TE Bvwg Erkenntnis 2020/1/28 I409 2212348-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.01.2020
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Entscheidungsdatum

28.01.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
EMRK Art. 2
EMRK Art. 3
EMRK Art. 8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I409 2212348-1/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. Florian Schiffkorn als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX, Staatsangehörigkeit Nigeria, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10. November 2018, Zl. "1180820910 - 180120884", nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 24. Jänner 2020, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass eine Frist für die freiwillige Ausreise bis zum 26. März 2020 gewährt wird.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

I. Verfahrensgang

In der Begründung des angefochtenen Bescheides wird unter dem Punkt "A) Verfahrensgang" Folgendes ausgeführt

"-

Sie reisten im Februar 2018 illegal in das Bundesgebiet ein.

-

Am 05.02.2018 stellten Sie einen Antrag auf internationalen Schutz, wobei Sie angaben, den Namen O. G. zu führen, aus Nigeria zu stammen und am XX.XX.XXXX in Nigeria geboren worden zu sein.

-

Am 05.02.2018 wurden Sie von Beamten der LPD XXXX niederschriftlich einvernommen und gaben dabei zu den Gründen Ihrer Ausreise, Folgendes an:

Nach dem Tod meiner Eltern wurde ich von meiner Tante aufgenommen. Zu diesem Zeitpunkt war ich 4 Jahre alt. Ich wurde von meiner Tante gezwungen für sie als Straßenverkäufer zu arbeiten. Ich war zu dieser Zeit 6 Jahre alt. Ich wollte aber zur Schule gehen, dass war aber nicht möglich. Es ist die Kriminalität in Nigeria sehr hoch und es werden Leute umgebracht. Deshalb ging es mir sehr schlecht und ich beschloss, das Land zu verlassen. Ich habe hiermit alle meine Gründe und die dazugehörenden Ereignisse angegeben, warum ich nach Österreich gereist bin! Ich habe keine weiteren Gründe einer Asylantragstellung.

-

Am 18.06.2018 wurden Sie im Beisein eines von der erkennenden Behörde bestellten und beeideten Dolmetschers für die Sprache Englisch von dem zur Entscheidung berufenen Organwalter des BFA niederschriftlich einvernommen. Es folgen die entscheidungsrelevanten Auszüge aus der Einvernahme:

...

F: Wie geht es Ihnen, befinden Sie sich in Therapie, Behandlung oder leiden Sie an einer chronischen Krankheit?

A: Mir geht es gut. Ich bin gesund. Ich nehme auch keine Medikamente.

...

F: Können Sie bitte einen kurzen Lebenslauf bezüglich Ihrer Person schildern? Z.B.: Wo sind Sie aufgewachsen, welche Schulausbildung haben Sie absolviert, welchen Beruf haben Sie ausgeübt etc.?

A: Ich wurde am XX.XX.XXXX in Uromi, Edo State, Nigeria. In Uromi begann ich im Jahr 2005 auch die Grundschule. Nach zwei Jahren verließ ich die Schule wieder. Ich bin bei meiner Tante aufgewachsen, da mein Vater 2005 (er wurde getötet) und meine Mutter 2006 (sie war an Malaria erkrankt) verstarben. Ich habe dann Orangen auf der Straße in Uromi verkauft. Ich habe das dann auch bis zu meiner Ausreise gemacht. Gewohnt habe ich bei meiner Adresse, die Adresse ist mir nicht bekannt, aber es war in Uromi. Meine Tante verstarb letztes Jahr, ich hätte angerufen aber jemand hat mir dann gesagt, dass sie verstorben ist. Nachgefragt ist dieser jemand ein Freund. Nachgefragt der Name des Freundes ist John. Nachgefragt kenne ich keinen zweiten Namen, ich kenne ihn nur als John. Nachgefragt er war es der mich letztes Jahr angerufen hat.

...

F: Hatten Sie gröbere Probleme mit Privatpersonen (Blutfehden, Racheakte etc.)

A: Ja. Mit den Leuten die meinen Vater ermordet haben. Das ist auch der Grund warum ich Nigeria verlassen.

...

F: Schildern Sie die Gründe, warum Sie Ihr Heimatland verlassen und einen Asylantrag gestellt haben, detailliert, von sich aus, vollständig und wahrheitsgemäß.

Soweit Sie auf Ereignisse Bezug nehmen, werden Sie auch aufgefordert, den Ort und die Zeit zu nennen, wann diese stattfanden und die Personen, die daran beteiligt waren.

A: Ich habe Nigeria verlassen, weil die Situation sehr schwer für mich war. Ich hatte in Nigeria nur meine Tante. Die Leute die meinen Vater getötet haben, haben mich gesucht. Meine Tante hat mich auch nicht gut behandelt. Ich habe in Nigeria nur Waren verkauft. Ich konnte auch nicht von meiner Tante wegziehen, weil es sonst nicht sicher für mich gewesen wäre. Darum habe ich Nigeria verlassen.

F: Gibt es noch andere Gründe, warum Sie Nigeria verlassen haben?

A: Nein.

...

F: Warum denken Sie nun nicht mehr in Nigeria leben zu können?

