TE Bvwg Erkenntnis 2019/6/19 W251 2151593-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 19.06.2019
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Entscheidungsdatum

19.06.2019

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §34 Abs3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs4
AsylG 2005 §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55

Spruch

W251 2151593-1/17E

W251 2151592-1/25E

W251 2151593-2/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

I. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Angelika SENFT als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch MigrantInnen Verein St. Marx und RA Dr. Lennart BINDER LL.M., und 2.) XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch XXXX als gesetzliche Vertreterin sowie den Magistrat XXXX , gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.02.2017 zu 1.) Zl. 1105670810-160248703 und 2.) Zl. 1105667303-160248754, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.

II. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Angelika SENFT als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch MigrantInnen Verein St. Marx und RA Dr. Lennart BINDER LL.M. gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.03.2018, Zl. 1105670810-160248703, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

1. Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG iVm §§ 8 Abs. 1, 34 Abs. 3 AsylG 2005 stattgegeben. Die Spruchpunkte I., III., IV., V. und VI. des angefochtenen Bescheides werden ersatzlos behoben

2. Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird dahingehend abgeändert, dass dem Antrag vom 23.01.2018 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 stattgegeben und die Aufenthaltsberechtigung als subsidär Schutzberechtigte um zwei weitere Jahre gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 verlängert wird.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Die Erstbeschwerdeführerin ist die Großmutter väterlicherseits der Zweitbeschwerde-führerin. Die Beschwerdeführerinnen, beide Staatsangehörige Afghanistans, reisten gemeinsam mit einem Sohn der Erstbeschwerdeführerin bzw. einem Onkel väterlicherseits der Zweitbeschwerdeführerin in das Bundesgebiet ein und stellten am 16.02.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2. Am selben Tag fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung der Erstbeschwerdeführerin statt. Dabei gab sie zu ihren Fluchtgründen befragt an, in Afghanistan alles verloren zu haben. Es herrsche Krieg und der IS töte Menschen. Wäre sie geblieben, hätte sie auch ihren Sohn und ihre Enkelin - die mit ihr nach Österreich gereist seien - verloren. Sie wünsche ihrer Enkelin eine Zukunft. Für die Zweitbeschwerdeführerin wurden keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht. Die Erst-beschwerdeführerin führte weiters aus, dass die Zweitbeschwerdeführerin seit deren zweiten Lebensjahr ununterbrochen bei ihr gelebt habe und sie das Sorgerecht für diese habe. Die Eltern der Zweitbeschwerdeführerin seien verschwunden bzw. tot.

3. Mit Vollmachtsbekanntgabe vom 10.03.2016 gab die Bezirkshauptmannschaft als Kinder und Jugendhilfeträger der Zweitbeschwerdeführerin bekannt, die Erstbeschwerde-führerin mit der Pflege und Erziehung der Zweitbeschwerdeführerin zu betrauen. Im Schreiben wurde empfohlen, die Übertragung der Obsorge beim zuständigen Bezirksgericht zu beantragen.

4. Mit Stellungnahme zum Zulassungsverfahren vom 27.07.2016 wurde vorgebracht, dass die Erstbeschwerdeführerin de facto die gesetzliche Vertreterin der Zweitbeschwerdeführerin sei, weil diese seit ihrem zweiten Lebensjahr aufgrund des Todes ihrer Mutter bei der Erstbeschwerdeführerin gelebt habe. Mit der beigelegten Vollmacht vom 27.07.2016 bevollmächtigte die Erstbeschwerdeführerin namentlich drei Personen der Caritas sie in ihrem Asylverfahren zu vertreten.

5. Am 29.07.2016 fand eine Einvernahme der Beschwerdeführerinnen vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) betreffend das Zulassungsverfahren statt. Die Erstbeschwerdeführerin gab zur Obsorge der Zweitbeschwerdeführerin an, dass deren Mutter verstorben sei als die Zweitbeschwerdeführerin zwei Jahre alt gewesen sei. Der Vater der Zweitbeschwerdeführerin habe diese zur Erstbeschwerdeführerin gebracht und sei abgehauen. Sie habe seither das Sorgerecht für die Zweitbeschwerdeführerin, habe diesbezüglich jedoch keine Unterlagen.

Die Zweitbeschwerdeführerin gab an, dass sie telefonischen Kontakt zu ihrem Vater habe. Dieser sei nicht mit nach Österreich gekommen, weil das Geld nicht gereicht habe. Sie wisse nicht wie lange ihr Vater schon im Iran sei, weil sei zwei Jahre alt gewesen sei.

6. Mit Schreiben vom 03.08.2016 wurden Unterlagen bezüglich der schulischen Integration der Zweitbeschwerdeführerin sowie eine Vollmacht des Sohnes der Erst- bzw. dem Onkel der Zweitbeschwerdeführerin, worin er drei namentlich genannte Personen der Caritas bevollmächtigt ihn in seinem Asylverfahren zu vertreten.

7. Mit Vollmachtsbekanntgabe vom 03.12.2016 gab der MigrantInnen Verein St. Marx und dessen Obmann RA Dr. Lennart Binder bekannt, dass diese die Beschwerdeführerinnen sowie den Sohn der Erst- bzw. Onkel der Zweitbeschwerdeführerin im weiteren Verfahren vertreten würden. Unter einem wurden die jeweiligen Vollmachten vom 03.12.2016 vorgelegt. Aus der Vollmacht betreffend die Zweitbeschwerdeführerin geht hervor, dass der Sohn der Erst- bzw. der Onkel väterlicherseits der Zweitbeschwerdeführerin als vermeintlich berechtigter gesetzlicher Vertreter der Zweitbeschwerdeführerin die Vollmacht für diese erteilt hätte.

8. Mit Vollmacht vom 25.01.2017 bevollmächtigten die Erstbeschwerdeführerin und deren Sohn namentlich drei Personen der Caritas sie sowie die Zweitbeschwerde-führerin in ihrem Asylverfahren zu vertreten.

9. Am 03.02.2017 fand eine Einvernahme der Erstbeschwerdeführerin vor dem Bundesamt statt. Im Zuge der Einvernahme widerrief die Erstbeschwerdeführerin die Vollmacht für den MigrantInnen Verein und gab an nur von der Caritas vertreten werden zu wollen. Die Mutter der Zweitbeschwerdeführerin sei verstorben als diese 1 1/2 Jahre alt gewesen sei. Der Vater der Zweitbeschwerdeführerin habe diese zur Erstbeschwerdeführerin gebracht und sei mit seiner älteren Tochter wieder verschwunden. Als die Beschwerdeführerinnen in Österreich gewesen seien, habe der Vater der Zweitbeschwerdeführerin Kontakt zu ihnen aufgenommen und mitgeteilt, dass er nunmehr im Iran aufhältig sei. Zu ihren Fluchtgründen gab sie im Wesentlichen an alles verloren zu haben. Es herrsche Krieg und die Taliban würden Leute umbringen. Einer ihrer Söhne habe gegen die Taliban gekämpft und sei getötet worden. Sie wünsche der Zweitbeschwerdeführerin ein sicheres und gutes Leben.

