TE Bvwg Erkenntnis 2019/11/4 I403 2171054-1

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Veröffentlicht am 04.11.2019
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Entscheidungsdatum

04.11.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §34
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs4
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
EMRK Art. 2
EMRK Art. 3
EMRK Art. 8
FPG §46
FPG §50
FPG §52
FPG §55
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs5

Spruch

I403 2171058-1/17E

I403 2171054-1/15E

I403 2171061-1/13E

I403 2171063-1/14E

I403 2171065-1/14E

I403 2171068-1/14E

Schriftliche Ausfertigung des am 14.10.2019 mündlich verkündeten Erkenntnisses

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin MMag. Birgit ERTL als Einzelrichterin über die Beschwerden

1) von XXXX, geb. XXXX, StA. Irak, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.08.2017, Zl. 1125120600-161074916,

2) von XXXX, geb. XXXX, StA. Irak, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.08.2017, Zl. 1125115110-161074886,

3) von XXXX, geb. XXXX, StA. Irak, gesetzlich vertreten durch XXXX, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.08.2017, Zl. 1125114810-161074924,

4) von XXXX, geb. XXXX, StA. Irak gesetzlich vertreten durch XXXX, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.08.2017, Zl. 1125115404-161074932,

5) von XXXX, geb. XXXX, StA. Irak, gesetzlich vertreten durch XXXX und XXXX, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.08.2017, Zl. 1125114004-161074908,

6) von XXXX, geb. XXXX, StA. Irak, gesetzlich vertreten durch XXXX und XXXX, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.08.2017, Zl. 1125113802/161074894,

nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 14.10.2019 zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerden gegen Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide werden als unbegründet abgewiesen.

II. Den Beschwerden gegen Spruchpunkt II. der angefochtenen Bescheide wird stattgegeben und gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 wird XXXX, XXXX, XXXX, XXXX, XXXX und XXXX der Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak zuerkannt.

III. Ihnen wird gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine für ein Jahr gültige befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte erteilt.

IV. Die Spruchpunkte III. und IV. der angefochtenen Bescheide werden aufgehoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Erstbeschwerdeführer XXXX ist Ehemann der Zweitbeschwerdeführerin XXXX. Die minderjährigen Drittbeschwerdeführer XXXX und Viertbeschwerdeführer XXXX entstammen der ersten Ehe des Erstbeschwerdeführers, die minderjährigen Fünftbeschwerdeführer XXXX und Sechstbeschwerdeführer XXXX sind die gemeinsamen Kinder des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin. Es handelt sich um ein Familienverfahren.

Die Beschwerdeführer verließen gemeinsam im Februar 2016 den Irak und kamen im August 2016 nach Österreich, wo sie am 03.08.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz stellten.

Mit den oben im Spruch angeführten Bescheiden des Bundesamtes wurden die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (jeweils Spruchpunkt I.), als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (jeweils Spruchpunkt II.) abgewiesen, den Beschwerdeführern ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt und gegen sie gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt III.). Darüber hinaus wurde eine Frist zur freiwilligen Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gemäß § 55 Abs. 1a FPG eingeräumt (Spruchpunkt IV.).

Mit Schriftsatz vom 13.09.2016 erhoben die Beschwerdeführer Beschwerde gegen die sie betreffenden Bescheide. Begründet wurde diese mit Mangelhaftigkeit des Verfahrens und Rechtswidrigkeit des Inhaltes.

Die Beschwerdeverfahren wurden am 01.07.2019 der Gerichtsabteilung der erkennenden Richterin zugewiesen. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 14.10.2019 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an welcher die Beschwerdeführer, ihre bevollmächtigte Rechtsvertretung sowie ein Dolmetscher für die arabische Sprache teilnahmen. Die belangte Behörde verzichtete auf eine Teilnahme an der mündlichen Verhandlung.

Im Anschluss wurde das gegenständliche Erkenntnis gemäß § 29 Abs. 2 VwGVG mündlich verkündet und die Rechtsmittelbelehrung erteilt. Der Dolmetscher übersetzte den Spruch und die Entscheidungsgründe auf Kurdisch.

Am 28.10.2019 langte der Antrag der belangten Behörde auf schriftliche Ausfertigung des gegenständlichen Erkenntnisses gemäß § 29 Abs. 2a bis 4 VwGVG beim Bundesverwaltungsgericht ein. Von den Beschwerdeführern wurde kein Antrag auf schriftliche Ausfertigung gestellt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person der Beschwerdeführer:

Die Beschwerdeführer führen die im Spruch jeweils angeführte Identität (Namen und Geburtsdatum) und sind Staatsangehörige des Irak und Angehörige der Volksgruppe der Kurden. Sie bekennen sich zum moslemischen Glauben sunnitischer Ausrichtung. Ihre Identität steht fest. Sie stammen aus XXXX in der Provinz Sulaimaniyya (Autonome Region Kurdistan).

Der Erstbeschwerdeführer ließ sich am XXXX2012 von seiner ersten Ehefrau, die er im Jahr 2008 geheiratet hatte, scheiden; am XXXX2013 schloss er die Ehe mit der Zweitbeschwerdeführerin. Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin sind traditionell und standesamtlich verheiratet. Aus dieser Ehe stammen die minderjährigen Fünft- und Sechstbeschwerdeführer. Die minderjährigen Viert- und Fünftbeschwerdeführer stammen aus der ersten Ehe des Erstbeschwerdeführers, dem die alleinige Obsorge für sie zukommt. Sie haben keinen Kontakt mehr zu ihrer im Irak lebenden Mutter.

Auch die Zweitbeschwerdeführerin war vorher bereits einmal verheiratet. Sie war als Minderjährige gegen ihren Willen verheiratet worden und konnte sich dieser Ehe nur durch eine Selbstverbrennung entziehen. Ihr inzwischen verstorbener Onkel unterstützte sie bei der Scheidung.