A: Ich habe dort niemanden mehr.

F: Spricht sonst etwas gegen ein Leben in Nigeria?

A: Wenn ich auf der Straße leben muss, dann werde ich vielleicht getötet werden. Das ist zu riskant für mich.

F: Das bedeutet Sie haben Angst einem Verbrechen zum Opfer zu fallen?

A: Ja.

...

-

Am 13.09.2018 wurde im Auftrag des BFA eine altersdiagnostische Begutachtung durchgeführt. Im daraus resultierenden Gutachten vom 21.09.2018 führte der Sachverständige aus, dass das behauptete Lebensalter mit dem festgestellten Mindestalter nicht vereinbar ist. Als spätmöglichstes "fiktives" Geburtsdatum stellte der SV den XX.XX.XXXX fest."

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 10. November 2018 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß "§ 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF" (Spruchpunkt I) und hinsichtlich des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Nigeria gemäß "§ 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG" (Spruchpunkt II) als unbegründet ab. Dem Beschwerdeführer wurde überdies ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß "§ 57 AsylG" nicht erteilt (Spruchpunkt III). Gemäß "§ 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF" wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß "§ 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF" erlassen (Spruchpunkt IV) und gemäß "§ 52 Absatz 9 FPG" festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß "§ 46 FPG" nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt V). Gemäß "§ 55 Absatz 1 und 2 FPG" wurde dem Beschwerdeführer eine Frist für eine freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gewährt (Spruchpunkt VI).

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 10. Dezember 2018 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zu A) Entscheidung über die Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid

A) 1. Feststellungen

A) 1.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist ledig und kinderlos, gesund und erwerbsfähig, Staatsangehöriger von Nigeria und er bekennt sich zum christlichen Glauben. Seine Identität steht nicht fest.

Seit Februar 2018 hält sich der Beschwerdeführer in Österreich auf.

Mit Schreiben vom 11. Jänner 2019 teilte die Landespolizeidirektion XXXX mit, dass der Beschwerdeführer geständig ist, am 11. Jänner 2019 in einer Parkanlage Marihuana verkauft zu haben.

Mit Schreiben vom 5. Februar 2019 teilte die Staatsanwaltschaft XXXX mit, dass gegen den Beschwerdeführer Anklage wegen vorsätzlich begangener strafbarer Handlungen erhoben wurde.

Am 18. Dezember 2019 wurde der Beschwerdeführer in einem aus Venedig kommenden Linienbus aufgegriffen.

Am 26. Dezember 2019 wurde der Beschwerdeführer in einem aus Budapest kommenden Zug von der österreichischen und der ungarischen Polizei einer fremdenrechtlichen Kontrolle unterzogen.

Seit 3. Jänner 2020 ist der Beschwerdeführer untergetaucht.

Der Beschwerdeführer hat in Österreich und auf dem Staatsgebiet der Mitgliedstaaten keine maßgeblichen privaten sowie keine familiären Anknüpfungspunkte.

Er ging in Österreich zu keinem Zeitpunkt einer legalen Erwerbstätigkeit nach und bestreitet seinen Lebensunterhalt über die staatliche Grundversorgung.

Es wird nicht festgestellt, dass der Beschwerdeführer in Nigeria aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung verfolgt werden würde. Er wird im Fall seiner Rückkehr nach Nigeria also mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner asylrelevanten Verfolgung und keiner wie auch immer gearteten existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein.

A) 1.2. Zu den Feststellungen zur Lage in Nigeria:

Zur Lage in Nigeria werden folgende Feststellungen getroffen:

"Politische Lage

Nigeria ist in 36 Bundesstaaten (ÖB 10.2018; vgl. AA 10.12.2018; AA 9.2018a; GIZ 4.2019a) und einen Bundeshauptstadtbezirk sowie 774 Local Government Areas (LGA/Bezirke) untergliedert. Die Bundesstaaten werden von direkt gewählten Gouverneuren regiert (AA 12.10.2018; vgl. AA 9.2018a; GIZ 4.2019a). Sie verfügen auch über direkt gewählte Parlamente (AA 9.2018a).

Nigeria verfügt über ein Mehrparteiensystem. Die am System der USA orientierte Verfassung enthält alle Attribute eines demokratischen Rechtsstaates (inkl. Grundrechtskatalog, Gewaltenteilung). Dem starken Präsidenten - zugleich Oberbefehlshaber der Streitkräfte - und dem Vizepräsidenten stehen ein aus Senat und Repräsentantenhaus bestehendes Parlament und eine unabhängige Justiz gegenüber (AA 10.12.2018; vgl. AA 9.2018a). Die Verfassungswirklichkeit wird von der Exekutive in Gestalt des direkt gewählten Präsidenten und von den direkt gewählten Gouverneuren dominiert. Der Kampf um politische Ämter wird mit großer Intensität, häufig auch mit undemokratischen, gewaltsamen Mitteln geführt. Die Justiz ist der Einflussnahme von Exekutive und Legislative sowie einzelner politischer Führungspersonen ausgesetzt (AA 10.12.2018).

