Entscheidungsdatum
17.07.2019Norm
AsylG 2005 §10Spruch
1) W225 2208637-1/2E
2) W225 2208645-1/2E
3) W225 2208636-1/2E
4) W225 2208641-1/2E
5) W225 2208640-1/2E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Dr. Barbara WEIß über die Beschwerden von
1) XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch RA Mag. Julian A. MOTAMEDI, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.08.2018, Zl: XXXX ,
2) XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch RA Mag. Julian A. MOTAMEDI, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.08.2018, Zl: XXXX ,
3) XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gesetzlich vertreten durch die Mutter XXXX , geb. XXXX , diese vertreten durch RA Mag. Julian
A. MOTAMEDI, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.08.2018, Zl: XXXX ,
4) XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gesetzlich vertreten durch die Mutter XXXX , geb. XXXX , diese vertreten durch RA Mag. Julian
A. MOTAMEDI, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.08.2018, Zl: XXXX ,
5) XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gesetzlich vertreten durch die Mutter XXXX , geb. XXXX , diese vertreten durch RA Mag. Julian
A. MOTAMEDI, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.08.2018, Zl: XXXX beschlossen:
A)
Die angefochtenen Bescheide werden gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG aufgehoben und zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang:
I.1. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin (BF1 und BF2) sowie ihre gemeinsamen Kinder, der Drittbeschwerdeführer, die Viertbeschwerdeführerin und der Fünftbeschwerdeführer (BF3 bis BF5) gelangten unberechtigt in das Bundesgebiet und stellten am 10.11.2015 gegenständliche Anträge auf internationalen Schutz.
I.2. Bei der Einvernahme der Zweitbeschwerdeführerin durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) am 05.07.2018 gab diese unter anderem an, dass sie mit ihrer Familie im Alter von zwei Jahren von Afghanistan in den Iran gezogen sei. Sie hätte ihren Cousin heiraten sollen. Da sie dies jedoch nicht wollte, sei sie von zu Hause geflüchtet und habe einen anderen Mann - ihren jetzigen Ehemann - geheiratet. Die Schule habe sie nur sechs Jahre besuchen dürfen, da ihr Vater einen weiteren Schulbesuch nicht erlaubt habe. Im Iran hätten Frauen keine Rechte, sodass sie nicht arbeiten hätte dürfen. Sie sei Hausfrau gewesen. Zum Fluchtgrund befragt, gab die BF2 an, dass sie wegen der drohenden Zwangsverheiratung von ihrem Elternhaus geflüchtet sei. Sie und ihre Kinder würden gesteinigt werden, wenn sie nach Afghanistan zurückkehren würden. Sie habe zwölf Jahre im Iran in Angst gelebt, dass ihre Familie sie finden werde. Eines mittags sei ihr Bruder mit drei weiteren Personen gekommen und habe ihren Ehemann mit einem Holzstock und Fäusten misshandelt und schwer verletzt. Sie selbst sei von ihrem Bruder geschlagen und mit einem Messer bedroht worden. Erst als die Nachbarn zu Hilfe gekommen seien, seien die Angreifer geflüchtet. Nach diesem Vorfall sei sie mit ihrem Ehemann und den Kindern umgezogen. Ihr Leben habe sich allerdings nicht gebessert, da sie im Iran Diskriminierungen ausgesetzt gewesen seien. Als Beilagen wurde ein Konvolut an medizinischen Attesten, Integrationsunterlagen, Empfehlungsschreiben und Arbeitsbestätigungen genommen.
I.3. Mit Schreiben ihrer Rechtsvertretung vom 26.07.2018 gaben die Beschwerdeführer eine Stellungnahme ab. Darin beriefen sie sich auf die höchstgerichtliche Rechtsprechung zur geschlechtsspezifischen Verfolgung von Frauen in Afghanistan und wiesen darauf hin, dass die Zweitbeschwerdeführerin in der Zeit ihres Aufenthaltes in Österreich einen westlichen Lebensstil angenommen habe.
I.4. Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG wurden Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen die Beschwerdeführer Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde zudem gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters wurde ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise der Beschwerdeführer gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).
Begründend wurde ausgeführt, dass dem Vorbringen der Beschwerdeführer zu den von ihnen behaupteten Verfolgungsgründen die Glaubwürdigkeit abzusprechen sei. Auch aus dem sonstigen Ergebnis des Ermittlungsverfahrens würden sich keine Hinweise auf das Vorliegen eines Sachverhalts, welcher gem. Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 zur Gewährung von Asyl führen würde, ergeben.
Bezüglich der Lage von Frauen in Afghanistan sei anzuführen, dass sich diese laut den Länderinformationen zweifellos schwierig gestalten. Die Abgrenzung der asylrechtlich unbeachtlichen "bloßen Diskriminierung" gegenüber der (individuellen) "Verfolgung" aus Gründen der GFK sei unter den Gesichtspunkten der erforderlichen Intensität des Eingriffs und des betroffenen Schutzguts zu beurteilen. Nachteile, welche auf die in einem Staat allgemein vorherrschenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lebensbedingungen zurückzuführen seien, würden keine Verfolgung im Sinne der GFK darstellen.
Nicht jede Änderung der Lebensführung einer Asylwerberin während ihres Aufenthalts in Österreich, die im Falle einer Rückkehr nicht mehr aufrechterhalten werden könnte, führe dazu, dass der Asylwerberin deshalb internationaler Schutz gewährt werden müsse. Entscheidend sei vielmehr eine grundlegende und auch entsprechend verfestigte Änderung der Lebensführung der Asylwerberin, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck komme, und die bei Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht gelebt werden könnte.
In Bezug auf die Zweitbeschwerdeführerin wurde zudem angemerkt, dass sie eine volljährige, lebenserfahrene, arbeitsfähige, gesunde und junge Frau sei. Ihr Ehemann könne für ihre Versorgung aufkommen. Darüber hinaus wurde festgehalten, dass sich aus dem Vorbringen der Beschwerdeführer keine Rückkehrgefährung ergebe. Es würden keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestehen, dass den Beschwerdeführern im Falle einer Abschiebung nach Afghanistan eine unmenschliche Behandlung iSd Art. 3 EMRK drohe.
I.5. Gegen die gegenständlichen Bescheide des BFA erhoben die Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde. Darin wiesen sie darauf hin, dass sie in der Zeit ihres Aufenthaltes in Österreich einen westlichen Lebensstil angenommen hätten und ihre Freiheiten in Österreich ausleben würden. Der BF1 und die BF2 hätten bereits diverse Deutschkurse besucht. Sie hätten soziale Kontakte, nach denen jedoch von Seiten der Behörde nicht weiter gefragt worden sei, obwohl sogar diesbezüglich Namen angegeben worden seien. Die Beschwerdeführer würden außerordentlich viele soziale Aktivitäten (tanzen, laufen, Gitarre) ausüben. Weshalb die Behörde dazu nichts festgehalten habe, sei nicht nachvollziehbar. Es wurden die Anträge gestellt, eine mündliche Verhandlung durchzuführen und der Beschwerde Folge zu geben und die Bescheide des Bundesamtes dahingehend abzuändern, dass den Asylanträgen stattgegeben werde; in eventu dahingehend abzuändern, dass den Beschwerdeführern der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt werde; in eventu die Ausweisung der Beschwerdeführer für dauerhaft unzulässig zu erklären; in eventu den bekämpften Bescheid in all seinen Spruchpunkten zu beheben und zur neuerlichen Entscheidung an die Erstinstanz zurückzuverweisen; jedenfalls die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
I.6. Am 31.10.2018 langten die gegenständlichen Beschwerden samt den Verwaltungsakten beim Bundesverwaltungsgericht ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1.1. Gemäß § 7 BFA-VG idgF entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes. Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes ist daher im vorliegenden Beschwerdeverfahren gegeben.
Zu A) Zurückverweisung der Beschwerde
1.2. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
Das Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, allerdings mit dem Unterschied, dass die Notwendigkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach § 28 Abs. 3 VwGVG nicht erforderlich ist (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren 2013, § 28 VwGVG, Anm. 11.)
§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.
Aus der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu der vergleichbaren Bestimmung des § 66 Abs. 2 AVG ergibt sich, dass nur Mängel der Sachverhaltsfeststellung, d.h. im Tatsachenbereich zur Behebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit berechtigen (vgl. VwGH 19.11.2009, 2008/07/0168).
Der Verwaltungsgerichtshof hat mit den Erkenntnissen vom 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315 und Zl. 2000/20/0084, grundsätzliche Ausführungen zur Anwendbarkeit des § 66 Abs. 2 AVG im Asylverfahren im Allgemeinen und durch den Unabhängigen Bundesasylsenat im Besonderen getätigt. Dabei hat er im letztgenannten Erkenntnis insbesondere ausgeführt: "Bei der Abwägung der für und gegen eine Entscheidung gemäß § 66 Abs. 2 AVG sprechenden Gesichtspunkte muss nämlich auch berücksichtigt werden, dass das Asylverfahren nicht nur möglichst kurz sein soll. Zur Sicherung seiner Qualität hat der Gesetzgeber einen Instanzenzug vorgesehen, der zur belangten Behörde und somit zu einer gerichtsähnlichen, unparteilichen und unabhängigen Instanz als besonderem Garanten eines fairen Asylverfahrens führt (vgl. bereits das Erkenntnis vom 16. April 2002, Zl. 99/20/0430). Die der belangten Behörde in dieser Funktion schon nach der Verfassung zukommenden Rolle einer obersten Berufungsbehörde (Art. 129c 1 B-VG) wird aber ausgehöhlt und die Einräumung eines Instanzenzuges zur bloßen Formsache degradiert, wenn sich das Asylverfahren einem eininstanzlichen Verfahren vor der Berufungsbehörde nähert, weil es das Bundesasylamt ablehnt, auf das Vorbringen sachgerecht einzugehen und brauchbare Ermittlungsergebnisse in Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen. Diese über die Unvollständigkeit der Einvernahme hinaus gehenden Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens sprechen auch bei Bedachtnahme auf die mögliche Verlängerung des Gesamtverfahrens unter dem Gesichtspunkt, dass eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst bei der "obersten Berufungsbehörde" beginnen und zugleich - abgesehen von der im Sachverhalt beschränkten Kontrolle der letztinstanzlichen Entscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof - bei derselben Behörde enden soll [...]."
1.3. Der Verwaltungsgerichtshof verlangt in seiner Rechtsprechung eine ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens eines Asylwerbers unter dem Gesichtspunkt der Konsistenz der Angaben, der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers und der objektiven Wahrscheinlichkeit seines Vorbringens, wobei letzteres eine Auseinandersetzung mit (aktuellen) Länderberichten verlangt (VwGH vom 26.11.2003, Zl. 2003/20/0389).
Ebenso hat der Verfassungsgerichtshof - in nunmehr ständiger Rechtsprechung (vgl. Erkenntnis vom 24.02.2009, Zl. U 179/08-14 u. a.) - ausgesprochen, dass willkürliches Verhalten einer Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, dann anzunehmen ist, wenn in einem entscheidenden Punkt jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen wird oder ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren gar nicht stattfindet, insbesondere in Verbindung mit dem Ignorieren des Parteienvorbringens oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhalts (vgl. VfSlg.15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001). Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (vgl. VfSlg. 13.302/1992 m.w.N., 14.421/1996, 15.743/2000).
2. In seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063-4, hat der Verwaltungsgerichtshof zuletzt in Hinblick auf die nach § 28 Abs. 3 VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit ausgesprochen, dass prinzipiell eine meritorische Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte bestehe und von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen beziehungsweise besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden könne. Diesbezüglich führte er aus, dass eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen insbesondere dann in Betracht komme, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gelte, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.
3. Die belangte Behörde hat die von der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts geforderten Maßstäbe eines umfassend ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens in den gegenständlichen Verfahren missachtet. In den gegenständlichen Verfahren wurde ebenso gegen die in § 18 AsylG 2005 determinierten Ermittlungspflichten verstoßen. Der für den Umfang der Ermittlungspflicht maßgebliche § 18 AsylG 2005 bestimmt nämlich, dass das Bundesamt in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken hat, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt werden, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt oder überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von Amts wegen beizuschaffen.
Diese Rechtsnorm, die eine Konkretisierung der aus § 37 iVm. § 39 Abs. 2 AVG hervorgehenden Verpflichtung der Verwaltungsbehörde darstellt, den maßgebenden Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln und festzustellen, hat die belangte Behörde in diesen Verfahren jedoch missachtet.
Das Bundesamt hat betreffend mehrerer wesentlicher Verfahrensfragen den entscheidungsrelevanten Sachverhalt nicht bzw. grundlegend nicht ausreichend ermittelt, hat verfahrenswesentliche Feststellungen nicht getroffen und entsprechende Länderfeststellungen den gegenständlichen Bescheiden nicht zu Grunde gelegt.
Zunächst ist unter Verweis auch auf jüngste Entscheidungen des VfGH (etwa E 3507/2017-15 vom 27. Februar 2018) festzuhalten, dass die im angefochtenen Erkenntnis wiedergegebenen Länderberichte unter anderem nur allgemeine Ausführungen zur Situation von Kindern enthalten. Aus den den gegenständlichen Bescheiden zugrunde gelegten Länderfeststellungen geht insbesondere hervor, dass die Menschenrechtssituation von Kindern in Afghanistan insgesamt Anlass zur Sorge gäbe. So wird hierin ausgeführt, dass körperliche Züchtigungen und Übergriffe im familiären Umfeld, in Schulen oder durch die afghanische Polizei verbreitet seien. Die Länderberichte nennen Kinderarbeit als Problem. Die Regierung zeige auch nur geringe Bemühungen, Kinderarbeit zu verhindern oder Kinder aus ausbeuterischen Verhältnissen zu befreien. Rund 22 Prozent der Kinder in Afghanistan würden einer Arbeit nachzugehen haben. Betreffend die Ausbildungssituation wären Defizite zu erkennen. Den gegenständlichen Länderinformationen ist darüber hinaus auch zu entnehmen, dass viele Kinder in Afghanistan unterernährt seien und ca. zehn Prozent der Kinder vor ihrem fünften Lebensjahr sterben würden. ([0]Diese Länderfeststellungen kommen im Bescheid nicht vor.)
In seiner Begründung - insbesondere zur Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten - setzt sich das BFA jedoch nicht weiter mit der konkreten Situation von Minderjährigen in Afghanistan insgesamt und diesbezüglich eben auch nicht mit den in den angefochtenen Bescheiden zitierten Länderberichten auseinander. Zudem würdigt die Behörde vor dem Hintergrund der den angefochtenen Bescheiden zugrunde gelegten Länderfeststellungen die individuell konkrete Situation der Familie bei einer allfälligen Rückkehr nach Afghanistan nicht ausreichend. Diesbezüglich werden ausschließlich allgemeine Ausführungen betreffend der Möglichkeit der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit seitens der Eltern der Kinder bzw. der Möglichkeit der finanziellen Unterstützung durch Familienangehörige (von Seiten des Ehemanns) angeführt. Das BFA unterlässt damit jedoch eine vertiefende bzw. individuelle Auseinandersetzung mit den den angefochtenen Bescheiden zugrunde gelegten kinderspezifischen Länderberichten und der Frage, ob den drei Kindern - es handelt sich zum Zeitpunkt der Entscheidung um einen Sohn im Alter von sieben Jahren, eine Tochter im Alter von acht Jahren und einen Sohn im Alter von 13 Jahren - im Falle einer Rückkehr eine Verletzung ihrer gemäß Art. 2 und Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte droht (vgl. hiezu jüngst VfGH 21.9.2017, E 2130/2017 ua.; 11.10.2017 E 1734/2017 ua.; 11.10.2017 1803/2017 ua.). Eine (kinderspezifische) Auseinandersetzung mit der Frage, welche Rückkehrsituation die minderjährigen Beschwerdeführer tatsächlich vorfinden würde, kann im vorliegenden Fall nicht schon deshalb unterbleiben, weil die Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat auf den Schutz und die Fürsorge ihrer Eltern vertrauen könnte (vgl. VFGH 11.6.2018, E 1815/2018).
Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass den Bescheiden der Kinder keine eigenen Länderberichte zugrunde gelegt wurden, sondern ausschließlich auf die Länderberichte in den Bescheiden der beiden Eltern verwiesen wurde. Bei der Behandlung von Anträgen auf internationalen Schutz von Minderjährigen sind, unabhängig davon, ob diese unbegleitet sind oder gemeinsam mit ihren Eltern oder anderen Angehörigen leben, zur Beurteilung der Sicherheitslage einschlägige Herkunftsländerinformationen, in die auch die Erfahrungen in Bezug auf Kinder Eingang finden, bei entsprechender schlechter allgemeiner Sicherheitslage jedenfalls erforderlich. Dementsprechend hat der Verfassungsgerichtshof wiederholt hervorgehoben, welche Bedeutung die Länderfeststellungen im Hinblick auf Minderjährige haben (vgl. VfGH 11.10.2017, E 1803/2017, E 1463/2018).
Das BFA geht in den angefochtenen Bescheiden somit auf wesentliche Verfahrensfragen nicht ausreichend ein bzw. unterlässt die diesbezüglich erforderlichen Abklärungen gänzlich. Der von der Verwaltungsbehörde in dieser Sache ermittelte Sachverhalt ist somit grundlegend ergänzungsbedürftig und die angefochtenen Bescheide sind damit in den angeführten Punkten begründungslos ergangen.
Das BFA wird somit diese Ermittlungen im Zuge einer ergänzenden Befragung nachzuholen und entsprechend zu würdigen haben.
Die Vornahme solcherart verfahrenswesentlicher Abklärungen kann nicht gänzlich zur erstmaligen bzw. vollständigen Ermittlung im Beschwerdeverfahren an das BVwG delegiert werden. Eine solcherart gänzliche erstmalige Vornahme eines in den angeführten Punkten verfahrenswesentlich durchzuführenden Ermittlungsverfahrens als auch eine solcherart darauf aufbauende erstmalige Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann jedenfalls nicht im Sinne des Gesetzes liegen. Dies vor allem auch unter besonderer Berücksichtigung des Umstandes, dass das BFA als Spezialbehörde im Rahmen der Staatendokumentation für die Sammlung relevanter Tatsachen zur Situation in den betreffenden Staaten samt den Quellen zuständig ist und eine sämtliche verfahrensrelevante Aspekte abdeckende Prüfung des Antrages nicht erst beim BVwG beginnen und zugleich enden soll.
Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - auch angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteiverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - nicht ersichtlich.
Da der maßgebliche Sachverhalt in den gegenständlichen Verfahren somit nach wie vor in verfahrensrelevant wesentlichen Punkten nicht feststeht, war in einer Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen den Anträgen der Beschwerdeführer, die angefochtenen Bescheide zu beheben und an das BFA zurückzuverweisen, stattzugeben.
Auf Grundlage der neuen Ermittlungsergebnisse wird das BFA nach Vornahme von entsprechenden Abklärungen und unter Zugrundelegung von aktuellen, die oben angeführten Punkte abklärenden Länderfeststellungen, neue Bescheide zu erlassen haben.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil der gegenständliche Fall rein tatsachenlastig ist und keinerlei Rechtsfragen - schon gar nicht von grundsätzlicher Bedeutung - aufwirft. Der Vollständigkeit halber sei ausgeführt, dass die Judikatur zu § 66 Abs. 2 AVG in ihrem Kernbereich auf § 28 Abs. 3 VwGVG anzuwenden ist und diesbezüglich seit jeher Einheitlichkeit gegeben ist.
Schlagworte
Ermittlungspflicht, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W225.2208636.1.00Zuletzt aktualisiert am
14.05.2020