TE OGH 2020/2/26 3Ob226/19k

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Veröffentlicht am 26.02.2020
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat Dr. Roch als Vorsitzenden sowie den Hofrat Priv.-Doz. Dr. Rassi und die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun-Mohr, Dr  Kodek und Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A*****, vertreten durch Dr. Birgit Streif, Rechtsanwältin in Innsbruck, gegen die beklagte Partei R*****, vertreten durch Dr. Martin Neuwirth und Dr. Alexander Neurauter, Rechtsanwälte in Wien, wegen 29.564,71 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 14. Oktober 2019, GZ 1 R 127/19f-52, womit das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 22. Juli 2019, GZ 57 Cg 38/17t-45, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie unter Einbeziehung der in Rechtskraft erwachsenen Teilabweisung wie folgt zu lauten haben:

Das Klagebegehren, 1.) die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei den Betrag von 29.564,71 EUR samt 4 % Zinsen aus 29.144,28 EUR seit 8. September 2016 und aus 420,43 EUR seit 22. Februar 2018 zu zahlen, 2.) es werde festgestellt, dass die beklagte Partei der klagenden Partei für alle künftigen Schäden aus dem Schiunfall vom 27. Februar 2016 in M***** hafte, wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 22.091,04 EUR (hierin enthalten 3.108,56 EUR USt und 3.439,50 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens, die mit 4.051,49 EUR (hierin enthalten 484,75 EUR USt und 1.143 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 2.999,52 EUR (hierin enthalten 261,42 EUR USt und 1.431 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens jeweils binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 27. Februar 2016 ereignete sich im Schigebiet M***** auf der blauen Piste Nr 1 ein Schiunfall zwischen der Klägerin und dem damals acht Jahre alten (jüngeren) Sohn des Beklagten, E*****. Im Unfallbereich befand sich damals eine Unterführung. In Annäherung an die Unfallstelle wies der rechte Pistenbereich eine deutlich geringere Neigung als der linke auf. Die Abfahrt war in Annäherung an die Unterführung zumindest 30 m breit. Die Sicht auf die spätere Unfallstelle war zumindest aus 50 m Entfernung (von der Piste Nr 1 aus gesehen) gegeben, es gab keine Sichtbehinderungen. Befand man sich in der linken Pistenhälfte, bestand eine Neigung von ca 15 bis 25 Grad bis nahezu an die Unterführung heran. Der Tunnel der Unterführung war ca 5 bis 10 m breit, die Länge ist unbekannt. Die rechte Seite der Unterführung war mit Matten abgesichert. Der Unfallbereich, konkret die Pistenverengung nach dem steilen Pistenbereich auf der linken Seite in Verbindung mit einer scharfen Linkskurve, war schwer zu befahren. Der flache Bereich auf der rechten Pistenhälfte und dieser Bereich in Annäherung an die Unterführung „vermischt sich“ mit dem Bereich der von der K***** nach oben gehenden Personen. Es gab keine Abgrenzung des Pistenrandes.

Am Unfalltag war es sonnig, es herrschte eine hohe Pistenfrequenz. E***** fuhr 2016 im dritten Jahr Schi, er war in diesem Jahr vor dem Unfall das dritte Mal eine Woche im Schikurs gewesen und ein mittelmäßiger Schifahrer. Sein Schilehrer hatte dem Beklagten auf dessen Frage gesagt, dass das Kind blaue Pisten selbständig und auch rote Pisten [offenbar gemeint: aber nicht selbständig] abfahren könne. Der Beklagte fuhr mit seinen beiden Söhnen vor dem Unfall immer derart Schi, dass sein älterer Sohn, der damals elf Jahre alt war, vorfuhr, hinter ihm fuhr E***** und zuletzt der Beklagte. Der Beklagte hatte seinen Söhnen erklärt, dass sie auf der Piste kontrolliert fahren und auf andere Pistenbenützer achten müssen. Die FIS-Regeln wurden besprochen.

