er unterstütze sie.

6. Mit den Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurden die Anträge der Mutter und der Schwestern des BF auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Italien gemäß Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO (Mutter und älteste Schwester des BF) beziehungsweise gemäß Art. 20 Abs. 3 Dublin III-VO (weitere Schwester des BF) für die Prüfung dieser Anträge zuständig ist (Spruchpunkte I.). Unter Spruchpunkten II. der jeweils Bescheide wurde gegen die Mutter und die Schwestern des BF die Außerlandesbringung gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 FPG angeordnet und festgestellt, dass demzufolge gemäß § 61 Abs. 2 FPG ihre Abschiebung nach Italien zulässig ist.

Festgestellt werde, dass die Mutter und die älteste Schwester des BF über Italien nach Österreich gereist seien und die Mutter des BF dort erkennungsdienstlich behandelt worden sei. Festgestellt werde, dass Italien für die Durchführung der Asylverfahren zuständig sei. Im Bescheid betreffend die Mutter des BF wurde festgestellt, dass ihre Vertretung einen Antrag auf Vornahme einer DNA-Analyse zum Beweis, dass die älteste Schwester des BF die Tochter "des Mannes" und der Mutter des BF sei, gestellt habe. Diesem Antrag werde nicht stattgegeben. In Österreich würden die Mutter und die Schwestern des BF über keine weiteren familiären Anknüpfungspunkte verfügen und habe eine besondere Integrationsverfestigung nicht festgestellt werden können. In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Bundesamt im Wesentlichen aus, dass sich aus dem Vorbringen und dem amtswegigen Ermittlungsverfahren ergeben habe, dass Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO (Mutter und älteste Schwester des BF) bzw. Art. 20 Abs. 3 Dublin III-VO (weitere Schwester des BF) formell erfüllt sei. Betreffend die Mutter des BF wurde ausgeführt, dass ein familiäres Anknüpfungsmoment zu ihrem Lebenspartner nicht ausgeschlossen werde. Zudem könne auch nicht ausgeschlossen werden, dass bereits in Benin eine Beziehung bestanden habe oder, dass der Lebenspartner tatsächlich der Vater der ältesten Schwester des BF sei. Das Vorbringen, bereits seit 2008 mit ihrem Lebenspartner verheiratet zu sein, habe die Mutter des BF nicht beweisen können. Seitens der erkennenden Behörde könne sohin nicht von einer Ehe zu ihrem jetzigen Lebenspartner ausgegangen werden. Es sei auch darauf hinzuweisen, dass der Antrag ihres Lebensgefährten bereits abgewiesen worden und eine Rückkehrentscheidung nach Benin beabsichtigt sei. Momentan befinde er sich im Beschwerdeverfahren. Betreffend die älteste Schwester des BF wurde darauf verwiesen, dass ein familiäres Anknüpfungsmoment zu dem von der Mutter des BF angegebenen Mann nicht ausgeschlossen werde. Es sei jedoch anzumerken, dass nicht ausnahmslos habe dargelegt werden können, dass es sich bei der erwähnten Person tatsächlich um den Vater der ältesten Schwester des BF handle. Im Bescheid der weiteren Schwester des BF wurde diesbezüglich ausgeführt, dass ein familiäres Anknüpfungsmoment zu ihrem Vater nicht ausgeschlossen werden könne. Daher könne nicht erkannt werden, dass die Mutter und die Schwestern des BF jetzt dermaßen auf eine Unterstützung angewiesen seien oder dass ein derartiges qualifiziertes Pflege-, Unterhalts- und/oder Unterstützungsverhältnis vorliege, dass der Mutter und den Schwestern des BF ein weiterer Verbleib in der Europäischen Union außerhalb Österreichs nicht zumutbar wäre. Da bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen keine weiteren Hinweise auf familiäre Anknüpfungspunkte bestünden, könne das Vorliegen eines schützenswerten Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK nicht festgestellt werden. Aufgrund der kurzen Aufenthaltsdauer in Österreich sei daher davon auszugehen, dass auch ein schützenswertes Privatleben nicht entstanden sei.

