TE Bvwg Erkenntnis 2020/1/16 W271 2170955-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.01.2020
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Entscheidungsdatum

16.01.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W271 2170955-1/17E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Anna WALBERT-SATEK über die Beschwerde des XXXX alias XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer (in der Folge: "BF"), ein afghanischer Staatsangehöriger der Volksgruppe der Tadschiken, stellte am XXXX bei einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes der XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Bei der am XXXX durchgeführten Erstbefragung gab der BF im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Dari im Wesentlichen Folgendes an:

Er sei am XXXX in Schiras, Iran, geboren worden, habe dort acht Jahre lang eine Schule besucht und bisher keine Beschäftigung ausgeübt. Der BF gab weiters an, im Iran über eine Familie zu verfügen: Diese bestehe aus seinen Eltern, zwei Brüdern und einer Schwester. Außerdem würden Verwandte in England und Deutschland leben.

Als Fluchtgrund führte der BF im Wesentlichen an, dass die Situation im Iran für ihn und seine Familie schlecht gewesen sei. Es habe keine Möglichkeit gegeben, zur Schule zu gehen und zu arbeiten. Außerdem habe die Familie immer zahlen müssen, um nicht abgeschoben zu werden, und der BF sei, weil er Sunnit gewesen sei, schlecht behandelt worden. Deshalb sei er zusammen mit seiner Familie geflohen; die Familie sei aber an der türkischen Grenze zurückgewiesen worden. In Afghanistan könne er nicht leben, weil dort Krieg herrsche.

3. Am XXXX fand eine Einvernahme des BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: "BFA") in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari und einer gesetzlichen Vertretung des BF statt.

Der BF gab an, aus der Stadt Schiras zu stammen und dort durchgehend bis zu seiner Ausreise gelebt zu haben. Dieser habe acht Jahre lang eine Schule besucht und niemals gearbeitet. Seine Familie, die vor ca. 25 oder 30 Jahren Kabul verlassen habe und zu der er Kontakt pflege, halte sich nach wie vor im Iran auf. Im Herkunftsstaat lebe nur eine Großmutter, die der BF noch nie gesehen habe.

Zu seinem Fluchtgrund befragt schilderte der BF zusammengefasst, dass sein Vater früher als Polizist gearbeitet habe und sein Leben durch die Taliban in Gefahr gewesen sei. Dieser habe auch aktiv gekämpft, sei mit dem Messer verletzt und angeschossen worden. Außerdem habe sein Vater Probleme mit den Cousins des BF wegen eines Erbes gehabt und ein Onkel väterlicherseits sei dabei getötet worden; der BF wisse jedoch nicht wie und warum. Es habe eine Auseinandersetzung innerhalb der Familie gegeben, bei der der Vater des BF geschlagen und verletzt worden sei. Der BF betonte, in Afghanistan dieselben Probleme wie seine Eltern zu haben, und dass es in Afghanistan nicht sicher sei.

4. Mit Beschluss des Bezirksgerichts XXXX vom XXXX wurde das XXXX mit der Obsorge des minderjährigen BF betraut.

5. Mit Bescheid vom XXXX wies die belangte Behörde den Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß §§ 3 und 8 AsylG 2005 ab, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass eine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei.

6. Der BF erhob am XXXX gegen sämtliche Spruchpunkte Beschwerde. Es wurde insbesondere hervorgehoben, dass der BF, der überhaupt keinen Bezug zu Afghanistan aufweise, bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland wegen der Probleme seiner Eltern verfolgt werden würde. Im Afghanistan herrsche überdies eine prekäre Sicherheitslage und eine aussichtslose Lage für Minderjährige, weshalb keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung stehe.

7. Die Beschwerdevorlage erfolgte mit Schreiben vom XXXX . Am XXXX langte der Akt beim Bundesverwaltungsgericht (in der Folge auch: "BVwG") ein.

8. Mit Eingaben vom XXXX , XXXX , XXXX , XXXX und XXXX wurden mehrere Integrationsunterlagen des BF an das BVwG übermittelt.

9. Mit Schriftsatz vom XXXX gab der BF eine Stellungnahme zu seiner Situation im Falle einer Rückkehr ab und brachte dazu zahlreiche herkunftsbezogene Unterlagen in Vorlage.

10. Mit Eingabe vom XXXX übermittelte das BVwG dem BF die aktualisierte Version des Länderinformationsblattes (Stand: 13.11.2019) zur Kenntnis.

11. Das BVwG führte am XXXX in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari und im Beisein einer Rechtsvertreterin des BF eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Zu Beginn der Vernehmung wies der BF darauf hin, dass Fehler im Ersteinvernahme-Protokoll gegeben habe: Etwa sei nicht korrekt protokolliert worden, dass dieser als sunnitischer Moslem im Iran und nicht in Afghanistan Probleme gehabt habe. Später machte der BF noch geltend, dass er vor dem BFA gesagt habe, dass sein Vater Probleme mit einem Onkel väterlicherseits des BF sowie dessen Kindern und nicht mit den Cousins alleine einen Konflikt gehabt habe.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

1.1. Person des BF

1.1.1. Der BF trägt den Namen XXXX alias XXXX und führt das Geburtsdatum XXXX . Dieser ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Volksgruppenangehöriger der Tadschiken und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben. Der BF spricht Dari als Muttersprache und beherrscht die Sprache in Wort und Schrift. Es bestehen keine Sprachbarrieren in Afghanistan. Außerdem spricht er etwas Englisch. Dari gehört zu den offiziellen Landessprachen in Afghanistan.

1.1.2. Der BF ist volljährig, ledig sowie kinderlos und wurde in Kabul geboren, wo er im Kreise einer afghanischen Familie aufwuchs und sozialisiert wurde. Er besuchte acht Jahre lang eine Schule; einer Beschäftigung ist der BF bislang nicht nachgegangen. Im Zuge der Ausreise hielt sich der BF kurz in Iran, Shiras, auf.

1.1.3. Die Eltern und Geschwister des BF stammen ebenfalls aus Kabul. Mehrere Angehörige des BF leben in Kabul (Onkel, Cousins). Es besteht Kontakt zu seinen Angehörigen.

Im Herkunftsstaat lebt außerdem eine Großmutter des BF. Weitere Verwandtschaft wohnt in Deutschland, England und Kanada.

