TE Lvwg Erkenntnis 2020/2/25 VGW-031/082/1123/2020

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Veröffentlicht am 25.02.2020
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Entscheidungsdatum

25.02.2020

Index

90/01 Straßenverkehrsordnung

Norm

StVO 1960 §88b Abs2
StVO 1960 §95 Abs1 litb

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch den Richter Dr. Trefil über die Beschwerde des A. B., vertreten durch Rechtsanwalt, vom 3.1.2020, gegen das Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Wien, Polizeikommissariat ..., vom 5.12.2019, Zl. VStV/?..., betreffend Übertretung des (§ 88b Abs. 2 erster Satz in Verbindung mit) § 65 Abs. 3 der Straßenverkehrsordnung 1960 - StVO, BGBl. Nr. 159/1960, nach Durchführung einer öffentlichen Verhandlung am 21.2.2020,

zu Recht erkannt:

I. Gemäß § 50 Abs. 1 VwGVG wird das angefochtene Straferkenntnis wegen Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.

II. Gemäß § 25a VwGG ist gegen dieses Erkenntnis eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Mit dem angefochtenen Straferkenntnis verhängte die Landespolizeidirektion Wien (die belangte Behörde) über den Beschwerdeführer (als Fahrer eines elektrisch betriebenen Klein- bzw. Minirollers, auch als "E-Scooter" bezeichnet) gemäß § 99 Abs. 3 lit. a StVO eine Geldstrafe in der Höhe von 80 Euro (Ersatzfreiheitsstrafe ein Tag und dreizehn Stunden) wegen Übertretung des (offenbar gemäß § 88b Abs. 2 StVO in Verbindung mit der für Radfahrer geltenden und bei der Benutzung von elektrisch betriebenen Klein- und Minirollern zu beachtenden Verhaltensvorschrift gemäß) § 65 Abs. 3 StVO, weil er am 17.9.2019 um 16:42 Uhr in der C.-gasse im … Wiener Gemeindebezirk mit einem als "betroffenes Fahrzeug: E-Scooter" bezeichneten Kleinfahrzeug folgende Tat begangen habe:

"Sie haben mit dem E-Scooter ein 6-jähriges Kind mitgeführt, obwohl dieser hierfür nicht ausgerüstet war."

Der Beschwerdeführer erhob die vorliegende Beschwerde, in der er (wie bereits in seiner anwaltlich verfassten Stellungnahme vom 19.11.2019) die Rechtsansicht der belangten Behörde bestreitet, dass sämtliche Bestimmungen für Radfahrer uneingeschränkt auf Lenker von E-Scootern anzuwenden seien, weil die "technischen Gegebenheiten vollkommen andere sind und der Gesetzgeber sehr wohl wesentliche Unterscheidungen zwischen Radfahrern und Lenkern von E-Scootern trifft. Es ist auch für eine technisch nicht versierte Person nachvollziehbar, dass ein E-Scooter nicht einen der Größe des Kindes entsprechenden Sitz aufweisen kann". Nach § 2 Abs. 1 Z 19 StVO seien Scooter als vorwiegend zur Verwendung außerhalb der Fahrbahn bestimmte Kleinfahrzeuge und somit von Gesetzes wegen ausdrücklich nicht als Fahrzeuge einzustufen.

Das Verwaltungsgericht Wien führte am 21.2.2020 eine öffentliche Verhandlung durch, in der der Beschwerdeführer anwaltlich vertreten war, in faktischer Hinsicht den Sachverhalt nicht bestritt, jedoch nach Erörterung der Zuständigkeit der belangten Behörde zur Erlassung des angefochtenen Straferkenntnisses die Unzuständigkeit der Landespolizeidirektion Wien einwendete.

Das Verwaltungsgericht Wien hat erwogen:

Im vorliegenden Beschwerdefall sind die Bestimmungen der StVO in der Fassung der 31. StVO-Novelle, BGBl. I Nr. 37/2019, maßgebliche (die 32. StVO-Novelle sowie die weiteren Änderungen durch BGBl. I Nr. 113/2019 sind nicht relevant).

Nach den Begriffsbestimmungen der StVO gilt gemäß § 2 Abs. 1 Z 19 leg. cit. als Fahrzeug ein zur Verwendung auf Straßen bestimmtes oder auf Straßen verwendetes Beförderungsmittel oder eine fahrbare Arbeitsmaschine, ausgenommen Rollstühle, Kinderwagen, Schubkarren und ähnliche, vorwiegend zur Verwendung außerhalb der Fahrbahn bestimmte Kleinfahrzeuge (etwa Mini- und Kleinroller ohne Sitzvorrichtung, mit Lenkstange, Trittbrett und mit einem äußeren Felgendurchmesser von höchstens 300 mm) sowie fahrzeugähnliches Spielzeug (etwa Kinderfahrräder mit einem äußeren Felgendurchmesser von höchstens 300 mm und einer erreichbaren Fahrgeschwindigkeit von höchstens 5 km/h) und Wintersportgeräte (Hervorhebungen ergänzt).

Die weiteren, hier maßgeblichen Bestimmungen der StVO im jeweils angeführten Abschnitt haben samt Überschrift folgenden Wortlaut:

"VI. ABSCHNITT.

