TE Bvwg Beschluss 2019/10/22 W164 2172719-2

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Veröffentlicht am 22.10.2019
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Entscheidungsdatum

22.10.2019

Norm

AsylG 2005 §12a Abs2
AsylG 2005 §22 Abs10
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §61

Spruch

W164 2172719-2/4E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Rotraut LEITNER als Einzelrichterin über die durch den mündlich verkündeten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.10.2019, Zl. 1092085508/191044652, erfolgte Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes betreffend XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan beschlossen:

A)

Die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes ist nicht rechtmäßig. Der mündlich verkündete Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.10.2019 wird aufgehoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein Staatsangehöriger von Afghanistan, stellte am 21.10.2015 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden BFA) einen Antrag auf internationalen Schutz.

Anlässlich seiner Erstbefragung vom 22.10.2015 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Landespolizeidirektion Wien und seiner Befragung durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vom 14.06.2017 gab der BF im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Farsi im Wesentlichen Folgendes an:

Er sei am XXXX in der Provinz Helmand, Distrikt XXXX , Dorf XXXX geboren; er gehöre der Volksgruppe der Hazara an und bekenne sich zum schiitischen Glauben. Der BF habe nur seine frühe Kindheit bei seinen Eltern verbracht. Mit etwa acht Jahren sei er mit seinem Onkel väterlicherseits in den Iran gezogen. Der BF habe keine Schule besucht, sondern früh zu arbeiten begonnen, zunächst auf einer Hühnerfarm, dann am Bau und als Elektriker. Als er eines Tages gemeinsam mit einem afghanischen Kollegen und weiteren Arbeitskollegen auf einer Baustelle gearbeitet habe, sei sein afghanischer Kollege bei einem Arbeitsunfall ums Leben gekommen. Als Folge der daraufhin auf der Baustelle erfolgten polizeilichen Ermittlungen sei der BF, der keine Papiere hatte, festgenommen worden. Sein Arbeitgeber habe erreicht, dass der BF die Polizeistation wieder verlassen konnte, habe ihm aber gleichzeitig mitgeteilt, dass der BF 10 Monate im Gefängnis verbringen und danach nach Syrien kämpfen gehen werde müssen. Den BF habe kein Verschulden am genannten Arbeitsunfall getroffen. Dennoch sei er noch am selben Abend vom Bruder des Verstorbenen Kollegen beschuldigt und mit einem Messer bedroht worden. Der BF habe aufgrund dieser Vorkommnisse den Iran verlassen. Die Familie des BF habe im Übrigen den Wunsch geäußert, dass der BF nach Syrien fahren und dort kämpfen solle.

Der BF legte Zertifikate über Deutschprüfungen bis Niveau A2 nach GER, Nachweise über ehrenamtliche Tätigkeit, Empfehlungsschreiben und eine Heiratsurkunde vom 06.09.2017 über die in Wien nach islamischem Ritus erfolgte Heirat mit Frau XXXX vor.

Mit Bescheid vom 14.09.2017 wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 22.10.2015 gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm den Status eines Asylberechtigten ebenso wie gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG den Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan nicht zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG. Ferner wurde gegen den BF gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des BF 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

Gegen diesen Bescheid erhob der BF fristgerecht Beschwerde, mit der der Bescheid gesamtinhaltlich wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts, mangelhafter bzw. unrichtiger Bescheidbegründung sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge von Verletzung von Verfahrensvorschriften angefochten wurde.

Am 13.02.2019 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung unter Beisein einer Rechtsvertreterin der ARGE Rechtsberatung sowie eines Dolmetschers für die Sprache Farsi durchgeführt, zu der der BF persönlich erschien. Der BF wurde zu seiner Identität, Herkunft, zu den persönlichen Lebensumständen, zu seinem Fluchtgrund sowie zu seinem Privat- und Familienleben in Österreich befragt. Er brachte während der Verhandlung weitere Unterlagen zum Beweis seiner Integration in Vorlage und brachte vor, dass er den Vorbereitungskurs für den Hauptschulabschluss begonnen habe und voraussichtlich im Juli 2019 abschließen werde.

Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Erkenntnis W251 217219-1/8E vom 08.03.2019 die Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Dieses Erkenntnis wurde der Rechtsvertretung des BF am 12.03.2019 nachweislich elektronisch zugestellt. In der Begründung des genannten Erkenntnisses wurde zusammengefasst ausgesprochen, der BF habe eine asylrelevante Verfolgung aus den von ihm monierten Gründen nicht glaubhaft gemacht. Er habe widersprüchliche und nicht plausible Angaben gemacht. Auch die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 seien nicht gegeben. Zwar sei dem BF eine Rückkehr in seine Heimatprovinz Helmand nicht zumutbar. Jedoch sei ihm die Inanspruchnahme der innerstaatlichen Fluchtalternative in Mazar e Sharif sowohl unter dem Aspekt der Sicherheit als auch unter Berücksichtigung seiner persönlichen Umstände zumutbar. Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gem. § 57 AsylG seien nicht gegeben. Eine Abwägung der öffentlichen gegen die Privaten Interessen des BF iSd Art 8 E-MRK habe ergeben, dass das öffentliche Interesse an einem geordneten Fremdenwesen gegenüber den privaten Interessen des BF am Verbleib in Österreich überwiegen würden: Der BF habe in Österreich keine Familienangehörigen. Auch zu seiner Bekannten bestehe keine enge Nahebeziehung. Es bestehe keine Wirtschafts- und Wohngemeinschaft. Beide seien nicht voneinander finanziell abhängig. Der BF halte sich seit drei Jahren und vier Monaten im Bundesgebiet auf. Seine (vorläufige) Aufenthaltsberechtigung habe sich einzig auf den von ihm gestellten Antrag auf internationalen Schutz gegründet, der nun als unberechtigt beurteilt worden sei. Zwar verfüge der BF über gute Deutschkenntnisse, er besuche den Vorbereitungskurs für den Pflichtschulabschluss, habe ehrenamtlich gearbeitet und werde von seinem Umfeld in Österreich geschätzt; er sei strafrechtlich unbescholten und er pflege hier freundschaftliche Beziehungen, sei jedoch nicht außergewöhnlich integriert und habe in Österreich keine Verwandten und keine engen sozialen Bindungen. Er sei in Afghanistan sozialisiert, spreche die Landesprache und habe dort familiäre Anknüpfungspunkte. Der BF habe sich bei allen Integrationsschritten seines unsicheren Aufenthaltsstatus und damit der Vorläufigkeit der Integrationsschritte bewusst sein müssen.

Durch seinen bevollmächtigten Rechtsvertreter RA Mag. Peterpaul Suntinger erhob der BF gegen dieses Erkenntnis außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof, mit der dem BVwG im Wesentlichen zur Last gelegt wird, dass beantragte Zeugen nicht vernommen wurden, deren Vernehmung zur Frage der Nahebeziehung des BF zu seiner Ehefrau sowie zu seiner sozialen Integration in seinem österreichischen Freundes- und Bekanntenkreis ein gänzlich anderes Ergebnis der oben dargelegten Interessensabwägung herbeiführen hätte können.

Am 06.10.2019 stellte der BF (ohne Anwesenheit eines Rechtsvertreters) auf Deutsch den nun verfahrensgegenständlichen Folgeantrag auf internationalen Schutz. Befragt, warum er einen neuerlichen Asylantrag stelle, gab der BF an, er halte die Aussagen seiner vorherigen Einvernahme aufrecht und ergänze, dass er nun seit zwei Jahre mit seiner Frau verheiratet sei mit ihr in Österreich bleiben wolle. Er wolle seine Frau nicht verlieren. Im Falle seiner Abschiebung würde dies jedoch geschehen. Der BF glaube, dass seine Frau schwanger sei. Eine ärztliche Bestätigung habe er noch nicht. In Afghanistan kenne der BF niemanden. Die Landessprache Afghanistans könne er zwar sprechen aber nicht schreiben.

Anlässlich seiner Einvernahme vor dem BFA vom 11.10.2019 legte der BF unter Beisein einer Dolmetscherin, jedoch ohne Beisein eines Rechtsvertreters, erneut seine Heiratsurkunde vom 06.09.2017 vor und gab an, seine Frau wohne nun seit einem Monat in Klagenfurt. Bis dahin habe sie in Tirol gelebt. Kennengelernt habe er sie 2015 in einem Camp in Klagenfurt und sei mit ihr bis zu der (nach islamischem Ritus erfolgten) Heirat in Kontakt geblieben. Auch nach der Heirat habe der BF in Klagenfurt und seine Frau in Tirol gelebt. Sie hätten sich gegenseitig besucht, seien aber nie an derselben Adresse gemeldet gewesen. Der BF habe mehrmals erfolglos beantragt, in die Nähe seiner Frau verlegt zu werden. Die Frage, ob der BF diesbezüglich schriftliche Unterlagen vorlegen könne, verneinte er. Der BF pflege ferner fast täglich Kontakt zu einer Pensionistin seiner Wohnsitzgemeinde. Diese unterstütze ihn von Zeit zu Zeit finanziell. Der BF leide an starken Kopfschmerzen und Ohrenschmerzen.

