Entscheidungsdatum
22.11.2019Norm
AsylG 2005 §3Spruch
I401 1302739-6/20E
Schriftliche Ausfertigung des am 31.10.2019 mündlich verkündeten Erkenntnisses
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gerhard AUER über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX alias XXXX alias XXXX, StA. Nigeria, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH, Wattgasse 48/3. Stock, 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Erstaufnahmestelle West, vom 27.05.2019, Zl. 373681810 - 190479294 / BMI-EAST_WEST, zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1.1. Der Beschwerdeführer, ein aus dem Bundesstaat Imo stammender Staatsangehöriger von Nigeria, reiste illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 21.05.2006 den ersten Antrag auf internationalen Schutz.
1.2. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 08.06.2006 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Nigeria (Spruchpunkt I. und II.) als unbegründet abgewiesen. Des Weiteren wurde der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Nigeria ausgewiesen.
1.3. Die dagegen gerichtete Berufung wurde mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenats (als vormals zuständige Rechtsmittelinstanz) vom 16.05.2008 als unbegründet abgewiesen.
1.4. Gegen diesen Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, der mit Beschluss vom 26.02.2009, Zl. 2008/20/0579, die Behandlung der Beschwerde ablehnte.
1.5. Am 25.10.2010 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Wiederaufnahme des rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahrens, den er damit begründete, über keine Versicherung mehr zu verfügen und unter schweren traumatischen Störungen zu leiden und sich daher ständig in psychiatrischer Behandlung zu befinden und ständig Medikamente einnehmen zu müssen.
Mit rechtskräftigem Beschluss des Asylgerichtshofes vom 02.02.2011, A12 302.739-3/2010/5E, wurde dieser Antrag abgewiesen.
1.6. Den weiteren auf dieselben Gründe gestützten Antrag vom 28.02.2011 auf Wiederaufnahme des rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahrens wurde mit in Rechtskraft erwachsenem Beschluss des Asylgerichtshofes vom 15.03.2011, A12 302.739-4/2011/2E, erneut abgewiesen.
2.1. Mit erstem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 23.02.2007 wurde der Beschwerdeführer wegen mehrerer Vergehen nach dem Suchtmittelgesetz zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von fünf Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt.
Mit zweitem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 11.05.2007 wurde der Beschwerdeführer als junger Erwachsener erneut wegen mehrerer Vergehen nach dem Suchtmittelgesetz nunmehr zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt, wobei die bedingte Nachsicht der (Vor-) Strafe widerrufen wurde.
2.2. Aufgrund der rechtskräftigen Verurteilungen des Beschwerdeführers erließ die Bundespolizeidirektion Wien mit Bescheid vom 14.06.2007 gegen ihn ein auf zehn Jahre befristetes Aufenthaltsverbot.
2.3. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.05.2015 wurde das gegen den Beschwerdeführer erlassene Aufenthaltsverbot gemäß § 69 Abs. 2 FPG von Amts wegen aufgehoben.
3. Mit weiteren Urteilen des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 07.03.2008, vom 18.12.2013 und vom 11.02.2015 wurde der Beschwerdeführer wegen der Vergehen des (auch gewerbsmäßigen) unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach dem SMG und anderer Straftaten nach dem StGB zu Freiheitsstrafen von zehn, zwölf und zehn Monaten verurteilt.
4.1. Mit Verfahrensanordnung vom 22.05.2015 wurde dem Beschwerdeführer vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Möglichkeit eingeräumt, zur beabsichtigten Erlassung einer Rückkehrentscheidung mit befristetem Einreiseverbot schriftlich Stellung zu nehmen bzw. seine Privat- und Familienverhältnisse darzulegen.
Von dieser Möglichkeit zur Stellungnahme machte der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 10.06.2015 Gebrauch.
4.2. Mit Bescheid vom 21.04.2016 erteilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt I.), stellte fest, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt II.), erließ gegen ihn ein auf die Dauer von acht Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt III.), gewährte keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt IV.) und erkannte einer Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt V.).
4.3. Die gegen diese Entscheidung erhobene Beschwerde des Beschwerdeführers wurde mit in Rechtskraft erwachsenem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 09.11.2016, I405 1302739-5/2E, mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, als die Dauer des befristeten Einreiseverbots auf fünf Jahre herabgesetzt wurde.
(Der unter diesem Punkt 4. dargelegte Verfahrensgang wird in der Folge auch als "Rückkehrverfahren" oder als "Rückkehrentscheidung" bezeichnet.)
5.1. Am 11.05.2019 stellte der Beschwerdeführer den verfahrensgegenständlichen (Folge-) Antrag auf internationalen Schutz.
Im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme vom selben Tag gab der Beschwerdeführer an, dass er nicht in sein Heimatland zurückkehren könne, weil er an Herzproblemen leide. Des Weiteren habe er ein politisches Problem, weil er einer Organisation namens "Bakassi" angehört habe. Außerdem habe er eine Tochter in Österreich, mit der er in regelmäßigem Kontakt stehe.
5.2. Am 20.05.2019 wurde der Beschwerdeführer vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Erstaufnahmestelle West (in der Folge als Bundesamt bezeichnet), niederschriftlich einvernommen.
5.3. Mit dem verfahrensgegenständlichen Bescheid vom 27.05.2019 wies das Bundesamt den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status des Asylberechtigten sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurück (Spruchpunkt I. und II.).
5.4. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer rechtzeitig und zulässig das Rechtsmittel einer Beschwerde.
Er begründete sie zusammengefasst damit, dass er an starken psychischen Beschwerden leide. Er habe diese Beschwerden nicht vorbringen können, weil er von der Einvernahme überfordert gewesen sei und in diesem Moment keine Dokumente zu seinem psychischen Zustand bei sich gehabt habe. Dem Bundesamt sei im Juni 2018 ein Konvolut an ärztlichen und sozialen Befunden und Berichten (ein solches findet sich im erstinstanzlichen Akt nicht) zugestellt worden, die den psychischen und physischen Zustand des Beschwerdeführers detailliert darlegen würden. Im angefochtenen Bescheid fänden sich jedoch keinerlei Ermittlungen bzw. Feststellungen zu seinen psychischen Problemen.