7. Gegen diese Bescheide erhob die Mutter des BF für sich und als gesetzliche Vertreterin auch für die Schwestern des BF im Wege ihres rechtsfreundlichen Vertreters fristgerecht Beschwerde wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Es wurde begründend ausgeführt, dass sich die belangte Behörde näher mit den dargetanen Verwandtschaftsverhältnissen auseinandersetzen hätte müssen. Ferner sei der belangten Behörde als wesentlicher Verfahrensmangel anzulasten, dass sie dem Beweisantrag, den Ehemann der Mutter beziehungsweise Vater und der Schwestern des BF als Zeugen zum Beweis für das Bestehen des Verwandtschaftsverhältnisses einzuvernehmen, nicht nachgekommen sei. Auch habe die belangte Behörde den Antrag, die Vornahme einer DNA-Analyse zum Beweis dafür zu ermöglichen, dass es sich bei der ältesten Schwester des BF um die Tochter der angeführten Bezugsperson handle, ignoriert. Die belangte Behörde wäre verpflichtet gewesen, sich mit den Beweisanträgen auseinanderzusetzen; erst dann wäre ihr eine Beurteilung der Verwandtschafts- und Abstammungsverhältnisse möglich gewesen. Ferner habe die Beweiswürdigung außer Acht gelassen, dass die Erstaufnahmestelle West in ihrer Verfahrensanordnung vom 17.12.2016 die Bezugsperson als Ehegatten der Mutter des BF und als Vater der ältesten Schwester des BF genannt habe. Weshalb sie nun in Abkehr von dieser gewonnenen Überzeugung das Verwandtschaftsverhältnis wieder in Abrede gestellt habe, sei nicht nachvollziehbar. Im Bescheid betreffend die weitere Schwester des BF habe die belangte Behörde die Feststellung getroffen, dass es sich bei der weiteren Schwester des BF um die Tochter der angeführten Bezugsperson handle. Daher seien die weitere Schwester des BF und ihr Vater wechselseitig als Familienangehörige im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG zu sehen. Die Bestimmungen des Familienverfahrens seien auch auf Verfahren nach der Dublin III-VO anzuwenden und dahingehend zu verstehen, dass im Familienverfahren gegenüber allen Familienangehörigen dieselbe Art der Erledigung zu treffen sei. Dies habe - wenn die Zurückweisung der Anträge gemäß § 5 AsylG, etwa infolge der Zuständigkeit Österreichs für die Prüfung des Antrags eines Familienangehörigen, nicht mehr in Betracht komme, - im Hinblick auf die übrigen Familienmitglieder die Verpflichtung zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO zur Folge. Jedenfalls bestehe zur Wahrung der Familieneinheit und zur Achtung des Familienlebens eine Zuständigkeit Österreichs zur Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz der weiteren Schwester des BF und dies unabhängig von der Frage, ob auch die Mutter und die älteste Schwester des BF Familienangehörige dieser Bezugsperson seien. Schließlich sei auch noch zu bemerken, dass die Abwägung im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK in Verkennung der Rechtslage erfolgt sei. Im konkreten Fall gehe es nicht um ein privates Interesse am endgültigen Verbleib der Mutter und der Schwestern des BF im Bundesgebiet, sondern lediglich um die Beurteilung, in welchem Mitgliedstaat die Prüfung ihrer Asylanträge stattzufinden habe. Ferner habe die belangte Behörde eine gesonderte Prüfung des Kindeswohls der Schwestern des BF unterlassen. Dieser Grundsatz des Vorrangs des Kindeswohls sei auch in der österreichischen Verfassung verankert. Daher komme im Rahmen der Prüfung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK dem Vorrang des Kindeswohls gemäß der Judikatur des EGMR und des VfGH eine tragende Rolle zu.

8. Mit Beschluss vom 15.06.2018 erkannte das Bundesverwaltungsgericht den Beschwerden die aufschiebende Wirkung gemäß § 17 BFA-VG zu.

9. Der in Österreich nachgeborene BF stellte durch seine gesetzlichen Vertreter (Eltern) am 07.12.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz im Familienverfahren. Neben der Geburtsurkunde des BF wurden ein diesen betreffender Auszug aus dem Zentralen Melderegister, beides vom 06.12.2018, vorgelegt.

Mit Schreiben vom 18.12.2018 wurde die italienische Dublinbehörde über die Geburt des BF informiert und darauf verwiesen, dass gemäß Art. 20 Abs. 3 Dublin III-VO Italien auch zur Führung des Verfahrens des BF zuständig ist.

