TE Bvwg Erkenntnis 2019/7/25 W133 2205217-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.07.2019
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

25.07.2019

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §7
AsylG 2005 §8
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §53
FPG §55
FPG §93
FPG §94

Spruch

W133 2205217-1/15E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Natascha GRUBER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch die XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.08.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 02.07.2019 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

Der Beschwerdeführer reiste am 04.10.1994 gemeinsam mit seinem Vater und seinen fünf Brüdern illegal in das österreichische Bundesgebiet ein.

Am 05.10.1994 brachte der Vater des damals noch minderjährigen Beschwerdeführers als dessen gesetzlicher Vertreter einen Asylantrag ein.

Mit Bescheid vom 30.11.1994 wies das Bundesasylamt (nunmehr: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, im Folgenden: BFA) den Antrag der Familie des Beschwerdeführers auf Gewährung von Asyl ab. Gegen diesen Bescheid wurde Berufung erhoben. Mit Bescheid des Bundesministeriums für Inneres vom 20.03.1995 wurde die Berufung gegen den Bescheid des Bundesasylamtes abgewiesen. In weiterer Folge verließ der Vater des Beschwerdeführers Österreich, der Beschwerdeführer blieb mit seinen Brüdern in Österreich zurück. Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 10.10.1996 wurde der Bescheid des Bundesministeriums für Inneres aufgehoben.

Mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenats vom 14.12.1999 wurde der Bescheid des Bundesasylamtes vom 30.11.1994 aufgehoben und das Verfahren zur neuerlichen Erlassung eines Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Mit Bescheid des Magistrats der XXXX vom 17.10.1995 wurde dem Beschwerdeführer gemäß §§ 1 Abs. 1 und 2, 4 Abs. 2 und 5 Abs. 1 des Bundesgesetzes, mit dem der Aufenthalt von Fremden in Österreich geregelt wird, eine Aufenthaltsbewilligung, befristet bis zum 30.09.1996 erteilt. Diese wurde letztmalig bis zum 24.08.2001 von der Bezirkshauptmannschaft XXXX verlängert.

Am 06.06.2000 fand eine Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesasylamt statt. Dabei führte er an, dass er Afghanistan verlassen habe, weil die Politiker, die damals an der Macht gewesen seien, seinen Vater hätten umbringen wollen. Den Grund dafür wisse er nicht genau, er glaube aber, dass sie vermutet hätten, dass er ein Spion sei. Zudem habe damals Krieg in Afghanistan geherrscht. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 09.06.2000 wurde dem Asylantrag des Beschwerdeführers schließlich gemäß § 7 AsylG 1997 stattgegeben und ihm in Österreich Asyl gewährt. Gleichzeitig wurde festgestellt, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Im Juni 2002 kam es zu einer Anzeige des zum damaligen Zeitpunkt bereits volljährigen Beschwerdeführers wegen des Verdachtes des Diebstahles einer Geldbörse in einem Tanzlokal.

Im Mai 2004 erfolgte eine weitere Anzeige des Beschwerdeführers wegen des Verdachtes der Beteiligung an einem Raufhandel auf der Straße.

Mit Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom 20.07.2006 wurde der - damals 22 Jahre alte - Beschwerdeführer wegen §§ 125, 91 Abs. 2

1. Fall StGB (Sachbeschädigung und Raufhandel mit tätlicher Beteiligung an einem Angriff) zu einer Freiheitsstrafe von drei Wochen bedingt nachgesehen (Probezeit drei Jahre) verurteilt.

Mit Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom 05.05.2010 wurde der Beschwerdeführer wegen § 127 StGB (Diebstahl) zu einer Geldstrafe von 50 Tagsätzen zu je 4 Euro (gesamt somit 200 Euro) bzw. im Nichteinbringungsfall zu einer Ersatzfreiheitsstrafe von 25 Tagen verurteilt.

Im Akt befindet sich ein Abschluss-Bericht einer näher genannten Sicherheitsbehörde vom 16.07.2010. Aus diesem Bericht ergibt sich, dass gegen den Beschwerdeführer der Verdacht auf sexuelle Belästigung und öffentliche geschlechtliche Handlungen bestand. Der Beschwerdeführer habe am 11.07.2010 - Anmerkung: sohin im Alter von 26 Jahren und nur 2 Monate nach der letzten Verurteilung - in einem Freibad zwei minderjährige Schülerinnen (14 und 15 Jahre alt) unsittlich angesprochen, diese hinter ein Gebüsch geführt, und dort unsittliche und geschlechtliche Handlungen gegen deren Willen vorgenommen (vgl. den Bericht im Akt AS 535). Aus dem Polizeibericht geht weiters hervor, dass sich der Beschwerdeführer gegenüber den Polizeibeamten äußerst aggressiv verhalten hatte.

Mit Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom 14.10.2010 wurde der Beschwerdeführer wegen §§ 127, 15 StGB (versuchter Diebstahl) zu einer Freiheitsstrafe von 6 Wochen bedingt (Probezeit drei Jahre, in weiterer Folge auf fünf Jahre verlängert) verurteilt.

Mit Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom 15.03.2011 wurde der Beschwerdeführer wegen § 208 Abs. 1 StGB (sittliche Gefährdung von Personen unter 16 Jahren) zu einer Freiheitsstrafe von 2 Monate, bedingt auf drei Jahre nachgesehen, unter Bedachtnahme auf das Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom 14.10.2010 gemäß §§ 31, 40 StGB verurteilt.

Im Akt befindet sich ein Abschluss-Bericht einer näher genannten Sicherheitsbehörde vom 24.05.2011. Aus diesem Bericht ergibt sich, dass der Beschwerdeführer gemeinsam mit einer anderen Person einem Taxilenker mehrere Faustschläge ins Gesicht versetzt und diesen dadurch am Körper verletzt haben soll.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 16.12.2011 wurde der Beschwerdeführer wegen § 83 Abs. 1 StGB (Körperverletzung) zu einer Freiheitsstrafe von einem Monat bedingt (Probezeit drei Jahre) unter Bedachtnahme auf das Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom 15.03.2011 gemäß §§ 31, 40 StGB verurteilt.

Mit Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom 05.11.2012 wurde der Beschwerdeführer wegen § 127 StGB (Diebstahl) zu einer Freiheitsstrafe von einem Monat bedingt (Probezeit drei Jahre) unter Bedachtnahme auf das Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 16.12.2011 gemäß §§ 31, 40 StGB verurteilt.

Im Akt befindet sich ein Abschluss-Bericht einer näher genannten Sicherheitsbehörde vom 17.01.2013. Aus diesem Bericht ergibt sich, dass gegen den Beschwerdeführer neuerlich der Verdacht auf sexuelle Belästigung und öffentliche geschlechtliche Handlungen bestehe. Der Beschwerdeführer habe am 15.01.2013 in seiner Funktion als Taxilenker einen weiblichen Fahrgast durch mehrmalige Handlungen sexuell belästigt (vgl. die Anzeigevorwürfe AS 633). Dieses Verfahren wegen § 218 Abs. 1 StGB (sexuelle Belästigung und öffentliche geschlechtliche Handlungen) wurde gemäß § 190 Z 1 StPO eingestellt.

Mit 22.07.2015 wurde dem Beschwerdeführer ein bis 21.07.2020 gültiger Konventionsreisepass ausgestellt.

Ein weiteres strafrechtliches Verfahren gegen den Beschwerdeführer wegen § 84 StGB (schwere Körperverletzung) wurde am 24.10.2017 gemäß § 190 Z 2 StPO eingestellt.