Des Weiteren habe das Bundesamt keinerlei Ermittlungen hinsichtlich der fast siebenjährigen Tochter des Beschwerdeführers getätigt. Die Mutter seiner Tochter habe sich von ihnen abgewandt. Die Tochter lebe derzeit bei einer Pflegemutter. Der Beschwerdeführer sei der einzige Elternteil, der sie regelmäßig besuche.
Hinsichtlich der Länderfeststellungen führte der Beschwerdeführer aus, dass sich das Bundesamt mit der derzeitigen Bedrohung durch die Bakassi hätte auseinandersetzen sowie Berichte zur Behandlungsmöglichkeit von psychischen Krankheiten in Nigeria einholen müssen. Da er angegeben habe, dass er Schwierigkeiten habe, in Nigeria die notwendigen Medikamente zur Behandlung zu bekommen und die Herzerkrankung erst nach dem ersten Asylverfahren erkannt worden sei, bilde diese einen Teil des neuen Sachverhalts. Das Bundesamt gehe irrtümlich von einer entschiedenen Sache aus.
5.5. Am 31.10.2019 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine audiovisuelle Vernehmung statt, in welcher der Beschwerdeführer als Partei einvernommen und das Erkenntnis mündlich verkündet wurde.
5.6. Mit Schreiben vom 13.11.2019 beantragte der Beschwerdeführer die schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Zunächst wird der unter Punkt I. dargestellte Verfahrensgang festgestellt. Darüber hinaus werden folgende Feststellungen getroffen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Nigerias und volljährig. Seine Identität steht nicht fest.
Der Beschwerdeführer leidet an hypertropher obstruktiver Kardiomyopathie (HOCMP), einer besonderen Form einer Erkrankung des Herzmuskels, bei der es zu einer Verdickung (Hypertrophie) des linken und/oder rechten Herzmuskels kommt und zusätzlich eine Verengung (Obstruktion) des linksventrikulären Ausflusstraktes vorliegt.
Zudem wurde bei ihm eine Mitralklappen- bzw. Herzinsuffizienz im NYHA-Stadium II, bei der die Herzmuskelschwäche bzw. Pumpschwäche des Herzens mit leichten Einschränkungen der körperlichen Leistungsfähigkeit einhergeht, Asthma bronchiale/COPD Overlap, eine Lungenerkrankung, die durch eine andauernde Verengung der Atemwege gekennzeichnet ist, arterielle Hypertonie (Bluthochdruck), Autoimmunthyreoditis (Schilddrüsenunterfunktion) sowie Insomnie (Schlafstörungen) diagnostiziert. Er war auch an akuter polymorpher psychotischer Störung F 23.1 erkrankt.
Alle dieser Erkrankungen sind in Nigeria behandelbar, auch die erforderlichen Medikamente sind erhältlich und dem Beschwerdeführer zugänglich.
Der Beschwerdeführer ist arbeitsfähig.
Er ist ledig und Vater einer am 26.08.2012 in Österreich geborenen Tochter, die türkische Staatsangehörige und zum Aufenthalt in Österreich dauerhaft aufenthaltsberechtigt ist. Sie lebt bei ihren Pflegeeltern. Er verfügt über keine sonstigen engen sozialen Bindungen in Österreich.
Der Beschwerdeführer weist in Österreich sieben rechtskräftige Verurteilungen auf:
Mit erstem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 23.02.2007 wurde der Beschwerdeführer wegen der Vergehen des gewerbsmäßig begangenen Suchtgiftdeliktes nach § 27 Abs. 1 und Abs. 2 Z 2 erster Fall SMG und nach § 27 Abs. 1 SMG zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von fünf Monaten, unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren, verurteilt.
Mit zweitem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 11.05.2007 wurde der Beschwerdeführer als junger Erwachsener erneut wegen des Vergehens des gewerbsmäßig begangenen Suchtgiftdeliktes nach § 27 Abs. 1 und Abs. 2 Z 2 erster Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt, wobei die bedingte Nachsicht der (Vor-) Strafe widerrufen wurde.
Mit drittem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 07.03.2008 wurde der Beschwerdeführer als junger Erwachsener wegen des Vergehens des gewerbsmäßig unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften gemäß § 27 Abs. 1 Z 1 und Abs. 3 SMG sowie des Vergehens des versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt gemäß § 15 StGB und § 269 Abs. 1 erster Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt.
Mit viertem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 18.12.2013 wurde der Beschwerdeführer erneut wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften gemäß § 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall und Abs. 2 SMG und des Vergehens des versuchten gewerbsmäßigen unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften gemäß § 15 StGB und § 27 Abs. 1 Z 1 achter Fall und Abs. 3 SMG zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten verurteilt. Aus der Freiheitsstrafe wurde er am 01.08.2014 unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren entlassen.
Mit fünftem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 11.02.2015 wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des gewerbsmäßigen unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 achter Fall und Abs. 3 SMG zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt, wobei die bedingte Entlassung aus der Freiheitsstrafe widerrufen wurde.
Mit sechstem Urteil des Bezirksgerichts Josefstadt vom 24.02.2017 wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von vier Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt.
Mit siebtem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 18.10.2018 wurde der Beschwerdeführer wegen der Vergehen des versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt nach § 15 StGB und § 269 Abs. 1 erster Fall StGB sowie der versuchten schweren Körperverletzung nach § 15 StGB und §§ 83 Abs. 1 und 84 Abs. 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten verurteilt.