Die Beschwerdeführer verließen den Irak am 02.02.2016 legal mittels Flugzeug in die Türkei. In weiterer Folge gelangten sie schlepperunterstützt über Griechenland, Serbien und Ungarn nach Österreich, wo sie am 03.08.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz stellten.

Der Erstbeschwerdeführer hat im Irak sechs Jahre lang die Grundschule besucht und als Tischler gearbeitet. Die Zweitbeschwerdeführerin besuchte keine Schule.

Die Mutter des Erstbeschwerdeführers und zwei Brüder leben in XXXX, ein anderer Bruder in XXXX; auch seine fünf Schwestern leben nach wie vor in der Autonomen Provinz Kurdistan im Irak. Zu diesen hat der Erstbeschwerdeführer nach wie vor Kontakt. Die Zweitbeschwerdeführerin hat den Kontakt zu ihrer Familie abgebrochen.

Die Beschwerdeführer halten sich seit ihrer Einreise ununterbrochen im Bundesgebiet auf und sind strafgerichtlich unbescholten.

Der Erstbeschwerdeführer ist gesund. Die Zweitbeschwerdeführerin leidet an einer Schilddrüsenerkrankung, die erst in Österreich diagnostiziert wurde und die medikamentös behandelt wird. Zudem leidet sie an psychischen Problemen und befindet sich in psychotherapeutischer Behandlung. Das ihr verschriebene Antidepressivum Zypralex musste die Zweitbeschwerdeführerin wegen einer Wechselwirkung mit der Schilddrüsenmedikation absetzen.

Der Drittbeschwerdeführer leidet an Strabismus (Schielen) und muss eine Brille tragen. Der Sechstbeschwerdeführer verlor im Sommer bei einem Unfall zwei Zehen, ist ansonsten aber gesund. Der Fünftbeschwerdeführer wies Zeichen einer starken Traumatisierung auf, als er in Österreich ankam. Er ist noch immer stark untergewichtig und leidet an einer Fruktoseintoleranz, doch hat sich sein Zustand in den letzten zwei Jahren verbessert. Er befindet sich aufgrund des Untergewichts in laufender ärztlicher Kontrolle.

Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin haben in Österreich Deutschkurse und den Werte- und Orientierungskurs besucht, jedoch bisher keine Prüfungen abgelegt. Der Erstbeschwerdeführer arbeitet ehrenamtlich bei seiner Wohnsitzgemeinde mit. Sie haben in ihrer Wohnsitzgemeinde Freunde und Bekannte gefunden. Der Erstbeschwerdeführer verfügt über eine Einstellungszusage eines Personalleasingunternehmens. Der Drittbeschwerdeführer besucht die vierte und der Viertbeschwerdeführer die dritte Klasse einer Volksschule, beide sind im Klassenverband gut integriert. Die zwei jüngsten Kinder besuchen den Kindergarten.

1.2. Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer:

Ein konkreter Anlass oder Vorfall für das (fluchtartige) Verlassen des Herkunftsstaates konnte nicht festgestellt werden. Es ist nicht glaubhaft, dass der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin aufgrund familiärer Probleme bedroht wurden und ihr Leben aus diesem Grund in Gefahr wäre. Für die minderjährigen Beschwerdeführer wurden keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht.

1.3. Zu einer möglichen Rückkehr der Beschwerdeführer in den Herkunftsstaat:

Den Beschwerdeführern würde bei einer Rückkehr nach XXXX (Provinz Sulaymaniya in der Autonomen Region Kurdistan) mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ein Eingriff in ihre körperliche Unversehrtheit drohen; sie würden in eine Notlage geraten. Es wäre ihnen auch nicht möglich und zumutbar, sich an einem anderen Ort im Irak niederzulassen.

1.4. Zur maßgeblichen Situation im Irak:

1.4.1. Sicherheitssituation in der Autonomen Region Kurdistan:

Auf Basis des Länderinformationsblattes vom 20.11.2018, zuletzt ergänzt am 30.10.2019, wird festgestellt:

Die Autonome Region Kurdistan ist Teil der Bundesrepublik Irak und besteht aus den drei nördlichen Provinzen Dohuk, Erbil und Sulaymaniya. Sie wird von einer Regionalverwaltung, der kurdischen Regionalregierung, verwaltet und verfügt über eigene Streitkräfte (Fanack 27.9.2018).

