Entscheidungsdatum
24.03.2020Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W256 2189707-1/5E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Caroline KIMM als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA. Somalia, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13. Februar 2018, Zl. XXXX , beschlossen:
A)
Der angefochtene Bescheid wird hinsichtlich seines Spruchpunktes I. gemäß §28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang und Sachverhalt:
Die Beschwerdeführerin, eine somalische Staatsangehörige, stellte am 15. August 2017 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).
Am 16. August 2017 erfolgte die Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes. Dabei gab die Beschwerdeführerin zu ihrem Fluchtgrund befragt Folgendes an: "Ich habe mein Land verlassen, weil Leute von der "New Police" dort meinen Vater getötet und mich vier Mal vergewaltigt haben."
Die Beschwerdeführerin wurde am 12. Februar 2018 durch ein Organ der belangten Behörde einvernommen. Darin führte sie u.a. aus, dass sie die somalische Staatsangehörigkeit besitze und aus der somalischen Region in Äthiopien komme. In Somalia verfüge sie über keine Angehörigen und sei auch ihr Clan dort nicht präsent. Die Beschwerdeführerin selbst sei nie in Somalia gewesen. Auch habe sie nie eine Schule besucht und könne sie weder schreiben, noch lesen.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status einer Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.), der Status einer subsidiär Schutzberechtigten wurde ihr dagegen zuerkannt (Spruchpunkt II.) und eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt III).
Darin wurde nach wörtlicher Wiedergabe der Einvernahme-Protokolle und des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation Somalia (LIB) begründend und soweit hier wesentlich ausgeführt, dass das von der Beschwerdeführerin geltend gemachte Fluchtvorbringen nicht glaubhaft sei.
Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheids richtet sich die vorliegende Beschwerde. Die Beschwerdeführerin sei in der äthiopischen Somali-Region geboren und aufgewachsen und habe sie nie in Somalia gelebt oder sich aufgehalten. Für den Fall der Rückkehr nach Somalia wäre die Beschwerdeführerin aufgrund ihrer Clanzugehörigkeit und als alleinstehende Frau ohne familiäre Unterstützung verfolgt. Dabei handle es sich um asylrelevante Verfolgungsgründe, da der somalische Staat nicht in der Lage sei, den nötigen Schutz zu bieten.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Rechtliche Beurteilung:
1. Zu Spruchpunkt A)
Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat. Diese Vorgangsweise setzt nach § 28 Abs. 2 Ziffer 2 voraus, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
In seinem Erkenntnis vom 26. Juni 2014, Zl. Ro 2014/03/0063, hielt der Verwaltungs-gerichtshof (VwGH) fest, dass eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG insbesondere dann in Betracht kommen wird, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. auch den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. Jänner 2017, Zl. Ra 2016/12/0109, Rz 18ff.). Zusammenfassend schreibt der VwGH in der Ra 2016/09/0009 vom 28. März 2017, wenn die Behörde den entscheidungswesentlichen Sachverhalt sehr unzureichend festgestellt hat, indem sie keine für die Entscheidung in der Sache brauchbaren Ermittlungsergebnisse geliefert hat (vgl. auch VwGH 20. Oktober 2017. Ra 2016/09/0103), ist eine Zurückweisung nach §28 Abs. 3 VwGVG zulässig.
Der angefochtene Bescheid ist aus folgenden Gründen mangelhaft:
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
Im vorliegenden Fall hat sich die belangte Behörde mit den Fluchtgründen der Beschwerdeführerin nicht hinreichend auseinandergesetzt.
Die in der äthiopischen Somali-Region geborene und aufgewachsene Beschwerdeführerin hat im Verfahren vorgebracht, sie sei nie in Somalia gewesen und verfüge sie dort auch weder über Familien-, noch über Clanangehörige.
Den von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid selbst herangezogenen Länderberichten ist u.a. zu entnehmen, dass sich die Lage für Frauen in Somalia als besonders prekär darstellt. Insbesondere ist vorrangig in Lagern der Binnenvertriebenen, mangels staatlicher Autorität kein wirksamer Schutz gegen Übergriffe wie Vergewaltigung, Verschleppung oder systematische sexuelle Versklavung von Frauen gegeben. Besonders IDPs in Flüchtlingslagern und Minderheitenangehörige sind häufig unter den Opfern von Vergewaltigungen (angefochtener Bescheid, Seite 33).
Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung der behaupteten individuellen Situation der Beschwerdeführerin war die belangte Behörde daher von sich aus verpflichtet, Ermittlungen zu einer sich daraus ergebenden allfälligen Bedrohung in Somalia anzustellen und die diesbezüglichen Ermittlungsergebnisse einer nachvollziehbaren Prüfung zu unterziehen. Die belangte Behörde hätte von sich aus die Situation rückkehrender junger und alleinstehender Frauen nach Somalia, jedenfalls näher beleuchten und dahingehende nähere Ermittlungen tätigen müssen.
Zwar finden sich im angefochtenen Bescheid - die im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation enthaltenen allgemeinen - Ausführungen zur Situation von Frauen in Somalia. Anhaltspunkte dazu, dass die belangte Behörde auch konkret die Lebens- und Rückkehrsituation der Beschwerdeführerin als (eventuell) alleinstehende Frau in Somalia näher beleuchtet hätte, fehlen im angefochtenen Bescheid jedoch gänzlich.
Da somit aber keine (ausreichenden) Ermittlungen und darauf basierende substantiierte Feststellungen zur Situation von alleinstehenden Frauen in Somalia und einer damit einhergehenden Gefahr getroffen wurden, hat die belangte Behörde die notwendigen Ermittlungen zur Feststellung des in diesem Punkt entscheidungsrelevanten Sachverhalts unterlassen und die Gefahr einer möglichen Verfolgung damit nicht ausreichend berücksichtigt.
Die belangte Behörde hat es daher - entgegen ihrer in § 18 AsylG 2005 normierten Ermittlungspflicht - gänzlich unterlassen, sich mit dem von der Beschwerdeführerin (immer) geltend gemachten Fluchtvorbringen eingehend zu befassen. Der Sachverhalt ist somit in einem wesentlichen Punkt umfassend ergänzungsbedürftig geblieben, weshalb im Hinblick auf diese besonders gravierende Ermittlungslücke eine Zurückverweisung erforderlich und auch gerechtfertigt ist (vgl. dazu den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. Oktober 2015, Zl. Ra 2015/09/0088).
Die belangte Behörde wird daher im fortgesetzten Verfahren angehalten, sich mit dem Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerin auseinanderzusetzen, dazu konkrete Ermittlungsschritte, sei es durch gezielte Befragung der Beschwerdeführerin, durch Einholung von entsprechenden Länderberichten oder sonstiger sich daraus ergebender weiterer Ermittlungsschritte zu setzen und die diesbezüglichen Ermittlungsergebnisse einer ernsthaften und nachvollziehbaren Prüfung zu unterziehen.
Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Ermittlung und Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann nicht im Sinne des Gesetzes liegen. Denn die belangte Behörde ist als Spezialbehörde im Rahmen der Staatendokumentation gemäß § 5 BFA-Einrichtungsgesetz für die Sammlung relevanter Tatsachen zur Situation in den betreffenden Staaten samt den Quellen zuständig. Überdies soll eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst beim Bundesverwaltungsgericht beginnen und zugleich enden.
Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - auch angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - nicht ersichtlich.
Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind daher im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben. Folglich war das Verfahren zur neuerlichen Entscheidung an die belangte Behörde zurückzuverweisen.
Eine mündliche Verhandlung konnte im vorliegenden Fall gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG unterbleiben, weil bereits aufgrund der Aktenlage feststand, dass der angefochtene Bescheid "aufzuheben" war. Dieser Tatbestand ist auch auf Beschlüsse zur Aufhebung und Zurückverweisung anwendbar (vgl. zur gleichartigen früheren Rechtslage Hengstschläger/Leeb, AVG [2007] § 67d Rz 22).
2. Zu Spruchpunkt B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist unzulässig, weil keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzlicher Bedeutung zukommt: Dass eine Zurückweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG insbesondere dann in Betracht kommt, wenn die Verwaltungsbehörde bloß ansatzweise bzw. unzureichend ermittelt, entspricht der oben zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.
3. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
alleinstehende Frau, Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W256.2189707.1.00Zuletzt aktualisiert am
14.05.2020