Mit nunmehr angefochtenem Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.01.2018 wurde auch der Antrag des BF auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Italien gemäß Art. 20 Abs. 3 Dublin III-VO für die Prüfung dieses Antrages zuständig ist (Spruchpunkt I.). Unter Spruchpunkt II. dieses Bescheides wurde gegen den BF die Außerlandesbringung gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 FPG angeordnet und festgestellt, dass demzufolge gemäß § 61 Abs. 2 FPG seine Abschiebung nach Italien zulässig ist.

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass dieser an keinen Krankheiten leide, die bei einer Überstellung eine unzumutbare Verschlechterung des Gesundheitszustandes bewirken würden. Festgestellt werde, dass die Mutter und die älteste Schwester des BF über Italien nach Österreich gereist seien und die Mutter des BF dort erkennungsdienstlich behandelt worden sei. Festgestellt werde, dass Italien für die Durchführung der Asylverfahren zuständig sei und sein Vater laut der Mutter des BF mit ihm im gemeinsamen Haushalt leben. Die Rechtsberatung habe bei der niederschriftlichen Einvernahme der gesetzlichen Vertretung des BF folgenden Antrag gestellt: "Beantragt wird die Zulassung zum Verfahren in Österreich, zumal das Bundesverwaltungsgericht mit der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung mit Verfahren der Mutter des ersten Kindes festgestellt hat, dass bei einer Rückführung der Mutter und ihrer Kinder nach Italien eine Verletzung von Art. 3 EMRK nicht ausgeschlossen werden kann. Zudem hätte eine Rückführung nach Italien eine Verletzung von Art. 8 EMRK zufolge, da der Vater des Kindes in Österreich aufhältig ist." Diesem Antrag werde nicht stattgegeben. In Österreich würden der BF über keine weiteren familiären Anknüpfungspunkte verfügen und habe eine besondere Integrationsverfestigung nicht festgestellt werden können. Die Feststellungen zum Privat- und Familienleben des BF seien aufgrund der nicht anzuzweifelnden Angaben der Mutter des BF getroffen worden. In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Bundesamt im Wesentlichen aus, dass sich aus dem Vorbringen und dem amtswegigen Ermittlungsverfahren ergeben habe, dass Art. 20 Abs. 3 Dublin III-VO formell erfüllt sei. Es wurde ausgeführt, dass ein familiäres Anknüpfungsmoment zu seinem Vater nicht ausgeschlossen werden könne. Auch könnten eventuelle Unterstützungshandlungen und das familiären Band seine Situation erheblich erleichtern. Es sei auch darauf hinzuweisen, dass der Antrag seines Vaters bereits abgewiesen worden und sei. Momentan befinde er sich im Beschwerdeverfahren. Es könne nicht erkannt werden, dass der BF jetzt dermaßen auf eine Unterstützung angewiesen seien oder dass ein derartiges qualifiziertes Pflege-, Unterhalts- und/oder Unterstützungsverhältnis vorliege, dass dem BF ein weiterer Verbleib in der Europäischen Union außerhalb Österreichs nicht zumutbar wäre. Weiters sei anzuführen, dass die Familienzusammenführung mit in Österreich befindlichen Angehörigen nicht die Aufgabe des Asylverfahrens sein könne. Da bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen keine weiteren Hinweise auf familiäre Anknüpfungspunkte bestünden, könne das Vorliegen eines schützenswerten Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK nicht festgestellt werden. Aufgrund der kurzen Aufenthaltsdauer in Österreich sei daher davon auszugehen, dass auch ein schützenswertes Privatleben nicht entstanden sei.