Im Akt befindet sich ein Abschluss-Bericht einer näher genannten Sicherheitsbehörde vom 29.04.2018. Aus diesem Bericht ergibt sich, dass gegen den Beschwerdeführer der Verdacht auf Gefährliche Drohung, Körperverletzung und fortgesetzte Gewaltausübung im familiären Bereich bestand. Der Beschwerdeführer habe am 29.04.2018 in der Nacht seine Ehefrau alkoholisiert im Zuge eines Streits mit dem Umbringen bedroht. Da er bereits mehrmals gewalttätig gegen seine Ehefrau geworden sei, habe sie diese Drohung ernst genommen. Weiters wurde der Beschwerdeführer beschuldigt, seine Ehefrau im Zuge des Streits am rechten Unterarm verletzt zu haben. Ebenso wird der Beschwerdeführer beschuldigt, ab dem Jahr 2011 seine Ehefrau im Zuge von Streitigkeiten in unregelmäßigen Abständen durch Zwicken am Körper, durch Ohrfeigen und Ziehen an den Haaren am Körper verletzt zu haben. Eine Anzeige durch seine Ehefrau sei aus Furcht und ethnischen Gründen nie erfolgt. Gegen den Beschwerdeführer wurde ein Betretungsverbot ausgesprochen, wobei sich der Beschwerdeführer dabei gegenüber den Polizeibeamten äußerst aggressiv verhalten hatte. Da sich der Beschwerdeführer nicht an das Betretungsverbot hielt, wurde er vorläufig festgenommen und zu einer Polizeiinspektion gebracht. Schließlich wurde wegen Tatbegehungs- und Tatausführungsgefahr über den Beschwerdeführer die U-Haft verhängt, er wurde in eine näher genannte Justizanstalt eingeliefert. Der Beschwerdeführer befand sich von 29.04.2018 bis 09.05.2018 in Untersuchungshaft.

Mit Aktenvermerk vom 07.05.2018 wurde vom BFA gegen den Beschwerdeführer ein Aberkennungsverfahren wegen Straffälligkeit bzw. Wegfall der Voraussetzungen für die Zuerkennung infolge geänderter Verhältnisse im Herkunftsstaat eingeleitet.

Im Akt befindet sich die Heiratsurkunde des Beschwerdeführers und seiner Frau.

Am 05.06.2018 fand eine Einvernahme des Beschwerdeführers betreffend das Aberkennungsverfahren vor dem BFA statt. Dabei gab der Beschwerdeführer Folgendes an: Er sei am XXXX in Kabul in Afghanistan geboren worden, besitze die afghanische Staatsangehörigkeit, gehöre der Volksgruppe der Paschtunen an und sei Moslem sunnitischer Ausrichtung. Er sei seit 2010 verheiratet, er habe in Pakistan geheiratet. 2011 habe er seine Ehefrau nach Österreich gebracht. Er habe seine Ehefrau über seine Schwester gefunden, es handle sich um eine arrangierte Ehe. Mit sieben Jahren sei er nach Österreich eingereist. Seine Ehefrau sowie seine vier Kinder würden sich in Österreich aufhalten, außerdem würden zwei seiner Brüder in Österreich leben. Seine Eltern seien bereits vor Jahren in Afghanistan eines natürlichen Todes gestorben. Drei seiner Brüder würden in Deutschland leben. Er habe noch eine Schwester in Afghanistan, seine anderen Schwestern würden verteilt in Europa leben, er habe keinen Kontakt zu diesen. Seine Onkel mütterlicherseits würden sich noch in Afghanistan aufhalten, sie würden von der Landwirtschaft leben, er habe ein wenig Kontakt zu diesen. Seine Muttersprache sei Dari, er spreche außerdem Deutsch und Englisch. Von 1995 bis 2000 habe er in Österreich die Schule besucht, 2001 habe er seinen Hauptschulabschluss gemacht. Von 2002 bis 2005 habe er eine Lehre als Koch gemacht, diese habe er abgebrochen. Er habe drei Jahre lang in einem Casino gearbeitet, außerdem sei er drei Jahre lang Taxi gefahren. Seit 2014 betreibe er als Selbstständiger mit seiner Frau eine Pizzeria. Weiters gab der Beschwerdeführer an, dass er keinerlei afghanische Dokumente besitze, er habe lediglich seinen Österreichischen Konventionsreisepass. Als er dazu befragt wurde, warum er damals Afghanistan verlassen habe, gab er an, dass man diesbezüglich seinen Vater fragen müsse. Sein Vater sei Professor an der Universität gewesen und habe Mathematik und Sprachen unterrichtet. Als dem Beschwerdeführer bei der Befragung seine zahlreichen Verurteilungen vorgehalten wurden, sagte er aus, dass seine Jugend wild gewesen sei. Er habe keine gute Kindheit gehabt und sei nicht normal aufgewachsen. Er könne sich nur ändern, er könne jedoch nicht rückgängig machen, was passiert sei. Er sei nicht stolz darauf, was er gemacht habe. Er gab weiters an, dass er mit falschen Freunden unterwegs gewesen sei. Trotzdem arbeite er und habe Frau und Kinder. Jeder Mensch mache Fehler. Der Beschwerdeführer führte weiter aus, dass er die letzten drei Jahre sehr unter Druck gestanden habe. Er sei selbstständig, außerdem sei seine Frau ständig schwanger und deshalb zickig gewesen. Im Moment lebe er nicht mit seiner Familie zusammen, da gegen ihn ein Betretungsverbot bestehe. Betreffend eine mögliche Rückkehr nach Afghanistan brachte der Beschwerdeführer vor, dass er sich dort nicht auskenne. Die meisten würden sehen, dass er nicht von dort sei. Wenn man aber genug Geld habe, könne man dort gut leben.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 02.08.2018 wurde der Beschwerdeführer wegen §§ 107 b Abs. 1, 107 Abs. 1 StGB (fortgesetzte Gewaltausübung und gefährliche Drohung) wegen vorsätzlich begangener strafbarer Handlungen zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von sechs Monaten (Probezeit 3 Jahre) verurteilt.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 22.08.2018 wurde dem Beschwerdeführer der zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aberkannt. Gemäß § 7 Abs. 4 AsylG wurde festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukommt (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.). Dem Beschwerdeführer wurde gemäß § 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Des Weiteren wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Es wurde ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 FPG wurde gegen ihn ein auf die Dauer von sieben Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.). Gemäß § 94 Abs. 5 iVm § 93 Abs. 1 Z 1 und § 94 Abs. 1 FPG wurde dem Beschwerdeführer der Konventionsreisepass entzogen (Spruchpunkt VIII.).

Mit Verfahrensanordnung vom 22.08.2018 wurde dem Beschwerdeführer ein Rechtsberater gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG für ein allfälliges Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt. Ebenso wurde dem Beschwerdeführer mit Verfahrensanordnung vom selben Tag ein Rückkehrberatungsgespräch gemäß § 52a Abs. 2 BFA-VG angeordnet.

Im Akt befindet sich eine vom Beschwerdeführer gezeichnete Vollmacht vom 28.08.2018 zugunsten der XXXX .

Mit Schriftsatz vom 29.08.2018 erhob der Beschwerdeführer im Wege seiner Rechtsvertretung gegen den Bescheid vom 22.08.2018 in vollem Umfang fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

Die gegenständliche Beschwerde und die bezughabenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 03.09.2018 vom BFA vorgelegt.

Im Akt befindet sich ein Abschluss-Bericht einer näher genannten Sicherheitsbehörde vom 27.02.2019. Aus diesem Bericht ergibt sich, dass gegen den Beschwerdeführer der Verdacht auf Veruntreuung besteht. Der Beschwerdeführer habe im Zuge einer Anmietung eines Lokals einen Einbaukühlschrank sowie eine Elektroplatte veruntreut und die beiden Geräte schließlich verkauft.

Mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung brachte das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer die aktuellen Länderberichte zur Kenntnis.

Im Akt befindet sich ein Abtretungs-Bericht einer näher genannten Sicherheitsbehörde vom 04.06.2019. Aus diesem Bericht ergibt sich, dass der Beschwerdeführer beschuldigt wurde, im Zeitraum von Jänner 2019 bis Ende April 2019 Suchtmittel in Form von Cannabis besessen und von einer anderen Person erworben zu haben.

Am 02.07.2019 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, an der der Beschwerdeführer, dessen Rechtsvertretung, ein Dolmetscher für die Sprachen Dari und Pashtu sowie ein Vertreter der belangten Behörde teilnahmen. Die Ehefrau des Beschwerdeführers wurde in der Verhandlung als Zeugin einvernommen.

Am 04.07.2019 langten beim Bundesverwaltungsgericht diverse Unterlagen betreffend den Beschwerdeführer ein, dabei handelt es sich um ein Schreiben einer Bezirkshauptmannschaft, einen Abschlussbericht einer Familienintensivbetreuung, eine Teilnahmebestätigung einer Männerberatung, eine Bezugsbestätigung des AMS sowie die Geburtsurkunden der Kinder des Beschwerdeführers.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

Der Beschwerdeführer reiste am 04.10.1994 im Alter von 10 Jahren gemeinsam mit seinem Vater und seinen fünf Brüdern illegal in das österreichische Bundesgebiet ein. Am 05.10.1994 brachte der Vater des damals noch minderjährigen Beschwerdeführers als dessen gesetzlicher Vertreter einen Asylantrag ein. Kurz nach der gemeinsamen Einreise verließ der Vater des Beschwerdeführers Österreich wieder, der Beschwerdeführer blieb jedoch mit seinen Brüdern in Österreich zurück.

Mit Bescheid des XXXX vom 17.10.1995 wurde dem Beschwerdeführer eine bis zum 30.09.1996 befristete Aufenthaltsbewilligung erteilt. Diese wurde letztmalig bis zum 24.08.2001 von der Bezirkshauptmannschaft XXXX verlängert.

Mit Bescheid des ehemaligen Bundesasylamtes vom 09.06.2000 wurde dem Asylantrag vom 05.10.1994 des damals noch minderjährigen, sich ohne seine Eltern in Österreich befindlichen Beschwerdeführers schließlich gemäß § 7 AsylG 1997 stattgegeben und ihm in Österreich Asyl gewährt. Gleichzeitig wurde festgestellt, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Die Entscheidung des Bundesasylamtes erwuchs in Rechtskraft.

Der nunmehr volljährige Beschwerdeführer wurde am XXXX in Kabul in Afghanistan geboren, er ist Staatsangehöriger von Afghanistan. Der Beschwerdeführer ist sunnitischer Moslem und gehört der Volksgruppe der Paschtunen an. Der Beschwerdeführer verfügte über einen Konventionsreisepass.

Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Dari, der Beschwerdeführer spricht außerdem fließend Deutsch.

Von 1995 bis 2000 hat er in Österreich die Schule besucht, 2001 hat er seinen Hauptschulabschluss gemacht. Der Beschwerdeführer hat in Österreich eine Lehre als Koch begonnen, er hat diese jedoch abgebrochen. Er hat in Österreich unter anderem Arbeitserfahrung in einem Casino und als Taxifahrer gesammelt. Er hat jedoch auch immer wieder Notstandshilfe/Überbrückungshilfe und Arbeitslosengeld bezogen. Von 2014 bis Ende November 2018 betrieb er gemeinsam mit seiner Frau eine Pizzeria. Seit XXXX bezieht der Beschwerdeführer Arbeitslosengeld, er befindet sich derzeit in einer Schulungsmaßnahme des AMS im Bereich XXXX .

Beim Beschwerdeführer handelt es sich um einen gesunden und leistungsfähigen Mann im berufsfähigen Alter ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf. Er verfügt über Schulbildung und Arbeitserfahrung. Der Beschwerdeführer leidet an keinen körperlichen oder psychischen Erkrankungen. Der Beschwerdeführer ist daher gesund und arbeitsfähig.

Der Beschwerdeführer fühlt sich - trotz seines langen Aufenthaltes in Österreich - nach wie vor mit den traditionellen afghanischen Werten verbunden:

Der Beschwerdeführer hat im Jahr 2010 nach muslimischem Recht eine afghanische Staatsangehörige geheiratet, es handelt sich dabei um eine arrangierte, jedoch keine Zwangsehe. Der Beschwerdeführer reiste zur Eheschließung nach Pakistan, die Ehefrau befand sich in Afghanistan und heiratete den Beschwerdeführer in dessen Abwesenheit, ohne ihn jemals persönlich gesehen zu haben. Ihr waren zum Zeitpunkt der Eheschließung nur ein Foto und der Umstand bekannt, dass er sich in Österreich aufhielt. Über die strafrechtlichen Vorkommnisse des Beschwerdeführers wusste sie zum Zeitpunkt der Eheschließung ebenfalls nicht Bescheid. Die Ehefrau des Beschwerdeführers reiste schließlich 2011 legal nach Österreich ein, vor diesem Zeitpunkt gab es kein Familienleben zwischen dem Beschwerdeführer und ihr. Sie und der Beschwerdeführer haben vier gemeinsame Kinder, welche alle in Österreich geboren wurden. Ihr erster Sohn wurde am 22.01.2013, die erste Tochter am 23.06.2014, eine weitere Tochter am 08.05.2017 und ein weiterer Sohn am 19.04.2018 geboren.

Die Ehefrau des Beschwerdeführers und die vier gemeinsamen Kinder besitzen alle die afghanische Staatsbürgerschaft und haben in Österreich einen eigenen, bis 12.06.2021 befristeten Aufenthaltstitel (Rot-Weiß-Rot - Karte plus). Die Ehefrau des Beschwerdeführers ist eine selbstständige und unabhängige Frau. Sie hat bereits in Afghanistan gearbeitet und war in Österreich Geschäftsführerin einer Pizzeria, welche sie gemeinsam mit dem Beschwerdeführer betrieb. Außerdem ist sie die Berechtigte an der Wohnung, in der die Familie in Österreich lebt.

Neben seiner Kernfamilie halten sich noch zwei Brüder des Beschwerdeführers in Österreich auf. Drei Brüder des Beschwerdeführers leben in Deutschland, seine Schwestern leben in Europa verteilt. In Afghanistan halten sich noch die Schwiegereltern sowie ein Onkel mütterlicherseits des Beschwerdeführers auf. Der Beschwerdeführer steht mit seinen Schwiegereltern in Afghanistan in Kontakt, es besteht ein gutes familiäres Verhältnis zu diesen. Die Eltern des Beschwerdeführers sind beide in Afghanistan eines natürlichen Todes gestorben.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich nicht unbescholten:

Er wurde zuletzt mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 02.08.2018 wegen §§ 107 b Abs. 1, 107 Abs. 1 StGB wegen vorsätzlich begangener strafbarer Handlungen zu einer bedingten Freiheitsstrafe von sechs Monaten (Probezeit 3 Jahre) verurteilt. Mit diesem Urteil wurde ausgesprochen, dass der Beschwerdeführer schuldig ist, im Zeitraum von zumindest 2016 bis 29.04.2018 gegen seine Ehefrau eine längere Zeit hindurch fortgesetzt Gewalt ausgeübt zu haben, indem er sie regelmäßig ein bis zweimal pro Monat an den Unterarmen kräftig zwickte, wodurch sie wiederholt Hämatome erlitt, sowie an den Haaren zog und ihr Ohrfeigen versetzte sowie am 29.04.2018 seine Ehefrau durch die Äußerung, er werde sie schlagen, während er eine Holzstrebe eines Gitterbettes in der Hand hielt, zumindest mit Verletzungen am Körper gefährlich bedrohte, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen. Aufgrund des Vorfalles am 29.04.2018 wurde gegen den Beschwerdeführer ein Betretungsverbot ausgesprochen, er befand sich von 29.04.2018 bis 09.05.2018 in Untersuchungshaft. Nach dem Vorfall am 29.04.2018 war die Frau des Beschwerdeführers zwei Wochen lang in einem Frauenhaus, der Beschwerdeführer durfte drei Monate lang nicht zu seiner Familie nach Hause kommen. Die Familie des Beschwerdeführers wurde von Juni 2018 bis März 2019 im Rahmen einer Unterstützung der Erziehung durch eine mobile Familienhilfe betreut.

