TE Bvwg Erkenntnis 2020/2/4 W182 2125926-4

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 04.02.2020
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Entscheidungsdatum

04.02.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AVG §68 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1a

Spruch

W182 2125926-4/3E

W182 2125924-5/3E

W182 2125923-5/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. PFEILER als Einzelrichter über die Beschwerde von 1.) XXXX , geb. XXXX , 2.) XXXX , geb. XXXX , und 3.) XXXX , geb. XXXX , alle StA. Russische Föderation, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.01.2020, Zlen. ad 1.) 830562700 - 171207239, ad 2.) 830562602 - 171207174 sowie ad 3.) 830562809 - 171207247, nach § 28 Abs. 1 und 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 idgF, zu Recht erkannt:

A) Den Beschwerden wird gemäß § 68 Abs. 1 Allgemeines

Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG), BGBl. I Nr. 51/1991 idgF, stattgegeben. Die angefochtenen Bescheide werden behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 (B-VG), nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

1.1. Die beschwerdeführenden Parteien (im Folgenden: BF), ein Ehepaar (BF1 und BF2) und ihr Sohn (BF3), sind Staatsangehörige der Russischen Föderation, gehören der tschetschenischen Volksgruppe an und stellten am 30.04.2013 ihre ersten Anträge auf internationalen Schutz in Österreich.

Mit Bescheiden des Bundesamts wurden die Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten wie des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005, abgewiesen und Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 nicht erteilt. Es wurden Rückkehrentscheidungen gegen die beschwerdeführenden Parteien erlassen und festgestellt, dass ihre Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei.

Mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichts vom 30.12.2016, Zlen. W211 2125926-1/15E, W211 2125924-1/14E und W211 2125923-1/11E, wurden die gegen diese Bescheide gerichteten Beschwerden - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - als unbegründet abgewiesen, wobei die Sprüche der angefochtenen Bescheide dahingehend korrigiert wurden, dass über die Aufenthaltsberechtigungen gemäß § 55 AsylG 2005 nicht abgesprochen werde. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass das Vorbringen der BF, im Herkunftsland von Sicherheitskräften verfolgt zu werden, weil der BF2 XXXX , sich als nicht glaubhaft erwiesen habe. Die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichtes wurden mit 02.01.2017 rechtskräftig.

1.2. Am 09.03.2017 stellten der BF2 und der BF3 Folgeanträge (auf internationalen Schutz). Diese wurden mit Bescheiden des Bundesamtes vom 19.04.2017 gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen; unter einem wurden Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, Rückkehrentscheidungen gegen sie erlassen und festgestellt, dass ihre Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei; eine Frist für ihre freiwillige Ausreise werde ihnen nicht zuerkannt.

Die gegen diese Bescheide gerichteten Beschwerden wurden mit Beschlüssen des Bundesverwaltungsgerichts vom 06.06.2017 als verspätet zurückgewiesen. Die Beschlüsse wurden rechtskräftig.

1.3. Am 24.10.2017 stellten die BF wiederum Folgeanträge (auf internationalen Schutz). Diese begründeten die BF im Wesentlichen mit der Bedrohung des BF2 im Herkunftsstaat. Am 27.10.2017 legte die BF1 dem Bundesamt einen ärztlichen Kurzbericht vom XXXX 2017 vor, dem zufolge sie regelmäßiger ärztlicher Kontrollen an einer Universitätsklinik bedürfe. Die Diagnosen lauteten unter anderem auf XXXX , weswegen eine XXXX durchgeführt worden sei; die Erkrankung sei erst nach Abschluss des ersten Asylverfahrens aufgetreten, welches zuletzt mit einer Entscheidung in der Sache abgeschlossen worden sei.

Mit Bescheiden des Bundesamts vom 22.12.2017 wurden die Anträge auf internationalen Schutz vom 24.10.2017 gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurden den BF nicht erteilt. Unter einem wurden Rückkehrentscheidungen gegen sie erlassen und festgestellt, dass ihre Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei.