Die Klägerin kam in Annährung an die Unfallstelle mit ihrem Ehegatten von der K***** auf einen kleinen Hügel hinauf. Von dort fuhr sie, nachdem sie auf der Piste Nr 1 nach oben geblickt hatte, in Richtung Unterführung. Der Beklagte fuhr mit seinen Söhnen die Piste Nr 1 ab, die sie auch schon zuvor befahren hatten. Wie üblich fuhr der ältere Sohn voran, danach E***** und zum Schluss der Beklagte. Der ältere Sohn blieb bei der Bergstation der K***** stehen, da sich dort ein flaches Plateau befindet. E***** schaffte es nicht, dort stehen zu bleiben, weil er zu schnell fuhr. Er ist über diesen Bereich „rübergeschossen“, obwohl er im flachen Bereich bremsen hätte sollen, und fuhr so in den steilen, eisigen und buckligen Bereich hinein. Der Beklagte rief ihm zu, dass er bremsen solle, das gelang dem Kind aber nicht. Es fuhr den letzten Hang zur Unterführung in Schussfahrt, machte also keine Bögen. Vor der Kollision war E***** aufrecht und versuchte zu kanten; er fuhr von links in die Klägerin hinein.

Im Verhältnis zur Klägerin war E***** der nachkommende Schifahrer. Sie war in Bewegung Richtung Unterführung, er war allein auf der Piste und stieß von oben fahrend in sie hinein. Die Klägerin hatte keine Möglichkeit, die Kollision zu verhindern, diese hätte nur E***** gehabt. Dieser verlor bereits vor der Einfahrt in den steileren Pistenabschnitt, der eisig und bucklig war, die Kontrolle über seine Schi.

Er war nicht in der Lage, seine Geschwindigkeit und Fahrweise in einem steilen Bereich wie dem Unfallbereich zu beherrschen. Er war auch nicht in der Lage, die Piste ohne Vorgabe einer Fahrspur selbständig abzufahren, weil er sehr auf die Wahl seiner Fahrspur und Geschwindigkeit achten musste.

Die Klägerin erlitt durch die Kollision einen Bruch des linken Unterschenkels. Mäßiggradige Dauerfolgen sind verblieben, Spätfolgen sind nicht mit Sicherheit auszuschließen. Der Klägerin entstanden aufgrund ihrer Verletzung vom Erstgericht im Detail festgestellte Sachschäden. Sie erlitt einen unfallbedingten Verdienstentgang.

Die Klägerin begehrte aus dem Titel des Schadenersatzes nach Klageausdehnung und -einschränkung letztlich insgesamt 29.564,71 EUR sA und die Feststellung der Haftung des Beklagten für alle künftigen Schäden aus dem Unfall. Dessen Sohn habe gegen die FIS-Regeln verstoßen und dadurch den Unfall ausgelöst. Der Beklagte sei seiner Aufsichtspflicht nicht nachgekommen. Er habe E***** offensichtlich zu wenig über seine Pflichten als Schifahrer und insbesondere über die FIS-Regeln belehrt. Er wäre verpflichtet gewesen, seinen Sohn über das richtige Verhalten – nämlich eine starke Reduktion der Geschwindigkeit vor dem bestehenden Hindernis (der Unterführung), auf das explizit ein großes Warnschild mit der Aufschrift „Langsam – Slow“ hinweise, aufzuklären. Da E***** durch seine überhöhte Geschwindigkeit erheblich gegen die FIS-Regeln verstoßen habe, sei zu bezweifeln, dass seine Eltern ihn ausreichend über diese Regeln belehrt hätten. Der Umstand, dass er für sein Alter bereits sehr gut und offenbar auch gerne schnell Schi gefahren sei, bedeute nicht, dass er die Gefahr seiner überhöhten Geschwindigkeit ausreichend einschätzen hätte können. Der Beklagte hätte ihn deshalb besonders im Hinblick auf die Geschwindigkeit aufklären müssen. Aufgrund seines Alters habe E***** nicht zugemutet werden können, theoretische Regeln zu verstehen und einzuhalten. Der Beklagte hätte seinen Sohn daher hinreichend und wiederholt dahin aufklären, belehren und gegebenenfalls auch ermahnen müssen, auf einer vielbefahrenen Piste nicht zu „rasen“, insbesondere bei unübersichtlichen Stellen. Allenfalls hätte er ihn auch nicht frei fahren lassen dürfen, sondern hätte ihm vorfahren müssen, zumal er sich als Schifahrer nicht auf die Einschätzung des Könnens durch einen Schilehrer verlassen hätte dürfen. Der Beklagte habe eine steile und daher ungeeignete Piste ausgewählt.