Die Parteienzugehörigkeit orientiert sich meist an Führungspersonen, ethnischer Zugehörigkeit und vor allem strategischen Gesichtspunkten. Parteien werden primär als Zweckbündnisse zur Erlangung von Macht angesehen. Politische Führungskräfte wechseln die Partei, wenn sie andernorts bessere Erfolgschancen sehen. Entsprechend repräsentiert keine der Parteien eine eindeutige politische Richtung (AA 10.12.2018).

Bei den Präsidentschaftswahlen am 23.2.2019 wurde Amtsinhaber Muhammadu Buhari im Amt bestätigt (GIZ 4.2019a). Er erhielt 15,1 Millionen Stimmen und siegte in 19 Bundesstaaten, vor allem im Norden und Südwesten des Landes. Sein Herausforderer, Atiku Abubakar, erhielt 11,3 Millionen Stimmen und gewann in 17 Bundesstaaten im Südosten, im Middle-Belt sowie in der Hauptstadt Abuja (GIZ 4.2019a; vgl. BBC 26.2.2019). Die Wahlbeteiligung lag mit 36 Prozent deutlich niedriger als 2015. Überschattet wurden die Wahlen von gewaltsamen Zwischenfällen mit mindestens 53 Toten (GIZ 4.2019a).

Die Opposition sprach von Wahlmanipulation. Am 18.3.2019 focht Abubakar das Ergebnis aufgrund von Unregelmäßigkeiten vor dem Obersten Gerichtshof an. Das Verfahren muss gemäß der gesetzlichen Vorgaben innerhalb von 180 Tagen bis spätestens Mitte September abgeschlossen werden. Die Aussichten, dass die Beschwerde Erfolg hat, sind gering. So hatte Präsident Buhari nach den Wahlen von 2003, 2007 und 2011 als Oppositionskandidat ebenfalls vergleichbare Beschwerden eingelegt und diese verloren (GIZ 4.2019a).

Am 9.3.2019 wurden Wahlen für Regionalparlamente und Gouverneure in 29 Bundesstaaten durchgeführt. In den restlichen sieben Bundesstaaten hatten die Gouverneurswahlen bereits in den Monaten zuvor stattgefunden. Auch hier kam es zu Unregelmäßigkeiten und gewaltsamen Ausschreitungen (GIZ 4.2019a). Kandidaten der APC von Präsident Buhari konnten 15 Gouverneursposten gewinnen, jene der oppositionellen PDP 14 (Stears 12.4.2019).

Neben der modernen Staatsgewalt haben auch die traditionellen Führer immer noch einen - wenn auch weitgehend informellen - Einfluss. Sie gelten als Kommunikationszentrum und moralische Instanz und können wichtige Vermittler in kommunalen und in religiös gefärbten Konflikten sein (AA 9.2018a).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (10.12.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Oktober 2018)

-

AA - Auswärtiges Amt (9.2018a): Nigeria - Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/-/205844, Zugriff 7.11.2018

-

BBC News (26.2.2019): Nigeria Presidential Elections Results 2019, https://www.bbc.co.uk/news/resources/idt-f0b25208-4a1d-4068-a204-940cbe88d1d3, Zugriff 12.4.2019

-

GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (4.2019a): Nigeria - Geschichte und Staat, http://liportal.giz.de/nigeria/geschichte-staat.html, Zugriff 11.4.2019

-

ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2018): Asylländerbericht Nigeria

-

Stears News (12.4.2019): Governorship Election Results, https://nigeriaelections.stearsng.com/ governor/2019, Zugriff 12.4.2019

Sicherheitslage

Es gibt in Nigeria keine klassischen Bürgerkriegsgebiete oder -parteien (AA 10.12.2018). Im Wesentlichen lassen sich mehrere Konfliktherde unterscheiden: Jener von Boko Haram im Nordosten; jener zwischen Hirten und Bauern im Middle-Belt; sowie Spannungen im Nigerdelta (AA 10.12.2018; vgl. EASO 11.2018a) und eskalierende Gewalt im Bundesstaat Zamfara (EASO 11.2018a). Außerdem gibt es im Südosten zwischen der Regierung und Igbo-Gruppen, die für ein unabhängiges Biafra eintreten, (EASO 11.2018a; vgl. AA 10.12.2018), sowie zwischen Armee und dem Islamic Movement in Nigeria (IMN) Spannungen (EASO 11.2018a). Die 2017 deutlich angespannte Lage im Südosten des Landes ("Biafra") hat sich mit dem Eingriff des Militärs und der mutmaßlichen Flucht des Anführers der stärksten separatistischen Gruppe IPOB derzeit wieder beruhigt (AA 10.12.2018).

In den nordöstlichen Bundesstaaten Adamawa, Borno, Gombe und Yobe kommt es häufig zu Selbstmordanschlägen (BMEIA 12.4.2019). Außenministerien warnen vor Reisen dorthin sowie in den Bundesstaat Bauchi (BMEIA 12.4.2019; vgl. AA 12.4.2019; UKFCO 12.4.2019). Vom deutschen Auswärtige Amt wird darüber hinaus von nicht notwendigen Reisen in die übrigen Landesteile Nordnigerias abgeraten (AA 12.4.2019).