Den gegen diese Bescheide binnen offener Frist erhobenen Beschwerden wurde mit Beschlüssen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 05.02.2018 gemäß § 21 Abs. 3 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012, stattgegeben und die angefochtenen Bescheide behoben. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass es die Behörde unterlassen habe, hinreichende Ermittlungen zu einem Video, welches als Neuerung einen Übergriff auf den Bruder des BF2 im Herkunftsstaat im September 2017 wegen dessen Verwandtschaftsverhältnis zu ihm zeigen sollte, sowie zur XXXX Erkrankung der BF1 anzustellen.

1.4. Mit Bescheiden des Bundesamts vom 24.10.2017 wurden die Folgeanträge der BF vom 24.10.2017 für den Status von Asyl- wie subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (jeweils Spruchpunkte I. und II.). Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurden den BF nicht erteilt (jeweils Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurden Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005, gegen die BF erlassen (jeweils Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG 2005 wurde festgestellt, dass ihre Abschiebung in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig sei (jeweils Spruchpunkt V.).

1.5. Die dagegen erhobenen Beschwerden wurden mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 04.09.2019, Zlen. W234 2125926-3/37E, W234 2125924-4/36E und W234 2125923-4/33E, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 18.04.2019 hinsichtlich Spruchpunkt I. der Bescheide des Bundesamts vom 24.10.2017 gemäß § 68 AVG als unbegründet abgewiesen (Spruchpunkt I.). Im Übrigen wurde den Beschwerden Folge gegeben und die übrigen Spruchpunkte der angefochtenen Bescheide aufgehoben (Spruchpunkt II.).

Zur BF1 wurde im Wesentlichen festgestellt, dass die XXXX Erkrankung nach Abschluss des zuletzt mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 30.12.2016 in der Sache erledigten Antrags auf internationalen Schutz erstmals im Juni 2017 diagnostiziert worden sei. Seither sei die Krankheit bereits mehrfach operativ behandelt worden, wobei sie derzeit medikamentös behandelt werde. Durch Operationen ( XXXX ) seien XXXX sowie XXXX behoben und XXXX entfernt worden. Ferner habe die BF2 schon vor Abschluss ihres ersten Asylverfahrens an XXXX gelitten, wobei die Krankheit in Österreich operativ und medikamentös behandelt worden sei. Weiters leide sie unter Depressionen und einer posttraumatischen Belastungsstörung (F43.1). Schon vor Erlassung der letzten inhaltlichen Asylentscheidung habe die BF2 an einer schweren Anpassungsstörung (F43.2.) zufolge ihrer damaligen Krebsdiagnose gelitten. Seit März 2016 stehe sie in einem Therapiezentrum in regelmäßiger psychotherapeutischer Behandlung und medizinisch-psychiatrischer Beratung.

Zu Spruchpunkt II. wurde im Hinblick auf die BF1 (als "zweite beschwerdeführende Partei") rechtlich ausgeführt:

