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27 RechtspflegeNorm
RAO §1aLeitsatz
Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch die Abweisung eines Antrags auf Eintragung einer Rechtsanwaltsgesellschaft mangels Vorliegen eines Kanzleisitzes wenigstens eines Gesellschafters am Sitz der GesellschaftSpruch
Die Beschwerdeführer sind durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1.1. Die Beschwerdeführer sind Rechtsanwälte mit verschiedenen Kanzleisitzen in Graz. Sie meldeten am 29. August 1994 beim Ausschuß der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts mit der Bezeichnung "Dr. S und Dr. SZ Rechtsanwaltsgesellschaft n.b.R." in die Liste der Rechtsanwaltsgesellschaften an.
Unter Punkt 4 der Anmeldung heißt es:
"Kanzleisitz der Gesellschaft: 8462 Gamlitz".
1.2.1. Dieser Antrag wurde mit Beschluß des Ausschusses der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer vom 7. September 1994 mit der Begründung, daß eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts mangels Rechtspersönlichkeit nicht eingetragen werden kann, abgewiesen.
1.2.2. Der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung wurde mit Bescheid der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (im folgenden: OBDK) vom 21. November 1994 Folge gegeben, wobei der angefochtene Beschluß aufgehoben und die Sache zur neuerlichen Entscheidung an den Ausschuß der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer zurückverwiesen wurde. Die OBDK begründete ihre Entscheidung damit, daß entgegen der Auffassung der ersten Instanz die Ausübung der Rechtsanwaltschaft auch in Form einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts möglich sei.
Zur Frage, ob es zulässig ist, daß der Kanzleisitz der Gesellschaft an einem Ort gewählt wird, an welchem keiner der Gesellschafter seinen Kanzleisitz hat, führte die OBDK aus:
"Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 24. Juni 1994, auf welches sich auch die Berufungswerber beziehen, nicht nur §25 RL-BA, wonach sich nur Rechtsanwälte mit demselben Kanzleisitz zur gemeinsamen Berufsausübung verbinden dürfen, als gesetzwidrig aufgehoben, sondern auch klargestellt, daß die Formulierung des §1 a Abs2 Z2 RAO nur so verstanden werden kann, daß sie es Rechtsanwälten erlaubt, neben ihrer Tätigkeit als Gesellschafter (einer Gesellschaft zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft) eine Einzelpraxis an einem von der Gesellschaft verschiedenen Kanzleisitz auszuüben; Kanzleisitz der Gesellschaft und Kanzleisitz der Gesellschafter müssen demnach nicht identisch sein. Gemäß §21 c Z8 RAO kann der Gesellschaftsvertrag vorsehen, daß 'ein' der Gesellschaft angehörender Rechtsanwalt die Rechtsanwaltschaft auch außerhalb der Gesellschaft ausüben darf. Das Wort 'ein' ist in diesem Zusammenhang nicht als Zahlwort, sondern als unbestimmter Artikel zu verstehen. Daraus folgt aber, daß alle der Gesellschaft angehörenden Rechtsanwälte die Rechtsanwaltschaft auch außerhalb der Gesellschaft ausüben, mithin jeweils einen vom Kanzleisitz der Gesellschaft verschiedenen Kanzleisitz haben dürfen und es somit nicht erforderlich ist, daß zumindest einer von ihnen seinen Kanzleisitz am Kanzleisitz der Gesellschaft hat. Hat doch jeder Rechtsanwalt das Recht, seinen Beruf im ganzen Bundesgebiet frei auszuüben. Er ist lediglich verpflichtet, bei Erwirkung seiner Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte beim zuständigen Ausschuß der Rechtsanwaltskammer seinen Kanzleisitz anzugeben (§5 Abs1 RAO) und dadurch seinen Berufssitz zu bestimmen, ohne daß ihn aber kraft Gesetzes eine Residenzpflicht (Betriebspflicht) an seinem Berufssitz trifft.
...
...