Das Verhältnis der Zentralregierung zur kurdischen Autonomieregion, die einen semi-autonomen Status innehat, hat sich seit der Durchführung eines Unabhängigkeitsreferendums in der Autonomieregion und einer Reihe zwischen Bagdad und Erbil umstrittener Gebiete am 25. September 2017 deutlich verschlechtert (AA 12.2.2018). Die Kurden konnten das von ihnen kontrollierte Territorium im Irak in Folge der Siege gegen den IS zunächst ausdehnen. Mit dem Referendum am 25.9.2017 versuchte die kurdische Regional-Regierung unter Präsident Masud Barzani, ihren Anspruch auch auf die von ihr kontrollierten Gebiete außerhalb der drei kurdischen Provinzen zu bekräftigen und ihre Verhandlungsposition gegenüber der Zentralregierung in Bagdad zu stärken (BPB 24.1.2018). Bagdad reagierte mit der militärischen Einnahme eines Großteils der umstrittenen Gebiete, die während des Kampfes gegen den IS von kurdischen Peshmerga übernommen worden waren, angefangen mit der ölreichen Region um Kirkuk (AA 12.2.2018). Die schnelle militärische Rückeroberung der umstrittenen Gebiete durch die irakische Armee, einschließlich der Erdöl- und Erdgasfördergebiete um Kirkuk, mit massiver iranischer Unterstützung, bedeutete für die kurdischen Ambitionen einen Dämpfer. Präsident Barzani erklärte als Reaktion darauf am 29.10.2017 seinen Rücktritt. Der kampflose Rückzug der kurdischen Peshmerga scheint auch auf zunehmende Differenzen zwischen den kurdischen Parteien hinzudeuten (BPB 24.1.2018). Grundlegende Fragen wie Öleinnahmen, Haushaltsfragen und die Zukunft der umstrittenen Gebiete sind weiterhin ungelöst zwischen Bagdad und der kurdischen Autonomieregion (AA 12.2.2018). Im Dezember 2017 forderte die gewaltsame Auflösung von Demonstrationen gegen die Regionalregierung in Sulaymaniya mehrere Todesopfer. Daraufhin hat sich die Oppositionspartei Gorran aus dem kurdischen Parlament zurückgezogen (BPB 24.1.2018). In der Autonomieregion gehen die Proteste schon auf die Zeit gleich nach 2003 zurück und haben seitdem mehrere Phasen durchlaufen. Die Hauptforderungen der Demonstranten sind jedoch gleich geblieben und drehen sich einerseits um das Thema Infrastrukturversorgung und staatliche Leistungen (Strom, Wasser, Bildung, Gesundheitswesen, Straßenbau, sowie die enormen Einkommensunterschiede) und andererseits um das Thema Regierungsführung (Rechenschaftspflicht, Transparenz und Korruption) (LSE 4.6.2018). Am 30.9.2018 fanden in der kurdischen Autonomieregion Wahlen zum Regionalparlament statt (Tagesschau 30.9.2018). Mit einer Verzögerung von drei Wochen konnte die regionale Wahlkommission am 20.10.2018 die Endergebnisse veröffentlichen. Zahlreiche Parteien hatten gegen die vorläufigen Ergebnisse Widerspruch eingelegt. Gemäß der offiziellen Endergebnisse gewann die KDP mit 686.070 Stimmen (45 Sitze), vor der PUK mit 319.912 Stimmen (21 Sitze) und Gorran mit 186.903 Stimmen (12 Sitze) (ANF 21.10.2018; vgl. Al Jazeera 21.10.2018, RFE/RL 21.10.2018). Die Oppositionsparteien lehnen die Abstimmungsergebnisse ab und sagen, dass Beschwerden über den Wahlbetrug nicht gelöst wurden (Al Jazeera 21.10.2018).

In Erbil bzw. Sulaymaniya und unmittelbarer Umgebung erscheint die Sicherheitssituation vergleichsweise besser als in anderen Teilen des Irak. Allerdings ist die derzeitige Sicherheitssituation aufgrund der andauernden Kämpfe, in die teilweise auch die kurdischen Streitkräfte (Peshmerga) und diverse Milizen eingebunden sind, besorgniserregend. Insbesondere Einrichtungen der kurdischen Regionalregierung und politischer Parteien sowie militärische und polizeiliche Einrichtungen können immer wieder Ziele terroristischer Attacken sein (BMEIA 1.11.2018). Die türkische Armee führt regelmäßig (teilweise im Abstand von wenigen Tagen) Luftangriffe auf PKK-Ziele in der kurdischen Autonomieregion im Irak durch. Beide Seiten (sowohl die Türkei als auch die PKK) geben wenig Informationen über die Opfer. In Einzelfällen handelt es sich um Zivilisten (CEDOCA 14.3.2018). Nachdem die Kurdische Demokratische Partei des Iran (KDPI) ihre bewaffneten Aktivitäten im Jahr 2015 wieder aufnahm, fanden 2016 zum ersten Mal seit zehn Jahren auch wieder iranische Angriffe auf KDPI-Ziele in der Autonomen Region Kurdistan-Irak statt (CEDOCA 14.3.2018). Iranische Revolutionsgarden führten gezielte Tötungen von KDPI-Mitgliedern in der Autonomen Region Kurdistan durch (Al Monitor 7.3.2018). Der Iran hat in der Vergangenheit auch bewaffnete kurdische Oppositionsgruppen im Irak beschossen. Auch im September 2018 kam es zu einem tödlichen Raketenangriff der iranischen Revolutionsgarden auf die KDPI im Irak (Reuters 8.9.2018; vgl. RFE/RL 9.9.2018).

In einer ergänzenden Kurzinformation vom 30.10.2019 wurde dazu festgestellt:

Im Juli 2019 führte der IS seine seit langem erste Attacke auf kurdischem Boden durch. Im Gouvernement Sulaimaniya attackierte er einen Checkpoint an der Grenze zu Diyala, der von Asayish [Anm.:

Inlandsgeheimdienst der Autonomen Region Kurdistan] bemannt war. Der Angriff erfolgte in drei Phasen: Auf einen Schussangriff folgte ein IED-Angriff gegen eintreffende Verstärkung, gefolgt von Mörserbeschuss. Bei diesem Angriff wurden fünf Tote und elf Verletzte registriert (Joel Wing 5.8.2019). Im August wurde in Sulaimaniya ein Vorfall mit einer IED verzeichnet, wobei es keine Opfer gab (Joel Wing 9.9.2019). Die am 27. Mai initiierte türkische "Operation Claw" gegen Stellungen der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) im Nordirak hält an. Die erste Phase richtete sich gegen Stellungen in der Hakurk/Khakurk-Region im Gouvernement Erbil (Anadolu Agency 13.7.2019; vgl. Rudaw 13.7.2019). Die zweite Phase begann am 12. Juli und zielt auf die Zerstörung von Höhlen und Zufluchtsorten der PKK (Anadolu Agency 13.7.2019). Die türkischen Luftangriffe konzentrierten sich auf die Region Amadiya im Gouvernement Dohuk, von wo aus die PKK häufig operiert (ACLED 17.7.2019). Aktuell befindet sich die Operation in der dritten Phase (ACLED 4.9.2019) Im Kreuzfeuer wurden in den vergangenen Wochen mehrere kurdische Dörfer evakuiert, da manchmal auch Zivilisten und deren Eigentum bei türkischen Luftangriffen getroffen wurden (ACLED 4.9.2019). Am 10. und 11. Juli bombardierte iranische Artillerie mutmaßliche PKK-Ziele im Subdistrikt Sidakan/Bradost im Gouvernement Sulaimaniya, wobei ein Kind getötet wurde (Al Monitor 12.7.2019). In dem Gebiet gibt es häufige Zusammenstöße zwischen iranischen Sicherheitskräften und iranisch-kurdischen Aufständischen, die ihren Sitz im Irak haben, wie die "Partei für ein Freies Leben in Kurdistan'' (PJAK), die von Teheran beschuldigt wird, mit der PKK in Verbindungen zu stehen (Reuters 12.7.2019).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschlandauswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irakstand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 12.10.2018

