TE Bvwg Erkenntnis 2019/9/23 W168 2219058-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.09.2019
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

23.09.2019

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §55
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55

Spruch

W168 2219058-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Bernhard MACALKA als Einzelrichter über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , StA. China, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.04.2019, Zl. 427232002/181060111, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Vorverfahren

1.1 Die Beschwerdeführerin (im Folgenden: BF), eine Staatsangehörige aus China, stellte am 29.11.2004 einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung, welcher mit Bescheid der Bundespolizeidirektion vom 14.12.2005, Zl. III-1187371/FrB/05, gemäß § 49 Abs. 1 i.V.m. § 47 Abs. 2 i.V.m. § 8 Abs. 4 des Fremdengesetzes abgewiesen wurde.

1.2. Mit Berufungsbescheid vom 09.01.2006, SD 22/06, wurde der angefochtene Bescheid gemäß § 66 Abs. 4 AVG behoben.

1.3. Mit Bescheid der Wiener Landesregierung vom 28.03.2007, wurde der Antrag der BF auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck "Familienangehöriger" abgewiesen. Begründend wurde ausgeführt, dass das Ermittlungsverfahren ergeben habe, dass vom Bestehen einer Aufenthaltsehe auszugehen sei.

1.4. Mit Bescheid der Wiener Landesregierung vom 07.03.2018 wurde das rechtskräftig abgeschlossene Verfahren gemäß § 69 Abs. 1 Z 1, 2 und 3 iVm § 69 Abs. 3 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes (AVG 1991) von Amts wegen wiederaufgenommen. Gleichzeitig wurde der Antrag der BF vom 03.10.2016 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck "Rot Weiß Rot Karte plus" gemäß § 2 Abs. 1 Z 9 und 10 iVm. § 46 Abs. 1 Z 2 NAG abgewiesen, da der Ehegatte der BF nicht über einen Aufenthaltstitel verfüge und daher nicht Zusammenführender im Sinne des NAG sei. Ihr eingebrachter Verlängerungsantrag vom 09.10.2017 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck "Rot Weiß Rot Karte plus" gemäß § 46 Abs. 1 Z 2 NAG wurde mangels Vorliegens eines gültigen Aufenthaltstitels für Österreich gemäß § 24 NAG abgewiesen.

Gegenständliches Verfahren

2.1. Am 07.11.2018 stellte die BF einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 Abs. 1 AsylG. Dem Antrag beigelegt wurde eine Antragsbegründung vom 06.11.2018, in welcher ausgeführt wurde, dass sich die Antragstellerin seit dem Jahr 2016 durchgehend und bis zum 03.09.2018 rechtmäßig im Bundesgebiet befinde. Zuletzt sei ihr eine Verlängerung des Aufenthaltstitels versagt geblieben, zumal ihrem Ehegatten eine angeblich im Jahr 2009 geschlossene Aufenthaltsehe zur Last gelegt worden sei. Dabei habe es sich um eine Vorehe des Ehegatten gehandelt. Der Ehegatte habe pflichtgemäß das Bundesgebiet verlassen und sei aktuell in China aufhältig. Die BF habe sich jedoch nicht vorzuwerfen und sei im Bundesgebiet gut integriert. Die BF sei unbescholten. Die BF sei zuletzt im Bundesgebiet durchgehend beschäftigt gewesen. Sie spreche gut Deutsch und Familienangehörige mit denen eine enge Verbindung bestehen würde, würden auf Dauer im Bundesgebiet leben, weshalb die BF erhebliche familiäre und private Interessen im Sinne des Art. 8 EMRK am Verbleib im Bundesgebiet habe. Die BF erfülle daher die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG. Zudem wurden dem Antrag ein Diplom einer A2 Grundstufe Deutsch 2 vom 12.08.2014, die Kopie eines Reisepasses der BF, eine E-Card der BF, ein Versicherungsdatenauszug der österreichischen Sozialversicherung vom 06.11.2018 sowie eine Wohnrechtsvereinbarung vom 12.03.2018 zur Vorlage gebracht.

2.2 Mit Verbesserungsauftrag des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.11.2018 wurde ausgeführt, dass alle Urkunden und Nachweise, die nicht in deutscher Sprache verfasst seien, auch in einer Übersetzung durch einen gerichtlich beeideten Dolmetscher ins Deutsche vorzulegen seien. Die BF wurde aufgefordert, eine Geburtsurkunde oder ein gleichzuhaltendes Dokument vorzulegen. Werde der Mangel rechtzeitig behoben, gelte das Anbringen als ursprünglich richtig eingebracht.

2.3 Daraufhin brachte der Rechtsvertreter der BF per Schreiben vom 17.01.2019 eine Geburtsurkunde in chinesischer, sowie in deutscher Sprache (in Kopie) ein.

2.4. Am 22.01.2019 wurde die BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen. Befragt, seit wann sie sich in Österreich aufhalte, erklärte die BF, dass sie sich seit Oktober 2015 durchgehend im Bundesgebiet aufhalte. Auf die Frage, warum sie ihrer Ausreiseverpflichtung nach Abweisung ihres Verlängerungsantrages nicht nachgekommen sei, führte sie an, dass das Verfahren noch nicht abgeschlossen sei, da ihr Anwalt Beschwerde eingereicht habe. Auf Vorhalt, dass ihr Antrag bereits mit Schriftsatz vom 03.09.2018 abgewiesen worden sei und sie ab diesem Zeitpunkt das Bundesgebiet verlassen habe müssen, gab die BF an, dass sie im Bundesgebiet bleiben wolle und ihr Anwalt dazu geraten habe, einen humanitären Aufenthaltstitel zu beantragen. Befragt, wie sie sich ihren Lebensunterhalt verdient habe, entgegnete die BF, dass sie als Kellnerin in einem Chinarestaurant tätig sei und 1.100,- Euro verdiene. Zur Frage, ob sie dafür eine arbeitsmarktrechtliche Bewilligung habe, erklärte die BF, dass sie seit Beantragung des Aufenthaltstitels beim Magistrat angemeldet sei. Der BF wurde in weiterer Folge vorgehalten, dass sie weder im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung noch einer arbeitsmarktrechtlichen Bewilligung sei und ihre Arbeitsaufnahme daher unerlaubt sei. Zur Frage, ob sie im Bundesgebiet soziale Kontakte habe, erwiderte die BF, dass Freunde habe und öfter mit ihrer Schwester essen gehe. Sie sei krankenversichert, lebe mit einer Mitbewohnerin zusammen und zahle ungefähr 200,- Euro Miete. Nach familiären Anknüpfungspunkten befragt, gab die BF an, dass sie in Österreich drei Schwestern, eine Nichte sowie einen Onkel habe. Ihr Eltern und ihre beiden minderjährigen Kinder würden in China leben. Sie möge das Leben in Österreich und beabsichtige, Deutsch zu lernen.

Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme wurden von der BF ein Personalausweis der Republik Österreich sowie eine Lohn-/Gehaltsabrechnung vom November und Dezember 2018 vorgelegt.

2. 5. Mit dem im Spruch genannten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.04.2019 wurde der Antrag der BF auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK vom 07.11.2018 gemäß § 55 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.) und gemäß § 10 Abs. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 FPG erlassen (Spruchpunkt II.). Weiters wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der BF gemäß § 46 FPG nach China zulässig sei und die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt III. und IV.).

Begründend wurde ausgeführt, dass die Identität der BF nicht feststehe und lediglich auf ihren getätigten Angaben beruhe. Sie sei ledig und für zwei in China lebende Kinder sorgepflichtig. Laut eigenen Angaben arbeite sie in einem Chinarestaurant und habe auch entsprechende Lohnbestätigungen vorgelegt. Eine arbeitsmarktrechtliche Bewilligung für diese Tätigkeit hätte sie nicht vorlegen können. Es würden in Österreich zwar die drei Schwestern leben, jedoch lebe der Rest der Familie-ihre Eltern und ihre beiden Kinder-in China. Die Behörde stelle somit fest, dass im Heimatland starke Anknüpfungspunkte durch ihre Eltern und ihre Kinder vorhanden seien. Die BF gehe in Österreich keiner erlaubten Erwerbstätigkeit nach und finanziere ihren Aufenthalt durch eine unerlaubte Arbeitsaufnahme in einem Chinalokal. Die BF habe nach rechtskräftiger Abweisung ihres Antrages auf Ausstellung einer Rot-Weiß-Rot Karte plus mit 03.09.2018 das Bundesgebiet nicht verlassen und sei somit einer bestehenden Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen. Sie befinde sich daher seit rechtskräftiger Abweisung der Rot-Weiß-Rot Karte plus mit 03.09.2018 nicht mehr rechtmäßig im Bundesgebiet. Sie befinde sich laut Aktenlage erst seit Oktober 2015 im Bundesgebiet und könne ihr Aufenthalt daher als kurz bezeichnet werden. Es habe nicht festgestellt werden können, dass die BF im Falle einer Rückkehr nach China in eine existenzgefährdende Notlage geraten würde und ihr die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre, zumal sie über die landesüblichen Sprachkenntnisse verfüge und auch Familienangehörige in China habe. Es stehe ihr frei, nach Rückkehr in ihr Herkunftsland andernfalls legal im Rahmen der niederlassungs- und aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen nach Österreich wieder einzureisen. Würde sich ein Fremder generell in einer solchen Situation wie der BF auf das Privat-und Familienleben berufen können, so würde dies dazu führen, dass Fremde, welche die fremdenrechtlichen Einreise-und Aufenthaltsbestimmungen beachten würden, letztlich schlechter gestellt wären, als Fremde, die ihren Aufenthalt im Bundesgebiet durch Nichteinhaltung der Normen erzwingen würden, was in letzter Konsequenz zu einer verfassungswidrigen unsachlichen Differenzierung der Fremden untereinander führen würde. Die persönlichen Interessen am Verbleib in Österreich würden daher nicht schwerer wiegen als die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen. Aufgrund der angeführten Gegebenheiten komme die Behörde zu dem Ergebnis, dass eine Entscheidung zu ihren Ungunsten auszufallen habe und eine Rückkehrentscheidung Chinas in ihrem Fall zulässig sei. Eine Ausreise nach China zur Sanierung des illegalen Aufenthaltes scheine aus Sicht der Behörde zumutbar.

2.6. Dagegen wurde vom rechtsfreundlichen Vertreter der BF fristgerecht Beschwerde erhoben und im Wesentlichen ausgeführt, dass der belangten Behörde ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren und eine unverhältnismäßige Gewichtung des Privat-und Familienlebens zu Lasten der BF in Österreich entgegenzuhalten seien. Die BF habe ihr Heimatland bereits im Jahr 2011 verlassen und habe zunächst rechtmäßig in Ungarn gelebt. Sie sei im Jahr 2015 rechtmäßig zu ihrem Ehegatten nach Österreich gezogen. Die BF sei seit dieser Zeit erwerbstätig gewesen und habe im engen Familienverband gelebt, zu dem auch drei Schwestern zählen würden, denen zum Teil die österreichische Staatsbürgerschaft zukomme. Die Geschwister seien besonders nach der durch den Ehegatten der BF verursachten Rückreise der Familie besonders wichtige Bezugspersonen für die BF. Der BF sei der Aufenthaltstitel allein aus dem Grund nicht verlängert worden, weil dem Ehegatten im Jahr 2009 das Eingehen einer Ehe zur Last gelegt worden sei. Dieser Vorfall habe sich auf eine Vorehe bezogen, die seit längerer Zeit geschieden sei. Die BF habe sich selbst während ihres gesamten Aufenthaltes rechtstreu verhalten. Sie sei sprachlich, sozial, familiär und am Arbeitsmarkt integriert. Die BF habe Sprachkurse im Bundesgebiet absolviert und ein Sprachdiplom A2 bestanden. Sie verbessere laufend ihre Sprachkenntnisse und mache einen B1 Kurs. Sie sei krankenversichert, lebe im engen Familienverband und habe langjährige Arbeitserfahrung. Die BF sei völlig unbescholten. Ein allfälliges Fehlverhalten ihres Ehegatten im Jahr 2009 könne ihr nicht vorgeworfen werden. Aus einer Gesamtschau würden die Voraussetzungen für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung nicht vorliegen. Vielmehr sei die Erlassung einer Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig. Eine Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG sei sohin geboten gewesen. Beantragt wurden die persönliche Anhörung der Geschwister der BF sowie die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Zur Person der BF und den Beschwerdepunkten:

Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige von China. Sie ist verheiratet und hat zwei minderjährige Kinder, die in China leben. Im österreichischen Bundesgebiet befinden sich drei volljährige Schwestern, eine Nichte und einen Onkel. Die BF stellte bereits in einem Vorverfahren am 29.11.2004 einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung in Österreich, der mit Bescheid vom 28.03.2007 aufgrund festgestellter Aufenthaltsehe abgewiesen wurde. Ein weiterer Antrag vom 03.10.2016 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck "Rot Weiß Rot Karte plus" wurde mit Bescheid vom 07.03.2018 abgewiesen. Am 07.11.2018 stellte die BF gemäß § 55 AsylG einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK, der mit angefochtenem Bescheid vom 11.04.2019 abgewiesen wurde.

Die BF befindet sich seit Oktober 2015 nachweislich wieder in Österreich und hat nach rechtskräftiger Abweisung ihres Antrages auf Ausstellung einer Rot-weiß-Rot Karte plus mit 03.09.2018 das Bundesgebiet nicht verlassen und hält sich seitdem unrechtmäßig in Österreich auf. Ihrer Ausreiseverpflichtung nach China kam sie bisher nicht nach.

Das Bestehen eines finanziellen oder sonstigen relevanten Abhängigkeitsverhältnisses zu den sich im Österreichischen Bundesgebiet aufhältigen drei Schwestern der BF, einer Nichte und einen Onkel konnte begründet nicht dargelegt werden, bzw. konnte das Bestehen eines von besonders berücksichtigungswürdigen privaten Kontakten zu sich in Österreich aufhältigen Personen insgesamt nicht festgestellt werden. Die BF hat außer diesen Personen ansonsten keine Verwandten in Österreich. Das Vorliegen einer besonderen Nahe - bzw. Abhängigkeitsverhältnisses zu den sich im Bundesgebiet aufhältigen Personen konnte insgesamt nicht festgestellt werden. Eine Trennung der BF von diesen Personen stellt keinen unzulässigen Eingriff in besonders durch Art. 8 EMRK geschützte Rechte dar.

Die zwei minderjährigen Kinder der BF, für die die BF sorgepflichtig ist, leben in China und sind seit dem Aufenthalt der BF in Europa bei den Schwiegereltern der BF untergebracht. Auch die Eltern der BF leben als Pensionisten in China.

Die BF nimmt keine Leistungen aus der Grundversorgung in Anspruch und beherrscht das Niveau A2 der deutschen Sprache. Sie arbeitet seit 2015 als Kellnerin in verschiedenen Chinarestaurants. Das Vorliegen von aktuellen Beschäftigungsbewilligungen des AMS hat die Beschwerdeführerin diesbezüglich nicht in Vorlage bringen können. Die BF ist im Bundesgebiet krankenversichert.

Das Vorliegen von sonstigen besonderen Bindungen zum Bundesgebiet hat die Beschwerderführerin insgesamt begründet nicht vorgebracht.

Begründete Hinweise auf das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des §55 Abs. 1 AsylG bzw. des Art. 8 EMRK sind dem vorliegenden Verwaltungsakt insgesamt nicht zu entnehmen.

Bei der BF handelt es sich um eine junge gesunde Frau im erwerbsfähigen Alter. Die Beschwerderführerin ist in China aufgewachsen, hat dort die Schule besucht, spricht eine der Landessprachen als Muttersprachen und in China leben zwei minderjährigen Kinder sowie die Eltern der BF.

Der Beschwerdeführerin ist aufgrund der sich aus den Länderinformationen erschießlichen allgemeinen wirtschaftlichen und politischen Situation in China, insbesondere bis zu einer möglichen Wiedereinreise und der Legalisierung ihres Aufenthaltes, die Rückkehr in ihren Heimatstaat und eine dortige Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zumutbar. Eine Rückkehr der BF nach China stellt insgesamt keinen unzulässigen Eingriff in besonders durch Art. 3 EMRK geschützte Rechte dar.

Das BFA hat in casu insgesamt zu Recht erkannt, dass einer Rückkehrentscheidung gem. §9 BFA - VG zulässig ist und die Abschiebung der BF gem. §46 FPG nach China zulässig ist.

Der entscheidungswesentliche Sachverhalt konnte vollständig aus dem vorliegenden Verwaltungsakt entnommen werden und das Gericht konnte sich hinsichtlich sämtlicher Würdigungen vollständig auf die Ausführungen des BFA stützen und hat die wesentlichen Feststellungen und Begründungen der Behörde übernommen. Der Beschwerde selbst sind keine substantiell begründeten Ausführungen zu entnehmen, die eine andere Entscheidung aufzeigen würden, bzw. wurde insgesamt begründet nicht aufgezeigt, warum eine mündliche Verhandlung im gegenständlichen Verfahren erforderlich wäre, allfällig weiteres relevantes Vorbringen nicht bereits in der Beschwerdeschrift substantiell begründet dargelegt worden ist oder dieses nur in einer mündlichen Verhandlung zu erörtern wäre. Die gegenständliche Entscheidung im Beschwerdeverfahren konnte somit ohne die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vorgenommen werden.

1.2. Zur Situation im Herkunftsstaat wird Folgendes festgestellt:

Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

KI vom 05.02.2018: Festnahme des regierungskritischen Anwaltes Yu Wensheng, betrifft Abschnitt 10. Allgemeine Menschenrechtslage.

Yu Wensheng, ein regierungskritischer Anwalt, wurde nach Angaben seiner Frau am Morgen des 19.1.2018 festgenommen, als er mit seinem Sohn zur Schule ging (The Guardian 19.1.2018).

Wenige Stunden vor seiner Verhaftung forderte Yu Wensheng von Präsident Xi Jinping in einem offenen Brief Verfassungsreformen (DW 19.1.2018).

International bekannt wurde der prominente Kritiker, als er 2017 gemeinsam mit fünf anderen Anwälten versuchte, die Regierung seines Landes wegen des gesundheitsschädlichen Smogs zu verklagen (DZ 29.1.2018). Als Anwalt hat Yu mehrere andere Menschenrechtsanwälte und Demonstranten aus Hongkong vertreten, die dort für mehr Demokratie auf die Straße gegangen sind und festgenommen worden waren (DW 1.2.2018).

Im Oktober vergangenen Jahres wurde Yu Wensheng vorübergehend inhaftiert, weil er in einem offenen Brief Chinas Partei- und Staatschef Xi Jinping wegen dessen Stärkung des Totalitarismus als für das Amt nicht geeignet bezeichnet hatte (NZZ 1.2.2018).

Der Verbleib von Yu Wensheng war zunächst unklar (DP 19.1.2018); nach Angaben von Amnesty International übernahm die Polizei von Xuzhou in der ostchinesischen Provinz Jiangsu den Fall. Der Anwalt werde derzeit unter "Hausarrest an einem ausgesuchten Ort festgehalten, ohne dass dieser Ort bekannt wäre, so Amnesty International (DZ 29.1.2018).

Gemäß Amnesty International sei der chinesische Menschenrechtsanwalt der "Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt" beschuldigt worden (DP 19.1.2018). Der Vorwurf der Subversion ist eine schwerwiegende Anklage, die eine Haftstrafe von bis zu 15 Jahren bedeuten kann. Im vergangenen Dezember war etwa der regierungskritische Blogger Wu Gan deswegen zu acht Jahren Gefängnis verurteilt worden (DZ 29.1.2018).

Der kritische Jurist ist das jüngste Opfer der seit mehr als zwei Jahren anhaltenden Verfolgungswelle gegen Anwälte, Mitarbeitern von Kanzleien, Aktivisten und deren Familienmitgliedern. Mehr als 300 wurden nach Angaben von Menschenrechtsgruppen seit Juli 2015 inhaftiert, verhört, unter Hausarrest gestellt oder an der Ausreise gehindert. Vier wurden verurteilt, 16 warten noch auf ihren Prozess (DP 19.1.2018). Mindestens eine Person aus der angeführten Gruppe sei verschwunden (BBC 16.1.2018).

Quellen:

-

BBC News (16.1.2018): China rights lawyer Yu Wensheng loses licence, http://www.bbc.com/news/world-asia-china-42702731, Zugriff 22.1.2018

-

DP - Die Presse (19.1.2018): Haft für Anwalt: China setzt Verfolgungswelle gegen Kritiker fort, https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5356682/Haft-fuer-Anwalt_China-setzt-Verfolgungswelle-gegen-Kritiker-fort, Zugriff 19.1.2018

-

DW - Deutsche Welle (1.2.2018): China weist deutsche Kritik an Festnahme von Menschenrechtsanwalt zurück, http://www.dw.com/de/china-weist-deutsche-kritik-an-festnahme-von-menschenrechtsanwalt-zur%C3%BCck/a-42403119, Zugriff 2.2.2018

-

DW - Deutsche Welle (19.1.2018): Chinesischer Bürgerrechtsanwalt Yu Wensheng festgenommen,

http://www.dw.com/de/chinesischer-b%C3%BCrgerrechtsanwalt-yu-wensheng-festgenommen/a-42214185, Zugriff 22.1.2018

-

DZ - Die Zeit (29.1.2018):China beschuldigt Menschenrechtsanwalt der Subversion,

http://www.zeit.de/politik/ausland/2018-01/yu-wensheng-buergerrechtsanwalt-peking-anklage-haftstrafe, 30.1.2018

-

NZZ - Neue Züricher Zeitung (1.2.2018): Ein kämpferischer Geist in den Fängen der chinesischen Behörden, https://www.nzz.ch/international/ein-kaempferischer-geist-in-den-faengen-der-chinesischen-behoerden-ld.1352463, Zugriff 1.2.2018

-

The Guardian (19.1.2018): Outspoken Chinese human rights lawyer Yu Wensheng held by police

https://www.theguardian.com/world/2018/jan/19/outspoken-chinese-human-rights-lawyer-yu-wensheng-arrested , Zugriff 22.1.2018

1. Politische Lage

Die Volksrepublik China ist mit geschätzten 1,374 Milliarden Einwohnern (Stand Juli 2016) und einer Fläche von 9.596.960 km² der bevölkerungsreichste Staat der Welt (CIA 26.7.2017).

China ist in 22 Provinzen, die fünf Autonomen Regionen der nationalen Minderheiten Tibet, Xinjiang, Innere Mongolei, Ningxia und Guangxi, sowie vier regierungsunmittelbare Städte (Peking, Shanghai, Tianjin, Chongqing) und zwei Sonderverwaltungsregionen (Hongkong, Macau) unterteilt. Nach dem Grundsatz "Ein Land, zwei Systeme", welcher der chinesisch-britischen "Gemeinsamen Erklärung" von 1984 über den Souveränitätsübergang im Jahr 1997 zugrunde liegt, kann Hongkong für 50 Jahre sein bisheriges Gesellschaftssystem aufrecht erhalten und einen hohen Grad an Autonomie genießen. Trotz starker öffentlicher Kritik in Hongkong hält die chinesische Regierung bezüglich einer möglichen Wahlrechtsreform für eine allgemeine Wahl des Hongkonger Regierungschefs (Chief Executive) an den Vorgaben fest, die der Ständige Ausschuss des Pekinger Nationalen Volkskongresses 2014 zur Vorabauswahl von Kandidaten gemacht hat. Dies hat in Hongkong zur Blockade der vorgesehenen Reform geführt und zu einem Erstarken von Bestrebungen nach größerer Autonomie, vereinzelt sogar zu Rufen nach Unabhängigkeit, auf die Peking scharf reagiert. Nach einem ähnlichen Abkommen wurde Macau am 20. Dezember 1999 von Portugal an die Volksrepublik China zurückgegeben. Die Lösung der Taiwanfrage durch friedliche Wiedervereinigung bleibt eines der Hauptziele chinesischer Politik (AA 4.2017a).

Gemäß ihrer Verfassung ist die Volksrepublik China ein "sozialistischer Staat unter der demokratischen Diktatur des Volkes, der von der Arbeiterklasse geführt wird und auf dem Bündnis der Arbeiter und Bauern beruht" (AA 4.2017a). China ist ein autoritärer Staat, in dem die Kommunistische Partei (KP) verfassungsmäßig die höchste Autorität ist. Beinahe alle hohen Positionen in der Regierung sowie im Sicherheitsapparat werden von Mitgliedern der KP gehalten (USDOS 3.3.2017). Die KP ist der entscheidende Machtträger. Nach dem Parteistatut wählt der alle fünf Jahre zusammentretende Parteitag das Zentralkomitee (376 Mitglieder, davon 205 mit Stimmrecht), das wiederum das Politbüro (25 Mitglieder) wählt. Ranghöchstes Parteiorgan und engster Führungskern ist der zurzeit siebenköpfige "Ständige Ausschuss" des Politbüros. Dieser gibt die Leitlinien der Politik vor. Die Personalvorschläge für alle diese Gremien werden zuvor im Konsens der Parteiführung erarbeitet (AA 4.2017a; vgl. USDOS 3.3.2017).

An der Spitze der Volksrepublik China steht der Staatspräsident, der gleichzeitig Generalsekretär der KP und Vorsitzender der Zentralen Militärkommission ist und somit alle entscheidenden Machtpositionen auf sich vereinigt. Der Ministerpräsident (seit März 2013 Li Keqiang) leitet den Staatsrat, die eigentliche Regierung. Er wird von einem "inneren Kabinett" aus vier stellvertretenden Ministerpräsidenten und fünf Staatsräten unterstützt. Der Staatsrat fungiert als Exekutive und höchstes Organ der staatlichen Verwaltung. Alle Mitglieder der Exekutive sind gleichzeitig führende Mitglieder der streng hierarchisch gegliederten Parteiführung (Ständiger Ausschuss, Politbüro, Zentralkomitee), wo die eigentliche Strategiebildung und Entscheidungsfindung erfolgt (AA 4.2017a).

Der 3.000 Mitglieder zählende Nationale Volkskongress (NVK) wird durch subnationale Kongresse für fünf Jahre gewählt. Er wählt formell den Staatspräsidenten für fünf Jahre und bestätigt den Premierminister, der vom Präsidenten nominiert wird (FH 1.2017a). Der NVK ist formal das höchste Organ der Staatsmacht. NVK-Vorsitzender ist seit März 2013 Zhang Dejiang (AA 4.2017a). Der NVK ist jedoch vor allem eine symbolische Einrichtung. Nur der Ständige Ausschuss trifft sich regelmäßig, der NVK kommt einmal pro Jahr für zwei Wochen zusammen, um die vorgeschlagene Gesetzgebung anzunehmen (FH 1.2017a). Eine parlamentarische oder sonstige organisierte Opposition gibt es nicht. Die in der sogenannten Politischen Konsultativkonferenz organisierten acht "demokratischen Parteien" sind unter Führung der KP Chinas zusammengeschlossen; das Gremium hat lediglich eine beratende Funktion (AA 4.2017a).

Beim 18. Kongress der KP China im November 2012 wurde, nach einem Jahrzehnt, ein Führungswechsel vollzogen (AI 23.5.2013). Bei diesem Parteitag wurden die Weichen für einen Generationswechsel gestellt und für die nächsten fünf Jahre ein neues Zentralkomitee, Politbüro und ein neuer Ständiger Ausschuss bestimmt (AA 4.2017a). Xi Jinping wurde zum Generalsekretär der KP und zum Vorsitzenden der Zentralen Militärkommission gekürt. Seit dem 12. Nationalen Volkskongress im März 2013 ist Xi Jinping auch Präsident Chinas (AA 4.2017a; vgl. FH 1.2017a). Er hält damit die drei einflussreichsten Positionen (USDOS 3.3.2017). Die neue Staatsführung soll - wenngleich die Amtszeit offiziell zunächst fünf Jahre beträgt - mit der Möglichkeit einer Verlängerung durch eine zweite, ebenfalls fünfjährige, Amtsperiode bis 2022 (und möglicherweise auch darüber hinaus) an der Macht bleiben (HRW 12.1.2017). Vorrangige Ziele der Regierung sind eine weitere Entwicklung Chinas und Wahrung der politischen und sozialen Stabilität durch Machterhalt der KP. Politische Stabilität gilt als Grundvoraussetzung für wirtschaftliche Reformen. Äußere (u.a. nachlassende Exportkonjunktur) und innere (u.a. alternde Gesellschaft, Umweltschäden, Wohlfahrtsgefälle) Faktoren machen weitere Reformen besonders dringlich. Die Rolle der Partei in allen Bereichen der Gesellschaft soll gestärkt werden. Gleichzeitig laufen Kampagnen zur inneren Reformierung und Stärkung der Partei. Prioritäten sind Kampf gegen die Korruption und Verschwendung, Abbau des zunehmenden Wohlstandsgefälles, Schaffung nachhaltigeren Wachstums, verstärkte Förderung der Landbevölkerung, Ausbau des Bildungs- und des Gesundheitswesens, Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und insbesondere Umweltschutz und Nahrungsmittelsicherheit. Urbanisierung ist und bleibt Wachstumsmotor, bringt aber gleichzeitig neue soziale Anforderungen und Problemlagen mit sich. Erste Ansätze für die zukünftige Lösung dieser grundlegenden sozialen und ökologischen Entwicklungsprobleme sind sichtbar geworden, haben deren Dimension aber zugleich deutlich aufgezeigt (AA 4.2017a).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (4.2017a): China - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/China/Innenpolitik_node.html#doc334570bodyText5, Zugriff 2.8.2017

-

AI - Amnesty International (23.5.2013): Amnesty International Annual Report 2013 - China,

http://www.refworld.org/docid/519f51a96b.html, Zugriff 2.8.2017

-

CIA - Central Intelligence Agency (26.7.2017): The World Factbook

-

China,

https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/ch.html, Zugriff 2.8.2017

-

FH - Freedom House (1.2017a): Freedom in the World 2017 - China, http://www.ecoi.net/local_link/339947/483077_de.html, Zugriff 2.8.2017

-

HRW - Human Rights Watch (12.1.2017): World Report 2017 - China, http://www.ecoi.net/local_link/334766/476520_de.html, Zugriff 28.8.2017

-

USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Reports on Human Rights Practices 2016 - China (includes Tibet, Hong Kong, and Macau), http://www.ecoi.net/local_link/337277/480051_de.html, Zugriff 2.8.2017

2. Sicherheitslage

Proteste auf lokaler Ebene haben in ganz China stark zugenommen. Sie richten sich vor allem gegen steigende Arbeitslosigkeit und Vorenthaltung von Löhnen, hauptsächlich von Wanderarbeitern. Bei den bäuerlichen Protesten auf dem Land geht es meistens um die (entschädigungslose oder unzureichend entschädigte) Enteignung von Land und fehlende Rechtsmittel. Auch stellen die chemische Verseuchung der Felder durch Industriebetriebe oder Umweltkatastrophen Gründe für Proteste dar. Nachdem die Anzahl sogenannter. "Massenzwischenfälle" über Jahre hinweg rasch zunahm, werden hierzu seit 2008 (mehr als 200.000 Proteste) keine Statistiken mehr veröffentlicht. Zwei Aktivisten, die seit 2013 durch eigene, über Twitter veröffentlichte Statistiken diese Lücke zu schließen versuchten, wurden im Juni 2016 verhaftet. Die lokalen Behörden verfolgen in Reaktion zumeist eine Mischstrategie aus engmaschiger Kontrolle, die ein Übergreifen nach außen verhindern soll, gepaart mit einem zumindest partiellen Eingehen auf die Anliegen (USDOS 3.3.2017; vgl. AA 15.12.2016)

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (15.12.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Volksrepublik China

-

USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Reports on Human Rights Practices 2016 - China (includes Tibet, Hong Kong, and Macau), http://www.ecoi.net/local_link/337277/480051_de.html, Zugriff 31.8.2017

2.1. Tibet

China regiert Tibet über die Administration der "Autonomen Region Tibet" (TAR) und 12 autonome Präfekturen bzw. Landkreise in den angrenzenden Provinzen Sichuan, Qinghai, Gansu und Yunnan (FH 1.2017b).

Spannungen in tibetischen Gebieten dauerten zwischen ethnischen und religiösen Gruppierungen - insbesondere zwischen Han-Chinesen und Tibetern - ebenso weiter an, wie Auseinandersetzungen zwischen Tibetern und Hui-Muslimen (USDOS 15.8.2017). Die Regierung geht gegen vermeintlich separatistische Kräfte in Tibet mit besonderer Härte vor (AA 15.12.2016).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (15.12.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Volksrepublik China

-

FH - Freedom House (1.2017b): Freedom in the World 2017 - Tibet, https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2017/tibet, Zugriff 4.8.2017

-

USDOS - US Department of State (15.8.2017): 2016 Report on International Religious Freedom - China, http://www.ecoi.net/local_link/345283/489076_de.html, Zugriff 28.8.2017

2.2. Xinjiang

Widerstand gegen die Zentralregierung und die lokale Regierungspolitik wurde 2016 in friedlichen Protesten, aber auch durch Einsatz von Sprengsätzen und andere gewalttätigen Angriffe ausgedrückt. Die chinesische Regierung behauptet, in der Region terroristischen Kräften gegenüber zu stehen und führt Counterterror-Operationen durch (HRW 12.1.2017). Im Namen der Terrorismusbekämpfung kam es zu Belästigungen durch Beamte, zu willkürlichen Festnahmen und zu beschleunigten Gerichtsverfahren gegenüber Personengruppen, welche friedlich ihrem Recht auf Meinungsäußerung nachkamen (HRW 12.1.2017; vgl. USDOS 3.3.2017). Details über Proteste, Gewalt und Terrorismus sind jedoch aufgrund der wenigen unabhängigen Informationsquellen rar. Dies gilt auch für Informationen über die Terrorismusbekämpfung (HRW 12.1.2017).

In der Autonomen Region Xinjiang (XUAR) verfolgt die chinesische Zentralregierung einen zweigleisigen Ansatz: zum einen verstärkte Sicherheitsmaßnahmen zur Bekämpfung der Gefährdungs-Triade (religiöser) Extremismus, (ethnischer) Separatismus und (internationaler) Terrorismus, zum anderen Wirtschaftsförderung und Erhöhung des Lebensstandards der Menschen mit dem Ziel der Gewährleistung sozialer Stabilität bzw. Eindämmung von Unruhepotential (AA 15.12.2016). 2013 erfolgte eine Eskalation der Gewalt, bei der ca. 200 Menschen ums Leben kamen. Die Gewaltspirale wird dabei zunehmend auch in andere Regionen Chinas getragen. 2013/2014 kam es zu drei, offenbar von Uiguren verübten Anschlägen, die sich gegen Unbeteiligte richteten (AA 15.10.2014). Die Gewalt in Xinjiang hat sich auch 2015 auf beunruhigend hohem Niveau fortgesetzt. Der letzte (bekannt gewordene) blutige Anschlag großen Ausmaßes ereignete sich im September 2015, als im Bezirk Aksu über 50 Han-chinesische Minenarbeiter nachts in ihrem Schlafsaal ermordet wurden. Darauf antworteten die chinesischen Sicherheitskräfte einige Wochen später mit der Erschießung von 18 uigurischen Tatverdächtigen, darunter auch Frauen und Kinder. Diese harte Reaktion der Sicherheitsbehörden ist Teil der im Mai 2014 gestarteten "strike hard" Kampagne in Xinjiang, über die Schnellverfahren und Massenurteile institutionalisiert wurden. 2015 hat sich nach chinesischen Angaben die Zahl der Verurteilungen wegen Terrorismus und Separatismus auf über 1.400 verdoppelt. Der allergrößte Teil dieser Urteile steht aller Voraussicht nach in Zusammenhang mit Xinjiang, wo im August 2016 das erste provinzeigene Antiterrorgesetz verabschiedet wurde. Seit Beginn des Jahres scheint diese Härte Wirkung zu zeigen. Die Regierung stuft die Lage mittlerweile als "relativ stabil" ein, woraufhin Berichten zufolge auch einige Bewegungsbeschränkungen gelockert worden sein sollen (AA 15.12.2016).

Ethnische Diskriminierung, religiöse Repressionen und Erhöhung der kulturellen Unterdrückung durch die Regierung im Namen des "Kampfes gegen Separatismus, religiösen Extremismus und Terrorismus" führen weiterhin zu steigenden Spannungen in Xinjiang (HRW 12.1.2017).

China macht seit Jahren im Exil lebende uigurische Separatisten für eine Reihe von Angriffen in Xinjiang verantwortlich (Aljazeera 1.3.2017).

Quellen:

-

Aljazeera (1.3.2017): ISIL video threatens China with 'rivers of bloodshed',

http://www.aljazeera.com/news/2017/03/isil-video-threatens-china-rivers-bloodshed-170301103927503.html, Zugriff 14.9.2017

-

AA - Auswärtiges Amt (15.10.2014): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Volksrepublik China

-

AA - Auswärtiges Amt (15.12.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Volksrepublik China

-

FH - Freedom House (1.2017a): Freedom in the World 2017 - China, https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2017/china, Zugriff 7.8.2017

-

HRW - Human Rights Watch (12.1.2017): World Report 2017 - China, http://www.ecoi.net/local_link/334766/476520_de.html, Zugriff 24.8.2017

-

USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - China (includes Tibet, Hong Kong, and Macau), http://www.ecoi.net/local_link/337277/480051_de.html, Zugriff 7.8.2017

3. Rechtsschutz/Justizwesen

Die Führung unternimmt Anstrengungen, das Rechtssystem auszubauen. Dem steht jedoch der Anspruch der Kommunistischen Partei (KP) auf ungeteilte Macht gegenüber. Gewaltenteilung und Mehrparteiendemokratie werden ausdrücklich abgelehnt. Von der Verwirklichung rechtsstaatlicher Normen und einem Verfassungsstaat ist China noch weit entfernt. Im Alltag sind viele Chinesen weiterhin mit Willkür und Rechtlosigkeit konfrontiert (AA 4.2017a). Eine unabhängige Strafjustiz existiert in China folglich nicht. Strafrichter und Staatsanwälte unterliegen der politischen Kontrolle von staatlichen Stellen und Parteigremien (AA 15.12.2016). Die Kontrolle der Gerichte durch politische Institutionen ist ein verfassungsrechtlich verankertes Prinzip (ÖB 11.2016). Die KP dominiert das Rechtssystem auf allen Ebenen und erlaubt Parteifunktionären, Urteile und Verurteilungen zu beeinflussen. Die Aufsicht der KP zeigt sich besonders in politisch heiklen Fällen durch die Anwendung sog. "Leitlinien". Während Bürger in nicht-politischen Fällen ein gewisses Maß an fairer Entscheidung erwarten können, unterliegen diejenigen, die politisch sensible Fragen oder die Interessen mächtiger Gruppen berühren, diesen "Leitlinien" der politisch-juristischen Ausschüsse (FH 1.2017a). Seit dem vierten Jahresplenum des 18. Zentralkomitees 2014 betont die Führung die Rolle des Rechts und ergriff Maßnahmen zur Verbesserung der Qualität gerichtlicher Verfahren und zum Aufbau eines "sozialistisches Rechtssystem chinesischer Prägung" unter dem Motto "yi fa zhi guo", wörtlich "den Gesetzen entsprechend das Land regieren". Echte Rechtsstaatlichkeit im Sinne der Achtung des Legalitätsprinzips in der Verwaltung und der Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit wird dabei aber dezidiert abgelehnt. Das in den Beschlüssen reflektierte Verständnis von Recht soll die Macht des Staates, dh. der Partei, keinesfalls einschränken, sondern vielmehr stärken (ÖB 11.2016).

Die wichtigste Einrichtung der KP zur Kontrolle des Rechtssystems ist die Kommission des Zentralkomitees für Politik und Recht (ZKPR). Das ZKPR ist in unterschiedlichen Unter-Formaten auf jeder gerichtlichen Ebene verankert, wobei die jeweiligen Ebenen der übergeordneten Ebene verantwortlich sind. Die Macht des Komitees, das auf allen Ebenen auf Verfahren Einfluss nimmt, wurde auch seit den Beschlüssen des Vierten Plenums der KP im Oktober 2014 bewusst nicht angetastet (ÖB 11.2016).

Die Richter-Ernennung erfolgt auf Provinzebene durch Rechtskomitees, welchen hochrangige Partei-Funktionäre angehören und welche von einem KP-Inspektorat überwacht werden. Richter sind verpflichtet, über Einflussnahmen seitens lokaler Politiker auf Verfahren Bericht zu erstatten. Es ist für Richter schwierig, zwischen "Unabhängigkeit" von lokalen politischen Einflüssen, und Loyalität zur KP-Linie (welche regelmäßig miteinander und mit einflussreichen Wirtschafts- und Privatinteressen verbunden sind) zu navigieren. Trotz laufender Reformbemühungen gibt es - vor allem auf unterer Gerichtsebene - noch immer einen Mangel an gut ausgebildeten Richtern (ÖB 11.2016).

Ein umfassender Regelungsrahmen unterhalb der gesetzlichen Ebene soll "Fehlverhalten" von Justizbeamten und Staatsanwälten in juristischen Prozessen unterbinden. Das Oberste Volksgericht (OVG) unter seinem als besonders "linientreu" geltenden Präsidenten und die Oberste Staatsanwaltschaft haben in ihren Berichten an den Nationalen Volkskongress im März 2014 in erster Linie gefordert, "Falschurteile" der Gerichte zu verhindern, die Richterschaft an das Verfassungsverbot von Folter und anderen Zwangsmaßnahmen bei Vernehmungen zu erinnern und darauf hinzuweisen, dass Verurteilungen sich nicht allein auf Geständnisse stützen dürfen. Die Regierung widmet sowohl der juristischen Ausbildung als auch der institutionellen Stärkung von Gerichten und Staatsanwaltschaften seit mehreren Jahren große Aufmerksamkeit (AA 15.12.2016).

Das umstrittene System der "Umerziehung durch Arbeit" ("laojiao") wurde aufgrund entsprechender Beschlüsse des 3. Plenums des ZK im November 2013 offiziell am 28.12.2013 abgeschafft. Es liegen Erkenntnisse vor, wonach diese Haftanstalten lediglich umbenannt wurden, etwa in Lager für Drogenrehabilitation, rechtliche Erziehungszentren oder diese als schwarze Gefängnisse weiter genutzt werden (AA 15.12.2016).

Mit der letzten großen Novellierung 2013 sieht die Strafprozessordnung genaue Regeln für Festnahmen vor, führt den "Schutz der Menschenrechte" an und verbietet Folter und Bedrohung bzw. Anwendung anderer illegaler Methoden zur Beweisermittlung. Es besteht jedoch eine teilweise erhebliche Divergenz zwischen den Rechtsvorschriften und deren Umsetzung, und werden diese zum Zwecke der Unterdrückung von politisch unliebsamen Personen instrumentalisiert. Laut Strafprozessordnung müssen auch im Falle einer Festnahme wegen Terrorismus, der Gefährdung der Staatssicherheit oder der schwerwiegenden Korruption die Angehörigen von in Untersuchungshaft sitzenden Personen innerhalb von 24 Stunden über die Festnahme informiert werden, nicht jedoch über den Grund der Festnahme oder über den Aufenthaltsort. Zudem besteht diese Informationspflicht nicht, wenn durch diese Information die Ermittlungen behindert würden - in diesen Fällen müssen Angehörige erst nach 37 Tagen informiert werden. Was eine "Behinderung der Ermittlung" bedeutet, liegt im Ermessen der Polizei, es gibt kein Rechtsmittel dagegen. Da Verdächtige sich formell in Untersuchungshaft befindet, muss der Ort der Festhaltung laut Gesetz auch in diesen Fällen eine offizielle Einrichtung sein. Der Aufenthaltsort kann auch außerhalb offizieller Einrichtungen liegen. Diese Möglichkeit wurde mit der Strafprozessnovelle 2012 eingeführt und von Rechtsexperten wie dem Rapporteur der UN-Working Group on Enforced or Involuntary Disappearances wegen des inhärenten Folterrisikos als völkerrechtswidrig kritisiert (ÖB 11.2016; vgl. AI 22.2.2017).

Willkürliche Verhaftungen oder Hausarrest ("soft detention") ohne gerichtliche Verfahren kommen häufig vor. Die Staatsorgane griffen verstärkt auf den "Hausarrest an einem festgelegten Ort" zurück - eine Form der geheimen Inhaftierung ohne Kontakt zur Außenwelt, die es der Polizei erlaubt, eine Person für die Dauer von bis zu sechs Monaten außerhalb des formellen Systems, das die Inhaftierung von Personen regelt, und ohne Zugang zu einem Rechtsbeistand der eigenen Wahl, zu Familienangehörigen oder anderen Personen der Außenwelt festzuhalten. Dadurch wurden diese Personen der Gefahr ausgesetzt, gefoltert oder anderweitig misshandelt zu werden. Diese Inhaftierungspraxis dient dazu, die Tätigkeit von Menschenrechtsverteidigern - einschließlich der von Rechtsanwälten, politisch engagierten Bürgern und Angehörigen von Religionsgemeinschaften - zu unterbinden (ÖB 11.2016; vgl. AA 15.12.2016, AI 22.2.2017).

Im Zusammenhang mit verwaltungsstrafrechtlich bewehrten rechtswidrigen Handlungen kann die Polizei zudem "Verwaltungsstrafen" verhängen. Diese Strafen reichen von Ermahnungen über Geldbußen bis hin zu einer "Verwaltungshaft" (ohne richterliche Entscheidung) von bis zu 15 Tagen. Der Aufenthalt in den offiziell nicht existenten "black jails" kann zwischen wenigen Tagen und in einigen Fällen langjährigen Haftaufenthalten variieren (AA 15.12.2016).

Das 2013 in Kraft getretene revidierte Strafverfahrensgesetz verbessert v.a. die Stellung des Verdächtigen/Angeklagten und der Verteidigung im Strafprozess; die Umsetzung steht aber in der Praxis in weiten Teilen noch aus. Auch der Zeugenschutz wird gestärkt. Chinesische Experten gehen davon aus, dass die Durchsetzung dieser Regeln viele Jahre erfordern wird (AA 15.12.2016). Der Schutz jugendlicher Straftäter wurde erhöht (ÖB 11.2014).

2014 wurden schrittweise weitere Reformen eingeleitet, darunter die Anordnung an Richter, Entscheidungen über ein öffentliches Onlineportal zugänglich zu machen sowie ein Pilotprojekt in sechs Provinzen um die Aufsicht über Bestellungen und Gehälter auf eine höhere bürokratische Ebene zu verlagern. Beim vierten Parteiplenum im Oktober 2014 standen Rechtsreformen im Mittelpunkt. Die Betonung der Vorherrschaft der Partei über das Rechtssystem und die Ablehnung von Aktionen, die die Unabhängigkeit der Justiz erhöhen würden, wurde jedoch beibehalten. Dies führte zu Skepsis hinsichtlich der tatsächlichen Bedeutung der Reform (FH 1.2015a).

Das chinesische Strafgesetz hat die früher festgeschriebenen "konterrevolutionären Straftaten" abgeschafft und im Wesentlichen durch Tatbestände der "Straftaten, welche die Sicherheit des Staates gefährden" (Art. 102-114 chin. StG) ersetzt. Danach können vor allem Personen bestraft werden, die einen politischen Umsturz/Separatismus anstreben oder das Ansehen der VR China beeinträchtigen. Gerade dieser Teil des Strafgesetzes fällt durch eine Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe auf (AA 15.12.2016). Die Regierung hat weitere Gesetze zur nationalen Sicherheit ausgearbeitet und verabschieden lassen, die eine ernste Gefahr für den Schutz der Menschenrechte darstellen. Das massive landesweite Vorgehen gegen Menschenrechtsanwälte und politisch engagierte Bürger hielt das ganze Jahr über an (AI 22.2.2017). Prozesse, bei denen die Anklage auf Terrorismus oder "Verrat von Staatsgeheimnissen" lautet, werden unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt. Was ein Staatsgeheimnis ist, kann nach chinesischer Gesetzeslage auch rückwirkend festgelegt werden. Angeklagte werden in diesen Prozessen weiterhin in erheblichem Umfang bei der Wahrnehmung ihrer Rechte beschränkt. U.a. wird dem Beschuldigten meist nicht erlaubt, Verteidiger seiner Wahl zu beauftragen; nur in seltenen Ausnahmefällen wird vom Gericht überhaupt eine Verteidigung bestellt (AA 15.12.2016).

Auch 2016 setzten sich die Übergriffe der Behörden auf Menschenrechtsanwälte das ganze Jahr hindurch mit Verhaftungen und strafrechtlichen Verfolgungen fort (FH 1.2017a). Rechtsanwälte, die in kontroversen Fällen tätig wurden, mussten mit Drangsalierungen und Drohungen seitens der Behörden rechnen, und in einigen Fällen wurde ihnen die weitere berufliche Tätigkeit verboten. Dies hatte zur Konsequenz, dass der Zugang der Bürger zu einem gerechten Gerichtsverfahren sehr stark eingeschränkt war. Mangelhafte nationale Gesetze und systemische Probleme im Strafrechtssystem hatten weitverbreitete Folter und anderweitige Misshandlungen sowie unfaire Gerichtsverfahren zur Folge (AI 22.2.2017).

Seit der offiziellen Abschaffung der administrativen "Umerziehung durch Arbeit" im Jänner 2014 werden Menschenrechtsaktivisten vermehrt auf Basis der Strafrechtstatbestände der Unruhestiftung oder des Separatismus verurteilt und somit in Strafhaft gesperrt, wobei aufgrund der vagen Tatbestände ein strafrechtsrelevanter Sachverhalt relativ leicht kreiert werden kann (ÖB 11.2016). Häufig wurden Anklagen wegen "Untergrabung der staatlichen Ordnung", "Untergrabung der Staatsmacht", "Anstiftung zum Separatismus" "Anstiftung zu Subversion" oder "Weitergabe von Staatsgeheimnissen", sowie "Weitergabe nachrichtendienstlicher Inf

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten