Entscheidungsdatum
23.03.2020Index
L40009 Sonstige Polizeivorschriften Wien;Norm
WLSG §1 Abs1 Z1Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Verwaltungsgericht Wien erkennt durch seinen Richter Mag Fischer über die Beschwerde des Herrn A. B. gegen das Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Wien, PK ..., vom 31.01.2019, VStV/..., wegen Übertretung des § 1 Abs 1 Z 1 Wiener Landessicherheitsgesetz (WLSG) zu Recht:
I. Der Beschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis behoben und das Verfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 1 zweiter Fall VStG eingestellt.
II. Der Beschwerdeführer hat nach § 52 Abs 8 VwGVG keinen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens zu leisten.
III. Die Revision ist nach Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahren und Vorbringen
1. Die Tatanlastung des angefochtenen Straferkenntnisses lautet:
„1.
Datum/Zeit:
07.04.2018, 18:10 Uhr
Ort:
Wien, C.-Platz, Tribüne ... –Sektor ...
Sie haben durch folgende Begehungsweise den öffentlichen Anstand verletzt:
Sie montierten mit einer weiteren Person über dem Werbeschild „TIPICO BUNDESLIGA“ ein Transparent mit dem Wort „SCHEISS“. Somit war während dem gesamten Fußballspiel für alle im Fußballstadion anwesenden Personen der Schriftzug „SCHEISS BUNDESLIGA“ zu lesen. Durch das öffentliche Zur-Schau-Stellen des Transparentes „SCHEISS“ über dem Schriftzug „TIPICO“ kam es zu einer nicht tolerierbaren Herabsetzung der Würde und des Ansehens der österreichischen Bundesliga. Der Inhalt dieser Botschaft (SCHEISS BUNDESLIGA) hat eindeutig einen beleidigenden Charakter, der in seiner Intensität den allgemein anerkannten Grundsätzen der guten Sitten widerspricht.“
Dadurch habe der Beschwerdeführer (BF) § 1 Abs 1 Z 1 WLSG verletzt. Wegen dieser Verwaltungsübertretung wurde über den BF nach § 1 Abs 1 WLSG eine Geldstrafe von € 300,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 3 Tage) verhängt. Zugleich wurden nach § 64 VStG € 30,-- als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens festgesetzt (ON0-1).
2. Dagegen erhob der BF frist- und formgerecht Beschwerde und beantragte die Aufhebung des angefochtenen Straferkenntnisses, in eventu das Absehen von einer Bestrafung nach § 45 Abs 1 Z 4 VStG, in eventu eine Herabsetzung der Strafe. Dazu brachte er insbesondere vor, für das zur angelasteten Tatzeit stattfindende Spiel habe die BUNDESLIGA den sogenannten BLOCK WEST gesperrt, für den der BF ein Abonnement gehabt habe. Die Sperre sei Folge von Einzelpersonen verursachter Vorkommnisse bei einem vorangegangenen Fußballspiel gewesen. Der BF habe deshalb für das zur angelasteten Tatzeit stattfindende Spiel eine Karte für den Sektor ... gehabt. Die angelastete Tat habe er nicht begangen. Durch die angelastete Tathandlung sei auch der Tatbestand des § 1 Abs 1 Z 1 WLSG nicht erfüllt, weil die Aussage „SCHEISS BUNDESLIGA“ zur Umgangssprache in Österreich gehöre und eine saloppe Ablehnung zum Ausdruck bringe, die nicht den Grundsätzen der Schicklichkeit widerspreche. Eine Skifahrerin und eine Politikerin hätten in Interviews ebenfalls das Wort „Scheiß“ gebraucht. Darüber hinaus würde die Bestrafung in sein Recht auf freie Meinungsäußerung (Art 10 EMRK; Art 13 StGG) und den Gleichheitsgrundsatz eingreifen. Bei den Fans des SK … habe Unmut über die Sektorsperre durch die BUNDESLIGA geherrscht, weil diese kollektive Bestrafung auch gegen Unschuldige gewirkt habe. Das Recht auf freie Meinungsäußerung umfasse nicht nur intellektuelle und moralische Äußerungen, sondern auch das schlichte Mitteilungsbedürfnis oder das geistige Mitläufertum und verletzende, schockierende oder beunruhigende Äußerungen. Auf den Wert der Äußerung oder eine besondere Legitimation der Äußerung komme es nicht an. Durch das Montieren des Transparents hätten die Fans lediglich ihre kritische Haltung gegenüber der BUNDESLIGA zum Ausdruck bringen wollen. Die Parole „SCHEISS BUNDELIGA“ habe die in der Fanszene verbreitete Ablehnungshaltung pointiert und provokant zum Ausdruck gebracht. Bei einem Fußballspiel sei bekanntlich der Ton rauer (ON0-2).