10. Mit den angefochtenen Bescheiden vom 23.02.2017, betreffend die Zweitbeschwerde-führerin, zugestellt an das Referat für Jugendwohlfahrt des Magistrats, wies das Bundesamt die Anträge der Beschwerdeführerinnen auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) ab, erkannte ihnen jedoch den Status der subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihnen eine befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt III.).

Begründend wurde hinsichtlich Spruchpunkt I. ausgeführt, dass von den Beschwerde-führerinnen keine asylrelevante Verfolgung geltend gemacht worden sei.

11. Mit Vollmachtsbekanntgabe vom 28.02.2017 gaben der MigrantInnen Verein St. Marx und dessen Obmann RA Dr. Lennart Binder bekannt von den Beschwerdeführerinnen sowie dem Sohn der Erstbeschwerdeführerin bevollmächtigt worden zu sein und diese im weiteren Verfahren zu vertreten. Unter einem wurden die jeweiligen Vollmachten vom 21.02.2017 vorgelegt. Aus der Vollmacht betreffend die Zweitbeschwerdeführerin geht hervor, dass der Sohn der Erst- bzw. der Onkel der Zweitbeschwerdeführerin als vermeintlich gesetzlicher Vertreter der Zweitbeschwerdeführerin die Vollmacht für diese erteilt hätte.

12. Der Migrantinnen Verein St. Marx brachte für die Beschwerdeführerinnen Beschwerde gegen Spruchpunkt I. der Bescheide vom 23.02.2017 ein und brachten im Wesentlichen vor, dass den Beschwerdeführerinnen Verfolgung aus ethnischen Gründen wegen ihrer Herkunft als Hazara, wegen Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe "aufgrund der Furcht vor den Taliban" sowie aus geschlechtsspezifischen Gründen drohe. Die Beweiswürdigung des Bundesamtes sei inhaltlich nicht überzeugend. Die Beschwerdeführerinnen könnten als westlich orientierte Frauen mit einer Haltung, die den konventionellen afghanischen Werten widerspricht, keinen Schutz staatlicher Behörden erwarten. Das Bundesamt habe es verabsäumt Recherchen im Herkunftsstaat anzustellen und sich mit der konkreten Situation der Beschwerdeführerinnen und der aktuellen Situation in Afghanistan auseinanderzusetzen, weshalb das Verfahren mangelhaft sei. Zudem wurde beantragt, einen landeskundigen Sachverständigen zu beauftragen sich mit der aktuellen Situation in Afghanistan und den spezifischen von den Beschwerdeführerinnen vorgebrachten Punkten zu befassen.

13. Am 23.01.2018 stellten der MigrantInnen Verein St. Marx, als Vertreter der Beschwerdeführer für diese einen Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte.

14. Am 23.02.2018 fand eine Einvernahme der Erstbeschwerdeführerin vor dem Bundesamt bezüglich ihres Antrags auf Verlängerung des subsidiären Schutzes statt. Die Erstbeschwerde-führerin führte aus, dass der Vater der Zweitbeschwerdeführerin derzeit im Iran lebe und auf einer Baustelle arbeite. Er bekomme ca. 50.000 Toman am Tag, was ca. € 10 entspreche. Er lebe in einer Wohnung und sei neuerlich verheiratet. Die Zweitbeschwerdeführerin habe Kontakt zu ihrem Vater übers Internet. Im Moment verfüge deren Vater jedoch über kein Internet, weshalb sie nicht miteinander kommunizieren könnten. Die Beschwerdeführerinnen würden weder über Angehörige noch über Vermögen oder Liegenschaften in Afghanistan verfügen. Die Zweitbeschwerdeführerin gab zu Protokoll, dass sie nach Afghanistan zurück möchte, weil ihr die Behörde gesagt habe, dass sie von der Erstbeschwerdeführerin getrennt werden solle. Die Erstbeschwerdeführerin gab ebenfalls an wieder nach Afghanistan zurück zu wollen, wenn sie dort eine Unterstützung (Unterkunft) erhalte.

15. Das Bundesamtes erkannte mit Bescheiden vom 15.03.2018 den Beschwerdeführerinnen den zuerkannten Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG von Amts wegen ab (Spruchpunkt I.) und wies ihre Anträge auf Erteilung einer befristeten Aufenthalts-berechtigung ab (Spruchpunkt II.). Es wurde ihnen kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungs-würdigen Gründen erteilt (Spruchpunkt III.). Gegen die Beschwerdeführerinnen wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Entscheidung eingeräumt (Spruchpunkt VI.). Der Bescheid der Zweitbeschwerdeführerin wurde zuhanden des MigrantInnenvereins St. Marx zugestellt.

Das Bundesamt führte begründend aus, dass sich die Lage sowohl in Afghanistan per se als auch speziell in Kabul dahingehend geändert habe, dass etliche Reintegrationsprogramme für alleinstehende Personen ohne familiären Anhang und solche, die selbst nie in Afghanistan gelebt haben, eingeführt worden seien und seitdem mit Erfolg betrieben werden würden. Das Bundesamt habe nicht verkannt, dass es sich bei der Erstbeschwerdeführerin um eine ältere alleinstehende Frau und der Zweitbeschwerdeführerin um ein minderjähriges Mädchen handle, welche gegebenenfalls zusammen ohne männlichen Schutz in Afghanistan größeren Gefahren ausgesetzt sein könnten. Derartige Befürchtungen seien jedoch nie geäußert, sondern sei im Gegenteil ein Antrag auf unterstützte freiwillige Ausreise gestellt worden.

16. Der MigrantInnen Verein St. Marx erhob als Vertreter für die Beschwerdeführerinnen gegen die Bescheide des Bundesamtes vom 15.03.2018 Beschwerde und brachten im Wesentlichen vor, dass lediglich pauschal auf die Länderberichte verwiesen worden sei, aus denen sich insbesondere in Kabul eine Verschlechterung der Sicherheitslage und eine anhaltend katastrophale wirtschaftliche Situation ergibt. Bei den Beschwerdeführerinnen handle es sich um besonders vulnerable Personen, was selbst das Bundesamt nicht bestritten habe. Das Bundesamt sei der Verpflichtung konkrete Recherchen zum persönlichen Vorbringen durchzuführen, nicht nachgekommen, was eine Verletzung des Willkürverbots bzw. des Verbots der Ungleichbehandlung Fremder untereinander darstelle. Zudem stehe § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG in Widerspruch zur Richtline 2011/95/EU vom 13.12.2011 (Statusrichtlinie), da Art. 16 Abs. 2 der Statusrichtlinie, da sich die Umstände, die zur Zuerkennung geführt haben, dauerhaft und nicht nur vorübergehend verändert haben müssen. Da das Bundesamt selbst zugegeben habe, dass die Beschwerdeführerinnen im Falle einer Abschiebung nach Afghanistan gravierenden Risiken ausgesetzt wären, sei nicht nachvollziehbar worin das Bundesamt die Voraussetzungen der Aberkennung als gegeben angenommen habe. Den Beschwerdeführerinnen sei weiterhin subsidiärer Schutz zu gewähren.