10. Gegen diesen Bescheid erhob der BF, gesetzliche vertreten durch seine Eltern im Wege seines rechtsfreundlichen Vertreters fristgerecht Beschwerde wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Nach Zusammenfassung des Verfahrensganges wurde begründend ausgeführt, dass - wie schon im Bescheid betreffend die weitere Schwester des BF - die belangte Behörde die Feststellung getroffen habe, dass es sich beim BF um den Sohn der angeführten Bezugsperson handle. Daher seien der BF und sein Vater wechselseitig als Familienangehörige im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG zu sehen. Die Bestimmungen des Familienverfahrens seien auch auf Verfahren nach der Dublin III-VO anzuwenden und dahingehend zu verstehen, dass im Familienverfahren gegenüber allen Familienangehörigen dieselbe Art der Erledigung zu treffen sei. Dies habe - wenn die Zurückweisung der Anträge gemäß § 5 AsylG, etwa infolge der Zuständigkeit Österreichs für die Prüfung des Antrags eines Familienangehörigen, nicht mehr in Betracht komme - im Hinblick auf die übrigen Familienmitglieder die Verpflichtung zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO zur Folge. Auch in den gegenständlichen Fällen gehe es um die Frage der Zuständigkeit zur Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz von Familienangehörigen einer Bezugsperson, deren Verfahren in Österreich zugelassen worden sei. Jedenfalls bestehe zur Wahrung der Familieneinheit und zur Achtung des Familienlebens eine Zuständigkeit Österreichs zur Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz des BF. Schließlich sei auch noch zu bemerken, dass die Abwägung im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK in Verkennung der Rechtslage erfolgt sei. Im konkreten Fall gehe es nicht um ein privates Interesse am endgültigen Verbleib des BF im Bundesgebiet, sondern lediglich um die Beurteilung, in welchem Mitgliedstaat die Prüfung seines Asylantrages stattzufinden habe. Ferner habe die belangte Behörde eine gesonderte Prüfung des Kindeswohls des BF unterlassen. Dieser Grundsatz des Vorrangs des Kindeswohls sei auch in der österreichischen Verfassung verankert. Daher komme im Rahmen der Prüfung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK dem Vorrang des Kindeswohls gemäß der Judikatur des EGMR und des VfGH eine tragende Rolle zu.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da im vorliegenden Verfahren keine Entscheidung durch Senate vorgesehen ist, liegt gegenständlich Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 1 BFA-VG, BGBl. I 2012/87 idgF bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und im FPG bleiben unberührt.

2. Zu A)

2.1. Gemäß § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG ist der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.

Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß §§ 4 oder 4a erledigter Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Eine Zurückweisung des Antrages hat zu unterbleiben, wenn im Rahmen einer Prüfung des § 9 Abs. 2 BFA-VG festgestellt wird, dass eine mit der Zurückweisung verbundene Anordnung zur Außerlandesbringung zu einer Verletzung von Art. 8 EMRK führen würde.

Nach Abs. 2 leg. cit. ist gemäß Abs. 1 auch vorzugehen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung dafür zuständig ist zu prüfen, welcher Staat zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist.

Sofern gemäß Abs. 3 leg. cit. nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesamt oder beim Bundesverwaltungsgericht offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, ist davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.

2.2. Die maßgeblichen Bestimmungen der Dublin III-VO lauten:

Art. 3 Verfahren zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz

(1) Die Mitgliedstaaten prüfen jeden Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird.

(2) Lässt sich anhand der Kriterien dieser Verordnung der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen, so ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig. Erweist es sich als unmöglich einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen, so setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat, die Prüfung der in Kapitel III vorgesehenen Kriterien fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann. Kann keine Überstellung gemäß diesem Absatz an einen aufgrund der Kriterien des Kapitels III bestimmten Mitgliedstaat oder an den ersten Mitgliedstaat, in dem der Antrag gestellt wurde, vorgenommen werden, so wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat.

(3) Jeder Mitgliedstaat behält das Recht, einen Antragsteller nach Maßgabe der Bestimmungen und Schutzgarantien der Richtlinie 32/2013/EU in einen sicheren Drittstaat zurück- oder auszuweisen.

Art. 7 Rangfolge der Kriterien

(1) Die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates finden in der in diesem Kapitel genannten Rangfolge Anwendung.

(2) Bei der Bestimmung des nach den Kriterien dieses Kapitels zuständigen Mitgliedstaats wird von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt.

(3) [...]

Art. 10 Familienangehörige, die internationalen Schutz beantragt haben

Hat ein Antragsteller in einem Mitgliedstaat einen Familienangehörigen, über dessen Antrag auf internationalen Schutz noch keine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig, sofern die betreffenden Personen diesen Wunsch schriftlich kundtun.

Art. 13 Einreise und/oder Aufenthalt

(1) Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 22 Absatz 3 dieser Verordnung genannten Verzeichnisse, einschließlich der Daten nach der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 festgestellt, dass ein Antragsteller aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig. Die Zuständigkeit endet zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts.

(2) Ist ein Mitgliedstaat nicht oder gemäß Absatz 1 dieses Artikels nicht länger zuständig und wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 22 Absatz 3 genannten Verzeichnissen festgestellt, dass der Antragsteller - der illegal in die Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten eingereist ist oder bei dem die Umstände der Einreise nicht festgestellt werden können - sich vor der Antragstellung während eines ununterbrochenen Zeitraums von mindestens fünf Monaten in einem Mitgliedstaat aufgehalten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig. Hat sich der Antragsteller für Zeiträume von mindestens fünf Monaten in verschiedenen Mitgliedstaaten aufgehalten, so ist der Mitgliedstaat, wo er sich zuletzt aufgehalten hat, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.

Art. 17 Ermessensklauseln

(1) Abweichend von Artikel 3 Absatz 1 kann jeder Mitgliedstaat beschließen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Der Mitgliedstaat, der gemäß diesem Absatz beschließt, einen Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen. Er unterrichtet gegebenenfalls über das elektronische Kommunikationsnetz DubliNet, das gemäß Art. 18 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 eingerichtet worden ist, den zuvor zuständigen Mitgliedstaat, den Mitgliedstaat der ein Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durchführt, oder den Mitgliedstaat, an den ein Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuch gerichtet wurde. Der Mitgliedstaat, der nach Maßgabe dieses Absatzes zuständig wird, teilt diese Tatsache unverzüglich über Eurodac nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 mit, indem er den Zeitpunkt über die erfolgte Entscheidung zur Prüfung des Antrags anfügt.

(2) Der Mitgliedstaat, in dem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt worden ist und der das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durchführt, oder der zuständige Mitgliedstaat kann, bevor eine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist, jederzeit einen anderen Mitgliedstaat ersuchen, den Antragsteller aufzunehmen, aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, um Personen jeder verwandtschaftlichen Beziehung zusammenzuführen, auch wenn der andere Mitgliedstaat nach den Kriterien in den Artikeln 8 bis 11 und 16 nicht zuständig ist. Die betroffenen Personen müssen dem schriftlich zustimmen. Das Aufnahmegesuch umfasst alle Unterlagen, über die der ersuchende Mitgliedstaat verfügt, um dem ersuchten Mitgliedstaat die Beurteilung des Falles zu ermöglichen. Der ersuchte Mitgliedstaat nimmt alle erforderlichen Überprüfungen vor, um zu prüfen, dass die angeführten humanitären Gründe vorliegen, und antwortet dem ersuchenden Mitgliedstaat über das elektronische Kommunikationsnetz DubliNet, das gemäß Artikel 18 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 eingerichtet wurde, innerhalb von zwei Monaten nach Eingang des Gesuchs. Eine Ablehnung des Gesuchs ist zu begründen. Gibt der ersuchte Mitgliedstaat dem Gesuch statt, so wird ihm die Zuständigkeit für die Antragsprüfung übertragen.

Art. 25 Antwort auf ein Wiederaufnahmegesuch

(1) Der ersuchte Mitgliedstaat nimmt die erforderlichen Überprüfungen vor und entscheidet über das Gesuch um Wiederaufnahme der betreffenden Person so rasch wie möglich. In jedem Fall aber nicht später als einen Monat, nachdem er mit dem Gesuch befasst wurde. Stützt sich der Antrag auf Angaben aus dem Eurodac-System, verkürzt sich diese Frist auf zwei Wochen.

(2) Wird innerhalb der Frist von einem Monat oder der Frist von zwei Wochen gemäß Absatz 1 keine Antwort erteilt, ist davon auszugehen, dass dem Wiederaufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung nach sich zieht, die betreffende Person wieder aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen.

2.3.1. Die Beschwerdeverfahren betreffend die Mutter und die Schwestern des BF wurden mit heutigem Datum zu zu ZIen. W235 2163025-2, W235 2163024-2 sowie W235 2188271-2 hg. entschieden. Die Bescheide des Bundesamtes wurden darin behoben und die Angelegenheiten gemäß § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt zurückverwiesen.

Zusammengefasst führt das BVwG darin aus, dass in den vorliegenden Fällen betreffend die Feststellung, dass Italien für die Führung der Asylverfahren zuständig sei, Ermittlungsmängel vorliegen. Selbst wenn die Mutter des BF keinen Nachweis über eine Eheschließung vorlegen könne und sohin nicht als Familienangehörige im Sinne des Art. 2 lit. g Dublin III-VO angesehen werden könne, treffe dies auf die älteste Schwester des BF (den Akteninhalten zufolge) vermutlich nicht zu. Sollte die älteste Schwester des BF tatsächlich die Tochter vom vermeintlichen Ehegatten der Mutter sein (was leicht durch eine DNA-Analyse festgestellt werden könne), wäre jedenfalls eine geeignete Grundlage für die Entscheidung geschaffen, ob eine Zuständigkeit Italiens zur Führung der Asylverfahren der Mutter und der Schwestern des BF gegeben sei oder ob Österreich nicht ohnehin von Anfang an - im Hinblick auf Art. 10 Dublin III-VO - der zuständige Staat gewesen wäre. Hinzu kommt, dass es nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes fraglich sei, ob die italienischen Behörden bei Kenntnis sämtlicher Umstände tatsächlich der Übernahme der Mutter und der Schwestern des BF durch Verfristung zugestimmt hätten.

2.3.2. Im fortgesetzten Verfahren betreffend die Mutter und die Schwestern des BF werde zunächst die Frage der Abstammung der ältesten Schwester des BF vom vermeintlichen Ehegatten der Mutter (sohin dessen Vaterschaft) mit Hilfe einer DNA-Analyse eindeutig zu klären sein. Sollte sich in der Folge die Vaterschaft herausstellen, werde sich das Bundesamt mit der Frage der Anwendung von Art. 10 Dublin III-VO zu befassen haben. Sollte das Bundesamt auch im fortgesetzten Verfahren vom Nichtbestehen der Familienangehörigeneigenschaft im Sinne des Art. 2 lit. g Dublin III-VO der Mutter des BF zu deren vermeintlichen Ehegatten ausgehen, wären die im Verfahren bereits mehrfach aufgezeigten widersprüchlichen Akteninhalte entsprechend aufzuklären und sei im Verhältnis zur ältesten Schwester des BF im Fall des Vorliegens der Vaterschaft auf § 34 AsylG zu verweisen. Selbiges gelte für das Verfahren der weiteren Schwester des BF. Sohin werden jedenfalls in Bezug auf die Mutter und die Schwestern des BF ergänzende Ermittlungen vorzunehmen seien, um eine Grundlage für die Entscheidung zu schaffen, ob eine Zuständigkeit Italiens zur Führung der Asylverfahren der Mutter und der Schwestern des BF gegeben sei oder ob Österreich nicht ohnehin von Anfang an - im Hinblick auf Art. 10 Dublin III-VO - der zuständige Staat gewesen wäre.

2.4. Im Hinblick auf die Anwesenheit des Mutter und Schwestern des BF in Österreich, deren Bescheide mit heutigem Datum vom Bundesverwaltungsgericht ebenfalls behoben und die Angelegenheiten zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt zurückverwiesen wurden, ist mit diesen und dem BF ein Familienverfahren gemäß § 34 Abs. 4 AsylG zu führen. Zum Zwecke gleichlautender Entscheidungen in Familienverfahren war daher spruchgemäß zu entscheiden.

3. Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Im gegenständlichen Fall konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung Abstand genommen werden, da der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt ist und eine mündliche Erörterung die weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, zumal bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der Beschwerde stattzugeben und der bekämpfte Bescheid zu beheben ist. Dem Entfall der Verhandlung stehen auch weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010, S 389, entgegen.

4. Da sich eine Entscheidung nach § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG (wie die vorliegende) nicht als eine solche darstellt, die als Entscheidung in der Sache den den Beschwerdeverfahren zugrundeliegenden Gegenstand erledigt, hat sie gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG in Form eines (die Beschwerdeverfahren beendenden und nicht bloß verfahrensleitenden) Beschluss zu ergehen (vgl. VwGH vom 05.10.2016, Ra 2016/19/0208-8).

5. Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Nach Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG idF BGBl. I Nr. 51/2012 ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

In den vorliegenden Fällen ist die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab noch fehlt es an einer Rechtsprechung und kann auch nicht davon gesprochen werden, dass die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes als uneinheitlich zu beurteilen wäre. Kern der getroffenen zurückverweisenden Entscheidung ist die mangelhafte Ermittlung von relevanten Sachverhaltselementen im Rahmen eines ordnungsgemäßen Verfahrens entsprechend den insofern eindeutigen Verfahrensvorschriften durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl sowie die daran anknüpfende Konsequenz des § 21 BFA-VG. Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage sind sohin nicht zu erblicken.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, individuelle
Verhältnisse, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W175.2213905.1.00

Zuletzt aktualisiert am

14.05.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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