Bereits zuvor war der Beschwerdeführer mehrmals wegen folgender Delikte strafgerichtlich rechtskräftig verurteilt worden, wobei diese Verurteilungen zum Entscheidungszeitpunkt jedoch getilgt sind:

Mit Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom 20.07.2006 wurde der Beschwerdeführer wegen §§ 125, 91 Abs. 2 1.Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von drei Wochen bedingt (Probezeit drei Jahre) verurteilt.

Mit Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom 05.05.2010 wurde der Beschwerdeführer wegen § 127 StGB zu einer Geldstrafe von 50 Tagsätzen zu je 4 Euro (gesamt somit 200 Euro) bzw. im Nichteinbringungsfall zu einer Ersatzfreiheitsstrafe von 25 Tagen verurteilt.

Mit Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom 14.10.2010 wurde der Beschwerdeführer wegen §§ 127, 15 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 6 Wochen bedingt (Probezeit drei Jahre, in weiterer Folge auf fünf Jahre verlängert) verurteilt.

Mit Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom 15.03.2011 wurde der Beschwerdeführer wegen § 208 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 2 Monate, bedingt auf drei Jahre, unter Bedachtnahme auf das Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom 14.10.2010 gemäß §§ 31, 40 StGB verurteilt.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 16.12.2011 wurde der Beschwerdeführer wegen § 83 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von einem Monat bedingt (Probezeit drei Jahre) unter Bedachtnahme auf das Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom 15.03.2011 gemäß §§ 31, 40 StGB verurteilt.

Mit Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom 05.11.2012 wurde der Beschwerdeführer wegen § 127 StGB zu einer Freiheitsstrafe von einem Monat bedingt (Probezeit drei Jahre) unter Bedachtnahme auf das Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 16.12.2011 gemäß §§ 31, 40 StGB verurteilt.

Auch nach Einleitung des Aberkennungsverfahren durch die belangte Behörde laufen neuerlich strafrechtliche Ermittlungen gegen den Beschwerdeführer:

Im Akt befindet sich ein Abschluss-Bericht einer näher genannten Sicherheitsbehörde vom 27.02.2019. Aus diesem Bericht ergibt sich, dass gegen den Beschwerdeführer der Verdacht auf Veruntreuung besteht. Außerdem findet sich im Akt ein Abtretungs-Bericht einer näher genannten Sicherheitsbehörde vom 04.06.2019. Aus diesem Bericht ergibt sich, dass der Beschwerdeführer beschuldigt wird, im Zeitraum von Jänner 2019 bis Ende April 2019 Suchtmittel in Form von Cannabisblüten besessen und von einer anderen Person erworben zu haben.

Beim Beschwerdeführer handelt es sich um eine Person, welche im Laufe des Aufenthaltes in Österreich umfassende kriminelle Energie sowohl im Bereich der Eigentums- und Vermögensdelikte als auch der Delikte gegen Leib und Leben und der strafbaren Handlungen gegen die Freiheit sowie darüber hinaus im Bereich der strafbaren Handlungen gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung zeigte.

Trotz der mehrfachen, zum Entscheidungszeitpunkt überwiegend getilgten Verurteilungen besteht auch noch zum Entscheidungszeitpunkt keinerlei Unrechtsbewusstsein oder aufrichtige Reue des Beschwerdeführers. Er tat seine getilgten Verurteilungen auf Vorhalt in der Verhandlung als "Jugend-Blödheiten" und "Diskogeschichten" ab. Mit der letzten Verurteilung des Beschwerdeführers, welche im Strafregister aufscheint, wurde der Beschwerdeführer - wie oben bereits ausführlich dargelegt - wegen der fortgesetzten Gewaltausübung und der gefährlichen Drohung gegenüber seiner eigenen Ehefrau verurteilt. Seither besucht der Beschwerdeführer einmal wöchentlich eine Männerberatung. Befragt zu seinen Besuchen bei der Männerberatung gab der Beschwerdeführer an, dass er dort gelernt habe, "dass man Frauen ausreden lassen solle".

In der mündlichen Verhandlung entstand beim erkennenden Gericht der nachdrückliche Eindruck, dass die Ehefrau des Beschwerdeführers von diesem massiv unter Druck gesetzt wird bzw wurde.

Nach Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichtes handelt es sich beim Beschwerdeführer um einen Mann, von welchem auch zum aktuellen Entscheidungszeitpunkt eine hohe Gefährlichkeit und bedrohliche Unberechenbarkeit, vor allem im Hinblick auf strafbare Handlungen gegenüber Frauen und auch gegenüber seiner eigenen Ehefrau ausgeht.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der volljährige Beschwerdeführer nach einer Rückkehr in den Herkunftsstaat Afghanistan zum Entscheidungszeitpunkt nach wie vor mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Übergriffe zu befürchten hätte. Dem Beschwerdeführer droht zum gegenständlichen Zeitpunkt in Afghanistan keine Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung. Insbesondere droht dem Beschwerdeführer auch keine Gefahr mehr, weil sein - in Afghanistan eines natürlichen Todes verstorbener Vater - von den damals an der Macht gewesenen Mudjaheddins verfolgt worden sei.

Es kann auch nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer aufgrund der Tatsache, dass er lange in Österreich gelebt hat, konkret und individuell bzw. dass jedem afghanischen Rückkehrer physische und/oder psychische Gewalt in Afghanistan droht.

Der Beschwerdeführer wäre im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan auf Grund einer "Verwestlichung" in Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ebenfalls keiner psychischen und/oder physischen Gewalt ausgesetzt.

Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Kabul ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen würde.

Dem Beschwerdeführer, der nach wie vor auch in Österreich gegenüber seiner Familie Dari spricht, steht aber eine zumutbare innerstaatliche Flucht- bzw. Schutzalternative in einer der großen Städte Afghanistans, nämlich Mazar-e Sharif oder Herat zur Verfügung; diesbezüglich wird auch auf die nachfolgenden Ausführungen im Rahmen der rechtlichen Beurteilung verwiesen.

Es kann auch nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr nach Mazar-e Sharif oder Herat ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen würde.

Seine Existenz in Mazar-e Sharif oder Herat könnte der Beschwerdeführer - zumindest anfänglich - mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern. Dabei könnte er seine Sprachkenntnisse, Schulbildung und seine Arbeitserfahrung nutzen.

Er ist auch in der Lage in den genannten Städten eine einfache Unterkunft zu finden. Der Beschwerdeführer hat zunächst auch die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form der Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen. Er könnte anfangs auch Unterstützung von seinen Schwiegereltern, welche sich in Afghanistan aufhalten, erhalten. Außerdem könnte er anfangs auch Unterstützung von seinen in Europa lebenden Verwandten erhalten.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr nach Mazar-e Sharif oder Herat Gefahr liefe, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr nach Mazar-e Sharif oder Herat Gefahr liefe, aufgrund seines derzeitigen Gesundheitszustandes in einen unmittelbar lebensbedrohlichen Zustand zu geraten.

