TE Bvwg Erkenntnis 2019/10/17 W268 1304671-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.10.2019
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Entscheidungsdatum

17.10.2019

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §57
AVG §68
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §53
FPG §55

Spruch

W268 1304671-3/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Iris Gachowetz als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. China gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.10.2019, XXXX , zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte I., II., III., IV., V., und VI. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abgewiesen.

II. Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt VII. des angefochtenen Bescheides mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass dieser wie folgt zu lauten hat:

"Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG wird gegen Sie ein auf die Dauer von 12 Monaten befristetes Einreiseverbot erlassen."

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Erstes Verfahren auf internationalen Schutz

1.1. Der Beschwerdeführer reiste im März 2006 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 19.05.2006 aus dem Stande der Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei der am 19.05.2006 von einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes durchgeführten Erstbefragung gab der BF zu seinen Fluchtgründen befragt an, er habe in China ein Restaurant betrieben und in seinem Lokal dinierte immer wieder XXXX , ein hoher Regierungsbeauftragter. Dieser habe jedoch nie für sein Essen bezahlt. Als der BF diesen aufgefordert habe, seine Schulden zu bezahlen, habe dieser ihn beschimpft, Tische umgeschmissen und geschlagen, sowie den BF gefragt, ob er sein Restaurant weiterhin betreiben wolle. Bei der Auseinandersetzung habe die Nase des BF zu bluten begonnen und der BF habe sich mit einem Besenstiel zur Wehr gesetzt. Daraufhin habe der Regierungsbeauftrage die Polizei verständigt, die den BF festgenommen und misshandelt habe. Am nächsten Tag sei der BF freigelassen worden. Als der BF gedacht habe, alles wäre vorbei, sei der BF plötzlich von dem Regierungsbeamten auf 10.000 RMB verklagt worden. Der Regierungsbeamte habe den BF ins Gefängnis stecken wollen. Außerdem wurde dem BF die Bewilligung zur Betreibung seines Restaurants entzogen. Der BF habe deshalb das Land verlassen.

1.2. Am 24.05.2006, 18.07.2006 und 26.07.2006 fand jeweils eine niederschriftliche Einvernahme vor dem Bundesasylamt statt und wurde der BF zu seinen Fluchtgründen näher befragt. Dabei wiederholte der BF im Wesentlichen sein Fluchtvorbringen.

1.3. Mit Bescheid vom 03.08.2006 AZ. 06 05.368-EAST-WEST wies das Bundesamt den Antrag der BF auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat China (Spruchpunkt II.) ab. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG wurde der BF aus dem österreichischen Bundesgebiet in die VR China ausgewiesen (Spruchpunkt III). Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der BF keine Fluchtgründe glaubhaft machen konnte.

1.4. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des AsylGH vom 21.12.2011 XXXX rechtskräftig abgewiesen. Begründend hielt der AsylGH fest, dass bereits das Bundesasylamt in der Beweiswürdigung gut strukturiert und nachvollziehbar begründete, warum dem Vorbringen des BF kein Glauben geschenkt werden konnte. Insgesamt betrachtet lassen die Aussagen des BF, insbesondere die darin aufgetretenen Steigerungen und Ungereimtheiten, einzig und alleine den Schluss zu, dass der BF in Wahrheit in seiner Heimat niemals asylrelevante Verfolgung zu fürchten hatte und sein Vorbringen, wonach ihm eine Gefängnisstrafe drohe, nicht den Tatsachen entspräche (vgl. Seite 13 iVm Seite 15 des Erkenntnisses). Bezüglich des Status des subsidiär Schutzberechtigten führte der AsylGH aus, der BF habe keine gesundheitlichen Probleme, die über gelegentliche Bauchschmerzen und Nasenbluten hinausgehen, sodass auch keine relevante Erkrankung erkannt werden könne. Der BF verfügte zudem in seiner Heimat über langjährige Arbeitserfahrung in der Landwirtschaft und als Gelegenheitsarbeiter und sei davon auszugehen, dass er sich auch künftig seinen Lebensunterhalt sichern könne. Zudem könne nicht angenommen werden, dass er in seiner Heimat völlig auf sich alleine gestellt wäre, da sich seine Eltern und seine Gattin nach wie vor im Heimatland aufhalten und ihm den nötigen Rückhalt zu Teil werden lassen würden. Auch von daher kann nicht angenommen werden, er geriete im Falle einer Rückkehr in eine lebensbedrohliche Notlage. Die Abschiebung in die Volksrepublik China sei somit zulässig (vgl. Seite 17 des Erkenntnisses).

2. Gegenständlicher Folgeantrag auf internationalen Schutz

2.1. Der BF stellte am 18.09.2019, ohne in der Zwischenzeit jemals das Bundesgebiet verlassen zu haben, den gegenständlichen (Folge-) Antrag auf internationalen Schutz.

2.2. Im Rahmen der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 19.09.2019 brachte der BF zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen vor, er könne nicht nach China zurückkehren. In China gäbe es Menschen, die dem BF feindlich gesinnt seien und sich an ihm rächen wollen würden. Wegen diesen Leute habe der BF ursprünglich China verlassen und wegen genau denselben Leuten möchte der BF nicht nach China zurück. Diese Leute wären teilweise Regierungsbeamte und würden den BF weiterhin verfolgen. Die Mutter des BF habe ihm mitgeteilt, er soll nicht zurückkommen und auch nicht mehr bei ihr anrufen.

2.3. Am 25.09.2019 und 30.09.2019 fanden niederschriftliche Einvernahmen des BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) statt und wurde der BF zur Begründung seines Folgeantrages näher befragt. Dabei brachte er im Wesentlichen vor, der Inhalt seines Fluchtgrundes sei unverändert. Er möchte nur ergänzend vorbringen, dass auch der Vater von Herrn XXXX Regierungsbeamter sei. Weiters sei einer der Brüder von Herrn XXXX Sicherheitsbeamter und ein anderer Bruder ein Mitglied der chinesischen Mafia. Dies sei ihm schon zum Fluchtzeitpunkt (2006) bekannt gewesen. Er habe keine weiteren Gründe, die er geltend machen wolle. Außerdem habe die Mutter des BF diesem im Jahr 2009 gesagt, dass er nicht nach Hause kommen solle, da er gesucht werde. Nach diesem Telefonat mit seiner Mutter habe er neuerlich versucht, mit dieser Kontakt aufzunehmen, jedoch sei ihm dies nicht gelungen.Er vermute einen Zusammenhang mit seinen Problemen in China.

2.4. Mit dem im Spruch genannten Bescheid vom 02.10.2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den (zweiten) Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs. 1 AVG, hinsichtlich des Status des Asylberechtigten und des subsidiär Schutzberechtigten wegen entschiedener Sache zurück (Spruchpunkte I. und II.). Gemäß § 57 AsylG 2005 wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012 idgF gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idgF erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG stellte das Bundesamt fest, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG in die Volksrepublik China zulässig sei (Spruchpunkt V.); die Behörde hielt fest, dass gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG wurde gegen den BF ein auf die Dauer von 2 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).

Die Zurückweisung des Antrags begründete das Bundesamt damit, dass entschiedene Sache im Sinne des § 68 AVG vorliege:

Der BF habe den gegenständlichen Folgeantrag damit begründet, dass die Fluchtgründe aus dem ersten Verfahren nach wie vor aufrecht sei. Wesentliche Änderungen hätten sich in der Zwischenzeit jedoch nicht ergeben bzw. seien dem BF bereits vor Rechtskraft des ersten Verfahrens bekannt gewesen. Der Folgeantrag sei somit wegen entschiedener Sache zurückzuweisen gewesen. Betreffend die Erlassung des Einreiseverbots wurde angeführt, dass der BF die ihm erstmals gewährte Frist zur freiwilligen Ausreise von 14 Tagen nicht eingehalten habe und sein Aufenthalt in Österreich lediglich durch die Stellung zweier unbegründeter Asylantrage begründet worden sei.

2.5. Der BF erhob gegen sämtliche Spruchpunkte des Bescheids fristgerecht Beschwerde. Der genannte Bescheid werde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, unrichtiger rechtlicher Beurteilung und mangelnder Beweiswürdigung in seiner Gesamtheit angefochten. Dem BF drohe im Falle seiner Rückkehr nach China jedenfalls eine asylrelevante Verfolgung wegen der angegeben Probleme; diese bestünden nach wie vor. Im gegenständlichen Fall erscheine es möglich, dass bei ordnungsgemäßer Durchführung des Ermittlungsverfahrens durch die belangte Behörde Umstände hervortreten hätten können, die eine solche Änderung des Sachverhaltes bewirken könnten, sodass nunmehr eine andere Beurteilung nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten könne. Bezüglich des Einreiseverbots wurde ausgeführt, dass das persönliche Verhalten des Betroffenen zu einer tatsächlichen, gegenwärtigen und erheblichen Gefahr führen müsse, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Die Verweigerung der Ausreise könne nicht ohne weiteres diese Maßnahme begründen. Die Erlassung des Einreiseverbotes sei daher angesichts des bisherigen Verhalten des BF eindeutig unverhältnismäßig. Das Verfahren sei somit zuzulassen und das Einreiseverbot aufzuheben.