Zu Entführungen und Raubüberfällen kommt es im Nigerdelta und einigen nördlichen Bundesstaaten. Betroffen sind: Abia, Akwa Ibom, Anambra, Bauchi, Bayelsa, Cross River, Delta, Ebonyi, Enugu, Imo, Jigawa, Kaduna, Kano, Katsina, Kogi, Nasarawa, Plateau, Rivers und Zamfara. Für die erwähnten nordöstlichen und nördlichen Bundesstaaten sowie jenen im Nigerdelta gelegenen gilt seitens des österreichischen Außenministeriums eine partielle Reisewarnung; Hohes Sicherheitsrisiko (Sicherheitsstufe 3) in den übrigen Landesteilen (BMEIA 12.4.2019).

Das deutsche Auswärtige Amt rät von Reisen in die Bundesstaaten Kaduna (insbesondere Süd- Kaduna), Plateau, Nasarawa, Benue, Delta, Bayelsa, Rivers, Imo (insbesondere die Hauptstadt Owerri), Abia, Anambra, Ebonyi, Edo, Enugu, Delta, Kogi, den südlichen Teil von Cross Rivers, Ogun und Akwa Ibom ab (AA 12.4.2019). Das britische Außenministerium warnt (neben den oben erwähnten nördlichen Staaten) vor Reisen in die am Fluss gelegenen Regionen der Bundesstaaten Delta, Bayelsa, Rivers, Akwa Ibom and Cross River im Nigerdelta. Abgeraten wird außerdem von allen nicht notwendigen Reisen in die Bundesstaaten Bauchi, Zamfara, Kano, Kaduna, Jigawa, Katsina, Kogi, Abia, im 20km Grenzstreifen zum Niger in den Bundesstaaten Sokoto und Kebbi, nicht am Fluss gelegene Gebiete von Delta, Bayelsa und Rivers (UKFCO 29.11.2018).

In Nigeria können in allen Regionen unvorhersehbare lokale Konflikte aufbrechen. Ursachen und Anlässe der Konflikte sind meist politischer, wirtschaftlicher, religiöser oder ethnischer Art. Meist dauern diese Auseinandersetzungen nur wenige Tage und sind auf einzelne Orte bzw. einzelne Stadtteile begrenzt. Insbesondere die Bundesstaaten Zamfara, das Sokoto (Nordteil) und Plateau (Südteil) sind derzeit von bewaffneten Auseinandersetzungen betroffen (AA 12.4.2019).

In der Zeitspanne April 2018 bis April 2019 stechen folgende nigerianische Bundesstaaten mit einer hohen Anzahl an Toten durch

Gewaltakte besonders hervor: Borno (2.333), Zamfara (1.116), Kaduna (662), Benue (412), Adamawa (402), Plateau (391). Folgende

Bundesstaaten stechen mit einer niedrigen Zahl hervor: Jigawa (2), Gombe (2), Kebbi (3) und Osun (8) (CFR 2019).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (10.12.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Oktober 2018)

-

AA - Auswärtiges Amt (12.4.2019): Nigeria - Reise- und Sicherheitshinweise,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/nigeriasicherheit/ 205788#content_6, Zugriff 12.4.2019

-

BMEIA - Österreichisches Außenministerium (12.4.2019):

Reiseinformationen - Nigeria, https:// www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/nigeria/, Zugriff 12.4.2019

-

CFR - Council on Foreign Relations (2019): Nigeria Security Tracker, https://www.cfr.org/nigeria/ nigeria-security-tracker/p29483, Zugriff 12.4.2019

-

EASO - European Asylum Support Office (11.2018a): Country of Origin Information Report - Nigeria - Security Situation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001366/2018_EASO_COI_Nigeria_SecuritySituation.pdf, Zugriff 12.4.2019

-

UKFCO - United Kingdom Foreign and Commonwealth Office (12.4.2019): Foreign Travel Advice - Nigeria - summary, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/nigeria, Zugriff 12.4.2019

Nigerdelta

Von 2000 bis 2010 agierten im Nigerdelta militante Gruppen, die den Anspruch erhoben, die Rechte der Deltabewohner zu verteidigen und die Forderungen auf Teilhabe an den Öleinnahmen auch mittels Gewalt (Sabotage der Ölinfrastruktur) durchzusetzen. 2009 gelang dem damaligen Präsidenten Yar'Adua mit einem Amnestieangebot eine Beruhigung des Konflikts. Unter Buhari lief das Programm am 15.12.2015 aus. Nach Wiederaufnahme der Attacken gegen die Ölinfrastruktur ist das Amnestieprogramm bis 2019 verlängert worden. Auch wenn Dialogprozesse zwischen der Regierung und Delta-Interessengruppen laufen und derzeit ein "Waffenstillstand" zumindest grundsätzlich hält, scheint die Regierung nicht wirklich an Mediation interessiert zu sein, sondern die Zurückhaltung der Aufständischen zu "erkaufen" und im Notfall mit militärischer Härte durchzugreifen (AA 10.12.2018).

Im Nigerdelta, dem Hauptgebiet der Erdölförderung, bestehen zahlreiche bewaffnete Gruppierungen, die sich neben Anschlägen auf Öl- und Gaspipelines auch auf Piraterie im Golf von Guinea und Entführungen mit Lösegelderpressung spezialisiert haben. Im Herbst 2016 konnte mit den bewaffneten Gruppen ein Waffenstillstand vereinbart werden, der bislang großteils eingehalten wird (ÖB 10.2018). Die Lage im Nigerdelta hat sich seit damals beruhigt, ist aber weiterhin volatil; die Bedrohung der dort angesiedelten Öl- und Gasförderung durch militante Gruppen und Piraten bleibt ein Risiko (AA 9.2018c). Im Berichtszeitraum 1.10.2017 bis 30.9.2018 registrierte ACLED, eine von einer NGO betriebene Datenbank sicherheitsrelevanter Vorfälle, in der Kategorie "Violence against civilians" in den Bundesstaaten des Nigerdeltas insgesamt 116 Vorfälle (insg. 350 sicherheitsrelevante Vorfälle). Die Exekutive war nicht in der Lage kommunale Gewalt zu verhindern. Daher wird auch die Armee im Zuge gemeinsamer Sicherheitsoperationen und -übungen eingesetzt (EASO 11.2018a). Das Militär hat auch die Federführung bei der zivilen Bürgerwehr Civilian Joint Task Force inne, die u.a. gegen militante Gruppierungen im Nigerdelta eingesetzt wird. Auch wenn sie stellenweise recht effektiv vorgeht, begeht diese Gruppe häufig selbst Menschenrechtsverletzungen oder denunziert willkürlich persönliche Feinde bei den Sicherheitsorganen (AA 10.12.2018).

Bei den Auseinandersetzungen im Nigerdelta handelte es sich sowohl um einen Konflikt zwischen regionalen militanten Gruppen einerseits und der Staatsgewalt andererseits, als auch um Rivalitäten zwischen unterschiedlichen lokalen Gemeinschaften. Im ersten Fall stehen in der Regel finanzielle Partikularinteressen der bewaffneten Gruppen im Vordergrund, im zweiten Fall geht es um einen Verteilungskampf rivalisierender Gruppen (AA 10.12.2018).

Entführungen sind im Nigerdelta und in den südöstlichen Bundesstaaten Abia, Imo und Anambra besonders häufig. Politiker, Wohlhabende und Ausländer sind die häufigsten Opfer (FH 1.2018).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (10.12.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Oktober 2018)

-

AA - Auswärtiges Amt (9.2018c): Nigeria - Wirtschaft, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/-/205790, Zugriff 22.11.2018

-

EASO - European Asylum Support Office (11.2018a): Country of Origin Information Report - Nigeria - Security Situation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001366/2018_EASO_COI_Nigeria_SecuritySituation.pdf, Zugriff 12.4.2019

-

FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2018 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/1443869.html, Zugriff 7.11.2018

-

ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2018): Asylländerbericht Nigeria

Middle-Belt inkl. Jos/Plateau

Seit Jahrzehnten kommt es in Nigeria - vorwiegend im Middle-Belt - zu religiös motivierter Gewalt zwischen christlichen ansässigen Bauern und nomadisch lebenden muslimischen Viehhirten (USCIRF 4.2018; vgl. EASO 2.2019). Ursprünglich ein Konflikt um natürliche Ressourcen wie Wasser und Land, hat der Konflikt zunehmend eine ethnisch-religiöse Dimension bekommen (EASO 2.2019). Der Konflikt lädt sich immer stärker ideologisch auf und verstärkt den Antagonismus zwischen Christen und Muslimen bzw. verschiedenen Ethnien (AA 10.12.2018). Eine Polarisierung erfolgt anhand religiöser Linien, da Angriffe oft als religiös motiviert wahrgenommen werden. Im Jahr 2017 setzte sich der Konflikt fort und war Ursache für Todesfälle, Zerstörung und Vertreibung. Desertifikation und Konflikte im Norden führen dazu, dass Viehhirten Richtung Süden ziehen. Der Konflikt um die Landnutzung wird oft gewaltsam ausgetragen. Beide Seiten fühlen sich durch die Sicherheitskräfte nicht ausreichend geschützt, Angreifer bleiben ungestraft. Es wird auch von ethnische Säuberungen im Rahmen des Konflikts berichtet (USCIRF 4.2018).

