TE Bvwg Erkenntnis 2020/3/17 G314 2226249-1

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Veröffentlicht am 17.03.2020
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Entscheidungsdatum

17.03.2020

Norm

AsylG 2005 §54 Abs1 Z1
AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §58 Abs2
BFA-VG §9 Abs1
BFA-VG §9 Abs2
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

G314 2226249-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Katharina BAUMGARTNER über die Beschwerde der XXXX, geboren am XXXX, Staatsangehörigkeit: Bosnien und Herzegowina, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung (Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH), gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX.11.2019, Zl. XXXX, zu Recht:

A) Der Beschwerde wird teilweise Folge gegeben und der angefochtene

Bescheid dahingehend abgeändert, dass es in Spruchpunkt II. zu lauten hat: "Gemäß § 9 Abs 1 bis 3 BFA-VG ist eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig. Der Beschwerdeführerin wird gemäß § 55 Abs 1 und 58 Abs 2 AsylG eine "Aufenthaltsberechtigung plus" iSd § 54 Abs 1 Z 1 AsylG erteilt" und die Spruchpunkte III. und IV. ersatzlos behoben werden.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Verfahrensgang:

Mit dem Bescheid vom 04.12.2018 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin (BF) auf Verlängerung ihrer Aufenthaltsbewilligung für den Zweck "Studierende" zurückgewiesen. Dagegen wurde kein Rechtsmittel erhoben.

Mit dem Schreiben des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 13.05.2019 wurde die BF aufgefordert, sich zur deshalb beabsichtigten Erlassung einer Rückkehrentscheidung zu äußern und Fragen zu ihrem Aufenthalt in Österreich und zu ihrem Privat- und Familienleben zu beantworten. Sie erstattete eine entsprechende Stellungnahme und legte diverse Unterlagen vor.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid erteilte das BFA ihr keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG (Spruchpunkt I.), erließ gemäß § 10 Abs 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 1 Z 1 FPG (Spruchpunkt II.), stellte gemäß § 52 Abs 9 FPG fest, dass ihre Abschiebung nach Bosnien und Herzegowina zulässig sei (Spruchpunkt III.), und legte gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise fest (Spruchpunkt IV.). Diese Entscheidung wurde im Wesentlichen damit begründet, dass die BF in Österreich kein schützenswertes Familienleben habe und beruflich nicht integriert sei. Ihr privates Interesse an einem Verbleib im Bundesgebiet werde dadurch gemindert, dass sie nach dem Ablauf ihres Aufenthaltstitels in Österreich verblieben sei und dadurch die öffentliche Ordnung, insbesondere das Interesse an einer geordneten Zuwanderung, gefährde.

Dagegen richtet sich die Beschwerde mit den Anträgen, eine mündliche Verhandlung durchzuführen, die Rückkehrentscheidung laut Spruchpunkt II. des Bescheides zu beheben und auf Dauer für unzulässig zu erklären sowie der BF einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG, in eventu gemäß § 57 AsylG, zu erteilen. Hilfsweise wird auch ein Aufhebungs- und Rückverweisungsantrag gestellt. Die Beschwerde wird zusammengefasst damit begründet, dass das BFA die Dauer des Inlandsaufenthaltes der BF und ihre in Österreich bestehende soziale Integration nicht ausreichend gewürdigt habe.

Das BFA legte die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem Antrag vor, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Feststellungen:

Die XXXX geborene BF ist Staatsangehörige von Bosnien und Herzegowina. Sie ist ledig und kinderlos. Sie kam in XXXX zur Welt, wuchs im heutigen Bosnien und Herzegowina auf, absolvierte dort die Schule und legte die Reifeprüfung ab. Ihre Muttersprache ist Bosnisch. Die Eltern der BF und ihre Schwester leben nach wie vor in ihrem Heimatstaat. Die BF hat keine Verwandten in Österreich [Reisepasskopien AS 11 ff, AS 75 ff und AS 117 ff; Geburtsurkunde AS 27; Stellungnahme BF AS 145 ff].