Der BF stellte abschließend die Anträge, die aufschiebende Wirkung zu gewähren, eine mündliche Beschwerdeverhandlung anzuberaumen, den angefochtenen Bescheid zur Gänze zu beheben und das Verfahren zur inhaltlichen Prüfung der neu vorgebrachten Rückkehrbefürchtungen an das Bundesamt zurückzuverweisen, in eventu auszusprechen, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sei, das Einreiseverbot zu beheben, in eventu, die Dauer des Einreiseverbots herabzusetzen.

2.6. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl legte den Verfahrensakt samt dem Beschwerdeschriftsatz dem Bundesverwaltungsgericht am 08.10.2019 vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zum Verfahrensgang:

Das Bundesverwaltungsgericht stellt den Verfahrensgang fest, wie dieser bei Punkt I wiedergegeben ist.

1.2. Zur Person des BF, zum Verfahrensverlauf und den Fluchtgründen:

Der BF ist chinesischer Staatsangehöriger und gehört zur Volksgruppe der Han. Der unbescholtene und arbeitsfähige BF geht in Österreich keiner Beschäftigung nach und lebte von Leistungen aus der Grundversorgung. Er ist nicht in der Lage, seinen Lebensunterhalt in Österreich eigenständig zu bestreiten. Der BF verfügt in seiner Heimat über langjährige Arbeitserfahrung in der Landwirtschaft und als Gelegenheitsarbeiter. Im österreichischen Bundesgebiet halten sich keine Familienangehörigen des BF auf. Diese (Eltern und Ehefrau) halten sich im Herkunftsland auf. In Österreich hat der BF keine näheren Kontakte.

Der erste Antrag auf internationalen Schutz wurde mit Erkenntnis des AsylGH vom 21.12.2011 GZ. XXXX rechtskräftig abgewiesen. Der BF reiste trotz rechtskräftig verfügter Ausweisung nicht aus dem österreichischen Bundesgebiet aus, sondern tauchte unter und stellte am 18.09.2019, ohne jemals das Bundesgebiet verlassen zu haben, den gegenständlichen Folgeantrag.

Der BF bezieht sich in seinem (zweiten) Antrag auf internationalen Schutz auf Umstände, die bereits zum Zeitpunkt seiner ersten Asylantragstellung bestanden haben. Der BF konnte seit Rechtskraft der letzten Entscheidung über seinen ersten Asylantrag kein neues entscheidungsrelevantes individuelles Vorbringen glaubhaft dartun. Es wird nicht festgestellt werden, dass der BF im Falle seiner Rückkehr in die Volksrepublik China Drohungen oder Gewalthandlungen von staatlicher oder privater Seite zu erwarten hätte. Ebenso wird nicht festgestellt, dass er in eine seine Existenz bedrohende Notlage geriete.

1.3. Zur Lage im Herkunftsstaat (vgl. die Feststellungen, die dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegen):

1.3.1. Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

1.3.1.1. KI vom 24.07.2019: Massenproteste erreichen eine neue Eskalationsstufe, betrifft Abschnitt 2. Politische Lage.

Hunderttausende haben am 21.7.2019 erneut bei Massenprotesten gegen die Regierung demokratische Reformen und Ermittlungen gegen das Vorgehen der Polizei bei den vorangegangenen Protesten gefordert (NZZ 22.7.2019). Erstmals richtete sich der Protest nicht mehr nur gegen die Hongkonger Regierung, sondern auch direkt gegen Pekings Vertretung (NZZ 22.7.2019). Nach dem Protestmarsch zogen hunderte Menschen zum Verbindungsbüro, der offiziellen Vertretung der Pekinger Zentralregierung, weiter und bewarfen das Gebäude mit Eiern, besprühten Überwachungskameras (DS 22.7.2019), beschmierten Mauern mit Graffitis und beschmutzten das Emblem der Volksrepublik (TNYT 22.7.2019). Darüber hinaus attackierten Stunden später eine unbekannte Anzahl von Schlägern in weißen T-Shirts - ihre personelle Stärke variierte gemäß der Berichte zwischen einigen Dutzend (TG 22.7.2019) bis zu einer Hundertschaft - in der U-Bahnstation Yuen Long Demonstranten, Journalisten, ein anwesendes Regierungsmitglied der Demokratischen Partei (HKFP 22.7.2019) sowie Pendler. Auch eine Schwangere und Kinder sollen Augenzeugen zufolge zusammengeschlagen worden sein (TG 22.7.2019). 45 Menschen wurden verletzt (CNN 21.7.2019), fünf Frauen schwer (SZ 22.7.2019), ein Mann sogar lebensgefährlich (CNN 21.7.2019). Es ist nicht bekannt, durch wen die Angriffe organisiert worden sind (BBC 22.7.2019). Befürchtet wird, dass Banden der organisierten Kriminalität, welche bekanntlich in den Außenbezirken der Stadt operieren, in die politische Krise verwickelt werden (CNN 21.7.2019). Von der politischen Opposition in Honkong wird über Verbindungen der Schläger zu Syndikaten des organisierten Verbrechens gemutmaßt (BBC 22.7.2019). Der Polizei wird vorgeworfen, bei den Übergriffen nicht eingegriffen zu haben (HKFP 22.7.2019). Die umstrittene Hongkonger Regierungschefin Carrie Lam verurteilte sowohl den Vandalismus am Verbindungsbüro, mit welchem die Souveränität Chinas in Frage gestellt und die Gefühle der Nation "verletzt" worden seien, als auch die Angriffe des Mobs in Yuen Long (TNYT 22.7.2019).

Die Polizei erklärte, dass, "gewalttätiges Verhalten" nicht toleriert würde und die Vorfälle aktiv verfolgt werden (CNN 21.7.2019). Am Abend des 22.7.2019 verkündete die Polizei, dass fünf Personen - einige von ihnen angeblich Mitglieder der Triaden - im Zusammenhang mit den Angriffen verhaftet worden sind (TG 22.7.2019). Hatten zu Beginn der jüngsten Protestwelle in Hongkong staatlich gesteuerte Medien des Festlands kaum über die Ereignisse berichtet, findet das Thema mittlerweile auch dort Beachtung (DW 22.7.2019). In einer Erklärung des Verbindungsbüros heißt es, dass mit dem Vorgehen einiger radikaler Demonstranten nicht nur gegen das Hongkonger Grundgesetz und lokale Gesetze verstoßen worden sei, sondern auch letztendlich das Prinzip: "Ein Land, zwei Systeme" und die Autorität der Zentralregierung ernsthaft in Frage gestellt worden sei (XN 22.7.2019). Chinas Festlandspresse sieht Hongkong im Chaos versinken, wenn dort nicht bald wieder "rechtsstaatliche Verhältnisse" herrschen (DW 23.7.2019). Die Führung Chinas, welche in Hongkong eine Armeegarnison unterhält, vermied es am 22.7.2019 allerdings, direkte Eingriffe anzudrohen (DS 22.7.2019)

1.3.1.2. KI vom 10.07.2019: Nichtmehrvorlage des Gesetzesentwurfes zur Auslieferung, betrifft Abschnitt 2. Politische Lage.

Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam hat das geplante Auslieferungsgesetz, gegen das seit Wochen protestiert wird, als Reaktion auf anhaltenden Zweifel daran, dass der Entwurf tatsächlich nicht mehr vorgelegt wird, nun als "tot" bezeichnet (BBC 9.7.2019). Es gäbe "keinen Plan" (DS 9.7.2019), das auf Eis liegende Gesetzgebungsverfahren wieder in Gang zu setzten (SO 9.7.2019). Gegner des Gesetzes kritisieren, das Lams Statement Wortspiele seien (TG 9.7.2019) und fordern den Rücktritt der als pekingtreu geltenden "Chief Executive" (CE) (DS 9.7.2019). Am 1.7.2019, dem Jahrestag der Rückgabe Hongkongs an die Volksrepublik China, sind die seit Wochen andauernden Proteste eskaliert (SCMP 1.7.2019), nachdem hunderte Demonstranten und Demonstrantinnen kurzzeitig das Hongkonger Parlament besetzten (ZO 1.7.2019). Eine am 7.7.2019 abgehaltene Protestaktion im Bereich des im Bezirk Kowloon gelegenen Terminals für die grenzüberschreitende Hochgeschwindigkeits-Eisenbahnstrecke (SCMP 7.7.2019), verfolgte das Ziel, Unterstützung der Proteste von Besuchern des chinesischen Festlands zu lukrieren (SCMP 7.7.2019). Gemäß unterschiedlichen Angaben waren zwischen 56.000 und 230.000 Personen daran beteiligt (DW 8.7.2019). Sechs Demonstranten wurden festgenommen (FAZ 8.7.2019).

