Entscheidungsdatum
10.03.2020Norm
B-VG Art. 133 Abs4Spruch
G313 2178741-1/19E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Birgit WALDNER-BEDITS als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA. Deutschland, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.11.2017, Zl. XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 25.09.2018 zu Recht erkannt:
A)
In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) wurde gegen den Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) gemäß § 67 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.) und gemäß § 70 Abs. 3 FPG ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat ab Durchsetzbarkeit dieser Entscheidung erteilt (Spruchpunkt II.)
2. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben.
3. Am 05.12.2017 langte beim Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) die gegenständliche Beschwerde samt dazugehörigem Verwaltungsakt ein.
4. Am 25.09.2018 wurde vor dem BVwG, Außenstelle Graz, eine mündliche Verhandlung durchgeführt.
5. Mit Erkenntnis des BVwG vom 22.05.2019 wurde der Beschwerde des BF gegen den Bescheid des BFA vom 11.11.2017 insofern Folge gegeben, als die Dauer des Aufenthaltsverbotes gemäß § 67 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG auf zehn Monate herabgesetzt wird und im Übrigen die Beschwerde als unbegründet abgewiesen wurde.
6. Dagegen wurde fristgerecht außerordentliche Revision erhoben.
7. Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes (im Folgenden: VwGH) vom 24.10.2019, Zl. Ra 2019/21/0205-7, wurde das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen (Sachverhalt):
1.1. Der BF ist deutscher Staatsangehöriger.
1.2. Er wurde im Bundesgebiet insgesamt drei Mal rechtskräftig strafrechtlich verurteilt, und zwar mit
? Urteil von Oktober 2008 wegen Körperverletzung, gefährlicher Drohung, Hausfriedensbruchs und Sachbeschädigung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten, bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren, mit
? Urteil von Oktober 2012 wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz zu einer Geldstrafe von 100 Tagsätzen zu je EUR 4,00 (EUR 400,00), im Nichteinbringungsfall 50 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, und mit
? Urteil von September 2017 wegen Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung, versuchter schwerer Körperverletzung und versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten, bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren.
1.2.1. Der ersten strafrechtlichen Verurteilung des BF von Oktober 2008 lagen folgende strafbare Handlungen des BF zugrunde:
A./ Der BF hat am 07.08.2008 im Bundesgebiet seine damalige Lebensgefährtin vorsätzlich am Körper verletzt, indem er ihr einen Faustschlag gegen den Kopf versetzte, wodurch sie stürzte und eine Schwellung am Hinterkopf erlitt;
B./ fremde bewegliche Sachen der Hauseigentümerschaft (...) in einem nicht mehr feststellbaren Wert beschädigt, und zwar
1.) die Hauseingangstüre des Hauses (...), indem er deren Verglasung einschlug;
Die Wohnungstüre der Wohnung (...), indem er sie mit Gewalt aufdrückte, wodurch das Zusatzschloss ausriss und der Türrahmen herausgerissen wurde;
C./ den Eintritt in die Wohnungsstätte der (...) mit Gewalt erzwungen, indem er die Wohnungstüre aufdrückte, wobei er gegen dort befindliche Sachen Gewalt zu übern beabsichtigte;
D./ (...) gefährlich bedroht, um ihn in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem er äußerte: "Ich steche dich ab", während er gleichzeitig mit einem Messer Stichbewegungen in dessen Richtung ausführte."
1.2.2. Der letzten strafrechtlichen Verurteilung des BF von September 2017 lag zugrunde:
Der BF hat am 22.04.2017 im Bundesgebiet durch den Genuss von Alkohol in einem die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rauschzustand
I./ Beamte mit Gewalt an der Ausübung seiner Festnahme zu hindern versucht, in dem er einem Beamten einen Fußtritt gegen den Oberkörper versetzte und durch den Fußtritt dieser dadurch rücklings gegen die Theke stürzte, sowie
II./ einen weiteren Beamten durch einen Fußtritt an der Amtshandlung zu hindern versuchte und eine Verletzung des Beamten dadurch ausblieb, dass dieser eine Schutzweste trug.
Erschwerend wurden die einschlägige Vorstrafe und die Verwirklichung zweier Tatbilder im Rausch angenommen, mildernd das Bewusstsein der Problemlage.
Diesem Strafrechtsurteil von September 2017 wurde ein psychiatrisches Gutachten zugrunde gelegt, in dem unter anderem festgestellt wurde, dass der BF seit seinem 15 Lebensjahr regelmäßig Alkohol konsumiert, insgesamt zwölf Alkoholentzüge und 2017 in einem Spital in Österreich einen stationären Alkoholentzug absolviert habe.