17. Mit Beschluss eines Bezirksgerichts vom 02.05.2018 wurde die Obsorge für die Zweitbeschwerdeführerin der Erstbeschwerdeführerin übertragen.

18. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 23.05.2018 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari und im Beisein des Rechtsvertreters der Erstbeschwerdeführerin eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. In dieser wurde eine Vollmacht vom 12.02.2018 betreffend die Zweitbeschwerdeführerin, vertreten durch die Erstbeschwerdeführerin, vorgelegt, mit der der Verein MigrantInnen Verein und dessen Obmann RA Dr. Lennart Binder zur Vertretung der Zweitbeschwerdeführerin bevollmächtigt wurde. Die Verhandlung wurde zur weiteren Einvernahme der Beschwerdeführerinnen vertagt. Das Gericht erörterte in der Verhandlung, dass der Bescheid vom 15.03.2018 betreffen die Zweitbeschwerdeführerin ausschließlich an den MigrantInnenverein St. Marx zugestellt worden sei, die Obsorge für die Zweitbeschwerdeführerin, und somit die gesetzliche Vertretungsbefugnis, lag zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht bei der Erstbeschwerdeführerin, sondern beim Jugendwohlfahrtsträger.

19. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.06.2018 wurde die Beschwerde betreffend das Aberkennungsverfahren des subsidiären Schutzes der Zweitbeschwerde-führerin als unzulässig zurückgewiesen, weil der Bescheid vom 15.03.2018 gegenüber der minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin nicht wirksam erlassen wurde, da ein nicht-heilbarer Zustellmangel vorlag.

20. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 11.09.2018 wurde der Zweitbeschwerdeführerin die Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG bis zum 23.02.2020 erteilt, einem Antrag der Zweitbeschwerdeführerin vom 10.09.2018 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung wurde stattgegeben. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 17.09.2018 wurde der Erstbeschwerdeführerin ebenfalls eine Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG bis zum 23.02.2020 erteilt.

21. Mit Schreiben vom 12.10.2018 brachte das Bundesamt vor, dass der gemeinsam mit den Beschwerdeführerinnen nach Österreich eingereiste Sohn der Erst- bzw. Onkel der Zweitbeschwerdeführerin am 04.10.2018 in seinen Herkunftsstaat zurückgekehrt sei. Das Bundesamt habe Zweifel an der Fähigkeit der Erstbeschwerdeführerin die Obsorge für die Zweitbeschwerdeführerin auszuüben, weshalb der Antrag auf Beischaffung der Gerichtsakten des Pflegschaftsgerichts, alternativ um Anregung der Änderung der Obsorge an das zuständige Bezirksgericht gestellt werde, sollte die Beschwerde zum Verfahren auf internationalen Schutz bzw. zum Aberkennungsverfahren nicht abgewiesen werden. Es werde beantragt die die Beschwerden betreffend Spruchpunkt I. des Bescheides vom 23.02.2017 (§ 3 AsylG) sowie betreffend den Bescheid vom 15.03.2018 (Aberkennungsverfahren) abzuweisen. Es bestehe kein Abhängigkeitsverhältnis zwischen der Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin.

22. Mit Parteiengehör vom 23.10.2018 wurde den Parteien die Anfragebeantwortungen betreffend die gesetzliche Vertretung von Minderjährigen (Guardianship) in Afghanistan vom 18.07.2018 übermittelt.

23. Mit undatierter Vollmacht, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 29.10.2018, bevollmächtigte die Erstbeschwerdeführerin als gesetzliche Vertreterin der Zweitbeschwerdeführerin den Magistrat XXXX die Zweitbeschwerdeführerin in ihrem Asylverfahren zu vertreten.

24. Mit Stellungnahme der Zweitbeschwerdeführerin vom 31.10.2018, vertreten durch den Magistrat XXXX , wurde vorgebracht, dass sie im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan Gefahr liefe aus finanzieller Not heraus (zwangs)verheiratet zu werden oder in ausbeuterische Arbeitsverhältnisse zu gelangen. Der Zweitbeschwerdeführerin sei als Mitglied der sozialen Gruppe der alleinstehenden Kinder der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen.

25. Mit Stellungnahme der Zweitbeschwerdeführerin vom 13.11.2018, vertreten durch den Magistrat XXXX , wurde vorgebracht, dass sich aufgrund der Angaben der Erstbeschwerdeführerin vor dem Hintergrund der Anfragebeantwortung der Staaten-dokumentation vom 18.07.2018, ergebe, dass die Obsorge der Zweitbeschwerdeführerin nach afghanischem Recht im Zeitpunkt der Einreise nach Österreich der Erstbeschwerdeführerin zugekommen sei. Die Erstbeschwerdeführerin sei daher Familienangehörige iSd § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG der Zweitbeschwerdeführerin. Die von der Erstbeschwerdeführerin eingebrachte Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des Bescheides vom 23.02.2017 gelte daher auch für die Zweitbeschwerdeführerin. Zudem sei der Erstbeschwerdeführerin gem. § 34 AsylG derselbe Schutzstatus wie der Zweitbeschwerdeführerin zuzuerkennen.

26. Am 15.11.2018 wurde die mündliche Verhandlung in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari sowie im Beisein des Rechtsvertreters der Erstbeschwerdeführerin und der Rechtsvertreterin der Zweitbeschwerdeführerin und eines Vertreters des Bundesamtes fortgesetzt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zum Verfahrensgang:

1.1.1. Die Beschwerdeführerinnen stellten am 16.02.2016 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.

1.1.2. Mit Schreiben einer Bezirkshauptmannschaft als Kinder- und Jugendhilfeträger der Zweitbeschwerdeführerin vom 10.03.2016 wurde deren Großmutter - die Erstbeschwerde-führerin - mit der Pflege und Erziehung der minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin betraut. Es wurde der Erstbeschwerdeführerin empfohlen die Übertragung der Obsorge beim zuständigen Bezirksgericht zu beantragen.

1.1.3. Mit Bescheid vom 23.02.2017 wurde der Antrag der Beschwerdeführerinnen auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten abgewiesen. Ihnen wurde jedoch der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt.

1.1.4. Mit Vollmacht vom 21.02.2017 bevollmächtigte der Onkel der minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin den MigrantInnen Verein St. Marx und dessen Obmann RA Dr. Lennart Binder die Zweitbeschwerdeführerin zu vertreten. Die Erstbeschwerdeführerin bevollmächtigte ebenfalls den MigrantInnen Verein St. Marx mit ihrer Vertretung. Die Obsorge für die Zweitbeschwerdeführerin in Österreich lag zu diesem Zeitpunkt beim Jugendwohlfahrtsträger und nicht bei der Erstbeschwerdeführerin und auch nicht beim Onkel der Zweitbeschwerdeführerin.

1.1.5. Der Migrantinnen Verein St. Marx brachte als Vertreter der Beschwerdeführerinnen eine Beschwerde vom 21.03.2017, gegen Spruchpunkt I. der Bescheide vom 23.02.2017, ein. Die Beschwerde wurde vom Migrantinnen Verein St. Marx unterzeichnet.

1.1.6. Mit Vollmacht vom 12.02.2018 bevollmächtigte die Erstbeschwerdeführerin den MigrantInnen Verein und dessen Obmann RA Dr. Lennart Binder die Zweitbeschwerde-führerin zu vertreten.

1.1.7. Mit Beschluss eines Bezirksgerichts vom 02.05.2018 wurde die Obsorge für die minderjährige Zweitbeschwerdeführerin auf die Erstbeschwerdeführerin übertragen.

1.1.8. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 11.09.2018 wurde der Zweitbeschwerdeführerin die Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG bis zum 23.02.2020 erteilt.

1.1.9. Mit undatierter Vollmacht, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 29.10.2018, bevollmächtigte die Erstbeschwerdeführerin als gesetzliche Vertreterin der Zweitbeschwerdeführerin das Magistrat XXXX die Zweitbeschwerdeführerin in ihrem Asylverfahren zu vertreten.

1.2. Zur Person der Beschwerdeführerinnen:

Die Erstbeschwerdeführerin führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum

XXXX . Sie ist die Großmutter väterlicherseits der minderjährigen

Zweitbeschwerde-führerin, die den Namen XXXX und das Geburtsdatum

XXXX führt. Die Beschwerdeführerinnen sind afghanische

Staatsangehörige, gehören der Volksgruppe der Hazara an und bekennen

sich zum schiitisch-muslimischen Glauben. Die Erstbeschwerdeführerin

ist verwitwet, die Zweitbeschwerdeführerin ledig (W251 2151593-1 =

BF 1 Akt 1, S. 1, 117, 249; Verhandlungsprotokoll vom 23.05.2018 =

VP 1, S. 10).

Die Erstbeschwerdeführerin wurde in der Provinz XXXX , im Distrikt XXXX , im Dorf XXXX geboren und ist dort aufgewachsen. Sie ist verwitwet und hat vier Söhne, wovon einer bereits verstorben ist (BF 1 Akt 1, S. 3, 155; VP 1, S. 10 f). Die Erstbeschwerdeführerin hat keine Schule besucht, sie ist Analphabetin (BF 1 Akt 1, S. 1, 121, 151, 265; VP 1, S. 10). Die Erstbeschwerdeführerin ist ca. im Jahr 2009 in den Iran gezogen (AS 261). Sie hat in Afghanistan und im Iran als Reinigungskraft und in der Landwirtschaft gearbeitet (VP 1, S. 10).

Die Zweitbeschwerdeführerin wurde in Afghanistan geboren. Als die Zweitbeschwerde-führerin ca. 1 1/2 oder 2 Jahre alt gewesen ist, ist deren Mutter gestorben. Der Vater der Zweitbeschwerdeführerin hat diese kurz nach dem Tod der Mutter der Zweitbeschwerde-führerin der Erstbeschwerdeführerin übergeben. Die Zweitbeschwerdeführerin hat seither bei der Erstbeschwerdeführerin gewohnt und wurde von dieser großgezogen (BF 1 Akt 1, S. 5,11, 153; VP 1, S. 16; Verhandlungsprotokoll vom 15.11.2018 = VP 2, S. 9, 11 f, 13 f, 15 f).

Die Erstbeschwerdeführerin und der Vater der Zweitbeschwerdeführerin waren in Afghanistan und im Iran die Obsorgeberechtigten der Zweitbeschwerdeführerin. Mit Beschluss des Bezirksgerichts XXXX vom 02.05.2018 wurde die Obsorge über die Zweitbeschwerdeführerin in Österreich der Erstbeschwerdeführerin übertragen (W251 2151592-1 = BF 2, OZ 6).

Der mit den Beschwerdeführerinnen nach Österreich gereiste Sohn der Erstbeschwerde-führerin bzw. Onkel väterlicherseits der Zweitbeschwerdeführerin ist nach Afghanistan zurückgekehrt und lebt nunmehr bei einem Neffen der Erstbeschwerdeführerin in der Stadt Mazar-e Sharif. Die Erstbeschwerdeführerin hat regelmäßig Kontakt zu ihrem Sohn in Afghanistan (VP 1, S. 11; VP 2, S. 14).

Die Beschwerdeführerinnen verfügen über zwei Söhne und eine Enkeltochter sowie zwei Brüder (Erstbeschwerdeführerin) bzw. ihren Vater, ihre Schwester und einen Onkel väterlicherseits sowie zwei Großonkel (Zweitbeschwerdeführerin) in Afghanistan bzw. im Iran (VP 1, S. 12; VP 2, S. 9 f, 15). Der Vater der Zweitbeschwerdeführerin arbeitet als Hilfsarbeiter auf Baustellen im Iran und ist neuerlich verheiratet (W251 2151593-2 = BF 1 Akt 2, S. 93 f). Die Beschwerdeführerinnen haben regelmäßig Kontakt zum Vater der Zweitbeschwerdeführerin (VP 2, S. 10 f).

Die Beschwerdeführerinnen sind unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich eingereist. Sie sind seit ihrer Antragstellung am 16.02.2016, aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG durchgehend rechtmäßig in Österreich aufhältig. (BF 1 Akt 1, S. 1 ff).

Die Erstbeschwerdeführerin hat an keinen Deutsch- oder Integrationskursen teilgenommen. Sie verfügt über keine Deutschkenntnisse. Sie geht in Österreich weder einer beruflichen Tätigkeit nach noch übt sie gemeinnützige Tätigkeiten aus oder beteiligt sich aktiv in einem Verein oder ihrer Nachbarschaft. Sie lebt von der Grundversorgung und hat abgesehen zu BetreuerInnen und Nachbarn keine Kontakte zu Österreichern (VP 1, S. 12 ff).

Die Zweitbeschwerdeführerin besuchte im Schuljahr 2015/2016 (BF 2, S. 75) und 2017/2018 eine öffentliche Volksschule (VP 2, S. 8; Beilage ./G).

Bei der Erstbeschwerdeführerin liegen drei XXXX ( XXXX ) sowie XXXX vor (BF 1 Akt 1, S. 49, 11, 145 [alle drei ident]; S. 227, 231, 273; BF 1 Akt 2, S. 15-41). Sie leidet an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten. Sie nimmt Medikamente (BF 1 Akt 2, S. 55-71). Es kann jedoch nicht festgestellt werden wofür bzw. gegen welche Beschwerden diese Medikamente genommen werden.

Die Zweitbeschwerdeführerin leidet an Diabetes XXXX . Sie steht in regelmäßiger Betreuung der Diabetesambulanz und der psychosomatischen Abteilung (Beilage ./E und ./F).

Die Erstbeschwerdeführerin wurde mit Beschluss eines Bezirksgerichtes vom 09.04.2018, rechtskräftig seit 26.07.2018, wegen des Vergehens des Diebstahls als Bestimmungstäterin nach §§ 12 zweiter Fall, 127 StGB zu einer Freiheitsstrafe von drei Wochen verurteilt, die unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren bedingt nachgesehen wurde.

Die Zweitbeschwerdeführerin ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.3. Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführerinnen:

Das vom Beschwerdeführer ins Treffen geführte Verfolgungsvorbringen kann nicht festgestellt werden.

1.3.1. Die Beschwerdeführerinnen sind weder von staatlichen Organen noch von Privatpersonen konkret und individuell mit der Ausübung von physischer und/oder psychischer Gewalt bedroht worden. Die Beschwerdeführerinnen können in ihrer Heimatprovinz auf familiäre Unterstützung durch die Schwester, den Sohn und den Neffen der Erstbeschwerdeführerin zurückgreifen, die ebenfalls in derselben Provinz leben.

1.3.2. Den Beschwerdeführerinnen droht aufgrund ihrer ethnisch-religiösen Zugehörigkeit zu den schiitischen Hazara in Afghanistan konkret und individuell keine physische oder psychische Gewalt.

1.3.3. Die Beschwerdeführerinnen sind in Afghanistan allein aufgrund ihres Geschlechts keiner asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt.

Den Beschwerdeführerinnen droht in Afghanistan auch nicht die Gefahr zwangsverheiratet zu werden.

1.3.4. Bei der Erstbeschwerdeführerin handelt es sich nicht um eine auf Eigenständigkeit bedachte Frau, die in ihrer persönlichen Wertehaltung und in ihrer Lebensweise an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als westlich bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert ist. Sie spricht kein Deutsch und kann weder lesen noch schreiben. Sie kümmert sich in Österreich primär um den Haushalt und ihre Enkeltochter. Sie hat abgesehen von ihren BetreuerInnen keine Kontakte zu Österreichern. Sie bedarf einer Unterstützung im Alltag durch ihre Enkeltochter sowie durch BetreuerInnen.

Es kann auch nicht festgestellt werden, dass es der Zweitbeschwerdeführerin unmöglich oder unzumutbar ist, sich (wieder) in das afghanische Gesellschaftssystem zu integrieren.

1.3.5. Der Zweitbeschwerdeführerin droht auf Grund ihres Alters bzw. vor dem Hintergrund der Situation der Kinder in Afghanistan weder physische oder psychische Gewalt noch ist sie deswegen einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt.

In Afghanistan besteht Schulpflicht, ein Schulangebot ist faktisch auch vorhanden. Die Provinz Balkh ist eine der stablisten Provinzen, diese ist nicht unter Kontrolle der Taliban. Es besteht daher keine Gefahr einer Verfolgung, wenn der Zweitbeschwerdeführerin eine grundlegende Bildung zukommt. Der Vater bzw. die Erstbeschwerdeführerin würden einen Schulbesuch der Zweitbeschwerdeführerin in Afghanistan nicht verhindern, sondern diese beim Schulbesuch unterstützen.

1.4. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Sicherheitslage

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (Länderinformationsblatt für Afghanistan vom 29.06.2018 mit Kurzinformation vom 19.10.2018 - LIB 19.10.2018, S.36).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (LIB 19.10.2018, S. 37).

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren. Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt) bedrohen. Dies ist den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zuzuschreiben (LIB 19.10.2018, S. 39).

Im Jänner 2018 waren 56.3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14.5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29.2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (LIB 19.10.2018, S. 47).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht. In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt. Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheits-operationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden; auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (LIB 19.10.2018, S. 40).

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (LIB 19.10.2018, S. 40). Die Auflistung der high-profile Angriffe zeigt, dass die Anschläge in großen Städten, auch Kabul, hauptsächlich im Nahebereich von Einrichtungen mit Symbolcharakter (Moscheen, Tempel bzw. andere Anbetungsorte), auf Botschaften oder auf staatliche Einrichtungen stattfinden. Diese richten sich mehrheitlich gezielt gegen die Regierung, ausländische Regierungen und internationale Organisationen (LIB 19.10.2018, S.40 ff).

Balkh

Die Provinz Balkh liegt in Nordafghanistan; sie ist geostrategisch gesehen eine wichtige Provinz und bekannt als Zentrum für wirtschaftliche und politische Aktivitäten. Sie hat 15 administrative Einheiten; die Provinzhauptstadt ist Mazar-e Sharif. Die Provinz grenzt im Norden an Tadschikistan und Usbekistan. Die Provinz Samangan liegt sowohl östlich als auch südlich von Balkh. Die Provinzen Kunduz und Samangan liegen im Osten, Jawzjan im Westen und Sar-e Pul im Süden. Balkh grenzt an drei zentralasiatische Staaten: Turkmenistan, Usbekistan und Tadschikistan. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.382.155 geschätzt (LIB 19.10.2018, S.79).

Die Hauptstadt Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana [Anm.: Provinzhauptstadt Faryab] und Pul-e-Khumri [Anm.:

Provinzhauptstadt Baghlan]; sie ist gleichzeitig ein Wirtschaftsund Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst. Die Infrastruktur ist jedoch noch unzureichend und behindert die weitere Entwicklung der Region. Viele der Straßen, vor allem in den gebirgigen Teilen des Landes, sind in schlechtem Zustand, schwer zu befahren und im Winter häufig unpassierbar. In Mazar-e Sharif gibt es einen internationalen Flughafen LIB 19.10.2018, S.79 f, 236).

Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans, sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan. Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften oder zu Angriffen auf Einrichtungen der Sicherheitskräfte (LIB 19.10.2018, S.80).

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (LIB 19.10.2018, S.80).

Religionsfreiheit

Etwa 99,7% der Bevölkerung sind Muslime, davon sind 84,7-89,7% Sunniten. Schätzungen zufolge, sind etwa 10-19% der Bevölkerung Schiiten. Andere in Afghanistan vertretene Glaubensgemeinschaften wie z.B. Sikhs, Hindus, Baha'i und Christen machen zusammen nicht mehr als 1% der Bevölkerung aus (LIB 19.10.2018, S. 279).

Hindus, Sikhs und Schiiten, speziell jene, die den ethnischen Hazara angehören, sind Diskriminierung durch die sunnitische Mehrheit ausgesetzt (LIB 19.10.2018, S. 281).

Schiiten

Die Bevölkerung schiitischer Muslime wird auf 10 - 15% geschätzt. Zur schiitischen Bevölkerung zählen die Ismailiten und ein Großteil der ethnischen Hazara. Die meisten Hazara-Schiiten gehören der Jafari-Sekte (Zwölfer-Sekte) an. Im letzten Jahrhundert ist allerdings eine Vielzahl von Hazara zur Ismaili-Sekte übergetreten. Es gibt einige Hazara-Gruppen, die zum sunnitischen Islam konvertierten. In Uruzgan und vereinzelt in Nordafghanistan leben einige schiitische Belutschen. Afghanische Schiiten und Hazara neigen dazu, weniger religiös und gesellschaftlich offener zu sein als ihre Glaubensbrüder im Iran (LIB 19.10.2018, S. 282).

Obwohl einige schiitischen Muslime höhere Regierungsposten bekleiden, behaupten Mitglieder der schiitischen Minderheit, dass die Anzahl dieser Stellen die demographischen Verhältnisse des Landes nicht reflektiere; auch vernachlässige die Regierung in mehrheitlich schiitischen Gebieten die Sicherheit. Das afghanische Ministry of Hajj and Religious Affairs (MOHRA) erlaubt sowohl Sunniten als auch Schiiten Pilgerfahrten zu unternehmen (LIB 19.10.2018, S. 282).

Im Ulema-Rat, der nationalen Versammlung von Religionsgelehrten, die u. a. dem Präsidenten in der Festlegung neuer Gesetze und Rechtsprechung beisteht, beträgt die Quote der schiitischen Muslime ca. 30%. Des Weiteren tagen rechtliche, konstitutionelle und menschenrechtliche Kommissionen, welche aus Mitgliedern der sunnitischen und schiitischen Gemeinschaften bestehen und von der Regierung unterstützt werden, regelmäßig, um die interkonfessionelle Schlichtung zu fördern (LIB 19.10.2018, S. 282).

Beobachtern zufolge ist die Diskriminierung der schiitischen Minderheit durch die sunnitische Mehrheit zurückgegangen; dennoch existieren Berichte zu lokalen Diskriminierungsfällen. Afghanischen Schiiten ist es möglich, ihre Feste öffentlich zu feiern; einige Paschtunen sind jedoch wegen der Feierlichkeiten missgestimmt, was gelegentlich in Auseinandersetzungen mündet. In den Jahren 2016 und 2017 wurden schiitische Muslime, hauptsächlich ethnische Hazara, oftmals Opfer von terroristischen Angriffen u.a. der Taliban und des IS (LIB 19.10.2018, S. 282 f).

Es wurde zwar eine steigende Anzahl von Angriffen gegen Glaubensstätten, religiöse Führer sowie Gläubige registriert, wovon ein Großteil der zivilen Opfer schiitische Muslime waren. Die Angriffe haben sich jedoch nicht ausschließlich gegen schiitische Muslime, sondern auch gegen sunnitische Moscheen und religiöse Führer gerichtet (LIB 19.10.2018, S. 43 ff).

Angehörige der Schiiten sind in Afghanistan allein aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit keiner psychischen und/oder physischen Gewalt ausgesetzt.

Ethnische Minderheiten

In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2017 mehr als 34.1 Millionen Menschen. Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht.

Schätzungen zufolge, sind: 40% Pashtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara und 9% Usbeken. Auch existieren noch andere ethnische Minderheiten, wie z.B. die Aimaken, die ein Zusammenschluss aus vier semi-nomadischen Stämmen mongolisch, iranischer Abstammung sind, sowie die Belutschen, die zusammen etwa 4 % der Bevölkerung ausmachen (LIB 19.10.2018, S. 289).

Artikel 4 der Verfassung Afghanistans besagt: "Die Nation Afghanistans besteht aus den Völkerschaften der Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Paschai, Nuristani, Aimaq, Araber, Kirgisen, Qizilbasch, Gojar, Brahui und anderen Völkerschaften. Das Wort ‚Afghane' wird für jeden Staatsbürger der Nation Afghanistans verwendet.". Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Art. 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht: Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri. Es werden keine bestimmten sozialen Gruppen ausgeschlossen. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz, beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen (LIB 19.10.2018, S. 289 f).

Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung rechtlich verankert, wird allerdings in der gesellschaftlichen Praxis immer wieder konterkariert. Soziale Diskriminierung und Ausgrenzung anderer ethnischer Gruppen und Religionen im Alltag besteht fort und wird nicht zuverlässig durch staatliche Gegenmaßnahmen verhindert. Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (LIB 19.10.2018, S. 290).

Hazara

Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 10% der Bevölkerung. Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt und unter der Bezeichnung Hazaradschat (azarajat) bekannt ist. Das Kernland dieser Region umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz Wardak. Es können auch einzelne Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul dazugerechnet werden. Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind einerseits ihr ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild, woraus gern Schlussfolgerungen über eine turko-mongolische Abstammung der Hazara gezogen werden; andererseits gehören ethnische Hazara hauptsächlich dem schiitischen Islam an (mehrheitlich Zwölfer-Schiiten). Eine Minderheit der Hazara, die vor allem im nordöstlichen Teil des Hazaradschat leben, sind Ismailiten (LIB 19.10.2018, S. 291 f).

Die Hazara-Gemeinschaft/Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Familie bzw. dem Klan. Die sozialen Strukturen der Hazara werden manchmal als Stammesstrukturen bezeichnet; dennoch bestehen in Wirklichkeit keine sozialen und politischen Stammesstrukturen. Das traditionelle soziale Netz der Hazara besteht größtenteils aus der Familie, obwohl gelegentlich auch politische Führer einbezogen werden können (LIB 19.10.2018, S. 292).

Nicht weniger wichtig als Religion und Abstammung ist für das ethnische Selbstverständnis der Hazara eine lange Geschichte von Unterdrückung, Vertreibung und Marginalisierung. Jahrzehntelange Kriege und schwere Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben. Dennoch hat sich die Lage der Hazara, die während der Taliban- Herrschaft besonders verfolgt waren, grundsätzlich verbessert; vornehmlich aufgrund von Bildung und vor allem auf ökonomischem und politischem Gebiet. Hazara in Kabul gehören jetzt zu den am besten gebildeten Bevölkerungsgruppen und haben auch eine Reihe von Dichtern und Schriftstellern hervorgebracht. Auch wenn es nicht allen Hazara möglich war diese Möglichkeiten zu nutzen, so haben sie sich dennoch in den Bereichen Bildung, öffentliche Verwaltung und Wirtschaft etabliert (LIB 19.10.2018, S. 292).

So haben Hazara eine neue afghanische Mittelklasse gegründet. Im Allgemeinen haben sie, wie andere ethnische Gruppen auch, gleichwertigen Zugang zum Arbeitsmarkt. Nichtsdestotrotz, sind sie von einer allgemein wirtschaftlichen Verschlechterung mehr betroffen als andere, da für sie der Zugang zu Regierungsstellen schwieriger ist - außer ein/e Hazara ist selbst Abteilungsleiter/in. In der afghanischen Gesellschaft existiert die Auffassung, dass andere ethnische Gruppierungen schlecht bezahlte Jobs Hazara geben. Mitglieder der Hazara-Ethnie beschweren sich über Diskriminierung während des Bewerbungsprozesses, da sie anhand ihrer Namen leicht erkennbar sind. Die Ausnahme begründen Positionen bei NGOs und internationalen Organisationen, wo das Anwerben von neuen Mitarbeitern leistungsabhängig ist. Arbeit für NGOs war eine Einnahmequelle für Hazara - nachdem nun weniger Hilfsgelder ausbezahlt werden, schrauben auch NGOs Jobs und Bezahlung zurück, was unverhältnismäßig die Hazara trifft. Die Arbeitsplatzanwerbung erfolgt hauptsächlich über persönliche Netzwerke; Hazara haben aber aufgrund vergangener und anhaltender Diskriminierung eingeschränkte persönliche Netzwerke (LIB 19.10.2018, S. 292 f).

Gesellschaftliche Spannungen bestehen fort und leben lokal in unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf; soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten finden ihre Fortsetzung in Erpressungen (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Festnahmen (LIB 19.10.2018, S. 293).

Angehörige der Hazara sind in Afghanistan allein aufgrund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit keiner psychischen und/oder physischen Gewalt ausgesetzt.

Medizinische Versorgung

Es gibt keine staatliche Krankenkasse und die privaten Anbieter sind überschaubar und teuer, somit für die einheimische Bevölkerung nicht erschwinglich. Eine begrenzte Zahl staatlich geförderter öffentlicher Krankenhäuser bieten kostenfreie medizinische Versorgung. Alle Staatsbürger haben Zugang zu medizinischer Versorgung und Medikamenten. Die Kosten für Medikamente in diesen Einrichtungen weichen vom lokalen Marktpreis ab. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e-Sharif, Herat und Kandahar. Medikamente sind auf jedem Markt in Afghanistan erwerblich, Preise variieren je nach Marke und Qualität des Produktes (LIB 19.10.2018, S. 332f).

Psychische Erkrankungen sind in öffentlichen und privaten Klinken grundsätzlich behandelbar. Die Behandlung in privaten Kliniken ist für Menschen mit durchschnittlichen Einkommen nicht leistbar. In öffentlichen Krankenhäusern müssen die Patienten nichts für ihre Aufnahme bezahlen. In Kabul gibt es zwei psychiatrische Einrichtungen: das Mental Health Hospital und die Universitätsklinik Aliabad. Zwar gibt es traditionelle Methoden bei denen psychisch Kranke in spirituellen Schreinen unmenschlich behandelt werden. Es gibt jedoch aktuelle Bemühungen, die Akzeptanz und Kapazitäten für psychiatrische Behandlungsmöglichkeiten zu stärken und auch Aufklärung zu betreiben. Die Bundesregierung finanziert Projekte zur Verbesserung der Möglichkeiten psychiatrischer Behandlung und psychologischer Begleitung in Afghanistan (LIB 19.10.2018, S. 334 f). In Mazar-e Sharif gibt es ein privates neuropsychiatrisches Krankenhaus (Alemi Hospital) und ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus (LIB 19.10.2018, S. 334).

Frauen

Die konkrete Situation von Frauen in Afghanistan ist erheblich von Faktoren wie Herkunft, Familie, Bildungsstand, finanzieller Situation und Religiosität abhängig. Obwohl sich die Lage afghanischer Frauen in den letzten Jahren erheblich verbessert hat, kämpfen viele weiterhin mit Diskriminierung auf einer Vielzahl von Ebenen, wie rechtlich beruflich, politisch und sozial. Gewalt gegen Frauen bleibt weiterhin ein ernsthaftes Problem. Frauen im Berufsleben und in der Öffentlichkeit müssen oft gegen Belästigung und Schikane kämpfen und sehen sich oft Drohungen ausgesetzt (Bericht der Staatendokumentation über Frauen in urbanen Zentren vom 18.09.2017 - Beilage ./IV, S. 10).

Frauenkleidung umfasst in Afghanistan ein breit gefächertes Spektrum, von moderner westlicher Kleidung, über farbenreiche volkstümliche Trachten, bis hin zur Burka und Vollverschleierung - diese unterscheiden sich je nach Bevölkerungsgruppe. Während Frauen in urbanen Zentren wie Kabul, Mazar-e Sharif und Herat häufig den sogenannten "Manteau shalwar" tragen, d.h. Hosen und Mantel mit verschiedenen Arten der Kopfbedeckung, bleiben konservativere Arten der Verschleierung, wie der Chador und die Burka (in Afghanistan Chadri genannt) weiterhin, auch in urbanen Gebieten, vertreten (Beilage ./IV, S. 2).

Das Recht auf Bildung wurde den Frauen nach dem Fall der Taliban im Jahr 2001 eingeräumt. Laut Verfassung haben alle afghanischen Staatsbürger/innen das Recht auf Bildung. Öffentliche Kindergärten und Schulen sind bis zur Hochschulebene kostenlos. Private Bildungseinrichtungen und Universitäten sind kostenpflichtig (LIB 19.10.2018, S. 299). Im Mai 2016 eröffnete in Kabul die erste Privatuniversität für Frauen im Moraa Educational Complex, mit dazugehörendem Kindergarten und Schule für Kinder der Studentinnen. Die Universität bietet unter anderem Lehrveranstaltungen für Medizin, Geburtshilfe etc. an (LIB 19.10.2018, S. 300).

Frauen in urbanen Zentren wie Kabul, Herat und Mazar-e Sharif sind in einer Vielzahl von beruflichen Feldern aktiv. Frauen arbeiten sowohl im öffentlichen Dienst, als auch in der Privatwirtschaft. Sie arbeiten im Gesundheitsbereich, in der Bildung, den Medien, als Polizistinnen und Beamtinnen, usw. Sie sind jedoch mannigfaltigen Schwierigkeiten im Berufsleben ausgesetzt, die von Diskriminierung in der Einstellung und im Gehalt, über Schikane und Drohungen bis zur sexuellen Belästigung reichen. Frauen der Mittel- und Unterschicht kämpfen mit erschwertem Zugang zum Arbeitsmarkt und Lohnungleichheit. Dazu müssen Frauen unverhältnismäßig oft unbezahlte Arbeit leisten (Beilage ./IV, S. 22). In urbanen Zentren werden zudem vermehrt Freizeitangebote speziell für Frauen angeboten (Beilage ./IV, S. 29 ff).

Die Einstellung gegenüber der Berufstätigkeit von Frauen hat sich in Afghanistan in den letzten Jahren geändert; dies hängt auch mit den NGOs und den privaten Firmen zusammen, die in Afghanistan aktiv sind. Die städtische Bevölkerung hat kaum ein Problem mit der Berufstätigkeit ihrer Ehefrauen oder Töchter. In den meisten ländlichen Gemeinschaften sind konservative Einstellungen nach wie vor präsent, weshalb viele Frauen im ländlichen Afghanistan, aus Furcht vor sozialer Ächtung, keiner Arbeit außerhalb des Hauses nachgehen (LIB 19.10.2018, S. 301).

Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt ist weit verbreitet. Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen finden zu über 90% innerhalb der Familienstrukturen statt. Die Gewalttaten reichen von Körperverletzung und Misshandlung über Zwangsehen bis hin zu Vergewaltigung und Mord. Zu geschlechtsspezifischer und sexueller Gewalt zählen außerdem noch die Praxis der badal-Hochzeiten (Frauen und Mädchen, die im Rahmen von Heiratsabmachungen zwischen Familien getauscht werden) bzw. des ba'ad (Mädchen, die zur Konfliktlösung abgegeben werden) (LIB 19.10.2018, S. 305 f).