1.3.1.3. KI vom 19.06.2019: Massenproteste gegen Auslieferungsgesetz, betrifft Abschnitt 2. Politische Lage.

Am 9.6.2019 demonstrierten Hunderttausende (DS 10.6.2019), die Organisatoren gehen von mehr als einer Million Menschen aus (BBC 10.6.2019), während die Polizei von etwa 240.000 Personen spricht, in der Sonderverwaltungszone Hongkong gegen ein neues Gesetz, welches eine künftige Auslieferung von verdächtigen Kriminellen an die Behörden in China ermöglichen soll. Peking verhinderte eine Berichterstattung über die Proteste, Online-Nachrichten wurden geblockt und alle Sendungen von CNN und BBC ausgeblendet (DS 10.6.2019). Am 12.6.19 blockierten zehntausende Demonstranten den Zugang zum Parlaments- und Regierungssitz und verhinderten damit eine für diesen Tag anberaumte Debatte zum Auslieferungsgesetz im Legislativrat der Sonderverwaltungszone. Die Polizei ging daraufhin mit Tränengas, Wasserwerfern (AJ 17.6.2019) und Gummigeschossen gegen die Demonstranten vor (TS 17.6.2019). Etwa 80 Personen, davon 22 Angehörige der Polizei, wurden verletzt. Ein Mann starb als er aus einem Gebäude fiel, in welchem er protestiert hat (TS 17.6.2019). Trotz der Aussetzung des Gesetzesentwurfs durch Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam am 15.6.2019 (AJ 17.6.2019), versammelten sich am 16.6.2019 erneut zahlreiche Menschen zu Protestaktionen (ZO 16.6.2019). Gemäß den Angaben der größten Protestgruppe protestierten dabei fast zwei Millionen Menschen gegen die geplanten Änderungen der Auslieferungsbestimmungen (DS 16.6.2019). Auch besteht von Seiten der Demonstranten Skepsis gegenüber Lams Entscheidung zur Aussetzung des Gesetzes (BBC 16.6.2019). Die Demonstrierenden fordern, das Gesetzesvorhaben ganz aufzugeben. Sie sehen darin einen Einschnitt in Hongkongs Autonomie und eine Bedrohungen ihrer demokratischen Rechte und Freiheiten und befürchten, dass China das Gesetz missbrauchen wird, um unliebsame Kritiker und Dissidenten vor Gericht zu stellen (ZO 18.6.2019). Kritiker weisen auch darauf hin, dass das Justizsystem in der Volksrepublik nicht unabhängig ist, nicht internationalen Standards entspricht und Andersdenkende politisch verfolgt (ZO 28.4.2019). Lam entschuldigte sich mehr als einer Woche nach Ausbruch der Massenproteste persönlich, schloss aber die Forderung der Demonstranten nach einem Rücktritt aus (NBC 18.6.2019). Seit Juli 1997 ist Hongkong eine Sonderverwaltungsregion (SVR) der Volksrepublik China und untersteht der chinesischen Verfassung der Zentralregierung in Peking. Hongkong genießt jedoch einen hohen Grad an Autonomie in allen Angelegenheiten mit Ausnahme der Außen- und der Verteidigungspolitik (AA 12.3.2019). So nahmen am 4.6.2019, dem 30. Jahrestag der Erhebung, im Zuge des Gedenkens anlässlich der gewaltsamen Niederschlagung von Studentenprotesten am Tian'amen-Platz in Peking im Jahr 1989, in Hongkong, laut Organisatoren, etwa 180.000 Menschen an einer Kundgebung teil. Am chinesischen Festland hingegen wurde jede Form von öffentlichem Gedenken durch scharfe Sicherheitsvorkehrungen verunmöglicht (SK 4.6.2019).

1.3.1.4. KI vom 05.02.2018: Festnahme des regierungskritischen Anwaltes Yu Wensheng, betrifft Abschnitt 10. Allgemeine Menschenrechtslage.

Yu Wensheng, ein regierungskritischer Anwalt, wurde nach Angaben seiner Frau am Morgen des 19.1.2018 festgenommen, als er mit seinem Sohn zur Schule ging (The Guardian 19.1.2018). Wenige Stunden vor seiner Verhaftung forderte Yu Wensheng von Präsident Xi Jinping in einem offenen Brief Verfassungsreformen (DW 19.1.2018). International bekannt wurde der prominente Kritiker, als er 2017 gemeinsam mit fünf anderen Anwälten versuchte, die Regierung seines Landes wegen des gesundheitsschädlichen Smogs zu verklagen (DZ 29.1.2018). Als Anwalt hat Yu mehrere andere Menschenrechtsanwälte und Demonstranten aus Hongkong vertreten, die dort für mehr Demokratie auf die Straße gegangen sind und festgenommen worden waren (DW 1.2.2018). Im Oktober vergangenen Jahres wurde Yu Wensheng vorübergehend inhaftiert, weil er in einem offenen Brief Chinas Partei- und Staatschef Xi Jinping wegen dessen Stärkung des Totalitarismus als für das Amt nicht geeignet bezeichnet hatte (NZZ 1.2.2018). Der Verbleib von Yu Wensheng war zunächst unklar (DP 19.1.2018); nach Angaben von Amnesty International übernahm die Polizei von Xuzhou in der ostchinesischen Provinz Jiangsu den Fall. Der Anwalt werde derzeit unter "Hausarrest an einem ausgesuchten Ort festgehalten, ohne dass dieser Ort bekannt wäre, so Amnesty International (DZ 29.1.2018). Gemäß Amnesty International sei der chinesische Menschenrechtsanwalt der "Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt" beschuldigt worden (DP 19.1.2018). Der Vorwurf der Subversion ist eine schwerwiegende Anklage, die eine Haftstrafe von bis zu 15 Jahren bedeuten kann. Im vergangenen Dezember war etwa der regierungskritische Blogger Wu Gan deswegen zu acht Jahren Gefängnis verurteilt worden (DZ 29.1.2018). Der kritische Jurist ist das jüngste Opfer der seit mehr als zwei Jahren anhaltenden Verfolgungswelle gegen Anwälte, Mitarbeitern von Kanzleien, Aktivisten und deren Familienmitgliedern. Mehr als 300 wurden nach Angaben von Menschenrechtsgruppen seit Juli 2015 inhaftiert, verhört, unter Hausarrest gestellt oder an der Ausreise gehindert. Vier wurden verurteilt, 16 warten noch auf ihren Prozess (DP 19.1.2018). Mindestens eine Person aus der angeführten Gruppe sei verschwunden (BBC 16.1.2018).