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ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (4.9.2019): Regional Overview - Middle East 4 September 2019, https://www.acleddata.com/2019/09/04/regional-overviewmiddle-east-4-september-2019/, Zugriff 2.10.2019

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ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (17.7.2019): Regional Overview - Middle East 17 July 2019, https://www.acleddata.com/2019/07/17/regional-overview-middleeast-17-july-2019/, Zugriff 2.10.2019

-

Al Jazeera (21.10.2018): Opposition parties reject vote results in Iraq's Kurdish region, https:// www.aljazeera.com/news/2018/10/opposition-parties-reject-vote-results-iraq-kurdish-region181021194012607.html, Zugriff 23.10.2018

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Al Monitor (7.3.2018): Assassinations mount as IXXXXn Kurdish militants clash with Tehran,

https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2018/03/iran-kdpi-kurdish-opposition-iraqassassinations-rahmani.html, Zugriff 1.11.2018

-

Al Monitor (12.7.2019): Iran shells Iraqi Kurdistan Region, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2019/07/iraq-iran-kurdistan-turkey.html, Zugriff 2.10.2019

-

Anadolu Agency (13.7.2019): Turkey launches counter-terror Operation Claw-2 in N.Iraq,

https://www.aa.com.tr/en/turkey/turkey-launches-counter-terror-operation-claw-2-in-niraq/ 1530592, Zugriff 2.10.2019

-

ANF - ANF News (21.10.2018): Wahlergebnisse in Südkurdistan veröffentlicht,

https://anfdeutsch.com/kurdistan/wahlergebnisse-in-suedkurdistan-veroeffentlicht-7293, Zugriff 23.10.2018

-

BMEIA - Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (1.11.2018): Reiseinformation: Irak, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/irak/, Zugriff 1.11.2018

-

BPB - Bundeszentrale für politische Bildung (24.1.2018):

Kurdenkonflikt,

https://www.bpb.de/internationales/weltweit/innerstaatliche-konflikte/54641/kurdenkonflikt, Zugriff 22.10.2018

-

CEDOCA - Centre de documentation et de recherches du Commissariat général aux réfugiés et aux apatrides (14.3.2018): IRAK: Situation sécuritaire dans la Région autonome du Kurdistan, https://www.cgra.be/sites/default/files/rapporten/coi_focus_irak._situation_securitaire_dans_la _region_autonome_du_kurdistan_0.pdf, Zugriff 1.11.2018

-

Fanack (27.9.2018): Governance & Politics of Iraq, https://fanack.com/iraq/governance-andpolitics-of-iraq/, Zugriff 17.10.2018

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Joel Wing, Musings on Iraq (9.9.2019): Islamic State's New Game Plan In Iraq,

https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/09/islamic-states-new-game-plan-in-iraq.html, Zugriff 1.10.2019

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Joel Wing, Musings on Iraq (5.8.2019): Islamic State's Offensive Could Be Winding Down,

https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/08/islamic-states-offensive-could-be.html, Zugriff 1.10.2019

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LSE - London School of Economics and Political Science (4.6.2018):

Iraq and its regions: The Future of the Kurdistan Region of Iraq after the Referendum,

http://eprints.lse.ac.uk/88153/1/Sleiman%20Haidar_Kurdistan_Published_English.pdf, Zugriff 23.10.2018

-

Reuters (8.9.2018): Iran attacks IXXXXn Kurdish opposition group base in Iraq,

https://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-iraq-iran/iran-attacks-iXXXXn-kurdishopposition-group-base-in-iraq-idUSKCN1LO0KZ, Zugriff 1.11.2018

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Reuters (12.7.2019): Iran strikes opposition positions on border with Iraqi Kurdistan - Tasnim,

https://www.reuters.com/article/us-iran-iraq-security/iran-strikes-opposition-positions-onborder-with-iraqi-kurdistan-tasnim-idUSKCN1U71E7, Zugriff 2.10.2019

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RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (21.10.2018): Ruling KDP Wins Most Seats In Kurdish Regional Parliament Vote, https://www.rferl.org/a/ruling-kdp-wins-most-seats-inkurdish-regional-parliament-vote/29555348.html, Zugriff 23.10.2018

-

Rudaw (13.7.2019): Turkey reinvigorates Operation Claw in Kurdistan Region against PKK,

https://www.rudaw.net/english/kurdistan/130720191, Zugriff 2.10.2019

-

Tagesschau (30.9.2018): Wahl in Irakisch-Kurdistan Ein Parlament, das besser arbeitet?,

https://www.tagesschau.de/ausland/irak-kurden-wahlen-101.html, Zugriff 23.10.2018

1.4.2. Wirtschaftliche Situation in der Autonomen Region Kurdistan:

Die wirtschaftliche Situation hat sich in den letzten Jahren aufgrund der großen Zahl an aufgenommenen Flüchtlingen in Kurdistan verschlechtert und humanitäre Unterstützung ist notwendig. Dazu hält die Vertretung der Kurdischen Regionalregierung in Österreich fest (abrufbar unter

http://www.krg.at/en/undefinedkurdistans-wirtschaftliche-rezession-zur-aktuellen-lage/;