"Für die Beurteilung ob, der Folgeantrag wegen entschiedener Sache zurückzuweisen war, ist also zunächst zu berücksichtigten, dass die seit der letzten inhaltlichen Entscheidung über die Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten neu hinzugekommene Erkrankung an XXXX einen fortdauernden Bedarf an (fach)ärztlicher Behandlung und Medikation auslöst. Ferner ist dabei zu berücksichtigen, dass sich der Gesundheitszustand und die Lebenserwartung der zweiten beschwerdeführenden Partei durch diese Erkrankung deutlich verkürzen würde, sollte sie keinen Zugang zu dauerhafter, adäquater medizinischer Behandlung finden. Ferner ist bei der Beurteilung, ob der Antrag auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten zurückzuweisen war, zu berücksichtigen, dass die zweite beschwerdeführende Partei diesen Zugang zur Behandlung nach den bisherigen Ermittlungsergebnissen erst nach einer erstmaligen Ansiedelung in Moskau überhaupt finden könnte und über kein soziales Netz vor Ort verfügt. Zu berücksichtigen ist ferner, dass bislang offen bleibt, inwieweit die Kosten einer bei XXXX dauerhaft notwendigen Medikation und ärztlichen Behandlung aus öffentlichen Mitteln bestritten würden oder aus eigenem aufzubringen wären und daher schwer abgeschätzt werden kann, ob die beschwerdeführenden Parteien dies aufbringen könnten. Diese vielfältigen Aspekte müssen berücksichtigt und inhaltlich eingeschätzt werden, um beurteilen zu können, ob der Folgeantrag der zweiten beschwerdeführenden Partei auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten von vornherein aussichtslos und daher zurückzuweisen war. Trotz dieser vielfältigen und inhaltlich zu bewertenden Faktoren musste eine Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten an die zweite beschwerdeführende Partei "von vornherein ausgeschlossen" erscheinen, um ihren Folgeantrag auch insoweit wegen entschiedener Sache zurückweisen zu dürfen. Mit Blick auf die dargestellten für die Beurteilung maßgeblichen Faktoren und die zuvor skizzierte Rechtsprechung des VwGH und des EGMR (vgl. VwGH 21.2.2017, Ra 2017/18/0008-0009 mit Verweis auf das Urteil des EGMR vom 13. Dezember 2016, Nr. 41738/10, Paposhvili gegen Belgien, Rz 189 ff; siehe auch VwGH 21.05.2019, Ro 2019/19/0006-3) zur Gefahr einer Verletzung von Art. 3 EMRK infolge des mangelnden Zugangs zu medizinscher Behandlung im Zielstaat von Abschiebungen erschien nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts die Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten an die zweite beschwerdeführende Partei und damit eine andere Beurteilung als im Erkenntnis von 30.12.2016 zumindest nicht "von vornherein ausgeschlossen". Ist aber eine abweichende Beurteilung der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten wegen der seit der letzten Sachentscheidung eingetretenen Neuerung der neu hinzugekommenen Erkrankung an XXXX und des damit verbundenen intensiven Behandlungsbedarfs nicht so aussichtlos, dass sie "von vornherein" ausgeschlossen erscheint, liegt hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten keine entschiedene Sache vor. Dementsprechend hätte das Bundesamt den Antrag der zweiten beschwerdeführenden Partei hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in der Sache zu erledigen gehabt und nicht wegen entschiedener Sache zurückweisen dürfen. Den Beschwerden gegen Spruchpunkt II des an die zweite beschwerdeführende Partei adressierten Bescheides ist daher Folge zu geben.

Wegen der Begrenzung der Sache des Beschwerdeverfahrens auf die Überprüfung der Zulässigkeit der Zurückweisung des Folgeantrags (hier für den Satus der subsidiär Schutzberechtigten) ist es dem Bundesverwaltungsgericht in dieser Konstellation verwehrt, die Zurückweisung des Bundesamts durch eine Sachentscheidung zu ersetzen. Daher hatte das Bundesverwaltungsgericht nur durch Aufhebung der Zurückweisung vorzugehen und durfte hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten nicht in der Sache absprechen."

Die Erkenntnisse wurden rechtskräftig.

2. Mit den oben im Spruch genannten, bekämpften Bescheiden des Bundesamtes vom 09.01.2020 wurden die Anträge auf internationalen Schutz der BF vom 24.10.2017 erneut hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen, ihnen ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen Sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen, gemäß § 52 Absatz 9 FPG die Zulässigkeit der Abschiebung in die Russische Föderation nach § 46 FPG sowie gemäß § 55 Abs. 1a FPG das Nichtbestehen einer Frist für die freiwillige Ausreise festgestellt.

Den Entscheidungen ging eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation an das Bundesamt vom 25.10.2019 voraus, wonach hinsichtlich XXXX in Tschetschenien die stationäre und ambulante Behandlung durch einen Lungenfacharzt, XXXX , Internisten ebenso verfügbar seien wie XXXX Operationen. Sämtliche Wirkstoffe bzw. hierzu alternative Wirkstoffe zur medikamentösen Behandlung seien verfügbar. Laut MedCOI-Ansprechpartner gebe es keine spezielle Unterstützung für XXXX Patienten, nur von einer Sonderkommission als behindert anerkannte Personen könnten eine Invaliditätsleistung erhalten. Laut MedCOI-Kontaktpersonen siehe das Recht der Russischen Föderation vor, dass alle Medikamente und Behandlungen kostenlos zur Verfügung gestellt werden müssten, aber praktisch der Patient für seine Behandlung und Medikamente aus eigener Tasche bezahlen müsse.