1.3.2. Politische Lage

Die Volksrepublik China ist mit geschätzten 1,374 Milliarden Einwohnern (Stand Juli 2016) und einer Fläche von 9.596.960 km² der bevölkerungsreichste Staat der Welt (CIA 26.7.2017). China ist in 22 Provinzen, die fünf Autonomen Regionen der nationalen Minderheiten Tibet, Xinjiang, Innere Mongolei, Ningxia und Guangxi, sowie vier regierungsunmittelbare Städte (Peking, Shanghai, Tianjin, Chongqing) und zwei Sonderverwaltungsregionen (Hongkong, Macau) unterteilt. Nach dem Grundsatz "Ein Land, zwei Systeme", welcher der chinesisch-britischen "Gemeinsamen Erklärung" von 1984 über den Souveränitätsübergang im Jahr 1997 zugrunde liegt, kann Hongkong für 50 Jahre sein bisheriges Gesellschaftssystem aufrecht erhalten und einen hohen Grad an Autonomie genießen. Trotz starker öffentlicher Kritik in Hongkong hält die chinesische Regierung bezüglich einer möglichen Wahlrechtsreform für eine allgemeine Wahl des Hongkonger Regierungschefs (Chief Executive) an den Vorgaben fest, die der Ständige Ausschuss des Pekinger Nationalen Volkskongresses 2014 zur Vorabauswahl von Kandidaten gemacht hat. Dies hat in Hongkong zur Blockade der vorgesehenen Reform geführt und zu einem Erstarken von Bestrebungen nach größerer Autonomie, vereinzelt sogar zu Rufen nach Unabhängigkeit, auf die Peking scharf reagiert. Nach einem ähnlichen Abkommen wurde Macau am 20. Dezember 1999 von Portugal an die Volksrepublik China zurückgegeben. Die Lösung der Taiwanfrage durch friedliche Wiedervereinigung bleibt eines der Hauptziele chinesischer Politik (AA 4.2017a). Gemäß ihrer Verfassung ist die Volksrepublik China ein "sozialistischer Staat unter der demokratischen Diktatur des Volkes, der von der Arbeiterklasse geführt wird und auf dem Bündnis der Arbeiter und Bauern beruht" (AA 4.2017a). China ist ein autoritärer Staat, in dem die Kommunistische Partei (KP) verfassungsmäßig die höchste Autorität ist. Beinahe alle hohen Positionen in der Regierung sowie im Sicherheitsapparat werden von Mitgliedern der KP gehalten (USDOS 3.3.2017). Die KP ist der entscheidende Machtträger. Nach dem Parteistatut wählt der alle fünf Jahre zusammentretende Parteitag das Zentralkomitee (376 Mitglieder, davon 205 mit Stimmrecht), das wiederum das Politbüro (25 Mitglieder) wählt. Ranghöchstes Parteiorgan und engster Führungskern ist der zurzeit siebenköpfige "Ständige Ausschuss" des Politbüros. Dieser gibt die Leitlinien der Politik vor. Die Personalvorschläge für alle diese Gremien werden zuvor im Konsens der Parteiführung erarbeitet (AA 4.2017a; vgl. USDOS 3.3.2017). An der Spitze der Volksrepublik China steht der Staatspräsident, der gleichzeitig Generalsekretär der KP und Vorsitzender der Zentralen Militärkommission ist und somit alle entscheidenden Machtpositionen auf sich vereinigt. Der Ministerpräsident (seit März 2013 Li Keqiang) leitet den Staatsrat, die eigentliche Regierung. Er wird von einem "inneren Kabinett" aus vier stellvertretenden Ministerpräsidenten und fünf Staatsräten unterstützt. Der Staatsrat fungiert als Exekutive und höchstes Organ der staatlichen Verwaltung. Alle Mitglieder der Exekutive sind gleichzeitig führende Mitglieder der streng hierarchisch gegliederten Parteiführung (Ständiger Ausschuss, Politbüro, Zentralkomitee), wo die eigentliche Strategiebildung und Entscheidungsfindung erfolgt (AA 4.2017a). Der 3.000 Mitglieder zählende Nationale Volkskongress (NVK) wird durch subnationale Kongresse für fünf Jahre gewählt. Er wählt formell den Staatspräsidenten für fünf Jahre und bestätigt den Premierminister, der vom Präsidenten nominiert wird (FH 1.2017a). Der NVK ist formal das höchste Organ der Staatsmacht. NVK-Vorsitzender ist seit März 2013 Zhang Dejiang (AA 4.2017a). Der NVK ist jedoch vor allem eine symbolische Einrichtung. Nur der Ständige Ausschuss trifft sich regelmäßig, der NVK kommt einmal pro Jahr für zwei Wochen zusammen, um die vorgeschlagene Gesetzgebung anzunehmen (FH 1.2017a). Eine parlamentarische oder sonstige organisierte Opposition gibt es nicht. Die in der sogenannten Politischen Konsultativkonferenz organisierten acht "demokratischen Parteien" sind unter Führung der KP Chinas zusammengeschlossen; das Gremium hat lediglich eine beratende Funktion (AA 4.2017a). Beim 18. Kongress der KP China im November 2012 wurde, nach einem Jahrzehnt, ein Führungswechsel vollzogen (AI 23.5.2013). Bei diesem Parteitag wurden die Weichen für einen Generationswechsel gestellt und für die nächsten fünf Jahre ein neues Zentralkomitee, Politbüro und ein neuer Ständiger Ausschuss bestimmt (AA 4.2017a). Xi Jinping wurde zum Generalsekretär der KP und zum Vorsitzenden der Zentralen Militärkommission gekürt. Seit dem 12. Nationalen Volkskongress im März 2013 ist Xi Jinping auch Präsident Chinas (AA 4.2017a; vgl. FH 1.2017a). Er hält damit die drei einflussreichsten Positionen (USDOS 3.3.2017). Die neue Staatsführung soll - wenngleich die Amtszeit offiziell zunächst fünf Jahre beträgt - mit der Möglichkeit einer Verlängerung durch eine zweite, ebenfalls fünfjährige, Amtsperiode bis 2022 (und möglicherweise auch darüber hinaus) an der Macht bleiben (HRW 12.1.2017). Vorrangige Ziele der Regierung sind eine weitere Entwicklung Chinas und Wahrung der politischen und sozialen Stabilität durch Machterhalt der KP. Politische Stabilität gilt als Grundvoraussetzung für wirtschaftliche Reformen. Äußere (u.a. nachlassende Exportkonjunktur) und innere (u.a. alternde Gesellschaft, Umweltschäden, Wohlfahrtsgefälle) Faktoren machen weitere Reformen besonders dringlich. Die Rolle der Partei in allen Bereichen der Gesellschaft soll gestärkt werden. Gleichzeitig laufen Kampagnen zur inneren Reformierung und Stärkung der Partei. Prioritäten sind Kampf gegen die Korruption und Verschwendung, Abbau des zunehmenden Wohlstandsgefälles, Schaffung nachhaltigeren Wachstums, verstärkte Förderung der Landbevölkerung, Ausbau des Bildungs- und des Gesundheitswesens, Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und insbesondere Umweltschutz und Nahrungsmittelsicherheit. Urbanisierung ist und bleibt Wachstumsmotor, bringt aber gleichzeitig neue soziale Anforderungen und Problemlagen mit sich. Erste Ansätze für die zukünftige Lösung dieser grundlegenden sozialen und ökologischen Entwicklungsprobleme sind sichtbar geworden, haben deren Dimension aber zugleich deutlich aufgezeigt (AA 4.2017a).

1.3.3. Sicherheitslage

Proteste auf lokaler Ebene haben in ganz China stark zugenommen. Sie richten sich vor allem gegen steigende Arbeitslosigkeit und Vorenthaltung von Löhnen, hauptsächlich von Wanderarbeitern. Bei den bäuerlichen Protesten auf dem Land geht es meistens um die (entschädigungslose oder unzureichend entschädigte) Enteignung von Land und fehlende Rechtsmittel. Auch stellen die chemische Verseuchung der Felder durch Industriebetriebe oder Umweltkatastrophen Gründe für Proteste dar. Nachdem die Anzahl sogenannter. "Massenzwischenfälle" über Jahre hinweg rasch zunahm, werden hierzu seit 2008 (mehr als 200.000 Proteste) keine Statistiken mehr veröffentlicht. Zwei Aktivisten, die seit 2013 durch eigene, über Twitter veröffentlichte Statistiken diese Lücke zu schließen versuchten, wurden im Juni 2016 verhaftet. Die lokalen Behörden verfolgen in Reaktion zumeist eine Mischstrategie aus engmaschiger Kontrolle, die ein Übergreifen nach außen verhindern soll, gepaart mit einem zumindest partiellen Eingehen auf die Anliegen (USDOS 3.3.2017; vgl. AA 15.12.2016)