Danach sei es zu Alkoholrückfällen gekommen, so auch vor dem 22.04.2017 (Datum der Tat) und am 22.04.2017 selbst.
Beim BF bestünden psychische Verhaltensstörungen durch Alkohol mit Abhängigkeit F 10.20.
1.3. Im Bundesgebiet hat der BF keine berücksichtigungswürdigen privaten Anknüpfungspunkte, seine Familie lebt in Deutschland. Der BF hat laut seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 25.09.2018 in Österreich einen Freundeskreis.
1.4. Der BF war übereinstimmend mit seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung am 25.09.2018 zu seiner Saisonarbeitstätigkeit in Österreich von 27.12.2001 bis 30.01.2002 in diesem Zeitraum in Österreich mit Nebenwohnsitz gemeldet, weist nach einer Meldeunterbrechung von 04.06.2003 bis 18.05.2004 und von 18.05.2004 bis 23.06.2005 weitere Nebenwohnsitzmeldungen, und von 23.06.2005 bis 09.09.2008 und seit 30.12.2009 Hauptwohnsitzmeldungen in Österreich auf, und ist seit 30.12.2009 durchgehend im österreichischen Bundesgebiet gemeldet.
1.5. Der BF ist seit 29.4.2010 im Besitz einer Anmeldebescheinigung für EWR Bürger.
1.6. Er war in Österreich ab Dezember 2001 bei verschiedenen Dienstgebern tageweise, meist geringfügig beschäftigt, bezog von 23.01.2017 bis 05.02.2017 bedarfsorientierte Mindestsicherung und, so wie auch nunmehr, zwischendurch Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung. Zuletzt war der BF in Österreich im Jänner, Februar 2020 kurzzeitig beschäftigt.
Der BF war in Österreich nachweislich auch ehrenamtlich tätig.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zum Verfahrensgang:
Der oben angeführte Verfahrensgang ergab sich aus dem diesbezüglich unbedenklichen und unzweifelhaften Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA sowie des nunmehr dem BVwG vorliegenden Gerichtsakts.
2.2. Zur Person des BF und seinen individuellen Verhältnissen:
2.2.1. Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität und Staatsangehörigkeit des BF getroffen wurden, beruhen diese auf den gegenständlich glaubhaften Akteninhalt.
2.2.2. Die Feststellungen zu den Wohnsitzmeldungen des BF im Bundesgebiet beruhen auf einem Zentralmelderegisterauszug.
2.2.3. Dass der BF seit 29.04.2010 im Besitz einer Anmeldebescheinigung als Arbeitnehmer ist, beruht auf einem Fremdenregisterauszug und der dem Verwaltungsakt einliegenden Anmeldebescheinigung (AS 48).
2.2.4. Die Feststellungen zu den strafrechtlichen Verurteilungen des BF stützen sich auf einem aktuellen Strafregisterauszug. Die Feststellungen zu den dem ersten und letzten Strafrechtsurteil des BF zugrundeliegenden strafbaren Handlungen beruhen auf den diesbezüglichen Strafrechtsurteilen im Akt.
2.2.5. Dass der BF in Österreich keine Familienangehörige hat und seine Eltern in Deutschland wohnen, hat er im Zuge der mündlichen Verhandlung glaubhaft angegeben, ebenso, wie dass er zu einer Familie in Deutschland regelmäßigen Kontakt hat - über Telefonate, Skypen oder Besuche.
2.2.6. Die Feststellungen zur Erwerbstätigkeit und zum Bezug von bedarfsorientierter Mindestsicherung und von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung ergaben sich aus einem AJ WEB - Auskunftsverfahrensauszug. Dass der BF in Österreich auch ehrenamtlich tätig war, beruht auf seinen diesbezüglichen Angaben in der mündlichen Verhandlung am 25.09.2018 in Zusammenschau mit einer vorgelegten Bestätigung darüber.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Gemäß § 9 Abs. 2 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.
Gemäß § 7 Abs. 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht u. a. über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (Z. 1) sowie über Beschwerden gegen Maßnahmen unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt gemäß dem 1. Hauptstück des 2. Teiles des BFA-VG und gemäß dem 7. und 8.Hauptstück des FPG. (Z. 3).
Da sich die gegenständliche - zulässige und rechtzeitige - Beschwerde gegen einen Bescheid des BFA richtet, ist das Bundesverwaltungsgericht für die Entscheidung zuständig.
Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz (BVwGG), BGBl. I Nr. 2013/10 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 2013/33 i. d.F. BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 28. Abs. 1 VwGVG entscheidet das Verwaltungsgericht sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis.
Im Abs. 2 wird angeführt, dass das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Gemäß §§ 16 Abs. 6 und 18 Abs. 7 BFA-VG sind die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anwendbar.