Der Beschwerdeführer kann Mazar-e Sharif und Herat von Österreich aus sicher mit dem Flugzeug erreichen.

Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Allgemeine Sicherheitslage und sicherheitsrelevante Vorfälle

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil. Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum 16.8.2018 - 15.11.2018 5.854 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 2% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 5% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (63%) aus. Selbstmordanschläge gingen um 37% zurück, was möglicherweise an erfolgreichen Bekämpfungsmaßnahmen in Kabul-Stadt und Jalalabad liegt. Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Streitkräfte stiegen um 25%. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten. In der Provinz Kandahar entstand die Befürchtung, die Sicherheitsbedingungen könnten sich verschlechtern, nachdem der Polizeichef der Provinz und der Leiter des National Directorate for Security (NDS) im Oktober 2018 ermordet worden waren (UNGASC 7.12.2018). Gemäß dem Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (SIGAR) fanden bis Oktober 2018 die meisten Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen in den Provinzen Badghis, Farah, Faryab, Ghazni, Helmand, Kandahar, Uruzgan und Herat statt. Von Oktober bis Dezember 2018 verzeichneten Farah, Helmand und Faryab die höchste Anzahl regierungsfeindlicher Angriffe (SIGAR 30.1.2019).

Nach dem Taliban-Angriff auf Ghazni-Stadt im August 2018, bestand weiterhin die Befürchtung, dass die Taliban großangelegte Angriffe im Südosten des Landes verüben könnten. Dies war zwar nicht der Fall, dennoch setzten Talibankämpfer die afghanischen Sicherheitskräfte am Stadtrand von Ghazni, in Distrikten entlang des Highway One nach Kabul und durch die Einnahme des Distrikts Andar in Ghazni im Oktober weiterhin unter Druck. Im Westen der Provinz Ghazni, wo die ethnische Gruppierung der Hazara eine Mehrheit bildet, verschlechterten sich die Sicherheitsbedingungen wegen großangelegter Angriffe der Taliban, was im November zur Vertreibung zahlreicher Personen führte. In Folge eines weiteren Angriffs der Taliban im Distrikt Khas Uruzgan der Provinz Uruzgan im selben Monat wurden ebenfalls zahlreiche Hazara-Familien vertrieben. Des Weiteren nahmen Talibankämpfer in verschiedenen Regionen vorübergehend strategische Positionen entlang der Hauptstraßen ein und behinderten somit die Bewegungsfreiheit zwischen den betroffenen Provinzen. Beispiele dafür sind Angriffe entlang Hauptstraßen nach Kabul in den Distrikten Daymirdad und Sayyidabad in Wardak, der Route Mazar - Shirbingham und Maimana - Andkhoy in den nördlichen Provinzen Faryab, Jawzjan und Balkh und der Route Herat - Qala-e-Naw im westlichen Herat und Badghis (UNGASC 7.12.2018). Trotz verschiedener Kampfhandlungen und Bedrohungen blieben mit Stand Dezember 2018 gemäß SIGAR die Provinzzentren aller afghanischen Provinzen unter Kontrolle bzw. Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.1.2019).

Im Laufe des Wahlregistrierungsprozesses und während der Wahl am 20. und am 21. Oktober wurden zahlreiche sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, welche durch die Taliban und den Islamischen Staat - Provinz Khorasan (ISKP) beansprucht wurden (UNGASC 7.12.2018; vgl. UNAMA 10.10.2018, UNAMA 11.2018). Während der Wahl in der Provinz Kandahar, die wegen Sicherheitsbedenken auf den 27. Oktober verschoben worden war, wurden keine sicherheitsrelevanten Vorfälle registriert. Die afghanischen Sicherheitskräfte entdeckten und entschärften einige IED [Improvised Explosive Devices - Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen] in Kandahar-Stadt und den naheliegenden Distrikten (UNAMA 11.2018). Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) hatte zwischen 1.1.2018 und 30.9.2018 im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen insgesamt 366 zivile Opfer (126 Tote und 240 Verletzte) registriert (UNAMA 10.10.2018). Am offiziellen Wahltag, dem 20. Oktober, wurden 388 zivile Opfer (52 Tote und 336 Verletzte) registriert, darunter 117 Kinder (21 Tote und 96 Verletzte) und 48 Frauen (2 Tote und 46 Verletzte). Am folgenden Wahltag, dem 21. Oktober, wurden 47 weitere zivile Opfer (4 Tote und 43 Verletzte) verzeichnet, inklusive 17 Kinder (2 Tote und 15 Verletzte) und Frauen (3 Verletzte). Diese Zahlen beinhalten auch Opfer innerhalb der Afghan National Police (ANP) und der Independet Electoral Commission (IEC) (UNAMA 11.2018). Die am 20. Oktober am meisten von sicherheitsrelevanten Vorfällen betroffenen Städte waren Kunduz und Kabul. Auch wenn die Taliban in den von ihnen kontrollierten oder beeinflussten Regionen die Wählerschaft daran hinderten, am Wahlprozess teilzunehmen, konnten sie die Wahl in städtischen Gebieten dennoch nicht wesentlich beeinträchtigen (trotz der hohen Anzahl von Sicherheitsvorfällen) (UNGASC 7.12.2018).

Die Regierung kontrolliert bzw. beeinflusst - laut Angaben der Resolute Support (RS) Mission - mit Stand 22.10.2018 53,8% der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 bedeutet. 33,9% der Distrikte sind umkämpft und 12,3% befinden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 63,5% der Bevölkerung leben in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befinden; 10,8% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 25,6% leben in umkämpften Gebieten. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Kontrolle bzw. Einfluss von Aufständischen sind Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).

Der ISKP ist weiterhin im Osten des Landes präsent und bekennt sich zu Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen in Nangarhar und zu sechs Angriffen in Kabul-Stadt. Des Weiteren finden in den Provinzen Nangarhar und Kunar weiterhin Kämpfe zwischen ISKP- und Talibankämpfern statt. Die internationalen Streitkräfte führten Luftangriffe gegen den ISKP in den Distrikten Deh Bala, Achin, Khogyani, Nazyan und Chaparhar der Provinz Nangarhar aus (UNGASC 7.12.2018).

Global Incident Map zufolge wurden im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) 4.436 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.

Zivile Opfer

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte), eine allgemeine Steigerung von 5% sowie eine Steigerung der Zahl der Toten um 11% gegenüber dem Vorjahreswert. 42% der zivilen Opfer (4.627 Opfer;

1.361 Tote und 3.266 Verletzte) wurden durch IED im Zuge von Anschlägen und Selbstmordanschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich ISKP) verursacht. Die Anzahl der Selbstmordanschläge unter Einsatz von IED stieg dabei um 22% und erreichte somit einen Rekordwert. Diese Art von Anschlägen verursachte 26% aller zivilen Opfer, während IED, die bei Nichtselbstmordanschlägen verwendet wurden, 16% der zivilen Opfer forderten. Kabul war mit insgesamt 1.866 Opfern (596 Tote und 1.270 Verletzte) die Provinz mit der höchsten Anzahl an Selbstmordanschlägen durch IED, während die Zahl der Opfer in Nangarhar mit insgesamt 1.815 (681 Tote und 1.134 Verletzte) zum ersten Mal fast die Werte von Kabul erreichte (hauptsächlich wegen des Einsatzes von IED bei Nichtselbstmordanschlägen). Kabul-Stadt verzeichnete insgesamt 1.686 zivile Opfer (554 Tote und 1.132 Verletzte) wegen komplexen und Selbstmordangriffen (UNAMA 24.2.2019).