Zugriff am 02.11.2019):

"Kurdistans wirtschaftliche Rezession: Zur aktuellen Lage

Seit über zwei Jahren befindet sich die Region Kurdistan in einer schwerwiegenden finanziellen und wirtschaftlichen Krise. Seitdem die Zentralregierung des Irak die Budgetzahlungen an die KRG, welche ihr gemäß der irakischen Verfassung zustehen, rechtswidrig Anfang 2014 aussetzte, fiel es der KRG zunehmend schwer, grundlegende öffentliche Leistungen bereitzustellen. Die Aussetzung der Budgetzahlungen konnte die KRG zu Beginn teilweise durch eigenständige Ölverkäufe kompensieren, bis nahezu gleichzeitig der Ölpreis kollabierte, der Konflikt mit der Terrororganisation IS ausbrach und dadurch eine immense Zahl an Vertriebenen in die Region strömte.

Der KRG fehlt aufgrund ökonomischer und rechtlicher Gegebenheiten die Möglichkeit, der Krise effektiv entgegenzuwirken. Obwohl sie seit 2003 bemüht ist, die Wirtschaft der Region zu diversifizieren und den Privatsektor zu stärken, sind nach wie vor 70 % der arbeitenden Bevölkerung beim Staat angestellt. Die Illiquidität der KRG führte dazu, dass den Beamten und den Peschmerga Kräften die Löhne zwischenzeitlich nicht mehr ausbezahlt werden konnten und viele Gehälter gekürzt werden mussten. Dadurch brachen der Konsum und letztendlich auch sämtliche Investitionen in der Region ein, viele aktuelle staatliche Infrastrukturprojekte mussten ausgesetzt werden und bereits abgeschlossene Projekte konnten nicht beglichen werden. All dies führte zu Unternehmenspleiten, der Verarmung von Teilen der Gesellschaft sowie zur Unterversorgung in Bereichen wie Elektrizität und medizinischer Versorgung.

Als Konsequenz verließen zudem zahlreiche ausländische Unternehmen und Investoren die Region, neue Investitionen blieben nahezu vollständig aus. Auch Investitionen internationaler Ölfirmen in die Erschließung neuer Öl- und Gasfelder wurden nicht weiter getätigt, welche jedoch für steigende Einnahmen sorgen könnten und somit für die Region von immenser Bedeutung wären.

Die wirtschaftliche Krise hat weitreichende Folgen. Erstens hat sie die bereits existente humanitäre Krise weiter verschärft, da die KRG nicht in der Lage ist, die Grundversorgung der zahlreichen Geflüchteten zu gewährleisten. Zweitens führte sie zu sozialen Spannungen in der Region, da viele Menschen keine Gehälter mehr bekommen haben und somit mit der Ungewissheit leben mussten, wie sie ihre Familien versorgen sollen. Dies hat drittens den Strom der Menschen verstärkt, welche sich aus der Region in Richtung Europa aufmachten, in der Hoffnung auf eine sicherere und bessere Zukunft.

Durch internationale Unterstützung und den allmählich steigenden Ölpreis hat sich die Situation kürzlich etwas entschärft. Darüber hinaus hat die KRG weitreichenden Reformen im öffentlichen Sektor eingeleitet. Nichtsdestotrotz bleibt die wirtschaftliche Lage in der Region sehr schwierig und wirkt sich nach wie vor auf die humanitäre Situation und auch auf den andauernden Kampf gegen die Terrororganisation IS aus. Die Region Kurdistan benötigt weitreichende internationale Unterstützung, sei dies durch Ausbildungsprogramme für junge Menschen, Investitionen welche die Privatwirtschaft ankurbeln, oder direkte finanzielle Unterstützung, damit die Regionalregierung ausstehende Zahlungen begleichen kann."

1.4.3. Zur Situation von Frauen im Irak:

Auf Basis des Länderinformationsblattes vom 20.11.2018, zuletzt ergänzt durch eine Kurzinformation am 30.10.2019, ist zur Situation von Frauen im Irak festzustellen:

In der Verfassung ist die Gleichstellung der Geschlechter festgeschrieben und eine Frauenquote von 25 Prozent im Parlament (Region Kurdistan: 30 Prozent) verankert (AA 12.2.2018). Frauen sind jedoch auf Gemeinde- und Bundesebene, in Verwaltung und Regierung, weiterhin unterrepräsentiert. Dabei stellt die Quote zwar sicher, dass Frauen zahlenmäßig vertreten sind, führt aber nicht dazu, dass Frauen einen wirklichen Einfluss auf Entscheidungsfindungsprozesse haben bzw. dass das Interesse von Frauen auf der Tagesordnung der Politik steht (K4D 24.11.2017). Laut Art. 14 und 20 der Verfassung ist jede Art von Diskriminierung aufgrund des Geschlechtes verboten. Art. 41 bestimmt jedoch, dass Iraker Personenstandsangelegenheiten ihrer Religion entsprechend regeln dürfen. Viele Frauen kritisieren diesen Paragrafen als Grundlage für eine ReIslamisierung des Personenstandsrechts und damit eine Verschlechterung der Stellung der Frau. Zudem findet auf einfachgesetzlicher Ebene die verfassungsrechtlich garantierte Gleichstellung häufig keine Entsprechung. Defizite bestehen insbesondere im Familien-, Erb- und Strafrecht sowie im Staatsangehörigkeitsrecht (AA 12.2.2018). Frauen sind weit verbreiteter gesellschaftlicher Diskriminierung ausgesetzt und werden unter mehreren Aspekten der Gesetzgebung ungleich behandelt (FH 16.1.2018). Die Stellung der Frau hat sich im Vergleich zur Zeit des Saddam-Regimes teilweise deutlich verschlechtert (AA 12.2.2018; vgl. UNIraq 13.3.2013, MIGRI 22.5.2018). Die prekäre Sicherheitslage in Teilen der irakischen Gesellschaft hat negative Auswirkungen auf das Alltagsleben und die politischen Freiheiten der Frauen (AA 12.2.2018). In der Praxis ist die Bewegungsfreiheit für Frauen auch stärker eingeschränkt als für Männer (FH 16.1.2018). Die geschätzte Erwerbsquote von Frauen lag 2014 bei nur 14 Prozent, der Anteil an der arbeitenden Bevölkerung bei 17 Prozent (AA 12.2.2018; vgl. ILO 1.2016). Die genauen Zahlen unterscheiden sich je nach Statistik und Erhebungsmethode (MIGRI 22.5.2018). Schätzungen zufolge liegt die Analphabetenrate bei Frauen im Irak bei 26,4 Prozent (UNESCO 18.3.2014). Mehr als ein Viertel von Frauen im Alter von über 15 Jahren können nicht lesen und schreiben (CIA 20.8.2018). In ländlichen Gebieten ist die Rate noch höher (UNESCO 18.3.2014).