Besondere Vorschriften für den Verkehr
mit Fahrrädern und Motorfahrrädern.

§ 65. Benützung von Fahrrädern.

(1) …

(2) …

(3) Radfahrer, die auf dem Fahrrad Personen mitführen, müssen das 16. Lebensjahr vollendet haben. Ist die mitgeführte Person noch nicht acht Jahre alt, so muß für sie ein eigener, der Größe des Kindes entsprechender Sitz vorhanden sein. Ist die mitgeführte Person mehr als acht Jahre alt, so darf nur ein Fahrrad verwendet werden, das hinsichtlich seiner Bauart den Anforderungen der Produktsicherheitsbestimmungen für Fahrräder zum Transport mehrerer Personen (§ 104 Abs. 8) entspricht.

X. ABSCHNITT.

Benützung von Straßen zu verkehrsfremden Zwecken.

§ 88b. Rollerfahren

(1) Das Fahren mit Klein- und Minirollern mit elektrischem Antrieb (elektrisch betriebene Klein- und Miniroller) ist auf Gehsteigen, Gehwegen und Schutzwegen verboten. Ausgenommen von diesem Verbot sind Gehsteige und Gehwege, auf denen durch Verordnung der Behörde das Fahren mit elektrisch betriebenen Klein- und Minirollern mit einer höchsten zulässigen Leistung von nicht mehr als 600 Watt und einer Bauartgeschwindigkeit von nicht mehr als 25 km/h erlaubt wurde. Das Fahren ist ferner mit elektrisch betriebenen Klein- und Minirollern mit einer höchsten zulässigen Leistung von nicht mehr als 600 Watt und einer Bauartgeschwindigkeit von nicht mehr als 25 km/h auf Fahrbahnen, auf denen das Radfahren erlaubt ist, zulässig.

(2) Bei der Benutzung von elektrisch betriebenen Klein- und Minirollern sind alle für Radfahrer geltenden Verhaltensvorschriften zu beachten; insbesondere gilt die Benützungspflicht für Radfahranlagen (§ 68 Abs. 1) sinngemäß. Bei der Benützung von Radfahranlagen haben Rollerfahrer die gemäß § 8a vorgeschriebene Fahrtrichtung einzuhalten.

(3) Benutzer von elektrisch betriebenen Klein- und Minirollern haben sich so zu verhalten, dass andere Verkehrsteilnehmer weder gefährdet noch behindert werden; insbesondere haben sie auf Gehsteigen und Gehwegen Schrittgeschwindigkeit einzuhalten sowie die Geschwindigkeit in Fußgängerzonen, in Wohnstraßen und in Begegnungszonen dem Fußgängerverkehr anzupassen.

(4) Kinder unter 12 Jahren dürfen auf Straßen mit öffentlichem Verkehr, außer in Wohnstraßen, nur unter Aufsicht einer Person, die das 16. Lebensjahr vollendet hat, mit elektrisch betriebenen Klein- und Minirollern fahren, wenn sie nicht Inhaber eines Radfahrausweises gemäß § 65 sind.

(5) Elektrisch betriebene Klein- und Miniroller sind mit einer wirksamen Bremsvorrichtung, mit Rückstrahlern oder Rückstrahlfolien, die nach vorne in weiß, nach hinten in rot und zur Seite in gelb wirken sowie bei Dunkelheit und schlechter Sicht mit weißem Licht nach vorne und rotem Rücklicht auszurüsten.

XII. ABSCHNITT.

Behörden und Straßenerhalter.

§ 95. Landespolizeidirektionen.

(1) Im Gebiet einer Gemeinde, für das die Landespolizeidirektion zugleich Sicherheitsbehörde erster Instanz ist, obliegt der Landespolizeidirektion, soweit in den folgenden Absätzen nichts anderes bestimmt ist,

a)     die Handhabung der Verkehrspolizei (§ 94b lit. a), jedoch nicht auf der Autobahn,

b)     die Ausübung des Verwaltungsstrafrechts (§§ 99 und 100) einschließlich der Führung des Verzeichnisses von Bestrafungen (§ 96), jedoch nicht die Ausübung des Verwaltungsstrafrechts hinsichtlich Übertretungen der Bestimmungen über die Benützung der Straße zu verkehrsfremden Zwecken (X. Abschnitt),

c)     die Anordnung der Teilnahme am Verkehrsunterricht und die Durchführung des Verkehrsunterrichts (§ 101),

d)     die Schulung und Ermächtigung von Organen der Straßenaufsicht zur Prüfung der Atemluft auf Alkoholgehalt sowie überhaupt die Handhabung der §§ 5, 5a und 5b,

e)     das Verbot des Lenkens von Fahrzeugen (§ 59),

f)     die Bewilligung sportlicher Veranstaltungen (§ 64),

g)     die Entgegennahme der Anzeigen von Umzügen (§ 86),

h)     die Sicherung des Schulweges (§§ 29a und 97a), sofern sich nicht die Zuständigkeit der Gemeinde (§ 94d) ergibt.