1.3.4. Rechtsschutz/Justizwesen

Die Führung unternimmt Anstrengungen, das Rechtssystem auszubauen. Dem steht jedoch der Anspruch der Kommunistischen Partei (KP) auf ungeteilte Macht gegenüber. Gewaltenteilung und Mehrparteiendemokratie werden ausdrücklich abgelehnt. Von der Verwirklichung rechtsstaatlicher Normen und einem Verfassungsstaat ist China noch weit entfernt. Im Alltag sind viele Chinesen weiterhin mit Willkür und Rechtlosigkeit konfrontiert (AA 4.2017a). Eine unabhängige Strafjustiz existiert in China folglich nicht. Strafrichter und Staatsanwälte unterliegen der politischen Kontrolle von staatlichen Stellen und Parteigremien (AA 15.12.2016). Die Kontrolle der Gerichte durch politische Institutionen ist ein verfassungsrechtlich verankertes Prinzip (ÖB 11.2016). Die KP dominiert das Rechtssystem auf allen Ebenen und erlaubt Parteifunktionären, Urteile und Verurteilungen zu beeinflussen. Die Aufsicht der KP zeigt sich besonders in politisch heiklen Fällen durch die Anwendung sog. "Leitlinien". Während Bürger in nicht-politischen Fällen ein gewisses Maß an fairer Entscheidung erwarten können, unterliegen diejenigen, die politisch sensible Fragen oder die Interessen mächtiger Gruppen berühren, diesen "Leitlinien" der politisch-juristischen Ausschüsse (FH 1.2017a). Seit dem vierten Jahresplenum des 18. Zentralkomitees 2014 betont die Führung die Rolle des Rechts und ergriff Maßnahmen zur Verbesserung der Qualität gerichtlicher Verfahren und zum Aufbau eines "sozialistisches Rechtssystem chinesischer Prägung" unter dem Motto "yi fa zhi guo", wörtlich "den Gesetzen entsprechend das Land regieren". Echte Rechtsstaatlichkeit im Sinne der Achtung des Legalitätsprinzips in der Verwaltung und der Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit wird dabei aber dezidiert abgelehnt. Das in den Beschlüssen reflektierte Verständnis von Recht soll die Macht des Staates, dh. der Partei, keinesfalls einschränken, sondern vielmehr stärken (ÖB 11.2016). Die wichtigste Einrichtung der KP zur Kontrolle des Rechtssystems ist die Kommission des Zentralkomitees für Politik und Recht (ZKPR). Das ZKPR ist in unterschiedlichen Unter-Formaten auf jeder gerichtlichen Ebene verankert, wobei die jeweiligen Ebenen der übergeordneten Ebene verantwortlich sind. Die Macht des Komitees, das auf allen Ebenen auf Verfahren Einfluss nimmt, wurde auch seit den Beschlüssen des Vierten Plenums der KP im Oktober 2014 bewusst nicht angetastet (ÖB 11.2016). Die Richter-Ernennung erfolgt auf Provinzebene durch Rechtskomitees, welchen hochrangige Partei-Funktionäre angehören und welche von einem KP-Inspektorat überwacht werden. Richter sind verpflichtet, über Einflussnahmen seitens lokaler Politiker auf Verfahren Bericht zu erstatten. Es ist für Richter schwierig, zwischen "Unabhängigkeit" von lokalen politischen Einflüssen, und Loyalität zur KP-Linie (welche regelmäßig miteinander und mit einflussreichen Wirtschafts- und Privatinteressen verbunden sind) zu navigieren. Trotz laufender Reformbemühungen gibt es - vor allem auf unterer Gerichtsebene - noch immer einen Mangel an gut ausgebildeten Richtern (ÖB 11.2016). Ein umfassender Regelungsrahmen unterhalb der gesetzlichen Ebene soll "Fehlverhalten" von Justizbeamten und Staatsanwälten in juristischen Prozessen unterbinden. Das Oberste Volksgericht (OVG) unter seinem als besonders "linientreu" geltenden Präsidenten und die Oberste Staatsanwaltschaft haben in ihren Berichten an den Nationalen Volkskongress im März 2014 in erster Linie gefordert, "Falschurteile" der Gerichte zu verhindern, die Richterschaft an das Verfassungsverbot von Folter und anderen Zwangsmaßnahmen bei Vernehmungen zu erinnern und darauf hinzuweisen, dass Verurteilungen sich nicht allein auf Geständnisse stützen dürfen. Die Regierung widmet sowohl der juristischen Ausbildung als auch der institutionellen Stärkung von Gerichten und Staatsanwaltschaften seit mehreren Jahren große Aufmerksamkeit (AA 15.12.2016). Das umstrittene System der "Umerziehung durch Arbeit" ("laojiao") wurde aufgrund entsprechender Beschlüsse des 3. Plenums des ZK im November 2013 offiziell am 28.12.2013 abgeschafft. Es liegen Erkenntnisse vor, wonach diese Haftanstalten lediglich umbenannt wurden, etwa in Lager für Drogenrehabilitation, rechtliche Erziehungszentren oder diese als schwarze Gefängnisse weiter genutzt werden (AA 15.12.2016). Mit der letzten großen Novellierung 2013 sieht die Strafprozessordnung genaue Regeln für Festnahmen vor, führt den "Schutz der Menschenrechte" an und verbietet Folter und Bedrohung bzw. Anwendung anderer illegaler Methoden zur Beweisermittlung. Es besteht jedoch eine teilweise erhebliche Divergenz zwischen den Rechtsvorschriften und deren Umsetzung, und werden diese zum Zwecke der Unterdrückung von politisch unliebsamen Personen instrumentalisiert. Laut Strafprozessordnung müssen auch im Falle einer Festnahme wegen Terrorismus, der Gefährdung der Staatssicherheit oder der schwerwiegenden Korruption die Angehörigen von in Untersuchungshaft sitzenden Personen innerhalb von 24 Stunden über die Festnahme informiert werden, nicht jedoch über den Grund der Festnahme oder über den Aufenthaltsort. Zudem besteht diese Informationspflicht nicht, wenn durch diese Information die Ermittlungen behindert würden - in diesen Fällen müssen Angehörige erst nach 37 Tagen informiert werden. Was eine "Behinderung der Ermittlung" bedeutet, liegt im Ermessen der Polizei, es gibt kein Rechtsmittel dagegen. Da Verdächtige sich formell in Untersuchungshaft befindet, muss der Ort der Festhaltung laut Gesetz auch in diesen Fällen eine offizielle Einrichtung sein. Der Aufenthaltsort kann auch außerhalb offizieller Einrichtungen liegen. Diese Möglichkeit wurde mit der Strafprozessnovelle 2012 eingeführt und von Rechtsexperten wie dem Rapporteur der UN-Working Group on Enforced or Involuntary Disappearances wegen des inhärenten Folterrisikos als völkerrechtswidrig kritisiert (ÖB 11.2016; vgl. AI 22.2.2017). Willkürliche Verhaftungen oder Hausarrest ("soft detention") ohne gerichtliche Verfahren kommen häufig vor. Die Staatsorgane griffen verstärkt auf den "Hausarrest an einem festgelegten Ort" zurück - eine Form der geheimen Inhaftierung ohne Kontakt zur Außenwelt, die es der Polizei erlaubt, eine Person für die Dauer von bis zu sechs Monaten außerhalb des formellen Systems, das die Inhaftierung von Personen regelt, und ohne Zugang zu einem Rechtsbeistand der eigenen Wahl, zu Familienangehörigen oder anderen Personen der Außenwelt festzuhalten. Dadurch wurden diese Personen der Gefahr ausgesetzt, gefoltert oder anderweitig misshandelt zu werden. Diese Inhaftierungspraxis dient dazu, die Tätigkeit von Menschenrechtsverteidigern - einschließlich der von Rechtsanwälten, politisch engagierten Bürgern und Angehörigen von Religionsgemeinschaften - zu unterbinden (ÖB 11.2016; vgl. AA 15.12.2016, AI 22.2.2017). Im Zusammenhang mit verwaltungsstrafrechtlich bewehrten rechtswidrigen Handlungen kann die Polizei zudem "Verwaltungsstrafen" verhängen. Diese Strafen reichen von Ermahnungen über Geldbußen bis hin zu einer "Verwaltungshaft" (ohne richterliche Entscheidung) von bis zu 15 Tagen. Der Aufenthalt in den offiziell nicht existenten "black jails" kann zwischen wenigen Tagen und in einigen Fällen langjährigen Haftaufenthalten variieren (AA 15.12.2016).