3.2. Zu Spruchteil A)
3.2.1. Anzuwendendes Recht:
§ 67 FPG lautet:
"(1) Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.
(2) Ein Aufenthaltsverbot kann, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden.
(...)."
Der mit Ausreiseverpflichtung und Durchsetzungsaufschub betitelte § 70 FPG lautet:
(1) Die Ausweisung und das Aufenthaltsverbot werden spätestens mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar; der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige hat dann unverzüglich auszureisen. Der Eintritt der Durchsetzbarkeit ist für die Dauer eines Freiheitsentzuges aufgeschoben, auf den wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung erkannt wurde.
(2) (Anm.: aufgehoben durch BGBl. I Nr. 87/2012)
(3) EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen ist bei der Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich.
(4) Der Durchsetzungsaufschub ist zu widerrufen, wenn
1. nachträglich Tatsachen bekannt werden, die dessen Versagung gerechtfertigt hätten;
2. die Gründe für die Erteilung weggefallen sind oder
3. der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige während seines weiteren Aufenthaltes im Bundesgebiet ein Verhalten setzt, das die sofortige Ausreise aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit gebietet.
Der mit "Bescheinigung des Daueraufenthalts von EWR-Bürgern" betitelte § 53a lautet auszugsweise:
"§ 53a. (1) EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt (§§ 51 und 52), erwerben unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen gemäß §§ 51 oder 52 nach fünf Jahren rechtmäßigem und ununterbrochenem Aufenthalt im Bundesgebiet das Recht auf Daueraufenthalt. Ihnen ist auf Antrag nach Überprüfung der Aufenthaltsdauer unverzüglich eine Bescheinigung ihres Daueraufenthaltes auszustellen.
(2) Die Kontinuität des Aufenthalts im Bundesgebiet wird nicht unterbrochen von
1. Abwesenheiten von bis zu insgesamt sechs Monaten im Jahr; (...)."
3.2.2. Im Erkenntnis des VwGH vom 24.10.2019, mit welchem das Erkenntnis des BVwG vom 22.05.2019 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben wurde, wurde unter anderem festgehalten:
"12 Nach dem letzten Satzteil des § 66 Abs. 1 FPG ist eine Ausweisung von EWR-Bürgern, die bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a und 54a NAG) erworben haben, allerdings nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.
13 Der Verwaltungsgerichtshof judiziert in ständiger Rechtsprechung, dass hinsichtlich Personen, die das Daueraufenthaltsrecht erworben haben, nicht nur bei der Ausweisung, sondern auch bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes der in § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FPG vorgesehene Gefährdungsmaßstab, der jenem in Art. 28 Abs. 2 der Freizügigkeitsrichtlinie entspricht, heranzuziehen ist (vgl. grundlegend VwGH 13.12.2012, 2012/21/0181, Punkt 3., und daran anknüpfend etwa VwGH 22.1.2014, 2013/21/0135, und VwGH 3.7.2018, Ra 2018/21/0066, Rn. 17, mwN).
Dieser Maßstab liegt im abgestuften System der Gefährdungsprognosen über dem vom BVwG für maßgeblich erachteten Gefährdungsmaßstab nach dem ersten und zweiten Satz des § 67 Abs. 1 FPG.
14 Der hier wesentliche § 53a Abs. 1 NAG stellt in Bezug auf den Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt auf einen fünf Jahre rechtmäßigen und ununterbrochenen Aufenthalt im Bundesgebiet ab. Vom Vorliegen dieser Voraussetzungen geht offenbar das BVwG aus.
15 Auf dieser Grundlage hätte über den unstrittig seit dem 29. April 2010 über eine Anmeldebescheinigung verfügenden Revisionswerber nur bei Vorliegen von Gründen im Sinn des § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FPG (schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit) ein Aufenthaltsverbot erlassen werden dürfen.
16 Indem das BVwG nicht auf diesen höheren Gefährdungsmaßstab abstellte, zugleich durch die Herabsetzung der Dauer des Aufenthaltsverbotes auf zehn Monate aber zu erkennen gab, nur von einer relativ geringen Gefährdung durch den Revisionswerber auszugehen, hat es das angefochtene Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet."
3.2.3. Der BF hält sich im gegenständlichen Fall seit Ende des Jahres 2009, damit seit mehr als zehn Jahren ununterbrochen, und seit Erhalt einer Anmeldebescheinigung am 29.04.2010 seit fast zehn Jahren rechtmäßig im österreichischen Bundesgebiet auf.