Die Anfragebeantwortung wurde den BF unter Einräumung einer Frist für eine schriftliche Stellungnahme übermittelt. In einer Stellungnahme der BF vom 13.12.2019 wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass selbst bei einer Zuerkennung einer Pension aufgrund der Erkrankung der BF1 jedenfalls keine Sicherheit gegeben sei, dass diese eine dauerhafte Behandlung ihrer Krankheit finanzieren könne, um die erwartete Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes und die dadurch bedingte Verkürzung ihrer Lebenserwartung zu vermeiden.

Beweiswürdigend führte das Bundesamt in den Bescheiden vom 09.01.2020 im Wesentlichen aus, dass sich die BF1 in einem nicht lebensbedrohlichen Zustand befinde bzw. nicht an einer derart schwerwiegenden Erkrankung leide, welche mit Lebens- oder gravierender körperlicher Schädigungsgefahr verbunden wäre. Weiters seien bei Bedarf in der Russischen Föderation Behandlungsmöglichkeiten gegeben, ebenso sei die unerlässliche medizinische Versorgung gewährleistet. Es könne daher im gegenständlichen Fall zusammenfassend nicht gesagt werden, dass ihr durch eine Rückverbringung in die Russische Föderation die - über eine bloße Möglichkeit hinausgehende Gefahr - eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde.

Rechtlich ging das Bundesamt - ohne dies individuell näher zu begründen - davon aus, dass kein neuer Sachverhalt, welcher im gegenständlichen Fall eine anderslautende Entscheidung in der Sache rechtfertigen würde, vorliege.

Mit Verfahrensanordnung vom 10.01.2020 wurde den BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG ein Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.

Die Bescheide wurden durch die BF am 13.01.2020 persönlich übernommen.

2.3. Gegen diese Bescheide wurde binnen offener Frist vollumfänglich Beschwerden erhoben. Hierbei wurde u.a. geltend gemacht, dass bereits vom Bundesverwaltungsgericht mit den Erkenntnissen vom 04.09.2019 klargestellt worden sei, dass im Zusammenhang mit der XXXX Erkrankung der BF1 hinsichtlich des Status der subsidiär Schutzberechtigten keine entschiedene Sache vorgelegen sei, weshalb die Anträge diesbezüglich inhaltlich zu entscheiden gewesen seien. Diesbezüglich wurde insbesondere auf § 28 Abs. 5 VwGVG verwiesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen und Beweiswürdigung:

Der unter Punkt I. ausgeführte Verfahrensgang und Sachverhalt wird den Feststellungen zugrundegelegt.

Die getroffenen Feststellungen ergeben sich unstrittig aus dem Akteninhalt, insbesondere aus den vom Bundesamt herangezogenen und vorgelegten Akten zu den im Spruch genannten Zahlen sowie den Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 04.09.2019, Zlen. W234 2125926-3/37E, W234 2125924-4/36E und W234 2125923-4/33E.

2. Rechtliche Beurteilung:

1. Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Im vorliegenden Fall ist in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen und obliegt somit in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I 2013/33 idgF geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Hebt das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid gemäß § 28 Abs. 5 VwGVG auf, sind die Behörden verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtes entsprechenden Rechtszustand herzustellen.

Zu Spruchteil A):

2.1. In Beschwerdeverfahren über zurückweisende Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wegen entschiedener Sache gemäß § 68 AVG ist "Sache" des Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht die Frage, ob die Zurückweisung des verfahrenseinleitenden Antrags auf internationalen Schutz durch die erstinstanzliche Behörde gemäß § 68 Abs. 1 AVG zu Recht erfolgt ist, ob die Behörde also auf Grundlage des von ihr zu berücksichtigenden Sachverhalts zu Recht davon ausgegangen ist, dass im Vergleich zum rechtskräftig entschiedenen vorangegangenen Verfahren auf internationalen Schutz keine wesentliche Änderung der maßgeblichen Umstände eingetreten ist. Als Vergleichsbescheid (Vergleichserkenntnis) ist der Bescheid (das Erkenntnis) heranzuziehen, mit dem zuletzt in der Sache entschieden wurde (vgl. in Bezug auf mehrere Folgeanträge VwGH 26.07.2005, 2005/20/0226, mwN).