Der Umstand, daß die Gesellschaft ihren Kanzleisitz in der Marktgemeinde Gamlitz haben soll, während die beiden Gesellschafter ihren Kanzleisitz jeweils in Graz haben, steht demnach der angestrebten Eintragung der Gesellschaft in die Liste der Rechtsanwaltsgesellschaften nicht zwingend entgegen."
Da jedoch das Vorliegen der für die Eintragung sonstigen Erfordernisse vom Ausschuß nicht geprüft wurde, wurde dem Ausschuß der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer aufgetragen, in diese Prüfung einzutreten und sodann über das Eintragungsbegehren neuerlich zu entscheiden.
1.3.1. Daraufhin wurde mit Beschluß des Ausschusses der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer vom 15. Februar 1995 der Antrag der beiden Beschwerdeführer neuerlich abgewiesen. Die Behörde stützte ihre abweisende Entscheidung auf - den inzwischen neu erlassenen - §24 der Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes, für die Überwachung der Pflichten des Rechtsanwalts und für die Ausbildung der Rechtsanwaltsanwärter (im folgenden: RL-BA 1977) in der Fassung des Beschlusses des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages vom 20. Jänner 1995.
1.3.2. Der dagegen erhobenen Berufung wurde mit Bescheid der OBDK vom 22. Mai 1995 keine Folge gegeben.
Die OBDK begründete ihre Entscheidung wie folgt:
"Die Berufungsbehörde hat bei ihrer Rechtsmittelentscheidung jene Rechtslage zugrundezulegen, die im Zeitpunkt der Erlassung des bekämpften Bescheides (Beschlusses) gegolten hat. Im Zeitpunkt der Erlassung der bekämpften Entscheidung (15. Februar 1995) galt §24 RL-BA in der vom Österreichischen Rechtsanwaltskammertag am 20. Jänner 1995 beschlossenen und am 10. Februar 1995 im Amtsblatt zur Wiener Zeitung ordnungsgemäß kundgemachten neuen Fassung. Darnach hat eine Gesellschaft zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft ihren Kanzleisitz am Kanzleisitz eines die Rechtsanwaltschaft ausübenden Gesellschafters zu wählen. Diesem Erfordernis entspricht die zur Eintragung in die Liste der Rechtsanwaltsgesellschaften angemeldete 'Dr. S und Dr. SZ Rechtsanwaltsgesellschaft n.b.R.' unbestrittenermaßen nicht.
Ausgehend von der im Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung im zweiten Rechtsgang geltenden Rechtslage erweist sich der angefochtene Beschluß demnach als rechtsrichtig. Daran vermag auch der von den Berufungswerbern ins Treffen geführte Umstand nichts zu ändern, daß der Ausschuß - bei dem die Akten mit der kassatorischen Rechtsmittelentscheidung am 19. Dezember 1994 einlangten - mit der neuerlichen Entscheidung ersichtlich bis zur Kundmachung der am 20. Jänner 1995 beschlossenen Novellierung des §24 RL-BA zuwartete.
Der Einwand hinwieder, die Neufassung des §24 RL-BA sei gesetzwidrig, weil es hiefür keine gesetzliche Deckung gebe, geht deshalb fehl, weil die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission zur Antragstellung gemäß Art139 B-VG an den Verfassungsgerichtshof nicht berechtigt ist; die Kommission hat vielmehr eine Verordnung auch dann anzuwenden, wenn deren Gesetzwidrigkeit (zufolge mangelnder gesetzlicher Grundlage) behauptet wird."
1.4. Dagegen richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in welcher die Verletzung in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm behauptet und die Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt wird.
Begründet wird die Beschwerde wie folgt:
"Die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission hat in ihrem Bescheid vom 21.11.1994, Bkv 3/94-6, ausdrücklich darauf hingewiesen, daß der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 24.6.1994, mit welchem der §25 RL-BA als gesetzwidrig aufgehoben wurde, auch klargestellt hat, daß die Formulierung des §1 a Abs2 Z2 RAO nur so verstanden werden kann, daß sie es Rechtsanwälten erlaubt, neben ihrer Tätigkeit als Gesellschafter einer Gesellschaft zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft eine Einzelpraxis an einem von der Gesellschaft verschiedenen Kanzleisitz auszuüben. Kanzleisitz der Gesellschaft und Kanzleisitz der Gesellschafter müssen demnach nicht identisch sein.
Bezugnehmend auf die oben genannte Interpretation des Verfassungsgerichtshofes stellt sich der neugefaßte §24 der Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes als gesetzwidrig dar, da dieser im §1a Abs2 Z2 RAO keine Deckung findet und wird daher auch §24 der Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes als gesetzwidrig aufzuheben sein.
Folgt man den Ausführungen der OBDK in ihrer Entscheidung Bkv 3/94-6 vom 21.11.1994 über die Auslegung des §21c Z8 RAO, so ist davon auszugehen, daß alle der Gesellschaft angehörenden Rechtsanwälte die Rechtsanwaltschaft auch außerhalb der Gesellschaft ausüben dürfen und jeweils einen vom Kanzleisitz der Gesellschaft verschiedenen Kanzleisitz haben dürfen und es somit nicht erforderlich ist, daß zumindest einer von ihnen seinen Kanzleisitz am Kanzleisitz der Gesellschaft hat.
Insbesondere deshalb, da jeder Rechtsanwalt das Recht hat, seinen Beruf im ganzen Bundesgebiet frei auszuüben.
Somit ist auch davon auszugehen, daß §21c Z8 RAO keine Deckung für den neugeschaffenen §24 Richtlinien für die Berufsausübung bietet und sich auch sonst keine gesetzliche Grundlage für §24 RL-BA findet.
Es ist daraus die Gesetzwidrigkeit des §24 RL-BA abzuleiten.
Bereits der Verfassungsgerichtshof hat ausgeführt, daß der §la Abs2 RAO in Verbindung mit Z. 3 leg. cit. unmißverständlich zum Ausdruck bringt, daß einer Gesellschaft angehörende Rechtsanwälte darüberhinaus auch (jeweils) einen vom Sitz der Gesellschaft verschiedenen Kanzleisitz haben dürfen. Daß sie mit dem Beitritt zu einer Gesellschaft ihren alten Kanzleisitz aufzugeben haben, kann dem Gesetz nicht entnommen werden.
Im Zusammenhalt mit §21 c Z8 RAO kann die Formulierung des §1a Abs2 Z2 leg. cit. daher nur so verstanden werden, daß sie es Rechtsanwälten erlaubt, neben ihrer Tätigkeit als Gesellschafter eine Einzelpraxis an einem von dem der Gesellschaft verschiedenen Kanzleisitz auszuüben.
Die nunmehr getroffene Formulierung des §24 Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes, daß eine Gesellschaft zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft ihren Kanzleisitz am Kanzleisitz eines die Rechtsanwaltschaft ausübenden Gesellschafters zu wählen hat, bindet daher - gesetzwidrig - eine Gesellschaft zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft an den Kanzleisitz eines Gesellschafters oder bedingt, daß ein Gesellschafter mit seinem Beitritt zu einer Rechtsanwaltsgesellschaft seinen alten Kanzleisitz aufzugeben hat.
Die Neuformulierung des §24 RL-BA steht daher im Widerspruch zu den vom Verfassungsgerichtshof getroffenen Erläuterungen."
1.5. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und auf die Erstattung einer Gegenschrift zur Beschwerde verzichtet.
2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat über die zulässige Beschwerde erwogen:
Die Beschwerde ist nicht begründet.
2.1.1. Unbestritten ist, daß beide Beschwerdeführer ihren Kanzleisitz an verschiedenen Anschriften in Graz haben. In Graz führen sie keine Kanzleigemeinschaft (Gesellschaft). Unbestritten ist ferner daher, daß keiner der Beschwerdeführer seinen Kanzleisitz in Gamlitz hat.
2.1.2. Die maßgeblichen Bestimmungen der RAO, RGBl. Nr. 96/1868 idF der Novelle BGBl. Nr. 474/1990, lauten:
"§1a. (1) Gesellschaften zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft, insbesondere eingetragene Erwerbsgesellschaften (Rechtsanwalts-Partnerschaften), sind bei dem Ausschuß der Rechtsanwaltskammer, in deren Sprengel sie ihren Kanzleisitz haben, zur Eintragung in die Liste der Rechtsanwalts-Gesellschaften anzumelden.
(2) Die Anmeldung ist unter Verwendung eines vom Österreichischen Rechtsanwaltskammertag aufzulegenden Formblatts vorzunehmen und hat zu enthalten:
1.
...
2.
Namen, Anschriften und Kanzleisitze der zur Vertretung und Geschäftsführung berechtigten Gesellschafter sowie Namen und Anschriften der übrigen Gesellschafter;
3.
den Kanzleisitz der Gesellschaft;
4.
...
5.
...
..."
"§5. (1) Wer die Rechtsanwaltschaft erlangen will, hat unter Nachweis aller gesetzlichen Erfordernisse bei dem Ausschuß der Rechtsanwaltskammer, in deren Sprengel er seinen Kanzleisitz nimmt, unter Angabe des letzteren seine Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte zu erwirken.
(2) ...
..."
"§21. Die Wahl und Änderung des Kanzleisitzes ist dem Rechtsanwalt gestattet; ... "
"§21c. Bei Gesellschaften zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft müssen jederzeit folgende Erfordernisse erfüllt sein:
...
7.
Die Gesellschaft darf nur einen Kanzleisitz haben.
8.
Rechtsanwälte dürfen nur einer Gesellschaft angehören; der Gesellschaftsvertrag kann jedoch vorsehen, daß ein der Gesellschaft angehörender Rechtsanwalt die Rechtsanwaltschaft auch außerhalb der Gesellschaft ausüben darf.
..."
2.1.3. §24 RL-BA 1977 in der Fassung des Beschlusses des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages vom 20. Jänner 1995 lautet:
"§24. Eine Gesellschaft zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft hat ihren Kanzleisitz am Kanzleisitz eines die Rechtsanwaltschaft ausübenden Gesellschafters zu wählen."
2.1.4. Mit Erkenntnis VfSlg. 13819/1994 hat der Verfassungsgerichtshof die Vorgängerbestimmung der in Prüfung gezogenen Regelung - §25 RL-BA 1977 idF des Beschlusses des österreichischen Rechtsanwaltskammertages vom 1. März 1991 - als gesetzwidrig aufgehoben.
Diese Bestimmung lautete: "Nur Rechtsanwälte mit dem selben Kanzleisitz dürfen sich zur gemeinsamen Berufsausübung verbinden."
Die Aufhebung des eben wiedergegebenen §25 RL-BA 1977 wurde im wesentlichen wie folgt begründet:
"Vielmehr bringt der klare Wortlaut der zitierten Bestimmung (§1a Abs2 Z2 RAO) iVm der Z3 leg.cit. unmißverständlich zum Ausdruck, daß - auch wenn, wie der Österreichische Rechtsanwaltskammertag in seiner Äußerung ausführt, der Systematik des Gesetzes zufolge der einzelne Rechtsanwalt ebenso wie eine Rechtsanwalts-Gesellschaft nur einen Kanzleisitz haben darf - einer Gesellschaft angehörende Rechtsanwälte darüber hinaus auch (jeweils) einen vom Sitz der Gesellschaft verschiedenen Kanzleisitz haben dürfen. Daß sie mit dem Beitritt zu einer Gesellschaft ihren alten Kanzleisitz aufzugeben haben, kann dem Gesetz nicht entnommen werden. Im Zusammenhalt mit §21c Z8 RAO kann die Formulierung des §1a Abs2 Z2 leg.cit. daher nur so verstanden werden, daß sie es Rechtsanwälten erlaubt, neben ihrer Tätigkeit als Gesellschafter eine Einzelpraxis an einem von dem der Gesellschaft verschiedenen Kanzleisitz auszuüben ...
Erlauben aber §1a Abs2 Z2 und 3 RAO, daß Rechtsanwälte mit verschiedenen Kanzleisitzen sich zu einer Gesellschaft zusammenschließen, dann vermögen diese Vorschriften keine Deckung für die in Prüfung gezogene Bestimmung zu bieten. Da sich auch sonst keine gesetzliche Grundlage für §25 RL-BA 1977 findet, ist er als gesetzwidrig aufzuheben."
3. Die Beschwerdeführer treten für die Prüfung und Aufhebung des §24 der RL-BA (siehe oben 2.1.3.) als gesetzwidrig ein. (Ihren diesbezüglichen "Antrag" faßt der Verfassungsgerichtshof als bloße Anregung auf.)
4. Strittig ist im vorliegenden Fall ausschließlich die Frage, ob eine Gesellschaft zwischen Rechtsanwälten im Sinne des §1a RAO zur Voraussetzung hat, daß jedenfalls einer der Gesellschafter seinen Kanzleisitz am Sitz der Gesellschaft haben muß.
4.1. Die Beschwerdeführer vermeinen, aus dem Erkenntnis VfSlg. 13819/1994 ableiten zu können, daß es - um ihre Worte zu gebrauchen - "somit nicht erforderlich ist, daß zumindest einer von ihnen seinen Kanzleisitz am Kanzleisitz der Gesellschaft hat". Dies mit der Begründung, "da jeder Rechtsanwalt das Recht hat, seinen Beruf im ganzen Bundesgebiet frei auszuüben."
Diese Deutung des Erkenntnisses ist unzutreffend. Keiner der Anlaßfälle, die dem Verfahren VfSlg. 13819/1994 zugrundelagen, betraf einen Sachverhalt, der dem vorliegenden gleicht (vgl. zB die Erkenntnisse VfSlg. 13819/1994 sowie B1933/93 und B350/94, beide vom 27.9.1994). Der VfGH hat in dem zitierten Erkenntnis VfSlg. 13819/1994 lediglich ausgesagt, daß
"einer Gesellschaft angehörende Rechtsanwälte darüber hinaus auch (jeweils) einen vom Sitz der Gesellschaft verschiedenen Kanzleisitz haben dürfen"
und daß
"die Formulierung des §1a Abs2 Z2 leg. cit. daher nur so verstanden werden (kann), daß sie es Rechtsanwälten erlaubt, neben ihrer Tätigkeit als Gesellschafter eine Einzelpraxis an einem von dem der Gesellschaft verschiedenen Kanzleisitz auszuüben."
Dies bedeutet aber keineswegs, daß eine Rechtsanwaltskanzlei, die in Form einer Gesellschaft betrieben wird und einen Kanzleisitz haben muß (§21c Z7 RAO), ihre Tätigkeit in einer Weise auszuüben berechtigt ist, daß keiner der persönlich haftenden Gesellschafter (also kein Rechtsanwalt) seinen Kanzleisitz am Sitz der Kanzlei der Gesellschaft haben muß. Wenn kein Rechtsanwaltsgesellschafter bei einer vorgesehenen Rechtsanwaltsgesellschaft bereit ist, seinen Kanzleisitz an jener Stelle zu haben, an der der Kanzleisitz der Gesellschaft sein soll, fehlt es an den gesetzlichen Voraussetzungen nach §21c RAO, da nach dieser Gesetzesstelle "jederzeit folgende Erfordernisse erfüllt sein" müssen, worunter auch die Voraussetzung nach Z7 fällt.
Der Umstand, daß §21c Z8 RAO Rechtsanwälte berechtigt, im Gesellschaftsvertrag vorzusehen, daß ein der Gesellschaft angehörender Rechtsanwalt die Rechtsanwaltschaft auch außerhalb der Gesellschaft ausüben darf, räumt gesellschaftsrechtlich den Gesellschaftern das Recht ein, eine Tätigkeit innerhalb und außerhalb der Gesellschaft auszuüben - sofern dies vereinbart ist. "Innerhalb" in dem Sinn, daß er namens der Gesellschaft tätig ist, und "außerhalb" in dem Sinn, daß er darüber hinaus auch selbständig tätig sein kann, wie immer die diesbezüglichen internen Verrechnungsmodalitäten auch im Einzelfall vereinbart werden mögen.
4.2. Nach §5 RAO muß der Rechtsanwalt einen Kanzleisitz haben. Auf diesen bezieht sich die sogenannte Residenzpflicht (Lohsing-Braun, S 21). Mit der Residenzpflicht ist die Pflicht zur persönlichen Ausübung des Berufes und zur Bestellung eines Vertreters im Verhinderungsfall verbunden (§14 RAO). Aus dieser Residenzpflicht wird das Verbot des Betriebes einer Filialkanzlei abgeleitet (Lohsing-Braun ebendort).
(Die Änderung des Wortes "Wohnsitz" in "Kanzleisitz" durch ArtII Z1, BGBl. Nr. 524/1987, brachte keine inhaltliche Änderung der Rechtslage. Die Änderung des Wortes "Wohnsitz" bzw. "Wohnsitzes" durch "Kanzleisitz" bzw. "Kanzleisitzes" findet sich auch in den §§21 und 22 Abs1 RAO (ArtII Z2 und 3 der vorgenannten Novelle).
§21c Z7 RAO verwendet für Gesellschaften ebenfalls das Wort "Kanzleisitz", es handelt sich daher um den gleichen Begriffsinhalt, insbesondere hinsichtlich der oben dargestellten Verpflichtungen.
Der sachliche Grund dafür, daß jedenfalls einer der Gesellschafter seinen Kanzleisitz am Sitz der Gesellschaft haben muß, ist ähnlich dem, der seinerzeit dem Gedanken des Filialverbotes zugrundelag, nämlich der, daß es der Absicht des Gesetzgebers entspricht, "mehrere Kanzleisitze" zu verhindern, um eine ordnungsgemäße Ausübung der Tätigkeit des Rechtsanwaltes sicherzustellen und um die Beachtung der Würde des Berufes und der Unvereinbarkeiten zu gewährleisten (vgl. VfGH 29.9.1994, B1886/92, S 9). Diese Systementscheidung des Gesetzgebers, wonach jedenfalls ein Rechtsanwalt seinen Kanzleisitz dort haben muß, wo die Rechtsanwaltsgesellschaft ihren Sitz hat, entspricht der Auffassung des Gesetzgebers, wonach "die Ausübung des Anwaltsberufes von der unmittelbaren persönlichen Beziehung und dem hierauf beruhenden Vertrauen zwischen Anwalt und Klient geprägt ist" (B1886/92, wie oben, S 8). Allerdings mag es auch Argumente dafür geben, wonach ein Festhalten an der derzeitigen Rechtslage nicht mehr erforderlich ist; der heutige Stand des Verkehrs- und Fernmeldewesens mag es durchaus ermöglichen, den Kontakt zu den Gerichten und den Mandanten in geeigneter Weise sicherzustellen.
Wenn die Beschwerdeführer versuchen, ihren Rechtsstandpunkt damit zu stützen, daß sie vorbringen, daß jeder Rechtsanwalt "das Recht hat, seinen Beruf im ganzen Bundesgebiet frei auszuüben", so übersehen sie, daß das Vertretungsrecht eines Rechtsanwaltes, welches sich auf alle Gerichte und Behörden der Republik Österreich erstreckt, und die Befugnis zur berufsmäßigen Parteienvertretung in allen gerichtlichen und außergerichtlichen, in allen öffentlichen und privaten Angelegenheiten (§8 Abs1 RAO) einschließt, in keinem rechtlichen Zusammenhang damit steht, wo der Rechtsanwalt (die Rechtsanwaltsgesellschaft) seinen (ihren) Kanzleisitz hat bzw. haben muß.
4.3. Das Verfahren hat nicht ergeben, daß die Beschwerdeführer in sonstigen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurden. Angesichts der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen ist es auch ausgeschlossen, daß sie in ihren Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurden.
Die Beschwerde war daher abzuweisen.
4.4. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
Schlagworte
Rechtsanwälte, Berufsrecht RechtsanwälteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1996:B2817.1995Dokumentnummer
JFT_10039380_95B02817_2_00