Immer wieder kommt es zu lokalen Konflikten zwischen einzelnen ethnischen, sozialen und religiösen Gruppen, insbesondere zwischen Hirten und Bauern in Zentralnigeria (AA 9.2018a). Dort flammten im Verlauf des Jahres 2017 die Konflikte zwischen muslimischen Hausa-Fulani Hirten und einheimischen christlichen Bauern wieder stärker auf, besonders in den Bundesstaaten Kaduna, Plateau, Taraba, Nasarawa und Benue. In einzelnen Fällen forderten diese Auseinandersetzungen mehrere hundert Tote (AA 9.2018a; vgl. FH 1.2018; EASO 2.2019). Auch Adamawa ist betroffen (EASO 2.2019). Der Konflikt um Land und Ressourcen nimmt durch die fortschreitende Wüstenbildung in Nordnigeria, das Bevölkerungswachstum und die allgemein angespannte wirtschaftliche Lage zu (AA 9.2018a). Nach einer Eskalation im Jänner 2018 waren in der ersten Jahreshälfte 2018 mehr als 1.300 Todesopfer zu verzeichnen, 300.000 Personen wurden vertrieben. Beide Seiten begingen schwere Menschenrechtsverletzungen wie Morde, Zerstörung von Häusern und anderem Eigentum (EASO 2.2019).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (9.2018a): Nigeria - Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/-/205844, Zugriff 7.11.2018

-

EASO - European Asylum Support Office (2.2019): Country Guidance:

Nigeria,

https://www.ecoi.net/en/file/local/2004112/Country_Guidance_Nigeria_2019.pdf, Zugriff 12.4.2019

-

FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2018 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/1443869.html, Zugriff 7.11.2018

-

USCIRF - United States Commission on International Religious Freedom (4.2018): Annual Report 2018 - Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/1435651/1226_1529393816_tier1- nigeria.pdf, Zugriff 29.11.2018

Nordnigeria - Boko Haram

"Boko Haram" ist seit Mitte 2010 für zahlreiche schwere Anschläge mit Tausenden von Todesopfern verantwortlich (AA 9.2018a). Dem Konflikt fielen unterschiedlichen unabhängigen Schätzungen zufolge zwischen 20.000 und 30.000 Menschen zum Opfer (AA 9.2018a; vgl. HRW 18.1.2018; EASO 11.2018a). Im August 2016 spaltete sich Boko Haram als Folge eines Führungsstreits in Islamic State West Africa (ISIS-WA) und Jama'atu Ahlis Sunna Lidda'awati wal- Jihad (JAS) auf (EASO 11.2018a). Diese Gruppen waren weiterhin für Tötungen, Bombenanschläge und Angriffe auf militärische und zivile Ziele in Nordnigeria verantwortlich. Diese Aktivitäten forderten tausende Todesopfer und Verletzte und verursachten bedeutende Zerstörung von Eigentum (USDOS 19.9.2018).

In den ersten eineinhalb Jahren Amtszeit hatte es Präsident Buhari geschafft, die Bedrohung durch Boko Haram weitgehend einzudämmen (AA 9.2018a). Die von Boko Haram betroffenen Staaten haben sich im Februar 2015 auf die Aufstellung einer 8.700 Mann starken Multinational Joint Task Force (MNJTF) zur gemeinsamen Bekämpfung von Boko Haram verständigt (AA 9.2018a). Im Vorfeld der Wahlen 2015 wurde die Militärkampagne gegen die Islamisten auf Druck und unter Beteiligung der Nachbarstaaten Kamerun, Niger und Tschad intensiviert und hat nach dem Amtsantritt von Staatspräsident Buhari zu einem von der Regierung behaupteten "technischen Sieg" geführt (ÖB 10.2018). Bis Oktober 2015 konnte Boko Haram aus allen von ihr kontrollierten Städten und aus fast allen Landkreisen im Nordosten Nigerias vertrieben werden, ohne dass es den nigerianischen Sicherheitsbehörden bisher gelungen ist, diese Gebiete dann auch abzusichern und vor weiteren Angriffen der Islamisten zu schützen (AA 9.2018a; vgl. AA 1.12.2018). Nach dem Rückzug in unwegsames Gelände und dem Treueeid einer Splittergruppe gegenüber dem sogenannten "Islamischen Staat" ist Boko Haram mittlerweile zu seiner ursprünglichen Guerillataktik von Überfällen auf entlegenere Dörfer und Selbstmordanschlägen - oft auch durch Attentäterinnen - zurückgekehrt (ÖB 10.2018). Mit Selbstmordanschlägen auf Streitkräfte, Vertriebenenlager, Moscheen in ländlichen Bereich oder in Einzugsgebieten von größeren Städten im Nordosten, besonders Maiduguri, sowie Entführungen bleiben die Islamisten weiterhin regional aktiv (AA 9.2018a). Die seit 2015 erzielten Fortschritte im Kampf gegen Boko Haram nutzen sich langsam ab (erhöhte Anschlagsaktivitäten, insbesondere auf nigerianische Streitkräfte). Die nigerianischen Streitkräfte beschränken sich auf das Verteidigen einiger urbaner Zentren im Bundesstaat Borno (AA 10.12.2018). Die Zahl und Qualität der Anschläge, insbesondere auf nigerianische Streitkräfte und Polizei, hat 2018 wieder zugenommen (AA 9.2018a). Boko Haram verübte 2017 mindestens 65 Angriffe, bei denen insgesamt 411 Zivilpersonen getötet wurden. Außerdem entführte die Gruppe mindestens 73 Menschen (AI 22.2.2018). Im Jahr 2018 kamen zumindest

1.200 Personen durch Boko Haram ums Leben, knapp 200.000 Personen wurden intern vertrieben (HRW 17.1.2019).

Auch wenn die zivile Bürgerwehr Civilian Joint Task Force stellenweise recht effektiv gegen Boko Haram vorging, begeht diese Gruppe häufig selbst Menschenrechtsverletzungen oder denunziert willkürlich persönliche Feinde bei den Sicherheitsorganen (AA 10.12.2018).

In Lagos gibt es keine Fälle von Tötungen durch Boko Haram. Die Terroristen sind nicht in der Lage, eine Person überall in Nigeria aufzuspüren. Wenn sich Menschen von Boko Haram bedroht fühlen, dann können sie im Land umsiedeln (VA1 16.11.2015). Zwar gibt es im Süden Schläferzellen der Boko Haram. Trotzdem können z.B. Deserteure der Boko Haram in den Süden umsiedeln, wo sie sicher sind (VA2 16.11.2015).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (10.12.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Oktober 2018)

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AA - Auswärtiges Amt (9.2018a): Nigeria - Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/-/205844, Zugriff 7.11.2018

-

AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425079.html, Zugriff 8.11.2018

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EASO - European Asylum Support Office (11.2018a): Country of Origin Information Report - Nigeria - Security Situation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001366/2018_EASO_COI_Nigeria_SecuritySituation.pdf, Zugriff 12.4.2019

-

HRW - Human Rigths Watch (18.1.2018): World Report 2018 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/ dokument/1422531.html, Zugriff 28.11.2018

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HRW - Human Rigths Watch (17.1.2019): World Report 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/en/ document/2002184.html, Zugriff 11.4.2019

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USDOS - U.S. Department of State (19.9.2018): Country Report on Terrorism 2017 - Nigeria,

https://www.refworld.org/docid/5bcf1f8e13.html, Zugriff 30.11.2018

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VA1 - Vertrauensanwalt 1 der Österreichischen Botschaft Abuja (16.11.2015): Interview im Rahmen einer Fact Finding Mission

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VA2 - Vertrauensanwalt 2 der Österreichischen Botschaft Abuja (16.11.2015): Interview im Rahmen einer Fact Finding Mission

Rechtsschutz / Justizwesen

Die Verfassung unterscheidet zwischen Bundesgerichten, Gerichten des Hauptstadtbezirks sowie Gerichten der 36 Bundesstaaten (AA 10.12.2018). Letztere haben die Befugnis, per Gesetz erstinstanzliche Gerichte einzusetzen (AA 10.12.2018; vgl. ÖB 10.2018). Daneben bestehen noch für jede der 774 LGAs eigene Bezirksgerichte (District Courts) (ÖB 10.2018). Bundesgerichte, die nur staatlich kodifiziertes Recht anwenden, sind der Federal High Court (Gesetzgebungsmaterie des Bundes, Steuer-, Körperschafts- und auch Verwaltungssachen), der Court of Appeal (Berufungssachen u.a. der State Court of Appeal und der State Sharia and Customary Court of Appeal) sowie der Supreme Court (Revisionssachen, Organklagen) (AA 10.12.2018). Für Militärangehörige gibt es eigene Militärgerichte (USDOS 13.3.2019).

Mit Einführung der erweiterten Scharia-Gesetzgebung in neun nördlichen Bundesstaaten sowie den überwiegend muslimischen Teilen dreier weiterer Bundesstaaten 2000/2001 haben die staatlichen Schariagerichte strafrechtliche Befugnisse erhalten, während sie zuvor auf das islamische Personenstandsrecht beschränkt waren (AA 10.12.2018). Laut Bundesverfassung wird die Verfassung und Zuständigkeit der Gerichte seit 1999 betreffend das anzuwendende Rechtssystem ("Common Law" oder "Customary Law") durch Gesetze der Gliedstaaten festgestellt. Einzelne Bundesstaaten haben "Scharia-Gerichte" neben "Common Law"- und

"Customary Courts" geschaffen. Mehrere Bundesstaaten, einschließlich die gemischt- konfessionellen Bundesstaaten Benue und Plateau, haben auch Scharia-Berufungsgerichte eingerichtet (ÖB 10.2018).

Die Verfassung sieht Gewaltenteilung und die Unabhängigkeit der Justiz vor (AA 10.12.2018; vgl. FH 1.2019; ÖB 10.2018; USDOS 13.3.2019). In der Realität ist die Justiz allerdings der Einflussnahme von Exekutive und Legislative sowie einzelner politischer Führungspersonen ausgesetzt (AA 10.12.2018; vgl. USDOS 13.3.2019; FH 1.2019). Vor allem auf Bundesstaats- und Bezirksebene (LGA) versuchen Politiker die Justiz zu beeinflussen (USDOS 13.3.2019). Die insgesamt zu geringe personelle und finanzielle Ausstattung sowie mangelnde Ausbildung behindern die Funktionsfähigkeit des Justizapparats und machen ihn chronisch korruptionsanfällig (AA 10.12.2018; vgl. FH 1.2019; USDOS 13.3.2019; ÖB 10.2018). Die Gehälter im Justizbereich sind niedrig, und es mangelt an Infrastruktur (ÖB 10.2018; vgl. USDOS 13.3.2019). Zusätzlich widersprechen sich die Rechtssysteme mitunter (ÖB 10.2018). Trotz allem hat die Justiz in der Praxis ein gewisses Maß an Unabhängigkeit und Professionalität erreicht (FH 1.2019).

Eine willkürliche Strafverfolgung bzw. Strafzumessungspraxis durch Polizei und Justiz, die nach Rasse, Nationalität o. ä. diskriminiert, ist nicht erkennbar. Das bestehende System benachteiligt jedoch tendenziell Ungebildete und Arme, die sich weder von Beschuldigungen freikaufen noch eine Freilassung auf Kaution erwirken oder sich einen Rechtsbeistand leisten können. Zudem ist vielen eine angemessene Wahrung ihrer Rechte auf Grund von fehlenden Kenntnissen selbst elementarster Grund- und Verfahrensrechte nicht möglich (AA 10.12.2018). Gesetzlich vorgesehen sind prozessuale Rechte wie die Unschuldsvermutung, zeitnahe Information über die Anklagepunkte, das Recht auf ein faires und öffentliches Verfahren, das Recht auf einen Anwalt, das Recht auf ausreichende Zeit zur Vorbereitung der Verteidigung, Zeugen zu befragen und das Recht auf Berufung. Diese Rechte werden jedoch nicht immer gewährleistet (USDOS 13.3.2019). Auch der gesetzlich garantierte Zugang zu einem Rechtsbeistand oder zu Familienangehörigen wird nicht immer ermöglicht (AA 10.12.2018).

Der Zugang zu staatlicher Prozesskostenhilfe ist in Nigeria beschränkt: Das Institut der Pflichtverteidigung wurde erst vor kurzem in einigen Bundesstaaten eingeführt. Lediglich in den Landeshauptstädten existieren NGOs, die sich zum Teil mit staatlicher Förderung der rechtlichen Beratung von Beschuldigten bzw. Angeklagten annehmen. Gerade in den ländlichen Gebieten gibt es jedoch zahlreiche Verfahren, bei denen Beschuldigte und Angeklagte ohne rechtlichen Beistand mangels Kenntnis ihrer Rechte schutzlos bleiben (AA 10.12.2018). Das Recht auf ein zügiges Verfahren wird zwar von der Verfassung garantiert, ist jedoch kaum gewährleistet. Dauerinhaftierungen ohne Anklage oder Urteil, die sich teils über mehrere Jahre hinziehen, sind weit verbreitet (AA 10.12.2018; vgl. USDOS 13.3.2019). Entgegen gesetzlicher Vorgaben ist die Untersuchungshaft nicht selten länger als die maximal zu erwartende gesetzliche Höchststrafe des jeweils in Frage stehenden Delikts. Außerdem bleiben zahlreiche Häftlinge auch nach Verbüßung ihrer Freiheitsstrafen in Haft, weil ihre Vollzugsakten unauffindbar sind (AA 10.12.2018).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (10.12.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Oktober 2018)

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FH - Freedom House (1.2019): Freedom in the World 2018 - Nigeria, https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2019/nigeria, Zugriff 20.3.2019

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ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2018): Asylländerbericht Nigeria

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USDOS - U.S. Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Nigeria, https://www.ecoi.net/en/document/2004182.html, Zugriff 20.3.2019

Scharia

Mit der Wiedereinführung des Scharia-Strafrechts auf landesgesetzlicher Ebene in den zwölf mehrheitlich muslimisch bewohnten nördlichen Bundesstaaten erhielten erstinstanzliche Scharia- Gerichte auch strafrechtliche Befugnisse (z.B. Verhängung von Körperstrafen bis hin zu Todesurteilen wie Steinigung); dies gilt allerdings grundsätzlich nur für Muslime (AA 10.12.2018). Scharia- bzw. gewohnheitsrechtliche Gerichte können nur angerufen werden, wenn beide Parteien einwilligen (ÖB 10.2018). Während Muslime sich den Scharia-Gerichten unterwerfen müssen, steht es Christen, die in den zwölf Bundesstaaten leben, frei, sich einem Scharia- oder staatlichen Gerichtsverfahren zu unterwerfen. Oft werden Scharia-Gerichte gewählt, da diese schneller zu einem Urteil kommen als die Gerichte des staatlichen Justizsystems (AA 9.2018a).

Den rigorosen Strafandrohungen der Scharia stehen ebenso rigorose Beweisanforderungen gegenüber, so dass bei prozedural einwandfreien Scharia-Verfahren ein für eine Verurteilung ausreichender Zeugenbeweis oft nicht zu führen ist. In der Vergangenheit ist es aufgrund der Komplexität des auch für viele Richter zunächst noch neuen islamischen Beweisrechts insbesondere in der Eingangsinstanz oft zu unbefriedigenden und mit Rechtsfehlern behafteten Urteilen gekommen. Allerdings erregten Ermittlungen und Anklagen wegen so genannter Hudud- Straftatbestände (z.B. außerehelicher Geschlechtsverkehr, Diebstahl, Straßenraub, Alkoholgenuss) in den letzten Jahren

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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