TE Bvwg Erkenntnis 2020/2/6 I421 2226094-1

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Veröffentlicht am 06.02.2020
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Entscheidungsdatum

06.02.2020

Norm

B-VG Art. 133 Abs4
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §70 Abs3
VwGVG §24 Abs2 Z1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs5

Spruch

I421 2226094-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Martin STEINLECHNER als Einzelrichter über die Beschwerde des mj XXXX, StA. NIGERIA und Italien, vertreten durch seine XXXX, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtl 45/11, gegen den Bescheid des BFA, Regionaldirektion Wien (BAW) vom 21.11.2019, Zl. 1217400406-191189316, zu Recht erkannt:

A) Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid

ersatzlos behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Mit Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 21.11.2019 wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG ein für die Dauer von 9 Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 70 Abs 3 FPG wurde ihm kein Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.). Die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen dieses Aufenthaltsverbot wurde gemäß § 18 Abs 3 BFA-VG aberkannt (Spruchpunkt III.).

Begründend wurde ausgeführt, dass gegen die Mutter des Beschwerdeführers seit 6.11.2019 ein rechtskräftiges sowie durchsetzbares Aufenthaltsverbot bestehe und das rechtliche Schicksal des Beschwerdeführers untrennbar mit dem seiner Mutter verbunden sei, da diese das alleinige Sorgerecht ausübe. Ansonsten bestünden keine Gründe für ein Aufenthaltsverbot, da der Beschwerdeführer aufgrund seines Alters (knapp über 1 Jahr) noch keine negativen Vormerkungen in Österreich habe. Sein Aufenthalt stelle dennoch eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit dar, denn sein Aufenthalt bekräftige bzw. begünstige auch den Aufenthalt seiner Mutter. Durch ihn habe seine Mutter einen verstärkten Anreiz, illegal in Österreich zu verbleiben.

2. Am 28.11.2019 wurde vom Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde gegen den Bescheid vom 21.11.2019 erhoben und beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge der Beschwerde vorab die aufschiebende Wirkung zuerkennen sowie den Bescheid ersatzlos beheben.

Als Begründung wurde im Wesentlichen angegeben, dass dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltsrecht nach der Unionsbürgerrichtlinie zukomme und das persönliche Verhalten der Mutter ihm nicht zurechenbar sei. Der angefochtene Bescheid sei sohin grob rechtswidrig. Gänzlich rechtswidrig sei auch die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde mit der Nichtzuerkennung eines Durchsetzungsaufschubes, das ebenfalls mit einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch seine Mutter begründet worden sei.

3. Mit Teilerkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 16.12.2019 wurde der Spruchpunkt III. des Bescheids vom 21.11.2019 ersatzlos behoben und der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der unter Punkt 1. angegebene Verfahrensgang wird als Sachverhalt festgestellt.

Darüber hinaus steht fest, dass der Beschwerdeführer am XXXX in Österreich geboren wurde und sich seitdem in Österreich aufhält. Zudem ist der Beschwerdeführer im Besitz der italienischen Staatsbürgerschaft.

Der Beschwerdeführer ist unbescholten und sein Aufenthalt stellt keine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen ergeben sich aus den unbestrittenen und unzweifelhaften Aktenbestandteilen, insbesondere aus dem Bescheid vom 21.11.2019 und der Beschwerde vom 28.11.2019.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer keine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellt, war zu treffen, weil dem Beschwerdeführer kein Fehlverhalten zuzurechnen ist.

Zudem kann ein knapp über 1 Jahr altes Kind nicht die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden, da es mangels hinreichender Dispositions- sowie Diskretionsfähigkeit nicht in der Lage ist, ein Verhalten zu setzen, welches ein Aufenthaltsverbot rechtfertigen würde.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Zu A) Zum Aufenthaltsverbot (Spruchpunkt I.):

Der Beschwerdeführer ist aufgrund der italienischen Staatsbürgerschaft EWR-Bürger.

Gemäß § 67 Abs 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

Bei Erlassung eines Aufenthaltsverbots ist eine einzelfallbezogene Gefährdungsprognose zu erstellen, bei der das Gesamtverhalten des Betroffenen in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen ist, ob und im Hinblick auf welche Umstände die maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache einer Verurteilung oder Bestrafung, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (VwGH 19.02.2014, 2013/22/0309).

Im vorliegenden Fall begründete die belangte Behörde das für die Dauer von 9 Jahren befristetes Aufenthaltsverbot gegen den Beschwerdeführer primär damit, dass sein rechtliches Schicksal mit dem seiner Mutter zusammenhänge, weil diese das alleinige Sorgerecht ausübe. Diese rechtliche Beurteilung der Behörde findet aber keine Deckung im Gesetz und ist daher rechtswidrig.

Bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nach § 67 FPG ist darauf abzustellen, ob das persönliche Verhalten einer Person eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Zwar führte die Behörde richtigerweise aus, dass gegen die Mutter des Beschwerdeführers ein Aufenthaltsverbot erlassen wurde, weil ihr Aufenthalt eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung darstellt, jedoch kann das Fehlverhalten seiner Mutter nicht das Aufenthaltsverbot des Beschwerdeführers rechtfertigen. Der Aufenthalt des minderjährigen 15 Monate alten Beschwerdeführers stellt keine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar. Sogar die belangte Behörde selbst stellte fest, dass es keine negativen Vormerkungen über den Beschwerdeführer gibt. Des Weiteren wurde weder eine substantiierte Gefährdungsprognose vorgenommen noch Verhaltensweisen angeführt, welche die Gefährdungsannahme untermauern. Zudem ist der Beschwerdeführer unbescholten.

Eine Prüfung, ob der mit dem Aufenthaltsverbot verbundene Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers verhältnismäßig wäre, muss nicht vorgenommen werden, da die Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen den Beschwerdeführer im Ergebnis nicht vorliegen. Schlussendlich war aus den genannten Gründen der Beschwerde stattzugeben und der Bescheid zu beheben.

Eine mündliche Verhandlung entfällt gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG, weil aufgrund der geklärten Sachlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

Zur Nichterteilung eines Durchsetzungsaufschubs (Spruchpunkt II.):

Gemäß § 70 Abs. 3 FPG ist EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen bei der Erlassung einer Ausweisung von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich.

Da der Aufenthalt des mj Beschwerdeführers keine Gefährdung darstellt, ist eine Ausreise im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht erforderlich. Sohin war auch Spruchpunkt II. zu beheben.

Zur Aberkennung der aufschiebenden Wirkung (Spruchpunkt III.):

Gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG kann bei EWR-Bürgern die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen ein Aufenthaltsverbot aberkannt werden, wenn deren sofortige Ausreise oder die sofortige Durchsetzbarkeit im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich ist.

Spruchpunkt III. des Bescheids wurde bereits mit Teilerkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 16.12.2019 behoben. Aus den von der Behörde getroffenen Feststellungen war kein Grund gegeben, der es rechtfertigt anzunehmen, dass die sofortige Ausreise des Beschwerdeführers im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich ist.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Der Umstand, dass bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbots auf das persönliche Verhalten einer Person abgestellt werden muss, entspricht dem klaren Wortlaut des § 67 FPG und der aktuellen Rechtsprechung.

Schlagworte

Aufenthalt im Bundesgebiet, Aufenthaltsverbot, Behebung der
Entscheidung, Durchsetzungsaufschub, Einzelfallprüfung, ersatzlose
Behebung, Gefährdungsprognose, Gesamtbetrachtung, Gesamtverhalten
AntragstellerIn, Kassation, Kind, öffentliche Ordnung, öffentliche
Sicherheit, Unionsbürger

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I421.2226094.1.00

Zuletzt aktualisiert am

12.05.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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