(1a) Im Gebiet einer Gemeinde, für das die Landespolizeidirektion zugleich Sicherheitsbehörde erster Instanz ist, obliegen der Landespolizeidirektion die in Abs. 1 lit. a bis h genannten Aufgaben, ausgenommen die Ausübung des Verwaltungsstrafrechtes hinsichtlich Übertretungen der §§ 8 Abs. 4, 9 Abs. 7, 23 bis 25 und 26a Abs. 3 sowie der Kurzparkzonen-Überwachungsverordnung.

(2) Die Landespolizeidirektionen dürfen die ihnen obliegenden Angelegenheiten nicht auf die Gemeinde (§ 94 Abs. 3) übertragen.

(3) Die Landespolizeidirektionen haben bei Amtshandlungen nach Abs. 1 lit. f und g den Ortsgemeinden Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben."

Einleitend ist in faktischer Hinsicht hervorzuheben, dass entsprechend der (insoweit auch völlig unstrittigen) Tatanlastung des angefochtenen Straferkenntnisses dem Beschwerdeführer eine Übertretung der StVO beim Fahren eines Klein- bzw. Minirollers mit elektrischem Antrieb bzw. eines E-Scooters und nicht etwa eines Fahrrads zur Last gelegt wird.

In rechtlicher Hinsicht ist davon ausgehend zunächst voranzustellen, dass der Gesetzgeber elektrisch betriebene Klein- und Miniroller bzw. E-Scooter nicht als Fahrrad einstuft (Pürstl, StVO-ON15.00 § 2 (Stand 1.10.2019, rdb.at), Anm. 23c).

Gemäß § 88b Abs. 2 erster Satz StVO haben sich Benutzer von E-Scootern aber so zu verhalten wie Radfahrer. Von ihnen sind nicht nur die spezifisch für Radfahrer geltenden Verhaltensvorschriften einzuhalten (vgl. § 68 StVO mit der Überschrift "Verhalten der Radfahrer"), sondern auch all jene, die allgemein für Fahrzeuglenker gelten und somit auch für Radfahrer. Dadurch werden aber Fahrer von E-Scootern nicht zu Radfahrern und auch nicht zu Lenkern von Fahrzeugen (zu alldem Pürstl, E-Scooter - jetzt ist alles kompliziert, ZVR 2019/173, 327 (330, insbesondere unter C.3), mit dem Hinweis, dass einige Befugnisse der Organe der Straßenaufsicht nur gegenüber Lenkern von Fahrzeugen bestehen; ebenso zuletzt Pürstl, StVO-ON15.00 § 88b (Stand 1.10.2019, rdb.at), Anm. 2).

Ausgehend von dieser Rechtsansicht bleiben Zuwiderhandlungen gegen § 88b Abs. 2 erster Satz StVO stets Übertretungen des X. Abschnittes der StVO, gleichgültig in welcher Verbindung zu einzelnen Verhaltensvorschriften sie stehen. Gemäß § 95 Abs. 1 lit. b StVO fallen sie somit unter die Verwaltungsstrafrechtskompetenz der Bezirksverwaltungsbehörden und nicht der Landespolizeidirekten (abermals Pürstl, StVO-ON15.00 § 88b (Stand 1.10.2019, rdb.at), Anm. 2 am Ende; und neuerlich umfassender Pürstl, ZVR 2019/173, 327 (330 f, insbesondere unter C.4.b).

Das Verwaltungsgericht Wien schließt sich dieser Rechtsansicht an. Für die Ausübung des Verwaltungsstrafrechts bei Übertretungen des § 88b StVO, einschließlich dessen Abs. 2 in Verbindung mit einer für Radfahrer oder Fahrzeuglenker anwendbaren Verhaltensvorschrift, ist somit gemäß § 95 Abs. 1 lit. b StVO nicht die Landespolizeidirektion Wien, sondern die Bezirksverwaltungsbehörde zuständig, in Wien somit der Magistrat.

Daraus folgt im Übrigen auch, dass im Beschwerdefall als Strafnorm gemäß § 44a Z 3 VStG nicht der zitierte § 99 Abs. 3 lit. a StVO, sondern § 99 Abs. 3 lit. j StVO anzuführen wäre.

Das angefochtene Straferkenntnis ist daher wegen Unzuständigkeit der belangten Behörde aufzuheben.

Gemäß § 52 Abs. 8 VwGVG sind dem Beschwerdeführer keine Kosten des Beschwerdeverfahrens aufzuerlegen.

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, weil die in diesem Beschwerdefall im Vordergrund stehende Rechtsfrage der Zuständigkeit zur Ausübung des Verwaltungsstrafrechts hinsichtlich Übertretungen der Bestimmungen über die Benützung der Straße zu verkehrsfremden Zwecken (X. Abschnitt der StVO) anhand des klaren Gesetzeswortlauts lösbar ist.

Schlagworte

Elektrisch betriebene Klein- und Miniroller; Zuständigkeit; Zuständigkeit

Anmerkung

VwGH v.23.9.2020, Ra 2020/02/0102; Zurückweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2020:VGW.031.082.1123.2020

Zuletzt aktualisiert am

28.09.2020
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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