Häusliche Gewalt ist weiterhin ein allgegenwärtiges Problem (USDOS 20.4.2018), vor dem Frauen nur wenig rechtlichen Schutz haben (HRW 18.1.2018). Das irakische Strafgesetz enthält zwar Bestimmungen zur Kriminalisierung von Körperverletzung, es fehlt jedoch eine ausdrückliche Erwähnung von häuslicher Gewalt (HRW 18.1.2018; vgl. MIGRI 22.5.2018). Nach Artikel 41, Absatz 1 des Strafgesetzbuches hat der Ehemann das Recht, seine Frau "innerhalb gewisser Grenzen" zu bestrafen. Diese Grenzen sind recht vage definiert, sodass verschiedene Arten von Gewalt als "rechtmäßig" interpretiert werden können (MIGRI 22.5.2018; vgl. MRG 11.2015). Nach Artikel 128 Absatz 1 des Strafgesetzbuches können Straftaten, die aufgrund der "Ehre" oder "vom Opfer provoziert" begangen wurden, ungestraft bleiben bzw. kann in solchen Fällen die Strafe gemildert werden (MIGRI 22.5.2018). Während sexuelle Übergriffe, wie z.B. Vergewaltigung, sowohl gegen Frauen als auch gegen Männer strafbar sind, sieht

Artikel 398 des irakischen Strafgesetzbuches vor, dass Anklagen aufgrund von Vergewaltigung fallen gelassen werden können, wenn der Angreifer das Opfer heiratet (HRW 18.1.2018; vgl. USDOS 20.4.2018). Dies trifft auch zu wenn das Opfer minderjährig ist (MIGRI 22.5.2018). Vergewaltigung innerhalb der Ehe stellt keine Straftat dar (MIGRI 22.5.2018; vgl. USDOS 20.4.2018). Laut Studien handelt es sich bei denjenigen, die häusliche Gewalt gegen Frauen ausüben, am häufigsten um den Ehemann bzw. den Vater der Frau, gefolgt von Schwiegereltern, Brüdern und anderen Familienmitgliedern (UNFPA 2016; vgl. CSO 6.2012, MIGRI 22.5.2018). Täter, die Gemeinschaft, aber auch Opfer selbst sehen häusliche Gewalt oft als "normal" und rechtfertigen sie aus kulturellen und religiösen Gründen (UNFPA 2016; vgl. MRG 11.2015, MIGRI 22.5.2018). Frauen tendieren dazu häusliche Gewalt aus Scham oder Angst vor Konsequenzen nicht zu melden, manchmal auch um den Täter zu schützen (UNFPA 2016; vgl. MIGRI 22.5.2018). Der Großteil befragter Frauen hatte kein Vertrauen in die Polizei und hielt den von ihr gebotenen Schutz für nicht angemessen (MIGRI 22.5.2018). Im Zuge des IS-Vormarschs auf Sinjar sollen über 5.000 jesidische Frauen und Mädchen verschleppt worden sein, von denen Hunderte später als "Trophäen" an IS-Kämpfer gegeben oder nach Syrien "verkauft" sowie später von ihren Familien "zurückgekauft" wurden (AA 12.2.2018).

