TE Bvwg Erkenntnis 2020/3/11 G310 2229318-1

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Veröffentlicht am 11.03.2020
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Entscheidungsdatum

11.03.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs2
AsylG 2005 §57
AVG §39 Abs2
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §52 Abs1 Z1
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
VwGVG §17

Spruch

G310 2229318-1/2E

G310 2229319-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Gaby WALTNER über die Beschwerden von 1. XXXX, geboren am XXXX, StA. Serbien und von 2. mj. XXXX, geboren am XXXX, StA. Bosnien und Herzegowina, dieser vertreten durch die Kindesmutter XXXX, gegen die Bescheide des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 03.02.2020, Zl. XXXX und XXXX, betreffend die die Erlassung einer Rückkehrentscheidung zu Recht:

A) Die Beschwerdeverfahren werden gemäß § 17 VwGVG iVm § 39 Abs 2

AVG zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.

B) Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

C) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin (BF1) stellte erstmals 2014 einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels. Diesen sowie ihre weiteren Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dem NAG und auch jene betreffend ihren Sohn (BF2) zog sie anlässlich einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht XXXX zurück.

Daraufhin erfolgte am 29.11.2019eine niederschriftliche Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA).

Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden erteilte das BFA den BF keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG (Spruchpunkt I.), erließ gemäß § 10 Abs. 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG (Spruchpunkt II.), stellte fest, dass die Abschiebung nach Serbien zulässig sei (Spruchpunkt III.) und setzte gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise fest (Spruchpunkt IV.).

Dagegen richtet sich die Beschwerde mit den Anträgen auf Durchführung einer Beschwerdeverhandlung, Behebung der angefochtenen Bescheide. Hilfsweise wird auch ein Aufhebungs- und Rückverweisungsantrag gestellt. Die BF begründen die Beschwerde im Wesentlichen damit, dass sie in Österreich gut integriert seien. Es bestehe ein großer Freundeskreis, auch lebe die Mutter der BF1 in Österreich. Die BF1 arbeite zudem bei zwei Unternehmen.

Das BFA legte die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) vor, wo sie am 09.03.2020 einlangten.

Feststellungen:

Die BF ist serbische Staatsangehörige und spricht Serbisch. In Serbien besuchte sie 8 Jahre die Grundschule, gefolgt von 3 Jahren Handelsschule. Danach war sie in Serbien als Verkäuferin tätig.

Die BF1 hat einen am XXXX2016 ausgestellten serbischen Reisepass, mit dem sie ab Juni 2016 immer wieder in den Schengenraum ein- und ausreiste. Die BF wies diesen im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 29.11.2019 vor und ist daraus ersichtlich, dass die letzte Einreise am 28.10.2018 erfolgte. Im Reisepass des BF2 scheint zuletzt ein Grenzkontrollstempel vom 21.07.2018 bezüglich der Ausreise aus dem Schengengebiet auf. Spätere Eintragungen sind dem Reisepass des BF2 nicht zu entnehmen.

Im Serbien war die BF1 zusammen mit dem BF2 zuletzt im Jahr 2018, um ihre Verwandten zu besuchen. Davor hat sie sich für zwei Wochen bei ihrem Ehemann in Bosnien und Herzegowina aufgehalten. Immer bei sich bietenden Gelegenheiten besucht sie ihre Familienangehörigen. Im Bundesgebiet leben die Mutter, eine Schwester, weitschichtige Verwandte und Freunde der BF1.

An der aktuellen Wohnadresse ist die BF1 ist seit XXXX2015 bis dato mit Hauptwohnsitz in gemeldet. Dabei handelt es sich um eine 50 m² große Mietwohnung und ist neben BF2 auch der Ehemann der BF1 mit Unterbrechungen an dieser Adresse gemeldet. Davor weist sie von 21.07.2005 bis 26.07.2005, von 26.07.2005 bis 09.09.2005, von 18.08.2010 bis 27.07.2012, von 27.09.2012 bis 18.10.2012, von 18.10.2012 bis 26.04.2013, von 13.08.2013 bis 22.10.2013 und von 25.02.2014 bis 16.10.2015 Wohnsitzmeldungen im Bundesbiet vor.