Der BF übersandte in der Folge ein Schreiben der Mag. XXXX , XXXX , vor, worin diese bestätigt, dass sie ihn, sofern es notwendig sein sollte, finanziell unterstütze. Der BF übersandte weitere Empfehlungsschreiben von Bewohnern seiner österreichischen Wohnsitzgemeinde.

Am 17.10.2019 befragte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erneut den BF - nun im Beisein einer Rechtsberaterin und eines Dolmetschers für die Sprache Dari. Der BF gab an, dass sich seine Kopfschmerzen seit der letzten Einvernahme verschlechtert hätten. Da er auch Magenprobleme habe, könne er keine Tabletten nehmen. Der Arzt habe ihm geraten, viel zu trinken und in die Natur zu gehen. Die Frau des BF habe noch keine Klarheit, ob sie schwanger sei.

Mit dem mündlich verkündeten verfahrensgegenständlichen Bescheid vom 17.10.2019 wurde ausgesprochen, dass der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12 AsylG gemäß § 12a Abs 2 AsylG aufgehoben werde.

Begründend wurde ausgeführt, es habe sich aus dem Folgeantrag kein neuer Sachverhalt ergeben. Der Folgeantrag vom 06.10.2019 werde daher voraussichtlich wegen entschiedener Sache zurückzuweisen sein. Die Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung des BF nach Afghanistan würde keine reale Gefahr oder Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten oder für den BF als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts mit sich bringen. Die für den BF maßgebliche allgemeine Lage in seinem Heimatstaat Afghanistan habe sich seit Rechtskraft des ersten Asylverfahrens (13.03.2019) nicht geändert. Die vom BF dargelegten körperlichen Leiden würden kein Überstellungshindernis bilden. Der BF habe selbst angegeben, dass er keine Medikamente nehme und habe keine medizinischen Unterlagen vorgelegt. Am 11.10.2019 hab der BF den Arzt der EASTWEST Station aufgesucht. Dieser habe den BF nicht ins Krankenhaus überwiesen sondern ihm nur geraten, viel Wasser zu trinken und in der Natur spazieren zu gehen. Der BF stütze sein nunmehriges Vorbringen auf den bereits im Vorverfahren behandelten und gewürdigten Sachverhalt, somit auf ein rechtskräftig als unglaubwürdig qualifiziertes Vorbringen. Ein schützendwertes Familienleben liege nicht vor. Sein Zusammenleben in Österreich sei durch illegale Einreise und die rechtsmissbräuchliche Stellung eines Asylantrages ermöglicht worden. Es bestehe eine aufrechte Rückkehrentscheidung. Ein in der Vergangenheit stattgefundener kurzer Aufenthalt des BF in Deutschland schade in diesem Zusammenhang nicht. Der BF verfüge über kein sonstiges Aufenthaltsrecht.

Nach der mündlichen Verkündung dieses Bescheides vom 17.10.2019 erklärte der BF, dass er mit der Entscheidung nicht einverstanden sei und Beschwerde erhebe. Zur Begründung dieser Beschwerde verwies der BF auf sein Vorbringen desselben Tages.

Die Bezug habenden Verwaltungsakten sind am 18.10.2019 bei der zuständigen Gerichtsabteilung eingelangt. Am selben Tag erging eine Mitteilung gem. § 22 Abs 2 BFA-VG.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Weder das AsylG 2005 noch das FPG 2005 sehen eine Entscheidung durch Senate vor, sodass im gegenständlichen Beschwerdefall Einzelrichterzuständigkeit vorliegt.

Zur anzuwendenden Rechtslage:

§ 12a Abs. 1 und 2 sowie § 22 Abs. 10 Asylgesetz 2005 lauten:

§ 12a. (1) Hat der Fremde einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) nach

einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §§ 4a oder 5 oder nach jeder weiteren, einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §§ 4a oder 5 folgenden, zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 Abs. 1 AVG gestellt, kommt ihm ein faktischer Abschiebeschutz nicht zu, wenn

1. gegen ihn eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG oder eine Ausweisung gemäß § 66 FPG erlassen wurde,

2. kein Fall des § 19 Abs. 2 BFA-VG vorliegt,

3. im Fall des § 5 eine Zuständigkeit des anderen Staates weiterhin besteht oder dieser die Zuständigkeit weiterhin oder neuerlich anerkennt und sich seit der Entscheidung gemäß § 5 die Umstände im zuständigen anderen Staat im Hinblick auf Art. 3 EMRK nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit maßgeblich verschlechtert haben., und

4. eine Abschiebung unter Berücksichtigung des Art. 8 EMRK (§ 9 Abs. 1 bis 2 BFA-VG) weiterhin zulässig ist.