Der Beklagte bestritt und wendete insbesondere ein, dass ihm kein Verschulden am Unfall anzulasten sei, weil sein Sohn damals schon sicher Schi gefahren und in der Lage gewesen sei, eine blaue Piste gut zu befahren; er habe auch die zu berücksichtigenden FIS-Regeln gekannt. Der Beklagte habe auf die Einschätzung des Schilehrers vertrauen dürfen und daher seine Aufsichtspflicht nicht verletzt; er hätte den Unfall nicht verhindern können.

Das Erstgericht gab dem Zahlungsbegehren im Umfang von 19.564,71 EUR sA und dem Feststellungsbegehren zur Gänze statt und wies das Mehrbegehren von 10.000 EUR sA ab. Die Auswahl eines bestimmten Geländes könne einem Schilehrer regelmäßig nur dann zum Verschulden gereichen, wenn zwischen dem schiläuferischen Können der Schüler und dem Schwierigkeitsgrad des zu befahrenden Geländes ein krasses Missverhältnis bestehe. Gleiches müsse auch für den aufsichtspflichtigen Beklagten gelten. Da sie die Piste bereits zuvor abgefahren seien, sei ihm der eisige und bucklige steile Teil der Piste bekannt gewesen. Aufgrund dieser Pistenbeschaffenheit liege daher ein solches krasses Missverhältnis vor, weil das Kind erst drei Wochen in einem Zeitraum von drei Jahren Schi gefahren sei. Der Beklagte könne sich auch nicht darauf berufen, dass der Schilehrer gemeint habe, dass sein Sohn blaue Piste allein abfahren könne, weil dies nicht ausschließe, dass er bei schwierigen Teilstücken überfordert sei und Unterstützung durch einen Erwachsenen benötige.

Das Berufungsgericht gab den Berufungen beider Parteien nicht Folge, sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands insgesamt 30.000 EUR übersteige, und ließ die ordentliche Revision mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zu. Zur Rechtsrüge des Beklagten führte es aus, dass die von ihm gewählte Fahrweise, wonach er die beiden Kinder vorfahren habe lassen, vor allem im Hinblick auf die seinen Söhnen dadurch eingeräumte Sicherheit vor allenfalls zu schnell fahrenden nachkommenden Schifahrern und der besseren Reaktionsmöglichkeit bei allfälligen Stürzen grundsätzlich nicht zu beanstanden sei. Bei dieser Konstellation sei aber eine Kommunikation dahin notwendig, dass mit dem Achtjährigen die Abfahrtslinie und ein moderates Fahrtempo vereinbart werde, um ihn im Sichtfeld zu haben und bei einem Fahrfehler und bei bevorstehenden Gefahrenstellen oder -momenten rechtzeitig eingreifen zu können. Insbesondere müsse sich der zu Beaufsichtigende in einem solchen Nahebereich des Aufsichtspflichtigen befinden, dass noch eine verbale Kommunikation möglich sei, die ein Stehenbleiben des Kindes auf Anweisung gewährleiste. Der Umstand, dass der Beklagte seinen Sohn ohne konkrete Anweisungen bzw Absprachen über den Verlauf der Strecke vorfahren habe lassen, habe gerade nicht zur Gefahrenbeherrschung beigetragen. Dadurch, dass das Kind zu schnell gefahren sei, sei dem Beklagten die Möglichkeit genommen gewesen, in geeigneter Weise auf eine sichere Bewältigung der herannahenden schwierigen Pistensituation hinzuwirken. Es wäre daher seitens des Beklagten vor der steilen, buckligen und eisigen linken Hälfte der Piste Nr 1 ein Einschreiten notwendig gewesen, um der überhöhten Geschwindigkeit seines Sohnes Einhalt zu gebieten und zu verhindern, dass dieser über das flache Plateau, in dem er bremsen und stehen bleiben hätte sollen, „rüberschieße“. Dies wäre einerseits durch ein Voranfahren des Beklagten und der so durch ihn festgelegten Geschwindigkeit und Fahrspur möglich gewesen. Andererseits wäre ein kontrolliertes Abfahren seines Sohnes bei der vom Beklagten gewählten Abfolge dadurch zu gewährleisten gewesen, dass er im Vorhinein einen bestimmten Treff- bzw Sammelpunkt vereinbart hätte, um die Geschwindigkeit rechtzeitig anpassen zu können. Er hätte jedenfalls, auf welche Weise immer, darauf hinwirken müssen und können, dass sein Sohn in einem Tempo fahre, das dem Beklagten ein Hinterherfahren in entsprechend geringem Abstand samt allfälligem Erteilen von Anweisungen im Hinblick auf ein sicheres und rechtzeitiges Bremsen vor dem schwierigen Pistenteil ermögliche. Die Annäherung an die Unfallstelle sei insofern schwer zu befahren gewesen, als unmittelbar nach der steilen, buckligen und eisigen linken Hälfte der Piste Nr 1 eine scharfe Linkskurve zu bewältigen gewesen sei, um nach einer Pistenverengung durch die Unterführung zu gelangen. Hinzu komme, dass von einem auf der Piste Nr 1 abfahrenden Schifahrer auch die von der K***** heraufkommenden Schifahrer zu beobachten gewesen seien, die ebenso in Richtung Unterführung unterwegs gewesen seien. Insbesondere aufgrund der gefährlichen Situation, die sich aus der Schwierigkeit des linken Pistenteils in Verbindung mit einer hohen Pistenfrequenz ergeben habe, seien in diesem Bereich der Piste erhöhte Anforderungen an die Aufsichtspflicht des Beklagten zu stellen gewesen. Diesen habe er insofern nicht entsprochen, als er bereits zuvor keine Maßnahmen gesetzt habe, um die überhöhte Geschwindigkeit seines Sohnes zu regulieren. Auch wenn der Schilehrer erklärt habe, dass E***** blaue Pisten selbständig abfahren könne, sei die Aufsichtspflicht dennoch beim Beklagten gelegen. Dieser hätte daher eine Fahrweise wählen, vereinbaren oder vorgeben müssen, die geeignet gewesen wäre, ein sicheres Bewältigen der Piste durch E***** zu gewährleisten und Schädigungen Dritter zu vermeiden.

