TE Vfgh Erkenntnis 2020/2/25 E2714/2019

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Veröffentlicht am 25.02.2020
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §3, §8, §10, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung des Antrags eines irakischen Staatsangehörigen palästinensischer Abstammung auf internationalen Schutz; mangelhafte Entscheidungsbegründung und Widersprüche betreffend das Vorliegen einer asylrelevanten Verfolgung und einer innerstaatlichen Fluchtalternative

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.       Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1.       Der Beschwerdeführer ist palästinensischer Abstammung, seit 2009 irakischer Staatsangehöriger, gehört der sunnitischen Glaubensgemeinschaft an und stammt aus Bagdad.

2.       Am 12. November 2015 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf internationalen Schutz, der mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 6. Oktober 2017 sowohl hinsichtlich des Asylstatus, als auch hinsichtlich des subsidiären Schutzstatus abgewiesen wurde. Mit demselben Bescheid wurde kein Aufenthaltstitel erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen, die Zulässigkeit der Abschiebung in den Irak ausgesprochen und eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen festgesetzt.

3.       Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 18. März 2019 ab. Das Bundesverwaltungsgericht stellt fest, dass der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat auf Grund seiner "Zugehörigkeit zur sunnitisch-arabischen und palästinensischen Bevölkerungsgruppe" Probleme gehabt habe und im Irak auf Grund seiner "palästinensischen Abstammung Opfer willkürlicher Schikanen" geworden sei "und Übergriffen durch schiitische Milizangehörige" ausgesetzt gewesen sei, "wobei er auch Körperverletzungen erlitten hat". In diesem Zusammenhang stellt das Bundesverwaltungsgericht fest, dass der Cousin des Beschwerdeführers im Jahr 2007 von schiitischen Milizangehörigen erschossen worden sei und der Beschwerdeführer bei diesem Vorfall angeschossen worden sei. Außerdem stellt das Bundesverwaltungsgericht fest, dass dem Beschwerdeführer von schiitischen Milizangehörigen ein Unterarm gebrochen und eine Schulter ausgerenkt worden sei. Der Beschwerdeführer sei auf Grund verschiedener Vorfälle mehrmals umgezogen und habe die Schule gewechselt. Im Jahr 2013 sei er von einem Mitschüler nach Bekanntwerden seiner palästinensischen Abstammung mit dem Auto angefahren worden. Zuletzt sei der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise im Jahr 2015 mit seiner Schwester zusammengeschlagen worden, weil er einen Mann zurechtgewiesen habe, der seine Schwester belästigt habe. Der Beschwerdeführer sei ca. zwei Monate nach diesem Vorfall auf Grund der Kriegssituation und wegen der für Palästinenser schwierigen Lage ausgereist. Innerhalb dieses Zeitraumes hätte er keine ernsteren Schwierigkeiten auf Grund seiner palästinensischen Herkunft gehabt.

3.1.    Das Bundesverwaltungsgericht verweist auf die Länderberichte zum Irak, aus denen hervorgehe, dass das staatliche Gewaltmonopol nicht gesichert sei und es keine exakte Trennung zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren gebe, zumal schiitische Milizen eigenmächtig handelten. Für den Beschwerdeführer bestehe somit kein gesicherter staatlicher Schutz vor weiteren Übergriffen durch schiitische Milizangehörige. Abgesehen von zwei willkürlichen Angriffen auf den Bruder und den Cousin des Beschwerdeführers, die kurz nach der Ausreise des Beschwerdeführers stattgefunden hätten, könnten die Familienangehörigen des Beschwerdeführers – "offensichtlich ohne größere Schwierigkeiten" – weiterhin in Bagdad leben. Der Beschwerdeführer sei mehrmals innerhalb Bagdads umgezogen bzw bei Verwandten untergekommen. Dies zeige jedenfalls, dass schon vor seiner Ausreise eine vom Beschwerdeführer zugestandene "innerstaatliche Fluchtalternative innerhalb seiner Herkunftsstadt" bestanden hätte. Der Beschwerdeführer stehe mit seiner Familie weiterhin regelmäßig in Kontakt, sodass ihm eine Rückkehr jedenfalls zumutbar sei. Abschließend führt das Bundesverwaltungsgericht aus, dass es dem Beschwerdeführer nicht gelungen sei, eine asylrelevante Verfolgung glaubhaft zu machen.

4.       Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird. In der Beschwerde wird vorgebracht, dass das Erkenntnis widersprüchlich sei, zumal das Vorbringen des Beschwerdeführers einerseits als glaubhaft gewertet werde, andererseits aber ausgeführt werde, dass es dem Beschwerdeführer nicht gelungen sei, eine asylrelevante Verfolgung glaubhaft zu machen. Für den Beschwerdeführer sei nicht erkennbar, aus welchen Gründen sein Schutzbegehren abgewiesen worden sei. Außerdem habe das Bundesverwaltungsgericht keine Feststellungen dazu getroffen, in welcher Gegend Bagdads der Beschwerdeführer gefahrlos und vor Übergriffen durch schiitische Milizen geschützt leben könne.

5.       Das Bundesverwaltungsgericht und die belangte Behörde haben die Gerichts- bzw Verwaltungsakten vorgelegt und von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen.

II.      Erwägungen

1.       Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2.       Solche Fehler sind dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

2.1.    Das Bundesverwaltungsgericht legt nicht offen, ob es die vom Beschwerdeführer geschilderten Vorfälle als asylrelevante Verfolgung qualifiziert. Da das Bundesverwaltungsgericht die Angaben des Beschwerdeführers aber als glaubwürdig annimmt und im Rahmen seiner rechtlichen Beurteilung zum Spruchpunkt Asyl auch von einer Verfolgung durch Private sowie davon ausgeht, dass der irakische Staat weder schutzfähig noch schutzwillig sei und eine innerstaatliche Fluchtalternative prüft, scheint das Bundesverwaltungsgericht insgesamt zunächst von einer asylrelevanten Verfolgung auszugehen, der der Beschwerdeführer durch Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative entkommen könne. Im Widerspruch dazu führt das Bundesverwaltungsgericht am Ende seiner rechtlichen Beurteilung zum Spruchpunkt Asyl aber aus, dass es dem Beschwerdeführer "somit nicht gelungen" sei, eine asylrelevante Verfolgung "glaubhaft zu machen". Aus den Länderberichten geht weiters hervor, dass die Unterscheidung zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen verschwimmt (angefochtenes Erkenntnis, S 7). Da der Beschwerdeführer insbesondere eine Verfolgung durch Milizangehörige behauptet, hätte das Bundesverwaltungsgericht näher begründen müssen, weshalb es von einer Verfolgung durch Private ausgeht (vgl dazu VfGH 24.9.2019, E159/2019). Auch bei der Prüfung einer innerstaatlichen Fluchtalternative kommt es maßgeblich darauf an, ob eine Verfolgung durch einen staatlichen oder nichtstaatlichen Akteur vorliegt (vgl dazu Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht [2016], §11 AsylG, K 6 und 8).

2.2.    Das Bundesverwaltungsgericht führt ferner aus, dass der Beschwerdeführer bereits mehrmals innerhalb Bagdads umgezogen sei und dies zeige, dass ihm schon vor der Ausreise eine innerstaatliche Fluchtalternative offen gestanden sei. Diese Ausführungen widersprechen jedoch den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichtes, wonach der Beschwerdeführer trotz Umzügen weitere Übergriffe erlitten hat. Auf Grund dieser widersprüchlichen Ausführungen ist für den Verfassungsgerichtshof nicht ersichtlich, inwiefern dem Beschwerdeführer in Bagdad eine innerstaatliche Fluchtalternative offen stünde, zumal das Bundesverwaltungsgericht gerade dort von einer asylrelevanten Verfolgung auszugehen scheint (siehe Punkt 2.1.). Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes ist sohin in diesen wesentlichen Punkten in sich widersprüchlich und daher mit Willkür belastet.

III.    Ergebnis

1.       Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben.

2.       Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3.       Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.

Schlagworte

Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2020:E2714.2019

Zuletzt aktualisiert am

12.05.2020
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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