TE Vwgh Erkenntnis 2020/4/7 Ra 2019/09/0135

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Veröffentlicht am 07.04.2020
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
40/01 Verwaltungsverfahren
63/01 Beamten-Dienstrechtsgesetz

Norm

BDG 1979 §112 Abs1 Z3
MRK Art6
MRK Art6 Abs1
VwGG §42 Abs2 Z3 litc
VwGVG 2014 §24 Abs4
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel sowie die Hofräte Dr. Doblinger, Dr. Hofbauer, Mag. Feiel und die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Hotz, über die außerordentliche Revision des A B in C, vertreten durch Dr. Martin Riedl, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Franz-Josefs-Kai 5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. Februar 2019, W208 2212538-1/2E, betreffend Suspendierung nach dem Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung, Senat 4; weitere Partei:

Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der im Jahr 1955 geborene Revisionswerber steht als Schulleiter einer Höheren Technischen Bundeslehr- und Versuchsanstalt in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund.

2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis bestätigte das Bundesverwaltungsgericht den die Suspendierung des Revisionswerbers aus dem Grund des § 112 Abs. 1 Z 3 Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979 (BDG 1979) aussprechenden Bescheid der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde. Die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte es für nicht zulässig. 3 Von der Durchführung der in der Beschwerde des Revisionswerbers beantragten mündlichen Verhandlung nahm das Verwaltungsgericht unter Hinweis auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes und weil der für die rechtliche Beurteilung der Suspendierung entscheidungswesentliche Sachverhalt ausreichend feststehe und es einer Ergänzung des Sachverhalts nicht bedurft hätte, Abstand. Art. 6 EMRK komme im Verfahren über eine Suspendierung nicht zur Anwendung, weil es sich bei dieser bloß um eine vorläufige Maßnahme handle.

4 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 11. Juni  2019, E 1114/2019-14, ablehnte und sie über nachträglichen Antrag mit Beschluss vom 23. Juli 2019 gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

5 In der nach § 26 Abs. 4 VwGG eröffneten Frist erhob der Revisionswerber außerordentliche Revision wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung.

6 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

7 Die Zulässigkeit der Revision wird damit begründet, dass

durch das Unterbleiben der in der Beschwerde beantragten mündlichen Verhandlung das Bundesverwaltungsgericht von der neuen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Hinweis auf VwGH 13.12.2018, Ra 2018/09/0156) abgewichen sei.

8 Die Revision ist aus diesem Grund zulässig. Sie ist auch begründet.

9 Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem in der Revision bereits angesprochenen Erkenntnis vom 13. Dezember 2018, Ra 2018/09/0156, ausgeführt:

"8 Das Verwaltungsgericht kann gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG ungeachtet eines Parteiantrags von der Durchführung einer Verhandlung absehen, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt ist, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) entgegenstehen.

9 Eine Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht ist daher durchzuführen, wenn es um 'civil rights' oder 'strafrechtliche Anklagen' im Sinne des Art. 6 EMRK oder um die Möglichkeit der Verletzung einer Person eingeräumter Unionsrechte (Art. 47 GRC) geht und eine inhaltliche Entscheidung in der Sache selbst getroffen wird. Bei einem rechtswidrigen Unterlassen der nach Art. 6 EMRK erforderlichen mündlichen Verhandlung ist keine Relevanzprüfung hinsichtlich des Verfahrensmangels vorzunehmen (vgl. VwGH 22.2.2018, Ra 2017/09/0053; 20.10.2015, Ra 2015/09/0051).

10 Bei der Suspendierung handelt es sich nur um eine einen Teil des Disziplinarverfahrens darstellende, bloß vorläufige, auf die Dauer des Disziplinarverfahrens beschränkte Maßnahme, mit der nicht abschließend über eine 'Streitigkeit' über ein Recht entschieden wird. Ob die Suspendierung dauernde Rechtsfolgen nach sich zieht, hängt vom Ausgang der Disziplinarsache ab. Daher hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner bisherigen Rechtsprechung die Ansicht vertreten, dass die Verfahrensgarantien des Art. 6 EMRK im Verfahren über die Suspendierung nicht zur Anwendung gelangen (vgl. VwGH 23.4.2009, 2007/09/0296). Diese Ansicht kann jedoch vor dem Hintergrund neuerer Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) nicht aufrechterhalten werden (vgl. EGMR 23.5.2017, Paluda/Slovakia, 33392/12; darin hat sich der EGMR mit der Suspendierung eines slowakischen Richters befasst, diese im Lichte des Art. 6 Abs. 1 EMRK geprüft und ist letzten Endes zum Ergebnis gekommen, dass durch die Besetzung des entscheidenden Richterrates und im diesbezüglichen Verfahren durch die Unterlassung einer Einvernahme des betroffenen Richters Art. 6 Abs. 1 EMRK verletzt wurde; vgl. zur Anwendung von Art. 6 EMRK in Disziplinarverfahren auch VfSlg. 18.927/2009 und EGMR 30.9.2008, Melek Sima Yilmaz/Türkei, 37.829/05). Demnach ist dem Disziplinarbeschuldigten auch im Suspendierungsverfahren grundsätzlich ein Recht darauf zuzuerkennen, dass seine Angelegenheit in einer mündlichen Verhandlung vor dem in der Sache entscheidenden Gericht erörtert wird. (...)"

10 Im vorliegenden Fall hat der Revisionswerber in der Beschwerde ausdrücklich die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht beantragt und konkretes (Tatsachen-)Vorbringen im Zusammenhang mit der verfügten Suspendierung erstattet. Das Bundesverwaltungsgericht hätte somit nicht von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung absehen dürfen.

11 Indem das Verwaltungsgericht dies verkannt hat, belastete es das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, weshalb dieses gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben war.

12 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Wien, am 7. April 2020

Schlagworte

Besondere RechtsgebieteIndividuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2Verfahrensbestimmungen Allgemein

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019090135.L00

Im RIS seit

26.05.2020

Zuletzt aktualisiert am

26.05.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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