II. Feststellungen
3. Die Feststellungen erschöpfen sich aus rechtlichen Gründen (siehe unten IV.) in der Tatanlastung des angefochtenen Straferkenntnisses (siehe oben I.).
III. Beweiswürdigung
4. Die Feststellungen ergeben sich unzweifelhaft aus dem in Klammer angeführten Aktenstück.
IV. Rechtliche Beurteilung
5. § 1 Abs 1 des Wiener Landes-Sicherheitsgesetzes (WLSG) lautet (auszugsweise):
„Anstandsverletzung und Lärmerregung
§ 1. (1) Wer
1. den öffentlichen Anstand verletzt […]
[…] begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe bis zu 700 Euro, im Falle der Uneinbringlichkeit mit einer Ersatzfreiheitsstrafe bis zu einer Woche zu bestrafen.“
6. Art 13 StGG lautet (auszugsweise):
„Artikel 13. Jedermann hat das Recht, durch Wort, Schrift, Druck oder durch bildliche Darstellung seine Meinung innerhalb der gesetzlichen Schranken frei zu äußern. […]“
7. Art 10 EMRK lautet (auszugsweise):
„Artikel 10 – Freiheit der Meinungsäußerung
(1) Jedermann hat Anspruch auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Freiheit der Meinung und die Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten oder Ideen ohne Eingriffe öffentlicher Behörden und ohne Rücksicht auf Landesgrenzen ein. […]
(2) Da die Ausübung dieser Freiheiten Pflichten und Verantwortung mit sich bringt, kann sie bestimmten, vom Gesetz vorgesehenen Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen unterworfen werden, wie sie in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen Sicherheit, der territorialen Unversehrtheit oder der öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung, des Schutzes der Gesundheit und der Moral, des Schutzes des guten Rufes oder der Rechte anderer unentbehrlich sind, um die Verbreitung von vertraulichen Nachrichten zu verhindern oder das Ansehen und die Unparteilichkeit der Rechtsprechung zu gewährleisten.“
8. Der BF bestreitet, die angelastete Tathandlung begangen zu haben und macht darüber hinaus (ua) geltend, die Bestrafung wegen Verletzung des öffentlichen Anstandes nach § 1 Abs 1 Z 1 WLSG wegen des Voransetzens eines Transparents mit dem Wort „SCHEISS“ vor das Wort „BUNDESLIGA“ während eines Fußballspiels verletze ihn im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung.
9. Aus § 1 Abs 1 WLSG und der in diesem Zusammenhang maßgeblichen jüngsten Rechtsprechung des VfGH (VfGH 18.06.2019, E5004/2018 mwN) ergibt sich für den festgestellten Sachverhalt:
10. Nach Art 10 Abs 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf freie Meinungsäußerung. Vom Schutzumfang dieser Bestimmung, die das Recht der Freiheit der Meinung und der Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten und Ideen ohne Eingriffe öffentlicher Behörden einschließt, werden sowohl reine Meinungskundgaben als auch Tatsachenäußerungen sowie Werbemaßnahmen erfasst. Auch die Mitteilung von Tatsachen unterfällt daher dem Schutzbereich des Art 10 EMRK. Die „Mitteilung von Nachrichten oder Ideen“ iSd Art 10 Abs 1 EMRK kann dabei nicht nur sprachlich (auch durch Plakate oder Aufdrucke), sondern auch durch andere Formen der Kommunikation wie beispielsweise Symbole, künstlerische Ausdrucksformen oder sonstige Verhaltensweisen erfolgen, wenn und insoweit diesen gegenüber Dritten ein kommunikativer Gehalt zukommt. Dass derartige Mitteilungen als belästigend, ja unter Umständen auch als störend oder schockierend empfunden werden, ändert ebenso wenig etwas am grundsätzlichen Schutz derartiger kommunikativer Verhaltensweisen durch Art 10 EMRK wie der Umstand, dass diese primär aus finanziellen Antrieben gesetzt werden.
11. Durch das Anbringen eines Transparents mit der Aufschrift „SCHEISS“ in der Weise, dass sich gemeinsam mit dem wahrnehmbaren Rest eines teilweise verdeckten Plakats der Schriftzug „SCHEISS BUNDESLIGA“ ergibt, während eines Fußballspieles in einem Stadion wird eine kritische Haltung gegenüber der BUNDESLIGA geäußert eine Ablehnungshaltung kundgetan (vgl dazu ON0-2, 5). Dass die Äußerung „SCHEISS BUNDESLIGA“ eine die BUNDESLIGA ablehnende Haltung zum Ausdruck bringen und die Distanz zur BUNDESLIGA aufzeigen soll, muss angesichts der sprachlichen Eindeutigkeit der Äußerung auch für die im Stadion anwesende Öffentlichkeit erkennbar gewesen sein. Die Bestrafung des BF greift somit zweifellos in das Grundrecht auf Freiheit der Meinungsäußerung ein.
12. Eingriffe in die Meinungsäußerungsfreiheit sind nach Art 10 Abs 2 EMRK zulässig, sie müssen jedoch im Hinblick darauf, dass die Ausübung dieser Freiheit Pflichten und Verantwortung mit sich bringt, gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen Sicherheit, der territorialen Unversehrtheit oder der öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung, des Schutzes der Gesundheit und der Moral, des Schutzes des guten Rufes und der Rechte anderer, zur Verhinderung der Verbreitung von vertraulichen Nachrichten oder zur Gewährleistung des Ansehens und der Unparteilichkeit der Rechtsprechung notwendig sein.
13. Nach § 1 Abs 1 Z 1 WLSG darf gegen Personen eine Geldstrafe verhängt werden, die den öffentlichen Anstand verletzen. Der VfGH geht davon aus, dass diese Bestimmung als eine Einschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit gelten kann, die in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, zum Schutz der Moral und der Rechte anderer notwendig iSd Art 10 Abs 2 EMRK sein kann. Der verhältnismäßig vage Begriff des öffentlichen Anstandes erlaubt es auch, eine Gesetzesverletzung nur dann anzunehmen, wenn die Notwendigkeit der damit verbundenen Einschränkung der Freiheit der Meinungsäußerung unter Bedachtnahme auf das in Rede stehende Grundrecht im Einzelfall außer Zweifel steht. Ein Straferkenntnis kann daher im gegebenen Zusammenhang nur dann – aber auch immer dann – verfassungswidrig sein, wenn das dem Gesetz ein die besonderen Schranken des Art 10 EMRK missachtender Inhalt unterstellt wird.
14. Eben dies wirft die Beschwerde dem angefochtenen Straferkenntnis zu Recht vor:
15. Der VfGH hat ausgesprochen, dass die Äußerung einer Meinung als solche, sofern sie nicht aus anderen – zulässigen – Gründen verpönt ist, grundsätzlich keine Anstandsverletzung sein kann. Wird hingegen die Meinung in einer Art und Weise in der Öffentlichkeit geäußert, die die Grenzen des Anstands in einer Weise überschreitet, die einen Eingriff im Interesse der Aufrechterhaltung der Ordnung zwingend erscheinen lässt, kann eine Bestrafung wegen Anstandsverletzung zulässig sein.
16. Wollte man die im angefochtenen Straferkenntnis ausgesprochene Bestrafung des BF auf Entscheidungen des VwGH stützen, der den Tatbestand der Verletzung des öffentlichen Anstands durch ein Verhalten erfüllt erachtet, das mit den allgemeinen Grundsätzen der Schicklichkeit nicht in Einklang steht und das einen groben Verstoß gegen diejenigen Pflichten darstellt, die jedermann in der Öffentlichkeit zu beachten hat (zB VwGH 19.10.2005, 2003/09/0074; VwGH 15.10.2009, 2008/09/0272), so muss nach der Rechtsprechung des VfGH – in Ergänzung – darauf hingewiesen werden, dass es bei der Beurteilung des tatbestandsmäßigen Verhaltens nicht bloß auf den Wortlaut einer Äußerung allein ankommt, sondern auch auf Art und Umstand der Äußerung, also wie und wo welche Öffentlichkeit und von wem diese Öffentlichkeit mit dieser Meinung konfrontiert wird.
17. Der hier bekämpften Entscheidung liegt eine Bestrafung wegen des Anbringens eines Transparents mit der Aufschrift „SCHEISS“ in der Weise, dass sich gemeinsam mit dem wahrnehmbaren Rest eines teilweise verdeckten Plakats der Schriftzug „SCHEISS BUNDESLIGA“ ergibt, während eines Fußballspieles in einem Stadion zugrunde. Die Äußerung „SCHEISS BUNDESLIGA“ sollte primär auf die kritische Haltung der (bzw bestimmter) Fans gegenüber der BUNDESLIGA hinweisen und die Ablehnungshaltung gegenüber der BUNDESLIGA pointiert und provokant zum Ausdruck bringen (vgl dazu ON0-2, 5).
18. Das Anbringen des Transparents, sodass sich die Äußerung „SCHEISS BUNDESLIGA“ ergab, bedeutet keine konkrete „Beschimpfung“ bestimmter anderer Personen, hier von Funktionären der BUNDESLIGA.
19. Bedenkt man hier die in der Rechtsprechung entwickelten Kriterien, so ergibt sich, dass das Anbringen derartiger Transparente bei einem Fußballspiel durch Fans – sofern nicht anderes Verhalten ohnehin durch andere Normen (vgl insb. §39 Abs2 iVm §40 PyroTG 2010, §82 SPG, ArtIII Z3 und 4 EGVG sowie das VerbotsG) strafbewehrt ist – jedenfalls in einer Gesamtsicht nicht geeignet ist, den Tatbestand der Anstandsverletzung zu erfüllen. Diese im Fußballstadion so geäußerte Kritik ist mit Blick auf die in einer demokratischen Gesellschaft besondere Bedeutung und Funktion der Meinungsäußerungsfreiheit bei Beachtung aller Umstände des Falles hinzunehmen.
20. Der Vollständigkeit halber ist festzuhalten: Der dem zitierten VfGH-Erkenntnis (VfGH 18.06.2019, E5004/2018 mwN) zugrundeliegende Sachverhalt betraf ein Fußballspiel im selben Stadion, bei dem ein im Block West befindlicher Zuschauer eine große Fahne mit der Aufschrift „A.C.A.B.“ (für „all cops are bastards“) schwenkte. Die im hier angefochtenen Straferkenntnis angelastete Tathandlung entspricht dem dem VfGH-Erkenntnis zugrundeliegenden Sachverhalt somit in allen maßgeblichen Elementen, wie sich aus Tab1 ergibt.
Tab1: Gegenüberstellung der nach VfGH-Rechtsprechung wesentlichen Sachverhaltsmerkmale
Wortlaut, Art und Umstände der Äußerung
VfGH 18.06.2019, E5004/2018 mwN
VwG Wien, VGW-031/066/4561/2019
wie …
Schwenken einer großen Fahne mit Schriftzug „A.C.A.B.“;
während eines Fußballspiels
Anbringen eines Transparents „SCHEISS“, sodass sich mit dem wahrnehmbaren Rest eines teilweise verdeckten Plakats der Schriftzug „SCHEISS BUNDESLIGA“ ergibt;
während eines Fußballspiels
wo …
Wien, C.-Platz,
Block West
Wien, C.-Platz
Tribüne ... –Sektor ...
von wem …
Zuschauer im Stadion
Zuschauer im Stadion
welche Öffentlichkeit mit Meinung konfrontiert wird
Personen im Stadion;
Fernsehpublikum
Personen im Stadion;
Fernsehpublikum
Quelle: VfGH 18.06.2019, E5004/2018 mwN; VGW-031/066/4561/2019
21. Die hier angelastete Tat wurde im Hinblick auf Form, Inhalt, Ort und gegebene Öffentlichkeit unter den gleichen Umständen begangen wie jene, die Gegenstand des zitierten VfGH-Erkenntnisses war. Der VfGH erkannte, dass „im Fußballstadion so geäußerte Kritik […] mit Blick auf die in einer demokratischen Gesellschaft besondere Bedeutung und Funktion der Meinungsäußerungsfreiheit […] bei Beachtung aller Umstände des Falles hinzunehmen“ ist (VfGH 18.06.2019, E5004/2018, Rn24).
22. Wenn – wie sich unzweifelhaft aus VfGH 18.06.2019, E5004/2018 ergibt – die bei einem Fußballspiel im Stadion mit zahlreichen Zuschauern und Übertragung im Fernsehen pauschal (und ohne weitere Zusätze) auf die Polizei gerichtete Äußerung „ACAB“ mit Blick auf die in einer demokratischen Gesellschaft besondere Bedeutung und Funktion der Meinungsäußerungsfreiheit hinzunehmen ist, so muss dies umso mehr für die unter den gleichen Umständen geäußerte pauschal (und ohne weitere Zusätze) auf die BUNDESLIGA gerichtete Äußerung „SCHEISS BUNDESLIGA“ gelten.
23. Der guten Ordnung halber ist festzuhalten: Die angelastete Tat erschöpft sich in der adjektivierten Beifügung eines Substantivs aus der Vulgärsprache zum offensichtlichen Adressaten der Äußerung (in ähnlicher Weise erschöpfte sich die VfGH 18.06.2019, E5004/2018 zugrundeliegende angelastete Tat in der pauschalen Bezeichnung aller Polizisten mit einem vorwiegend im Englischen zur Herabwürdigung des jeweiligen Adressaten gebräuchlichen Wort). Das Recht auf freie Meinungsäußerung schließt auch das Recht ein, sich – unter den VfGH 18.06.2019, E5004/2018 und auch dem hier zu entscheidenden Fall zugrundeliegenden Umständen – während eines von zahlreichen Zuschauern im Stadion und vor TV-Geräten verfolgten Fußballspiels – im Sinne offensiven Zurschaustellens schlichter Vulgarität unangemessen zu benehmen.
24. Die Bestrafung wegen Verletzung des öffentlichen Anstands durch die mit dem angefochtenen Straferkenntnis angelastete Tathandlung erweist sich daher im Hinblick auf das Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit als unverhältnismäßig. Im Ergebnis bewirkt das angefochtene Straferkenntnis eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Freiheit der Meinungsäußerung. Das Erkenntnis ist daher aufzuheben und das Strafverfahren nach § 45 Abs 1 Z 1 zweiter Fall VStG einzustellen. Weil schon die angelastete Tathandlung nicht zu einer Bestrafung nach § 1 Abs 1 Z 1 WLSG führen kann, kann letztlich offen bleiben, ob der BF die angelastete Tathandlung tatsächlich gesetzt hat oder nicht.
25. Die öffentliche Verhandlung entfällt, weil schon aufgrund der Aktenlage feststeht, dass das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben ist (§ 44 Abs 2 VwGVG). Spruchpunkt II. ergibt sich aus § 52 Abs 8 VwGVG.
26. Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, weil keine Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Zu den sich ergebenden Rechtsfragen liegt höchstgerichtliche Rechtsprechung vor, die nicht als uneinheitlich zu betrachten ist und von der in diesem Erkenntnis nicht abgewichen wird (siehe zitierte VfGH-Rechtsprechung). Es kamen auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfragen hervor.
Schlagworte
Verletzung des öffentlichen Anstandes; Öffentlichkeit; Fußballstadion; MeinungsfreiheitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGWI:2020:VGW.031.066.4561.2019Zuletzt aktualisiert am
12.05.2020