Gemäß § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 AVG die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, wenn die Behörde nicht Anlass zu einer Verfügung gemäß § 68 Abs. 2 bis 4 AVG findet.

"Entschiedene Sache" iSd § 68 Abs. 1 AVG liegt vor, wenn sich gegenüber der vorherigen letzten Sachentscheidung weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt (VwGH 09.09.1999, 97/21/0913; 27.09.2000, 98/12/0057; 25.04.2002, 2000/07/0235). Einem zweiten Asylantrag, der sich auf einen vor Beendigung des Verfahrens über den ersten Asylantrag verwirklichten Sachverhalt stützt, steht die Rechtskraft des Vorbescheides entgegen (VwGH 10.06.1998, 96/20/0266). Es kann aber nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung - nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen - berechtigen und verpflichten, der für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen rechtlich Asylrelevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein (vgl. etwa VwGH 04.11.2004, 2002/20/0391, mwN).

Dem geänderten Sachverhalt muss nach der ständigen Judikatur des VwGH Entscheidungsrelevanz zukommen (vgl. VwGH 15.12.1992, 91/08/0166; ebenso VwGH 16.12.1992, 92/12/0127; 23.11.1993, 91/04/0205; 26.04.1994, 93/08/0212; 30.01.1995, 94/10/0162). Die Verpflichtung der Behörde zu einer neuen Sachentscheidung wird nur durch eine solche Änderung des Sachverhalts bewirkt, die für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr bei Bedachtnahme auf die damals als maßgebend erachteten Erwägungen eine andere Beurteilung jener Umstände, die seinerzeit den Grund für die Abweisung des Parteienbegehrens gebildet haben, nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann (VwSlg. 7762 A; VwGH 29.11.1983, 83/07/0274; 21.02.1991, 90/09/0162;

10.06.1991, 89/10/0078; 04.08.1992, 88/12/0169; 18.03.1994, 94/12/0034; siehe auch VwSlg. 12.511 A, VwGH 05.05.1960, 1202/58;

03.12.1990, 90/19/0072). Dabei muss die neue Sachentscheidung - obgleich auch diese Möglichkeit besteht - nicht zu einem anderen von der seinerzeitigen Entscheidung abweichenden Ergebnis führen. Die behauptete Sachverhaltsänderung hat zumindest einen "glaubhaften Kern" aufzuweisen, dem Asylrelevanz zukommt (VwGH 21.3.2006, 2006/01/0028, sowie VwGH 18.6.2014, Ra 2014/01/0029, mwN). Ein neues Sachverhaltsvorbringen in der Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Bescheid nach § 68 AVG ist von der "Sache" des Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht umfasst und daher unbeachtlich (VwGH vom 24.6.2014, Ra 2014/19/0018, mwN).

Gelangt das Verwaltungsgericht zu dem Ergebnis, dass die Behörde nicht von entschiedener Sache hätte ausgehen dürfen, ist dem Bundesverwaltungsgericht ein inhaltlicher Abspruch über den zugrundeliegenden Antrag auf internationalen Schutz in einem Beschwerdeverfahren über einen zurückweisenden Bescheid nach § 68 AVG verwehrt, weil diesfalls die Sache des Beschwerdeverfahrens überschritten würde (vgl. Filzwieser/Frank/Kloibmüller/ Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, § 7 BFA-VG, K11).

2.2. Bereits mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 04.09.2019, Zlen. W234 2125926-3/37E, W234 2125924-4/36E und W234 2125923-4/33E, wurden die Spruchpunkte II. der Bescheide des Bundesamtes vom 24.10.2017, Zlen. 830562700-171207239, 830562602-171207174 und 830562809-171207247, mit denen die Anträge der BF vom 24.10.2017 hinsichtlich der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 AVG zurückgewiesen wurden, behoben.