Kinder

Die Situation der Kinder hat sich in den vergangenen Jahren verbessert. So werden mittlerweile rund zwei Drittel aller Kinder eingeschult. Während Mädchen unter der Taliban-Herrschaft fast vollständig vom Bildungssystem ausgeschlossen waren, machen sie von den heute ca. acht Millionen Schulkindern rund drei Millionen aus. Der Anteil der Mädchen nimmt jedoch mit fortschreitender Klassen- und Bildungsstufe ab. Den geringsten Anteil findet man im Süden und Südwesten des Landes (Helmand, Uruzgan, Zabul und Paktika). Landesweit gehen in den meisten Regionen Mädchen und Buben in der Volksschule in gemischten Klassen zur Schule; erst in der Mittel- und Oberstufe werden sie getrennt (LIB 19.10.2018, S. 313).

Der Schulbesuch ist in Afghanistan bis zur Unterstufe der Sekundarbildung Pflicht (die Grundschule dauert sechs Jahre und die Unterstufe der Sekundarbildung drei Jahre). Das Gesetz sieht kostenlose Schulbildung bis zum Hochschulniveau vor (LIB 19.10.2018, S. 313).

Aufgrund von Unsicherheit, konservativen Einstellungen und Armut haben Millionen schulpflichtiger Kinder keinen Zugang zu Bildung - insbesondere in den südlichen und südwestlichen Provinzen. Manchmal fehlen auch Schulen in der Nähe des Wohnortes. Jedoch wird durch UNICEF in Dorfgemeinschaften, die mehr als drei Kilometer von einer ordentlichen Schule entfernt sind eine Dorfschule mit lediglich einer Klasse errichtet um auch diesen Kindern Zugang zu Bildung zu ermöglichen. In von den Taliban kontrollierten Gegenden sind gewalttätige Übergriffe auf Schulkinder, insbesondere Mädchen, ein weiterer Hinderungsgrund beim Schulbesuch. Taliban und andere Extremisten bedrohen und greifen Lehrer/innen sowie Schüler/innen an und setzen Schulen in Brand (LIB 19.10.2018, S. 313).

Nach afghanischem Recht die Vormundschaft des Kindes in zwei Phasen geteilt ist. In der ersten Phase (von Geburt an bis 7 Jahre bei Buben bzw. 9 Jahre bei Mädchen) liegt die Vormundschaft bei der Mutter bzw. bei deren Abwesenheit bei ihren Nachfolgern. In der zweiten Phase, ab 7 Jahre bei Buben bzw. 9 Jahre bei Mädchen bis zum Eintritt ins Erwachsenenleben, liegt die Vormundschaft beim Vater. Gemäß afghanischem Zivilrecht besteht die Sorgepflicht während der ersten Phase, wenn ein Kind Schutz und Fürsorge seitens einer weiblichen Person braucht, in der Gewährung von Schutz und Ernährung (Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Afghanistan betreffend die gesetzliche Vertretung von Minderjährigen; Übertragung der Sorgepflicht vom 18.07.2018 - AB vom 18.07.2018).

Die Mutter hat das Vorrecht bei Obsorge und Vormundschaft, egal ob sie verheiratet oder geschieden ist, unter der Voraussetzung, dass sie die Qualifikationen einer fürsorgenden Frau erfüllt (weise, reif, ehrlich, keine Bedenken wegen schlechter Behandlung des Kindes, Fähigkeit, für das Kind zu sorgen und es zu schützen). Falls die Kindesmutter nicht am Leben ist oder nicht für die Vormundschaft qualifiziert sein sollte, geht die Vormundschaft anhand folgender Rangordnung an folgende Personen. Diese Personen sind berechtigt, die Vormundschaft für ein Kind zu übernehmen (AB vom 18.07.2018):

1. Großmutter und Urgroßmutter

2. Mutter des Vaters

3. Schwester

4. Stiefschwester

5. Nichte (Tochter der Schwester)

6. Halbnichte

7. Tante (Schwester der Mutter)

8. Halbtante

9. Tante des Vaters (Schwester der Mutter des Vaters)

10. Halbtante des Vaters

11. Tante der Mutter (Schwester des Vaters der Mutter)

12. Tante des Vaters (Schwester des Vaters des Vaters)

Wenn der Vater verstorben ist, wird die Vormundschaft gemäß der oben stehenden Rangordnung geregelt, trotzdem ist der Großvater für den Unterhalt verantwortlich. Wenn die Mutter verstorben ist, wird die Vormundschaft gemäß obenstehender Liste geregelt, aber der Vater ist weiterhin für den Unterhalt verantwortlich. Wenn beide Elternteile verstorben sind, wird die Vormundschaft gemäß oben stehender Liste geregelt, die Unterhaltspflicht geht an den Großvater. Dies ist auch anzuwenden, wenn ein Elternteil oder beide Elternteile verschwunden sind, vermisst werden oder ihr Aufenthaltsort unbekannt ist (AB vom 18.07.2018).

Falls ein Elternteil oder beide Elternteile im Ausland leben, wobei deren Aufenthaltsort bekannt ist und ein Kontakt hergestellt werden kann, kann das Gericht die nächstrangige Person, die für die Vormundschaft bzw. Unterhaltspflicht qualifiziert ist, auswählen. Falls ein Elternteil oder beide Elternteile ihren Verpflichtungen bezüglich Unterhalt oder Sorgerecht nicht nachkommen können, kann das Gericht die nächstrangige Person, die für die Vormundschaft bzw. Unterhaltspflicht qualifiziert ist, auswählen (AB vom 18.07.2018).

Formalitäten, um die Vormundschaft zu übertragen, sind die Antragstellung an das Civil Department des Justizministeriums. Der Fall wird einem Gericht übertragen, das daraufhin eine Entscheidung fällt In der Praxis erfolgt die Übertragung der Vormundschaft in vielen Fällen informell und ohne Rücksicht auf die o.a. Rangordnung. In den meisten Fällen übernimmt ein großzügiger Angehöriger - unabhängig seines Standes in der Rangordnung - die Fürsorge für das Kind. Nur wenn es zu formellen Disputen oder Rechtsstreitigkeiten kommt, geht die Sache an ein Gericht (AB vom 18.07.2018).

Die Vormundschaft kann sehr leicht von den Eltern auf andere Personen in der o.a. Rangordnung übertragen werden und auch das Gericht kann dies tun (AB vom 18.07.2018).

Wirtschaft

Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut weiterhin zu (LIB 19.10.2018, S. 328).

Für ca. ein Drittel der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (inklusive Tiernutzung) die Haupteinnahmequelle. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet. Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Mehr als ein Drittel der männlichen Bevölkerung (34,3%) Afghanistans und mehr als die Hälfte der weiblichen Bevölkerung (51,1%) sind nicht in der Lage, eine passende Stelle zu finden (LIB 19.10.2018, S. 328f).

Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist angespannt und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Sogar für gut ausgebildete und gut qualifi

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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