In seiner außerordentlichen Revision macht der Beklagte im Wesentlichen geltend, die Ansicht der Vorinstanzen überspanne seine Aufsichtspflicht iSd § 1309 ABGB. Trotz der Auskunft des Schilehrers, dass sein Sohn blaue Pisten selbständig abfahren könne, habe er diesen ohnehin angewiesen, seinem älteren Bruder nachzufahren.

Die Klägerin beantragt in der ihr vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist wegen einer vom Obersten Gerichtshof aufzugreifenden Fehlbeurteilung der Vorinstanzen zulässig und berechtigt.

1. Vorauszuschicken ist, dass die Vorinstanzen den Schadenersatzanspruch der Klägerin, einer deutschen Staatsangehörigen, gegen den Beklagten, einen niederländischen Staatsangehörigen, aufgrund des in Österreich gelegenen Unfallorts zutreffend nach österreichischem Recht behandelt haben (Art 4 Abs 1 Rom-II-VO).

2. Ob die am Unfall schuldlose Klägerin Anspruch auf Ersatz ihrer Schäden hat, hängt davon ab, ob der Beklagte seine Aufsichtspflicht iSd § 1309 ABGB verletzt hat. Nach ständiger Rechtsprechung muss der Beschädigte die Unterlassung der Obsorge und der Aufsichtspflichtige seine Schuldlosigkeit beweisen. Das Maß der Aufsichtspflicht bestimmt sich danach, was angesichts des Alters, der Eigenschaft und der Entwicklung des Aufsichtsbedürftigen vom Aufsichtsführenden vernünftigerweise verlangt werden kann (RS0027339; RS0027400). Für die Obsorgepflicht iSd § 1309 ABGB ist daher entscheidend, was verständige Eltern nach vernünftigen Anforderungen im konkreten Fall unternehmen müssen, um die Schädigung Dritter durch ihre Kinder zu verhindern (RS0027353).

3.1. Die Auswahl eines bestimmten Geländes kann dem Schilehrer regelmäßig nur dann zum Verschulden gereichen, wenn zwischen dem schiläuferischen Können der Schüler und dem Schwierigkeitsgrad des zu befahrenden Geländes ein krasses Missverhältnis besteht (9 Ob 38/13y mwN; RS0023693). Diese Grundsätze gelten auch für die Frage der Haftung des Beklagten wegen allfälliger Verletzung seiner Aufsichtspflicht.

3.2. Es steht zwar fest, dass der (steile) Unfallbereich für E***** zu schwer war, und der Beklagte, der die Piste bereits vor dem Unfall mit seinen Söhnen abgefahren war, musste diesen schwierigen Bereich auch kennen; allerdings war ihm aus demselben Grund auch der flache Bereich auf der rechten Seite der Piste bekannt, der ein Befahren des steilen Hanges links gar nicht notwendig machte. Dem Beklagten kann daher die Auswahl dieser Piste nicht zum Vorwurf gemacht werden, weil sie im Hinblick darauf, dass das Steilstück nicht zwingend zu befahren war, jedenfalls den Kriterien einer blauen (also leichten) Piste entsprach. Die (erkennbar rechtliche) Schlussfolgerung des Erstgerichts im Rahmen seiner Feststellungen, der Beklagte hätte E***** nicht selbständig die Piste Nr 1 abfahren lassen dürfen, ist daher nicht aufrecht zu erhalten, zumal angesichts der feststehenden Qualifikations des Kindes als mittelmäßiger Schifahrer kein Anlass für den Beklagten bestand, der Auskunft des Schilehrers nicht zu vertrauen.

4. Die Revision geht nicht vom festgestellten Sachverhalt aus, wenn sie unterstellt, dass der Beklagte E***** eine Fahrlinie vorgegeben habe, indem er ihn aufgefordert habe, seinem Bruder nachzufahren und dort stehen zu bleiben, wo dieser anhält. Allerdings lässt sich den Feststellungen kein Anhaltspunkt dafür entnehmen, dass der Beklagte auf die festgestellte Auskunft des Schilehrers nicht vertrauen, E***** also nicht ohne Vorgabe einer Fahrlinie die Piste Nr 1 abfahren lassen hätte dürfen. Im Gegenteil steht fest, dass der Beklagte mit seinen Söhnen vor dem Unfall auf diese Weise bereits blaue (und sogar rote) Pisten – offensichtlich erfolgreich – befahren hatte.

5.1. Das Berufungsgericht hat dem Beklagten mit zutreffender Begründung zugestanden, hinter und nicht vor seinen Söhnen zu fahren. Da er E*****, wie soeben ausgeführt, auch nicht auf andere Weise die von ihm einzuhaltende Fahrlinie vorgeben musste, ist nicht ersichtlich, „auf welche Weise auch immer“ der Beklagte sonst konkret verhindern hätte können, dass E***** die Kontrolle über seine Schi verliert, deshalb nicht mehr hinter seinem Bruder anhalten kann, und so – also aufgrund eines Fahrfehlers im Flachbereich – überhaupt erst in den steilen Unfallbereich gerät. Es liegt nämlich auf der Hand, dass die vom Berufungsgericht vermisste vorherige Festlegung eines Treff- bzw Sammelpunkts, um die Geschwindigkeit rechtzeitig anpassen zu können, den Unfall im konkreten Fall nicht verhindern hätte können, weil E***** ja schon im Flachbereich nicht mehr bremsen konnte.

5.2. Soweit das Berufungsgericht dem Beklagten in diesem Zusammenhang vorwirft, er hätte sich „in einem solchen Nahebereich“ befinden müssen, dass „ein Stehenbleiben des Kindes auf Anweisung gewährleistet“ sei, steht ohnehin fest, dass der Beklagte E***** noch erfolglos aufforderte, zu bremsen, also in Rufweite hinter ihm unterwegs war. Inwiefern E***** in dieser Situation doch noch bremsen hätte können, wenn der Beklagte noch näher bei ihm gewesen wäre, ist nicht nachvollziehbar.

6.1. Der Schadenersatzanspruch der Klägerin ist daher mangels Verletzung seiner Aufsichtspflicht durch den Beklagten schon dem Grunde nach nicht berechtigt, sodass ihr gesamtes Begehren abzuweisen ist.

6.2. Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich des erstinstanzlichen Verfahrens auf § 41 iVm § 54 Abs 1a ZPO. Von Amts wegen war wahrzunehmen, dass der vom Beklagten erlegte (und verzeichnete) Kostenvorschuss von 3.000 EUR nicht zur Gänze verbraucht wurde; ein Teilbetrag von 860 EUR wurde ihm (nach Schluss der Verhandlung erster Instanz) rücküberwiesen.

Die Kostenentscheidung hinsichtlich des Rechtsmittelverfahrens beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Die Bemessungsgrundlage für Berufung und Revision beträgt jedoch jeweils nur 24.564,71 EUR und für die Berufungsbeantwortung nur 5.000 EUR.

Textnummer

E128005

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0030OB00226.19K.0226.000

Im RIS seit

13.05.2020

Zuletzt aktualisiert am

24.06.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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