Die BF kam am Beginn des Wintersemesters 2003/2004 nach Österreich, um an der Technischen Universität XXXX Architektur zu studieren. Seither hält sie sich - abgesehen von regelmäßigen Besuchen bei ihrer Familie in Bosnien und Herzegowina - kontinuierlich in Österreich auf. Seit Oktober 2003 ist sie durchgehend mit Hauptwohnsitz an verschiedenen Adressen in XXXX gemeldet [Stellungnahme der BF AS 145 ff; ZMR-Auszug].

Ab Oktober 2003 wurden der BF Aufenthaltstitel für den Zweck des Studiums erteilt, die mehrfach verlängert wurden. Der letzte Verlängerungsantrag vom 23.01.2018 wurde mit dem seit 09.01.2019 rechtskräftigen Bescheid des Landeshauptmannes von XXXX vom 04.12.2018 zurückgewiesen, weil trotz einer entsprechenden Aufforderung nicht alle notwendigen Urkunden und Nachweise vorgelegt worden waren. Seither verfügt die BF über keine Aufenthaltsberechtigung mehr [Auszug Fremdeninformationsdatei AS 5 ff, 51, 63 ff; Verlängerungsanträge AS 1 ff und 57 ff; Reisepass AS 11 ff; Kopie der Aufenthaltsbewilligung AS 123; IZR-Auszug; Bescheid AS 180].

Die BF hat die allgemeine Universitätsreife. Sie wurde ab dem Wintersemester 2003/2004 zum XXXX an der Technischen Universität XXXX zunächst unter der Voraussetzung zugelassen, die Ergänzungsprüfung für den Nachweis der deutschen Sprache und die Zusatzprüfung für Darstellende Geometrie abzulegen. Am 27.02.2004 legte sie die geforderte Ergänzungsprüfung aus Deutsch im Rahmen des Vorstudienlehrgangs ab, in der Folge auch die Zusatzprüfung für Darstellende Geometrie [Zulassungsbescheid der Technischen Universität XXXX AS 29 ff; Zeugnis über die Ergänzungsprüfung aus Deutsch AS 37; Studienblatt AS 35 und 153 ff]. Von März 2004 bis November 2015 war die BF als ordentliche Studierende für das Studium XXXX an der Technischen Universität XXXX gemeldet, seit November 2015 für das Bachelorstudium XXXX [Studienblatt AS 153 ff]. Bislang hat sie das Studium noch nicht abgeschlossen, rechnet jedoch mit einem Abschluss bis Juni 2020 [Beschwerdevorbringen AS 235]. Sie absolvierte ab Juni 2004 immer wieder Prüfungen und Lehrveranstaltungen im Rahmen des Studiums [Bestätigungen des Studienerfolgs AS 71, 125 ff und AS 239 ff; Studienblatt AS 153 ff], konnte allerdings zum Teil keinen ausreichenden Studienerfolg nachweisen. Trotzdem wurde ihr Aufenthaltstitel immer wieder verlängert [Schreiben und Niederschrift vom 10.11.2008, AS 99 ff; Belehrung AS 131; IZR-Auszug].

Die BF ist gesund und arbeitsfähig. Im Oktober und November 2008 war sie im Rahmen eines freien Dienstvertrags erwerbstätig, im Juli 2017 kurz geringfügig beschäftigt. Sonst ging sie keiner sozialversicherten Tätigkeit nach. Zwischen November 2003 und Jänner 2020 bestand (mit kurzen Unterbrechungen) eine Krankenversicherung im Rahmen der Selbstversicherung gemäß § 16 ASVG. Außerdem war sie mehrfach als Komparsin bei Filmproduktionen beteiligt. Seit 2011 bewohnt sie eine in ihrem Alleineigentum stehende Eigentumswohnung in Wien. Der Ankauf wurde von ihren Eltern finanziert, die sie auch regelmäßig finanziell unterstützen und für ihren Lebensunterhalt aufkommen [Stellungnahme BF AS 145 ff; Versicherungsdatenauszug;

Kaufvertrag AS 149 und 249 ff; Grundbuchsauszug AS 151; ZMR-Auszug;

Kontoauszüge AS 85 ff, AS 129 und AS 169 ff; Schreiben von XXXX AS 257 f; Lichtbilder AS 259 f].

Die BF verfügt über sehr gute Kenntnisse der deutschen Sprache, die zumindest dem Sprachniveau B2 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen ("Selbständige Sprachverwendung") entsprechen [Zeugnis über die Ergänzungsprüfung aus Deutsch AS 37;

Bestätigung AS 45; Stellungnahme BF AS 147]. Sie hat im Bundesgebiet einen Freundes- und Bekanntenkreis [Schreiben von XXXX AS 257 f;

Lichtbilder AS 259 f] und ist strafgerichtlich unbescholten [Strafregisterauszug].

Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang ergibt sich widerspruchsfrei aus dem Akteninhalt. Der chronologische Ablauf ist auch im Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR) nachvollziehbar.

Die Feststellungen basieren auf den in den Klammerzitaten angegebenen Beweismitteln, wobei sich die angegebenen Aktenseiten (AS) auf die Nummerierung der Verwaltungsakten beziehen.

Die Feststellungen beruhen insbesondere auf den plausiblen und durch die vorgelegten Unterlagen untermauerten Angaben der BF in ihrer Stellungnahme und in der Beschwerde. Es liegen keine entscheidungserheblichen Widersprüche vor.

Die Feststellungen zur Identität, den Anknüpfungspunkten der BF in Bosnien und Herzegowina sowie zu den persönlichen und familiären Verhältnissen allgemein beruhen auf ihren konsistenten Angaben dazu. Sie gab an, ledig zu sein und keine Sorgepflichten zu haben (AS 145). Ihre Identität wird auch durch die Kopien aus ihren Reisepässen und die Geburtsurkunde belegt.

Die Ausbildung und das Studium der BF in XXXX ergibt sich aus den im Akt befindlichen Dokumenten, die mit den übrigen Beweisergebnissen in Einklang stehen (siehe insbesondere AS 153 ff).

Die Feststellungen zum Inlandsaufenthalt werden anhand ihrer Angaben dazu getroffen, die durch die Grenzkontrollstempel in ihren Reisepässen, die Wohnsitzmeldungen laut dem Zentralen Melderegister (ZMR) und den aktenkundigen Auszügen aus den Akten über Aufenthaltstitel nach dem NAG untermauert werden. Aus dem Fremdenregister ergibt sich, dass ihr seit der Erstantragsstellung im 2003 aufgrund von Verlängerungsanträgen bis zum 23.01.2018 jeweils Aufenthaltstitel als Studierende erteilt worden waren.

Aus dem Umstand, dass die BF an der Technischen Universität Wien zum Studium zugelassen wurde, ergibt sich in Zusammenschau mit der abgelegten Ergänzungsprüfung für den Nachweis der deutschen Sprache im Vorstudienlehrgang, dass die BF die allgemeine Universitätsreife hat. Der Besuch des Vorstudienlehrgangs und die Ablegung der vorgeschriebenen Ergänzungsprüfung können anhand der vorgelegten Zeugnisse festgestellt werden, die Deutschkenntnisse zumindest auf dem Sprachniveau B2 belegen (AS 29 ff und 37).

Die kurzfristige Erwerbstätigkeit der BF im Bundesgebiet sowie die finanzielle Unterstützung durch ihre Eltern ergeben sich aus dem Versicherungsdatenauszug und den im Akt befindlichen Kontoauszügen. Der Kaufvertrag für die von ihr bewohnte Eigentumswohnung liegt vor. Die finanzielle Unterstützung der BF durch ihre Eltern ist aufgrund deren Tätigkeit (XXXX) glaubhaft.

Es gibt keine Indizien für gesundheitliche Probleme der BF. Da sie eine Beschäftigung anstrebt (wie sich aus dem Beschwerdevorbringen ergibt), ist davon auszugehen, dass ihre Arbeitsfähigkeit nicht eingeschränkt ist, zumal sie in einem erwerbsfähigen Alter ist.

Die Feststellung, dass die BF Freunde und Bekannte in Österreich hat, liegt aufgrund der Dauer ihres Aufenthalts und ihres Studiums nahe und ergibt sich nicht zuletzt auch aus dem im Akt befindlichen Unterstützungsschreiben. Aus dem aktuellen Strafregisterauszug ergibt sich, dass sie strafrechtlich unbescholten ist.

Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

Die BF ist Staatsangehörige von Bosnien und Herzegowina und somit Drittstaatsangehörige iSd § 2 Abs 4 Z 10 FPG.

Da sie nach der Zurückweisung ihres letzten Verlängerungsantrags nicht mehr über eine Aufenthaltsberechtigung verfügt und sich daher nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, ist gemäß § 58 Abs 1 Z 5 AsylG zunächst von Amts wegen die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG zu prüfen und darüber gemäß § 58 Abs 3 AsylG im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen. Da hier keine Gründe für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG ("Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz") an die BF vorliegen, weil ihr Aufenthalt nie geduldet iSd § 46a FPG war und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie Zeuge oder Opfer strafbarer Handlungen oder Opfer von Gewalt wurde, erfolgte die in Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids ausgesprochene Nichterteilung einer Aufenthaltsberechtigung gemäß § 57 AsylG zu Recht und ist nicht korrekturbedürftig.

Wird einer Fremden, die sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG ("Zurückweisung, Transitsicherung, Zurückschiebung und Durchbeförderung"; §§ 41 bis 45c FPG) fällt, von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt, ist diese Entscheidung gemäß § 10 Abs 2 AsylG iVm § 52 Abs 1 Z 1 FPG mit einer Rückkehrentscheidung zu verbinden.

Gemäß Art 8 Abs 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art 8 Abs 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Gemäß § 9 Abs 1 BFA-VG ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, durch die in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war (Z 1), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (Z 2), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens (Z 3), der Grad der Integration (Z 4), die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden (Z 5), die strafgerichtliche Unbescholtenheit (Z 6), Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts (Z 7), die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (Z 8) und die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (Z 9), zu berücksichtigen. Gemäß § 9 Abs 3 BFA-VG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff NAG) verfügen, unzulässig wäre.

Gemäß § 58 Abs 2 AsylG ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG von Amts wegen zu prüfen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird. Gemäß § 55 Abs 1 AsylG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" (die gemäß § 54 Abs 1 Z 1 AsylG zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und unselbständigen Erwerbstätigkeit gemäß § 17 AuslBG berechtigt) zu erteilen, wenn dies gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK geboten ist (Z 1) und die Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze erreicht wird (Z 2). Gemäß § 9 Abs 4 Z 3 IntG ist das Modul 1 der Integrationsvereinbarung ua dann erfüllt, wenn die Drittstaatsangehörige über einen Schulabschluss verfügt, der der allgemeinen Universitätsreife im Sinne des § 64 Abs 1 UG oder einem Abschluss einer berufsbildenden mittleren Schule entspricht.

Bei Beurteilung der Frage, ob die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens iSd Art 8 EMRK geboten ist, ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen der Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen.

Bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt einer Fremden ist regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen. Nur dann, wenn sie die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, sind Aufenthaltsbeendigungen ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig anzusehen (siehe zuletzt VwGH 15.01.2020, Ra 2017/22/0047).

Die BF lebt seit September 2003 durchgehend in Österreich. Davon war ihr Aufenthalt fast 16 Jahre lang aufgrund der ihr erteilten Aufenthaltsbewilligungen rechtmäßig; zuletzt hielt sie sich etwas mehr als ein Jahr lang nicht rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Dieser lange, zum Großteil rechtmäßige Inlandsaufenthalt wurde im angefochtenen Bescheid nicht entsprechend berücksichtigt. Die BF hat die in Österreich verbrachte Zeit durchaus für ihre Integration genutzt, indem sie die deutsche Sprache erlernte, studiert (wenn auch nicht besonders zielstrebig), soziale Kontakte knüpfte und Vermögen in Form einer Eigentumswohnung erwarb. Da sie strafgerichtlich unbescholten ist und abgesehen von ihrem unrechtmäßigen Aufenthalt keine Verstöße gegen die öffentliche Ordnung vorliegen, überwiegen ihre persönlichen Interessen am Verbleib in Österreich das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung, obwohl im Inland kein Familienleben existiert und sie nach wie vor Bindungen zu ihrem Heimatstaat hat.

Zwar ist im Zusammenhang mit § 9 Abs 2 Z 8 BFA-VG zu berücksichtigen, dass der BF von Anfang an bewusst sein musste, dass ihr die für Studienzwecke erteilten Aufenthaltsbewilligungen nur ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht vermittelt konnten (siehe VwGH 26.06.2019, Ra 2019/21/0016). Dies relativiert zwar die von ihr erlangte soziale Integration, hat aber vor dem Hintergrund der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht zur Konsequenz, dass dieser überhaupt kein Gewicht beizumessen wäre und ein solcherart begründetes privates Interesse nicht zur Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung führen kann, was insbesondere bei einem mehr als zehn Jahre dauernden Inlandsaufenthalt gilt (vgl. VwGH 23.01.2020, Ra 2019/21/0378).

Das BVwG verkennt bei der vorzunehmenden Interessensabwägung nicht, dass dem Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, insbesondere der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften, grundsätzlich ein hoher Stellenwert zukommt, doch ist in diesem konkreten Einzelfall in einer gewichteten Abwägung aller Umstände insbesondere aufgrund des zehn Jahre deutlich übersteigenden rechtmäßigen Aufenthalts der BF ihr Interesse an der Fortführung ihres Privatlebens in Österreich höher zu bewerten als das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung.

Da eine Rückkehrentscheidung gegen die BF somit auf Dauer unzulässig ist, ist ihr gemäß § 58 Abs 2 AsylG ein Aufenthaltstitel aus Gründen des Art 8 EMRK gemäß § 55 AsylG zu erteilen. Da sie derzeit keine (erlaubte) Erwerbstätigkeit ausübt, ist die Erteilung einer "Aufenthaltsberechtigung plus" nur dann möglich, wenn sie gemäß § 55 Abs 1 Z 2 AsylG im Entscheidungszeitraum das Modul 1 der Integrationsvereinbarung bereits erfüllt hat. Diese Voraussetzung liegt hier vor, weil sich schon aus ihrer Zulassung zum Studium als ordentliche Studierende an der Technischen Universität Wien ergibt, dass sie über einen Schulabschluss verfügt, der zum Besuch einer Universität berechtigt (§ 9 Abs 4 Z 3 IntG).

In teilweiser Stattgebung der Beschwerde ist im Ergebnis eine Rückkehrentscheidung gegen die BF auf Grund des § 9 Abs 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig zu erklären und ihr gemäß § 58 Abs 2 AsylG eine "Aufenthaltsberechtigung plus" gemäß § 54 Abs 1 Z 1 AsylG iVm § 55 Abs 1 AsylG zu erteilen. Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids ist insoweit abzuändern, Spruchpunkt III. und IV. haben als Folge dieser Entscheidung ersatzlos zu entfallen.

Da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt werden konnte, unterbleibt eine Beschwerdeverhandlung gemäß § 21 Abs 7 BFA-VG, zumal davon keine weitere Klärung dieser Angelegenheit zu erwarten ist.

Zu Spruchteil B):

Die Revision nach Art 133 Abs 4 B-VG ist nicht zuzulassen, weil es sich bei der Interessenabwägung gemäß Art 8 EMRK um eine typische Einzelfallbeurteilung handelt und keine erheblichen, über den Einzelfall hinausreichenden Rechtsfragen zu lösen sind.

Schlagworte

Aufenthaltsberechtigung plus, Behebung der Entscheidung,
Deutschkenntnisse, Integration, Rückkehrentscheidung auf Dauer
unzulässig, Voraussetzungen, Wegfall der Gründe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G314.2226249.1.00

Zuletzt aktualisiert am

12.05.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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