Das 2013 in Kraft getretene revidierte Strafverfahrensgesetz verbessert v.a. die Stellung des Verdächtigen/Angeklagten und der Verteidigung im Strafprozess; die Umsetzung steht aber in der Praxis in weiten Teilen noch aus. Auch der Zeugenschutz wird gestärkt. Chinesische Experten gehen davon aus, dass die Durchsetzung dieser Regeln viele Jahre erfordern wird (AA 15.12.2016). Der Schutz jugendlicher Straftäter wurde erhöht (ÖB 11.2014). 2014 wurden schrittweise weitere Reformen eingeleitet, darunter die Anordnung an Richter, Entscheidungen über ein öffentliches Onlineportal zugänglich zu machen sowie ein Pilotprojekt in sechs Provinzen um die Aufsicht über Bestellungen und Gehälter auf eine höhere bürokratische Ebene zu verlagern. Beim vierten Parteiplenum im Oktober 2014 standen Rechtsreformen im Mittelpunkt. Die Betonung der Vorherrschaft der Partei über das Rechtssystem und die Ablehnung von Aktionen, die die Unabhängigkeit der Justiz erhöhen würden, wurde jedoch beibehalten. Dies führte zu Skepsis hinsichtlich der tatsächlichen Bedeutung der Reform (FH 1.2015a). Das chinesische Strafgesetz hat die früher festgeschriebenen "konterrevolutionären Straftaten" abgeschafft und im Wesentlichen durch Tatbestände der "Straftaten, welche die Sicherheit des Staates gefährden" (Art. 102-114 chin. StG) ersetzt. Danach können vor allem Personen bestraft werden, die einen politischen Umsturz/Separatismus anstreben oder das Ansehen der VR China beeinträchtigen. Gerade dieser Teil des Strafgesetzes fällt durch eine Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe auf (AA 15.12.2016). Die Regierung hat weitere Gesetze zur nationalen Sicherheit ausgearbeitet und verabschieden lassen, die eine ernste Gefahr für den Schutz der Menschenrechte darstellen. Das massive landesweite Vorgehen gegen Menschenrechtsanwälte und politisch engagierte Bürger hielt das ganze Jahr über an (AI 22.2.2017). Prozesse, bei denen die Anklage auf Terrorismus oder "Verrat von Staatsgeheimnissen" lautet, werden unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt. Was ein Staatsgeheimnis ist, kann nach chinesischer Gesetzeslage auch rückwirkend festgelegt werden. Angeklagte werden in diesen Prozessen weiterhin in erheblichem Umfang bei der Wahrnehmung ihrer Rechte beschränkt. U.a. wird dem Beschuldigten meist nicht erlaubt, Verteidiger seiner Wahl zu beauftragen; nur in seltenen Ausnahmefällen wird vom Gericht überhaupt eine Verteidigung bestellt (AA 15.12.2016). Auch 2016 setzten sich die Übergriffe der Behörden auf Menschenrechtsanwälte das ganze Jahr hindurch mit Verhaftungen und strafrechtlichen Verfolgungen fort (FH 1.2017a). Rechtsanwälte, die in kontroversen Fällen tätig wurden, mussten mit Drangsalierungen und Drohungen seitens der Behörden rechnen, und in einigen Fällen wurde ihnen die weitere berufliche Tätigkeit verboten. Dies hatte zur Konsequenz, dass der Zugang der Bürger zu einem gerechten Gerichtsverfahren sehr stark eingeschränkt war. Mangelhafte nationale Gesetze und systemische Probleme im Strafrechtssystem hatten weitverbreitete Folter und anderweitige Misshandlungen sowie unfaire Gerichtsverfahren zur Folge (AI 22.2.2017). Seit der offiziellen Abschaffung der administrativen "Umerziehung durch Arbeit" im Jänner 2014 werden Menschenrechtsaktivisten vermehrt auf Basis der Strafrechtstatbestände der Unruhestiftung oder des Separatismus verurteilt und somit in Strafhaft gesperrt, wobei aufgrund der vagen Tatbestände ein strafrechtsrelevanter Sachverhalt relativ leicht kreiert werden kann (ÖB 11.2016). Häufig wurden Anklagen wegen "Untergrabung der staatlichen Ordnung", "Untergrabung der Staatsmacht", "Anstiftung zum Separatismus" "Anstiftung zu Subversion" oder "Weitergabe von Staatsgeheimnissen", sowie "Weitergabe nachrichtendienstlicher Informationen an das Ausland" erhoben und langjährige Gefängnisstrafen verhängt (ÖB 11.2016; vgl. AI 22.2.2017). Wegen der mangelnden Unabhängigkeit der Justiz wählen viele Betroffene von Behördenwillkür den Weg der Petition bei einer übergeordneten Behörde (z.B. Provinz- oder Zentralregierung). Petitionen von Bürgern gegen Rechtsbrüche lokaler Kader in den Provinzen nehmen zu. Allein in Peking versammeln sich täglich Hunderte von Petenten vor den Toren des staatlichen Petitionsamts, um ihre Beschwerde vorzutragen. Chinesischen Zeitungsberichten zufolge werden pro Jahr landesweit ca. 10 Mio. Eingaben eingereicht. Petenten aus den verschiedenen Provinzen werden häufig von Schlägertrupps im Auftrag der Provinzregierungen aufgespürt und in ihre Heimatregionen zurückgebracht. Zwischen Februar und April 2014 wurden verschiedene Reformen des Petitionssystems verabschiedet, die eine schnellere Bearbeitung und Umstellung auf mehr Online-Plattformen beinhaltet. Das 4. Plenum des Zentralkomitees der KP hat im Oktober 2014 weitere Schritte zur Regelung des Petitionswesens getroffen, deren Umsetzung aber noch aussteht. Diese Reformen werden von Beobachtern dafür kritisiert, dass sie die Effektivität der Bearbeitung der Petitionen kaum steigern, sondern vor allem dazu dienen, Petitionäre von den Straßen Pekings fernzuhalten (AA 15.12.2016).

1.3.5. Sicherheitsbehörden

Sicherheitsbehörden sind das Ministerium für Staatssicherheit, das Ministerium für Öffentliche Sicherheit, und die Bewaffnete Volkspolizei (BVP) der Volksbefreiungsarmee. Das Ministerium für Staatssicherheit soll vor Staatsfeinden, Spionen und konterrevolutionären Aktivitäten zur Sabotage oder dem Sturz des chinesischen sozialistischen Systems schützen. In die Zuständigkeit dieses Ministeriums fallen auch der Inlands- und Auslandsgeheimdienst. Die BVP ist in 45 Divisionen unterteilt, bestehend aus Innensicherheitspolizei, Grenzüberwachung, Regierungs- und Botschaftsbewachung, sowie Funk- und Kommunikationsspezialisten. Ein wesentlicher Anteil der in den letzten Jahren vorgenommenen Truppenreduktionen in der Volksbefreiungsarmee war in Wahrheit eine Umschichtung von den Linientruppen zur BVP. Darüber hinaus beschäftigen zahlreiche lokale Kader u.a. entlassene Militärangehörige in paramilitärischen Schlägertrupps. Diese Banden gehen häufig bei Zwangsaussiedlung im Zuge von Immobilienspekulation durchaus auch im Zusammenspiel mit der BVP gegen Zivilisten vor. Das Ministerium für Öffentliche Sicherheit beaufsichtigt alle innerstaatlichen Aktivitäten der zivilen Sicherheitsbehörden (außer derjenigen, die in die Zuständigkeit des Staatssicherheitsministeriums fallen), sowie die BVP. Konkret umfassen seine Aufgaben innere Sicherheit, Wirtschaft und Kommunikationssicherheit, neben der Zuständigkeit für Polizeieinsätze und Gefängnisverwaltung. Die Organisationseinheit auf niedrigster Ebene sind die lokalen Polizeikommissariate, die für den alltäglichen Umgang mit der Bevölkerung verantwortlich sind und die Aufgaben von Polizeistationen erfüllen. Darüber hinaus besteht ein enges Netz an lokalen Partei-Büros welche mittels freiwilliger "Blockwarte" die Bewegungen der Bewohner einzelner Viertel überwachen und mit der Polizei zusammenarbeiten (ÖB 11.2016). Die Behörde für Staatssicherheit kann seit Mitte April 2017 Beträge zwischen 10.000 und 500.000 Yuan (etwa 68.000 Euro) für nützliche Hinweise an Informanten auszahlen, welche durch ihre Mitarbeit bei der Enttarnung von ausländischen Spionen helfen. Informationen können über eine speziell eingerichtete Hotline, Briefe oder bei einem persönlichen Besuch bei der Behörde gegeben werden. So sich die Hinweise als zweckdienlichen herausstellen, soll der Informant das Geld erhalten (FAZ 11.4.2017). Zivile Behörden behalten die Kontrolle über Militär- und Sicherheitskräfte bei (USDOS 3.3.2017). Die Zentrale Militärkommission (ZMK) der Partei leitet die Streitkräfte des Landes (AA 15.12.2016). Nach dem Gesetz zur Landesverteidigung von 1997 sind die Streitkräfte nicht dem Staatsrat, sondern der Partei unterstellt (AA 4.2017a). Für die innere Sicherheit sind zuständig sind (1) Polizei und Staatsanwaltschaften, die Rechtsverstöße des Normalbürgers verfolgen; (2) Disziplinar-Kontrollkommission der KPCh, die gegen Verstöße von KP-Mitgliedern einschreitet; (3) Einheiten des Ministeriums für Verwaltungskontrolle, die für Pflichtverletzungen im Amt zuständig sind; (4) Staatsschutz (Guobao) für die Beobachtung und Verfolgung politischer bzw. als potentiell staatsgefährdend wahrgenommener Aktivitäten von Bürgern und Ausländern (AA 15.12.2016). Für den Bereich der Gefahrenabwehr ist primär das dem Staatsrat unterstehende Ministerium für Öffentliche Sicherheit mit seinen Polizeikräften verantwortlich, das daneben auch noch für Strafverfolgung zuständig ist und in Teilbereichen mit nachrichtendienstlichen Mitteln arbeitet. Aufgaben der Polizei sind sowohl die Gefahrenabwehr als auch die Strafverfolgung, bei der ihr u. a. die Anordnung von Administrativhaft als Zwangsmaßnahme zur Verfügung steht. Im Bereich der Strafverfolgung ist sie für die Durchführung von strafrechtlichen Ermittlungsverfahren originär zuständig. Bei Delikten, die von Polizisten aufgrund ihrer Amtsstellung begangen werden, ermittelt die Staatsanwaltschaft selbst, während sie sonst primär die Tätigkeit der polizeilichen Ermittlungsorgane beaufsichtigt und auf Grundlage deren Empfehlung über die Erhebung der Anklage entscheidet (AA 15.12.2016). Das Ministerium für Staatssicherheit (MSS) ist u.a. zuständig für die Auslandsaufklärung sowie für die Überwachung von Auslandschinesen und von Organisationen oder Gruppierungen, welche die Sicherheit der VR China beeinträchtigen könnten. Es überwacht die Opposition im eigenen Land, betreibt aber auch Spionageabwehr und beobachtet hierbei vielfach auch die Kontakte zwischen ausländischen Journalisten und chinesischen Bürgern. Darüber hinaus verfügen auch die Streitkräfte über einen eigenen, sorgfältig durchstrukturierten Nachrichtendienst, die 2. Hauptverwaltung im Generalstab. Zudem sind viele Arbeitseinheiten parallel mit der Beschaffung von Informationen bzw. mit Überwachungsaufgaben von in- und ausländischen Bürgern befasst. Vor allem das Internationale Verbindungsbüro unter der politischen 1. Hauptverwaltung des Generalstabs ist zuständig für Informationen aus dem Ausland, für die Entsendung von Agenten in Auslandseinsätze, meist unter diplomatischer "Tarnung", und für die Überwachung des eigenen diplomatischen Personals. Zahlreiche "Think tanks" sind für die Beschaffung von Auslandsinformationen zuständig (AA 15.12.2016).

1.3.6. Korruption

Korruption ist auf allen Ebenen weit verbreitet. Die Beamtenschaft der öffentlichen Sicherheit und der städtischen Verwaltung sind an Erpressungen, außergerichtlichen Inhaftierungen, und Übergriffen beteiligt. In vielen Fällen auch in stark von der Regierung regulierten Bereichen wie Landnutzung, Immobilien, Bergbau und Entwicklung der Infrastruktur - die anfällig für Betrug, Bestechung und Schmiergeld sind. Trotz der Bemühungen der Regierung die Korruption zu bekämpfen, bleibt diese bestehen. Die Strafverfolgung ist sehr selektiv und undurchsichtig, sodass persönliche Netzwerke und interne Machtkämpfe innerhalb der Kommunistischen Partei (KP) die Ausgänge der Verfahren beeinflussen (USDOS 3.3.2017; vgl. HRW 12.1.2017). Seit der Übernahme der Führung der KP im Jahre 2012, verfolgte Xi Jinping eine der umfangreichsten Kampagnen zur Korruptionsbekämpfung. Gegen Parteifunktionäre und Beamte der Partei einschließlich des Sicherheits-Apparates, des Militärs, des Außenministeriums, staatlicher Unternehmen und staatlicher Medien wurden bis Ende 2016 Untersuchungen eingeleitet und Strafen verhängt (FH 1.2017a). Während des gesamten Jahres 2014 setzte der Präsident die mit großem Aufwand betriebene Kampagne zur Korruptionsbekämpfung fort, die sowohl niedere als auch ranghohe Staatsbedienstete ins Visier nahm (AI 22.2.2017). Im Jahr 2013 langten bei der Zentralen Kommission für Disziplinaruntersuchungen 1,95 Millionen Korruptionsvorwürfe ein, 172.532 Fälle wurden untersucht und 182.038 Disziplinarverfahren verhängt (USDOS 25.6.2015). Diese Zahlen sind im Jahr 2015 auf 2,8 Millionen eingebrachte Korruptionsvorwürfe, 330.000 untersuchte Fälle und 336.000 Disziplinierungsmaßnahmen gestiegen (USDOS 3.3.2017). Die Regierung ist bestrebt, durch den Abschluss von Rechtshilfe- und Auslieferungsabkommen in Strafsachen die Verfolgung von Tatverdächtigen im Ausland zu erleichtern. Dabei geht es der chinesischen Regierung vor allem darum, ihre Korruptionsbekämpfung im Rahmen der Aktionen "Fuchsjagd" und "Himmelsnetz" auf das Ausland auszuweiten (AA 15.12.2016).

1.3.7. NGOs und Menschenrechtsaktivisten

Unabhängige Menschenrechtsinstitutionen gibt es in China (mit Ausnahme Hongkongs) nicht. Die bestehenden strengen Regeln für NGOs machen deren Registrierung unmöglich. Die wenigen staatlichen chinesischen Organisationen, die sich mit Menschenrechten befassen, sind im Sinne der Information über und Werbung für das staatliche Konzept der Menschenrechtspolitik aktiv, darunter z.B. die Gesellschaft zur Förderung der Menschenrechte (China Society for Human Rights Studies), die für Außenkontakte zuständig ist, oder die Society for Human Rights Studies, die auch innerhalb Chinas Aufklärungsarbeit leistet. Bei beiden Organisationen handelt es sich um sogenannte "Governmentally Organized NGOs". Laut chinesischen Angaben sind derzeit mehr als 7.000 internationale NGOs - mit einer sehr breiten Definition sogar mehr als 460.000 registrierte NGOs - in China tätig. Davon ein Großteil aus den USA. Nur ein sehr kleiner Teil davon kann als "unabhängig" qualifiziert werden. Unabhängige NGOs erhalten keine staatliche Unterstützung und es besteht keine "Spendenkultur" für solche Organisation (bzw. wären Spender Schikanen ausgesetzt). Unabhängigen und manchen internationalen Organisationen (z.B. UNHCR) ist darüber hinaus das Spendensammeln verboten. In den letzten Jahren wurde es für NGOs aufgrund neuer Auflagen immer schwieriger, Spenden aus dem Ausland zu erhalten. Seit Xi Jinping im Amt ist, sind NGOs vermehrten Repressalien ausgesetzt, z.B. Inhaftierung ihrer Führungskräfte, Durchsuchungen sowie Einfrierung ihrer Konten (AA 15.12.2016; vgl. ÖB 11.2016). In China selbst werden unabhängige Menschenrechts-Organisationen streng kontrolliert und oft unterdrückt. Die Rolle der Zivilgesellschaft wird von der KP nur in kleinteiliger Organisationsform bzw. in Bereichen wie Umwelt und Wohlfahrt dann zugelassen, wenn keine öffentliche Kritik an Behörden, KP oder Politiken geübt wird (ÖB 11.2016). Ein neues Gesetz für eine Verwaltung von ausländischen NGO-Aktivitäten innerhalb des chinesischen Festlandes stellt ausländische NGOs fortan unter die Aufsicht des Ministeriums für öffentliche Sicherheit (USDOS 3.3.2017; vgl. FH 1.2017a). Nach dem neuen Gesetz müssen alle Finanzierungen durch ausländische NGOs von den chinesischen Sicherheitsbehörden vor Erhalt genehmigt werden und dürfen ausländische NGOs in China nur gewisse Aktivitäten in Partnerschaft mit offiziellen Stellen ausüben. Zahlreiche Fragen zur Umsetzung sind noch offen. Obgleich dieses Gesetz dazu beitragen kann, das nebulose Regelwerk der NGOs zu erhellen, wird befürchtet, dass das Gesetz eine weitere Möglichkeit für die Sicherheitsbehörden darstellt, die Zivilgesellschaft zur Selbstzensur und zu unkritischem Verhalten zu zwingen (ÖB 11.2016; vgl. FH 1.2017a). Durch den großen Ermessensspielraum der Polizei für die Kontrolle und Regulierung der Arbeit ausländischer NGOs erhöhte sich das Risiko, dass das Gesetz dazu missbraucht werden könnte, Menschenrechtsverteidiger und NGO-Mitarbeiter einzuschüchtern und strafrechtlich zu verfolgen (AI 22.2.2017). Viele ausländische NGOs und deren inländischen Partner begannen schon vor dem 1.1.2017 aufgrund der vagen Ausformulierung des Gesetzes, ihre Tätigkeiten vor dem Jahresende zu kürzen (USDOS 3.3.2017; vgl. FH 1.2017a). Ausländischen Menschenrechts-NGOs wie Human Rights Watch oder Amnesty International ist es nicht erlaubt, die Menschenrechtssituation in der VR China zu beobachten bzw. Einzelfällen nachzugehen. Die meisten Beobachter arbeiten und publizieren daher von Hongkong aus. Größerer Spielraum für zivilgesellschaftliche Akteure im Menschenrechtsbereich besteht immer noch in Internetforen und sozialen Netzwerken - soweit die Zensur umgangen werden kann (AA 15.12.2016).