Der Irak verfügt zurzeit über keinen adäquaten rechtlichen Rahmen, um Frauen und Kinder vor häuslicher, sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt zu schützen bzw. Opfern solcher Gewalt sichere Zufluchtsorte zur Verfügung zu stellen (UNAMI 14.12.2017; vgl. MIGRI 22.5.2018). Die derzeitige Version eines Gesetzesentwurfs zum Familienschutz, der vom Parlament verzögert wird, räumt der Familienaussöhnung eine höhere Priorität als dem Opferschutz ein (UNAMI 14.12.2017). Das Innenministerium unterhält 16 Familienschutzeinheiten im ganzen Land, die dafür bestimmt sind, häusliche Streitigkeiten zu lösen und sichere Zufluchtsorte für Opfer sexueller oder geschlechtsspezifischer Gewalt zu schaffen. Diese Einheiten tendieren jedoch dazu, der Familienversöhnung Vorrang vor dem Opferschutz einzuräumen und verfügen nicht über die Fähigkeit, Opfer zu unterstützen. Opfer häuslicher Gewalt in Basra berichteten beispielsweise, dass sie Angst hatten sich an Familienschutzeinheiten zu wenden. Sie befürchteten, dass die Polizei ihre Familien unverzüglich informieren würde. Die meisten Familienschutzeinheiten betreiben selbst keine Unterkünfte. "Safe Houses", die von der Regierung und NGOs betrieben werden, sind oft Ziel von Gewalt (USDOS 20.4.2018). Offizielle Schutzeinrichtungen für Frauen, die vor ihren sie misshandelnden Ehemännern fliehen, gibt es keine. In Bagdad wurden Unterkünfte, wo es sie gab, aktiv angegriffen (Lattimer EASO 26.4.2017). Die kurdische Regionalregierung hat ihre Anstrengungen zum Schutz der Frauen verstärkt. So wurden im Innenministerium vier Abteilungen zum Schutz von weiblichen Opfern von (familiärer) Gewalt sowie drei staatliche Frauenhäuser eingerichtet. Zwei weitere werden von NGOs betrieben (AA 12.2.2018). Die Angaben zu Frauenhäusern variieren jedoch in den Quellen. USDOS berichtet von einem privat betriebenen und vier staatlichen Frauenhäusern in der Autonomen Region Kurdistan. Letztere werden vom Arbeits- und Sozialministerium betrieben (USDOS 20.4.2018). Mark Lattimer spricht von drei Frauenhäusern in der Autonomen Region Kurdistan. Um dort aufgenommen zu werden, benötigen Frauen einen Gerichtsbeschluss (Lattimer EASO 26.4.2017). Es gibt nur eine begrenzte Anzahl an Plätzen, die Serviceleistungen sind schlecht (USDOS 20.4.2018; vgl. UNAMI 8.7.2018). Vereinzelt werden Frauen "zum eigenen Schutz" inhaftiert (AA 12.2.2018; vgl. USDOS 20.4.2018). Einige Frauen werden mangels Notunterkünften obdachlos (USDOS 20.4.2018). Frauen, die in Frauenhäusern oder Notunterkünften untergebracht sind, verfügen nur über wenige Alternativen, abgesehen von einer Eheschließung oder der Rückkehr zu ihren Familien, was oft zu weiterer Bestrafung oder Diskriminierung durch die Familie oder die Gemeinschaft führt (USDOS 20.4.2018; vgl. Lattimer EASO 26.4.2017).

Frauen werden noch immer in Ehen gezwungen. Rund 20 Prozent der Frauen werden vor ihrem 18. Lebensjahr (religiös) verheiratet, viele davon im Alter von 10 - 14 Jahren (AA 12.2.2018). Ein Gesetzesentwurf der u.a. die Möglichkeit der Verheiratung von Mädchen im Alter von ab acht Jahren beinhaltet hätte, wurde im Dezember 2017 vom Parlament abgelehnt (HRW 17.12.2017). Das gesetzliche Mindestalter für eine Eheschließung beträgt mit elterlicher Erlaubnis 15 Jahre, ohne Erlaubnis 18 Jahre. Berichten zufolge unternimmt die Regierung jedoch wenig Anstrengungen, um dieses Gesetz durchzusetzen. Traditionelle Zwangsverheiratungen von Mädchen, Kinderehen und sogenannte "Ehen auf Zeit" (zawaj al-mut'a) finden im ganzen Land statt. Laut UNICEF waren 2016 rund 975.000 Frauen und Mädchen vor dem 15. Lebensjahr verheiratet, doppelt so viele wie 1990 (USDOS 20.4.2018). Nach Angaben des Hohen Rates für Frauenangelegenheiten der kurdischen Regionalregierung tragen Flüchtlinge und IDPs in der Autonomen Region Kurdistan zu einer zunehmenden Zahl an Kinderehen und Polygamie bei (USDOS 20.4.2018). Viele Frauen und Mädchen sind durch Flucht und Verfolgung besonders gefährdet. Es gibt vermehrt Berichte, dass minderjährige Frauen in Flüchtlingslagern zur Heirat gezwungen werden. Dies geschieht entweder, um ihnen ein vermeintlich besseres Leben zu ermöglichen oder um ihre Familien finanziell zu unterstützen. Häufig werden die Ehen nach kurzer Zeit wieder annulliert, mit verheerenden Folgen für die betroffenen Frauen (AA 12.2.2018). Fasliya bezeichnet eine traditionelle Stammespraxis zur Schlichtung von Konflikten, bei der Frauen bzw. Mädchen eines Stammes mit Männern eines verfeindeten Stammes als Entschädigung für Mord bzw. für die Verletzung von Mitgliedern des anderen Stammes verheiratet werden (UNHCR 15.1.2018;

vgl. USDOS 20.4.2018). Obwohl die "Blutgeld-Ehe" seit den 1950er Jahren gesetzlich verboten ist, hat sie in den letzten Jahrzehnten vor allem im Südirak einen Wiederaufschwung erlebt (UNHCR 15.1.2018;

vgl. Al-Monitor 18.6.2015). Die Praxis existiert auch in anderen Teilen des Landes (z.B. im Zentralirak) (Al-Monitor 18.6.2015) und wird auf kurdisch als badal khueen oder jin be xwên bezeichnet (FO 29.12.2015). Frauen, die im Zuge solcher Arrangements "als Kompensation" bzw. "als Ersatz" für den Toten bzw. für das vergossene Blut verheiratet werden, können sich nicht scheiden lassen und sind häufig Missbrauch ausgesetzt (Raseef22 17.8.2016; vgl. FO 29.12.2015, Niqash 29.7.2010).

Jahre der Instabilität und des Krieges haben im Irak zu einer großen Zahl an Haushalten geführt, deren Haushaltsvorstände Frauen sind ("female-headed-households"). Laut einer Schätzung betrug die Zahl solcher Haushalte im Jahr 2011 zwischen einer und zwei Millionen (IOM 12.10.2011). Präzise Angaben existieren nicht. Die Zahlen variieren, je nach Art der Erhebung (MIGRI 22.5.2018; vgl. z.B. ICRC 8.2011). Als Witwen, Geschiedene oder von ihren Ehemännern Getrennte, versorgen diese Frauen ihre Familien alleine. Manchmal ist der Ehemann krank oder pflegebedürftig. Viele von Frauen geführte Haushalte stellen einen besonders vulnerablen Teil der irakischen Bevölkerung dar, vor allem in ländlichen Gebieten bzw. als IDPs (IOM 12.10.2011). Zehn Prozent der irakischen Frauen sind Witwen, viele davon Alleinversorgerinnen ihrer Familien. Ohne männliche Angehörige erhöht sich das Risiko für diese Familien, Opfer von Kinderheirat und sexueller Ausbeutung zu werden (AA 12.2.2018). Alleinstehende Frauen und Witwen haben oft Schwierigkeiten, ihre Kinder registrieren zu lassen, was dazu führt, dass den Kindern staatliche Leistungen, wie Bildung, Lebensmittelbeihilfen und Zugang zum Gesundheitswesen verweigert werden (USDOS 20.4.2018). Scheidung bleibt im Irak weiterhin mit starkem sozialen Stigma verbunden (MRG 11.2015; vgl. MIGRI 22.5.2018). Das gesellschaftliche Klima gegenüber Geschiedenen ist nicht offen repressiv. Üblicherweise werden geschiedene Frauen in die eigene Familie reintegriert. Sie müssen jedoch damit rechnen, schlechter bezahlte Arbeitsstellen annehmen zu müssen oder als Zweit- oder Drittfrau in Mehrehen erneut verheiratet zu werden. Im Rahmen einer Ehescheidung wird das Sorgerecht für Kinder ganz überwiegend den Vätern (und ihren Familien) zugesprochen (AA 12.2.2018). Laut einer Studie führt das mit einer Scheidung assoziierte gesellschaftliche Stigma dazu, dass viele Frauen in Beziehungen bleiben, in denen sie Missbrauch ausgesetzt sind, um Ablehnung bzw. die Androhung von noch größerer Gewalt durch Familienmitglieder und Mitglieder der Community zu vermeiden. In manchen Fällen ist das Stigma so groß, dass Frauen von ihren Familien gezwungen werden, zu ihren sie misshandelnden Ehemännern zurückzukehren. Geschiedene Frauen, die zu ihren Familien zurückkehren, sind aufgrund ihres Status als geschiedene Frauen oft weiteren Formen des Missbrauchs und der Stigmatisierung ausgesetzt (MRG 11.2015). Opfern von Zwangsscheidungen wird die Rückkehr ins Elternhaus durch einen Ehrenkodex verwehrt. Bei Zwangsscheidungen handelt es sich um eine Praxis, die vor allem im Süden des Landes vorkommt. Dabei droht der Mann seiner Frau mit der Scheidung, falls ihre Familie ihm oder seiner Familie nicht mehr Geld zukommen lässt. Wenn dies nicht geschieht, muss die Frau ihren Mann und ihre Familie verlassen und bleibt als Verstoßene zurück. Die Rückkehr ins Elternhaus wird aus Ehrengründen verwehrt (USDOS 20.4.2018). Ohne Zustimmung eines männlichen Verwandten können Frauen keine Ausweisdokumente erhalten (MIGRI 22.5.2018; vgl. USDOS 20.4.2018). Die Gesetzgebung hindert Frauen daran, ohne die Zustimmung eines männlichen Vormunds oder gesetzlichen Vertreters einen Reisepass zu beantragen (USDOS 20.4.2018; vgl. FH 16.1.2018). Frauen können ohne Zustimmung eines männlichen Verwandten auch keinen Personalausweis bekommen, der etwa für den Zugang zu Nahrungsmittelhilfe, Gesundheitsversorgung, Beschäftigung, Bildung und Wohnen benötigt wird (USDOS 20.4.2018). Zusätzlich wird generell erwartet, dass eine Frau immer mit einem Mann reist, der als ihr Vormund agiert (Lattimer EASO 26.4.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschlandauswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irakstand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 29.8.2018

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Al-Monitor (18.6.2015): Blood money marriage makes comeback in Iraq,

https://www.almonitor.com/pulse/originals/2015/06/iraq-tribes-women-blood-money-marriage-disputesettlement.html, Zugriff 5.11.2018

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CIA (20.8.2018): The World Factbook - Iraq, https://www.cia.gov/library/publications/the-worldfactbook/geos/iz.html, Zugriff 31.8.2018

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CSO - Central Statistical Organization, Ministry of Planning (6.2012): Iraq Women Integrated Social and Health Survey (I-WISH), https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/IWISH%20Report%20English.pdf, Zugriff 5.9.2018

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FH - Freedom House (16.1.2018): Freedom in the World 2018: Iraq - Profile, https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2018/iraq, Zugriff 10.9.2018 - ILO - International Labour Organisation (1.2016): Iraq - Country Fact Sheet, https://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/---arabstates/---ro-beirut/documents/publication/ wcms_444514.pdf, Zugriff 31.8.2018

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FO - Fair Observer (29.12.2015): Woman-for-Blood Marriages Persist in Iraq,

https://www.fairobserver.com/region/middle_east_north_africa/woman-for-blood-marriagespersist-in-iraq-21101/, Zugriff 5.9.2018

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HRW - Human Rights Watch (17.12.2017): Iraq: Parliament Rejects Marriage for 8-Year-Old Girls,

https://www.hrw.org/news/2017/12/17/iraq-parliament-rejects-marriage-8-year-old-girls, Zugriff 29.8.2018

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ICRC - The International Committee of the Red Cross in Iraq (8.2011): Households Headed by Women in Iraq: A Case for Action, https://www.icrc.org/eng/assets/files/2011/iraq-womensurvey-2011-08-eng.pdf, Zugriff 10.9.2018

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IOM - International Organization for Migration (12.10.2011): Iraq

-

Special Report: Female Headed Households, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/Full %20Report_278.pdf, Zugriff 7.9.2018

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K4D - Knowledge, evidence and learning for development (24.11.2017): Women's participation in peacebuilding and reconciliation in Iraq,

https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resou

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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