Begründend wurde dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass die nach dem 02.01.2017 aufgetretene Erkrankung der BF1 an XXXX in Zusammenschau mit ihren übrigen Beschwerden und den Verhältnissen im Herkunftsstaat grundsätzlich ein neues Vorbringen darstellt und im Hinblick auf die Zuerkennung des Status einer subsidiär Schutzberechtigten eine andere Beurteilung als im Erkenntnis von 30.12.2016 zumindest nicht von vornherein ausgeschlossen erscheint. Dementsprechend kam das Bundesverwaltungsgericht zum Ergebnis, dass es ihm aufgrund der Begrenzung der Sache des Beschwerdeverfahrens auf die Überprüfung der Zulässigkeit der Zurückweisung des Folgeantrags in dieser Konstellation verwehrt sei, die Zurückweisung des Bundesamts durch eine Sachentscheidung zu ersetzen. Daraus ergibt sich aber unmissverständlich, dass nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes im Hinblick auf die von der BF1 behaupteten Änderung des Sachverhaltes keine entschiedene Sache iSd § 68 Abs. 1 AVG vorgelegen ist, und die Behörde- nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen - zu einer Sachentscheidung verpflichtet gewesen ist.

Eine Aufhebung der Zurückweisung eines Antrags, weil das Verwaltungsgericht wie hier der Meinung ist, dass die Zurückweisung zu Unrecht erfolgt ist, ist zwar keine Aufhebung gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG, löst aber gemäß § 28 Abs. 5 VwGVG die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, das Verfahren über den Antrag durchzuführen (vgl. dazu etwa VwGH 04.07.2019, Zl. Ra 2017/06/0210, Rz 21). Gemäß § 28 Abs. 5 VwGVG sind die Behörden - wenn das Verwaltungsgericht wie im vorliegenden Fall den angefochtenen Bescheid aufhebt - verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtes entsprechenden Rechtszustand herzustellen. Das bedeutet, dass bei der Erlassung der Ersatzentscheidung die Verwaltungsbehörden und auch das Verwaltungsgericht selbst an die vom Verwaltungsgericht in seinem aufhebenden Erkenntnis geäußerte Rechtsanschauung gebunden sind. Eine Ausnahme bildet der Fall einer wesentlichen Änderung der Sach- und Rechtslage. Die schon vor der Erlassung bestehende Sachlage ist von der Rechtskraft der Entscheidung erfasst und bindet Gerichte und Behörden, solange diese Entscheidung dem Rechtsbestand angehört (vgl. dazu etwa VwGH 19.09.2017, Ra 2017/20/0045).

Indem das Bundesamt in den bekämpften Bescheiden hinsichtlich der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten neuerlich von einer inhaltlichen Erledigung der Anträge abgesehen hat, hat es diese Bindung jedoch völlig ignoriert. Es liegen auch keine Hinweise für eine entscheidungswesentliche Änderung der Sach- und Rechtslage seit den Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichts vom 04.09.2019 vor. So haben sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass sich in knapp vier Monaten zwischenzeitlich die Gesundheitslage der BF1 oder die Situation im Herkunftsland maßgeblich verändert hätte. Derartiges wurde vom Bundesamt aber auch nicht geltend gemacht. Da es dem Bundesverwaltungsgericht in dieser Konstellation verwehrt ist, erstmals - unter Übergehen einer Instanz - den eigentlichen Verfahrensgegenstand einer meritorischen Erledigung zuzuführen (vgl. dazu etwa VwGH 09.11.2010, Zl. 2007/21/0493), wird die belangte Behörde diesen inhaltlich zu entscheiden haben.

In diesem Zusammenhang ist jedoch noch der Vollständigkeit halber darauf hinzuweisen, dass auch nicht erkannt werden konnte, dass sich die in den rechtskräftigen Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 04.09.2019 dargetane Rechtsansicht als nicht vertretbar erweisen würde.

Da die übrigen Spruchpunkte der angefochtenen Bescheide die jeweilige Zurückweisung des jeweiligen Folgeantrags auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten tatbestandlich voraussetzen, war den Beschwerden auch insoweit Folge zu geben und diese Spruchpunkte aufzuheben.

2.3. Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 leg. cit. kann eine Verhandlung entfallen, wenn u.a. bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben (vgl. dazu die unter den Punkten II.2.2.1 f. zitierte Judikatur)

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Voraussetzungen, Wegfall der Gründe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W182.2125926.4.00

Zuletzt aktualisiert am

14.05.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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