Der Beschwerdeführer verfügt nach wie vor über Familienangehörige im Heimatland, zu denen er regelmäßig telefonischen Kontakt pflegt. Er besuchte in Nigeria die Primary School und er beherrscht die Sprache Ibo auf Mutterspracheniveau und spricht Englisch. Er ist trotz mehrjähriger Abwesenheit mit den gesellschaftlichen Grundstrukturen und der Kultur Nigerias weiterhin vertraut.
Die Beschwerdeführer hielt sich nach dem rechtskräftigen negativen Abschluss des Verfahrens über seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz sowie der durch das Bundesverwaltungsgericht getroffenen "Rückkehrentscheidung" vom 09.11.2016 unrechtmäßig im Bundesgebiet auf; er kam seiner Ausreisverpflichtung nicht nach.
Er verfügt über keine Deutschkenntnisse. Einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit ging er bis zum gegebenen Zeitpunkt nicht nach. Er bezieht keine Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung.
1.2. Zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:
Den ersten am 21.05.2006 gestellten Antrag auf internationalen Schutz begründete der Beschwerdeführer im Wesentlichen damit, dass er nicht zur radikalen Gruppe der "Bakassi-Boys" gehen und für diese arbeiten habe wollen.
Der Beschwerdeführer brachte in seinem gegenständlichen Folgeantrag auf internationalen Schutz vom 10.05.2019 keine neuen Fluchtgründe vor, sondern legte erneut dar, er habe sich der Gruppe der Bakassi nicht anschließen wollen.
Die von ihm im gegenständlichen Verfahren geltend gemachten psychischen Erkrankungen bestanden bereits im ersten Asylverfahren und die körperlichen Beeinträchtigungen, insbesondere die diagnostizierten Herzprobleme, waren ihm bereits während des "Rückkehrverfahrens" bekannt.
Seine körperlichen und psychischen Krankheiten sind in Nigeria mit Medikamenten behandelbar.
Auch in Bezug auf die Situation in Nigeria war zwischen dem Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenats vom 16.05.2008 bzw. den Erkenntnissen des Asylgerichtshofes vom 02.02.2011 und 15.03.2011 und der Erlassung des bekämpften Bescheides vom 27.05.2019 keine wesentliche Änderung eingetreten, welche den Beschwerdeführer unmittelbar betreffen würde. Ebenso wenig liegt eine Änderung der Rechtslage vor.
Der Beschwerdeführer wird im Fall seiner Rückkehr nach Nigeria mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner persönlichen Verfolgung oder einer wie auch immer gearteten existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein. Es konnte nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in Nigeria aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung verfolgt wurde oder werden wird.
Ihm droht im Falle seiner Rückkehr keine Gefährdung in seinem Herkunftsstaat. Ihm droht auch keine Strafe nach seiner Rückkehr nach Nigeria wegen illegaler Ausreise. Eine nach Nigeria zurückkehrende Person, bei welcher keine berücksichtigungswürdigen Gründe vorliegen, wird durch eine Rückkehr nicht automatisch in eine unmenschliche Lage versetzt.
Es ist nicht ersichtlich, dass seine Abschiebung nach Nigeria eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen. Es existieren keine Umstände, welche einer Abschiebung aus dem Bundesgebiet der Republik Österreich entgegenstünden.
1.3. Zur (auszugsweise wiedergegebenen) Lage im Herkunftsstaat (mit Angabe der Quellen):
Sicherheitslage
Es gibt in Nigeria keine klassischen Bürgerkriegsgebiete oder -parteien (AA 10.12.2018). Im Wesentlichen lassen sich mehrere Konfliktherde unterscheiden: Jener von Boko Haram im Nordosten; jener zwischen Hirten und Bauern im Middle-Belt; sowie Spannungen im Nigerdelta (AA 10.12.2018; vgl. EASO 11.2018a) und eskalierende Gewalt im Bundesstaat Zamfara (EASO 11.2018a). Außerdem gibt es im Südosten zwischen der Regierung und Igbo-Gruppen, die für ein unabhängiges Biafra eintreten, (EASO 11.2018a; vgl. AA 10.12.2018), sowie zwischen Armee und dem Islamic Movement in Nigeria (IMN) Spannungen (EASO 11.2018a). Die 2017 deutlich angespannte Lage im Südosten des Landes ("Biafra") hat sich mit dem Eingriff des Militärs und der mutmaßlichen Flucht des Anführers der stärksten separatistischen Gruppe IPOB derzeit wieder beruhigt (AA 10.12.2018).
In den nordöstlichen Bundesstaaten Adamawa, Borno, Gombe und Yobe kommt es häufig zu Selbstmordanschlägen (BMEIA 12.4.2019). Außenministerien warnen vor Reisen dorthin sowie in den Bundesstaat Bauchi (BMEIA 12.4.2019; vgl. AA 12.4.2019; UKFCO 12.4.2019). Vom deutschen Auswärtige Amt wird darüber hinaus von nicht notwendigen Reisen in die übrigen Landesteile Nordnigerias abgeraten (AA 12.4.2019).
Zu Entführungen und Raubüberfällen kommt es im Nigerdelta und einigen nördlichen Bundesstaaten. Betroffen sind: Abia, Akwa Ibom, Anambra, Bauchi, Bayelsa, Cross River, Delta, Ebonyi, Enugu, Imo, Jigawa, Kaduna, Kano, Katsina, Kogi, Nasarawa, Plateau, Rivers und Zamfara. Für die erwähnten nordöstlichen und nördlichen Bundesstaaten sowie jenen im Nigerdelta gelegenen gilt seitens des österreichischen Außenministeriums eine partielle Reisewarnung; Hohes Sicherheitsrisiko (Sicherheitsstufe 3) in den übrigen Landesteilen (BMEIA 12.4.2019).
Das deutsche Auswärtige Amt rät von Reisen in die Bundesstaaten Kaduna (insbesondere Süd- Kaduna), Plateau, Nasarawa, Benue, Delta, Bayelsa, Rivers, Imo (insbesondere die Hauptstadt Owerri), Abia, Anambra, Ebonyi, Edo, Enugu, Delta, Kogi, den südlichen Teil von Cross Rivers, Ogun und Akwa Ibom ab (AA 12.4.2019). Das britische Außenministerium warnt (neben den oben erwähnten nördlichen Staaten) vor Reisen in die am Fluss gelegenen Regionen der Bundesstaaten Delta, Bayelsa, Rivers, Akwa Ibom and Cross River im Nigerdelta. Abgeraten wird außerdem von allen nicht notwendigen Reisen in die Bundesstaaten Bauchi, Zamfara, Kano, Kaduna, Jigawa, Katsina, Kogi, Abia, im 20km Grenzstreifen zum Niger in den Bundesstaaten Sokoto und Kebbi, nicht am Fluss gelegene Gebiete von Delta, Bayelsa und Rivers (UKFCO 29.11.2018).
In Nigeria können in allen Regionen unvorhersehbare lokale Konflikte aufbrechen. Ursachen und Anlässe der Konflikte sind meist politischer, wirtschaftlicher, religiöser oder ethnischer Art. Meist dauern diese Auseinandersetzungen nur wenige Tage und sind auf einzelne Orte bzw. einzelne Stadtteile begrenzt. Insbesondere die Bundesstaaten Zamfara, das Sokoto (Nordteil) und Plateau (Südteil) sind derzeit von bewaffneten Auseinandersetzungen betroffen (AA 12.4.2019).
In der Zeitspanne April 2018 bis April 2019 stechen folgende nigerianische Bundesstaaten mit einer hohen Anzahl an Toten durch
Gewaltakte besonders hervor: Borno (2.333), Zamfara (1.116), Kaduna (662), Benue (412), Adamawa (402), Plateau (391). Folgende
Bundesstaaten stechen mit einer niedrigen Zahl hervor: Jigawa (2), Gombe (2), Kebbi (3) und Osun (8) (CFR 2019).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (10.12.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Oktober 2018)
-
AA - Auswärtiges Amt (12.4.2019): Nigeria - Reise- und Sicherheitshinweise,
https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/nigeriasicherheit/ 205788#content_6, Zugriff 12.4.2019
-
BMEIA - Österreichisches Außenministerium (12.4.2019):
Reiseinformationen - Nigeria, https:// www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/nigeria/, Zugriff 12.4.2019
-
CFR - Council on Foreign Relations (2019): Nigeria Security Tracker, https://www.cfr.org/nigeria/ nigeria-security-tracker/p29483, Zugriff 12.4.2019
-
EASO - European Asylum Support Office (11.2018a): Country of Origin Information Report - Nigeria - Security Situation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001366/2018_EASO_COI_Nigeria_SecuritySituation.pdf, Zugriff 12.4.2019
-
UKFCO - United Kingdom Foreign and Commonwealth Office (12.4.2019): Foreign Travel Advice - Nigeria - summary, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/nigeria, Zugriff 12.4.2019
Sicherheitsbehörden
Die allgemeinen Polizei- und Ordnungsaufgaben obliegen der rund 360.000 Mann starken (Bundes-) Polizei (National Police Force - NPF), die dem Generalinspekteur der Polizei in Abuja untersteht (AA 10.12.2018; vgl. USDOS 13.3.2019). Zusätzlich zu der üblichen polizeilichen Verantwortung zur Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung in den Bundesstaaten und im Federal Capital Territory (FCT) unterstehen dem Generalinspekteur die Strafverfolgungsbehörden im ganzen Land, die in Grenzschutz, Terrorismusbekämpfung und Marineangelegenheiten (Navigation) involviert sind (USDOS 13.3.2019). Etwa 100.000 Polizisten sollen bei Personen des öffentlichen Lebens und einflussreichen Privatpersonen als Sicherheitskräfte tätig sein (AA 10.12.2018).
Neben der Polizei werden im Inneren auch Militär, Staatsschutz sowie paramilitärische Einheiten (sogenannte Rapid Response Squads) eingesetzt (AA 10.12.2018). Das Department of State Service (DSS), das via nationalem Sicherheitsberater dem Präsidenten unterstellt ist, ist ebenfalls für die innere Sicherheit zuständig. Polizei, DSS und Militär sind zivilen Autoritäten unterstellt, sie operieren jedoch zeitweise außerhalb ziviler Kontrolle (USDOS 13.3.2019). Die National Drug Law Enforcement Agency (NDLEA) ist für alle Straftaten in Zusammenhang mit Drogen zuständig. Der NDLEA, in deren Zuständigkeit Dekret 33 fällt, wird Professionalität konstatiert (ÖB 10.2018).
Die NPF und die Mobile Police (MOPOL) zeichnen sich hingegen durch geringe Professionalität, mangelnde Disziplin, häufige Willkür und geringen Diensteifer aus (ÖB 10.2018). Die Polizei ist durch niedrige Besoldung sowie schlechte Ausrüstung, Ausbildung und Unterbringung gekennzeichnet. Die staatlichen Ordnungskräfte sind personell, technisch und finanziell nicht in der Lage, die Gewaltkriminalität umfassend zu kontrollieren bzw. einzudämmen. Zudem sind nach allgemeiner Auffassung die Sicherheitskräfte teilweise selbst für die Kriminalität verantwortlich (AA 10.12.2018). Da die Polizei oft nicht in der Lage ist, durch gesellschaftliche Konflikte verursachte Gewalt zu unterbinden, verlässt sich die Regierung in vielen Fällen auf die Unterstützung durch die Armee (USDOS 13.3.2019). Jedoch sind im Allgemeinen die nigerianischen Behörden gewillt und fähig, Schutz vor nichtstaatlichen Akteuren zu bieten (UKHO 8.2016a).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (10.12.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Oktober 2018)
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ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2018): Asylländerbericht Nigeria
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UKHO - United Kingdom Home Office (8.2016a): Country Information and Guidance Nigeria: Women fearing gender-based harm or violence, https://www.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/595734/CIG_-_Nigeria_-_Women.pdf, Zugriff 13.11.2018
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USDOS - U.S. Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Nigeria, https://www.ecoi.net/en/document/2004182.html, Zugriff 20.3.2019
Vigilantengruppen, Bürgerwehren, Hisbah
In verschiedenen Regionen des Landes haben sich bewaffnete Organisationen in Form von ethnischen Vigilantengruppen gebildet, z. B. der Odua People's Congress (OPC) im Südwesten oder die Bakassi Boys im Südosten. Bei diesen Gruppen kann man sich gegen Zahlung eines Schutzgeldes "Sicherheit" erkaufen. Die Behörden reagieren unterschiedlich auf diese Gruppen: Im Bundesstaat Lagos ging die Polizei gegen den OPC vor, im Osten des Landes wurde die Existenz dieser Gruppen dagegen von einigen Gouverneuren begrüßt. Die Polizei arbeitet zum Teil mit ihnen zusammen. Generell scheint die Bedeutung von Vigilantengruppen in Städten etwas abzunehmen, in einigen ländlichen Regionen haben sie aber weiterhin eine dominante Machtposition. Im Kampf gegen Boko Haram hat sich unter Federführung der Armee im Nordosten eine inter-ethnische Vigilantengruppe - die Civilian Joint Task Force (CJTF) - herausgebildet (AA 10.12.2018).
Vigilantengruppen wie etwa die CJTF verhaften Personen bei Massenverhaftungen, oftmals ohne Beweismaterial. Im September 2017 unterzeichneten die UN und die CJTF einen Aktionsplan zur Unterbindung der Rekrutierung und Verwendung von Kindern, seitdem kommt es nicht mehr zur Rekrutierung von Kindern. Ehemalige Kindersoldaten werden reintegriert (USDOS 13.3.2019).
In verschiedenen Bundesstaaten überwacht die Hisbah-Polizei die Einhaltung der religiösen Vorschriften (AA 10.12.2018). Vier Bundesstaaten mit erweitertem Scharia-Geltungsbereich (Zamfara, Niger, Kaduna, Kano) haben private Gruppen, wie die Hisbah, zur Rechtsdurchsetzung ermächtigt und gewähren hierfür staatliche Zuschüsse. In bestimmten Fällen sind diese Gruppen ermächtigt, Verhaftungen vorzunehmen. Bislang beschränkt sich ihre Zuständigkeit in erster Linie auf Verkehrsdelikte und die Marktaufsicht (ÖB 10.2018). Nach anderen Informationen verhaftet die Hisbah auch Straßenbettler und Prostituierte, und sie beschlagnahmt und vernichtet Alkohol (USDOS 29.5.2018). In Kano wird die Hisbah direkt vom Bundesstaat betrieben, während sie in anderen Bundesstaaten ähnlich den nichtstaatlichen Bürgerwehren organisiert ist. Die Hisbah wurde vom Obersten Gericht zwar als verfassungswidrig bezeichnet, da polizeiliche Aufgaben ausschließlich in die Zuständigkeit des Bundes fallen, sie hat ihre Tätigkeit jedoch bisher nicht eingestellt, sondern wurde lediglich umorganisiert. Der Gouverneur von Kano begründete dies damit, dass die Hisbah keine polizeilichen, sondern gesellschaftlich-moralische Aufgaben und Befugnisse wahrnehme (AA 10.12.2018).
Quellen:
-
AA - Auswärtiges Amt (10.12.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Oktober 2018)
-
ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2018): Asylländerbericht Nigeria
-
USDOS - U.S. Department of State (29.5.2018): 2017 Report on International Religious Freedom - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/1436835.html, Zugriff 8.11.2018
-
USDOS - U.S. Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Nigeria, https://www.ecoi.net/en/document/2004182.html, Zugriff 20.3.2019
Meldewesen
Ein Meldewesen ist nicht vorhanden (AA 10.12.2018; vgl. ÖB 10.2018; EASO 24.1.2019), wie zahlreiche Quellen bei EASO angeben. Nur eine Quelle behauptet, dass es eine Art Meldewesen gibt. Es bestehen gesetzliche Voraussetzungen, damit Bundesstaaten ein Meldewesen einrichten können. Bislang hat lediglich der Bundesstaat Lagos davon Gebrauch gemacht (EASO 24.1.2019). Auch ein funktionierendes nationales polizeiliches Fahndungssystem existiert nicht. Daraus resultiert, dass eine Ausforschung einmal untergetauchter Personen kaum mehr möglich ist. Das Fehlen von Meldeämtern und bundesweiten polizeilichen Fahndungsbehörden ermöglicht es in den allermeisten Fällen, bereits in der näheren Umgebung "unterzutauchen" (ÖB 10.2018).
Im Sheriffs and Civil Process Act Chapter 407, Laws of the Federation of Nigeria 1990 sind Ladungen vor Gericht geregelt. Der Sheriff oder von ihm bestellte Bailiffs müssen die Ladungen in ganz Nigeria persönlich zustellen (ÖB 10.2018).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (10.12.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Oktober 2018)
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EASO - European Asylum Support Office (24.1.2019): Query Response
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Identification documents system in Nigeria
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ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2018): Asylländerbericht Nigeria
Grundversorgung
Die nigerianische Wirtschaft hat sich 2017 allmählich aus der schlimmsten Rezession seit 25 Jahren erholt, das BIP ist um 0,55 Prozent gestiegen. Mehrere Faktoren haben dazu beigetragen, dass sich die nigerianische Wirtschaft seit Ende 2017 allmählich wieder erholt, unter anderem eine Steigerung der Erdölförderleistung, die Erholung des Erdölpreises und eine verbesserte Leistung von Landwirtschaft und Dienstleistungssektor (GIZ 4.2019c).
Etwa 80 Prozent der Gesamteinnahmen Nigerias stammen aus der Öl- und Gasförderung (AA 10.12.2018). Neben Erdöl verfügt das Land über z.B. Zinn, Eisen-, Blei-, und Zinkerz, Kohle, Kalk, Gesteine, Phosphat - gesamtwirtschaftlich jedoch von geringer Bedeutung (GIZ 4.2019c). Von Bedeutung sind hingegen der (informelle) Handel und die Landwirtschaft, welche dem größten Teil der Bevölkerung eine Subsistenzmöglichkeit bieten (AA 10.12.2018). Der Industriesektor (Stahl, Zement, Düngemittel) machte 2016 ca. 20 Prozent des BIP aus. Neben der Verarbeitung von Erdölprodukten werden Nahrungs- und Genussmittel, Farben, Reinigungsmittel, Textilien, Brennstoffe, Metalle und Baumaterial produziert. Industrielle Entwicklung wird durch die unzureichende Infrastruktur (Energie und Transport) behindert (GIZ 4.2019c).
Über 60 Prozent der Nigerianer sind in der Landwirtschaft beschäftigt, in ländlichen Gebieten über 90 Prozent (AA 9.2018c). Der Agrarsektor wird durch die Regierung Buhari stark gefördert. Dadurch hat etwa der Anteil an Großfarmen zugenommen (GIZ 4.2019c; vgl. AA 9.2018c). Auch die Mais- und Reisproduktion wurde dadurch kräftig ausgeweitet. Dabei ist das Potenzial der nigerianischen Landwirtschaft bei Weitem nicht ausgeschöpft (AA 9.2018c) und das Land ist nicht autark, sondern auf Importe - v.a. von Reis - angewiesen (ÖB 10.2018; vgl. AA 9.2018c). Über 95 Prozent der landwirtschaftlichen Produktion kommt aus Subsistenzbetrieben (AA 9.2018c). Historisch war Lebensmittelknappheit in fast ganz Nigeria aufgrund des günstigen Klimas und der hohen agrarischen Tätigkeit so gut wie nicht existent. In einzelnen Gebieten im äußersten Norden (Grenzraum zu Niger) gestaltet sich die Landwirtschaft durch die fortschreitende Desertifikation allerdings schwierig. Experten schließen aufgrund der Wetterbedingungen, aber auch wegen der Vertreibungen als Folge der Attacken durch Boko Haram Hungerperioden für die nördlichen, insbesondere die nordöstlichen Bundesstaaten nicht aus. In Ernährungszentren nahe der nördlichen Grenze werden bis zu 25 Prozent der unter fünfjährigen Kinder wegen starker Unterernährung behandelt (ÖB 10.2018).
Die Einkommen sind in Nigeria höchst ungleich verteilt (BS 2018; vgl. GIZ 4.2019b). Mehr als zwei Drittel der Bevölkerung leben in absoluter Armut (BS 2018; vgl. ÖB 10.2018), fast 50 Prozent unter der Armutsgrenze (GIZ 4.2019b).
Die Arbeitslosigkeit ist hoch, bei Jugendlichen wird sie auf über 20 Prozent geschätzt (GIZ 4.2019b). Offizielle Statistiken über Arbeitslosigkeit gibt es aufgrund fehlender sozialer Einrichtungen und Absicherung nicht. Geschätzt wird sie auf 20 bis 45 Prozent - in erster Linie unter 30-jährige - mit großen regionalen Unterschieden (ÖB 10.2018). Der Staat und die Bundesstaaten haben damit begonnen, Programme zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit umzusetzen. Die Resultate sind dürftig (BS 2018). Der Mangel an lohnabhängiger Beschäftigung führt dazu, dass immer mehr Nigerianer in den Großstädten Überlebenschancen im informellen Wirtschaftssektor als "self-employed" suchen. Die Massenverelendung nimmt seit Jahren bedrohliche Ausmaße an (GIZ 4.2019b).
Die Großfamilie unterstützt in der Regel beschäftigungslose Angehörige (ÖB 10.2018). Generell wird die Last für Alter, Krankheit, Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung vom Netz der Großfamilie und vom informellen Sektor getragen (BS 2018). Allgemein kann festgestellt werden, dass auch eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit findet, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird. Sie kann ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern, insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe angeboten wird (ÖB 10.2018).
Nur Angestellte des öffentlichen Dienstes, des höheren Bildungswesens sowie von staatlichen, teilstaatlichen oder großen internationalen Firmen genießen ein gewisses Maß an sozialer Sicherheit. Nur eine geringe Anzahl von Nigerianern (2016 ca. fünf Millionen) ist im Pensionssystem (Contributory Pension Scheme) registriert (BS 2018).
Programme zur Armutsbekämpfung gibt es sowohl auf Länderebene als auch auf lokaler Ebene. Zahlreiche NGOs im Land sind in den Bereichen Armutsbekämpfung und Nachhaltige Entwicklung aktiv. Frauenorganisationen, von denen Women In Nigeria (WIN) die bekannteste ist, haben im traditionellen Leben Nigerias immer eine wichtige Rolle gespielt. Auch Nigerianer, die in der Diaspora leben, engagieren sich für die Entwicklung in ihrer Heimat (GIZ 4.2019c).
Die täglichen Lebenshaltungskosten differieren regional zu stark, um Durchschnittswerte zu berichten. Verdienstmöglichkeiten für Rückkehrerinnen: Eine der Berufsmöglichkeiten für Rückkehrerinnen ist die Eröffnung einer mobilen Küche für "peppersoup", "garri" oder "pounded yam", für die man lediglich einen großen Kochtopf und einige Suppenschüsseln benötigt. Die Grundausstattung für eine mobile Küche ist für einen relativ geringen Betrag erhältlich. Hauptsächlich im Norden ist auch der Verkauf von bestimmten Holzstäbchen zur Zahnhygiene eine Möglichkeit, genügend Einkommen zu erlangen. In den Außenbezirken der größeren Städte und im ländlichen Bereich bietet auch "mini-farming" eine Möglichkeit, selbständig erwerbstätig zu sein. Schneckenfarmen sind auf 10 m² Grund einfach zu führen und erfordern lediglich entweder das Sammeln der in Nigeria als "bushmeat" gehandelten Wildschnecken zur Zucht oder den Ankauf einiger Tiere. Ebenso werden nun "grasscutter" (Bisamratten-ähnliche Kleintiere) gewerbsmäßig in Kleinkäfigen als "bushmeat" gezüchtet. Großfarmen bieten Tagesseminare zur Aufzucht dieser anspruchslosen und sich rasch vermehrenden Tiere samt Verkauf von Zuchtpaaren an. Rascher Gewinn und gesicherte Abnahme des gezüchteten Nachwuchses sind gegeben. Schnecken und "grasscutter" finden sich auf jeder Speisekarte einheimischer Lokale. Für handwerklich geschickte Frauen bietet auch das Einflechten von Kunsthaarteilen auf öffentlichen Märkten eine selbständige Erwerbsmöglichkeit. Für den Verkauf von Wertkarten erhält eine Verkäuferin wiederum pro 1.000 Naira Wert eine Provision von 50 Naira. Weiters werden im ländlichen Bereich Mobiltelefone für Gespräche verliehen; pro Gespräch werden 10 Prozent des Gesprächspreises als Gebühr berechnet (ÖB 10.2018).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (10.12.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Oktober 2018)
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AA - Auswärtiges Amt (9.2018c): Nigeria - Wirtschaft, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/-/205790, Zugriff 22.11.2018
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BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 - Nigeria Country Report, https://www.ecoi.net/en/file/local/1427393/488302_en.pdf, Zugriff 19.11.2018
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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (4.2019b): Nigeria - Gesellschaft, https://www.liportal.de/nigeria/gesellschaft/, Zugriff 10.4.2019
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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (4.2019c): Nigeria - Wirtschaft & Entwicklung, https://www.liportal.de/nigeria/wirtschaft-entwicklung/, Zugriff 11.4.2019
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ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2018): Asylländerbericht Nigeria
Medizinische Versorgung
Insgesamt kann die Gesundheitsversorgung in Nigeria als mangelhaft bezeichnet werden (GIZ 4.2019b). Zwischen Arm und Reich sowie zwischen Nord und Süd besteht ein erhebliches Gefälle: Auf dem Land sind die Verhältnisse schlechter als in der Stadt (GIZ 4.2019b); und im Norden des Landes ist die Gesundheitsversorgung besonders prekär (GIZ 4.2019b; vgl. ÖB 10.2018). Die medizinische Versorgung ist vor allem im ländlichen Bereich vielfach technisch, apparativ und/oder hygienisch problematisch. In den großen Städten findet man jedoch einige Privatkliniken mit besserem Standard (AA 12.4.2019). Rückkehrer finden in den Großstädten eine medizinische Grundversorgung vor (AA 10.12.2018).
Es gibt sowohl staatliche als auch zahlreiche privat betriebene Krankenhäuser (AA 10.12.2018). Krankenhäuser sind bezüglich Ausstattung, Qualifikation des Personals und Hygiene nur in städtischen Zentren vereinzelt mit europäischem Standard vergleichbar. In größeren Städten ist ein Großteil der staatlichen Krankenhäuser mit Röntgengeräten ausgestattet, in ländlichen Gebieten verfügen nur einige wenige Krankenhäuser über moderne Ausstattung. Religiöse Wohltätigkeitseinrichtungen und NGOs bieten kostenfrei medizinische Versorgung (ÖB 10.2018).
In den letzten Jahren hat sich die medizinische Versorgung in den Haupt- und größeren Städten allerdings sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor deutlich verbessert. So ist mittlerweile insbesondere für Privatzahler eine gute medizinische Versorgung für viele Krankheiten und Notfälle erhältlich. Es sind zunehmend Privatpraxen und -kliniken entstanden, die um zahlungskräftige Kunden konkurrieren. Die Ärzte haben oft langjährige Ausbildungen in Europa und Amerika absolviert und den medizinischen Standard angehoben. In privaten Kliniken können die meisten Krankheiten behandelt werden (AA 10.12.2018).
Die Gesundheitsdaten Nigerias gehören zu den schlechtesten in Afrika südlich der Sahara und der Welt (ÖB 10.2018). Mit 29 Todesfällen pro 1.000 Neugeborenen hat Nigeria weltweit die elfthöchste Todesrate bei Neugeborenen (GIZ 2.2019). Die aktuelle Sterberate für Kinder unter fünf Jahren beträgt 109 Todesfälle pro 1.000 Lebendgeburten. Die Prozentsätze der Unterernährung (Global Acute Malnutrition) liegen in den nördlichen Staaten konstant über der Alarmschwelle von 10 Prozent. Gemäß Schätzungen von UNICEF unterliegen mehr als 1,3 Millionen Kinder unter fünf Jahren in Nordnigeria einem hohen Risiko von schwerer akuter Unterernährung (ÖB 10.2018).
Psychische bzw. psychiatrische Erkrankungen werden in der großen Mehrheit der Bevölkerung immer noch als spiritueller Natur entspringend angesehen. Dementsprechend werden die entsprechenden Patienten besonders im ländlichen Bereich spirituellen Heilern zugeführt. Betreut werden sie in der Regel in der Familie, wenn vorhanden. Viele psychisch Kranke leben auf der Straße, in abgelegenen Regionen werden als gefährlich angesehene Personen in den Dörfern auch gelegentlich noch angekettet. Für die stationäre Unterbringung gibt es in ganz Nigeria acht staatliche psychiatrische Kliniken, die einen Langzeitbereich haben, außerdem sind zahlreiche psychisch Langzeitkranke in gesonderten Bereichen in Gefängnissen untergebracht. Im Wesentlichen findet dort eine reine Verwahrung unter ausgesprochen ärmlichen Bedingungen statt (WPA o.D.). Es existiert also kein mit westlichen Standards vergleichbares Psychiatriewesen, sondern allenfalls Verwahreinrichtungen auf sehr niedrigem Niveau. Dort werden Menschen mit psychischen Erkrankungen oft gegen ihren Willen untergebracht, können aber nicht adäquat behandelt werden (AA 10.12.2018).
Insgesamt gibt es für die inzwischen annähernd 200 Millionen Einwohner 100 Hospitäler mit psychiatrischer Abteilung (VAÖB 23.1.2019). Laut anderen Angaben gibt es psychiatrische Abteilungen in 15 Universitätskliniken, acht staatlichen psychiatrischen Spitälern und sechs Allgemeinen Spitälern sowie 15 psychiatrischen Privatkrankenhäusern (WPA o.D.). Das in Lagos befindliche Federal Neuro Psychiatric Hospital Yaba bietet sich als erste Anlaufstelle für die Behandlung psychisch kranker Rückkehrer an. Die Kosten für einen Empfang durch ein medizinisches Team direkt am Flughafen belaufen sich auf ca. 195.000 Naira (ca. 570 Euro). Zudem ist an diesem Krankenhaus auch die stationäre Behandlung psychischer Erkrankungen mit entsprechender Medikation möglich (AA 10.12.2018).
Nigeria verfügt über 110 registrierte Psychiater (WPA o.D.); nach anderen Angaben sind es derzeit 130 für 200 Millionen Einwohner (Österreich 2011: 20 Psychiater/100.000 Einwohner). Bei Psychologen ist die Lage noch drastischer, hier kamen im Jahr 2014 auf 100.000 Einwohner 0,02 Psychologen (Österreich 2011: 80 Psychologen/100.000 Einwohner). Aufgrund dieser personellen Situation ist eine regelrechte psychologische/psychiatrische Versorgung für die große Mehrheit nicht möglich, neben einer basalen Medikation werden die stationären Fälle in öffentlichen Einrichtungen im Wesentlichen "aufbewahrt". Die Auswahl an Psychopharmaka ist aufgrund der mangelnden Nachfrage sehr begrenzt (VAÖB 23.1.2019).
Es gibt eine allgemeine Kranken- und Rentenversicherung, die allerdings nur für Beschäftigte im formellen Sektor gilt. Die meisten Nigerianer arbeiten jedoch als Bauern, Landarbeiter oder Tagelöhner im informellen Sektor. Leistungen der Krankenversicherung kommen schätzungsweise nur zehn Prozent der Bevölkerung zugute (AA 10.12.2018). Nur weniger als sieben Millionen der 180 Millionen Einwohner Nigerias sind beim National Health Insurance Scheme leistungsberechtigt (Punch 22.12.2017). Eine Minderheit der erwerbstätigen Bevölkerung ist über das jeweils beschäftigende Unternehmen mittels einer Krankenversicherung abgesichert, die jedoch nicht alle Krankheitsrisiken abdeckt (VAÖB 27.3.2019).
Wer kein Geld hat, bekommt keine medizinische Behandlung (GIZ 4.2019b). Selbst in staatlichen Krankenhäusern muss für Behandlungen bezahlt werden (AA 10.12.2018). Die Kosten medizinischer Betreuung müssen im Regelfall selbst getragen werden. Die staatlichen Gesundheitszentren heben eine Registrierungsgebühr von umgerechnet 10 bis 25 Cent ein: Tests und Medikamente werden unentgeltlich abgegeben, sofern vorhanden (ÖB 10.2018). Eine basale Versorgung wird über die Ambulanzen der staatlichen Krankenhäuser aufrechterhalten, jedoch ist auch dies nicht völlig kostenlos, in jedem Fall sind Kosten für Medikamente und Heil- und Hilfsmittel von den Patienten zu tragen, von wenigen Ausnahmen abgesehen (VAÖB 27.3.2019).
Die staatliche Gesundheitsversorgung gewährleistet keine kostenfreie Medikamentenversorgung. Jeder Patient - auch im Krankenhaus - muss Medikamente selbst besorgen bzw. dafür selbst aufkommen (AA 10.12.2018). In der Regel gibt es fast alle geläufigen Medikamente in Nigeria in Apotheken zu kaufen, so auch die Antiphlogistika und Schmerzmittel Ibuprofen und Diclofenac sowie die meisten Antibiotika, Bluthochdruckmedikamente und Medikamente zur Behandlung von neurologischen und psychiatrischen Leiden (AA 10.12.2018). Medikamente gegen einige weit verbreitete Infektionskrankheiten wie Malaria und HIV/AIDS können teilweise kostenlos in Anspruch genommen werden, werden jedoch nicht landesweit flächendeckend ausgegeben. Schutzimpfaktionen werden von internationalen Organisationen finanziert, stoßen aber auf religiös und kulturell bedingten Widerstand, überwiegend im muslimischen Norden (ÖB 10.2018).
Die Qualität der Produkte auf dem freien Markt ist jedoch zweifelhaft, da viele gefälschte Produkte meist aus asiatischer Produktion - vertrieben werden (bis zu 25% aller verkauften Medikamente). Diese wirken aufgrund unzureichender Dosisanteile der Wirkstoffe nur eingeschränkt. Es gibt zudem wenig zuverlässige Kontrollen hinsichtlich der Qualität der auf dem Markt erhältlichen Produkte (AA 10.12.2018). Gegen den grassierenden Schwarzmarkt mit Medikamenten gehen staatliche Stellen kaum vor (ÖB 10.2018).
Der Glaube an die Heilkräfte der traditionellen Medizin ist nach wie vor sehr lebendig. Bei bestimmten Krankheiten werden eher traditionelle Heiler als Schulmediziner konsultiert (GIZ 4.2019b). Gerade im ländlichen Bereich werden "herbalists" und traditionelle Heiler aufgesucht (ÖB 10.2018).
Quellen: