Entscheidungsdatum
04.03.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
G311 2180589-1/16E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Eva WENDLER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX (alias: XXXX), geboren am XXXX, Staatsangehörigkeit: Irak, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.11.2017, Zahl: XXXX, betreffend die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz und Rückkehrentscheidung, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 08.08.2019, zu Recht:
A) I. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen
Bescheides wird stattgegeben und XXXX (alias: XXXX), geboren am XXXX, gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.
II. Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG 2005 kommt XXXX (alias: XXXX) eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter für drei Jahre zu.
III. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX (alias: XXXX) damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
IV. In Erledigung der Beschwerde werden die jeweiligen Spruchpunkte
II. bis VI. des angefochtenen Bescheides ersatzlos aufgehoben.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer stellte am 14.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005.
Am 14.11.2015 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers zu seinem Antrag auf internationalen Schutz statt.
Die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers im Asylverfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien, fand am 13.07.2017 statt.
Mit dem oben im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes vom 24.11.2017 wurde der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG, als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak, abgewiesen (Spruchpunkte I. und II.), dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.), gemäß
§ 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG in den Irak zulässig ist (Spruchpunkt V.) und dem Beschwerdeführer eine Frist zur freiwilligen Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung eingeräumt (Spruchpunkt VI.).
Mit Schriftsatz der bevollmächtigten Rechtsvertretung des Beschwerdeführers vom 21.12.2017, beim Bundesamt am selben Tag per E-Mail einlangend, erhob der Beschwerdeführer gegen diesen Bescheid das Rechtsmittel der Beschwerde und beantragte, das Bundesverwaltungsgericht möge eine mündliche Beschwerdeverhandlung durchführen, den angefochtenen Bescheid zur Gänze beheben und dem Beschwerdeführer den Status des Asylberechtigten zuerkennen. In eventu möge das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkennen; in eventu feststellen, dass die gegen ihn gemäß § 52 FPG erlassene Rückkehrentscheidung gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG auf Dauer unzulässig ist.
Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden vom Bundesamt vorgelegt und sind am 22.12.2017 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.
Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 12.07.2019 wurden der bevollmächtigten Rechtsvertretung des Beschwerdeführers und dem Bundesamt zur Vorbereitung der mündlichen Beschwerdeverhandlung ein Konvolut von aktuellen und relevanten Länderberichten zum Irak zur Kenntnisnahme übermittelt und zugleich die Möglichkeit der Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme bis zum Beginn der mündlichen Verhandlung oder der mündlichen Stellungnahme im Rahmen der mündlichen Verhandlung eingeräumt.
Das Bundesverwaltungsgericht führte am 08.08.2019 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an welcher der Beschwerdeführer, seine Rechtsvertretung sowie ein Dolmetscher für die arabische Sprache teilnahmen. Die belangte Behörde verzichtete auf die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung. Im Zuge der mündlichen Verhandlung wurde vom Beschwerdeführer eine schriftliche Stellungnahme zu den ihm vorab übermittelten Länderberichten zum Irak abgegeben sowie zusätzliche Berichte aus der Online-Presse vorgelegt.
Die Verkündung der Entscheidung entfiel gemäß § 29 Abs. 3 VwGVG.
Mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 10.01.2020 wurde dem Beschwerdeführer das nunmehr aktuelle Länderinformationsblatt zum Irak vom 20.11.2018 samt eingefügter Kurzinformation vom 30.10.2019 zur Stellungnahme binnen einer Frist von zwei Wochen übermittelt.
Am 20.01.2020 langte die mit 17.01.2020 datierte Stellungnahme des Beschwerdeführers beim Bundesverwaltungsgericht ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Beschwerdeführer führt die im Spruch angeführte Identität (Namen und Geburtsdatum) und ist Staatsangehöriger des Irak, Angehöriger der Volksgruppe der Araber und bekennt sich zum moslemischen Glauben schiitischer Ausrichtung. Seine Muttersprache ist Arabisch (vgl Kopie des irakischen Reisepasses, AS 59 ff; Erstbefragung vom 14.11.2015, AS 1 ff; Niederschrift Bundesamt vom 13.07.2017, AS 39 ff; Verhandlungsprotokoll vom 08.08.2019, S 4 ff).
Der Beschwerdeführer leidet an einer Allergie und darauf basierenden Problemen mit der Nase. Eine regelmäßige Behandlung ist nicht erforderlich. Sonst ist der Beschwerdeführer gesund und arbeitsfähig. Es wird festgestellt, dass der Beschwerdeführer an keinen lebensbedrohlichen Erkrankungen im Endstadium leidet, die im Irak nicht behandelbar wären (vgl Erstbefragung vom 14.11.2015, AS 1 ff; Niederschrift Bundesamt vom 13.07.2017, AS 39 ff; Verhandlungsprotokoll vom 08.08.2019, S 3).
Der Beschwerdeführer reiste am 03.11.2015 mit einem Bus vom Irak legal in die Türkei aus. Von Izmir/Türkei reist der Beschwerdeführer dann weiter schlepperunterstützt über Griechenland, Nordmazedonien, Serbien, Kroatien und Slowenien bis nach Österreich, wo er am 14.11.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte (vgl Ein- und Ausreisestempel, Kopie des irakischen Reisepasses, AS 63; Erstbefragung vom 14.11.2015, AS 1 ff; Niederschrift Bundesamt vom 13.07.2017, AS 47; Verhandlungsprotokoll vom 08.08.2019, S 5).
Seit seiner Einreise nach Österreich hält sich der Beschwerdeführer ununterbrochen im Bundesgebiet auf und verfügt über durchgehende Hauptwohnsitzmeldungen seit 13.11.2015 (vgl Auszug aus dem Zentralen Melderegister vom 08.01.2020).
Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten (vgl Strafregisterauszug vom 08.01.2020).
Der Beschwerdeführer ist sowohl standesamtlich als auch traditionell seit 2010 mit einer Irakerin verheiratet, mit welcher er eine gemeinsame Tochter hat. Die Ehefrau wollte den Beschwerdeführer nicht nach Europa begleiten und blieb mit der Tochter in Bagdad. Der Beschwerdeführer und seine Ehefrau sind inzwischen voneinander getrennt und haben kaum bis keinen Kontakt mehr, obwohl eine Scheidung bisher nicht erfolgt ist. Die Ehefrau lebt mit der Tochter bei ihren Eltern in Bagdad (vgl Erstbefragung vom 14.11.2015, AS 1 ff; Niederschrift Bundesamt vom 13.07.2017, AS 39 ff; Verhandlungsprotokoll vom 08.08.2019, S 11 f).
In Bagdad leben zudem nach wie vor die beiden Eltern, die Schwester und vier Brüder des Beschwerdeführers. Die Eltern leben in einem illegal gebauten Haus und ist ihr Eigentum nicht im Grundbuch eingetragen. Der Vater war Angehöriger des irakischen Militärs und bezieht eine Pension. Der Mutter gehört in Bagdad ein Geschäft, welches sie vermietet hat und daraus Mieteinkünfte erwirtschaftet. Zwei der vier Brüder des Beschwerdeführers sind Polizisten, wobei einer von ihnen in einem Mietshaus und der zweite in einem ebenfalls illegal gebauten Haus lebt. Die Schwester des Beschwerdeführers ist inzwischen verheiratet und lebt bei ihrem Ehemann. Der fünfte Bruder des Beschwerdeführers war ebenfalls Polizist und kam gemeinsam mit seinem Kollegen im August 2007 im Dienst durch die Explosion einer Mine ums Leben. Der Beschwerdeführer hat regelmäßig über Messenger mehrmals im Monat bzw. pro Woche Kontakt zu seinen Eltern und Geschwistern, vorwiegend jedoch mit seinem Vater. Weiters lebt in Bagdad noch eine Tante des Beschwerdeführers (vgl Erstbefragung vom 14.11.2015, AS 5; Niederschrift Bundesamt vom 13.07.2017, AS 43 ff; Verhandlungsprotokoll vom 08.08.2019, S 4 f & 11).
Geboren ist der Beschwerdeführer in Bagdad, er lebte aber mit seiner Familie von seinem ersten Lebensjahr bis etwa 1997 in Kerbala, wo er auch die ersten fünf Klassen der Grundschule besuchte. Danach zog die Familie wieder nach Bagdad, wo der Beschwerdeführer Grundschule abschloss. Er hat in Bagdad sodann insgesamt weitere sechs Jahre eine Hauptschule besucht, die drei Hauptschulstufen wegen Problemen in den Fächern Physik, Chemie und Mathematik schlussendlich aber trotz mehrfacher Wiederholung von Schulstufen nicht positiv absolvieren können. 2004 hat er die Schule schließlich verlassen (vgl insbesondere Verhandlungsprotokoll vom 08.08.2019, S 4).
Durch den Schulbesuch sowie englischsprachige Filme mit Untertiteln bzw. Liedtexte hat sich der Beschwerdeführer selbst Englisch-Kenntnisse angeeignet, die er später im Rahmen seiner Dolmetschtätigkeiten nachhaltig verbessert hat. In den Jahren 2005 und 2006 war er als Dolmetscher für das US-amerikanische Militär tätig, nachdem er sich aufgrund einer Empfehlung eines in der Grünen Zone Bagdads tätigen Freundes bei einem Vermittlungsbüro für Dolmetsch-Tätigkeiten für das US-amerikanische Militär namens "XXXX" (im Folgenden: T.) beworben hatte. Die Aufgabe von T. war die Überprüfung der Sprachkenntnisse (Englisch) und die Weiterleitung der Dienste an die US-Amerikaner im Irak. Im Zuge dieser Tätigkeit hat der Beschwerdeführer uniformiert, jedoch unbewaffnet, US-amerikanische Soldaten auf ihren Routen begleitet, wenn diese Straßenpatrouillen absolvierten, Checkpoints einrichteten, Häuser durchsuchten oder nach Personen fahndeten. Der Beschwerdeführer war auch bei Befragungen als Dolmetscher anwesend und war für einen Zug von etwa vier bis fünf Fahrzeugen der zuständige Dolmetscher. In dieser Zeit wohnte er am US-amerikanischen Stützpunkt in der XXXX-Kaserne. Wegen der zunehmenden Gefährlichkeit der Tätigkeit, dem steigenden Misstrauen der US-Amerikaner den einheimischen Dolmetschern gegenüber und dem Zeitablauf des Vertrages beendete der Beschwerdeführer seine Tätigkeit mit Ablauf des Jahres 2006 vorübergehend (vgl Niederschrift Bundesamt vom 13.07.2017, AS 45 ff; unteres Logo, AS 69; sowie insbesondere Verhandlungsprotokoll vom 08.08.2019, S 5 ff).
Zwischen 2007 und 2009 war er arbeitslos und kam in dieser Zeit seine Familie für seinen Lebensunterhalt auf. Von 2009 bis 2011 war der Beschwerdeführer neuerlich als Englisch-Arabisch-Dolmetscher für das US-amerikanische Militär tätig, nachdem wieder Bewerbungen angenommen wurden. Das US-amerikanische Militär hat zur Vermittlung von Dolmetschern ein Subunternehmen, nämlich "XXXX" oder auch "XXXX" (im Folgenden: G.) beauftragt, welches in Bagdad nach wie vor tätig ist. Allerdings war der Beschwerdeführer nicht mehr mit Soldaten auf Patrouille unterwegs, sondern arbeitete in der US-amerikanisch/irakisch geführten Haftanstalt, "XXXX" (im Folgenden: C.), in welcher irakische Untersuchungshäftlinge inhaftiert waren, als Dolmetscher sowohl für die Häftlinge als auch die Anstaltsleitung und die Polizisten (vgl Niederschrift Bundesamt vom 13.07.2017, AS 45 ff; oberes Abzeichen eines US-Soldaten, AS 71; Verhandlungsprotokoll vom 08.08.2019, S 4 f & 11; in der Verhandlung vorgelegter Auszug zu G. vom 07.08.2019).
Nach einer neuerlichen arbeitslosen Zeit hat der Beschwerdeführer anschließend an einer Ausschreibung des irakischen Innenministeriums für den Dienst als Grenzpolizist teilgenommen. Nach einem Aufnahmegespräch und einer einmonatigen Ausbildung mit Marsch- und Waffentraining in XXXX, Gouvernement Waset, war der Beschwerdeführer von Jänner 2012 bis Februar 2013 als Grenzpolizist im Dreiländereck Saudi-Arabien - Jordanien - Irak bewaffnet tätig. Da der befristete Dienstvertrag jedoch nicht verlängert wurde, ist er zwischen 2013 und 2014 wieder arbeitslos gewesen. Ab 2014 bis Ende August 2015 war er schließlich neuerlich als Englisch-Arabisch-Dolmetscher für ein internationales Unternehmen, nämlich "XXXX" (im Folgenden: S.) etabliert in XXXX in XXXX, Bagdad, tätig, welches ebenfalls Englisch-Arabisch-Dolmetscher vermittelte. Im Zuge dieser Tätigkeit dolmetschte der Beschwerdeführer für US-amerikanische Militär-Ausbilder, die irakische Soldaten ausbildeten und unterstützte weiters verwundete irakische Soldaten mit seinen Dolmetschleistungen im Zuge ihrer medizinischen Behandlungen. Während dieser Tätigkeit war es den irakischen Dolmetschern von der amerikanischen Verwaltung jedoch untersagt worden, Militärkleidung zu tragen oder sich anderweitig zu vermummen. Der Beschwerdeführer und andere Dolmetscher mussten die Tätigkeit in Zivilkleidung ausüben, sodass er sich nach dem Dienst regelmäßig umziehen und Brille sowie Kappe aufsetzen musste, um nicht als Unterstützer der US-Amerikaner erkannt zu werden (vgl Niederschrift Bundesamt vom 13.07.2017, AS 45 ff; Foto, AS 77; Verhandlungsprotokoll vom 08.08.2019, S 4 f & 11; in der Verhandlung vorgelegter Auszug zu G. vom 07.08.2019).
Im August 2015 haben vier Mitglieder der schiitischen Miliz der Saraya Al Salam (im Folgenden: SAS) den Vater des Beschwerdeführers in dessen Haus in Bagdad aufgesucht, während der Beschwerdeführer im Dienst gewesen ist. Sie gaben an zu wissen, dass der Beschwerdeführer für die US-Amerikaner arbeitet, er deswegen als Verräter gelten würde und sie ihn verhaften wollen, zumal sie ihn bereits im Februar 2007 einmal verschont hätten. Der Vater hat den Beschwerdeführer daraufhin angerufen und vor der Bedrohung gewarnt. Daraufhin verblieb der Beschwerdeführer auch über Nacht in der Dienststelle auf einem geschützten Militärstützpunkt und ersuchte seinen Vorgesetzten um Hilfe, um in die USA ausreisen bzw. auswandern zu können. Dazu wurden mit dem Beschwerdeführer in der US-amerikanischen Botschaft drei Interviews geführt aber keine Entscheidung getroffen. Wegen der langen Wartezeit ließ sich der Beschwerdeführer Ende August 2015 schließlich beurlauben und versteckte sich für etwa zehn Tage bei seiner Tante, die in einem anderen Teil von Bagdad lebte, wo ihn niemand erkannt hat. Von dort aus wandte er sich per Telefon und Identitätscode auf seinem Dienstausweis neuerlich an die US-amerikanische Botschaft, wurde jedoch darauf vertröstet, dass diese Entscheidungen Zeit in Anspruch nehmen würden. Weiters wurde ihm von der Botschaft empfohlen, sich an eine "Zweigstelle" in der Türkei zu wenden, um sein Anliegen voranzubringen. Daraufhin reiste der Beschwerdeführer schließlich im Oktober 2015 für einige Tage in die Türkei, realisierte aber nach einem kurzen Aufenthalt von vier oder fünf Tagen, dass er auch dort zeitnah keine Hilfe zu erwarten hat und kehrte nach Bagdad zu seiner Tante zurück. Weitere Anrufe bei der US-amerikanischen Botschaft verliefen ergebnislos und entschied sich der Beschwerdeführer sodann, Anfang November 2015 nach Europa zu flüchten (vgl Ein- und Ausreisestempel, Kopie des irakischen Reisepasses, AS 63; Erstbefragung vom 14.11.2015, AS 9 ff; Niederschrift Bundesamt vom 13.07.2017, AS 49 ff; Verhandlungsprotokoll vom 08.08.2019, S 9 ff).
Dem Beschwerdeführer droht im Falle einer Rückkehr in den Irak Verfolgung durch schiitische Milizen und mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit auch seitens des IS wegen seiner jahrelangen Unterstützung der US-amerikanischen Streitkräfte durch seine Dolmetschtätigkeit und damit einer unterstellten oppositionellen Gesinnung.
Zur entscheidungsrelevanten Lage im Irak:
Zur allgemeinen Lage im Irak werden die vom Bundesverwaltungsgericht zur Vorbereitung der mündlichen Beschwerdeverhandlung mit Schreiben vom 12.07.2019 in das Verfahren eingeführten Länderberichte, nämlich ein Konvolut aus fallbezogen relevanten aktuellen Länderberichten samt den angeführten Quellen sowie die mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 10.01.2020 übermittelten Kurzinformationen der Staatendokumentation zur aktuellen Sicherheitslage im Irak vom 30.10.2019 auch als entscheidungsrelevante Feststellungen zum endgültigen Gegenstand dieses Erkenntnisses erhoben.
Daraus ergibt sich:
"[...]
Die folgende Karte von liveuamap zeigt die Einteilung des Irak in offiziell von der irakischen Zentralregierung kontrollierte Gouvernements (in rosa), die autonome Region Kurdistan (KRI) (in gelb) und Gebiete unter der weitgehenden Kontrolle von Gruppen des Islamischen Staates (IS) (in grau). Die Symbole kennzeichnen dabei Orte und Arten von sicherheitsrelevanten Vorfällen, wie Luftschläge, Schusswechsel/-attentate, Sprengstoffanschläge/Explosionen, Granatbeschuss, u.v.m.
Bild kann nicht dargestellt werden
Quelle: Liveuamap - Live Universal Awareness Map (1.10.2019): Map of Iraq, https://iraq.liveuamap.com/en/time/01.10.2019, Zugriff 1.10.2019
Seit der Verkündigung des territorialen Sieges des Irak über den Islamischen Staat (IS) im Dezember 2017 (Reuters 9.12.2017) hat sich der IS in eine Aufstandsbewegung gewandelt (Military Times 7.7.2019). Zahlreiche Berichte erwähnen Umstrukturierungsbestrebungen des IS sowie eine Mobilisierung von Schläferzellen (The Portal 9.10.2019).
Im Jahr 2019 war der IS insbesondere in abgelegenem, schwer zugänglichem Gelände aktiv, hauptsächlich in den Wüsten der Gouvernements Anbar und Ninewa sowie in den Hamrin-Bergen, die sich über die Gouvernements Kirkuk, Salah ad-Din und Diyala erstrecken (ACLED 7.8.2019). Er ist nach wie vor dabei sich zu reorganisieren und versucht seine Kader und Führung zu erhalten (Joel Wing 16.10.2019). Der IS setzt nach wie vor auf Gewaltakte gegen Stammesführer, Politiker, Dorfvorsteher und Regierungsmitarbeiter sowie beispielsweise auf Brandstiftung, um Spannungen zwischen arabischen und kurdischen Gemeinschaften zu entfachen, die Wiederaufbaubemühungen der Regierung zu untergraben und soziale Spannungen zu verschärfen (ACLED 7.8.2019).
Insbesondere in den beiden Gouvernements Diyala und Kirkuk scheint der IS im Vergleich zum Rest des Landes mit relativ hohem Tempo sein Fundament wieder aufzubauen, wobei er die lokale Verwaltung und die Sicherheitskräfte durch eine hohe Abfolge von Angriffen herausfordert (Joel Wing 16.10.2019).
Die zunehmenden Spannungen zwischen dem Iran und den Vereinigten Staaten von Amerika (USA) stellen einen zusätzlichen, die innere Stabilität des Irak gefährdenden Einfluss dar (ACLED 7.8.2019). Nach einem Angriff auf eine Basis der Volksmobilisierungseinheiten (PMF/PMU/Hashd al Shabi) in Anbar, am 25. August (Al Jazeera 25.8.2019), erhob der irakische Premierminister Mahdi Ende September erstmals offiziell Anschuldigungen gegen Israel, für eine Reihe von Angriffen auf PMF-Basen seit Juli 2019 verantwortlich zu sein (ACLED 2.10.2019; vgl. Reuters 30.9.2019). Raketeneinschläge in der Grünen Zone in Bagdad, nahe der US-amerikanischen Botschaft am 23. September 2019, werden andererseits pro-iranischen Milizen zugeschrieben, und im Zusammenhang mit den Spannungen zwischen den USA und dem Iran gesehen (ACLED 2.10.2019; vgl. Al Jazeera 24.9.2019; Joel Wing 16.10.2019).
Am 7.7.2019 begann die "Operation Will of Victory", an der irakische Streitkräfte (ISF), Popular Mobilization Forces (PMF), Tribal Mobilization Forces (TMF) und Kampfflugzeuge der USgeführten Koalition teilnahmen (ACLED 7.8.2019; vgl. Military Times 7.7.2019). Die mehrphasige Operation hat die Beseitigung von IS-Zellen zum Ziel (Diyaruna 7.10.2019; vgl. The Portal 9.10.2019). Die am 7. Juli begonnene erste Phase umfasste Anbar, Salah ad-Din und Ninewa (Military Times 7.7.2019). Phase zwei begann am 20. Juli und betraf die nördlichen Gebiete von Bagdad sowie die benachbarten Gebiete der Gouvernements Diyala, Salah ad-Din und Anbar (Rudaw 20.7.2019). Phase drei begann am 5. August und konzentrierte sich auf Gebiete in Diyala und Ninewa (Rudaw 11.8.2019). Phase vier begann am 24. August und betraf die Wüstenregionen von Anbar (Rudaw 24.8.2019). Phase fünf begann am 21.9.2019 und konzentrierte sich auf abgelegene Wüstenregionen zwischen den Gouvernements Kerbala, Najaf und Anbar, bis hin zur Grenze zu Saudi-Arabien (PressTV 21.9.2019). Eine sechste Phase wurde am 6. Oktober ausgerufen und umfasste Gebiete zwischen dem südwestlichen Salah ad-Din bis zum nördlichen Anbar und Ninewa (Diyaruna 7.10.2019).
Die folgende Grafik von Iraq Body Count (IBC) stellt die von IBC im Irak dokumentierten zivilen Todesopfer seit 2003 dar (pro Monat jeweils ein Balken). Seit Februar 2017 sind nur vorläufige Zahlen (in grau) verfügbar (IBC 9.2019).
Bild kann nicht dargestellt werden
Quelle: Iraq Bodycount (9.2019): Monthly civilian deaths from violence, 2003 onwards, https://www.iraqbodycount.org/database/, Zugriff 15.10.2019
Die folgende Tabelle des IBC gibt die Zahlen der Todesopfer an. Für Juli 2019 sind 145 zivile Todesopfer im Irak ausgewiesen. Im August 2019 wurden von IBC 93 getötete Zivilisten im Irak dokumentiert und für September 151 (IBC 9.2019).
Bild kann nicht dargestellt werden
Quelle: Iraq Bodycount (9.2019): Monthly civilian deaths from violence, 2003 onwards, https://www.iraqbodycount.org/database/, Zugriff 15.10.2019
Vom Irak-Experten Joel Wing wurden für den Gesamtirak im Lauf des Monats Juli 2019 82 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 83 Tote und 119 Verletzten verzeichnet. 18 Tote gingen auf Leichenfunde von Opfern des IS im Distrikt Sinjar im Gouvernement Ninewa zurück, wodurch die Zahl der tatsächlichen gewaltsamen Todesfälle im Juli auf 65 reduziert werden kann. Es war der zweite Monat in Folge, in dem die Vorfallzahlen wieder zurückgingen. Dieser Rückgang wird einerseits auf eine großangelegte Militäraktion der Regierung in vier Gouvernements zurückgeführt [Anm.: "Operation Will of Victory"; Anbar, Salah ad Din, Ninewa und Diyala, siehe oben], wobei die Vorfallzahlen auch in Gouvernements zurückgingen, die nicht von der Offensive betroffen waren. Der Rückgang an sicherheitsrelevanten Vorfällen wird auch mit einem neuerlichen verstärkten Fokus des IS auf Syrien erklärt (Joel Wing 5.8.2019).
Im August 2019 verzeichnete Joel Wing 104 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 103 Toten und 141 Verletzten. Zehn Tote gingen auf Leichenfunde von Jesiden im Distrikt Sinjar im Gouvernement Ninewa zurück, wodurch die Zahl der Todesfälle im August auf 93 angepasst werden kann. Bei einem der Vorfälle handelte es sich um einen Angriff einer pro-iranischen PMF auf eine Sicherheitseinheit von British Petroleum (BP) im Rumaila Ölfeld bei Basra (Joel Wing 9.9.2019).
Im September 2019 wurden von Joel Wing für den Gesamtirak 123 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 122 Toten und 131 Verletzten registriert (Joel Wing 16.10.2019).
Seit 1. Oktober kam es in mehreren Gouvernements (Bagdad, Basra, Maysan, Qadisiya, Dhi Qar, Wasit, Muthanna, Babil, Kerbala, Najaf, Diyala, Kirkuk und Salah ad-Din) zu teils gewalttätigen Demonstrationen (ISW 22.10.2019, vgl. Joel Wing 3.10.2019). Die Proteste richten sich gegen Korruption, die hohe Arbeitslosigkeit und die schlechte Strom- und Wasserversorgung (Al Mada 2.10.2019; vgl. BBC 4.10.2019; Standard 4.10.2019), aber auch gegen den iranischen Einfluss auf den Irak (ISW 22.10.2019). Im Zuge dieser Demonstrationen wurden mehrere Regierungsgebäude sowie Sitze von Milizen und Parteien in Brand gesetzt (Al Mada 2.10.2019). Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) gingen unter anderem mit scharfer Munition gegen Demonstranten vor. Außerdem gibt es Berichte über nicht identifizierte Scharfschützen, die sowohl Demonstranten als auch Sicherheitskräfte ins Visier genommen haben sollen (ISW 22.10.2019). Premierminister Mahdi kündigte eine Aufklärung der gezielten Tötungen an (Rudaw 13.10.2019). Zeitweilig, vom 2. bis zum 5. Oktober, wurde eine Ausgangssperre ausgerufen (Al Jazeera 5.10.2019; vgl. ISW 22.10.2019; Rudaw 13.10.2019) und eine Internetblockade vom 4. bis 7. Oktober implementiert (Net Blocks 3.10.2019; FAZ 3.10.2019; vgl. Rudaw 13.10.2019).
Nach einer kurzen Ruhephase gingen die gewaltsamen Proteste am 25. Oktober weiter und forderten bis zum 30. Oktober weitere 74 Menschenleben und 3.500 Verletzte (BBC News 30.10.2019). Insbesondere betroffen waren bzw. sind die Städte Bagdad, Nasiriyah, Hillah, Basra und Kerbala (BBC News 30.10.2019; vgl. Guardian 27.10.2019; Guardian 29.10.2019). Am 28. Oktober wurde eine neue Ausgangssperre über Bagdad verhängt, der sich jedoch tausende Demonstranten widersetzen (BBC 30.10.2019; vgl. Guardian 29.10.2019). Über 250 Personen wurden seit Ausbruch der Proteste am 1. Oktober bis zum 29. Oktober getötet (Guardian 29.10.2019) und mehr als 8.000 Personen verletzt (France24 28.10.2019).
BAGDAD
Der IS versucht weiterhin seine Aktivitäten in Bagdad zu erhöhen (Joel Wing 5.8.2019). Fast alle Aktivitäten des IS im Gouvernement Bagdad betreffen die Peripherie der Hauptstadt, den äußeren Norden, Süden und Westen (Joel Wing 5.8.2019; vgl. Joel Wing 16.10.2019). Im Juli gelang es dem IS zwei Selbstmordattentate im Gouvernement auszuführen, weswegen Bagdad die Opferstatistik des Irak in diesem Monat anführte (Joel Wing 5.8.2019). Sowohl am 7. als auch am 16. September wurden jeweils fünf Vorfälle mit "Unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen" (IEDs) in der Stadt Bagdad selbst verzeichnet (Joel Wing 16.10.2019). Während der Proteste im Südirak im Oktober 2019, von denen auch Bagdad betroffen war, stoppte der IS seine Angriffe im Gouvernement (Joel Wing 16.10.2019).
Im Juli 2019 wurden vom Irak-Experten Joel Wing im Gouvernement Bagdad 15 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 15 Toten und 27 Verletzten verzeichnet (Joel Wing 5.8.2019). Im August 2019 wurden 14 Vorfälle erfasst, mit neun Toten und elf Verwundeten (Joel Wing 9.9.2019) und im September waren es 25 Vorfälle mit zehn Toten und 35 Verwundeten (Joel Wing 16.10.2019).
AUTONOME REGION KURDISTAN / KURDISCHE REGION IM IRAK
Im Juli 2019 führte der IS seine seit langem erste Attacke auf kurdischem Boden durch. Im Gouvernement Sulaimaniya attackierte er einen Checkpoint an der Grenze zu Diyala, der von Asayish [Anm.:
Inlandsgeheimdienst der Autonomen Region Kurdistan] bemannt war. Der Angriff erfolgte in drei Phasen: Auf einen Schussangriff folgte ein IED-Angriff gegen eintreffende Verstärkung, gefolgt von Mörserbeschuss. Bei diesem Angriff wurden fünf Tote und elf Verletzte registriert (Joel Wing 5.8.2019). Im August wurde in Sulaimaniya ein Vorfall mit einer IED verzeichnet, wobei es keine Opfer gab (Joel Wing 9.9.2019).
Die am 27. Mai initiierte türkische "Operation Claw" gegen Stellungen der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) im Nordirak hält an. Die erste Phase richtete sich gegen Stellungen in der Hakurk/Khakurk-Region im Gouvernement Erbil (Anadolu Agency 13.7.2019; vgl. Rudaw 13.7.2019). Die zweite Phase begann am 12. Juli und zielt auf die Zerstörung von Höhlen und Zufluchtsorten der PKK (Anadolu Agency 13.7.2019). Die türkischen Luftangriffe konzentrierten sich auf die Region Amadiya im Gouvernement Dohuk, von wo aus die PKK häufig operiert (ACLED 17.7.2019). Aktuell befindet sich die Operation in der dritten Phase (ACLED 4.9.2019)
Im Kreuzfeuer wurden in den vergangenen Wochen mehrere kurdische Dörfer evakuiert, da manchmal auch Zivilisten und deren Eigentum bei türkischen Luftangriffen getroffen wurden (ACLED 4.9.2019; vgl. ACLED 7.8.2019).
Am 10. und 11. Juli bombardierte iranische Artillerie mutmaßliche PKK-Ziele im Subdistrikt Sidakan/Bradost im Gouvernement Sulaimaniya, wobei ein Kind getötet wurde (Al Monitor 12.7.2019). In dem Gebiet gibt es häufige Zusammenstöße zwischen iranischen Sicherheitskräften und iranisch-kurdischen Aufständischen, die ihren Sitz im Irak haben, wie die "Partei für ein Freies Leben in Kurdistan'' (PJAK), die von Teheran beschuldigt wird, mit der PKK in Verbindungen zu stehen (Reuters 12.7.2019).
NORD- UND ZENTRALIRAK
In den sogenannten "umstrittenen Gebieten", die sowohl von Bagdad als auch von der kurdischen Autonomieregion beansprucht werden, und wo es zu erhebliche Sicherheitslücken zwischen den zentralstaatlichen und kurdischen Einheiten kommt, verfügt der IS nach wie vor über operative Kapazitäten, um Angriffe, Bombenanschläge, Morde und Entführungen, durchzuführen (Kurdistan24 7.8.2019). Trotz der Zunahme der Sicherheitsvorfälle im gesamten Irak waren die Zahlen im Laufe des Monats August 2019 für den Zentral-Irak jedoch rückläufig (Joel Wing 9.9.2019).
Im Gouvernement Ninewa wurden im Juli 2019 sechs Vorfälle mit 24 Toten verzeichnet, wobei hier der Fund von 18 Leichen älteren Datums eingerechnet ist (Joel Wing 5.8.2019). Im August 2019 wurden neun Vorfälle mit 24 Toten und drei Verwundeten registriert (Joel Wing 9.9.2019). Im September wurden 22 Vorfälle mit 35 Toten und 27 Verletzten registriert, wobei bei fast allen diesen Vorfällen IEDs involviert waren. Außerdem wurde ein Mukhtar ermordet und Mossul mit Mörsergranaten beschossen (Joel Wing 16.10.2019).
Das Gouvernement Diyala zählt regelmäßig zu den Regionen mit den meisten sicherheitsrelevanten Vorfällen und als die gewalttätigste Region des Irak (Joel Wing 5.8.2019; vgl. Joel Wing 9.9.2019). Der IS ist stark in der Region vertreten und konnte seine operativen Fähigkeiten erhalten (Joel Wing 5.8.2019). Trotz wiederholter Militäroperationen in Diyala kann sich der IS noch immer in den ausgedehnten Gebieten, die sich vom westlichen Teil Diyalas bis zu den Hamreen Bergen im Norden des Gouvernements erstrecken, sowie in den rauen Gebieten nahe der Grenze zum Iran halten (Xinhua 22.8.2019). Es kommt in Diyala regelmäßig zu Konfrontationen des IS mit Sicherheitskräften und zu Übergriffen auf Städte (Joel Wing 5.8.2019). Einerseits vertreibt der IS Zivilisten aus ländlichen Gebieten, um dort Basen zu errichten, anderseits greift er wiederholt die lokale Verwaltung und Sicherheitskräfte an (Joel Wing 9.9.2019). Ein Hauptproblem Diyalas ist die mangelhafte Kommunikation zwischen den vielen unterschiedlichen Sicherheitsakteuren in der Region (Joel Wing 9.9.2019), andererseits gibt es generell zu wenige Sicherheitskräfte in Diyala, was der IS auszunutzen versteht (Joel Wing 5.8.2019). Der IS hat Zugang zu allen ländlichen Gebieten in Diyala, konzentriert sich aber besonders auf die Bezirke Khanaqin und Jalawla im Nordosten, welche die Zentralregierung nach dem kurdischen Unabhängigkeitsreferendum von 2017 übernommen hat (Joel Wing 5.8.2019). Die übrigen Vorfälle betreffen hauptsächlich den Norden und das Zentrum von Diyala. Im Süden und Westen gibt es hingegen kaum sicherheitsrelevante Vorfälle (Joel Wing 9.9.2019).
Für Juli 2019 verzeichnete Joel Wing im Gouvernement Diyala 28 sicherheitsrelevante Vorfälle mit elf Toten und 30 Verletzten (Joel Wing 5.8.2019). Im August 2019 wurden 41 Vorfälle - die höchste Anzahl seit August 2018, mit 21 Toten und 46 Verwundeten registriert (Joel Wing 9.9.2019) und im September 37 Vorfälle mit 21 Toten und 30 Verletzten (Joel Wing 16.10.2019). Im September schlug der IS in fast allen Distrikten des Gouvernements zu (Joel Wing 16.10.2019).
Im Gouvernement Kirkuk gehen die Zahlen der sicherheitsrelevanten Vorfälle, bis auf wenige Spitzen, kontinuierlich zurück. Im Juli gab es eine Reihe von Raketen- und Mörserangriffen auf Städte und Sicherheitskräfte, ansonsten handelte es ich bei den Vorfällen meist um Schießereien und den Einsatz von IEDs (Joel Wing 5.8.2019). Wie im benachbarten Diyala handelte es sich bei Vorfällen in Kirkuk meist um Schießereien, Angriffe auf Kontrollpunkte, Überfälle auf Städte und Vertreibungen aus ländlichen Gebieten, wobei sich der IS auf den Süden des Gouvernements konzentrierte. Unter anderem wurden eine Polizeistation und ein Armeestützpunkt angegriffen, sowie ein Polizeihauptquartier mit Mörsern beschossen (Joel Wing 16.10.2019).
Im Gouvernement Kirkuk wurden im Juli 2019 15 sicherheitsrelevante Vorfälle mit sechs Toten und 13 Verletzten verzeichnet (Joel Wing 5.8.2019), im August 2019 19 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 34 Toten und 19 Verwundeten (Joel Wing 9.9.2019) und im September 22 Vorfälle mit elf Toten und 19 Verletzten (Joel Wing 16.10.2019).
Im Gouvernement Salah ad-Din wurden im Juli 2019 acht Vorfälle mit zehn Toten und acht Verletzten registriert. Zu den Vorfällen zählten zwei Feuergefechte und ein Angriff auf einen Checkpoint (Joel Wing 5.8.2019). Im August 2019 wurden sieben Vorfälle mit vier Toten und fünf Verwundeten verzeichnet (Joel Wing 9.9.2019) und im September zehn Vorfälle mit 13 Toten und zehn Verletzten (Joel Wing 16.10.2019).
Das Gouvernement Anbar, früher ein IS-Zentrum, wird nun hauptsächlich für den Transit von ISKämpfern zwischen dem Irak und Syrien genutzt (Joel Wing 16.10.2019). Die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle in Anbar hat in den vergangenen Monaten stark fluktuiert (Joel Wing 5.8.2019).
Im Gouvernement Anbar wurden im Juli 2019 fünf sicherheitsrelevante Vorfälle mit neun Toten und 14 Verletzten registriert (Joel Wing 5.8.2019), im August 2019 waren es vier Vorfälle mit sechs Toten und neun Verwundeten (Joel Wing 9.9.2019) und im September vier Vorfälle mit 19 Toten (Joel Wing 16.10.2019).
SÜDIRAK
Das Gouvernement Babil ist ein einfaches Ziel für die Aufständischen des IS, in das sie von Anbar aus leichten Zugang haben. Insbesondere der Distrikt Jurf al-Sakhr, in dem es keine Zivilisten gibt und der als PMF-Basis dient, ist ein beliebtes Ziel des IS (Joel Wing 9.9.2019).
Im Gouvernement Babil wurden im Juli 2019 drei sicherheitsrelevante Vorfälle mit einem Toten und fünf Verletzten verzeichnet (Joel Wing 5.8.2019). Im August waren es acht Vorfälle mit fünf Toten und 48 Verletzten. Es handelt sich dabei um die höchste Zahl an Vorfällen seit Juni 2018. Darunter befand sich ein schwerer Angriff mit einer Motorradbombe (VBIED) auf einen Markt im Norden des Gouvernements (Joel Wing 9.9.2019). Im September waren es wieder drei Vorfälle mit einem Toten und fünf Verletzten (Joel Wing 16.10.2019).
Im Gouvernement Kerbala wurde im Juli ein Vorfall mit einem Toten und drei Verletzten verzeichnet. Es handelte sich dabei um den Einsatz einer Haftbombe an einem Auto (Joel Wing 5.8.2019). Im September wurde ein sicherheitsrelevanter Vorfall mit zwölf Toten und fünf Verletzten registriert (Joel Wing 16.10.2019). Hierbei wurde an einem Checkpoint im Norden von Kerbala Stadt eine Autobombe gezündet (Joel Wing 16.10.2019; vgl. VOA 21.9.2019). Von Sicherheitskräften entdeckte Waffenlager des IS weisen darauf hin, dass dieser über eine große Menge an Sprengmitteln verfügt (Joel Wing 16.10.2019).
In Basra wurde im August ein Vorfall ohne Opfer registriert. Es handelte sich dabei um eine gegen British Petroleum (BP) im Rumaila Ölfeld gerichtete IED (Joel Wing 9.9.2019). Demonstrationen gegen Korruption, Arbeitslosigkeit und mangelnde Grundversorgung halten an, wobei iranisch unterstützte PMFs beschuldigt werden, sich an der Unterdrückung der Proteste zu beteiligen und Demonstranten und Menschenrechtsaktivisten anzugreifen (Diyaruna 7.8.2019; vgl. Al Jazeera
25.10.2019).
Quellen:
-
BFA Staatendokumentation: Kurzinformation zu Irak, Sicherheitsupdate 3. Quartal 2019 und jüngste Ereignisse, 30.10.2019 als Teil des Sicherheitsupdates des Länderinformationsblattes Irak vom 30.10.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2019056.html mwN (Zugriff am 20.11.2019) mit weiteren Nachweisen
-
ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019): Regional Overview - Middle East 2 October 2019, https://www.acleddata.com/2019/10/02/regional-overview-middleeast-2-october-2019/, Zugriff 7.10.2019
-
ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (4.9.2019): Regional Overview - Middle East 4 September 2019, https://www.acleddata.com/2019/09/04/regional-overviewmiddle-east-4-september-2019/, Zugriff 2.10.2019
-
ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (17.7.2019): Regional Overview - Middle East 17 July 2019, https://www.acleddata.com/2019/07/17/regional-overview-middleeast-17-july-2019/, Zugriff 2.10.2019
-
Al Jazeera (25.10.2019): Dozens killed as fierce anti-government protests sweep Iraq,
https://www.aljazeera.com/news/2019/10/dozens-killed-fierce-anti-government-demonstrationssweep-iraq-191025171801458.html, Zugriff 28.10.2019
-
Al Jazeera (5.10.2019): Iraq PM lifts Baghdad curfew, https://www.aljazeera.com/news/2019/10/iraq-pm-lifts-baghdad-curfew-191005070529047.html, Zugriff 28.10.2019
-
Al Jazeera (24.9.2019): Two rockets 'hit' near US embassy in Baghdad's Green Zone,
https://www.aljazeera.com/news/2019/09/rockets-hit-embassy-baghdad-green-zone190924052551906.html, Zugriff 2.10.2019
-
Al Jazeera (25.8.2019): Iraq paramilitary: Israel behind drone attack near Syria border,
https://www.aljazeera.com/news/2019/08/iraq-paramilitary-israel-drone-attack-syria-border190825184711737.html, Zugriff 28.10.2019
-
Al Mada (2.10.2019): ????? ???????? ????? ??? ????? ??? ("Proteste werden zu Kriegsgebieten"),
https://almadapaper.net/view.php?cat=221822, Zugriff 4.10.2019
-
Al Monitor (12.7.2019): Iran shells Iraqi Kurdistan Region, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2019/07/iraq-iran-kurdistan-turkey.html, Zugriff 2.10.2019
-
Anadolu Agency (13.7.2019): Turkey launches counter-terror Operation Claw-2 in N.Iraq,
https://www.aa.com.tr/en/turkey/turkey-launches-counter-terror-operation-claw-2-in-niraq/1530592, Zugriff 2.10.2019
-
BBC News (28.10.2019): Iraq protests: Upsurge in violence despite Baghdad curfew,
https://www.bbc.com/news/world-middle-east-50225055?intlink_from_url=https://www.bbc.com/news/topics/cvenzmgyljrt/iraq&link_location=live-reporting-story, Zugriff 28.10.2019
-
BBC News (4.10.2019): Iraq protests: 'No magic solution' to problems, PM says,
https://www.bbc.com/news/world-middle-east-49929280, Zugriff 4.10.2019
-
D&S - Difesa & Sicurezza (24.4.2019): Iraq, the ISF carry out a surprise anti-ISIS operation in Anbar, https://www.difesaesicurezza.com/en/defence-and-security/iraq-the-isf-carry-out-asurprise-anti-isis-operation-in-anbar/, Zugriff 11.10.2019
-
Diyaruna (7.10.2019): Iraq launches phase 6 of 'Will of Victory', https://diyaruna.com/en_GB/articles/cnmi_di/features/2019/10/07/feature-02, Zugriff 18.10.2019
-
Diyaruna (7.8.2019): Iran-backed militias suppress Iraqi protests, https://diyaruna.com/en_GB/articles/cnmi_di/features/2019/08/07/feature-01, Zugriff 2.10.2019
-
FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (3.10.2019): Die Wut der Iraker auf die Regierung,
https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/tote-bei-protesten-die-wut-der-iraker-auf-dieregierung-16415369.html, Zugriff 4.10.2019
-
France 24 (28.10.2019): Iraq protesters defy Baghdad curfew as violence rocks Shiite holy city, https://www.france24.com/en/20191029-iraq-protesters-defy-baghdad-curfew-as-violencerocks-shiite-holy-city, Zugriff 30.10.2019
-
IBC - Iraq Bodycount (9.2019): Monthly civilian deaths from violence, 2003 onwards, https://www.iraqbodycount.org/database/, Zugriff 15.10.2019
-
ISW - Institute for the Study of War (22.10.2019): Iraq's Sustained Protests and Political Crisis, https://iswresearch.blogspot.com/2019/10/iraqs-sustained-protests-and-political.html, Zugriff 24.10.2019
-
Joel Wing, Musings on Iraq (16.10.2019): Islamic State Not Following Their Usual Pattern In Attacks In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/islamic-state-not-following-theirusual.html, Zugriff 17.10.2019
-
Joel Wing, Musings on Iraq (3.10.2019): Iraq's October Protests Escalate And Grow,
https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/iraqs-october-protests-escalate-and-grow.html, Zugriff 4.10.2019
-
Joel Wing, Musings on Iraq (9.9.2019): Islamic State's New Game Plan In Iraq,
https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/09/islamic-states-new-game-plan-in-iraq.html, Zugriff 1.10.2019
-
Joel Wing, Musings on Iraq (5.8.2019): Islamic State's Offensive Could Be Winding Down,
https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/08/islamic-states-offensive-could-be.html, Zugriff 1.10.2019
-
Kurdistan24 (7.8.2019): ISIS increases activity in Iraq's disputed territories,
https://www.kurdistan24.net/en/news/16f3d2f2-8395-40b8-94f3-ebbd183f398d, Zugriff 2.10.2019
-
Liveuamap - Live Universal Awareness Map (1.10.2019): Map of Iraq, https://iraq.liveuamap.com/en/time/01.10.2019, Zugriff 1.10.2019
-
Military Times (7.7.2019): Iraqi forces begin operation against ISIS along Syrian border,
https://www.militarytimes.com/flashpoints/2019/07/07/iraqi-forces-begin-operation-against-isis-alongsyrian-border/, Zugriff 18.10.2019
-
Net Blocks (3.10.2019, update am 7.8.2019): Heavily censored internet briefly returns to Iraq 28 hours after nationwide blackout, https://netblocks.org/reports/heavily-censored-internetbriefly-returns-to-iraq-28-hours-after-nationwide-blackout-7yNG1w8q, Zugriff 28.10.2019
-
PressTV (21.9.2019): Fifth phase of Will of Victory operation ends with cleansing areas near Saudi border, https://www.presstv.com/Detail/2019/09/21/606767/Fifth-phase-of-Will-ofVictory-operation-ends-with-cleansing-areas-near-Saudi-border-from-Daesh, Zugriff 18.10.2019