TE Vwgh Beschluss 2020/3/23 Ra 2019/14/0398

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Veröffentlicht am 23.03.2020
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Index

E000 EU- Recht allgemein
E3L E19103000
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §8
AVG §38
AVG §68 Abs1
EURallg
VwGG §62 Abs1
32013L0032 IntSchutz-RL Art40 Abs2
32013L0032 IntSchutz-RL Art40 Abs3
32013L0032 IntSchutz-RL Art40 Abs4

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schweinzer, in der Revisionssache der A B in C, vertreten durch Dr.in Julia Ecker, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Opernring 7/18, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Juni 2019, W254 2120338-3/2E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Das Revisionsverfahren wird bis zur Vorabentscheidung durch den Gerichtshof der Europäischen Union in der Rechtssache C-18/20 über die mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. Dezember 2019, EU 2019/0008 (Ro 2019/14/0006), vorgelegten Fragen ausgesetzt.

Begründung

1 Die Revisionswerberin, eine Staatsangehörige des Iran, stellte am 1. Juni 2015 einen ersten Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), den sie mit ihrer Konversion zum Christentum begründete. Mit Bescheid vom 13. Juni 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag ab, erteilte der Revisionswerberin keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen sie eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass ihre Abschiebung in den Iran zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest. Das Bundesverwaltungsgericht wies mit dem am 15. Februar 2018 mündlich verkündeten und am 20. Juni 2018 schriftlich ausgefertigten Erkenntnis die dagegen erhobene Beschwerde als unbegründet ab.

2 Am 17. Dezember 2018 stellte die Revisionswerberin einen zweiten Antrag auf internationalen Schutz. Diesen begründete sie zusammengefasst damit, dass sie homosexuell sei. Auf Anraten ihrer rechtlichen Vertretung im ersten Verfahren und von Vertretern der Kirche sowie persönlicher Umstände habe sie dies bisher nicht vorgebracht. Insbesondere habe sie erst im Sommer 2018 sukzessive begonnen, ihre Homosexualität auch nach außen hin zu leben und offen zu dieser zu stehen.

3 Mit Bescheid vom 29. März 2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück, erteilte der Revisionswerberin keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen sie eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass ihre Abschiebung in den Iran zulässig sei. Unter einem sprach die Behörde aus, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe, erkannte einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung ab und erließ ein auf die Dauer von 18 Monaten befristetes Einreiseverbot.

4 Mit Erkenntnis vom 24. Juni 2019 wies das Bundesverwaltungsgericht - ohne Durchführung einer Verhandlung - den Antrag der Revisionswerberin auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung zurück, gab der Beschwerde, soweit sie sich gegen die Erlassung des Einreiseverbotes richtete, statt und hob diesen Spruchpunkt ersatzlos auf. Im Übrigen wies es die Beschwerde als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei. 5 In seiner Begründung ging das Bundesverwaltungsgericht - soweit hier von Interesse - davon aus, die "behauptete" Homosexualität habe nach den Angaben der Revisionswerberin bereits während des ersten Asylverfahrens bestanden. Sie beziehe sich damit auf einen Sachverhalt, der ihr bereits bekannt gewesen sei, bevor das Verfahren über ihren ersten Antrag auf internationalen Schutz rechtskräftig beendet worden sei. Sie hätte die Verpflichtung gehabt, diesen Umstand im ersten Asylverfahren vorzubringen. Dem neuerlichen Asylantrag stehe damit die Rechtskraft der ersten Entscheidung entgegen. Die zur Rechtfertigung des Umstandes, dass die behauptete Homosexualität noch nicht vorgebracht worden sei, näher ausgeführten Gründe seien unglaubwürdig. Darüber hinaus sei den behaupteten Sachverhaltsänderungen und Geschehnissen nach rechtskräftigem Abschluss des Erstverfahrens ein glaubhafter Kern abzusprechen. Das Bundesverwaltungsgericht entsprach unter anderem auch dem Beweisantrag der Revisionswerberin auf Einvernahme der - nach ihrem Vorbringen - ehemaligen Freundin und Sexualpartnerin als Zeugin unter Hinweis auf das Vorliegen einer entschiedenen Rechtssache nicht und traf keine Feststellungen darüber, ob die behauptete sexuelle Orientierung vorliegt, und zum Vorbringen der Revisionswerberin, warum sie dazu nicht schon früher habe Angaben machen können.

6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision, über die vom Verwaltungsgerichtshof das Vorverfahren eingeleitet wurde.

7 Mit dem im Spruch genannten Beschluss vom 18. Dezember 2019 hat der Verwaltungsgerichtshof dem Gerichtshof der Europäischen Union folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

8 1. Erfassen die in Art. 40 Abs. 2 und Abs. 3 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (Neufassung), im Weiteren: Verfahrensrichtlinie, enthaltenen Wendungen "neue Elemente oder Erkenntnisse", die "zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden sind", auch solche Umstände, die bereits vor rechtskräftigem Abschluss des früheren Asylverfahrens vorhanden waren?

9 Falls Frage 1. bejaht wird:

10 2. Ist es in jenem Fall, in dem neue Tatsachen oder

Beweismittel hervorkommen, die im früheren Verfahren ohne Verschulden des Fremden nicht geltend gemacht werden konnten, ausreichend, dass es einem Asylwerber ermöglicht wird, die Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen früheren Verfahrens verlangen zu können?

11 3. Darf die Behörde, wenn den Asylwerber ein Verschulden daran trifft, dass er das Vorbringen zu den neu geltend gemachten Gründen nicht bereits im früheren Asylverfahren erstattet hat, die inhaltliche Prüfung eines Folgeantrages infolge einer nationalen Norm, die einen im Verwaltungsverfahren allgemein geltenden Grundsatz festlegt, ablehnen, obwohl der Mitgliedstaat mangels Erlassung von Sondernormen die Vorschriften des Art. 40 Abs. 2 und Abs. 3 Verfahrensrichtlinie nicht ordnungsgemäß umgesetzt und infolge dessen auch nicht ausdrücklich von der in Art. 40 Abs. 4 Verfahrensrichtlinie eingeräumten Möglichkeit, eine Ausnahme von der inhaltlichen Prüfung des Folgeantrages vorsehen zu dürfen, Gebrauch gemacht hat?

12 Der Beantwortung dieser Fragen durch den Gerichtshof der Europäischen Union kommt für die Behandlung der vorliegenden Revision ebenfalls Bedeutung zu. Es liegen daher die Voraussetzungen des gemäß § 62 Abs. 1 VwGG auch vom Verwaltungsgerichtshof anzuwendenden § 38 AVG vor, weshalb das Revisionsverfahren auszusetzen war (vgl. VwGH 15.3.2018, Ro 2018/20/0001, mwN).

Wien, am 23. März 2020

Schlagworte

Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019140398.L00

Im RIS seit

19.05.2020

Zuletzt aktualisiert am

19.05.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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