(2) Hat der Fremde einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) gestellt und liegt kein Fall des Abs. 1 vor, kann das Bundesamt den faktischen Abschiebeschutz des Fremden aufheben, wenn

1. gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG besteht,

2. der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist, und

3. die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten und für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

§ 22. (10) Entscheidungen des Bundesamtes über die Aufhebung des Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 ergehen mündlich in Bescheidform. Die Beurkundung gemäß § 62 Abs. 2 AVG gilt auch als schriftliche Ausfertigung gemäß § 62 Abs. 3 AVG. Die Verwaltungsakten sind dem Bundesverwaltungsgericht unverzüglich zur Überprüfung gemäß § 22 BFA-VG zu übermitteln. Diese gilt als Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht; dies ist in der Rechtsmittelbelehrung anzugeben. Über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes hat das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der Überprüfung gemäß § 22 BFA-VG mit Beschluss zu entscheiden.

§ 22 BFA-Verfahrensgesetz lautet:

§ 22. (1) Eine Entscheidung des Bundesamtes, mit der der faktische

Abschiebeschutz eines Fremden aufgehoben wurde (§ 12a Abs. 2 AsylG 2005), ist vom Bundesverwaltungsgericht unverzüglich einer Überprüfung zu unterziehen. Das Verfahren ist ohne Abhaltung einer mündlichen Verhandlung zu entscheiden. § 20 gilt sinngemäß. § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG ist nicht anzuwenden.

(2) Die Aufhebung des Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 und eine aufrechte Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG oder eine Ausweisung gemäß § 66 FPG sind mit der Erlassung der Entscheidung gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 durchsetzbar. Mit der Durchführung der die Rückkehrentscheidung oder Ausweisung umsetzenden Abschiebung gemäß § 46 FPG ist bis zum Ablauf des dritten Arbeitstages ab Einlangen der gemäß § 22 Abs. 10 AsylG 2005 zu übermittelnden Verwaltungsakten bei der zuständigen Gerichtsabteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuzuwarten. Das Bundesverwaltungsgericht hat das Bundesamt unverzüglich vom Einlangen der Verwaltungsakten bei der zuständigen Gerichtsabteilung und von der im Rahmen der Überprüfung gemäß Abs. 1 getroffenen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes zu verständigen.

(3) Über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes im Rahmen der Überprüfung gemäß Abs. 1 hat das Bundesverwaltungsgericht binnen acht Wochen zu entscheiden."

Zu Spruchpunkt A):

Im Fall einer Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs 2 AsylG (dies ist hier der Fall) müssen sämtliche Voraussetzungen dieser Bestimmung erfüllt sein.

§ 12a Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 verlangt gemäß seinem Wortlaut, dass der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist.

§ 12a Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 verlangt eine Prognoseentscheidung über eine voraussichtliche Antragszurückweisung; die Sachentscheidung über den Folgeantrag selbst ist nicht Gegenstand des Verfahrens (vgl. die in Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, S 284, angeführte Gesetzesmaterialien zu § 22BFA-VG).

Im vorliegenden Fall ist somit eine Prognoseentscheidung darüber zu treffen, ob der Antrag voraussichtlich wegen entschiedener Sache zurückzuweisen sein wird.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis Ra 2017/18/0451 vom 19.12.2017 ausgeführt hat, genießt ein Fremder, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, gemäß § 12 AsylG 2005 grundsätzlich bis zur Erlassung einer durchsetzbaren Entscheidung, bis zur Gegenstandslosigkeit des Verfahrens oder nach einer Einstellung bis zu dem Zeitpunkt, an dem eine Fortsetzung des Verfahrens gemäß § 24 Abs. 2 AsylG 2005 nicht mehr zulässig ist, faktischen Abschiebeschutz; das bedeutet, dass er weder zurückgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben werden darf. Durch das Fremdenrechtsänderungsgesetz 2009, BGBl. I Nr. 122/2009, wurden für Folgeanträge auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005 Sonderregelungen geschaffen, die in bestimmten Fällen Ausnahmen vom faktischen Abschiebeschutz vorsehen. Sie haben - nach den Gesetzesmaterialien (RV 330 BlgNR 24. GP 11)