Wegen mehr als fünf Jahren rechtmäßigen Aufenthaltes im Bundesgebiet ab Erhalt der Anmeldebescheinigung am 29.04.2010 hatte der BF bereits zum Zeitpunkt der Erlassung des gegenständlich angefochtenen Bescheides vom 11.11.2017 ein Daueraufenthaltsrecht nach § 53a Abs. 1 NAG erworben.
Für Unionsbürger und ihre Familienangehörigen, die das Recht auf Daueraufenthalt genießen, bestimmt aber Art. 28 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie, dass eine Ausweisung nur aus "schwerwiegenden" Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit verfügt werden darf, wobei zwar auch hier gemäß Art. 27 Abs. 2 der Richtlinie auf das persönliche Verhalten abzustellen ist, das eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen muss, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, insgesamt aber ein größeres Ausmaß an Gefährdung verlangt wird. Diese Vorgaben der Unionsbürgerrichtlinie wurden im FPG insofern umgesetzt, als nach dessen § 66 Abs. 1 die Ausweisung von EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen, die bereits das Daueraufenthaltsrecht erworben haben, nur dann zulässig ist, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt. § 67 Abs. 1 FPG enthält zwar nur zwei Stufen für die Gefährdungsprognose, nämlich einerseits (nach dem ersten und zweiten Satz) die Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, wobei eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche, ein Grundinteresse der Gesellschaft berührende Gefahr auf Grund eines persönlichen Verhaltens vorliegen muss, und andererseits (nach dem fünften Satz) die nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit der Republik Österreich im Fall von EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen mit mindestens zehnjährigem Aufenthalt im Bundesgebiet (bzw. im Fall von Minderjährigen). Es muss aber angenommen werden, dass hinsichtlich Personen, die das Daueraufenthaltsrecht erworben haben, nicht nur bei der Ausweisung, sondern (arg. a minori ad maius) auch bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes der in Art. 28 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie und § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FPG vorgesehene Maßstab - der im abgestuften System der Gefährdungsprognosen zwischen jenen nach dem ersten und dem fünften Satz des § 67 Abs. 1 FPG angesiedelt ist - heranzuziehen ist. Dies gebietet im Anwendungsbereich der Unionsbürgerrichtlinie eine unionsrechtskonforme Interpretation, weil das Aufenthaltsverbot eine Ausweisungsentscheidung im Sinn der Richtlinie beinhaltet. Zum gleichen Ergebnis führt eine verfassungskonforme Interpretation, weil die Anwendung eines weniger strengen Maßstabes für Aufenthaltsverbote als für bloße Ausweisungen sachlich nicht zu rechtfertigen wäre. (VwGH, 13.12.2012, Zl. 2012/21/0181-8).
Im gegenständlichen Fall wurde seitens des BVwG mit vom VwGH aufgehobenem Erkenntnis vom 22.05.2019, wie auch seitens der belangten Behörde mit angefochtenem Bescheid vom 11.11.2017 der einfache Prüfungsmaßstab nach § 67 Abs. 1 S. 2 FPG angewendet, obwohl wegen bereits erworbenen Daueraufenthaltsrechts iSv § 53a Abs. 1 NAG der erhöhte Prüfungsmaßstab nach § 66 Abs. 1, letzter Satzteil, FPG anzuwenden gewesen wäre.
Da die belangte Behörde den einfachen Prüfungsmaßstab angewendet hat, dem VwGH-Erkenntnis vom 24.10.2019, Ra 2019/21/0205-7, folgend wegen Erlangung des Daueraufenthaltsrechts nach fünf Jahren rechtmäßigem, ununterbrochenem Aufenthalt im Bundesgebiet ab Erhalt der Anmeldebescheinigung am 29.04.2010 richtigerweise den erhöhten Prüfungsmaßstab anzuwenden gehabt hätte, ist der im Spruch angeführte Bescheid des BFA ersatzlos zu beheben.
Bei Erlassung eines neuerlichen Aufenthaltsverbotes durch die belangte Behörde wird der nunmehr ununterbrochene mehr als zehnjährige Aufenthalt des BF im Bundesgebiet zu berücksichtigen sein - zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides vom 11.11.2017 war diese Aufenthaltsdauer noch nicht erfüllt - und die belangte Behörde demnach den gegenüber den erhöhten Prüfungsmaßstab iSv § 66 Abs. 1, letzter Teilsatz FPG, der auf eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit abstellt, wiederum erhöhten Prüfungsmaßstab nach § 67 Abs. 1 S. 5 FPG anzuwenden und zu prüfen haben, ob vom BF für die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich eine nachhaltige und maßgebliche Gefahr ausgeht.
Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzlichen Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.
Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung, Rechtsanschauung des VwGH,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:G313.2178741.1.00Zuletzt aktualisiert am
13.05.2020