Seit 26.08.2017 ist die BF1 im Bundesgebiet als Arbeiterin vollversichert erwerbstätig. Gleichzeitig übt sie seit 02.07.2018 eine geringfügige Beschäftigung als Arbeiterin aus. Davor war sie von 20.05.2014 bis 27.05.2014, von 10.06.2014 bis 03.07.2016 von 01.08.2015 bis 03.07.2016, von 01.12.2016 bis 31.01.2018 und von 22.05.2018 bis 20.06.2018 geringfügig beschäftigt. Von 04.07.2016 bis 24.10.2016 bezog sie Wochengeld. Der Kindergeldbetreuungsbezug erfolgte von 26.08.2016 bis 25.08.2017.

Die BF1 verfügt über Sprachzertifikate des Niveaus A1 und A2. Ein Nachweis über absolvierte Deutschprüfungen oder -kurse liegt nicht vor.

Die BF1 ist gesund und arbeitsfähig. sie ist strafrechtlich unbescholten.

Die BF1 ist seit XXXX2016 mit einem bosnischen Staatsbürger verheiratet. Dieser stellte zuletzt am 26.01.2017 einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot - Karte (plus)". Sein vorheriger Antrag vom 17.06.2016 wurde am 29.08.2016 abgewiesen. Der Ehemann der BF1 und Vater von BF2 ist seit 2011 immer wieder mit Unterbrechungen im Bundesgebiet mit Wohnsitz gemeldet. Zuletzt seit 04.02.2020, davor in den Jahren von 2015 bis 2019 von 22.07.2015 bis 16.10.2015, von 01.03.2016 bis 07.04.2016, von 18.07.2016 bis 10.10.2016, von 20.01.2017 bis 23.01.2017, von 23.01.2017 bis 30.03.2017, von 24.07.2017 bis 05.10.2017, von 25.01.2018 bis 12.04.2018, von 31.07.2018 bis 23.10.2018, von 11.02.2019 bis 25.04.2019, und von 02.08.2019 bis 17.10.2019. Bislang ist der Ehemann der BF1 in Österreich keiner Beschäftigung nachgegangen, es besteht aber eine Mitversicherung mit seiner Ehefrau, der BF1. Sein Lebensmittelpunkt liegt in Bosnien und Herzegowina.

Am 26.08.2016 kam BF2, der Sohn der BF1 und ihres Ehemanns, in XXXX zur Welt. Ihm wurden bereits 2016 und 2017 ein Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte (plus)" ausgestellt, der neuerliche Antrag vom 30.08.2018 wurde am 08.01.2019 abgewiesen. Er ist seit 30.08.2016 an derselben Adresse wie die BF1 mit Hauptwohnsitz gemeldet. Er ist gesund und besucht den Kindergarten.

Die BF1 stellte am 04.03.2014, am 13.03.2015 und am 10.03.2016 einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot - Karte plus". Die Verfahren bezüglich dieser Anträge wurden mit Bescheid des XXXX, vom 08.01.2019, Zl. XXXX, von Amts wegen wiederaufgenommen und gleichzeitig abgewiesen. Dies mit der Begründung, dass die BF1 ihre Aufenthaltstitel erschlichen habe. Sie und ihr erster Ehemann seien geständig, die damalige Ehe nur geschlossen zu haben, um sich ein Leben in Österreich zu ermöglichen. Ein gemeinsames Familienleben habe nie bestanden. Im Beschwerdeverfahren vor dem Verwaltungsgericht XXXX zog die BF1 nicht nur ihre, sondern auch die Anträge vom 15.09.2016, vom 05.09.2017 und vom 30.08.2018 ihren Sohn betreffend zurück.

Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang ergibt sich widerspruchsfrei aus dem unbedenklichen Inhalt der Verwaltungsakten des BFA und des Gerichtsakts des BVwG.

Die Identität der BF werden durch ihre dem BVwG in Kopie vorliegenden Reisepass belegt, dessen Echtheit nicht in Zweifel steht.

Serbische Sprachkenntnisse sind aufgrund ihrer Herkunft plausibel. Die in der Einvernahme vor dem BFA erwähnten Deutschkenntnisse sind aufgrund ihres bisherigen Aufenthaltes und der Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet nachvollziehbar. Aus ihren Angaben ergeben sich auch die Feststellungen zu ihren familiären und privaten Anknüpfungspunkten in Österreich.

Die Feststellung der strafgerichtlichen Unbescholtenheit der BF1 basiert auf dem Strafregister. Ihre Beschäftigungszeiten im Bundesgebiet konnten anhand des Versicherungsdatenauszuges festgestellt werden.

Die Einreise der BF1 ergibt sich aus dem letzten Einreisestempel in ihrem Reisepass, ihre Wohnsitzmeldungen aus dem Zentralen Melderegister (ZMR). Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass sie Österreich seit Oktober 2018 wieder verlassen hat, zumal eine durchgehende Hauptwohnsitzmeldung besteht und keine weiteren Grenzkontrollstempel vorliegen. Die vorherigen Grenzkontrollstempel lassen weiters erkennen, dass sie sich nicht durchgehend im Bundesgebiet aufhielt, sondern zwischendurch immer wieder den Schengenraum verließ um ihre Angehörigen zu besuchen, was mit ihren diesbezüglichen Angaben vor dem BFA in Einklang steht. Aufgrund des jungen Alters des BF2 und seines Kindergartenbesuchs in Österreich ist davon auszugehen, dass er sich seit Oktober 2018 mit seiner Mutter in Österreich aufhält.

Die Anträge der BF auf Erteilung eines Aufenthaltstitels sowie die amtswegige Wiederaufnahme der diesbezüglichen Verfahren und die Zurückziehung der Anträge ergeben sich aus dem Fremdenregister, dem Bescheid des Amts XXXX sowie dem Mail XXXX vom 03.10.2019 an das BFA.

Die zweite Eheschließung basiert auf den Ausführungen des Bescheids desXXXX. Die Feststellungen zu ihrem Ehemann erfolgten aufgrund den entsprechenden Eintragungen im Versicherungsdatenauszug, des ZMR sowie des Fremdenregisters. Dass sich sein Lebensmittelpunkt in Bosnien und Herzegowina befindet, ergibt sich aus den Ausführungen der BF1 anlässlich ihrer Einvernahme vor dem BFA, wonach sie ihn im Jahr 2018 für zwei Wochen in seinem Herkunftsland besucht hat, da er dort leben würde. Auch die Tatsache, dass seine Wohnsitzmeldungen in Österreich stets für mehrere Monate unterbrochen sind, spricht dafür.

Es gibt keine aktenkundigen Hinweise auf gesundheitliche Probleme der BF. Da die BF1 erwerbstätig ist, ist von ihrer Arbeitsfähigkeit auszugehen. Das Verfahren hat auch keine Anhaltspunkte für gesundheitliche Probleme des BF2 ergeben.

Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

Das BVwG kann nach § 17 VwGVG iVm § 39 Abs 2 AVG unter Bedachtnahme auf möglichste Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis mehrere in seine Zuständigkeit fallende Rechtssachen zur gemeinsamen Entscheidung verbinden, soweit dies im Rahmen der Geschäftsverteilung möglich ist (Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht10 Rz 276/1 und 798).

Da die BF in Familiengemeinschaft leben und die angefochtenen Bescheide sowie die Beschwerden inhaltlich weitgehend übereinstimmen, sodass in beiden Beschwerdeverfahren ähnliche Tatsachen- und Rechtsfragen zu klären sind, sind die Verfahren, die derselben Gerichtsabteilung des BVwG zugewiesen wurden, aus Zweckmäßigkeitsgründen zur gemeinsamen Entscheidung zu verbinden.

Zu Spruchteil B):

Die BF sind als Staatsangehörige von Serbien bzw. Bosnien und Herzegowina Fremde iSd § 2 Abs. 4 Z 1 FPG und Drittstaatsangehöriger iSd § 2 Abs. 4 Z 10 FPG.

Der Aufenthalt eines Fremden in Österreich ist gemäß § 31 Abs. 1a FPG nicht rechtmäßig, wenn kein Fall des § 31 Abs. 1 FPG vorliegt. Gemäß § 31 Abs. 1 Z 1 FPG halten sich Fremde rechtmäßig im Bundesgebiet auf, wenn sie rechtmäßig eingereist sind und während ihres Aufenthalts Befristungen und Bedingungen des Einreisetitels, des visumfreien Aufenthalts oder die durch zwischenstaatliche Vereinbarungen, Bundesgesetz oder Verordnung bestimmte Aufenthaltsdauer eingehalten haben. Die übrigen Fälle des rechtmäßigen Aufenthalts nach § 31 Abs. 1 FPG (Aufenthaltsberechtigung nach dem NAG, Aufenthaltstitel eines anderen Vertragsstaates, asylrechtliches Aufenthaltsrecht, arbeitsrechtliche Bewilligung) kommen hier nicht in Betracht, weil keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass einer dieser Tatbestände erfüllt sein könnte.

Da die BF einen biometrischen Reisepass besitzen, sind sie nach Art 4 Abs. 1 iVm Anhang II der Verordnung (EU) 2018/1806 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14.11.2018 (Visumpflichtverordnung) von der Visumpflicht für einen Aufenthalt, der 90 Tage je Zeitraum von 180 Tagen nicht überschreitet, befreit. Ausgehend von der letzten Einreise in den Schengenraum im Oktober 2018 haben die BF die erlaubte visumfreie Aufenthaltsdauer zumindest bis zur Einvernahme vor dem BFA massiv überschritten. Mangels Aufenthaltstitel halten sich die BF somit gemäß § 31 Abs. 1a FPG nicht mehr rechtmäßig in Österreich auf, weil kein Fall des § 31 Abs. 1 FPG vorlag.

Zu Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide:

Da sich die BF nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, ist zunächst gemäß § 58 Abs. 1 AsylG von Amts wegen die Erteilung einer "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" gemäß § 57 AsylG zu prüfen. Gemäß § 58 Abs. 3 AsylG ist darüber im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen.

Es liegen keine Umstände vor, die dazu führen, dass den BF allenfalls von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG ("Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz") zu erteilen gewesen wäre, weil ihr Aufenthalt nie geduldet iSd § 46a FPG war und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie Zeugen oder Opfer strafbarer Handlungen oder Opfer von Gewalt wurden. Daher ist die Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids als unbegründet abzuweisen.

Zu Spruchpunkt II. der angefochtenen Bescheide:

Gemäß § 52 Abs. 1 FPG hat das BFA gegen einen Drittstaatsangehörigen mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält (Z 1) oder nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und das Rückkehrentscheidungsverfahren binnen sechs Wochen ab Ausreise eingeleitet wurde (Z 2).

Eine Rückkehrentscheidung, die in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingreift, ist zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist (§ 9 Abs. 1 BFA-VG). Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob dieser rechtswidrig war (Z 1), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (Z 2), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens (Z 3), der Grad der Integration (Z 4), die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden (Z 5), die strafgerichtliche Unbescholtenheit (Z 6), Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts (Z 7), die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (Z 8) und die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (Z 9) zu berücksichtigen.

Gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff NAG) verfügen, unzulässig wäre.

In Anwendung dieser Grundsätze ist hier zu berücksichtigen, dass sich die BF im Rahmen des visumfreien Aufenthalts maximal 90 Tage in 180 Tagen im Schengenraum aufhalten und die BF1 hier keiner Erwerbstätigkeit nachgehen durfte. Da die BF diesen Zeitraum massiv überschritt und die BF1 einer Beschäftigung nachgeht, die sie nach dem AuslBG nicht ausüben hätte dürfen, war ihr Inlandsaufenthalt nicht rechtmäßig. Die Rückkehrentscheidung wurde im angefochtenen Bescheid daher zutreffend auf § 52 Abs 1 Z 1 FPG gestützt.

Bei der Beurteilung der Frage, ob die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme aus dem Blickwinkel des § 9 BFA-VG iVm Art 8 EMRK zulässig ist, ist eine gewichtende Gegenüberstellung des öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung mit dem Interesse des Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich vorzunehmen.

Auch wenn das persönliche Interesse am Verbleib in Österreich grundsätzlich mit der Dauer des bisherigen Aufenthalts des Fremden zunimmt, so ist die bloße Aufenthaltsdauer nicht allein maßgeblich, sondern es ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalles vor allem zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren. Bei der Einschätzung des persönlichen Interesses ist auch auf die Auswirkungen, die eine Aufenthaltsbeendigung auf die familiären und sonstigen Bindungen des Fremden hätte, Bedacht zu nehmen (vgl. VwGH 15.12.2015, Ra 2015/19/0247).

Nach einer einjährigen Meldeunterbrechung der BF1, weist sie seit 25.02.2014 durchgehende Wohnsitzmeldungen im Bundesgebiet auf. Am 04.03.2014 beantragte sie erstmals die Ausstellung eines Aufenthaltstitels, wobei im Hinblick darauf nicht außer Acht gelassen werden darf, dass es aufgrund der Umstände der ersten Eheschließung der BF1, welche die Grundlage der damaligen Aufenthaltstitel war, zu einer amtswegigen Wiederaufnahme des damaligen und der folgenden Verfahren wegen Erschleichens kam. Im Zuge des Beschwerdeverfahrens zog die BF1 ihre und die Anträge für ihren Sohn zurück.

Da auch der Ehemann der BF1 und Vater des BF2 in Österreich nicht aufenthaltsberechtigt ist, ist mit der Rückkehrentscheidung kein unverhältnismäßiger Eingriff in das Familienleben verbunden. Außerdem entstand das Familienleben der BF zu einer Zeit, zu der sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, zumal der Ehemann der BF1 nie eine über die visumfreie Aufenthaltsdauer hinausgehende Aufenthaltsgenehmigung in Österreich hatte. Die BF1 gab in ihrer Einvernahme darüber hinaus selbst an, dass ihr Ehemann in Bosnien leben würde. Aktuell haben weder der Ehemann noch der Sohn der BF ein längerfristig gesichertes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet.

Die BF haben Verwandte und einen Freundeskreis im Bundesgebiet. Zu ihren Gunsten sind die Deutschkenntnisse und die Selbsterhaltungsfähigkeit aufgrund der Beschäftigungen zu berücksichtigen. Die BF können den Kontakt zu ihren in Österreich lebenden Bezugspersonen auch nach der Rückkehr nach Serbien über diverse Kommunikationsmittel (Telefon, Internet etc.) und bei wechselseitigen Besuchen pflegen.

Die BF1 hat auch noch starke Bindungen an ihren Heimatstaat, wo sie einen großen Teil ihres Lebens, insbesondere die prägenden Jahre der Kindheit und Jugend, verbrachte. Sie ist mit den dortigen Gepflogenheiten vertraut und hat familiäre Anknüpfungen. Es ist davon auszugehen ist, dass sie über ein übliches soziales Netzwerk und der langen Aufenthaltsdauer entsprechende kulturelle Anknüpfungen verfügt. Da sie eine erwachsene, gesunde Frau mit einer Berufsausbildung ist, wird es ihr möglich sein, sich nach der Rückkehr nach Serbien eine Existenzgrundlage zu schaffen.

Die strafrechtliche Unbescholtenheit der BF1 vermag weder ihr Interesse an einem längerfristigen Verbleib in Österreich zu verstärken noch das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung abzuschwächen (vgl. VwGH 19.04.2012, 2011/18/0253). Aufgrund des unrechtmäßigen Aufenthalts sind ihr Verstöße gegen die öffentliche Ordnung iSd § 9 Abs. 2 Z 7 BFA-VG anzulasten. Den Behörden zurechenbare überlange Verfahrensverzögerungen liegen nicht vor.

In einer Gesamtbetrachtung ergibt sich bei der nach § 9 BFA-VG iVm Art 8 Abs. 2 EMRK vorzunehmenden Interessenabwägung, dass die familiären oder privaten Bindungen der BF in Österreich das öffentliche Interesse an der Beendigung ihres unrechtmäßigen Aufenthalts nicht überwiegen, zumal der Befolgung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung durch geordnete Abwicklung des Fremdenwesens ein hoher Stellenwert zukommt und das durch eine gewisse soziale Integration erworbene Interesse der BF an einem Verbleib in Österreich in seinem Gewicht dadurch gemindert ist, dass sie keine Veranlassung hatten, von einer Erlaubnis zu einem dauernden Aufenthalt auszugehen (siehe VwGH 02.09.2019, Ra 2019/20/0407).

Der dreieinhalbjährige BF2, der zwar bereits den Kindergarten besucht, sich jedoch in einem anpassungsfähigen Alter befindet und dessen Eintragungen im Reisepass belegen, dass er zusammen mit seiner Mutter seine Verwandten in Serbien bzw. seinen Vater in Bosnien und Herzegowina besucht, kann sie nach Serbien begleiten, weil ihm derzeit kein gesichertes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet zukommt.

Das BFA ging somit im Ergebnis zu Recht davon aus, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts der BF im Bundesgebiet schwerer wiegt als ihr gegenläufiges persönliches Interesse und daher Art 8 EMRK durch die Rückkehrentscheidung nicht verletzt wird. Es sind keine Anhaltspunkte für eine (vorübergehende oder dauerhafte) Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung hervorgekommen.

Es sind keine Umstände hervorgekommen, weshalb es den BF nicht möglich sein sollte, zum Zweck eines beabsichtigten längerfristigen Aufenthalts in Österreich einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dem NAG zu stellen. Der Umstand, dass eine solche Antragstellung allenfalls nachweis-, gebühren- und quotenpflichtig ist, vermag daran nichts zu ändern. Es ist den BF zumutbar, für die Dauer eines ordnungsgemäß geführten Niederlassungsverfahrens auszureisen (so z.B. VwGH 18.10.2012, 2011/23/0503 zur Ehe mit einem österreichischen Partner).

Da die Voraussetzungen für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung vorliegen, ist die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids als unbegründet abzuweisen.

Zu Spruchpunkt III. der angefochtenen Bescheide:

Für die gemäß § 52 Abs 9 FPG von Amts wegen gleichzeitig mit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung vorzunehmende Feststellung der Zulässigkeit einer Abschiebung gilt der Maßstab des § 50 FPG (siehe VwGH 05.10.2017, Ra 2017/21/0157). Demnach ist die Abschiebung unzulässig, wenn dadurch Art 2 oder Art 3 EMRK oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK verletzt würde oder für den Betreffenden als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre (Abs 1), wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort das Leben oder die Freiheit aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Ansichten bedroht wäre (Abs 2) oder solange die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den EGMR entgegensteht (Abs 3).

Da keine dieser Voraussetzungen hier zutrifft, ist die Abschiebung der BF nach Serbien zulässig. Es liegen unter Berücksichtigung der stabilen Situation dort, der familiären Anknüpfungen und der Lebensumstände keine konkreten Gründe vor, die eine Abschiebung unzulässig machen würden. Die BF1 ist eine arbeitsfähige Erwachsene im erwerbsfähigen Alter, die in der Lage sein wird, in ihrer Heimat, wo sie Zugang zum Arbeitsmarkt, zu den vorhandenen (wenn auch allenfalls bescheidenen) öffentlichen Leistungen und zur Gesundheitsversorgung hat, wieder für ihren Lebensunterhalt sowie für jenen des BF2 aufzukommen, ohne in eine existenzbedrohende Notlage zu geraten, allenfalls mit der Unterstützung der dort lebenden Angehörigen. Eine die physische Existenz nur unzureichend sichernde Versorgungssituation, die im Einzelfall eine Verletzung der durch Art 3 EMRK gewährleisteten Rechte darstellen könnte, liegt aktuell in Serbien nicht vor, ebenso wenig ein mit willkürlicher Gewalt verbundener internationaler oder innerstaatlicher Konflikt. Daher ist auch Spruchpunkt III. der angefochtenen Bescheide nicht korrekturbedürftig.

Zu Spruchpunkt IV. der angefochtenen Bescheide:

Zugleich mit einer Rückkehrentscheidung wird gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt, die grundsätzlich 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheids beträgt, wenn nicht der Betroffene besondere Umstände nachweist, die eine längere Frist erforderlich machen.

Da hier keine besonderen Umstände nachgewiesen wurden, die bei der Ausreise der BF zu berücksichtigen wären, beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 2 FPG 14 Tage. Spruchpunkt IV. der angefochtenen Bescheide ist vor diesem gesetzlichen Hintergrund nicht korrekturbedürftig.

Zum Entfall der mündlichen Verhandlung:

Nach § 21 Abs. 7 BFA-VG kann bei Vorliegen der dort umschriebenen Voraussetzungen - trotz Vorliegens eines Antrags - von der Durchführung einer Verhandlung abgesehen werden. Von einem geklärten Sachverhalt iSd § 21 Abs. 7 BFA-VG bei der Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen kann allerdings im Allgemeinen nur in eindeutigen Fällen ausgegangen werden, in denen bei Berücksichtigung aller zugunsten des oder der Fremden sprechenden Fakten auch dann kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das BVwG von ihm oder ihr einen persönlichen Eindruck verschafft (vgl. zuletzt VwGH 16.01.2019, Ra 2018/18/0272).

Da hier ein eindeutiger Fall vorliegt, der Sachverhalt anhand der Aktenlage und dem Beschwerdevorbringen geklärt werden konnte und auch bei einem positiven Eindruck von den BF bei einer mündlichen Verhandlung keine andere Entscheidung denkbar ist, kann eine Beschwerdeverhandlung unterbleiben. Von deren Durchführung ist keine weitere Klärung der Rechtssache zu erwarten, zumal ohnehin von der Richtigkeit der von der BF1 ergänzend vorgebrachten Tatsachen ausgegangen wird.

Zu Spruchteil B):

Die Revision nach Art 133 Abs. 4 B-VG war nicht zuzulassen, weil es sich bei der Interessenabwägung gemäß Art 8 EMRK, die das Schwergewicht der Beschwerde bildet, um eine typische Einzelfallbeurteilung handelt und das BVwG keine grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs. 4 B-VG zu lösen hatte.

Die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung ist im Allgemeinen nicht revisibel (VwGH 10.07.2019, Ra 2019/19/0186). Die Revision ist nicht zuzulassen, weil sich das BVwG an bestehender höchstgerichtlicher Rechtsprechung orientieren konnte und keine darüber hinausgehende grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs. 4 B-VG zu lösen war.

Schlagworte

Abschiebung, freiwillige Ausreise, Interessenabwägung, öffentliche
Interessen, Resozialisierung, Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G310.2229318.1.00

Zuletzt aktualisiert am

12.05.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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