-"unter Wahrung der notwendigen rechtsstaatlichen Garantien ... das

Ziel, jene Fälle, in denen ein berechtigtes Interesse an einem neuerlichen Asylverfahren besteht, möglichst früh von klar missbräuchlichen Antragstellungen zu unterscheiden und diese in weiterer Folge als Mittel zur Hintanhaltung fremdenpolizeilicher Maßnahmen unbrauchbar zu machen." Zur Tatbestandsvoraussetzung des § 12a Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 ("wenn der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist") führen die Gesetzesmaterialien (RV 220 BlgNR 24. GP 13) aus, dass "eine Grobprüfung in Form einer Prognose über die Zulässigkeit des Antrags" zu treffen ist. Zieht man das vom Gesetz angestrebte Ziel in Betracht, den faktischen Abschiebeschutz nur für "klar missbräuchliche Anträge" beseitigen zu wollen, kann damit nur gemeint sein, dass schon bei einer Grobprüfung die (spätere) Zurückweisung des Folgeantrags auf der Hand liegt, weil sich der maßgebliche Sachverhalt nicht entscheidungswesentlich geändert hat. Nicht jeder Folgeantrag, bei dem eine (spätere) Zurückweisung wegen entschiedener Sache gemäß § 68 AVG in Betracht kommen könnte, berechtigt daher zur Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes nach § 12a Abs. 2 AsylG 2005. Es muss sich vielmehr um einen Fall handeln, in dem sich dieser Verfahrensausgang von vornherein deutlich abzeichnet. Nur dann kann auch angenommen werden, dass die Antragstellung in Wirklichkeit den Zweck verfolgt, die Durchsetzung einer vorangegangenen und mit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verbundenen (rechtskräftigen) Vorentscheidung zu verhindern. Auf einen solchen missbräuchlichen Zweck deutet - unter Bedachtnahme auf Art. 41 Abs. 1 lit. b der Verfahrensrichtlinie - etwa auch die mehrfache Folgeantragstellung hin, wenn dieser keine substanziell neuen und eine andere Beurteilung rechtfertigenden Sachverhaltselemente zugrunde liegen.

Für den vorliegenden Fall ergibt sich daraus:

Unter Berücksichtigung der eben dargelegten höchstgerichtlichen Judikatur ist der hier vorzunehmende Beurteilung vorauszuschicken, dass § 12a ASylG dem Ziel dient, den faktischen Abschiebeschutz nur für "klar missbräuchliche Anträge" beseitigen zu wollen. Nicht jeder Folgeantrag, bei dem eine (spätere) Zurückweisung wegen entschiedener Sache gemäß § 68 AVG in Betracht kommen könnte, berechtigt daher zur Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes nach § 12a Abs. 2 AsylG 2005.

Der verfahrensgegenständliche Antrag vom 06.09. 2019 bildet den ersten Folgeantrag des BF. Insoweit liegt somit jedenfalls kein Indiz für eine rechtsmissbräuchliche Folgeantragstellung vor.

Der BF hat in seinem verfahrensgegenständlichen Folgeantrag vorgebracht, dass sich sein Privat- und Familienleben durch die seit langem angestrebte und letztendlich im August 2019 erreichte Wohnungsnahme seiner nach österreichischem Recht als Lebensgefährtin zu beurteilenden Frau in Klagenfurt und durch ihre (vermutete) Schwangerschaft geändert habe. Die Beurteilung, ob diese Umstände zutreffen und ob sie geeignet sind, das Vorliegen einer nicht identen Sache iSd § 68 AVG zu begründen ist in der hier zu treffenden Entscheidung nicht vorwegzunehmen. Der Umstand allein, dass eine spätere Zurückweisung wegen entschiedener Sache gem. § 68 AVG in Betracht kommen könnte, berechtigt nicht schon zur Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes. Dass eine spätere Zurückweisung des Folgeantrages aber gleichsam auf der Hand liegen würde, trifft im vorliegenden Fall nicht zu. Vom Vorliegen eines bloß rechtsmissbräuchlich gestellten Folgeantrages ist daher nicht auszugehen.

Somit ist jedenfalls eine der drei Voraussetzungen, unter denen der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 aufgehoben werden darf, nicht erfüllt.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden. Mit Aufhebung des vorliegenden Bescheides kommt dem BF faktischer Abschiebeschutz iSd § 12 Abs. 1 AsylG 2005 zu.

Gemäß § 22 Abs. 1 BFA-VG war ohne Abhaltung einer mündlichen Verhandlung zu entscheiden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an eine Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, faktischer Abschiebeschutz - Aufhebung
nicht rechtmäßig, Folgeantrag, Voraussetzungen, Wegfall der Gründe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W164.2172719.2.00

Zuletzt aktualisiert am

14.05.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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