1.1.4. Der BF machte sich im XXXX auf den Weg nach Europa. Er reiste spätestens am XXXX in Österreich ein und stellte an diesem Tag im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz. Die Flucht des BF wurde durch seinen Vater organisiert und finanziert.

1.1.5. In seinem Herkunftsstaat ist der BF nicht vorbestraft, er war auch nicht politisch tätig und hatte keine Probleme mit den Behörden im Herkunftsstaat.

1.1.6. Der BF ist gesund und arbeits- sowie selbsterhaltungsfähig.

1.1.7. Im Bundesgebiet verfügt der BF über keine Verwandten. Es gibt aber einen Mann, den der BF "Cousin" nennt, obwohl er nicht mit ihm blutsverwandt ist. Zu dem "Cousin" besteht meistens einmal im Monat Kontakt.

Seit ungefähr zehn Monaten führt der BF zudem eine feste Beziehung zu einer Frau im Bundesgebiet. Es besteht seitens des BF zu der Freundin weder ein gemeinsamer Haushalt, noch eine finanzielle Abhängigkeit.

1.1.8. Der BF wohnt derzeit in einer Unterkunft in XXXX und bezieht Gelder aus öffentlichen Mitteln. Er geht keiner regelmäßigen bezahlten Beschäftigung nach, nimmt aber seit XXXX an einem Integrationsprojekt teil, im Rahmen dessen er sich ehrenamtlich engagiert. Der BF plant, künftig als KFZ-Mechaniker zu arbeiten. Beim KFZ-Mechaniker handelt es sich um einen Mangelberuf.

Seit seiner Ankunft im Bundesgebiet hat der BF eine Polytechnische Schule, im Zuge derer er berufspraktische Tage bei der Firma XXXX absolviert hat, und eine HTL für Elektrotechnik besucht, beide Ausbildungen aber abgebrochen. Er hat den Pflichtschulabschluss nachgeholt und einen Werte- und Orientierungskurs abgelegt. Außerdem absolvierte der BF mehrere Deutschkurse und legte zuletzt eine B2-Sprachprüfung ab.

In seiner Freizeit spielt der BF in einem Verein Fußball und pflegt soziale Kontakte zu Österreichern. Für diesen wurde eine Unterstützungserklärung von seinem Verein ausgestellt, die dessen freundliche Art sowie Bemühungen zur Teilhabe an der Gesellschaft unterstreichen.

1.1.9. Der BF ist in Österreich nicht vorbestraft, er war nicht von einer gerichtlichen Untersuchung in Österreich betroffen und hat keine Verwaltungsstrafe begangen.

1.2. Gründe für das Verlassen des Herkunftsstaates

1.2.1. Der BF ist nicht persönlich glaubwürdig. Dieser hat in Afghanistan aufgrund seiner Eigenschaft als Sohn seines Vaters weder Probleme mit den Taliban wegen der früheren beruflichen Tätigkeit seines Vaters als Polizist, noch Schwierigkeiten mit Verwandten väterlicherseits wegen familiärer Erbstreitigkeiten zu befürchten.

Im Herkunftsstaat hatten der BF und seine Kernfamilie niemals spezielle Probleme mit den genannten Personengruppen; auch nach der Ausreise des BF ist seine Kernfamilie nicht in den Fokus der regierungsfeindlichen Gruppierung und der afghanischen Familienangehörigen geraten. Der BF wurde nie persönlich bedroht; solche Bedrohungen standen auch nicht unmittelbar bevor und sind im Fall einer Rückkehr ebenfalls nicht zu befürchten.

Der BF hatte in Afghanistan auch sonst keine Probleme mit regierungsfeindlichen Gruppierungen, dem Staat oder sonst jemandem. Insbesondere hatte dieser in Afghanistan keine Probleme wegen seiner Nationalität, Religion, Ethnie, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppierung und sind solche Probleme im Fall seiner Rückkehr auch nicht speziell zu befürchten.

1.2.2. Ein militärischer Hintergrund war beim BF nicht festzustellen; es konnte auch sonst nichts festgestellt werden, was den BF in den Augen der Taliban oder einer anderen regierungsfeindlichen Gruppierung als wahrscheinliches Ziel einer Zwangsrekrutierung erscheinen ließe. Dem BF droht bei einer Rückkehr nach Afghanistan daher auch nicht mit erhöhter Wahrscheinlichkeit (Zwangs)Rekrutierung durch regierungsfeindliche Gruppierungen.

1.2.3. Es konnte darüber hinaus nicht festgestellt werden, dass in Afghanistan gegen den BF persönlich eine integritätsbedrohende Handlung oder Maßnahme, insbesondere wegen seines Geschlechts, seiner Rasse, Religion, Nationalität Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung, gesetzt wurde oder eine solche Handlung oder Maßnahme unmittelbar bevorstand oder er eine solche Bedrohung im Falle seiner Ausweisung nach Afghanistan überall im Land zu befürchten hätte.

Der BF hat in Afghanistan aufgrund seiner persönlichen Eigenschaften, insbesondere wegen seiner (unterstellten) Eigenschaft als "verwestlichter" Rückkehrer aus Europa oder seiner Tätowierungen, keine gegen ihn gerichtete integritätsgefährdende Bedrohung erlitten, eine solche stand nicht unmittelbar bevor und er hat eine solche Bedrohung im Falle seiner Ausweisung nach Afghanistan nicht speziell zu befürchten.

1.3. Situation im Herkunftsstaat

1.3.1. Politische Lage

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern leben ca. 32 Millionen Menschen. Schätzungen zufolge sind 40 bis 42% Paschtunen, 27 bis 30% Tadschiken, 9 bis 10% Hazara, 9% Usbeken, ca. 4% Aimaken, 3% Turkmenen und 2% Belutschen.

Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht: Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri.

(Auszüge aus folgender Quelle: Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 13.11.2019 [in Folge:

"LIB"], Pkt. 2. "Politische Lage" und Pkt. 17. "Relevante ethnische Minderheiten")

1.3.2. Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil. Diese ist jedoch regional und sogar innerhalb der Provinzen von Distrikt zu Distrikt sehr unterschiedlich.

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren. Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung. Die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, sodass Engpässe entstehen. Dadurch können manchmal auch Kräfte fehlen, um Territorium zu halten. Die Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau.

Für das gesamte Jahr 2018 gab es gegenüber 2017 einen Anstieg in der Gesamtzahl ziviler Opfer und ziviler Todesfälle. Für das erste Halbjahr 2019 wurde eine niedrigere Anzahl ziviler Opfer registrierten, im Juli, August und September lag ein hohes Gewaltniveau vor. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni und Faryab wohnten, waren 2018 am stärksten vom Konflikt betroffen.

Sowohl im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion, weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele (High Profile Angriffe - HPA) aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Diese Angriffe sind jedoch stetig zurückgegangen. Zwischen 1.6.2018 und 30.11.2018 fanden 59 HPAs in Kabul statt, zwischen 1.12.2018 und 15.5.2019 waren es 6 HPAs.

(Auszüge aus folgender Quelle: LIB, Pkt. 3. "Sicherheitslage")

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan sowie Islamic Movement of Uzbekistan.

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Taliban: Zwischen 1.12.2018 und 31.5.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zum Ziel - die Taliban beschränken ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte.

Die Gesamtstärke der Taliban betrug im Jahr 2017 über 200.000 Personen, darunter ca. 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan.

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt. In einigen nördlichen Gebieten bestehen die Taliban bereits überwiegend aus Nicht-Paschtunen, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren.

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Haqqani-Netzwerk: Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida. Als gefährlichster Arm der Taliban, hat das Haqqani-Netzwerk seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt und ist für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich.

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Islamischer Staat (IS/Daesh) - Islamischer Staat Khorasan Provinz:

Die Stärke des ISKP variiert zwischen 1.500 und 3.000 bzw. 2.500 und 4.000 Kämpfern bzw. ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen. Der IS ist seit Sommer 2014 in Afghanistan aktiv. Durch Partnerschaften mit militanten Gruppen konnte der IS seine organisatorischen Kapazitäten sowohl in Afghanistan, als auch in Pakistan stärken. Er ist vor allem im Osten des Landes in der Provinz Nangarhar präsent.

Neben komplexen Angriffen auf Regierungsziele verübte der ISKP zahlreiche groß angelegte Anschläge gegen Zivilisten, insbesondere auf die schiitische-Minderheit. Die Zahl der zivilen Opfer durch ISKP-Handlungen hat sich dabei 2018 gegenüber 2017 mehr als verdoppelt, nahm im ersten Halbjahr 2019 allerdings wieder ab. Die Taliban und der IS sind verfeindet. Während die Taliban ihre Angriffe überwiegend auf Regierungszeile bzw. Sicherheitskräfte beschränken, zielt der IS darauf ab, konfessionelle Gewalt zu fördern und Schiiten anzugreifen.

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Al-Qaida: Al-Qaida sieht Afghanistan auch weiterhin als sichere Zufluchtsstätte für ihre Führung, basierend auf langjährigen und engen Beziehungen zu den Taliban. Al-Qaida will die Präsenz in der Provinz Badakhshan stärken, insbesondere im Distrikt Shighnan, der an der Grenze zu Tadschikistan liegt, aber auch in der Provinz Paktika, Distrikt Barmal, wird versucht, die Präsenz auszubauen.

(Auszüge aus folgender Quelle: LIB, Pkt. 3. "Sicherheitslage")

Sicherheitsbehörden:

Die afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF - Afghan National Defense and Security Forces) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte. Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die ANP (Afghan National Police) und die ALP (Afghan Local Police).

Die Afghanische Nationalarmee (ANA) ist für die externe Sicherheit verantwortlich, dennoch besteht ihre Hauptaufgabe darin, den Aufstand im Land zu bekämpfen. Das Verteidigungsministerium hat die Stärke der ANA mit 227.374 autorisiert. Die Afghan National Police (ANP) gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption sowie die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit in der Bekämpfung von Aufständischen. Die Afghan Local Police (ALP) wird durch die USA finanziert und schützt die Bevölkerung in Dörfern und ländlichen Gebieten vor Angriffen durch Aufständische.

(Auszüge aus folgender Quelle: LIB, Pkt. 5. "Sicherheitsbehörden")

1.3.3. Grundversorgung und Wirtschaftslage

1.3.3.1. Arbeitsmarkt und Arbeitslosigkeit

Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt und stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig.

Am Arbeitsmarkt müssten jährlich 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist angespannt und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Persönliche Kontakte, Empfehlungen sowie ein Netzwerk sind wichtig, um einen Job zu finden. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen, wobei Fähigkeiten, die sich Rückkehrer im Ausland angeeignet haben, eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsuche spielen können. Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Ebenso korreliert ein Mangel an Bildung mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind. In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit.

Der Zugang zu einer produktiven oder entgeltlichen Beschäftigung ist begrenzt, 80% der Beschäftigung gelten als anfällig und unsicher in Form von Selbst- oder Eigenbeschäftigung, Tagarbeit oder unbezahlter Arbeit. Der saisonale Effekt ist erheblich. Die Arbeitslosenquote ist in den Frühlings- und Sommermonaten relativ niedrig (rund 20%), während sie im Winter 32,5% erreichen kann. ALCS 2016-2017 stellte fest, dass nur 19,8% aller in Afghanistan beschäftigten Personen öffentlich und privat angestellt sind oder Arbeitgeber sind, was bedeutet, dass die Mehrheit der Arbeitnehmer eine gefährdete Beschäftigung darstellt.

52,6% der Landbevölkerung sind in der Landwirtschaft beschäftigt, während die städtische Beschäftigung vielfältiger ist. 36,5% der Erwerbsbevölkerung sind in verschiedenen Dienstleistungsbereichen beschäftigt und nur 5,5% in der Landwirtschaft.

Kabul ist das wichtigste Handels- und Beschäftigungszentrum Afghanistans und hat ein größeres Einzugsgebiet in den Provinzen Parwan, Logar und Wardak. Die Hauptstadt hat einen großen Anteil an Angestellten, während Selbständigkeit im Vergleich zu ländlichen Teilen des Landes weniger verbreitet ist. Die Gehälter in Kabul sind in der Regel höher als in anderen Provinzen. Zu den wichtigsten Arbeitgebern in Kabul zählen kommunale, soziale und persönliche Dienstleistungen sowie die öffentliche Verwaltung. Menschen aus kleinen Dörfern pendeln täglich oder wöchentlich nach Kabul, um landwirtschaftliche Produkte zu handeln oder als Wachen, Hausangestellte oder Lohnarbeiter zu arbeiten. Die besten (Arbeits-)Möglichkeiten für Junge existieren in Kabul. Trotz der niedrigeren Erwerbsquoten ist der Frauenanteil in hoch qualifizierten Berufen in Kabul (49,6 %) am größten.

Es gibt lokale Webseiten, die offene Stellen im öffentlichen und privaten Sektor annoncieren. In Kabul gibt es öffentliche Plätze, wo sich Arbeitssuchende und Nachfragende treffen. Viele bewerben sich, nicht jeder wird engagiert. Der Lohn beträgt für Hilfsarbeiter meist USD 4,3 und für angelernte Kräfte bis zu USD 14,5 pro Tag.

Im Vergleich mit anderen Teilen des Landes weist Herat wirtschaftlich und sicherheitstechnisch relativ gute Bedingungen auf. Es gibt Möglichkeiten in Bezug auf Handel, Import und Export von Waren, Bergbau und Produktion. Ungefähr die Hälfte der Erwerbsbevölkerung sind Tagelöhner. Einige der jahrhundertealten handwerklichen Erzeugnisse (Teppiche, Glas, Stickereien) haben überlebt, während sich auch eine Reihe moderner industrieller Tätigkeiten entwickelt hat (z.B. Lebensmittelverarbeitung und -verpackung).

Die Löhne für Gelegenheitsarbeit in Herat-Stadt im Mai 2018 lagen rund 17 Prozent unter dem Fünfjahresdurchschnitt. Damit steht die Lohnentwicklung im Kontrast zu Entwicklungen in anderen urbanen Zentren Afghanistans.

Mazar-e Sharif ist ein regionales Handelszentrum für Nordafghanistan und ein Industriezentrum mit großen Produktionsbetrieben und einer großen Anzahl kleiner und mittlerer Unternehmen, die Kunsthandwerk, Teppiche und Teppiche anbieten. Mazar-e Sharif gilt im Vergleich zu Herat oder Kabul als relativ stabil. Die größte Gruppe von Arbeitern in der Stadt waren Service- und Verkäufer. Die größte Gruppe der Beschäftigten in der Stadt waren Service- und Vertriebsmitarbeiter (23,1%), gefolgt von Managern/Fachleuten/Technikern und Angestellten (20,9%).

In Mazar-e Sharif lagen die Löhne für Gelegenheitsarbeit im Mai 2018 4,5 Prozent über dem Fünfjahresdurchschnitt.

(Auszüge bzw. Zusammenfassung aus folgenden Quellen: LIB, Pkt. 21. "Grundversorgung"; EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan, Afghanistan Networks aus Februar 2018 [in Folge:

"EASO-Bericht Netzwerke"], abrufbar unter:

https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/Afghanistan_Networks.pdf, Pkt. 4.2.; EASO, Afghanistan Key socio-economic indicators, Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City [in Folge: "EASO-Bericht Sozioökonomische Schlüsselindikatoren", abrufbar unter:

https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/EASO_COI_Afghanistan_KSEI_April_2019.pdf, Pkt. 4.2.1.; Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 13.09.2018 ["Lage in Herat-Stadt und Mazar-e Sharif aufgrund anhaltender Dürre"], unter Angabe weiterer Quellen)

1.3.3.2. Armut und Lebensmittelsicherheit

Einer Befragung aus dem Jahr 2016/2017 an rund 155.000 Personen zufolge (Afghan Living Condition Survey - ALCS) sind rund 45% oder 13 Millionen Menschen in Afghanistan von anhaltender oder vorübergehender Lebensmittelunsicherheit betroffen, wobei der Anteil der Betroffenen im Osten, Norden und Nordosten am höchsten ist. Gegenüber dem Zeitraum 2011-12 ist ihr Anteil bei einem Ausgangsniveau von 30% um 15 Prozentpunkte gestiegen.

Die Lebensmittelsicherheit in Kabul und Mazar-e Sharif wurde im Dezember 2018 vom "Famine Early Warning System" (FEWS) als "stressed" (selbst mit humanitärer Hilfe wies mindestens einer von fünf Haushalten nur einen minimalen Nahrungsmittelkonsum auf und konnte sich einige wesentliche Ausgaben für andere Zwecke nicht leisten ohne irreversible Bewältigungsstrategien anzuwenden) und in Herat als "crisis" (trotz humanitärer Hilfe war mindestens jeder fünfte Haushalt unterernährt oder lag über der üblichen akuten Unterernährung oder war nur geringfügig in der Lage, den Mindestnahrungsbedarf zu decken) bezeichnet.

Im Zeitraum 2016-17 lebten dem ALCS zufolge 54,5% der Afghanen unter der Armutsgrenze. Im ländlichen Raum war der Anteil an Bewohnern unter der Armutsgrenze mit 58,6% höher als im städtischen Bereich (41,6%). Schätzungen zufolge ist beispielsweise der Anteil der Bewohner unter der Armutsgrenze in Kabul Stadt und Herat-Stadt bei rund 34-35%. Rund 1,1 Millionen Bewohner von Kabul-Stadt leben unter der Armutsgrenze. In Herat-Stadt beträgt ihre Anzahl rund 327.000.

Der afghanische Staat gewährt seinen Bürgern kostenfreie Bildung und Gesundheitsleistungen, darüber hinaus sind keine Sozialleistungen vorgesehen. Ein Sozialversicherungs- oder Pensionssystem gibt es, von einigen Ausnahmen abgesehen (z.B. Armee und Polizei), nicht. Es gibt kein öffentliches Krankenversicherungssystem. Ein eingeschränktes Angebot an privaten Krankenversicherungen existiert, jedoch sind die Gebühren für die Mehrheit der afghanischen Bevölkerung zu hoch.

(Auszüge bzw. Zusammenfassung aus folgenden Quellen: LIB, Pkt. 21. "Grundversorgung" und Pkt. 21.1. "Sozialbeihilfen, wohlfahrtsstaatliche Leistungen und Versicherungen"; EASO, Country Guidance: Afghanistan aus 2019 [in Folge: "EASO-Länderleitfaden 2019"], abrufbar unter https://www.easo.

europa.eu/sites/default/files/Country_Guidance_Afghanistan_2019.pdf, Seite 132)

1.3.3.3. Dürre und Überschwemmungen

Während der Wintersaat von Dezember 2017 bis Februar 2018 gab es in Afghanistan eine ausgedehnte Zeit der Trockenheit. Dies verschlechterte die Situation für die von Lebensmittelunsicherheit geprägte Bevölkerung weiter und hatte zerstörerische Auswirkungen auf die wirtschaftlichen Existenzgrundlagen, was wiederum zu Binnenflucht führte und es den Binnenvertriebenen mittelfristig erschwert, sich wirtschaftlich zu erholen sowie die Grundbedürfnisse selbständig zu decken.

Günstige Regenfälle im Frühling und beinahe normale Temperaturen haben 2019 die Weidebedingungen wieder verbessert. Da sich viele Haushalte noch von der Dürre des Jahres 2018 erholen müssen, gilt die Ernährungslage für viele Haushalte im Zeitraum 10.2019-1.2020 weiterhin als "angespannt" bis "krisenhaft". Es wird erwartet, dass viele Haushalte vor allem in den höher gelegenen Regionen ihre Vorräte vor dem Winter aufbrauchen werden und bei begrenztem Einkommen und Zugang auf Märkte angewiesen sein werden.

Im März 2019 fanden in Afghanistan Überschwemmungen statt, welche Schätzungen zufolge, Auswirkungen auf mehr als 120.000 Personen in 14 Provinzen hatten. Sturzfluten Ende März 2019 hatten insbesondere für die Bevölkerung in den Provinzen Balkh und Herat schlimme Auswirkungen. Unter anderem waren von den Überschwemmungen auch Menschen betroffen, die zuvor von der Dürre vertrieben wurden.

Der Jahresbericht 2018 des Internal Displacement Monitoring Centre (IDMC) nennt eine Zahl von rund 371.000 neuen IDPs aufgrund der Dürre in Afghanistan im Jahr 2018. Durch die Dürre wurden in der ersten Hälfte des Jahres 2018 mehr als 260.000 Menschen aus den Provinzen Badghis, Daikundi, Herat und Ghor zu IDPs; zahlreiche Menschen verließen auch ihre Heimatprovinzen Jawzjan und Farah. Die meisten von ihnen kamen in Lager in den Städten Herat oder Qala-e-Naw (Badghis). Die Lager werden täglich mit Wasser und Lebensmitteln beliefert und es werden Zelte, Notunterkünfte, Hygiene-, Gesundheits- und Nahrungsdienste zur Verfügung gestellt. Im Jahr 2018 sind im Westen Afghanistans aufgrund der Dürre ca. 19 Siedlungen für Binnenvertriebene entstanden, der Großteil davon ca. 20-25 km von Herat-Stadt entfernt. Vertriebene Personen siedelten sich hauptsächlich in Stadtrandgebieten an, um sich in der Stadt Zugang zu Dienstleistungen (die in den Siedlungen, welche grundsätzlich auf leeren Feldern entstanden, nicht vorhanden sind) und dem Arbeitsmarkt zu verschaffen. In der Stadt kam es zu Demonstrationen von Bewohnern, welche die Binnenvertriebenen bezichtigten, ihnen die Arbeitsplätze wegzunehmen. Das gestiegene Angebot an billigen Arbeitskräften drückte den Tageslohn von 6-8 USD auf 2-3 USD.

(Auszüge aus folgender Quelle: LIB, Pkt. 20. "IDPs und Flüchtlinge" und Pkt. 21. "Grundversorgung")

1.3.3.4. Wohnungsmarkt

In Kabul und im Umland sowie in Städten stehen Häuser und Wohnungen zur Verfügung. Die Kosten in Kabul-City sind jedoch höher als in den Vororten oder in den anderen Provinzen. Die Lebenshaltungskosten sind für den zentral gelegenen Teil der Stadt Kabul höher als In ländlichen Gebieten.

Es ist auch möglich, anstelle einer Wohnung ein Zimmer zu mieten, da dies billiger ist. Heimkehrer mit Geld können Grund und Boden erwerben und langfristig ein eigenes Haus bauen. Vertriebene in Kabul, die keine Familienanbindung haben und kein Haus anmieten konnten, landen in Lagern, Zeltsiedlungen und provisorischen Hütten oder besetzen aufgelassene Regierungsgebäude.

In Städten gibt es Hotels und Pensionen unterschiedlichster Preiskategorien. Für Tagelöhner, Jugendliche, Fahrer, unverheiratete Männer und andere Personen ohne permanenten Wohnsitz in der jeweiligen Gegend gibt es im ganzen Land Angebote geringerer Qualität, sogenannte "chai khana" (Teehaus). Dabei handelt es sich um einfache große Zimmer, in denen Tee und Essen aufgetischt wird. Der Preis für eine Übernachtung beträgt zwischen 0,4 und 1,4 USD. In Kabul und anderen großen Städten gibt es viele solche chai khana und wenn ein derartiges Haus voll ist, lässt sich Kost und Logis leicht anderswo finden. Man muss niemanden kennen, um dort eingelassen zu werden.

(Auszüge bzw. Zusammenfassung aus folgenden Quellen: LIB, Pkt. 21. "Grundversorgung" und Pkt. 23. "Rückkehr"; EASO-Bericht Netzwerke, Pkt. 4.2.)

1.3.3.5. Sanitäre Situation

Der Zugang zu sauberem Wasser und angemessenen sanitären Einrichtungen, insbesondere zu Trinkwasser, hat sich wesentlich verbessert. Der Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen wie Wasserversorgung und Abwasserentsorgung war in den Städten im Allgemeinen besser als auf dem Land. Der Zugang zu Trinkwasser ist für viele Afghanen jedoch nach wie vor ein Problem, und die sanitären Einrichtungen sind weiterhin schlecht.

Kabul gilt als eine der wasserärmsten Städte der Welt. Schätzungen zufolge haben 32% der Bevölkerung Kabuls Zugang zu fließendem Wasser und nur 10% der Einwohner erhalten Trinkwasser. Diejenigen, die es sich leisten können, bohren ihre eigenen Brunnen. Viele arme Einwohner von Kabul sind auf öffentliche Zapfstellen angewiesen, die oft weit von ihren Häusern entfernt sind. Der Großteil der gemeinsamen Wasserstellen und Brunnen in der Hauptstadt ist durch häusliches und industrielles Abwasser verseucht, das in den Kabul-Fluss eingeleitet wird, was ernste gesundheitliche Bedenken aufwirft. ALCS 2016-2017 stellte fest, dass fast die Hälfte der Bevölkerung in Kabul über sanitäre Grundversorgung verfügt.

Die Afghanistan Public Policy Research Organization (APPRO) stellte im April 2016 fest, dass 80% der Einwohner von Herat City Zugang zu Netzstrom, 70% zu Wasser und 30% zu Abwasserleitungen haben. 81,2% der städtischen Bevölkerung in Herat haben Zugang zu verbesserten Wasserquellen und 92,1% verfügen über eine verbesserte sanitäre Einrichtung. In Herat City fehlt jedoch ein zentrales Abwassersystem.

Die meisten Menschen in Mazar-e Sharif haben Zugang zu verbesserten Trinkwasserquellen (76%), in der Regel in Rohrleitungen oder aus Brunnen. 92% der Haushalte haben sanitäre Einrichtungen verbessert.

(Zusammenfassung aus folgender Quelle: EASO-Länderleitfaden 2019, Seite 133)

1.3.3.6. Medizinische Versorgung

Der afghanischen Verfassung zufolge hat der Staat kostenlos medizinische Vorsorge, ärztliche Behandlung und medizinische Einrichtungen für alle Bürger zur Verfügung zu stellen. Außerdem fördert der Staat die Errichtung und Ausweitung medizinischer Leistungen und Gesundheitszentren. Eine begrenzte Anzahl staatlicher Krankenhäuser in Afghanistan bietet kostenfreie medizinische Versorgung an. Alle Staatsbürger haben dort Zugang zu medizinischer Versorgung und Medikamenten. Die Verfügbarkeit und Qualität der Grundbehandlung ist durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten, Ärztinnen und Assistenzpersonal (v.a. Hebammen), mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt.

Die Kosten für Medikamente in staatlichen Krankenhäusern weichen vom lokalen Marktpreis ab. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e Sharif, Herat und Kandahar. Die Behandlungskosten in diesen Einrichtungen variieren. 90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden.

Das Jebrael-Gesundheitszentrum im Nordwesten der Stadt Herat bietet für rund 60.000 Menschen im dicht besiedelten Gebiet mit durchschnittlich 300 Besuchern pro Tag grundlegende Gesundheitsdienste an, von denen die meisten die Impf- und allgemeinen ambulanten Einheiten aufsuchen. Laut dem Provinzdirektor für Gesundheit in Herat verfügte die Stadt im April 2017 über 65 private Gesundheitskliniken.

In der Stadt Mazar-e Sharif gibt es 10 - 15 - teils öffentliche, teils private - Krankenhäuser. Es existieren mehr private als öffentliche Krankenhäuser. Private Krankenhäuser sind sehr teuer, jede Nacht ist kostenpflichtig. Zusätzlich existieren etwa 30-50 medizinische Gesundheitskliniken die zu 80% öffentlich finanziert sind.

(Auszüge aus folgender Quelle: LIB, Pkt. 22. "Medizinische Versorgung")

1.3.4. Allgemeine Menschenrechtslage

Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine stärkere Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern sowie Einflussnahme örtlicher Machteliten nur schwer durchzusetzen. Die afghanische Regierung ist nicht in der Lage, die durch die afghanische Verfassung und einschlägige völkerrechtliche Verträge garantierten Menschenrechte vollumfänglich umzusetzen und zu gewährleisten.

(Auszug aus folgender Quelle: LIB, Pkt. 11. "Allgemeine Menschenrechtslage")

1.3.5. Meldewesen

Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, keine Datenbanken mit Adress- oder Telefonnummerneinträgen und auch keine Melde- oder Registrierungspflicht. Die Gemeinschafts- bzw. Bezirksältesten führen kein Personenstandsregister, die Regierung registriert jedoch Rückkehrer. Durch die hohe soziale Kontrolle ist gerade im ländlichen Raum keine, aber auch in den Städten kaum Anonymität zu erwarten.

(Auszug aus folgender Quelle: LIB, Pkt. 19.1. "Meldewesen")

1.3.6. Ethnische Minderheit der Tadschiken

Die Volksgruppe der Tadschiken ist die zweitgrößte Volksgruppe in Afghanistan, sie machen etwa 27-30% der afghanischen Gesellschaft aus und hat deutlichen politischen Einfluss im Land. In der Hauptstadt Kabul sind sie knapp in der Mehrheit. Tadschiken sind in zahlreichen politischen Organisationen und Parteien vertreten, sie sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 25% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert.

(Auszug aus folgender Quelle: LIB, Pkt. 17.2. "Tadschiken")

1.3.7. Rückkehr

In den ersten vier Monaten des Jahres 2019 sind insgesamt 63.449 Menschen nach Afghanistan zurückgekehrt. Im Jahr 2018 kamen 775.000 aus dem Iran und 46.000 aus Pakistan zurück.

Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, können verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Für Rückkehrer leisten UNHCR und IOM in der ersten Zeit Unterstützung. Bei der Anschlussunterstützung ist die Transition von humanitärer Hilfe hin zu Entwicklungszusammenarbeit nicht immer lückenlos. Wegen der hohen Fluktuation im Land und der notwendigen Zeit der Hilfsorganisationen, sich darauf einzustellen, ist Hilfe nicht immer sofort dort verfügbar, wo Rückkehrer sich niederlassen. Es befinden sich viele Rückkehrer in Gebieten, die für Hilfsorganisationen aufgrund der Sicherheitslage nicht erreichbar sind.

Soziale, ethnische und familiäre Netzwerke sind für einen Rückkehrer unentbehrlich. Der Großteil der nach Afghanistan zurückkehrenden Personen verfügt über ein familiäres Netzwerk, auf das in der Regel zurückgegriffen wird. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage, den ohnehin großen Familienverbänden und individuellen Faktoren ist diese Unterstützung jedoch meistens nur temporär und nicht immer gesichert. Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z. B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen beruflichen Netzwerken (Kolleg/innen, Mitstudierende etc.) sowie politische Netzwerke usw. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind manche Rückkehrer auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer dar. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden.

Rückkehrer aus dem Iran und aus Pakistan, die oft über Jahrzehnte in den Nachbarländern gelebt haben und zum Teil dort geboren wurden, sind in der Regel als solche erkennbar. Offensichtlich sind sprachliche Barrieren, von denen vor allem Rückkehrer aus dem Iran betroffen sind, weil sie Farsi (die iranische Landessprache) oder Dari (die afghanische Landessprache) mit iranischem Akzent sprechen. Zudem können fehlende Vertrautheit mit kulturellen Besonderheiten und sozialen Normen die Integration und Existenzgründung erschweren. Das Bestehen sozialer und familiärer Netzwerke am Ankunftsort nimmt auch hierbei eine zentrale Rolle ein. Über diese können die genannten Integrationshemmnisse abgefedert werden, indem die erforderlichen Fähigkeiten etwa im Umgang mit lokalen Behörden sowie sozial erwünschtes Verhalten vermittelt werden und für die Vertrauenswürdigkeit der Rückkehrer gebürgt wird. Es gibt jedoch nicht viele Fälle von Diskriminierung afghanischer Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan aufgrund ihres Status als Rückkehrer. Fast ein Viertel der afghanischen Bevölkerung besteht aus Rückkehrern. Diskriminierung beruht in Afghanistan großteils auf ethnischen und religiösen Faktoren sowie auf dem Konflikt.

Rückkehrer aus Europa oder dem westlichen Ausland werden von der afghanischen Gesellschaft häufig misstrauisch wahrgenommen. Es sind jedoch keine Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nachweislich aufgrund ihres Aufenthalts in Europa Opfer von Gewalttaten wurden. Wenn ein Rückkehrer mit im Ausland erlangten Fähigkeiten und Kenntnissen zurückkommt, stehen ihm mehr Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung als den übrigen Afghanen, was bei der hohen Arbeitslosigkeit zu Spannungen innerhalb der Gemeinschaft führen kann.

Der Mangel an Arbeitsplätzen stellt für den Großteil der Rückkehrer die größte Schwierigkeit dar. Der Zugang zum Arbeitsmarkt hängt maßgeblich von lokalen Netzwerken ab. Die afghanische Regierung kooperiert mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Für Afghanen, die im Iran geboren oder aufgewachsen sind und keine Familie in Afghanistan haben, ist die Situation problematisch.

Viele Rückkehrer leben in informellen Siedlungen, selbstgebauten Unterkünften oder gemieteten Wohnungen. Die meisten Rückkehrer im Osten des Landes leben in überbelegten Unterkünften und sind von fehlenden Möglichkeiten zum Bestreiten des Lebensunterhaltes betroffen.

Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Rückkehrer erhalten Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Es gibt keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer. Der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer aus Europa kehrt direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück.

Die "Reception Assistance" umfasst sofortige Unterstützung oder Hilfe bei der Ankunft am Flughafen: IOM trifft die freiwilligen Rückkehrer vor der Einwanderungslinie bzw. im internationalen Bereich des Flughafens, begleitet sie zum Einwanderungsschalter und unterstützt bei den Formalitäten, der Gepäckabholung, der Zollabfertigung usw. Darüber hinaus arrangiert IOM den Weitertransport zum Endziel der Rückkehrer innerhalb des Herkunftslandes und bietet auch grundlegende medizinische Unterstützung am Flughafen an. 1.279 Rückkehrer erhielten Unterstützung bei der Weiterreise in ihre Heimatprovinz. Für die Provinzen, die über einen Flughafen und Flugverbindungen verfügen, werden Flüge zur Verfügung gestellt. Der Rückkehrer erhält ein Flugticket und Unterstützung bezüglich des Flughafen-Transfers. Der Transport nach Herat findet in der Regel auf dem Luftweg statt.

Familien in Afghanistan halten in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren.

(Auszüge aus folgender Quelle: LIB, Pkt. 23. "Rückkehr" und Pkt. 23.1. "Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge (UMF)")

1.3.8. Kabul

Die Provinz Kabul liegt im Zentrum Afghanistans. Kabul-Stadt ist die Hauptstadt Afghanistans und auch ein Distrikt in der Provinz Kabul. Die Stadt Kabul ist die bevölkerungsreichste Stadt Afghanistans, mit einer geschätzten Einwohnerzahl von 5.029.850. Kabul ist Zielort für verschiedene ethnische, sprachliche und religiöse Gruppen, und jede von ihnen hat sich an bestimmten Orten angesiedelt.

Die Stadt Kabul ist über Hauptstraßen mit den anderen Provinzen des Landes verbunden und verfügt über einen internationalen Flughafen.

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul. Nichtsdestotrotz führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele durch, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Die Hauptursache für zivile Opfer in der Provinz Kabul (596 Tote und 1.270 Verletzte im Jahr 2018) waren Selbstmord- und komplexe Angriffe, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs) und gezielten Tötungen.

In Kabul leben 70.000 bis 80.000 Binnenvertriebene.

(Auszüge aus folgender Quelle: LIB, Pkt. 3.1 "Kabul" und Pkt. 3.35. "Erreichbarkeit")

1.3.9. Herat und Herat Stadt

Die Provinz Herat liegt im Westen Afghanistans und ist eine der größten Provinzen Afghanistans. Die Provinzhauptstadt von Herat ist Herat-Stadt. Die Provinz verfügt über 2.095.117 Einwohner, 556.205 davon in der Provinzhauptstadt. Die wichtigsten ethnischen Gruppen in der Provinz sind Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Usbeken und Aimaqs, wobei Paschtunen in elf Grenzdistrikten die Mehrheit stellen. Umfangreiche Migrationsströme haben die ethnische Zusammensetzung der Stadt verändert, der Anteil an schiitischen Hazara ist seit 2001 durch Iran-Rückkehrer und Binnenvertriebene besonders gestiegen.

Herat ist durch die Ring-Road sowie durch einen Flughafen mit nationalen und internationalen Anbindungen erreichbar.

Herat gehört zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen Afghanistans, jedoch sind Taliban-Kämpfer in einigen abgelegenen Distrikten aktiv und versuchen oft terroristische Aktivitäten. Je mehr man sich von Herat-Stadt (die als "sehr sicher" gilt) und den angrenzenden Distrikten Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer wird der Einfluss der Taliban. In der Stadt Herat steigt die Kriminalität und Gesetzlosigkeit. Im Jahr 2018 gab es mit 259 zivile Opfer (95 Tote und 164 Verletzte) in Herat einen Rückgang von 48% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren improvisierten Sprengkörper (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordanschläge), gefolgt von Kämpfen am Boden und gezielten Tötungen. Der volatilste Distrikt von Herat ist Shindand. Dort kommt es zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen rivalisierenden Taliban-Fraktionen, wie auch zwischen den Taliban und regierungsfreundlichen Kräften. Außerdem kommt es in unterschiedlichen Distrikten immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Taliban und Sicherheitskräften. Das Niveau an willkürlicher Gewalt ist in der Stadt Herat so gering, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein.

(Auszüge bzw. Zusammenfassung aus folgenden Quellen: LIB, Pkt. 3.13. "Herat" und Pkt. 21. "Grundversorgung"; EASO-Länderleitfaden 2019, Seiten 89 und 99 f)

1.3.10. Balkh und Mazar-e Sharif

Die Provinzhauptstadt von Balkh ist Mazar-e Sharif. Die Provinz Balkh liegt im Norden Afghanistan und ist eine ethnisch vielfältige Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird. Es leben 1.475.649 Personen in der Provinz Balkh, davon geschätzte 469.247 in Mazar-e Sharif.

Mazar-e Sharif ist über die Autobahn sowie über einen Flughafen (mit nationalen und internationalen Anbindungen) zu erreichen.

Balkh zählt zu den relativ stabilen und ruhigen Provinzen Nordafghanistans, in welcher die Taliban in der Vergangenheit keinen Fuß fassen konnten. In den letzten Monaten versuchten Aufständische der Taliban die Provinz Balkh aus benachbarten Regionen zu infiltrieren. Im Jahr 2018 227 zivile Opfer (85 Tote und 142 Verletzte) in Balkh dokumentiert. Dies entspricht einer Steigerung von 76% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von improvisierten Bomben (IEDS; ohne Selbstmordattentate) und gezielten Tötungen. Das Niveau an willkürlicher Gewalt ist in der Provinz Balkh sowie in der Stadt Mazar-e Sharif so gering, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein.

(Auszüge bzw. Zusammenfassung aus folgenden Quellen: LIB, Pkt. 3.5. "Balkh" und Pkt. 21. "Grundversorgung"; EASO-Länderleitfaden 2019, Seiten 89 und 92 f)

1.3.11. Risikogruppen

In seinen "Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018" (in der Folge: "UNHCR-Richtlinien") identifiziert UNHCR verschiedene Risikogruppen (diese stimmen im Wesentlichen mit den auch von EASO in deren Leitlinien aufgezeigten Risikogruppen überein).

Für den BF kommen folgende Risikogruppen in Betracht:

Familienangehörige von Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung oder mit der internationalen Gemeinschaft verbunden sind, oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen

Regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) greifen Berichten zufolge systematisch und gezielt Zivilisten an, die tatsächlich oder vermeintlich die afghanische Regierung, regierungsnahe bewaffnete Gruppen, die afghanische Zivilgesellschaft und die internationale Gemeinschaft in Afghanistan, einschließlich der internationalen Streitkräfte und internationaler humanitärer Hilfs- und Entwicklungsakteure, unterstützen bzw. mit diesen in Verbindung stehen. Auf eine (vermeintliche) Verbindung kann zum Beispiel durch ein bestehendes oder früheres Beschäftigungsverhältnis oder durch familiäre Bindungen geschlossen werden. Zu den Zivilisten, die gezielt aufs Korn genommen werden, zählen Distrikt- und Provinzgouverneure, Mitarbeiter der Justiz und der Staatsanwaltschaft, ehemalige Polizeibeamte und Polizisten außer Dienst, Stammesälteste, Religionsgelehrte und religiöse Führer, Frauen im öffentlichen Raum, Lehrer und andere Staatsbedienstete, Zivilisten, von denen angenommen wird, dass sie die Werte regierungsfeindlicher Kräften ablehnen, Menschenrechtsaktivisten sowie humanitäres Hilfspersonal und Entwicklungshelfer.

Über gezielte Tötungen hinaus setzen die regierungsfeindlichen Kräfte Berichten zufolge auch Drohungen, Einschüchterung und Entführungen ein, um Gemeinschaften und Einzelpersonen einzuschüchtern und auf diese Weise ihren Einfluss und ihre Kontrolle zu erweitern, indem diejenigen angegriffen werden, die ihre Autorität und Anschauungen infrage stellen.

Regierungsfeindliche Kräfte haben Berichten zufolge Familienangehörige von Personen mit den oben angeführten Profilen als Vergeltungsmaßnahme und gemäß dem Prinzip der Sippenhaft angegriffen. Insbesondere wurden Verwandte, darunter Frauen und Kinder, von Regierungsmitarbeitern und Angehörige der afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte Opfer von Schikanen, Entführung, Gewalt und Tötung.

(Auszug aus folgender Quelle: UNHCR-Richtlinien, Pkt. III.A.1.a), d) und k))

Männer im wehrfähigen Alter und Kinder im Zusammenhang mit der Einberufung von Minderjährigen und der Zwangsrekrutierung

Allgemeines:

Regierungsfeindliche Kräfte nutzen in Gebieten, in denen sie die tatsächliche Kontrolle über das Territorium und die Bevölkerung ausüben, Berichten zufolge verschiedene Methoden zur Rekrutierung von Kämpfern, einschließlich Maßnahmen unter Einsatz von Zwang. Personen, die sich der Rekrutierung widersetzen, sind ebenso wie ihre Familienmitglieder gefährdet, getötet oder bestraft zu werden.

(Auszug aus folgender Quelle: UNHCR-Richtlinien, Pkt. III.A.3.a))

Die Taliban sind aktiver als bisher bemüht, Personen mit militärischem Hintergrund sowie mit militärischen Fertigkeiten zu rekrutieren. Die Taliban versuchen daher das Personal der afghanischen Sicherheitskräfte auf ihre Seite zu ziehen. Da ein Schwerpunkt auf militärisches Wissen und Erfahrungen gelegt wird, ist mit einem Anstieg des Durchschnittsalters zu rechnen. Durch das Anwerben von Personen mit militärischem Hintergrund bzw. von Mitgliedern der Sicherheitskräfte erhalten Taliban Waffen, Uniformen und Wissen über die Sicherheitskräfte. Auch Personen, die über Knowhow und Qualifikationen verfügen (z.B. Reparatur von Waffen), können von Interesse für die Taliban sein.

Die Mehrheit der Taliban sind Paschtunen. Die Rekrutierung aus anderen ethnischen Gruppen ist weniger üblich. Um eine breitere Außenwirkung zu bekommen, möchte die Talibanführung eine stärkere multiethnische Bewegung entwickeln. Die Zahl der mobilisierten Hazara ist unerheblich, nur wenige Kommandanten der Hazara sind mit Taliban ve

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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