Zusammenstöße am Boden (hauptsächlich zwischen regierungsfreundlichen und regierungsfeindlichen Gruppierungen) verursachten 31% der zivilen Opfer (insgesamt 3.382; davon 814 Tote und 2.568 Verletzte), was einen Rückgang um 3% im Vergleich mit dem Vorjahreswert bedeutet. Grund dafür war der Versuch regierungsfreundlicher Gruppierungen, die zivile Bevölkerung zu schonen. Die Verlagerung der Kämpfe in dünn besiedelte Gebiete, die Vorwarnung der lokalen Zivilbevölkerung bei Kampfhandlungen und die Implementierung von Strategien zum Schutz der Bevölkerung waren einige der bestimmenden Faktoren für den Rückgang bei zivilen Opfern. Jedoch ist die Opferzahl bei gezielt gegen die Zivilbevölkerung gerichteten komplexen Angriffen und Selbstmordanschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen gestiegen (plus 48% gegenüber 2017; 4.125 Opfer insgesamt, davon 1.404 Tote und 2.721 Verletzte). Sowohl der ISKP als auch die Taliban griffen gezielt Zivilisten an: Der ISKP war für 1.871 zivile Opfer verantwortlich, darunter waren u.a. Mitglieder der schiitischen Gemeinschaft, und die Taliban für 1.751. Obwohl die Gesamtzahl der zivilen Opfer durch gezielte Tötungen von Einzelpersonen (hauptsächlich durch Erschießung) zurückging, blieben Zivilisten inklusive religiöser Führer und Stammesältester weiterhin Ziele regierungsfeindlicher Gruppierungen. Die Gesamtzahl der durch Luftangriffe verursachten zivilen Opfer stieg im Vergleich mit dem Vorjahreswert um 61% und die Zahl der Todesopfer erreichte 82%. 9% aller zivilen Opfer wurden Luftangriffen (mehrheitlich der internationalen Luftwaffe) zugeschrieben, der höchste Wert seit 2009 (UNAMA 24.2.2019).

Regierungsfeindliche Gruppierungen waren im UNAMA-Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) für 6.980 zivile Opfer (2.243 Tote und 4.737 Verletzte) verantwortlich. Das entspricht 63% der gesamten zivilen Opfer. 37% davon werden den Taliban, 20% dem ISKP und 6% unbestimmten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben. Im Laufe des Jahres 2018 wurden vermehrt Anschläge gegen Bildungseinrichtungen verzeichnet, meist durch Talibankämpfer, da in Schulen Registrierungs- und Wahlzentren untergebracht waren. Der ISKP attackierte und bedrohte Bildungseinrichtungen als Reaktion auf militärische Operationen afghanischer und internationaler Streitkräfte. UNAMA berichtet auch über anhaltende Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen, welche Auswirkungen auf einen Großteil der zivilen Bevölkerung haben. Trotzdem die Taliban nach eigenen Angaben Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung ergriffen haben, attackierten diese weiterhin Zivilisten, zivile Einrichtungen und regierungsfreundliche Gruppierungen in Zivilgebieten (UNAMA 24.2.2019).

Ungefähr 24% der zivilen Opfer (2.612, davon 1.185 Tote und 1.427 Verletzte), werden regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben: 14% den afghanischen Sicherheitskräften, 6% den internationalen Streitkräften und 4% unbestimmten regierungsfreundlichen Gruppierungen. Die Steigerung um 4% gegenüber dem Vorjahr geht auf Luftangriffe der internationalen Streitkräfte und Fahndungsaktionen der afghanischen Sicherheitskräfte und regierungsfreundlicher Gruppierungen zurück (UNAMA 24.2.2019).

Die verbleibenden 13% der verzeichneten zivilen Opfer wurden im Kreuzfeuer während Zusammenstößen am Boden (10%), durch Beschuss aus Pakistan (1%) und durch die Explosion von Blindgängern verursacht (UNAMA 24.2.2019).

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

Terroristische und aufständische Gruppierungen stellen Afghanistan und die Koalitionskräfte vor erhebliche Herausforderungen. Derzeit sind rund 20 terroristische Organisationen in Afghanistan zu finden:

das von außen unterstützte Haqqani-Netzwerk stellt nach wie vor die größte Gefährdung für afghanische und internationale Kräfte dar. Die Verflechtung von Taliban und Haqqani-Netzwerk ist so intensiv, dass diese beiden Gruppierungen als Fraktionen ein und derselben Gruppe angesehen werden. Wenn auch die Taliban öffentlich verkündet haben, sie würden zivile Opfer einschränken, so führt das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin Angriffe in bevölkerungsreichen Gegenden aus (USDOD 12.2017).

Im August 2017 wurde berichtet, dass regierungsfeindliche bewaffnete Gruppierungen - insbesondere die Taliban - ihre Aktivitäten landesweit verstärkt haben, trotz des Drucks der afghanischen Sicherheitskräfte und der internationalen Gemeinschaft, ihren Aktivitäten ein Ende zu setzen (Khaama Press 13.8.2017). Auch sind die Kämpfe mit den Taliban eskaliert, da sich der Aufstand vom Süden in den sonst friedlichen Norden des Landes verlagert hat, wo die Taliban auch Jugendliche rekrutieren (Xinhua 18.3.2018). Ab dem Jahr 2008 expandierten die Taliban im Norden des Landes. Diese neue Phase ihrer Kampfgeschichte war die Folge des Regierungsaufbaus und Konsolidierungsprozess in den südlichen Regionen des Landes. Darüber hinaus haben die Taliban hauptsächlich in Faryab und Sar-i-Pul, wo die Mehrheit der Bevölkerung usbekischer Abstammung ist, ihre Reihen für nicht-paschtunische Kämpfer geöffnet (AAN 17.3.2017).

Teil der neuen Strategie der Regierung und der internationalen Kräfte im Kampf gegen die Taliban ist es, die Luftangriffe der afghanischen und internationalen Kräfte in jenen Gegenden zu verstärken, die am stärksten von Vorfällen betroffen sind. Dazu gehören u.a. die östlichen und südlichen Regionen, in denen ein Großteil der Vorfälle registriert wurde. Eine weitere Strategie der Behörden, um gegen Taliban und das Haqqani-Netzwerk vorzugehen, ist die Reduzierung des Einkommens selbiger, indem mit Luftangriffen gegen ihre Opium-Produktion vorgegangen wird (SIGAR 1.2018).

Außerdem haben Militäroperationen der pakistanischen Regierung einige Zufluchtsorte Aufständischer zerstört. Jedoch genießen bestimmte Gruppierungen, wie die Taliban und das Haqqani-Netzwerk Bewegungsfreiheit in Pakistan (USDOD 12.2017). Die Gründe dafür sind verschiedene: das Fehlen einer Regierung, das permissive Verhalten der pakistanischen Sicherheitsbehörden, die gemeinsamen kommunalen Bindungen über die Grenze und die zahlreichen illegalen Netzwerke, die den Aufständischen Schutz bieten (AAN 17.10.2017).

Taliban

Die Taliban führten auch ihre Offensive "Mansouri" weiter; diese Offensive konzentrierte sich auf den Aufbau einer "Regierungsführung" der Taliban (Engl. "governance") bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Gewalt gegen die afghanische Regierung, die ANDSF und ausländische Streitkräfte. Nichtsdestotrotz erreichten die Taliban, die Hauptziele dieser "Kampfsaison" laut US-Verteidigungsministerium nicht (USDOD 12.2017). Operation Mansouri sollte eine Mischung aus konventioneller Kriegsführung, Guerilla-Angriffen und Selbstmordattentaten auf afghanische und ausländische Streitkräfte werden (Reuters 28.4.2017). Auch wollten sich die Taliban auf jene Gegenden konzentrieren, die vom Feind befreit worden waren (LWJ 28.4.2017). Laut NATO Mission Resolute Support kann das Scheitern der Taliban-Pläne für 2017 auf aggressive ANDSF-Operationen zurückgeführt, aber auch auf den Umstand, dass die Taliban den IS und die ANDSF gleichzeitig bekämpfen müssen (USDOD 12.2017).

