Entscheidungsdatum
11.06.2019Norm
AsylG 2005 §10Spruch
1) W220 2135564-1/17E
2) W220 2135565-1/13E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Daniela UNTERER als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1) XXXX , geb. XXXX und 2) XXXX , geb. XXXX , beide Staatsangehörigkeit Afghanistan, beide vertreten durch den XXXX , gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 1) 01.09.2016, Zl. 1097136000/151891461 und 2) 01.09.2016, Zl. 1097136109/151891470, beschlossen:
A)
In Erledigung der Beschwerden werden die angefochtenen Bescheide behoben und die Angelegenheiten gemäß § 28 Abs. 2 und 3 VwGVG zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang:
1.1. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin, beide Staatsangehörige Afghanistans, stellten am 28.11.2015 nach unrechtmäßiger Einreise in das österreichische Bundesgebiet jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz.
1.2. Am 29.11.2015 fand die Erstbefragung des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes statt.
1.3. Am 01.08.2016 fand jeweils eine niederschriftliche Befragung des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl statt. Am 04.08.2016 wurde die Zweitbeschwerdeführerin erneut niederschriftlich einvernommen.
1.4. Mit den im Spruch genannten Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz jeweils hinsichtlich der Zuerkennung des Status der/des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und jeweils hinsichtlich der Zuerkennung des Status der/des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gem. § 57 AsylG jeweils nicht erteilt und jeweils gem. § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Gem. § 52 Abs. 9 FPG wurde jeweils festgestellt, dass die Abschiebung gem. § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).
1.5. Gegen die an die Beschwerdeführer am 08.09.2016 zugestellten Bescheide wurde jeweils fristgerecht Beschwerde erhoben.
1.6. Aufgrund des Fristsetzungsantrages des Erstbeschwerdeführers wurde dem Bundesverwaltungsgericht mit verfahrensleitender Anordnung vom 27.03.2019, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 29.03.2019, unter anderem aufgetragen, binnen drei Monaten die Entscheidung zu erlassen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Die belangte Behörde hat keine Ermittlungen zur Praxis von zwangsweisen Verlobungen und Zwangsehen in Afghanistan angestellt. Zum konkreten Hintergrund des Vorbringens beider Beschwerdeführer hat die belangte Behörde unter diesen Gesichtspunkten nichts ermittelt.
1.2. Zur Frage, ob bei der Zweitbeschwerdeführerin eine grundlegende und auch entsprechend verfestigte Änderung der Lebensführung, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt, die zu einem wesentlichen Bestandteil ihrer Identität geworden ist, und die bei Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht gelebt werden könnte, anzunehmen ist, hat die belangte Behörde nichts ermittelt. Zusätzlich liegt ein konkreter Anhaltspunkt dafür vor, dass die belangte Behörde absichtlich diese Ermittlungen unterlassen hat, damit diese im Beschwerdeverfahren seitens des Bundesverwaltungsgerichtes vorgenommen würden.
Die belangte Behörde hat nichts zur Lebenssituationen von Frauen, konkret in der Stadt Kabul, wohin sie die Zweitbeschwerdeführerin bei einer Rückkehr verwies, ermittelt.
1.3. Die belangte Behörde ermittelte die konkrete Rückkehrsituation in der Stadt Kabul für die Beschwerdeführer nur ansatzweise. Die belangte Behörde unterließ Ermittlungen zu der Frage, ob den Beschwerdeführern bei einer Rückkehr nach Afghanistan, insbesondere in Kabul, eine Verletzung ihrer durch Art. 3 EMRK garantierten Rechte droht und ob ihnen ein Verweis auf diese innerstaatliche Fluchtalternative zumutbar ist.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Dass die belangte Behörde zur Situation und Praxis von zwangsweisen Verlobungen und Zwangsehen in Afghanistan keinerlei konkrete Ermittlungen getätigt hat ergibt sich daraus, dass solche weder den Beschwerdeführern zum Parteiengehör gebracht wurden noch sonst aktenkundig sind. Die belangte Behörde hat insbesondere keine allgemeinen Länderberichte zu dieser Situation eruiert. Damit hat sie auch die Plausibilität der Angaben der Beschwerdeführer nur ansatzweise, nämlich nicht vor dem Hintergrund von diesbezüglicher Länderinformation, ermittelt.
2.2. Dass die belangte Behörde in der Frage der Lebensführung (vgl. dazu grundlegend VwGH 22.3.2017, Ra 2017/18/0301 bis 0306-6 und 23.01.2018, Ra 2016/18/0388) der Zweitbeschwerdeführerin überhaupt nichts ermittelt hat, ergibt sich bereits daraus, dass in den beiden Einvernahmen der Zweitbeschwerdeführerin keinerlei Fragen zu ihrer inneren Wertehaltung und über ihre Lebensweise gestellt wurden. Dementsprechend finden sich im angefochtenen Bescheid diesbezüglich weder Feststellungen, noch eine beweiswürdigende Auseinandersetzung, noch eine rechtliche Beurteilung.
Zudem gibt es einen gravierenden Anhaltspunkt dafür, dass die belangte Behörde diese Ermittlungen unterlassen, damit sie im Fall einer Beschwerde seitens des Bundesverwaltungsgerichtes vorgenommen werden müssen: Im Aktenvermerk vom 04.08.2016 (AS 101 im Akt der Zweitbeschwerdeführerin) hält nämlich jene Referentin, die die Zweitbeschwerdeführerin zuvor einvernommen hat und die auch den angefochtenen Bescheid verfasste, fest: "[...] Im Rahmen der Einvernahme versucht die AW einen westlichen Eindruck zu erwecken. Vor der Einvernahme legte die AW Ihr (sic!) Kopftuch im Warteraum ab. Sofort nachdem die AW das Einvernahmezimmer verlassen hatte, legte sie Ihr (sic!) Kopftuch wieder an." Dem folgte jedoch keinerlei Ermittlungstätigkeit der belangten Behörde, obwohl die zuständige Referentin offenbar eine unmittelbare und persönliche Wahrnehmung zu einem solchen Verhalten hatte und damit wesentlich effektiver eine Ermittlungstätigkeit anstellen hätte können als das erkennende Gericht, dem diese unmittelbare Wahrnehmung fehlt. Dabei fällt insbesondere auf, dass die belangte Behörde in diesem Aktenvermerk selbst den Umstand des westlichen Eindrucks anspricht, und damit klar das ohnehin Notorische - nämlich die allfällige Gefährdung und Verfolgung von Frauen "westlicher Orientierung" in Afghanistan - und die Notwendigkeit der Ermittlung einer solchen Gefährdung im Einzelfall festhält. Dennoch ermittelte die belangte Behörde hierzu nichts. Dieser Aktenvermerk ist im Lichte dessen, dass - unbeschadet der Glaubhaftigkeit des Vorbringens an sich - die Zweitbeschwerdeführerin in ihrem Fluchtvorbringen Überzeugungen dartat, die allenfalls auf eine Anerkennung, Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck schließen lassen könnten, hingegen das im Aktenvermerk festgehaltene Verhalten der Glaubhaftigkeit ihrer Angaben entgegen stehen könnte, ein wesentlicher Anhaltspunkt dafür, dass die belangte Behörde die Ermittlung dieses zentral entscheidungsrelevanten Sachverhalts absichtlich unterließ, um die - mitunter, da es sich letztlich um eine innere Wertehaltung handelt, schwierigen - Ermittlungen auf das Bundesverwaltungsgericht zu überwälzen.
Dass die belangte Behörde darüber hinaus keinerlei Ermittlungen zur ebenso wesentlichen Frage der Lebensbedingungen von Frauen in der Stadt Kabul tätigte, ergibt sich daraus, dass auch hierzu weder Länderfeststellungen noch eine sonstige Ermittlungstätigkeit ersichtlich sind.
2.3. Der Verweis auf eine Landesregion (hier: Kabul) als innerstaatliche Fluchtalternative erfordert insbesondere eine konkrete Auseinandersetzung damit, welche Rückkehrsituation die Beschwerdeführer in Kabul tatsächlich vorfinden, insbesondere unter Berücksichtigung der dort herrschenden Sicherheitslage, Versorgungslage und Bewegungsfreiheit. Die belangte Behörde hat die Ermittlung dieser konkreten Rückkehrsituation, insbesondere auf Basis aktueller Berichte, nur ansatzweise - nämlich in Bezug auf die dortige Sicherheitslage - vorgenommen, sodass dies entsprechend festzustellen war.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchpunkt A):
3.1. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
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1.-der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2.-die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Abs. 3 leg.cit normiert, dass, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen, das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden hat, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
3.2.1. § 28 Abs 2 VwGVG legt in Z 1 und Z 2 drei jener insgesamt vier Alternativen fest, bei deren Zutreffen das VwG dazu verpflichtet ist, in der Sache selbst zu entscheiden; die vierte Kategorie einer derartigen Rechtspflicht findet sich in § 28 Abs 3 erster Satz VwGVG, während dem gegenüber § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG (e contrario) die Erledigung der Rechtssache in Form einer meritorischen Entscheidung in das Ermessen des VwG stellt.
Nach § 28 Abs 2 Z 1 VwGVG haben die VwG auch in Administrativbeschwerdeverfahren zwingend dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht, wobei die Frage, ob diese Voraussetzung im konkreten Fall erfüllt ist, naturgemäß vom VwG jeweils aus eigenem (unter der nachprüfenden Kontrolle der Gerichtshöfe des Öffentlichen Rechts) beurteilt und entschieden werden muss. Dem aus der Formulierung der Z 1 naheliegenden Umkehrschluss zufolge ergäbe sich, dass bereits dann, wenn der entscheidungswesentliche Sachverhalt seitens der Behörde nicht ausreichend ermittelt wurde, für das VwG auch die in dieser Bestimmung normierte unbedingte Verpflichtung entfällt. Allerdings wird diese systematisch als stringent intendierte Konsequenz in der Praxis maßgeblich dadurch relativiert, dass in den Fällen derartiger behördlicher Unzulänglichkeiten häufig die gemäß § 28 Abs 2 Z 2 VwGVG bzw gemäß § 28 Abs 3 erster Satz VwGVG normierte subsidiäre Rechtspflicht des VwG zur meritorischen Erledigung zum Tragen kommen wird.
Denn § 28 Abs 2 Z 2 VwGVG ordnet an, dass die VwG auch dann in der Sache selbst zu entscheiden haben, wenn der entscheidungswesentliche Sachverhalt zwar von der Behörde nicht hinreichend ermittelt wurde, dessen - ergänzende bzw vollumfängliche - Feststellung durch das VwG selbst jedoch im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Unter dem Aspekt der Sachverhaltsermittlung entfällt daher für das VwG - die Regelungen der Z 1 und Z 2 gesamthaft besehen - die Verpflichtung zur meritorischen Erledigung nur dann, wenn keine der drei dort genannten Alternativen - nämlich: 1.) Feststehen des maßgebenden Sachverhalts, 2.) Feststellung des mangelhaften Sachverhalts durch das VwG im Interesse der Raschheit gelegen oder 3.) erhebliche Kostenersparnis dadurch, dass das VwG den mangelhaften Sachverhalt selbst ergänzt - zutrifft (Grof in Raschauer/Wessely (Hrsg), VwGVG § 28, Rz 15 (Stand 31.3.2018, rdb.at)).
Unter dem in § 28 Abs 2 Z 2 VwGVG zum Ausdruck kommenden Ziel der effizienten Verfahrensführung (wobei insoweit auf die Gesamtdauer bis zur meritorischen Erledigung abzustellen ist, sodass die mit der gerichtlichen Kassation einer behördlichen Entscheidung verbundene Eröffnung eines weiteren Rechtszuges gegen die neue Behördenentscheidung an das VwG idR insgesamt zu einer Verfahrensverlängerung führt; vgl VwGH 22.6.2016, Ra 2016/03/0027) sind zwei alternative Konstellationen zusammengefasst, bei deren Vorliegen die Sachverhaltsfeststellung durch das VwG selbst zu erfolgen hat - mit der Konsequenz, dass die Beschwerde in der Folge jeweils zwingend in der Sache selbst zu erledigen ist (bzw umgekehrt: eine meritorische Erledigung nur dann unterbleiben kann, wenn beide Alternativen erfüllt sind), nämlich
-
entweder dann, wenn die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts unmittelbar durch das VwG "im Interesse der Raschheit gelegen" ist
[...]
-
oder dann, wenn die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das VwG selbst "mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" ist [...]
(Grof in Raschauer/Wessely (Hrsg), VwGVG § 28, Rz 17 (Stand 31.3.2018, rdb.at)).
3.2.2. Wie sich aus den Feststellungen ergibt, steht im gegenständlichen Fall der Sachverhalt nicht fest, vielmehr unterblieb in wesentlichen entscheidungsrelevanten Punkten die Sachverhaltsermittlung durch die belangte Behörde.
Aufgrund des aktuell gegebenen notorischen Überhangs von Beschwerdeverfahren am Bundesverwaltungsgericht im Gegensatz zu den bei der belangten Behörde anhängigen Verfahren und des ebenso notorisch weit höheren Personalstandes bei der belangten Behörde im Gegensatz zum Bundesverwaltungsgericht ist die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Bundesverwaltungsgericht selbst keinesfalls im Interesse der Raschheit gelegen. So zeigt die aktuelle Asylstatistik des Bundesministeriums für Inneres (März 2019), dass per 31.03.2019 knapp 30 000 Verfahren "Internationaler Schutz" gerichtsanhängig waren, hingegen eine weit geringere Anzahl von unter 5 000 Verfahren beim BFA anhängig bzw. in offener Rechtsmittelfrist waren (vgl. https://www.bmi.gv.at/301/Statistiken/files/2019/Asylstatistik_Maerz2019.pdf S. 38). Gleichzeitig hat sich die durchschnittliche Verfahrensdauer vor dem BFA deutlich verkürzt und liegt nach Auskunft des Bundesministeriums für Inneres aktuell bei Antragsstellung ab dem 01.06.2018 bereits unter drei Monaten (vgl. https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20190124_OTS0192/bmi-innenminister-praesentiert-bilanz-2018-des-bundesamts-fuer-fremdenwesen-und-asyl, auch
http://www.bfa.gv.at/presse/news/detail.aspx?nwid=72735962325769334A57773D). Daher ergibt sich auf Basis der mehreren zehntausend beim Bundesverwaltungsgericht anhängigen Beschwerdeverfahren und der damit einhergehenden Belastung der einzelnen Gerichtsabteilungen, die eine längere Verfahrensdauer zur Folge hat, dass prognostisch die gegenständlichen Verfahren insgesamt jedenfalls schneller erledigt erscheinen, wenn die belangte Behörde selbst die notwendigen Sachverhaltsermittlungen vornimmt. Dies selbst dann, wenn danach wiederum ein Beschwerdeverfahren anhängig werden sollte, da das Bundesverwaltungsgericht, wenn die belangte Behörde den erheblichen Sachverhalt festgestellt hat, nicht wiederum zeitaufwändige Sachverhaltsermittlungen anstellen muss und das gesamte Verfahren dadurch effizienter geführt werden kann.
Es gibt auch keinen Anhaltspunkt dafür, dass eine Verfahrensführung und Sachverhaltsermittlung durch das Bundesverwaltungsgericht mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre, da hier (allerdings im kontradiktorischen Verfahren) im Wesentlichen die gleichen Ermittlungsschritte zu setzen sind wie durch die belangte Behörde.
Diese Voraussetzung einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes in der Sache selbst gem. § 28 Abs. 2 Z 1 und 2 VwGVG ist daher nicht gegeben, da weder der maßgebliche Sachverhalt feststeht noch die eigene Sachverhaltsermittlung in dieser gegenwärtigen Situation eine insgesamt raschere Verfahrenserledigung erlaubt.
3.3. Darüber hinaus kommt im gegenständlichen Fall auch die Anordnung des § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zu tragen:
Der Verwaltungsgerichtshof hat zusammengefasst in verschiedenen Erkenntnissen betont, dass eine umfangreiche und detaillierte Erhebung des asylrechtlich relevanten Sachverhalts durch die Behörde erster Instanz durchzuführen ist. Die Behörde hat die Pflicht, für die Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhalts erforderlichen Beweise zu sorgen und auf das Parteivorbringen, soweit es für die Feststellung des Sachverhalts von Bedeutung sein kann, einzugehen. Die Behörde darf sich über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründungen hinwegsetzen (vgl. VwGH 10.04.2013, 2011/08/0169).
Ebenso hat der Verfassungsgerichtshof, etwa in seinem Erkenntnis vom 7.11.2008, Zl. U 67/08-9, ausgesprochen, dass willkürliches Verhalten einer Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, dann anzunehmen ist, wenn in einem entscheidenden Punkt jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen wird oder ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren gar nicht stattfindet, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteienvorbringens oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhalts (vgl. VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001). Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (vgl. VfSlg. 13.302/1992 m. w. N., 14.421/1996, 15.743/2000).
Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterlassen hat, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden. Sind (lediglich) ergänzende Ermittlungen vorzunehmen, liegt die (ergänzende) Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht im Interesse der Raschheit im Sinn des § 28 Abs. 2 Z 2 erster Fall VwGVG (vgl. zum Ganzen zuletzt VwGH "11.01.2018" [Anm.: richtig: 11.01.2019] Ra 2018/18/0363 mit Verweis auf VwGH 06.09.2018, Ra 2018/18/0115, mwN).
3.4. Die gegenständliche Behebung und Zurückverweisung an die belangte Behörde steht nach Ansicht des erkennenden Gerichts mit diesen höchstgerichtlichen Leitlinien im Einklang:
Wie oben in den Feststellungen und der Beweiswürdigung aufgezeigt, hat die belangte Behörde auf sämtlichen Ebenen unzureichend ermittelt. Dabei führte sie zum einen überhaupt keine Ermittlungen durch und liegt überdies ein konkreter Anhaltspunkt dafür vor, dass die belangte Behörde die Ermittlungstätigkeit absichtlich unterlassen hat, damit sie vom Bundesverwaltungsgericht vorzunehmen ist: So zur Frage der Lebensführung bei der Erstbeschwerdeführerin, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt sowie zur Lebenssituation von Frauen am Verweisort Kabul (vgl. Punkte 1.2. und 2.2). Zum anderen nahm sie in wesentlichen, beide Beschwerdeführer betreffenden Punkten nur ansatzweise Ermittlungen vor: Dies zur Praxis von zwangsweisen Verlobungen und Zwangsehen in Afghanistan (vgl. Punkte 1.1. und 2.1.) ebenso wie zur konkreten Rückkehrsituation in der Stadt Kabul für die Beschwerdeführer (vgl. Punkte 1.3. und 2.3.).
Zusammenschauend verdichten sich die auf sämtlichen Ebenen bestehenden gravierenden Ermittlungsmängel derart, dass das Bundesverwaltungsgericht nicht nur ergänzende Ermittlungen vorzunehmen hätte, sondern den maßgeblichen Sachverhalt in seinen wesentlichen Fragestellungen überhaupt erst ermitteln müsste.
Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre, ist, wie bereits unter Punkt 3.2. dargestellt, nicht gegeben.
Ausgehend von diesen Überlegungen waren im vorliegenden Fall die angefochtenen Bescheide gem. § 28 Abs. 2 und 3 VwGVG zu beheben und zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
4. Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:
Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG entfallen, zumal aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit der Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist.
Zu Spruchteil B):
Gemäß § 25 Absatz 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF., hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Der gegenständliche Beschluss stützt sich maßgeblich auf die sich aus den Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs zu VwGH "11.01.2018" [Anm.: richtig:
11.01.2019] Ra 2018/18/0363; VwGH 06.09.2018, Ra 2018/18/0115 (Möglichkeit der Zurückverweisung bei krassen/besonders gravierenden Ermittlungsmängeln); VwGH 10.04.2013, 2011/08/0169 und VfGH VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001 (Ermittlungspflichten der Behörde) ergebenden höchstgerichtlichen Leitlinien. Darüber hinaus hat sie die aktuelle und außerordentliche Situation vor Augen, dass aktuell die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Bundesverwaltungsgericht selbst keinesfalls im Interesse der Raschheit gelegen ist.
Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht vorgekommen.
Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar teilweise zur früheren Rechtslage ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
Ermittlungspflicht, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W220.2135564.1.00Zuletzt aktualisiert am
14.05.2020