1.3.8. Allgemeine Menschenrechtslage

Die VR China erkennt de jure die grundlegenden Prinzipien der Charta der Vereinten Nationen und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte an. Sie gehört einer Reihe von UN-Übereinkünften zum Schutz der Menschenrechte an und hat den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte zwar 1998 gezeichnet, allerdings bis heute nicht ratifiziert (AA 4.2017a). Die Menschenrechtslage in China bietet weiterhin ein zwiespältiges und trotz aller Fortschritte im Ergebnis negatives Bild. 2004 wurde der Begriff "Menschenrechte" in die Verfassung aufgenommen, die individuellen Freiräume der Bürger in Wirtschaft und Gesellschaft wurden in den letzten Jahren erheblich erweitert. Andererseits bleiben die Wahrung der inneren Stabilität und der Machterhalt der Kommunistischen Partei (KP) oberste Prämisse und rote Linie. Vor diesem Hintergrund geht die chinesische Führung kompromisslos gegen jene vor, die als Bedrohung dieser Prioritäten angesehen werden, wie z. B. regierungskritische Schriftsteller, Blogger, Bürgerrechtsaktivisten, Menschenrechtsanwälte, Petitionäre oder Mitglieder nicht anerkannter Religionsgemeinschaften (Falun Gong, Hauskirchen etc.). Seit dem Führungswechsel im März 2013 ist ein noch einmal verstärkt repressives Vorgehen der chinesischen Behörden gegenüber Kritikern der Regierung oder der Partei zu beobachten.

Einschüchterungsmaßnahmen umfassen u.a. Hausarrest, willkürliche Haft in sog. schwarzen Gefängnissen ("black jails" bzw. "legal education center"), Folter, Berufsverbote und Druck auf Familienangehörige; in einigen Fällen wurden lange Haftstrafen verhängt. Personen, die in Opposition zu Regierung und herrschender Ideologie stehen, setzen sich unmittelbar der Gefahr von Repression durch staatliche Stellen aus, wenn sie aus Sicht der Regierung die KP, die Einheit des Staates oder das internationale Ansehen Chinas gefährden. Die Schwelle ist immer dann erreicht, wenn die chinesischen Sicherheitsbehörden annehmen, dass ein - noch so loses - Netzwerk gebildet werden könnte. Aus Sicht der Regierung geht von separatistischen Bestrebungen und Untergrundaktivitäten innerhalb Chinas die größte Gefahr aus (AA 15.12.2016). Es gibt weiterhin besorgniserregende Verletzungen rechtsstaatlicher Mindeststandards in ganz China. So gibt es immer noch Strafverfolgung aus politischen Gründen, Administrativhaft (Haftstrafe ohne Gerichtsurteil), Verletzung von allgemeinen Verfahrensgarantien im Strafverfahren (z.B. Unschuldsvermutung), sehr häufige Verhängung der Todesstrafe sowie Fälle von Misshandlungen und Folter. Daneben gibt es das Bekenntnis der Regierung zu einem an Recht und Gesetz ausgerichteten sozialen Regierungshandeln und vermehrt Reformbemühungen im Rechtsbereich (AA 4.2017a). Grundlegende Rechte, wie Rede- und Versammlungsfreiheit, sowie Reisefreiheit werden den Bewohner der autonomen Region Tibet (TAR) und anderen tibetischen Gebieten, sowie den Uiguren in der autonomen Region Xinjiang (XUAR) weiter verweigert (HRW 12.1.2017; vgl. USDOS 3.3.2017). Besonders außerhalb der Großstädte werden häufig Fälle gemeldet, in denen von Behörden beauftragte Kräfte, gegen unliebsame Personen vorgehen. Zumeist handelt es sich um Demonstranten bei Fällen mit wirtschaftlichem Hintergrund (illegale Landnahme, Korruption etc.). Auch Journalisten sind von solchen Fällen betroffen, zum Teil werden offen Kopfgelder ausgesetzt, ohne dass dies rechtliche Konsequenz hat (AA 15.12.2016). Petenten, die Vergehen von lokalen Behörden und Kadern anzeigen wollen, werden häufig von angeheuerten Schlägertrupps aufgegriffen und ohne Kontakt zur Außenwelt in Gefängnissen festgehalten, oder illegal in sog. "Black Jails", psychiatrischen Institutionen und anderen Orten inhaftiert, wo sie der Gefahr von Gewalt, psychischem Missbrauch oder sexueller Gewalt ausgesetzt sind. Diese Art des Verschwindenlassens ist eine weit verbreitete, von der Regierung aber stets verleugnete Methode, um Unliebsame aus dem Verkehr zu ziehen (AA 15.12.2016; vgl. FH 1.2017a).

1.3.9. Bewegungsfreiheit

Die Behörden verschärften die Beschränkungen der Bewegungsfreiheit von Personen vor wichtigen Jubiläen, Besuchen ausländischer Würdenträger oder großer politischer Ereignissen, welche als politisch sensibel empfunden werden, um Demonstrationen vorzubeugen (USDOS 3.3.2017; vgl. FH 1.2017a). Repressionen erfolgen landesweit nicht einheitlich. Da wegen der Größe des Landes und der historisch überkommenen Strukturen Einfluss und Kontrolle der Zentralregierung in den einzelnen Landesteilen unterschiedlich ausgeprägt sind, treten staatliche oder dem Staat zurechenbare Übergriffe in den Regionen unterschiedlich häufig auf. Daher kann es im Einzelfall möglich sein, durch einen Ortswechsel Repressalien auszuweichen. So berichten beispielsweise protestantische Hauskirchen von besonders großem Druck in den Provinzen Zhejiang, Hubei, Hebei und Heilongjiang, während sie in Peking relativ ungehindert praktizieren können. Allerdings ist ein Umzug von in der VR China lebenden Chinesen in einen anderen Landesteil durch die restriktive Registrierungspraxis ("Hukou"-System) nur schwer möglich (Verlust des Zugangs zu Bildung und Sozialleistungen). Für Personen aus ländlichen Gebieten ist es schwierig, legal in eine Stadt überzusiedeln. Insbesondere für aus politischen Gründen Verfolgte gibt es nach Ansicht des Auswärtigen Amtes keine sichere Ausweichmöglichkeit innerhalb Chinas (AA 15.12.2016).

Ein Untertauchen, also eine nicht registrierte Niederlassung in einen anderen Landesteil als jenem des Melde-Wohnorts, ist schwierig. Sowohl bei Inlandsflügen als auch bei Zugfahrten wird systematisch die Identität überprüft, auch Zugtickets können nur mit Personalausweis gekauft werden und sind nicht übertragbar. KFZ mit Kennzeichen von außerhalb der Stadt oder der Provinz und deren Passagiere werden systematisch überprüft. Es besteht ein sehr effizientes System der Überwachung durch Nachbarschaftskomitees ("Blockwarte"). In der Tibetischen Autonomen Region und in Xinjiang besteht besonders strenge Überwachung unter anderem durch das System der kollektiven Bestrafung von Dorfgemeinschaften und starken Einschränkungen der Bewegungsfreiheit, wonach Personen, die ihr Dorf oder ihre Region verlassen wollen, hierfür Genehmigungen einholen müssen welche teilweise nur für bestimmte andere Regionen ausgestellt werden. In Xinjiang werden darüber hinaus in von Uiguren bewohnten Gegenden an Straßensperren Identitätskontrollen - vor allem von jungen männlichen Uiguren - durch die bewaffnete Volkspolizei und die Volksbefreiungsarmee durchgeführt (ÖB 11.2016). Trotz fehlender Bedrohungslage wurde 2016 von den Behörden fast allen Bewohner der Region Tibet verboten, Reisen in das Ausland zu unternehmen (HRW 12.1.2017). 2012 wurden Hunderte von Tibetern, die sich nach Indien begeben hatten, um an den Kalachakra Belehrungen teilzunehmen, bei ihrer Rückke

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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