Im Jahr 2017 wurden den Taliban insgesamt 4.385 zivile Opfer (1.574 Tote und 2.811 Verletzte zugeschrieben. Die Taliban bekannten sich nur zu 1.166 zivilen Opfern. Im Vergleich zum Vorjahreswert bedeutet dies einen Rückgang um 12% bei der Anzahl ziviler Opfer, die den Taliban zugeschrieben werden. Aufgrund der Komplexität der in Selbstmord- und komplexen Anschlägen involvierten Akteure hat die UNAMA oft Schwierigkeiten, die daraus resultierenden zivilen Opfer spezifischen regierungsfreundlichen Gruppierungen zuzuschreiben, wenn keine Erklärungen zur Verantwortungsübernahme abgegeben wurde. Im Jahr 2017 haben sich die Taliban zu 67 willkürlichen Angriffen auf Zivilist/innen bekannt; dies führte zu 214 zivilen Opfern (113 Toten und 101 Verletzten). Auch wenn sich die Taliban insgesamt zu weniger Angriffen gegen Zivilist/innen bekannten, so haben sie dennoch die Angriffe gegen zivile Regierungsmitarbeiter/innen erhöht - es entspricht der Linie der Taliban, Regierungsinstitutionen anzugreifen (UNAMA 2.2018).

Schätzungen von SIGAR zufolge kontrollierten im Oktober 2017 und im Jänner 2018 die Taliban 14% der Distrikte Afghanistans (SIGAR 30.4.2018). Die Taliban selbst verlautbarten im März 2017, dass sie beinahe 10% der afghanischen Distrikte kontrollierten (ODI 6.2018). Die Taliban halten auch weiterhin großes Territorium in den nördlichen und südlichen Gegenden der Provinz Helmand (JD News 12.3.2018; vgl. LWJ 20.4.2018). Die ANDSF haben, unterstützt durch US-amerikanische Truppen, in den ersten Monaten des Jahres 2018 an Boden gewonnen, wenngleich die Taliban nach wie vor die Hälfte der Provinz Helmand unter Kontrolle halten (JD News 12.3.2018; vgl. LWJ 20.4.2018). Helmand war lange Zeit ein Hauptschlachtfeld - insbesondere in der Gegend rund um den Distrikt Sangin, der als Kernstück des Taliban-Aufstands erachtet wird (JD News 12.3.2018; vgl. Reuters 30.3.2018). Die Taliban haben unerwarteten Druck aus ihrer eigenen Hochburg in Helmand erhalten: Parallel zu der Ende März 2018 abgehaltenen Friendens-Konferenz in Uzbekistan sind hunderte Menschen auf die Straße gegangen, haben eine Sitzblockade abgehalten und geschworen, einen langen Marsch in der von den Taliban kontrollierten Stadt Musa Qala zu abzuhalten, um die Friedensgespräche einzufordern. Unter den protestierenden Menschen befanden sich auch Frauen, die in dieser konservativen Region Afghanistans selten außer Hauses gesehen werden (NYT 27.3.2018).

Die Taliban geben im Kurznachrichtendienst Twitter Angaben zu ihren Opfern oder Angriffen (FAZ 19.10.2017; vgl. Pajhwok 13.3.2018). Ihre Angaben sind allerdings oft übertrieben (FAZ 19.10.2017). Auch ist es sehr schwierig Ansprüche und Bekennermeldungen zu verifizieren - dies gilt sowohl für Taliban als auch für den IS (AAN 5.2.2018).

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh

Höchst umstritten ist von Expert/innen die Größe und die Gefahr, die vom IS ausgeht. So wird von US-amerikanischen Sicherheitsbeamten und weiteren Länderexpert/innen die Anzahl der IS-Kämpfer in Afghanistan mit zwischen 500 und 5.000 Kämpfern beziffert. Jeglicher Versuch die tatsächliche Stärke einzuschätzen, wird durch den Umstand erschwert, dass sich die Loyalität der bewaffneten radikalen Islamisten oftmals monatlich oder gar wöchentlich ändert, je nach ideologischer Wende, Finanzierung und Kampfsituation (WSJ 21.3.2018). Auch wurde die afghanische Regierung bezichtigt, die Anzahl der IS-Kämpfer in Afghanistan aufzublasen (Tolonews 10.1.2018). Zusätzlich ist wenig über die Gruppierung und deren Kapazität, komplexe Angriffe auszuführen, bekannt. Viele afghanische und westliche Sicherheitsbeamte bezweifeln, dass die Gruppierung alleine arbeitet (Reuters 9.3.2018).

Die Fähigkeiten und der Einfluss des IS sind seit seiner Erscheinung im Jahr 2015 zurückgegangen. Operationen durch die ANDSF und die US-Amerikaner, Druck durch die Taliban und Schwierigkeiten die Unterstützung der lokalen Bevölkerung zu gewinnen, störten das Wachstum des IS und verringerten dessen Operationskapazitäten. Trotz erheblicher Verluste von Territorium, Kämpfern und hochrangigen Führern, bleibt der IS nach wie vor eine Gefährdung für die Sicherheit in Afghanistan und in der Region. Er ist dazu in der Lage, öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen (HPA) in städtischen Zentren zu verüben (USDOD 12.2017). Der IS hat sich nämlich in den vergangenen Monaten zu einer Anzahl tödlicher Angriffe in unterschiedlichen Teilen des Landes bekannt - inklusive der Hauptstadt. Dies schürte die Angst, der IS könne an Kraft gewinnen (VoA 10.1.2018; vgl. AJ 30.4.2018). Auch haben örtliche IS-Gruppen die Verantwortung für Angriffe auf Schiiten im ganzen Land übernommen (USDOD 12.2017).

Im Jahr 2017 wurden dem IS 1.000 zivile Opfer (399 Tote und 601 Verletzte) zugeschrieben sowie die Entführung von 81 Personen; er war damit laut UNAMA für 10% aller zivilen Opfer im Jahr 2017 verantwortlich - eine Zunahme von insgesamt 11% im Vergleich zum Jahr 2016. Im Jahr 2017 hat sich der IS zu insgesamt 18 willkürlichen Angriffen auf Zivilist/innen oder zivile Objekte bekannt (UNAMA 2.2018); er agiert wahllos - greift Einrichtungen der afghanischen Regierung und der Koalitionskräfte an (AAN 5.2.2018), aber auch ausländische Botschaften (UNAMA 2.2.018). Fast ein Drittel der Angriffe des IS zielen auf schiitische Muslime ab (UNAMA 2.2018; vgl. AAN 5.2.2018) - sechs Angriffe waren auf schiitische Glaubensstätten (UNAMA 2.2018). Der IS begründet seine Angriffe auf die schiitische Gemeinschaft damit, dass deren Mitglieder im Kampf gegen den IS im Mittleren Osten involviert sind (AAN 5.2.2018).

Zusätzlich dokumentierte die UNAMA im Jahr 2017 27 zivile Opfer (24 Tote und drei Verletzte) sowie die Entführung von 41 Zivilist/innen, die von selbsternannten IS-Anhängern in Ghor, Jawzjan und Sar-e Pul ausgeführt wurden. Diese Anhänger haben keine offensichtliche Verbindung zu dem IS in der Provinz Nangarhar (UNAMA 2.2018).

Der IS rekrutierte auf niedriger Ebene und verteilte Propagandamaterial in vielen Provinzen Afghanistans. Führung, Kontrolle und Finanzierung des Kern-IS aus dem Irak und Syrien ist eingeschränkt, wenngleich der IS in Afghanistan nachhaltig auf externe Finanzierung angewiesen ist, sowie Schwierigkeiten hat, Finanzierungsströme in Afghanistan zu finden. Dieses Ressourcenproblem hat den IS in einen Konflikt mit den Taliban und anderen Gruppierungen gebracht, die um den Gewinn von illegalen Kontrollpunkten und den Handel mit illegalen Waren wetteifern. Der IS bezieht auch weiterhin seine Mitglieder aus unzufriedenen TTP-Kämpfern (Tehreek-e Taliban in Pakistan - TTP), ehemaligen afghanischen Taliban und anderen Aufständischen, die meinen, der Anschluss an den IS und ihm die Treue zu schwören, würde ihre Interessen vorantreiben (USDOD 12.2017).

Auch ist der IS nicht länger der wirtschaftliche Magnet für arbeitslose und arme Jugendliche in Ostafghanistan, der er einst war. Die Tötungen von IS-Führern im letzten Jahr (2017) durch die afghanischen und internationalen Kräfte haben dem IS einen harten Schlag versetzt, auch um Zugang zu finanziellen Mitteln im Mittleren Osten zu erhalten. Finanziell angeschlagen und mit wenigen Ressourcen, ist der IS in Afghanistan nun auf der Suche nach anderen Möglichkeiten des finanziellen Überlebens (AN 6.3.2018).

Kabul

Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul-Stadt. Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan, im Nordosten an Kapisa, im Osten an Laghman, an Nangarhar im Südosten, an Logar im Süden und an (Maidan) Wardak im Südwesten. Kabul ist mit den Provinzen Kandahar, Herat und Mazar durch die sogenannte Ringstraße und mit Peshawar in Pakistan durch die Kabul-Torkham Autobahn verbunden. Die Provinz Kabul besteht aus folgenden Einheiten (Pajhwok o.D.z): Bagrami, Chaharasyab/Char Asiab, Dehsabz/Deh sabz, Estalef/Istalif, Farza, Guldara, Kabul Stadt, Kalakan, Khak-e Jabbar/Khak-i-Jabar, Mirbachakot/Mir Bacha Kot, Musayi/Mussahi, Paghman, Qarabagh, Shakardara, Surobi/Sorubi (UN OCHA 4-2014; vgl. Pajhwok o.D.z).

Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.679.648 geschätzt (CSO 4.2017).

In der Hauptstadt Kabul leben unterschiedliche Ethnien: Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus. Ein Großteil der Bevölkerung gehört dem sunnitischen Glauben an, dennoch lebt eine Anzahl von Schiiten, Sikhs und Hindus nebeneinander in Kabul Stadt (Pajhwok o.D.z). Menschen aus unsicheren Provinzen, auf der Suche nach Sicherheit und Jobs, kommen nach Kabul - beispielsweise in die Region Shuhada-e Saliheen (LAT 26.3.2018). In der Hauptstadt Kabul existieren etwa 60 anerkannte informelle Siedlungen, in denen 65.000 registrierte Rückkehrer/innen und IDPs wohnen (TG 15.3.2018).

Kabul verfügt über einen internationalen Flughafen: den Hamid Karzai International Airport (HKIR) (Tolonews 25.2.2018; vgl. Flughafenkarte der Staatendokumentation; Kapitel 3). Auch soll die vierspurige "Ring Road", die Kabul mit angrenzenden Provinzen verbindet, verlängert werden (Tolonews 10.9.2017; vgl. Kapitel 3.35.).

Allgemeine Information zur Sicherheitslage

Einst als relativ sicher erachtet, ist die Hauptstadt Kabul von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen der Taliban betroffen (Reuters 14.3.2018), die darauf abzielen, die Autorität der afghanischen Regierung zu untergraben (Reuters 14.3.2018; vgl. UNGASC 27.2.2018). Regierungsfeindliche, bewaffnete Gruppierungen inklusive des IS versuchen in Schlüsselprovinzen und -distrikten, wie auch in der Hauptstadt Kabul, Angriffe auszuführen (Khaama Press 26.3.2018; vgl. FAZ 22.4.2018, AJ 30.4.2018). Im Jahr 2017 und in den ersten Monaten des Jahres 2018 kam es zu mehreren "high-profile"-Angriffen in der Stadt Kabul; dadurch zeigte sich die Angreifbarkeit/Vulnerabilität der afghanischen und ausländischen Sicherheitskräfte (DW 27.3.2018; vgl. VoA 19.3.2018 SCR 3.2018, FAZ 22.4.2018, AJ 30.4.2018).

Informationen und Beispiele zu öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen (HPA) können dem Kapitel "Sicherheitslage (allgemeiner Teil)" entnommen werden; Anmerkung der Staatendokumentation.

Im Zeitraum 1.1.2017- 30.4.2018 wurden in der Provinz 410 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.

Im gesamten Jahr 2017 wurden 1.831 zivile Opfer (479 getötete Zivilisten und 1.352 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Selbstmordanschläge, gefolgt von IEDs und gezielte Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 4% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016. Für Kabul-Stadt wurden insgesamt 1.612 zivile Opfer registriert; dies bedeutet eine Steigerung von 17% im Gegensatz zum Vorjahr 2016 (440 getötete Zivilisten und 1.172 Verletzte) (UNAMA 2.2018).

Im Jahr 2017 war die höchste Anzahl ziviler Opfer Afghanistans in der Provinz Kabul zu verzeichnen, die hauptsächlich auf willkürliche Angriffe in der Stadt Kabul zurückzuführen waren; 16% aller zivilen Opfer in Afghanistan sind in Kabul zu verzeichnen.

Selbstmordangriffe und komplexe Attacken, aber auch andere Vorfallsarten, in denen auch IEDs verwendet wurden, erhöhten die Anzahl ziviler Opfer in Kabul. Dieser öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriff im Mai 2017 war alleine für ein Drittel ziviler Opfer in der Stadt Kabul im Jahr 2017 verantwortlich (UNAMA 2.2018).

Militärische Operationen und Maßnahmen der afghanischen Regierung in der Provinz Kabul

Regelmäßig werden in der Hauptstadt Sicherheitsoperationen durch die Regierung in unterschiedlichen Gebieten ausgeführt (Tolonews 31.1.2018; vgl. AT 18.3.2018, RS 28.2.2018; vgl. MF 18.3.2018). Im Rahmen des neuen Sicherheitsplanes sollen außerdem Hausdurchsuchungen ausgeführt werden (MF 18.3.2018). Um die Sicherheitslage in Kabul-Stadt zu verbessern, wurden im Rahmen eines neuen Sicherheitsplanes mit dem Namen "Zarghun Belt" (der grüne Gürtel), der Mitte August 2017 bekannt gegeben wurde, mindestens 90 Kontrollpunkte in den zentralen Teilen der Stadt Kabul errichtet. Die afghanische Regierung deklarierte einen Schlüsselbereich der afghanischen Hauptstadt zur "Green Zone" - dies ist die Region, in der wichtige Regierungsinstitutionen, ausländische Vertretungen und einige Betriebe verortet sind (Tolonews 7.2.2018). Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt (Reuters 6.8.2017). Die neue Strategie beinhaltet auch die Schließung der Seitenstraßen, welche die Hauptstadt Kabul mit den angrenzenden Vorstädten verbinden; des Weiteren, werden die Sicherheitskräfte ihre Präsenz, Personenkontrollen und geheimdienstlichen Aktivitäten erhöhen (Tolonews 7.2.2018). Damit soll innerhalb der Sicherheitszone der Personenverkehr kontrolliert

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten