Entscheidungsdatum
31.10.2019Norm
AsylG 2005 §10 Abs2Spruch
I406 1438585-2/14E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gerhard KNITEL über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA. Nigeria, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, Wattgasse 48/3, 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.01.2018, Zl. XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 10.10.2019, zu Recht erkannt:
A)
In Erledigung der Beschwerde wird ausgesprochen, dass eine Rückkehrentscheidung gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 iVm § 52 FPG iVm § 9 Abs. 2 und 3 BFA-VG auf Dauer unzulässig ist, und XXXX gemäß §§ 54 Abs. 1 Z 2 und Abs. 2, 55 Abs. 1 AsylG der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer stellte am 08.10.2013 einen Antrag auf internationalen Schutz, welcher mit Bescheid des damaligen Bundesasylamtes vom 14.10.2013, Zl. XXXX, als unbegründet abgewiesen wurde. Gleichzeitig wurde der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Nigeria ausgewiesen.
Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 26.08.2016, W184 1438585-1/14E, in Bezug auf den Status eines Asyl- bzw. subsidiär Schutzberechtigten als unbegründet abgewiesen und das Verfahren gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) zurückverwiesen.
2. Mit angefochtenem Bescheid vom 15.01.2018, Zl. XXXX, erteilte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht, erließ gemäß § 10 Abs. 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Ziffer 2 FPG, stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Nigeria zulässig ist und bestimmte als Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.
3. Am 06.02.2018 erhob der Beschwerdeführer durch seine Rechtsvertretung fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht und focht den Bescheid in vollem Umfang an. Zusammengefasst machte der Beschwerdeführer darin geltend, dass er sich während seines bald fünfjährigen Aufenthaltes in Österreich vorbildlich integriert und dem BFA auch entsprechende Integrationsunterlagen als Beweismittel vorgelegt habe. Das Bundesamt habe es jedoch entgegen dem Grundsatz der Offizialmaxime verabsäumt, sich in einer persönlichen Einvernahme ein konkretes Bild von ihm zu machen und sich stattdessen mit einem schriftlichen Parteiengehör begnügt. Die Rückkehrentscheidung sei angesichts der Bindungen des Beschwerdeführers an das Bundesgebiet unverhältnismäßig im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK. Der Beschwerde beigefügt war ein Konvolut an Unterlagen zur Integration, darunter:
Zeugnisse des ÖIF über positiv absolvierte Prüfungen auf dem Niveau A1 und A2, ein Deutsch B1- Zeugnis des IKI Wien vom 17.01.2018, Empfehlungsschreiben des Bürgermeisters der Stadt XXXX vom 02.03.2015 und vom 06.12.2017, eine Arbeitsplatz-Zusage des Stiftes XXXX vom 29.09.2016, ein Empfehlungsschreiben des Stiftes vom 17.11.2017, zwei weitere private Empfehlungsschreiben, eine Bestätigung über den Mietzins seiner Unterkunft vom 27.03.2017, eine Bestätigung des WIFI XXXX vom 03.09.2015 über einen Wartelisten-Platz für den Kurs XXXX, eine Bestätigung über eine am 04.07.2016 positiv absolvierte theoretische Führerscheinprüfung sowie ein Schreiben des Amtes der XXXX Landesregierung vom 26.02.2014 über die Gewährung von Grundversorgungsleistungen.
4. Mit Schreiben vom 18.09.2019 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer Länderfeststellungen zu seinem Herkunftsstaat und Feststellungen zu seiner persönlichen Situation zum rechtlichen Gehör sowie einen Fragenkatalog zu seiner Situation in Österreich.
5. Mit Stellungnahme vom 02.10.2019 wies die rechtsfreundliche Vertretung des Beschwerdeführers auf dessen Interessen im Sinne des Art. 8 EMRK hin und übermittelte weitere Unterlagen zu seiner Integration, und zwar eine Liste seiner wichtigsten Freunde und Bekannten in Österreich, Arbeitsplatz-Zusagen des Stiftes XXXX vom 26.09.2018 und vom 30.09.2019, private Unterstützungsschreiben, einen Nachweis über seine Selbstversicherung in der Krankenversicherung sowie zwei Schreiben einer mit dem Beschwerdeführer eng befreundeten Familie vom 16.07.2019 und vom 11.09.2019 an den Justizminister betreffend eine beabsichtigte, jedoch aufgrund rechtlicher Hürden nicht mögliche Adoption des Beschwerdeführers.
6. Mit Eingabe vom 02.10.2019 übermittelte der Beschwerdeführer dem Bundesverwaltungsgericht eine Bestätigung über seine Teilnahme an einem Werte- und Orientierungskurs des ÖIF am 13.09.2019.
7. Am 10.10.2019 fand eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht im Beisein des Beschwerdeführers, einer Freundin des Beschwerdeführers als Zeugin und seiner Rechtsvertretung statt. Ein Vertreter des BFA war entschuldigt nicht erschienen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1 Zur Person des Beschwerdeführers:
Die Identität des Beschwerdeführers steht nicht fest. Soweit er namentlich genannt wird, dient dies lediglich seiner Identifizierung als Verfahrenspartei, nicht jedoch einer Vorfragebeurteilung im Sinn des § 38 AVG.
Der Beschwerdeführer ist nigerianischer Staatsangehörigkeit und Herkunft und somit Drittstaatsangehöriger im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 20b AsylG 2005. Er ist volljährig, ledig, kinderlos und bekennt sich zum christlichen Glauben. Der Beschwerdeführer gehört der Volksgruppe der Ika an und spricht die Sprachen Ika, Englisch und Deutsch.
Der Beschwerdeführer hält sich seit mindestens 08.10.2013 in Österreich auf und stellte an diesem Tag einen Antrag auf internationalen Schutz, der am 26.08.2016 in zweiter Instanz rechtskräftig negativ entschieden wurde. Gleichzeitig wurde das Verfahren zur Prüfung der Erlassung einer Rückkehrentscheidung an die belangte Behörde zurückverwiesen.
In Österreich verfügt der Beschwerdeführer über keine Verwandten und über keine maßgeblichen familiären Beziehungen, jedoch über private. Er ist für niemanden sorgepflichtig.
Der Beschwerdeführer war von Beginn an um seine Integration bemüht. So absolvierte er diverse Deutschprüfungen, und zwar ein ÖIF Zertifikat A1 am 04.11.2014, ein ÖIF Zertifikat A2 am 02.04.2015 und ein iki Zertifikat B1 am 17.01.2018 und spricht Deutsch auf dem Niveau B1. Er hat zahlreiche Freunde und Bekannte im Bundesgebiet, ist in seiner Stadtgemeinde und besonders in der Pfarrgemeinschaft gut integriert und zeigt sich in seinem Umfeld sehr engagiert. So hilft er kostenlos alten und gebrechlichen Menschen in seiner Wohnumgebung, arbeitet ehrenamtlich für die Pfarre XXXX und wird von der Stadtgemeinde regelmäßig als Remunerant für Hilfsdienste eingesetzt. Weiters ist er Mitglied einer Hobby- Fußballmannschaft, hat eine Prüfung für den österreichischen Führerschein positiv absolviert und kann eine Einstellungszusage des Stiftes vorweisen. Eine befreundete österreichische Familie versuchte, den Beschwerdeführer zu adoptieren, was jedoch an den Bestimmungen des nigerianischen Adoptionsrechts scheiterte. Der Beschwerdeführer bezieht seit 01.09.2018 keine Leistungen aus der Grundversorgung mehr und bestreitet seinen Lebensunterhalt durch gemeinnützige Tätigkeiten und die Unterstützung seiner Freunde.
Beim Beschwerdeführer liegt somit eine gelungene und fortgeschrittene Integration vor.
Er ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zum Verfahrensgang und Sachverhalt
Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes. Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR) und der Grundversorgung (GVS) wurden ergänzend zum vorliegenden Akt eingeholt.
2.2. Zur Person des Beschwerdeführers:
Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zu Identität, Staatsangehörigkeit, persönlichen Verhältnissen und Lebensumständen sowie zum Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet getroffen wurden, beruhen diese auf der rechtskräftigen Entscheidung des Vorverfahrens und den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen.
Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer über keine familiären Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet verfügt, beruht auf seinen glaubhaften Angaben.
Die Feststellung zur gelungenen Integration des Beschwerdeführers im Bundesgebiet ergibt sich aus den zahlreichen vorgelegten Unterlagen, sowie den glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers und einer als Zeugin einvernommenen Freundin vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die Feststellungen zu den vom Beschwerdeführer abgelegten Deutschprüfungen und seinen Deutschkenntnissen beruht auf den von ihm vorgelegten Prüfungszeugnissen und dem Eindruck in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Aus einem vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten GVS-Auszug und aus den vorgelegten Unterlagen ergibt sich die Feststellung, dass der Beschwerdeführer bereits seit über einem Jahr nicht mehr auf Leistungen aus der Grundversorgung angewiesen ist.
Die Feststellung zu seiner strafgerichtlichen Unbescholtenheit beruht auf dem Strafregister.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
3.1. Zur Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt I.):
Ob eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist, ergibt sich aus § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG. Dieser lautet:
"Schutz des Privat- und Familienlebens
§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre."
Es ist zu prüfen, ob eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG einen zulässigen Eingriff in das Recht des Beschwerdeführers auf Achtung des Privat- und Familienlebens in Österreich darstellt (Art. 8 Abs. 1 und 2 EMRK).
Gemäß Art 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.
Gemäß Art 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechtes nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Art. 8 Abs. 2 EMRK erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffs; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinne wird eine Ausweisung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wögen als die nachtteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.
Bei dieser Abwägung sind insbesondere die Dauer des Aufenthaltes, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens und dessen Intensität, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, den Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert, die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, aber auch Verstöße gegen das Einwanderungsrecht und Erfordernisse der öffentlichen Ordnung maßgeblich.
Auch die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, ist bei der Abwägung in Betracht zu ziehen (vgl. VfGH vom 29.9.2007, B 1150/07-9).
Der Verfassungsgerichtshof geht in seiner Rechtsprechung davon aus, dass bereits die Ausweisung, nicht erst deren Vollzug einen Eingriff in das durch Art. 8 Abs. 1 gewährleistete Recht auf Privat- und Familienleben darstellt (vgl. die bei Feßl/Holzschuster, Asylgesetz 2005, S 344 zitierte Judikatur des VfGH).
Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens, insbesondere des persönlichen Eindrucks des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich:
Der Beschwerdeführer hält sich seit Oktober 2013 durchgehend in Österreich auf und hat seit Beginn seines Aufenthalts auch erkennbare Anstrengungen unternommen, um sich in Österreich in sprachlicher, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Hinsicht so weit wie möglich zu integrieren.
Mit insgesamt sechs Jahren ist dabei die Dauer seines Aufenthaltes durchaus beträchtlich.
Gemäß der aktuellen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes ist die Integration von Asylwerbern stärker zu berücksichtigen, wenn - anders als in Fällen, in denen die Integration auf einem nur durch Folgeanträge begründeten unsicheren Aufenthaltsstatus basierte - diese während eines einzigen Asylverfahrens erfolgt ist und von den Asylwerbern nicht schuldhaft verzögert wurde (vgl. VfGH 7.10.2010, B 950/10 u.a., wonach es die Verantwortung des Staates ist, die Voraussetzungen zu schaffen, um Verfahren so effizient führen zu können, dass nicht bis zur ersten rechtskräftigen Entscheidung - ohne Vorliegen außergewöhnlich komplexer Rechtsfragen und ohne, dass dem nunmehrigen Beschwerdeführer die lange Dauer des Asylverfahrens anzulasten wäre - sechs Jahre verstreichen).
Diese Judikatur wurde durch die Einführung der lit. I in § 10 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 im Rahmen der Novelle BGBl. I Nr. 38/2011 - seit 01.01.2014 nunmehr § 9 Abs. 2 Z 9 BFA-VG - umgesetzt. Im gegenständlichen Fall ist die insgesamt rund sechsjährige Verfahrensdauer nicht dem Beschwerdeführer anzulasten.
Erheblich zu seinen Gunsten zu werten ist sein überdurchschnittliches Engagement beim Erlernen der deutschen Sprache: Dieses zeigt sich darin, dass der Beschwerdeführer am 04.11.2014 die ÖIF-Prüfung Deutsch A1, am 02.04.2015 die ÖIF-Prüfung Deutsch A2 und am 17.01.2018 die Prüfung Deutsch B1 des XXXX positiv absolvierte und darüberhinaus am 13.09.2019 an einem ÖIF- Werte- und Orientierungskurs gemäß § 5 Integrationsgesetz teilgenommen hat. Seine Sprachkenntnisse belegen eindrücklich, dass der Beschwerdeführer an einer umfassenden Teilhabe am täglichen Leben der österreichischen Bevölkerung interessiert und dazu imstande ist. So war er auch in der Lage, die ihm in der mündlichen Beschwerdeverhandlung auf Deutsch gestellten Fragen zu verstehen und auf Deutsch zu beantworten.
Weiters fällt das integrative Engagement des Beschwerdeführers in seiner Stadt- und Pfarrgemeinde erheblich zu seinen Gunsten ins Gewicht. So hat sich er einen umfangreichen Freundes- und Bekanntenkreis aufgebaut und zeigte stets großes ehrenamtliches Engagement. Der Beschwerdeführer hat gezeigt, dass er in den letzten Jahren um eine möglichst umfassende und auf Dauer angelegte persönliche Integration in Österreich bemüht war und zeigten diese Bemühungen beachtliche Erfolge. Dass er sich zum Zeitpunkt des Entstehens dieses Privatlebens seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste, tritt angesichts des dargelegten Ausmaßes des tatsächlichen Bestehens des Privatlebens sowie des Umstandes, dass die Verfahrensdauer primär von Behörden und nicht vom Beschwerdeführer selbst zu verantworten ist, in den Hintergrund. (vgl. VfGH 13.03.2008, B1032/07; VfGH 15.12.2011, U760-764). Es wird nicht verkannt, dass dem Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, insbesondere der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften im Rahmen einer Güterabwägung grundsätzlich ein hoher Stellenwert zukommt. Im Zuge der Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG überwiegen jedoch unter Einbeziehung aller für den Beschwerdeführer sprechenden Umstände seine privaten Interessen die öffentlichen an der Beendigung seines Aufenthalts im Bundesgebiet.
Es ist daher gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG festzustellen, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer auf Dauer unzulässig ist.
Zum Aufenthaltstitel:
Gemäß § 58 Abs. 2 AsylG 2005 idF BGBl. 70/2015 ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 auch von Amts wegen zu prüfen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird.
Im Rahmen der erläuternden Bemerkungen zum FRÄG 2015 wurde klargestellt, dass auch das Bundesverwaltungsgericht - in jeder Verfahrenskonstellation - über einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG 2005 absprechen darf. Es handelt sich hierbei jedoch nicht um eine Einräumung einer amtswegigen Entscheidungszuständigkeit für das Bundesverwaltungsgericht, welche entsprechend dem Prüfungsbeschluss des VfGH vom 26. Juni 2014 (E 4/2014) als unzulässig zu betrachten wäre, da die Frage der Erteilung des Aufenthaltstitels diesfalls vom Prüfungsgegenstand einer angefochtenen Rückkehrentscheidung mitumfasst ist und daher in einem zu entscheiden ist.
In diesem Sinne betonte auch der Verwaltungsgerichtshof in seinen Entscheidungen vom 30.06.2016, Ra 2016/21/0103 sowie vom 04.08.2016, Ra 2016/21/0203, dass das Bundesverwaltungsgericht den Aufenthaltstitel im Rahmen seiner Sachentscheidungspflicht im verfahrensabschließenden Erkenntnis selbst in konstitutiver Weise zu erteilen habe. Auch das Bundesverwaltungsgericht hat daher im Falle, es erkennt im Beschwerdeverfahren erstmalig die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung, die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 anzuordnen (Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, § 58 AsylG K4).
Gemäß § 55 Abs. 1 AsylG ist einem im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn
1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK geboten ist und
2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird.
Liegt gemäß Abs. 2 leg. cit. nur die die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen.
Gemäß § 54 Abs. 2 AsylG ist eine "Aufenthaltsberechtigung" und eine "Aufenthaltsberechtigung plus" für die Dauer von zwölf Monaten beginnend mit dem Ausstellungsdatum auszustellen.
Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, dass für die Erteilung einer "Aufenthaltsberechtigung plus" die Voraussetzungen nach Z 1 und Z 2 des § 55 Abs. 1 AsylG kumulativ vorliegen müssen und ist daher nicht nur zu prüfen, ob die Erteilung eines Aufenthaltstitels für die Beschwerdeführer zur Aufrechterhaltung deren Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist, sondern auch, ob der Beschwerdeführer das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz erfüllt.
Das Modul 1 der Integrationsvereinbarung ist gemäß § 9 IntG erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige einen Nachweis des Österreichischen Integrationsfonds über die erfolgreiche Absolvierung der Integrationsprüfung gemäß § 11 vorlegt (Z 1), einen gleichwertigen Nachweis gemäß § 11 Abs. 4 über die erfolgreiche Absolvierung der Integrationsprüfung vorlegt (Z 2), über einen Schulabschluss verfügt, der der allgemeinen Universitätsreife im Sinne des § 64 Abs. 1 Universitätsgesetz 2002, BGBl. I Nr. 120/2002, oder einem Abschluss einer berufsbildenden mittleren Schule entspricht (Z 3), einen Aufenthaltstitelt "Rot-Weiß-Rot Karte" gemäß § 41 Abs. 1 oder 2 NAG besitzt (Z 4) oder als Inhaber eines Aufenthaltstitels "Niederlassungsbewilligung Künstler" gemäß § 43a NAG eine künstlerische Tätigkeit in einer der unter § 2 Abs. 1 Z 1 bis 3 Kunstförderungsgesetz, BGBl. I Nr. 146/1988, genannten Kunstsparte ausübt; bei Zweifeln über das Vorliegen einer solchen Tätigkeit ist eine diesbezügliche Stellungnahme des zuständigen Bundesministers einzuholen.
§ 11 Abs. 2 Integrationsgesetz lautet:
Die Prüfung umfasst Sprach- und Werteinhalte. Mit der Prüfung ist festzustellen, ob der Drittstaatsangehörige über vertiefte elementare Kenntnisse der deutschen Sprache zur Kommunikation und zum Lesen und Schreiben von Texten des Alltags auf dem Sprachniveau A2 gemäß dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen und über Kenntnisse der grundlegenden Werte der Rechts- und Gesellschaftsordnung der Republik Österreich verfügt. Der Prüfungserfolgt ist mit "Bestanden" oder "Nicht bestanden" zu beurteilen. Zur erfolgreichen Absolvierung der Prüfung muss sowohl das Wissen über Sprach- sowie über Werteinhalte nachgewiesen werden. Wiederholungen von nicht bestandenen Prüfungen sind zulässig. Die Wiederholung von einzelnen Prüfungsinhalten ist nicht zulässig.
Die Übergangsbestimmung des § 81 Abs. 36 NAG lautet:
Das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 IntG gilt als erfüllt, wenn Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 68/2017 vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 68/2017 erfüllt haben oder von der Erfüllung ausgenommen waren.
Die weiteren maßgeblichen Bestimmungen des NAG (idF vor BGBl I. Nr. 68/2017) lauten:
Modul 1 der Integrationsvereinbarung
Gemäß § 14a Abs. 1 erster Satz NAG sind Drittstaatsangehörige mit erstmaliger Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 8 Abs. 1, Z 1, 2, 4, 5, 6 oder 8 zur Erfüllung des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung verpflichtet.
Gemäß Abs. 4 leg. cit. ist das Modul 1 der Integrationsvereinbarung erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige
1. einen Deutsch-Integrationskurs besucht und einen Nachweis des Österreichischen Integrationsfonds über den erfolgreichen Abschluss des Deutsch-Integrationskurses vorlegt,
2. einen allgemein anerkannten Nachweis über ausreichende Deutschkenntnisse gemäß § 14 Abs. 2 Z 1 [= Kenntnisse der deutschen Sprache zur vertiefenden elementaren Sprachverwendung] vorlegt,
3. über einen Schulabschluss verfügt, der der allgemeinen Universitätsreife im Sinne des § 64 Abs. 1 des Universitätsgesetzes 2002, BGBl. I Nr. 120, oder einem Abschluss einer berufsbildenden mittleren Schule entspricht oder
4. einen Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte" gemäß § 41 Abs. 1 oder 2 besitzt.
Der Aufenthaltstitel ""Aufenthaltsberechtigung" unterscheidet sich von der "Aufenthaltsberechtigung plus" gemäß § 54 Abs. 1 AsylG nur in Bezug auf die Berechtigung zur Ausübung von Erwerbstätigkeiten, und zwar dahin, dass die "Aufenthaltsberechtigung" insoweit weniger Rechte einräumt. Statt wie bei der "Aufenthaltsberechtigung plus", die einen unbeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt iSd § 17 AuslBG vermittelt, besteht nämlich für die Ausübung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit das Erfordernis einer Berechtigung nach dem AuslBG.
Im gegenständlichen Fall bedeutet dies:
Der Beschwerdeführer verfügt über ein Deutsch Zertifikat A2 des ÖIF, ausgestellt am 02.04.2015, weshalb er das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a in der Fassung vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bundesgesetz BGBl. Nr. 68/2017 erfüllt hat. Gemäß der zitierten Übergangsbestimmung ist die mangelnde Absolvierung der Integrationsprüfung gemäß § 11 Abs. 2 IntG als Nachweis, dass der Beschwerdeführer mit den Werten der Republik Österreich in Kenntnis und verbunden ist, nicht maßgeblich für die Erteilung einer "Aufenthaltsberechtigung plus" gemäß § 55 AsylG Abs. 1, soweit er die Voraussetzungen des Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a NAG idF vor dem BGBl. I Nr. 68/2017, vor dem Zeitpunkt seines Inkrafttretens erfüllt hat. Der Beschwerdeführer erfüllt somit auch ohne Vorlage eines Nachweises über die Absolvierung einer Integrationsprüfung über die Kenntnisse der grundlegenden Werte der Rechts- und Gesellschaftsordnung der Republik Österreich bzw. nur mittels Vorlage seines Sprachzertifikates auf dem Niveau A2 die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005.
Da die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 Abs. 1 AsylG 2005 in Folge des Ausspruches der dauerhaften Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung und der Vorlage des Zertifikats A2 gegeben sind, war dem Beschwerdeführer der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" zu gewähren.
Der angefochtene Bescheid ist daher zu beheben und ist festzustellen, dass die Rückkehrentscheidung des Beschwerdeführers auf Dauer unzulässig ist.
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wird daher - unter der Voraussetzung der Erfüllung der allgemeinen Mitwirkungspflicht im Sinne des § 58 Abs. 11 AsylG - dem Beschwerdeführer den Aufenthaltstitel im Sinne des § 58 Abs. 4 AsylG auszufolgen haben.
Der Aufenthaltstitel gilt gemäß § 54 Abs. 2 AsylG 2005 zwölf Monate lang, beginnend mit dem Ausstellungsdatum.
Zu Spruchteil B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (vgl die oben angeführte Judikatur); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Aufenthaltsberechtigung plus, Aufenthaltstitel, befristeteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:I406.1438585.2.00Zuletzt aktualisiert am
12.05.2020